Zahnmedizin in Kenia. Zum Gesundheitsverhalten und -verständnis in der Fremde


Bachelorarbeit, 2019

60 Seiten, Note: 1,6


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

2. KULTUR
2.1 KULTURELLE BEDINGTHEIT VON GESUNDHEIT
2.2 LÄNDERPORTRAIT KENIA
2.2.1 Zahnmedizinische Situation
2.2.2 Dentists for Africa
2.3 MEDIZINETHNOLOGIE

3 . GESUNDHEITSPSYCHOLOGIE
3.1 GESUNDHEITSVERHALTEN UND -VERSTÄNDNIS
3.2 BEDINGUNGSFAKTOREN DES GESUNDHEITSVERHALTENS AUS GESUNDHEITSSOZIOLOGISCHER PERSPEKTIVE

4 . METHODOLOGISCHE GRUNDLAGEN UND METHODISCHES VORGEHEN
4.1 QUALITATIVE FORSCHUNG
4.2 GÜTEKRITERIEN
4.3 FORSCHUNGSFRAGE
4.4 FORSCHUNGSDESIGN
4.4.1 Zugang zum Feld
4.4.2 Erhebungsmethode
4.4.3 Auswahl der InterviewpartnerInnen
4.4.4 Entwicklung des Leitfadens
4.4.5 Durchführung
4.4.6 Auswertungsmethode

5 . ERGEBNISDARSTELLUNG UND DISKUSSION
5.1 KATEGORIE 1: GESUNDHEITSVERHALTEN
5.1.1 Präventionsmaßnahmen
5.1.2 Ernährung
5.1.3 Finanzieller Aspekt
5.1.4 Spiritueller Aspekt
5.1.5 Zahnarztbesuch / Selbsttherapie
5.2 KATEGORIE 2: GESUNDHEITSVERSTÄNDNIS
5.2.1 Individuelles Verständnis von Zahngesundheit
5.2. 2 Gesundheitseinschätzung
5.2.3 Gesundheitsbezogene Einstellung und Überzeugung
5.3 KATEGORIE 3: DIE QUELLE DES MEDIZINISCHEN WISSENS
5.3.1 Community
5.3.2 Familie
5.3.3 Schule und Medien

6 . REFLEXION

7 . FAZIT

LITERATUR

TABELLENVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

1. Einleitung

Das Verständnis von Gesundheit ist kein universelles Konstrukt, sondern ist abhängig von Denkstrukturen, sowie Normen- und Wertevorstellungen einer Kultur. Darüber definiert sich der Stellenwert sowie der Umgang und das Verhalten der eigenen Gesundheit.

Afrika ist von einer ausreichenden zahnmedizinischen Versorgung noch weit entfernt. In Kenia, einem Staat in Ostafrika, kommt ein Zahnarzt auf 42.000 Menschen. Allerdings praktizieren die meisten Zahnärzte in den Großstädten und Ballungsräumen wie Nairobi oder Mombasa. Für die ländliche Bevölkerung ist somit der Zugang zur zahnmedizinischen Versorgung sehr schwer. Zahnmedizinische Probleme sind Karies, Parodontose, Dentalfluorose sowie schlechte oder keine Mundhygiene (vgl. Kenya National Oral Health Report, 2015, Foreword). Wie die kenianische Bevölkerung Zahngesundheit erlebt und wie diese von der kenianischen Kultur beeinflusst wird, ist Gegenstand dieser Arbeit. In der vorliegenden Arbeit wird das Verhalten und Verständnis in Bezug auf Zahngesundheit in der kenianischen Bevölkerung erforscht und analysiert. Die Forschungsarbeit findet im Rahmen eines Hilfseinsatzes mit der humanitären Hilfsorganisation ‚Dentists for Africa‘ (DfA) statt. Die Organisation DfA hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Menschen in ländlichen Gebieten mit zahnmedizinischen Versorgungen zu unterstützen.

Um dem Ziel der Forschung nachzugehen, wird im ersten Theorieteil das Thema Kultur und kulturelles Verhalten näher erläutert. Zunächst wird beschrieben, weshalb ein ausschließlich dichotomisch konzipiertes naturwissenschaftliches Modell von Gesundheit und Krankheit keine ausreichende Antwort für die subjektive Befindlichkeit der Menschen liefert. Die menschliche Gesundheit konstituiert sich nicht allein in scheinbar objektiven medizinischen Befunden, sondern ist auch davon abhängig, wie Gesundheit definiert wird. Ob und inwiefern es sich diesbezüglich um eine ‚kulturelle‘ Bedingtheit von Gesundheit handelt, stelle ich zur Debatte, weshalb ich in diesem Kontext auf die Medizinethnologie näher eingegangen wird. Daraufhin gehe auf die Medizinethnologie näher ein. Im weiterein wird das Länderportrait von Kenia beschrieben sowie die Einrichtung DfA, in der geforscht wurde. Im zweiten Teil des theoretischen Hintergrunds werden die Grundzüge der Gesundheitspsychologie vorgestellt, insbesondere das Gesundheitsverhalten und das Gesundheitsverständnis. Aaron Antonovsky verweist in seinem gesundheitstheoretischen Ansatz darauf, dass jeder Mensch über laienmedizinische Kompetenzen verfügt, die zur Erhaltung der eigenen Gesundheit beitragen (vgl. Antonovsky, 1997, S. 40ff.). Diese Feststellung ist für meine Fragestellung relevant, da es sich um einen Hinweis darauf handelt, dass alle Menschen in den verschiedensten Kulturen und mit unterschiedlichsten Ressourcen, prinzipiell die Option haben, selbstständig die eigene Gesundheit, und somit auch die Zahngesundheit zu erhalten. Im vierten Teil wird die Fragestellung sowie einen Einblick in die methodische Vorgehensweise für die Datengewinnung vorgestellt. Darin wird der Zugang zum Feld, die Erhebungsmethode, die Auswahl meiner InterviewpartnerInnen, die Entwicklung des Leitfadens und die Durchführung sowie die Auswertung der qualitativen Interviews sowie der teilnehmenden Beobachtung ausführlich erläutern. Der fünfte Teil der Arbeit ist den Ergebnissen und der Diskussion gewidmet. Hier werden die Ergebnisse nach drei Kategorien analysiert und diskutiert: 1. Gesundheitsverhalten, 2. Gesundheitsverständnis, 3. Quellen des medizinischen Wissens. Theoretische Gesundheitsverhaltensmodelle werden hier angewandt. In dem abschließenden Teil wird die vorliegende Arbeit kritisch betrachtet und reflektiert.

