Klang und seine Assoziationen in den Pageants des frühneuzeitlichen London


Seminararbeit, 2018

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. „Hear the city as a whole” - Pageantry in Shakespeares London
2.1 Allgemeines zur Begrifflichkeit
2.2 Der Stellenwert von Pageantry
2.3 Pageants als akustische Umgebung

3. „Vastly fond of great Noises“ - Klang, Lärm und Hören im Spiegel zeitgenössischer Disposition
3.1 Die Londoner Soundscape im Alltag
3.2 Das Londoner Verhältnis zu Klang
3.3 Akustische Assoziationen und ein Beispiel ihrer Instrumentalisierung

4. „But the Noise of the Show overshadowed him” - Die Instrumentalisierung von Klang und Stille in Londoner Pageants
4.1 Die Bedeutung von Stille in Pageantry
4.2 Die Instrumentalisierung von Klang im Kontext der Pageants

5. Fazit

The rest is silence1 - Klang2 und Stille in den Pageants Shakespearean Londons3

Wurden akustische Reize und ihre Assoziationen in Pageants bewusst zur Beeinflussung der Zuschauenden verwendet?

1. Einleitung

Sinnesgeschichte spielt insbesondere in der historischen Erforschung von Städten seit längerer Zeit eine zunehmende Rolle. Spätestens mit den Veröffentlichungen zu Gerüchen und Geräuschen des Annales Historikers Alain Corbin, ist der Eindruck in das kollektive Bewusstsein der Forschenden gerückt, dass sensorische Erfahrungen nicht nur kaum vom Wesen des Menschen zu trennen sind, sondern, dass sie gerade wegen dieser tiefgreifenden Verknüpfung auch einen nicht von der Hand zu weisenden, historischen Wert besitzen. Wer ein historisches Phänomen, eine Gesellschaft, einen Ort zu erfassen und zu analysieren sucht, tue gut daran so nah wie möglich an den Erfahrungshorizont der Beteiligten heranzutreten. Dieser Horizont ist jedoch zu keiner Zeit ein rein visueller. Wahrnehmen und Erleben funktioniert beinahe ausnahmslos als synästhetisches Informationskonglomerat, dessen Rekonstruktion dem Historiker einen einzigartigen Zugang zur Vergangenheit zu bieten vermag. Dieser Zugang allerdings wird dadurch erschwert, dass andere Sinnesreize, anders als eindimensional visuelle Information, nicht ohne Weiteres schriftlich zu erfassen sind. Zwar ist es durchaus möglich und üblich bestimmte Aspekte, beispielsweise aurikularer Phänomene, wie den Wortlaut eines Gespräches oder einer Rede, oder auch die Lautstärke von Kanonendonner wiederzugeben oder zu beschreiben, doch geht dabei stets eine Fülle an Informationen verloren. Nicht nur da es schlicht unmöglich ist eine Geräuschkulisse abschließend, bis auf die leiseste Stimme, bis auf den entferntesten Vogelsang zu beschreiben, sondern auch weil das Medium dem Autor die materielle Deutungshoheit darreicht und dieser wohl von der Möglichkeit Gebrauch machen wird, den Fokus seiner Arbeit durch Auslassungen und Betonungen hervorzuheben. Wie soll man sich also als Historiker, den Klängen Shakespearean Londons annähern? Und was wäre, abgesehen von einer bereits erwähnten, höheren Immersion eigentlich der Mehrwert?

Bruce R. Smith plädiert in seinem Buch „ The Acoustic World of Early Modern England“ für ein „phantasievolles zwischen den Zeilen lesen“4 als Mittel der Wahl, wenn es darum geht vergangene Klangwelten neu zu entdecken. Gewissermaßen eine flächendeckende, kreative Rekonstruktion. Wie viel Kreativität und Phantasie sich allerding mit wissenschaftlichem Anspruch vereinbaren lässt, erscheint fragwürdig. Überzeugender scheint der Ansatz den Wes Folkerth in “The Sound of Shakespeare“ formuliert: „ to persue this type of understanding not by cataloguing the sounds that occur in the various acoustic environments (...), but by triying to identify what these sounds would have meant, and how their meanings would have been received by the people who heard and understood them in specific contexts, with early modern ears.“5. Weniger also ein phantasievolles Lückenfüllen, als eine nah an der Quellenlage angelegte Analyse des zeitgenössischen Kommunikationsmodells. Mit Mut zur deskriptiven Lücke zwar, doch vermutlich mit höherem Gewinn an verwertbarer Erkenntnis.

