Die Systemtheorie Luhmanns in der Sozialen Arbeit

Eine Darstellung der Theorie und der Möglichkeit ihrer Verwendbarkeit in der Praxis


Hausarbeit (Hauptseminar), 2018

12 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitende Bemerkungen

2. Die Luhmannsche Systemtheorie und ihre Anwendung in der Praxis
2.1 Die Luhmannsche Systemtheorie
2.1.1 System – Umwelt – Autopoiesis
2.1.2 Soziale Systeme – Person – Kommunikation
2.1.3 Exkurs: Funktionssystem Soziale Arbeit? – Code – Programme
2.2 Anwendung der Systemtheorie in der Praxis der Sozialen Arbeit
2.2.1 Kommunikation in der Sozialen Arbeit
2.2.2 Systemtheorie und die systemische Praxis
2.2.3 Systemtheorie und ihre Anwendung in der Arbeit mit Familien

3. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitende Bemerkungen

In der vorliegenden Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, welchen Nutzen die Systemtheorie nach Luhmann für die professionelle Praxis der Sozialen Arbeit haben kann.

Dabei wird im ersten Teil der Arbeit die für das Grundverständnis der Luhmannschen Systemtheorie wesentlichen Begriffe dargestellt, wobei hier hauptsächlich auf die Begriffe des Systems, der Umwelt, Autopoiesis und der Kommunikation eingegangen wird. Darauf folgt ein kurzer Exkurs, der eine kleine Spur des Diskurses der Theorie der Sozialen Arbeit darstellt: bei der Frage, ob Soziale Arbeit als eigenständiges Funktionssystem gelten kann oder nicht.

Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Anwendung der (Luhmannschen) Systemtheorie in der Praxis der Sozialen Arbeit. Dabei wir als Erstes der Kommunikationsbegriff Luhmanns in den praktischen Kontext gesetzt. Dann folgt eine Darstellung des Verhältnisses von der Systemtheorie und „dem Systemischen“, da letzteres im Diskurs der Praxis den Begriff der Systemtheorie fast gänzlich abgelöst zu haben scheint.

Daraufhin wird, als letzter Punkt des Hauptteils, die Arbeit mit Familien auf systemtheoretische Aspekte hin untersucht.

Zuletzt kommt bei Punkt 3, als abschließende Bemerkung, ein Fazit.

2. Die Luhmannsche Systemtheorie und ihre Anwendung in der Praxis

2.1 Die Luhmannsche Systemtheorie

„Es gibt kaum andere Theorieangebote, die Welt auf eine bestimmte Art und Weise zu beobachten, die in vergangenen Jahren wissenschaftliche Diskussionen in den unterschiedlichsten Fachgebieten so anregten, irritierten und Kontroversen auslösten wie die Systemtheorie“(Kosellek und Merten 2015, S. 1723). Ein Grund dafür liegt in der Tatsache, dass sich unter dem Begriff der Systemtheorie wiederum unterschiedliche theoretische Ansätze ausdifferenziert haben, die eine klare Deutung und Anwendung der Systemtheorie erschweren. In der vorliegenden Arbeit werden ausnahmslos die Spuren der Luhmannschen Systemtheorie verfolgt, da es sich bei ihr „um die tiefenschärfste und am besten entfaltete Systemtheorie handelt, […] um eine Theorie mit universalistischem Anspruch“(Kosellek und Merten 2015, S. 1723). Eine „Supertheorie“, wie Luhmann sie selbst nennt(vgl. Luhmann 1984, S. 19), die sich selbst wie auch ihre Widersacher miteinschließt.

Eine Schwierigkeit für das Verständnis der Luhmannschen Systemtheorie ist ihre zirkuläre Struktur: es kommt vor, dass man bei dem Versuch, Begriff A mit Einbeziehung des Begriffs B zu definieren, auf die Problematik stößt, dass für das Verständnis des Begriffes B ebenso die genaue Bedeutung von Begriff A nötig ist. So stellte sich vorerst mitunter die Frage, wo bzw. mit welchem Begriff man bei der Abhandlung der Theorie beginnt.

