Extensionsexperiment zum Negativen Transfer: Einstellungseffekte beim Problemlösungsverhalten nach Luchins (1942)


Wissenschaftliche Studie, 1999

29 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Zusammenfassung

Nicht nur mangelnde Intelligenz verhindert einen richtigen Lösungsweg, sondern Effekte vor der Aufgabenlösung können ein unvoreingenommenes Wahrnehmen der Folgeaufgaben verhindern. Nach Luchins (1942) sollten Versuchspersonen, zufällig der Kontrollgruppe bzw. Experimentalgruppen zugeteilt, mit fiktiven Wasserkrügen bestimmte Mengen, zwecks Erlernen eines bestimmten Lösungswegs, abmessen. Experimentalgruppe 1 sollte einen komplizierten (Krug B - Krug A – 2x Krug C) und Experimentalgruppe 2 einen insgesamt komplizierten (Krug B - Krug A – 2x Krug C und Krug B - Krug A – 3x Krug C) Lösungsweg erlernen. Letzteres soll zu einer stärkeren Fixierung auf den komplizierten Lösungsweg führen. Hat sich der komplizierte Lösungsweg als erfolgreich erwiesen, ist die Wahrscheinlichkeit einen leichten Lösungsweg zu finden reduziert. Wenn sich der komplizierte Lösungsweg bewährt, folgt, daß der leichte Lösungsweg erschwert bzw. gar nicht gefunden wird. Die Ergebnisse bestätigten die Hypothesen nur teilweise.

Problemstellung

"Heinz!", ermahnt der Lehrer den an der Tafel stehenden Schüler, "warum siehst Du die einfache Lösung dieser Aufgabe nicht?".

Ist Heinz zu dumm oder hat er nur ein festgefahrenes Lösungsschema im Kopf?

Nicht immer ist es mangelnde Intelligenz, die es erschwert, den richtigen Lösungsweg zu finden, sondern hierfür können Vorgänge vor dem Lösungsversuch, wie der Einstellungseffekt verantwortlich sein. Der Einstellungseffekt (set effect) wurde folgendermaßen definiert: "Die Beeinträchtigung der Problemlösung infolge früherer Erfahrungen mit der Lösung der selben Art von Problemen; insbesondere wird ein Lösungsweg beibehalten, der sich bei früheren Problemen bewährt hat, obwohl eine

einfachere Lösung möglich wäre" (Anderson, 1996).

Vielfach beobachtet man bei anderen Menschen oder auch bei sich selbst, daß man bei einem Problem nicht weiterkommt und immer wieder erfolglos Ansätze versucht.

Eine Einstellung ist einem nicht immer mitgegeben, sondern sie kann auch leicht entwickelt werden. Hat man eine Reihe ähnlich strukturierter Aufgaben mehrmals nacheinander durch Anwendung derselben Lösungsregel mit Erfolg bearbeitet, läuft man Gefahr, eine neue Aufgabe in der selben Weise aufzufassen wie die vorangegangenen und den bewährten Lösungsweg einzuschlagen. Bei der Lösung der ersten Aufgabe wird eine Einstellung entwickelt, die einen daran hindert, die Folgeaufgaben unvoreingenommen zu bearbeiten. Die Fixierung auf einen Lösungsweg bezeichnet man als ein "starres Festhalten" an einer Einstellung oder auch als "Rigidität".

Einstellung ist eine allgemeine Bereitschaft, eine neue Situation, aufgrund vorheriger Erfahrungen, in einer bestimmten Weise wahrzunehmen. Diese Einstellung kann einen „Scheuklappeneffekt“ bedingen, der blind macht in Bezug auf Aspekte der neuen Situation, um dann mit angemessenen Lösungswegen zu reagieren. Werden bestimmte Vorgänge beim Lernen oder Denken, die in einer ersten Aufgabe erworben sind, auf eine andere übertragen, spricht man von Transfer. Die Übertragung kann die Erledigung der zweiten Aufgabe förderlich oder hinderlich beeinflussen (positiver bzw. negativer Transfer). In den meisten Fällen zeigt sich, daß Transfer eintritt, wenn die Aufgabensituation zwar neu ist, ihre Erledigung aber dieselbe Reaktion erfordert wie die Ursprungssituation. Umgekehrt bleibt Transfer meistens aus, wenn auf die bekannte Situation mit neuen Reaktionen geantwortet werden muß. Aus diesem Grund kann Einstellung die Grundlage für negativen Transfer sein.