Zur Frage des Mehrwertes lassen sich zahllose Ansätze finden. Als besonders vielversprechend erscheint zunächst die Möglichkeit die vielgeforderte „Andersartigkeit“ der Frühen Neuzeit als Epoche weiter auszudifferenzieren: „ The multiple cultures of early modern England may have shared with us the biological materiality of hearing, but their protocols of listening could be remarkably different from ours“6 .

Diese Protokolle und ihre interpretatorischen Konsequenzen zu verstehen und anzuwenden birgt das Potenzial neues Licht auf eine Vielzahl historischer Phänomene zu werfen.

Auch können Klänge zu gemeinschaftsbildenden Faktoren werden, oder Dissonanzen begründen. Man denke beispielhaft an heutige Fangesänge bestimmter Sportmannschaften, die in Sekundenschnelle Zugehörigkeit oder Feindseligkeit beim jeweiligen Rezipienten erzeugen können. Teilweise, ohne dass auch nur ein bisschen Inhalt über Text vermittelt worden wäre.

So zeigt sich: bestimmte Klänge sind stets mit einem gewissen Kontext, und oft mit einer gewissen Absicht verknüpft.

„The inseperabilty of every sound from its context makes it a valuable source of useable information about the current state of the environment (...) sounds not only reflect its complete social and geographical context, but also reinforce community identity “7 .

Dieser Gedanke ist besonders dort interessant wo verschiedenste Interessengruppen auf engem Raum zusammentreffen. Analysiert man die Wechselbeziehung der von verschiedenen Menschengruppen erzeugten Klänge, in Bezug auf die Fragen, wer erzeugt welchen Klang, mit welcher Absicht, und wer reagiert wie auf die Klänge anderer, könnte dabei ein Blick auf die Akteure entstehen, der über ihre weniger vordergründigen Motive Aufschluss geben kann. Dies am Beispiel von Pageants im Shakespearean London aufzuzeigen, ist Anliegen dieser Arbeit.

2. „Hear the City as a whole. “ - Pageantry in Shakespeares London

2.1 Allgemeines zur Begrifflichkeit

8 Betrachten wir zunächst den Rahmen der Analyse. Pageants waren groß angelegte, spektakuläre Umzüge, die durch ausladendes Zeremoniell und verschiedene Shows begleitet im öffentlichen Raum veranstaltet wurden. Sie waren anders als beispielsweise Court Masques öffentlich zugänglich und wurden gewöhnlicherweise als Ausdruck nationalen, regionalen oder religiösen Gemeinschaftszweckes oder gemeinsamer Identität genutzt. Insbesondere Krönungen, königliche Hochzeiten oder Staatsbesuche waren bereits seit der Antike Anlass für Pageantry. Den Höhepunkt ihrer Popularität erreichten diese Züge im Mittelalter und der Frühen Neuzeit. Die frühneuzeitliche Londoner Form dieser Unterhaltung beinhaltete sowohl Prozessionen, als auch stationär inszenierte Stücke. Letztere meistens unter Verwendung allegorischer Figuren, die ihre Reden vor einer Kulisse spektakulärer, mechanischer Effekte an die Zuhörer richteten.9

2.2 Der Stellenwert von Pageantry

Wie bedeutsam Pageants auf dem Höhepunkt ihrer Entfaltung waren fasst R. Malcolm Smuts in seinem Vorwort zu „ The Whole Royal And Magnificent Entertainment “, so zusammen: „Modern scholarship has persistently associated the opulent culture of the Stuart court with indoor theatricals and collections of paintings. In reality however, great outdoor pageants like James I coronation procession consumed far more money and reached far more people. “10 .