Doch laut Luhmann ist es notwendig, die Differenz System/Umwelt als Ausgangspunkt der Systemtheorie zu wählen(vgl. Luhmann 1984, S. 35).

2.1.1 System – Umwelt – Autopoiesis

Luhmann unterscheidet in seiner Systemtheorie neben Maschinen zwischen Organismen, sozialen Systemen und psychischen Systemen(vgl. Luhmann 1984, S. 16). Bestimmend für sie sind die Operationen, die Letztelemente der Systeme(vgl. Luhmann 1995, S. 60). Die Operationsform der Organismen ist Leben, die des sozialen Systems Kommunikation und die des psychischen Systems Gedanken(vgl. Krause 1996, S. 20). Systeme darf man nicht als starre Objekte sehen, sondern dynamisch. Durch die spezifischen Operationen erzeugen sie die Differenz von System und Umwelt. Umwelt ist immer Umwelt des Systems, systemrelativ, beschreibbar als Außenseite einer Form, bei dem die Innenseite das System selbst ist(vgl. Luhmann 1995, S. 27). In der Luhmannschen Systemtheorie werden die Systeme als autopoietisch1 bezeichnet. Das bedeutet, dass die Systeme „die Elemente aus denen sie bestehen, durch die Elemente aus denen sie bestehen, selbst produzieren und reproduzieren“(Luhmann 1995, S. 56). Bei der Entstehung von Systemen ist Anschlussfähigkeit der zentrale Begriff. Die spezifischen Operationen werden gewissermaßen verkettet; die eine Operation erzeugt eine weitere Operation, und nur in dieser Form. Systeme sind operativ geschlossen. Einzig Leben erzeugt Leben (Organismus), einzig Kommunikation erzeugt Kommunikation (soziales System) und einzig Gedanken erzeugen Gedanken (psychisches System). Eine Bedingung für die Anschlussfähigkeit eines Systems ist die Möglichkeit, sich selbst zu beobachten. Hierfür kopieren die Systeme die eigens erzeugte Differenz System/ Umwelt in sich hinein. Durch dieses sogenannte ‚re-entry‘ ist es dem System möglich, die Differenz System/ Umwelt als Schema eigener Beobachtungen zu nutzen(vgl. Luhmann und Baecker 2006, S. 72). So muss für die Sicherung der Anschlussfähigkeit, das System die Operationen in Relation zu ihren Resultaten kontrollieren und adäquate Strukturen aufbauen. Notwendig ist hier die Reflexivität, die Unterscheidung zwischen „vorher“ und „nachher“(vgl. Luhmann 1984, S. 601). Bei jeder neuen Operation bezieht sich das System auf schon von sich selbst getätigte Operationen. Das System operiert selbstreferentiell(vgl. Luhmann 1984, S. 31f)und auch strukturdeterminiert, da die Art des Anschlusses durch Strukturen im System festgelegt werden(vgl. Krause 1996, S. 161f). Die Strukturen sind sozusagen das Selektionsschema des Systems(vgl. Luhmann 1997, S. 94). Die Selektion ist notwendig, damit das System operieren kann bzw. „mit dem wenigen, was es zulässt etwas anfangen kann“(Luhmann und Baecker 2006, S. 121)und somit durch Komplexitätsreduktion der Umwelt seine eigene Komplexität steigern kann(vgl. Luhmann und Baecker 2006, S. 121). Das System ist sozusagen umwelt-offen, geht aber höchst selektiv vor. Damit ist gemeint, dass die meisten Begebenheiten in der Umwelt ausgeschlossen werden. Nur wenn ein Unterschied einen Unterschied macht - maßgeblich ist hier das Selektionsschema des Systems - wird diese Differenz in eine Information für das System transformiert(vgl. Luhmann 1984, S. 68).