Einstellungseffekte werden auch als set-back-Effekte oder als Automatisierung der Denkvorgänge bezeichnet und resultieren aus einer Verstärkung des Wissens, daß für die Lösung eines Bestimmten Problemtyps relevant ist.

Probleme bestehen aus Diskrepanzen zwischen dem, was man weiß und dem, was man wissen muß. Löst man ein Problem, so reduziert man die Diskrepanz, indem man einen Weg zur Beschaffung der fehlenden Informationen findet.

Aber die Probanden behalten ein bestimmtes Schema im Gedächtnis und nehmen somit andere Möglichkeiten nicht mehr wahr. Selbst wenn diese Effekte sehr stark sind, lassen sie sich doch relativ leicht ausschalten, indem man sein kognitives Vorgehen bewußt kontrolliert.

Luchins führte bereits 1942 eine systematische experimentelle Untersuchung der negativen Transferwirkung von Einstellungen beim Problemlösungsverhalten durch. Er kam nach seinen Untersuchungen zu der Erkenntnis, daß eine Einstellung eine Automatisierung der Denkvorgänge verursacht, und das man an die folgende Aufgabe nicht mit den ihr angepaßten Überlegungen heran geht, sondern das man automatisch an dem eingeübten Denkmuster verbleibt. Es besteht somit die Neigung, den sichereren und schon bekannten Weg zu nehmen. Eine gewisse Routine kann aber in einer neuen Situation den Übergang zu nicht vertrauten Lösungsprinzipien erschweren und damit die Lösung behindern. Vielfach hält man sich lieber an Altbewährtes, anstatt Dinge anders zu betrachten und bessere Möglichkeiten zu finden und mit ihnen umzugehen. Gründe dafür sind einfache Gewohnheit oder auch die Angst, Fehler zu machen oder kritisiert zu werden (Schönpflug, 1997).

Indem Kinder das ihnen zur Verfügung stehende Wissen nutzen, sind sie kreativere Problemlöser als Erwachsene. Kinder werden nicht durch Einstellungen oder Schemata eingeschränkt und werden auch nicht durch die Sozialisation davon abgehalten, die Phantasie den logischen linearen Denkweisen vorzuziehen (Zimbardo, 1996).

Deshalb ist es für andere Menschen oder sich selbst recht hilfreich, wenn man vor einem scheinbar unlösbaren Problem steht und den mechanisierten Lösungsweg immer und immer wieder probiert, sich zu zwingen, alles noch einmal ganz von vorne zu überlegen und einen anderen Lösungsweg auszuprobieren, kurz, die Einstellung zu ändern.

In diesem Replikationsexperiment, daß sich an die klassischen Anordnung von Luchins anlehnt, erhalten die beiden Experimentalgruppen, im Gegensatz zur Kontrollgruppe, einstellungsinduzierende Aufgaben (Aufgaben die ein bestimmtes Lösungsschema aufbauen), so daß es zu einer Mechanisierung des Problemlösungsverhaltens kommen soll. Das Erlernen "nur" eines komplizierten Lösungswegs führt in der Experimentalgruppe 2 zu einer noch stärkeren Fixierung auf das komplizierte Lösungsschema, so daß die Anzahl der einfachen Lösungen in der Experimentalgruppe 2 niedriger sein wird als in der Experimentalgruppe 1. Die Anzahl der einfachen Lösungen wird bei beiden niedriger sein als in der Kontrollgruppe.

Anzahl der einfachen

Lösungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Darstellung der Anzahl der einfachen Lösungen für die drei Versuchsgruppen für die Aufgaben 11-15; je mehr während der Aufgaben 1-10 ein komplizierter Lösungsweg „induziert“ wird, desto weniger wird in den Aufgaben 11-15 der einfache Lösungsweg gewählt.

Aufgrund der Induzierung eines komplizierten Lösungsschemas bei der Experimentalgruppe 2 ist die Anzahl der einfachen Lösungen bei den Aufgaben 11 und 12 sowie bei den Aufgaben 14 und 15 niederer als in der Experimentalgruppe 1.