2. Kultur

In der allgemeinen Öffentlichkeit im deutschen Sprachraum wird der Begriff ‚Kultur‘ in erster Linie mit den „geistigen Errungenschaften einer Zeit oder eines Volkes“ (Kohl, 2012, S. 130) identifiziert, speziell mit künstlerischen Äußerungen wie Musik, Literatur und Kunst. Davon zu unterscheiden ist das Kulturverständnis der Ethnologie, das sich im Zuge der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit fremden Kulturen und den verschiedenartigen menschlichen Lebensformen entwickelt. Zwei wesentliche Merkmale der ethnologischen Auffassung von Kultur sind zum einen die Gegenüberstellung der kulturellen und biologischen Aspekte des menschlichen Daseins und zum anderen die Fragen nach dem Ursprung von Kultur. Die Kultur eines Individuums oder einer Gesellschaft besteht im allgemeinen ethnologischen Sinne aus deren Sitten und Gebräuchen, Wirtschaftsform und Religion, Wissen, Kunst, Medizin etc. Anders ausgedrückt umfasst der Begriff Kultur „alles Materielle und Nichtmaterielle, was im menschlichen Dasein nicht von Natur aus vorgegeben ist“ (Rudolph, 1992, S. 62, zit. n. Kohl, 2012, S. 132). Aus der ethnologischen Perspektive geht also der Kulturbegriff weit über den Bereich des Künstlerischen hinaus und schließt vermeintlich alltägliche oder selbstverständliche Dinge, wie Gesundheitsempfinden und Gesundheitsverhalten, mit ein. Der zweite wesentliche Punkt betrifft den Ursprung von Kultur und ihrer Aneignung durch den Menschen. „Kultur ist nicht etwas von Natur aus Gegebenes, das wie die biologischen Erbanlagen mit der Fortpflanzung von Individuum zu Individuum weitergegeben werden können; sie ist vielmehr etwas durch das Leben in Gesellschaft Erworbenes“ (Kohl, 2012, S. 130). Im Gegensatz dazu gibt es Ansätze, die das Verstehen der fremden Lebensweise in den Vordergrund stellen. Laut Clifford Geertz geht es „um das Deuten gesellschaftlicher Ausdrucksformen, die zunächst rätselhaft erscheinen“ (Geertz, 2015, S. 9). Kultur wird in diesem Zusammenhang als ein „historisch überliefertes System von Bedeutung [verstanden], mit dessen Hilfe die Menschen ihr Wissen von Leben und ihre Einstellung zum Leben mitteilen, erhalten und weiterentwickeln“ (Geertz, 2015, S. 46). Welsch hingegen prägt den Begriff der Transkulturalität, der auch dieser Arbeit zugrunde liegt. Er kritisiert sowohl die herkömmlichen Kulturbegriffe als auch den Herderschen Kulturbegriff aus dem 18. Jahrhundert, welcher mit einem Kugelmodel erklärt wird, nach dem verschiedene Kulturen in sich homogen und nach außen abgegrenzt sind. (vgl. Welsch, 1999, S. 46f.). Nach Herder können verschiedene Kulturen nicht wirklich miteinander kommunizieren, sondern nur aneinanderstoßen (vgl. ebd.). Welsch hingegen behauptet, Kulturen sind „längst nicht mehr die Form der Homogenität und Separiertheit, sondern sind weitgehend durch Mischungen und Durchdringungen gekennzeichnet (Welsch, 1999, S. 51). Welsch beschreibt Transkulturalität aus einer Makro- und einer Mikroebene. Aus der Makroebene gibt es eine starke Vernetzung zwischen Kulturen und einer Hybridisierung auf verschiedenen Ebenen innerhalb von Kulturen. Durch Vermischungen der Kulturen, gibt es keine klaren Trennlinien zwischen Eigenkultur und Fremdkultur. Auf der Mikroebene beinhaltet jedes Individuum dadurch, dass es durch viele verschiedene kulturelle Muster geprägt ist und verschiedene kulturelle Elemente in sich trägt, eine interne Transkulturalität (vgl. Welsch, 1999, S. 51f.). Gerade in einem Land wie Kenia, indem eine Vielzahl von verschiedenen Ethnien und somit auch Kulturen bestehen (vgl. Kapitel 2.2), ließ sich eine Verflechtung der unterschiedlichsten Kulturen feststellen. Nicht nur die Vermischung der unterschiedlichen Kulturen im selben Land war ersichtlich, sondern auch der Einfluss der westlichen Kultur war deutlich erkennbar, wie in der Ergebnisdarstellung weiter beschrieben wird.