Die Operation der Unterscheidung selbst können System aber erstmal nicht beobachten. Um diesen ‚blinden Fleck‘ aufzulösen, ist eine Beobachtung der Beobachtung nötig, eine sogenannte Beobachtung 2. Ordnung(vgl. Reese-Schäfer 1996, S. 29). So ist auch hier wiederum wegen des blinden Flecks eine Beobachtung 3. Ordnung nötig, um die Unterscheidung zu beobachten; und auf dieser Ebene eine Beobachtung 4. Ordnung usw.

2.1.2 Soziale Systeme – Person – Kommunikation

Soziale Systeme werden auch Kommunikationssysteme genannt. Ihre Spezifische Operationsform ist Kommunikation. Luhmann differenziert soziale Systeme in Interaktionssysteme, Organisationssysteme und Gesellschaftssysteme(vgl. Luhmann 1984, S. 16). Die Gesellschaft ist das Sozialsystem an sich, das alle Kommunikationen miteinschließt. Sie hat sich in Teil- bzw. Funktionssysteme ausdifferenziert, wie z.B. Wirtschaft, Recht, Politik, Wissenschaft Erziehung/ Bildung, Massenmedien, Kunst und Religion(vgl. Runkel und Burkart 2005, S. 7). Beispiele für Organisationen können Parteien oder Universitäten sein. Interaktionssysteme können kurze Begegnungen sein, oder eine Skatrunde. Doch es ist nicht der Mensch der hier kommuniziert. Nur Kommunikation kann kommunizieren(vgl. Luhmann 1995, S. 113). Der Mensch ist vielmehr erst in einer höheren Abstraktionsebene als handelndes Subjekt beobachtbar. Vorerst kann der Körper als Organismus, also als biologisches System, seine Fähigkeit zu denken, also sein Bewusstsein als psychisches System, und durch Interaktionen die Teilhabe an sozialen Systemen beschrieben werden. Letzteres wird bei Luhmann durch den Begriff der „Person“ dargestellt. So schreibt Luhmann: "DieForm, die es ermöglicht, im Zusammenhang gesellschaftlicher Kommunikation von den Systemdynamiken des Einzelmenschen abzusehen, wollen wir als 'Person' bezeichnen. Dieser Begriff wird damit durch den Unterschied zum empirischen Menschen definiert"(Luhmann und Lenzen 2002, S. 28). Die Person ist also als Art spezifische „Rolle“2 in einem bestimmten sozialen System zu verstehen. Sie wird bestimmt von den Verhaltenserwartungen des Systems, in der die Person kommuniziert; so werden nur die systemrelevanten Ausschnitte des agierenden Menschen in das Kommunikationssystem inkludiert.

Die Form der Person dient des Weiteren in der Begriffsapparatur der Verbindung von dem psychischen und dem sozialen System. Kommunikation ist ohne das psychische System nicht möglich. Luhmann spricht hier von einer strukturellen Kopplung von psychischen und sozialen Systemen, die zwar getrennt (operativ geschlossen) operieren, aber dennoch eine kausale Wechselbeziehung bzw. eine gegenseitige Abhängigkeit aufweisen(vgl. Luhmann 1995, S. 152f).