Anzahl der einfachen

Lösungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Aufgaben 11 und 12 Aufgaben 14 und 15

Abbildung 2: Darstellung der Anzahl der einfachen Lösungen bei den Aufgaben 11 und 12 sowie bei de Aufgaben 14 und 15 für die Experimentalgruppe 1 und die Experimentalgruppe 2. Wegen der Induzierung des komplizierten Lösungsschemas bei der Experimentalgruppe 2 ist die Anzahl der einfachen Lösungen bei den Aufgaben 11 und 12 sowie bei den Aufgaben 14 und 15 niedriger als in der Experimentalgruppe 1. Die Aufgaben 13 löscht die „Einstellung“ (set) und somit ist die Anzahl der einfachen Lösungen bei den Aufgaben 11 und 12 niedriger als bei den Aufgaben 14 und 15

Insgesamt ist die Anzahl der einfachen Lösungen bei den Aufgaben 11 und 12 niedriger als bei den Aufgaben 14 und 15, da die Aufgabe 13 die "Einstellung" (set) löschen wird.

Methode

Versuchspersonen

Die Replikation zum Versuch des negativen Transfer (nach Luchins, 1942) wurde mit 30 Versuchspersonen durchgeführt, welche durch Zufall der Kontrollgruppe oder der Experimentalgruppe 1 oder der Experimentalgruppe 2 zugeteilt wurden, so daß jede Gruppe aus 10 Versuchspersonen bestand. Das Geschlecht und das Alter der Versuchspersonen hatte keine Bedeutung für den Versuch. Die Versuchspersonen setzten sich aus Studenten, der verschiedenen Fachbereiche, der Universität Duisburg zusammen. Die Rekrutierung der Versuchspersonen erfolgte per Ankündigung an mehreren "schwarzen Brettern" innerhalb des

Universitätsgeländes.

Versuchsmaterial

In Anlehnung an die Untersuchung von Luchins (1942) verwendeten wir in dem Experiment zum negativen Transfer "Umfüllaufgaben", bei denen man sich drei leere Krüge und ein Behältnis mit Wasser vorstellen sollte, um dann ganz bestimmte Wassermengen abzumessen, als Denkaufgaben.

Neben einem Versuchsraum mit Abdunklungsmöglichkeit, Stühlen und Tischen für die Versuchspersonen, brauchten die Versuchsleiter eine Uhr mit Sekundenanzeige um die Bearbeitungszeit von 30 Sekunden pro Aufgabe zu stoppen.

In dem Experimentalraum wurde ein Overhead-Projektor benötigt, um den Versuchspersonen die "Umfüllaufgaben" zu präsentieren. Für den Versuch wurden drei verschiedene Aufgabenbögen für die "Umfüllaufgaben" erstellt, die auf eine Folie übertragen wurden. Der entsprechende Aufgabenbogen der Umfüllaufgaben" (siehe Anhang B, Anhang C und Anhang D ) für die Versuchsgruppen wurde als Folie auf den Overhead-Projektor gelegt und an die Wand projiziert. Sowohl die Versuchspersonen der beiden Experimentalgruppen als auch die Versuchspersonen der Kontrollgruppe bekamen zuvor die gleiche Beispielaufgabe. Die Lösung dieser Beispielaufgabe erhält man, wenn man fiktiv den Behälter B füllt und dann die 21 cm3 in den Behälter A schüttet, so daß 109 cm3 (B - A = 130 cm3 - 21 cm3 = 109 cm3) in Behälter B zurückbleiben. Daraufhin füllt man den Behälter C dreimal ( 3 x 3 cm3 = 9 cm3) mit dem in Behälter B sich befindlichen Wasser (B - 3 x C = 109 cm3 - 9 cm3 = 100 cm3 ), so daß in Behälter B die gesuchte Menge übrig bleibt. Danach folgten je 15 Aufgaben, wobei sich die Aufgaben zum Teil unterschieden. Die Kontrollgruppe erhielt keine

[...]

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Details

Titel
Extensionsexperiment zum Negativen Transfer: Einstellungseffekte beim Problemlösungsverhalten nach Luchins (1942)
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Psychologisches Institut)
Veranstaltung
Experimentelles Praktikum
Note
2
Autor
Jahr
1999
Seiten
29
Katalognummer
V5095
ISBN (eBook)
9783638130950
Dateigröße
926 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Extensionsexperiment, Negativen, Transfer, Einstellungseffekte, Problemlösungsverhalten, Luchins, Experimentelles, Praktikum
Arbeit zitieren
Ariane Struck (Autor:in), 1999, Extensionsexperiment zum Negativen Transfer: Einstellungseffekte beim Problemlösungsverhalten nach Luchins (1942), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/5095

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