2.1 Kulturelle Bedingtheit von Gesundheit

Um einen Zusammenhang zwischen Gesundheit und Kultur herstellen zu können, wird im Folgenden der Begriff ‚Gesundheit‘ näher erläutert. Gesundheit lässt sich aus vielen interdisziplinären Perspektiven betrachten. Eine allgemein gültige, anerkannte wissenschaftliche Definition von Gesundheit konnte nicht ausfindig gemacht werden (vgl. Blättner/Waller, 2018). Vielmehr scheint für die Definition der wissenschaftliche oder gesellschaftliche Kontext ausschlaggebend zu sein. Da die Definition von Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Anspruch auf kulturübergreifende Bedeutung hat, wird diese hier näher beschreiben. In der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 1948 heißt es: „Gesundheit ist der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen“ (Verfassung der Weltgesundheitsorganisation, 2014, S. 1). Somit lassen sich bestimmte Merkmale charakterisieren: Gesundheit wird als positiv definiert und nicht einfach als Abwesenheit von Krankheit. Gesundheit ist ein subjektives Empfinden, das kein von außen beobachtbares Phänomen darstellt. Obwohl dieser Gesundheitsbegriff vielfach diskutiert und auch kritisiert wurde (vgl. Blättner/Waller 2018), dient er hier doch als Grundlage weiterer Ausführungen, da er aus drei unterschiedlichen Ebenen besteht. Er schließt körperliche, mentale und soziale Aspekte der Gesundheit und des Wohlergehens mit ein und drückt somit Mehrdimensionalität aus und wird nicht nur als einfaches, körperliches Merkmal beschrieben. Gesundheit und Krankheit sind somit interpretierbare Zustände im menschlichen Leben, die nicht universal festzulegen sind, sondern individuell erlebt werden. Demnach kann abgeleitet werden, dass Gesundheit auch kulturell und gesellschaftlich bedingt ist. Wie diese kulturelle Bedingtheit verstanden werden kann, wird im Folgenden weiter dargestellt.

Kulturelle Rahmenbedingungen sind für die Gesundheit ein sehr bedeutsamer Faktor. Jede Kultur ist durch jeweils spezifische Lebensformen und Rahmenbedingungen charakterisiert, die die Einstellungen und Verhaltensweisen der Menschen prägen. Nach Antonovsky bestimmen diese kulturspezifischen Faktoren neben individuellen Merkmalen die Entwicklung des Kohärenzgefühls, das aus seiner Sicht das Gesundheitserleben der Person beeinflusst (vgl. Antonovsky, 1997, S. 36f.). Kultur spielt eine wichtige Rolle bei der konkreten Ausgestaltung der angemessenen Bewältigungsmodi und der Ressourcen der Person. Sie schafft einen Handlungs- und Erlebensrahmen, in dem die Art und Weise, wie Belastung gedeutet, mit welchen Mitteln diese zu bewältigen versucht wird und wie sehr sich die Person als AkteurIn in die Situation einbringt, vorgezeichnet ist (vgl. ebd.). Auch die internationale Konferenz zur Gesundheitsförderung in Ottawa 1986 nahm Bezug auf Kultur und Gesundheit, indem sie auf eine Zusammenfassung von Gesundheit und der alltäglichen Lebenswelt, nämlich der persönlichen und strukturellen Lebensbedingungen von Personen, verweist. „Gesundheit wird von den Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt: dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten, und lieben. Gesundheit entsteht dadurch, dass man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in die Lage versetzt ist, selber Entscheidungen zu fällen und eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben sowie dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die all Ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen.“ (WHO, 1986). Das Zitat macht deutlich, dass Gesundheit als ein Prozess zwar individuell, aber stets im sozialen und kulturellen Kontext verstanden wird. Um Menschen verstehen zu können, muss man sie aus dem Blickwinkel ihrer spezifischen kulturellen Rahmenbedingungen betrachten, die das engere, soziale Lebensfeld der Menschen strukturieren. Auch das medizinische Wissen entsteht nach Lux vor dem Hintergrund jeweiliger Kulturen. „Jede Kultur hat ein Ideensystem entwickelt, welches das Wissen dieser Kultur in ein logisches Miteinander bringt. Hier werden die materiellen Möglichkeiten, die Institutionen und die Vorstellungen über Heilinstanzen, Körper, Gesundheit und Krankheit miteinander verwoben“ (Lux, 2003, S. 167).

2.2 Länderportrait Kenia

Da die Forschung in Kenia stattfindet, soll zunächst ein Überblick über das Land, sowie die zahnmedizinische Situation in Kenia beschrieben werden. Anschließend wird die Einrichtung DfA kurz vorgestellt, um einen Rahmen für die vorliegende Arbeit zu schaffen.