Der Stellenwert von Pageants bei den Zeitgenossen, lässt sich auch anhand einer Anekdote erahnen, die im Nachgang dieser Krönungsprozession kursierte: „One observer reported that some knights and noblemen had spent 4000 or 5000 each on suits for James coronation- entry , so that a relatively poor lord might endanger his estate by striving to keep up“ 11 . Pageants waren gesellschaftliche, kulturelle und soziale Großereignisse par ecxellence, für alle vom Stadtbürger bis hin zum Landadel.

2.3 Pageants als akustische Umgebung

Auch bemessen an der sensorischen Erfahrung, konnten wohl nur wenige Phänomene der Frühen Neuzeit mit Londons Pageants mithalten. Royal Entries oder Lord Mayors Shows waren „Just about the loudest things you could hear in the sixteenth and seventeenth century “12 .

Der Venezianische Botschafter Orazio Busino, beschreibt seine Eindrücke, die er bei einer Lords Mayors Show im Jahre 1617 sammelte wie folgt: „The Lord Mayor made his progress with the greatest possible pomp he could devise, always alluding to his line of trade with huge expenditure. (...) Accompanied by thundering canon and fireworks, a very numerous and well- appointed group of musicians sang and played of fifes, drums and instruments (...) to the constant peal of firing ordnance “13.

Die von Busino beschriebene stetige Anspielung auf den Berufsstand des neuen Lord Mayor zeigen, dass der Pomp mit dem man sich umgab wohl durchdacht war. Die Inszenierung mit Musik, Feuerwerk und Kanonenschüssen, sind keineswegs Selbstzweck oder reines Entertainment, sondern gewissermaßen Instrumente eines Marketingkonzeptes. Durch ihre sorgfältig inszenierte Zusammenstellung soll ein bestimmtes Bild vermittelt, eine wohl durchdachte Message überbracht werden. Pageants scheinen eine willkommene Möglichkeit der Kommunikation mit-, und Einflussnahme auf die breite Masse gewesen zu sein, die über reine Selbstdarstellung oder Repräsentanz der Stadt hinausgeht. Eine Gelegenheit, die verschiedenen Communities der Stadt, konzentriert anzusprechen, und ihren Lebensraum gewissermaßen zu orchestrieren; „ on ceremonial occasions there were attempts on a larger scale to hear the city whole. The installation of a new Lord Mayor, for example, gave (...) a chance to hear the citys ordinary chaos of sounds brought into consonance”14 . Betrachten wir nun, wie dieses chaos of sounds zu verstehen ist, und wie seine Bewohner dazu standen.

3. „Vastly fond of great Noises“ - Klang, Lärm und Hören im Spiegel zeitgenössischer Disposition