Damit Kommunikation überhaupt entsteht, müssen mindestens zwei Prozessoren vorhanden sein, die Informationen verarbeiten können. Luhmann unterscheidet hier zwischen Alter und Ego(vgl. Luhmann 1984, S.119f), also dem Absender und dem Empfänger. Kommunikation „kommt zustande durch eine Synthese von drei verschiedenen Selektionen - nämlich Selektion einer Information, Selektion der Mitteilung dieser Information und selektives Verstehen oder Missverstehen dieser Mitteilung und ihrer Information“(Luhmann 1995, S. 115). Alter wird hier die Selektion der Information und die Selektion der Mitteilung zugeordnet, Ego die Selektion des Verstehens. So lässt sich der Ablauf der Kommunikation so beschreiben, dass Alter als Erstes durch gewisse Begebenheiten in der Umwelt irritiert wird, denn ein Unterschied macht einen Unterschied und so wird einer bestimmten Sache ein Informationswert zugeschrieben (Selektion der Information). Nun kann Alter die Art der Mitteilung wählen. (Selektion der Mitteilung). Die Mitteilung ist hier aber nur ein Vorschlag, eine „Anregung“(Luhmann 1984, S. 194); die Kommunikation wird nur realisiert, wenn dieser Vorschlag auch von Ego angenommen wird: durch Verstehen bzw. Missverstehen dieser Mitteilung (Selektion des Verstehens). Dabei kommt es nicht darauf an, ob Ego inhaltlich richtig verstanden hat, sondern nur, dass Alter ihm eine Mitteilung machen wollte, Ego also die Unterscheidung der Information von ihrer Mitteilung gemacht hat(vgl. Luhmann 1984, S. 195). Hauptsache die Anschlusshandlung ist gewährleistet, sei es durch das Verstehen, oder das Nicht-verstehen, durch Konsens oder Dissens: wenn Ego der beobachteten Begebenheit einen Informationswert zuschreibt, und selbst eine Mitteilung macht, werden die Rollen getauscht. Ego wird zum Alter, Empfänger wird zum Sender und so besteht weiterhin der Anschluss und somit das (Kommunikations-) System.

2.1.3 Exkurs: Funktionssystem Soziale Arbeit? – Code – Programme

Wie schon erwähnt beobachtet Luhmann eine Gesellschaft, die sich in Teil- und Funktionssysteme ausdifferenziert. Diese Funktionssysteme haben sich mit der Zeit entwickelt, und bestehen, um sie wesentliche Aufgaben für die Gesellschaft zu übernehmen (bzw. dadurch, dass sie die Aufgaben übernehmen, bestehen sie weiterhin). Um die Komplexität der Funktionssysteme zu reduzieren benützen sie binäre Schemata zur Unterscheidung: einen Code. Dieser Code ist sozusagen die systemspezifische Leitdifferenz der Funktionssysteme: so ist der bspw. der Code der Funktionssystem Politik Regierung/ Opposition oder Macht/ Ohnmacht, für das Rechtsystem Recht/ Unrecht und das Wissenschaftssystem wahr/ unwahr(vgl. Reese-Schäfer 1996, S. 127). Dieser Code bietet also beide Seiten der Differenz, den negativen und den positiven Wert. Die jeweiligen Programme gewährleisten dann die Funktionalität; sie legen also fest, welche Umweltereignisse in einem System beobachtet werden, welche Unterscheide für das System einen Unterscheid machen und wie dann dieser Unterschied in das System transferiert wird(vgl. Luhmann 1984, S. 432).

[...]


1 Den Terminus „Autopoiesis“ und das dahinterstehende Prinzip entlehnte Niklas Luhmann aus der Naturwissenschaft von Maturana und Valera (vgl. Luhmann 1984, S. 60).

2 Der Begriff der „Rolle“ wurde deswegen in Anführungszeichen gesetzt, da dieser im soziologischen Diskurs schon sehr ausdifferenziert wurde. Besonders durch den Systemtheoretiker Talcott Parsons, auf den Luhmann an anderen Stellen seines Werkes Bezug nimmt.

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Details

Titel
Die Systemtheorie Luhmanns in der Sozialen Arbeit
Untertitel
Eine Darstellung der Theorie und der Möglichkeit ihrer Verwendbarkeit in der Praxis
Hochschule
Frankfurt University of Applied Sciences, ehem. Fachhochschule Frankfurt am Main
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
12
Katalognummer
V509709
ISBN (eBook)
9783346085825
ISBN (Buch)
9783346085832
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Systemtheorie Luhmann Soziale Arbeit systemische Praxis
Arbeit zitieren
Pascal Rude (Autor:in), 2018, Die Systemtheorie Luhmanns in der Sozialen Arbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/509709

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