Kenia ist ein Staat in Ostafrika, der im Norden an Somalia, Äthiopien und Südsudan, im Westen an Uganda und im Süden an Tansania grenzt. Die Einwohnerzahl lag 2018 durch Schätzungen vom United Nation Development Programm (UNDP) bei ungefähr 49 Mio. Menschen, wobei 40% der Einwohner unter 15 Jahre sind (vgl. UNDP, 2019). Insgesamt leben in Kenia mehr als 40 verschiedene Volksgruppen, die mehr als 50 verschiedene Sprachen und Dialekte sprechen. Die vier größten ethnischen Gruppen sind die Kikuyu (17%), die Luhya (14%), die Kalejin (13%) und die Luo (10%) (vgl. ebd). Die offiziellen Landessprachen sind Englisch und Kiswahili. Die Lebenserwartung der Frauen liegt bei 69,7 Jahre und bei Männern bei 64,9 Jahre. Im Human Development Index 2018 des UNDP wurde Kenia auf Rang 142 von 189 platziert und gilt damit immer noch als eines der 50 ärmsten Länder der Welt, allerdings über dem subsaharischen Durchschnitt (vgl. ebd). Kenia lebt vom Kaffee- und Tee-Export, von der Industrie wie Maschinen- und Fahrzeugbau, Textil und Bekleidung sowie vom Tourismus. Eine wichtige Rolle für die Kenianer spielen Spiritualität und Religionen. Jede Ethnie hat auch heutzutage noch ihre eigenen Traditionen (vgl. LIPortal, 2019). Das LIPortal spricht von einer ‚Hybridgesellschaft‘ und meint damit die Gleichzeitigkeit von Tradition und Anpassung an die Erfordernisse von heute (vgl. ebd.). Fast 80% der Kenianer sind Christen verschiedener Konfessionen. Etwa 11% bekennen sich zum Islam. Andere werden entweder der traditionellen afrikanischen Religion zugerechnet oder sind konfessionslos. Der religiöse Glaube schließt allerdings den traditionellen Glauben nicht aus. Viele Christen oder Muslime bewahren immer noch den Umgang mit dem traditionellen Glauben und der traditionellen Spiritualität (vgl. ebd.).

Die noch immer praktizierte und verbreitete Genitialverstümmelung von Frauen und Mädchen gehört zu den größten Herausforderungen in Kenia für die heutige Gesundheitspolitik und die Medizin. Vor allem in der Region an der Küste, bei den Massai und in der nördlichen Rift Valley Region sind Verstümmelungszeremonien ein gesellschaftliches sowie traditionelles Ereignis. Laut Schätzungen der UNICEF ist über ein Fünftel der Frauen und Mädchen zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten (vgl. UNICEF, 2019). Weitere medizinische Herausforderungen stellen die Infektionskrankheiten wie Malaria, Tuberkulose sowie HIV und AIDS dar. Gerade für die Kindersterblichkeit spielt Malaria eine große Rolle, da es bislang keinen allgemeinen Impfstoff für die vier Typen der in Kenia auftretenden Plasmodium-Parasiten gibt (vgl. LIPortal, 2019). Die Anzahl der HIV-Infizierten geht jährlich dank präventiver Kampagnen zurück. Trotzdem soll derzeit die Prävalenzrate immer noch bei 4,8 liegen, das sind ungefähr 1,5 Mio. infizierte KenianerInnen (vgl. ebd.). Große Teile der Bevölkerung – insbesondere arme Menschen und Menschen in den ländlichen Regionen – werden in Kenia nicht ausreichend und angemessen medizinisch versorgt. Dass die Gesundheitsversorgung hier große Defizite aufweist, zeigt auch die hohe Müttersterblichkeit, die im Jahr 2015 bei 510 pro 100.000 Lebendgeburten lag (Deutschland: 6 pro 100.000) (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, 2019). Zwar sind die Basisgesundheitsdienste in Kenia theoretisch kostenfrei. Trotzdem sind Krankheitskosten für den Großteil der Bevölkerung mit dem finanziellen Ruin verbunden, da nur 20% der KenianerInnen für einen Krankheitsfall versichert sind. Zusätzlich sind Gesundheitsdienste oft nur in den Ballungszentren wie Nairobi und Mombasa angesiedelt, während in ländlichen Gebieten die Basisversorgung häufig fehlt. Für die ungenügende Gesundheitsversorgung gibt es viele Gründe. Zum Beispiel der Mangel an Fachpersonal, fehlende oder nicht funktionierende Ausstattung in den Gesundheitseinrichtungen, unzureichende Versorgung mit Medikamenten und ein unorganisiertes Gesundheitssystem. Außerdem führen mangelhafte Ernährung und schmutziges Trinkwasser dazu, dass viele Kinder krank werden (vgl. LIPortal, 2019).