3.1 Die Londoner Soundscape im Alltag

15 Das Spektrum wahrnehmbarer Klänge in der Großstadt hat sich mit den Jahrhunderten massiv gewandelt. Wir sind heute mit sehr viel lauteren Geräuschen konfrontiert als die Zeitgenossen Shakespeares. Das lauteste was einem Zuhörer des 16. oder 17. Jahrhunderts begegnete, waren nach Aussage frühneuzeitlicher Physiologen Donner, Kannonenfeuer und Kirchenglocken. Phänomene, welche allesamt in Dezibel-Intensitäten rangieren, die heutzutage als beinahe alltäglich eingestuft werden.16 Durch die Abwesenheit allzu lauter, konkurrierender Klänge, war die Soundscape17 . Shakespearean Londons vermutlich sehr viel „menschengemachter“ als dies in heutigen großen Städten der Fall ist. Die Abwesenheit von Verbrennungsmotoren oder elektrischem Summen, führte wohl dazu, dass Gespräche, Gesang und Musik weiter getragen und deutlicher vernommen wurden, als der Stadtbewohner des 21.Jahrhunderts es gewohnt ist. Daraus lässt sich schließen, dass man sich geschäftige Teile Londons als mehr oder weniger chaotisches Stimmengewirr vorstellen kann, ein Umfeld, in dem natürlich erzeugte Klänge nicht von einer allgegenwärtigen Kulisse verschluckt wurden, sondern ihre Bedeutung über den unmittelbaren Austausch hinaus behielten und transportierten. Dieser Effekt lässt sich anhand von Marktschreiern gut nachvollziehen, die sich den weiten Radius der Wahrnehmbarkeit ihrer Stimmen zunutze machten, und deren Rufe oft viele Straßen weit gehört werden konnten18. Das Anpreisen ihrer Waren wurde als so untrennbar mit der Londoner Klangwelt empfunden, dass einige ihrer typischen Slogans in zeitgenössische musikalische Kompositionen eingingen.19 Ein stark akteurszentriertes Klangchaos also, welches auch seine Kritiker fand. So schreibt beispielsweise Thomas Dekker : “ in the open streets is such walking such running (...) such criyng out for drink such buying up of meate and such calling upon shottes, that at every such time, i verily believe I dwell in a towne of war.“20 und verstärkt damit den Eindruck einer überwältigenden, chaotischen, teilweise unzusammenhängenden Soundscape, die von jedem anders interpretiert wurde.

[...]


1 Shakespeare, WIlliam. Hamlet. 5. Aufzug, 2. Szene.

2 „Klang“ und „Geräusch“ werden in dieser Arbeit als Synonyme verwendet. Gemeint sind sämtliche organisch wahrnehmbaren Hörempfindungen.

3 Shakespearean dient in dieser Arbeit als zeitliche Eingrenzung der Untersuchung, und meint die Jahre 1564­1616.

4 Smith, Bruce. The Acoustic World of Early Modern England. Attending to the O-Factor. Chicago 1999. S.17.

5 Folkerth, Wes. The Sound of Shakespeare. New York 2002. S.15.

6 Smith. Acoustic World. S.8.

7 Truax, Barry. Acoustic Communication. London 1984. S.10.

8 Smith. Acoustic World. S.70.

9 Pallardy, Richard. Pageant. Encyclopaedia Brittanica Online. https://www.britannica.com/art/pageant.

10 Smuts, Malcolm. The Whole Royal And Magnificent Entertainment. In: Malcolm Smuts (Hg.) Thomas Middleton. The Collected Works. Oxford 2007, S.219.

11 Smuts. Entertainment.

12 Trudell, Scott. The Sound of Pageantry auf: https://mapoflondon.uvic.ca/SOUN1.html.

13 Busino. Orazio. Orazio Businos Eyewitness Account of the Triumphs of Honour and Industry. In: Thomas Middleton. The Collected Works. Gary Taylor, John Lavagnino (Hg.). S.1265-1266.

14 Smith. Acoustic World. S.70.

15 Hentzner, Paul. Travels in England during the Reign of Queen Elizabeth. Richard Bentley, Henry Morley (Hg.). London 1901.

16 Smith. Acoustic World. S49.

17 Soundscape im Sinne Barry Truax: die akustische Umgebung unter Berücksichtigung der individuellen und gesellschaftlichen Interpretation durch Hören.

18 Smith. Acoustic World, S.64.

19 z.B. Richard Deering 1599, Thomas Ravenscroft 1611, Orlando Gibbons 1614.

20 Dekker, Thomas. The Non-Dramatic Works. Alexander B. Grosart (Hg.). New York 1963, Bd.4, S.25.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Klang und seine Assoziationen in den Pageants des frühneuzeitlichen London
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
15
Katalognummer
V507705
ISBN (eBook)
9783346086709
ISBN (Buch)
9783346086716
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Frühe Neuzeit, England, London, Shakespeare, Pageants, Klang, Sound, Soundstudies, James I., Theater
Arbeit zitieren
Louis Aeneas Kretschmer (Autor:in), 2018, Klang und seine Assoziationen in den Pageants des frühneuzeitlichen London, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/507705

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