2.2.1 Zahnmedizinische Situation

Im Kenya National Oral Health Report wird eine Studie beschrieben, die 2015 den Mundgesundheitszustand der kenianischen Bevölkerung erhoben hat. Für diese Studie wurden Menschen aus verschiedenen soziodemographischen Schichten untersucht, die zum einen in städtische, vorstädtische und ländliche Gebieten sowie in Kinder (5 – 15 Jahre) und Erwachsene (16 – 60+) aufgeteilt wurden. Insgesamt wurden 3760 zu den Themen Munderkrankungen, Mundgesundheitsverhalten, Risikofaktoren sowie Auswirkungen von Mundgesundheit auf die Lebensqualität befragt. Aus der Studie ist ersichtlich, dass Kenia von einer flächendeckenden Zahnversorgung noch weit entfernt ist. Das Verhältnis praktizierender Zahnärzte zur Bevölkerung liegt in Kenia bei etwa 1 : 42.000, während von der WHO 1 : 7000 angestrebt wird (vgl. Kenya National Oral Health Report, 2015, Foreword). In den meisten Industrieländern besteht ein Verhältnis von 1 : 2000 (vgl. WHO), aus Berlin hört man sogar von bis zu 1 : 700. Hinzu kommt, dass 80% der kenianischen Zahnärzte in den zwei größten Städten Nairobi und Mombasa praktizieren (vgl. Kenya National Oral Health Report, 2015, Foreword). In ländlichen Gegenden hat die Bevölkerung daher wenig oder gar keinen Zugang zu zahnärztlicher Versorgung. Rund 70% der Erwachsenen geben an, sich regelmäßig die Zähne zu putzen (mind. einmal am Tag), 4,3% hingegen betreiben keine Mundhygiene (vgl. Kenya National Oral Health Report, 2015, S. 31). Dafür verwenden allerdings 38,2% nur einen hölzernen Kaustick (Mswaki) als kostenlose Alternative zur Zahnbürste. Auffällig ist, dass 54,7% der Menschen, die einen Mswaki zur Mundhygiene verwenden, im ländlichen Gebiet leben; lediglich 28% dieser Menschen wohnen in der Großstadt (vgl. ebd.). 27,7% der Erwachsenen haben noch nie einen Zahnarzt besucht, während 30,1% mindestens einmal im Jahr zur zahnärztlichen Behandlung eine Praxis aufsuchen. Auch hier ist die Diskrepanz zwischen Stadt und Land auffällig. Mehr Menschen, die in ländlichen Regionen wohnen, geben an, noch nie einen Zahnarzt aufgesucht zu haben, als Menschen, die in der Stadt oder in der Vorstadt leben (vgl. Kenya National Oral Health Report, 2015, S. 34). Die Studie zeigt auch, dass rund 83% der Menschen, die regelmäßig zur zahnärztlichen Behandlung gehen, nur einen Zahnarzt aufsuchen, weil sie Schmerzen oder Probleme mit den Zähnen oder mit dem Zahnfleisch haben. Lediglich 3,3% der Erwachsenen besuchen einen Zahnarzt zur Zahnvorsorgeuntersuchung. Bei 98,1% der untersuchten erwachsenen Personen wurde eine Gingivitis (Zahnfleischentzündung) diagnostiziert. Karies konnten bei 34,3% der Erwachsenen festgestellt werden. (vgl. Kenya National Oral Health Report, 2015, S. 45). Die Kariesprävalenz bei den Kindern liegt bei 23,9%. Auffällig dabei ist, dass die Anzahl der kariösen Zähne bei Kindern im Alter von 5 Jahren fünfmal höher ist, als bei Kindern im Alter von 15 Jahren. Hinsichtlich der Lokalisierung in Zusammenhang mit Kariesprävalenz gibt es keine größeren Abweichungen (vgl. Kenya National Oral Health Report, 2015, S. 25). Die wenigsten PatientInnen in Kenia haben eine Krankenversicherung, die zahnärztliche Leistungen abdeckt. Lediglich 12,8% der Bevölkerung werden Kosten der Zahnbehandlung durch eine Versicherung erstattet (vgl. Kenya National Oral Health Report, 2015, S. 40).

2.2.2 Dentists for Africa

Dentists for Africa (DfA) ist eine humanitäre Hilfsorganisation aus Deutschland, die 1999 gegründet wurde und seitdem die lokale Bevölkerung im Westen Kenias mit sozialen sowie zahnärztlichen Projekten stärkt und fördert. Die Organisation unterstützt eine Kooperation mit HIV-positiven Witwen, ein Patenschaftsprojekt für Waisenkinder sowie 13 Zahnstationen. Da, wie bereits beschrieben, ein Mangel an zahnärztlicher Versorgung in ländlichen Gebieten herrscht, hat DfA vorwiegend Zahnstationen im Westen Kenias eingerichtet. Im zahnmedizinischen Projekt liegt der Schwerpunkt auf nachhaltiger Unterstützung, Aus- und Weiterbildung von örtlichen MitarbeiterInnen und Studierenden, sowie Mobile- und Schulbesuche, um das Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung zu stärken (vgl. Dentists for Africa, 2019). Als Mobilebesuche werden zahnmedizinische Einsätze genannt, die in entlegenen Orten durchgeführt werden, um die Menschen zu erreichen, die sich die Anfahrtskosten nicht leisten können. Es wird mit einer mobilen Dentaleinheit ins Umland gefahren, um in Kirchen, Hospitälern oder auch unter freiem Himmel Zahnbehandlungen durchzuführen. Des Weiteren sorgt DfA für die Bereitstellung von zahnmedizinischen Behandlungsgeräten und die fachliche Ausbildung des Krankenhauspersonals.

2.3 Medizinethnologie

In der ganzen Welt treten verschiedene medizinische Systeme auf, die als Ayurveda, chinesische Medizin oder auch Yoga bekannt sind. Die Medizinethnologie hat die medizinischen Systeme zum Gegenstand, die Teil des kulturellen und sozialen Systems sind: Als Teil der Kultur verändert sich das medizinische System entsprechend der Bedürfnisse. Der medizinische Pluralismus beschreibt eine Situation, „in der unterschiedliche medizinische Systeme aufeinandertreffen, und der Gesunde wie Kranke dazu auffordert, bestimmte Haltungen einzunehmen“ (Greifeld, 2013, S. 14). Es gibt Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit, die einen direkten Bezug zu individuellen körperlichen Gründen nicht kennen und den Mangel an körperlichem oder spirituellem Gleichgewicht der Gruppe für das Kranksein ihrer Mitglieder verantwortlich machen (vgl. Greifeld, 2013, S. 16). Andere Kulturen können demnach das Körperbild anders denken und konzipieren, wie in der vorliegenden Forschungsarbeit aufgezeigt wird. Themen der Medizinethnologie sind damit alle unterschiedlichen medizinischen Traditionen weltweit, ihre materiellen Erscheinungsformen und ganz besonders auch ihr Umgang mit Wissen, Denken und Theoriebildung. Die Medizinethnologie befasst sich aber nicht nur nach außen, in das vermeintlich Fremde, sondern findet Themen und Diskurse auch bei uns. Durch die Globalisierung lässt sich die Nutzung unterschiedlicher medizinischer Systeme in allen Kulturen nachweisen. Somit können heutzutage von einer Person unterschiedliche medizinische Systeme gleichzeitig genutzt werden. Auch mit dem interdisziplinären Thema ‚Medizin und Migration‘ befasst sich die Medizinethnologie (vgl. ebd.). Im weiteren Verlauf wird allerdings nur auf das medizinische System in Afrika näher eingegangen.

Oftmals werden die medizinischen Systeme in Afrika, aber auch in Asien und Südamerika, als ‚traditionelle‘ Medizin bezeichnet und sollen das Gegenstück zur Schulmedizin darstellen. Sie erweisen sich nicht in dem Sinne traditionell oder traditionsgebunden, weil keine Neuerungen darin aufgenommen werden oder weil sie unwissenschaftlich sind, sondern vielmehr viel spezifischer und mit der Geschichte und der Kultur einer Gruppe verbunden (vgl. Greifeld, 2013, S. 16). Der Begriff ‚Biomedizin‘ hingegen bezeichnet all das, was die Medizin ausmacht, die an den Universitäten der Welt gelehrt wird. Es wurde allgemein anerkannt, dass es ‚die‘ traditionelle Medizin nicht gibt, sondern dass sie aus unterschiedlichen Formungen und Philosophien besteht und auch nützlich erscheinende Praktiken aus der Biomedizin übernimmt (vgl. ebd.). Wenn im Folgenden also von traditioneller Medizin gesprochen wird, werden damit d ie medizinischen Systeme in Afrika oder Kenia verstanden, die abweichend von der Biomedizin praktiziert werden. Durch die zahlreichen Ethnien in Kenia bestehen die unterschiedlichsten medizinischen Systeme nur innerhalb eines Landes. Damit wird noch einmal verdeutlicht, dass es nicht nur diese eine traditionelle kenianische Medizin gibt, sondern sehr viele und sehr unterschiedliche, die sich gegenseitig beeinflussen.

Im Folgenden werden die medizinischen Systeme in Afrika näher beschrieben, wobei sich der thematische Schwerpunkt auf der traditionellen Heilmedizin in Ostafrika bezieht. Dadurch, dass die Menschen naturbedingt durch Gebirge, Wüste und Urwälder getrennt wurden und dass Afrika nicht von einer Schrifttradition oder einem großen zentralistischen Reich geprägt wurde, hat sich keine einheitliche Medizin gebildet (vgl. Buchhausen, 2011, S. 18). Wesentlich für traditionelle AfrikanerInnen ist die Verbundenheit zur Natur. Die Organisation des alltäglichen Lebens ist dementsprechend auf die Gegebenheiten der Natur, wie beispielsweise die Jahreszeiten und deren jeweiligen spezifischen Merkmale, abgestimmt. Nicht nur die Natur, auf heimische Kräuter basierende Therapien, sondern auch Zauber und Magie spielen heute noch wichtige Rollen in verschiedenen medizinischen Systemen in Afrika und in Kenia. Traditionelle afrikanische Medizin verbindet einheimisches Kräuterwissen mit afrikanischer Spiritualität. Sie wird von GeburtshelferInnen, WahrsagerInnen, GeistesheilerInnen und Kräuterkundigen angewandt. In vielen Gesellschaften in Afrika ist der Heilberuf erblich. Durch Visionen, Träume und auffälliges Verhalten werden schon Kinder als zukünftige HeilerInnen ernannt. Die eigentliche Berufung erfolgt fast immer nach einer Krankheit, die die / der zukünftige HeilerIn zu überwältigen hat (vgl. Buchhaus, 2011, S. 21). Die Heilmedizin in Afrika hatte schon vor der Kolonialzeit Tradition. Die Möglichkeit einer medizinischen Versorgung durch Biomedizin war früher und ist heute immer noch für viele Menschen aus finanziellen Gründen und aufgrund schlechter Verfügbarkeit in den ländlichen Regionen unerreichbar. Traditionelle Medizin stellt somit oft die einzige Ressource dar. Auch HeilerInnen verlangen Bezahlung. Oft ist diese aber preisgünstiger im Vergleich zu den Krankenhauskosten. Außerdem sind die Kosten der Behandlung vom Erfolg der Therapie abhängig (vgl. Kutalek, 2013, S. 114). Aufgrund der hohen Kindersterblichkeitsrate, Infektionskrankheiten wie HIV / AIDS und der unterentwickelten Gesundheitsversorgung während und nach der Kolonialzeit fördert die WHO im Jahr 1977 die traditionelle Medizin in Entwicklungsländer, um die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung zu verbessern. „[Traditional Medicine] is the sum total of the knowledge, skill, and practices based on the theories, beliefs, and experiences indigenous to different cultures, whether explicable or not, used in the maintenance of health as well as in the prevention, diagnosis, improvement or treatment of physical and mental illness” (WHO, 2013, S. 15). Die WHO definiert traditionelle Medizin als Wissen, Fertigkeiten und Methoden, basierend auf Vorstellungen, Glaubensrichtungen und Erfahrungen verschiedener Kulturen, die zur Prävention und Behandlung verschiedener Erkrankungen eingesetzt werden. Trotz der Unterstützung durch die WHO werden auch einige Probleme mit der traditionellen Medizin beschrieben. Hierzu gehören zum Beilspiel:

- Die traditionelle Medizin basiert nicht auf wissenschaftlichen Evidenzen.
- Es gibt keine dokumentierten PatientInnenakten.
- Es besteht keine schulische Ausbildung für HeilerInnen.
- Die praktische Anwendung ist nicht definiert, sie beruht auf Mystik, übernatürliche kräfte wie zum Beispiel Hexerei.
- Nebenwirkungen einer Kombination verschiedener Kräuter sind unbekannt.
- Methoden, Techniken und Kräutermischungen werden nicht dokumentiert, sondern geheim gehalten. (vgl. WHO, 2013, S. 40-42)

Auf der 28. Weltgesundheitsversammlung 1975 wurde das ‚Primary Health Care‘ – Konzept zur offiziellen WHO-Politik erhoben und mit der ‚Deklination von Alma Ata‘ beschlossen die Teilnehmerstaaten der International Conference of Primary Health Care im Jahr 1978 ein Aktionsprogramm, dass durch 22 Empfehlungen spezifiziert wurde (vgl. Erklärung von Alma Ata, 1975). Im neusten Konzept „WHO Traditional Medicine Strategie 2014 – 2023“ wird beschrieben, wie mit Hilfe der Traditionellen Medizin in Vereinbarung mit der Biomedizin für eine bessere Gesundheitsversorgung gesorgt werden soll (vgl. WHO, 2013).

In den unterschiedlichsten medizinischen Systemen wird Krankheit verschieden erklärt, interpretiert und erfahren. Selten wird Krankheit nur als pathologisches Geschehen gedeutet. Oft findet man in der ethnographischen bzw. der ethnomedizinischen Literatur eine Kategorisierung in sogenannte ‚natürliche‘ und ‚übernatürliche‘ Krankheitsursachen. Natürliche Ursachen werden als ursächliches Geschehen gedeutet, also die keine spirituelle oder soziale Ursache haben. Übernatürliche Ursachen hingegen gelten als soziale Ursachen, die von Menschen oder missgünstigen Wesenheiten beeinflusst sind. Hierunter zählen Hexen, Geister oder auch Ahnen. Meist sind beide Aspekte für eine Krankheit verantwortlich (vgl. Kutalek, 2013, S. 113). Krankheitsvorstellungen sind also in der traditionellen afrikanischen Medizin stark mit sozialen Erklärungsmustern verbunden.

3. Gesundheitspsychologie

Die Gesundheitspsychologie beschäftigt sich mit psychologischen Prozessen, die bei der Erhaltung und Förderung von Gesundheit, Vermeidung von Krankheit und in der Gesundheitsversorgung und Rehabilitation eine Rolle spielen. Es wird der Frage nachgegangen, wie das Verhalten, die Kognition, die Emotion, die Motivation und die Persönlichkeit die Gesundheit einer Person oder bestimmten Gruppen beeinflusst (Knoll et al., 2013, S. 17) und ist somit ein relevanter Bestandteil, um die Forschungsfrage dieser Arbeit zu beantworten. Zu den zentralen Forschungsgegenständen zählen psychische und soziale Ursachen von organischen Krankheiten, psychische und soziale Bedingungen von Gesundheit, psychische und soziale Einflüsse auf den Krankheitsverlauf und psychische und soziale Prozesse, die im Rahmen der professionellen Gesundheitsversorgung und bei der Behandlung von Krankheiten auftreten. Dabei werden sowohl individuelle Faktoren wie Persönlichkeit als auch soziale Faktoren wie soziale Netzwerke, Verhaltensnormen und Zugang zu medizinischen Versorgungssystemen berücksichtig (vgl. ebd.). Die Gesundheitspsychologie versucht Gesundheit und Krankheit mit dem biopsychosozialen Modell zu erklären, welches im 20. Jahrhundert das biomedizinische Modell abgelöst hat. Während das biomedizinische Modell lediglich Krankheit und Gesundheit als ausschließlich naturwissenschaftlich erfassbare Zustände eines Organismus ansieht, betrachtet das biopsychosoziale Modell auch die sozialen und psychischen Aspekte in Zusammenhang mit Gesundheit und Krankheit (vgl. Knoll et al., 2013, S. 18f.). Das biopsychosoziale Modell definiert Gesundheit als „ein positiver funktioneller Gesamtzustand im Sinne eines dynamischen biopsychologischen Gleichgewichtszustandes, der erhalten bzw. immer wieder hergestellt werden muss“ (Knoll et al., 2013, S. 21). Krankheit wird durch ein Wechselspiel biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren verursacht und wird nicht von Gesundheit getrennt gesehen, sondern eher als ein Kontinuum verstanden (vgl. ebd.). Im weiteren Verlauf beschäftigt sich dieses Kapitel mit den theoretischen Grundlagen von gesundheitsrelevantem Verhalten und Gesundheitsverständnis, um zu untersuchen, wie durch kulturelles Verhalten die Gesundheit beeinflusst wird.

3.1 Gesundheitsverhalten und -verständnis

Die Wahrnehmung der eigenen Gesundheitssituation und das selbstverantwortliche agieren im Sinne des Erhalts oder der Wiederherstellung des Gesundheitszustandes, wird als wichtiges individuelles und gesellschaftliches Entwicklungsziel angesehen (vgl. WHO, 1987). Gesundheit stellt somit einen positiven Idealzustand dar, der vielfältige individuelle Erlebens- und Verhaltensfacetten und soziale Aspekte umfasst. Die psychologische Perspektive auf Gesundheit fokussiert das individuelle Verständnis von Gesundheit, die subjektive Wahrnehmung und Verarbeitung gesundheitsbezogene Informationen sowie gesundheitsbezogene Einstellungen und Überzeugungen. Diese beinhalten auch die Verarbeitung und Wahrnehmung körperinterner Signale und den Umgang mit primär körperlichen Aspekten des Gesundheitszustandes. Gesundheitsbezogenes Verhalten ist somit ein bedeutsamer Faktor. Es schließt alle Handlungen ein, durch die der eigene Gesundheitszustand direkt oder indirekt beeinflusst wird: Zum Beispiel das regelmäßige Zähneputzen zum Erhalt der Mundgesundheit, die Gestaltung einer möglichst vielseitigen und nährstoffreichen Ernährung, der Arztbesuch bei Erkrankungen sowie das Einhalten ärztlich verordneter Behandlungsvorschriften. Gesundheitsverhalten wird als „Verhaltensmuster, Handlungen und Gewohnheiten, die im Zusammenhang mit Gesundheitsverbesserung stehen“ (Ziegelmann, 2002, S. 152) beschrieben. Potenziell gefährdete Verhalten oder sogar nachgewiesenermaßen schädliche Verhaltensweisen, können dagegen als Risikoverhalten bezeichnet werden (vgl. Knoll et al., 2013, S. 26). Gesundheitsverhalten im Sinne des Tuns oder Unterlassens ist nicht immer gezielt oder bewusst. So ist z. B. die Konsultation eines Arztes durchaus als bewusstes förderliches Gesundheitsverhalten anzusehen, die konkrete Behandlung durch die/den MedizinerIn zählt jedoch nicht dazu. Des Weiteren kann das Gesundheitsverhalten auch in gesundheitsförderliches und riskantes Verhalten eingeteilt werden. Verhalten, das sich auf die Gesundheit bezieht, kann sowohl positive als auch negative Folgen haben (vgl. ebd.). So hat das Zähneputzen einen positiven gesundheitsförderlichen Effekt, weil durch die Entfernung des Plaques keine Karies entstehen kann. Andererseits können durch falsche Anwendung (z. B. durch zu viel Druck oder durch eine ungeeignete Putztechnik) Verletzungen zugeführt werden und die gesundheitsförderliche Wirkung ins Gegenteil verkehren. In der Gesundheitspsychologie gibt es zahlreiche Theorien zum Gesundheitsverhalten (vgl. ebd.), auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. Bestimmte Theorien werden zur Diskussion dieser Forschung in der Ergebnisdarstellung näher erläutert.

3.2 Bedingungsfaktoren des Gesundheitsverhaltens aus gesundheitssoziologischer Perspektive

Die Theorien und Konzepte der Gesundheitspsychologie versuchen aufzuzeigen, wie gesundheitsrelevantes Verhalten erklärt werden kann. Bei der medizinsoziologischen Sichtweise hingegen stehen die sozialen und kulturellen Faktoren im Vordergrund, die das Gesundheitsverhalten beeinflussen. Die Medizin- und Gesundheitssoziologie beschreibt, wie stark der Einfluss der Gesundheitsverhältnisse - der gesundheitlich relevanten gesellschaftlichen, ökonomischen, kulturellen und institutionellen Lebensbedingungen - auf die Gesundheit und das Gesundheitsverhalten der Bevölkerung ist und auf welche Weise sich Gesundheitsstörungen und Krankheiten entwickeln können. Nach diesem Ansatz werden Bedingungsfaktoren für den Gesundheits- und Krankheitszustand einer Bevölkerung in drei Gruppen unterteilt:

- Personale Faktoren: Hierzu zählen die genetische Disposition, körperlich- psychische Konstitution und die ethische Zugehörigkeit.
- Verhaltensfaktoren : Hierzu zählen Essgewohnheiten, Hygieneverhalten, körperliche Aktivität und psychische Spannungsregulation.
- Verhältnisfaktoren: Hierzu gehören sozioökonomischer Status, Bildungsangebote und wirtschaftliche Verhältnisse sowie Komponenten der Gesundheits- und Krankheitsversorgung (vgl. Hurrelmann/Richter, 2013, S. 23).

[...]

Ende der Leseprobe aus 60 Seiten

Details

Titel
Zahnmedizin in Kenia. Zum Gesundheitsverhalten und -verständnis in der Fremde
Hochschule
Katholische Hochschule Freiburg, ehem. Katholische Fachhochschule Freiburg im Breisgau
Note
1,6
Autor
Jahr
2019
Seiten
60
Katalognummer
V507905
ISBN (eBook)
9783346065537
ISBN (Buch)
9783346065544
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Interkulturalität, Gesundheitspsychologie, Gesundheitsverständnis, Gesundheitsverhalten, Kenia, qualitative Forschung
Arbeit zitieren
Julia Jindra (Autor:in), 2019, Zahnmedizin in Kenia. Zum Gesundheitsverhalten und -verständnis in der Fremde, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/507905

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Zahnmedizin in Kenia. Zum Gesundheitsverhalten und -verständnis in der Fremde



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden