Das Scheitern des Parlamentarismus der Ersten Republik in Österreich

Der Konflikt zwischen dem sozialdemokratischen und dem christlich-konservativen Lager


Hausarbeit, 2018

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Entwicklung des Parlamentarismus in Österreich –Kräfteverhältnisse und Krise
2.1 Demokratiedefizite in Österreich vor 1918 und der Beginn der Lagerbindung
2.2 Staatsgründung und Verfassungsentwicklung des B-VG
2.3 Die Kräfteverhältnisse zwischen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und der Christlichsozialen Partei und die negativen Auswirkungen auf den Parlamentarismus
2.3.1 Die SdAP und das sozialistische Demokratieverständnis
2.3.2 Die CSP und das christlich-konservative Demokratieverständnis
2.3.3 Die Zeit von 1929 bis 1933 – Die Rolle der Wirtschaftskrise für das Scheitern des Parlamentarismus

3 Zusammenfassung

4 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Der Diskurs über die liberale repräsentative Demokratie als optimale Staatsform schien sich in den letzten Jahrzehnten durchgesetzt haben, doch in den letzten Jahren werden immer wieder anti-demokratische Tendenzen sichtbar, auch in Europa. 2018 ist auch das Jahr, in dem Österreich als Republik sein 100-jähriges Bestehen feiert. In diesem Jahr wird in Österreich damit u.a. an die Staatsgründung 1918 erinnert, die auch den Beginn des Parlamentarismus in seiner Reinform markiert. Um heutige Demokratiekrisen und -defizite besser analysieren zu können, ist es von großer Relevanz für die Politikwissenschaften die Herausforderungen für den Parlamentarismus der Ersten Republik herauszuarbeiten.

Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, die dominierenden Kräfteverhältnisse und Konflikte in der Ersten Republik darzustellen, die u.a. 1933 zum Scheitern des Parlamentarismus führten. Dabei stehen die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SdAP) und die Christlichsoziale Partei (CSP) und ihre Demokratiebegriffe im Vordergrund dieser Arbeit. Die Leitfrage dieser Arbeit lautet: Welche Dynamiken herrschten zwischen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und der Christlichsozialen Partei in der Ersten Republik in Österreich und welche Rolle spielten diese in der Krise des Parlamentarismus 1933/34? Es wird in der Arbeit auf die verschiedenen Außeneinflüsse hingewiesen, der Rahmen der Arbeit lässt aber keine ausführliche Beschreibung zu.

Als Methode dieser Seminararbeit dient die Literaturrecherche. Es gibt bereits seit den 1960er Jahren viele Publikationen zu dem Thema „Parlamentarismus in der Ersten Republik in Österreich“. Der Sammelband „Handbuch des Politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918-1933“ von Emmerich Tálos, Herbert Dachs, Ernst Hanisch und Anton Staudinger bietet zudem einen politikwissenschaftlichen Überblick über die Erste Republik. Besonders intensiv befasst sich auch Anton Pelinka mit dieser Thematik. Daher waren u.a. die Sammelband-Beiträge und jene von Anton Pelinka äußerst relevante Quellen.

Zunächst folgt eine Begriffsklärung, was in dieser Arbeit unter dem Parlamentarismusbegriff verstanden wird. Hans Kelsen definiert Parlamentarismus als „Bildung des maßgeblichen staatlichen Willens durch ein vom Volke auf Grund des allgemeinen und gleichen Wahlrechtes, also demokratisch, gewähltes Kollegialorgan nach dem Mehrheitsprinzip“. (Kelsen 1925, 6) Das zweite wichtige Element des Parlamentarismus ist, dass der staatliche Wille nicht unmittelbar durch das Volk ausgeführt wird, sondern durch ein vom Volk eingesetztes Parlament. Der Parlamentarismus verbindet für Kelsen die „demokratische Forderung der Freiheit und dem sozialtechnischen Fortschritt bedingenden Grundsatz differenzierter Arbeitsteilung“. (Kelsen 1925, 7) Diese Verbindung kommt im Repräsentationsprinzip zum Tragen, obwohl der Parlamentarismus immer mit einem freien Mandat verknüpft ist – die direkte Ausführung des Wählerwillens somit nicht rechtlich festgelegt ist. (vgl. Kelsen 1929, 30) Nach der klassischen Sicht sind der Parlamentarismus und die repräsentative Demokratie ident verwendbare Begrifflichkeiten. (vgl. Ucakar/Gschiegl 2017, 110) Im Gegensatz zu den Parteien sieht Kelsen das Parlament als einen friedvollen Ort der Austragung des Klassenkonflikts. (vgl. Kelsen 1929, 68) Somit dient der Parlamentarismus als Weg den Klassenkampf einzudämmen und die politischen Dynamiken der Lager zu kanalisieren und konstruktiv nutzbar zu machen.

Zu Beginn der vorliegenden Arbeit wird kurz auf die Demokratiedefizite der Zeit zwischen 1867 und der Staatsgründung 1918 sowie auf die Bildung der Lager eingegangen. Im nächsten Abschnitt wird ein Überblick über die Entwicklung der österreichischen Verfassung. Danach folgt eine Analyse der Kräfteverhältnisse und Konflikte zwischen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SdAP) und der Christlichsozialen Partei (CSP), die 1933 zur Krise des Parlamentarismus in Österreich führten. Dabei liegt ein Fokus auf den verschiedenen Demokratiekonzepten der CSP und der SdAP.

2 Entwicklung des Parlamentarismus in Österreich –Kräfteverhältnisse und Krise

2.1 Demokratiedefizite in Österreich vor 1918 und der Beginn der Lagerbindung

Das Staatsgrundgesetz 1867 legte im österreichischen Teil der Monarchie die Grundlagen des politischen Systems fest, welches vordemokratische Charakteristika aufwies. Anzumerken ist, dass das Abgeordnetenhaus keinen realen Einfluss auf die Regierung hatte, da diese nur dem Kaiser verantwortlich war. Ein großes Demokratiedefizit dieser Zeit war der Ausschluss von Frauen vom aktiven und passiven Wahlrecht. Ein weiteres Demokratiedefizit zeigt sich in der damaligen Wahlordnung, die die Vormachtstellung der Deutschen sichern sollte. Bereits in dieser Zeit zeigten sich starke ethno-nationalistische Strömungen innerhalb der Gesellschaft. Durch die frühe Lagerbildung und die sehr divergierenden Ideologien war es für die ÖsterreicherInnen umso schwieriger eine kollektive Identität zu entwickeln, die über Parteigrenzen hinausging. Neben dem schwachen Parlamentarismus entstand ein starkes und modernes Parteiensystem mit straffer Organisation und starker ideologischer Polarisierung. (vgl. Pelinka 1999, 10ff.) Zusätzliche demokratische Exklusion verursachte ab 1900 der österreichische Antisemitismus; Juden waren somit aufgrund ihrer Abstammung sowohl vom christlich-konservativen Lager, als auch vom deutschnationalen Lager ausgeschlossen. (vgl. Pelinka 1999, 10f.)

Auch Ende des 19. Jahrhunderts hinkte die Entwicklung des Parlamentarismus der Organisation der Parteien weiter hinterher. Die sozialen Dynamiken der Lager konnten nicht auf das politisch unterentwickelte System Österreichs übertragen werden, denn das politische System ließ keine friedvolle Konfliktaustragung zu. (vgl. Pelinka 1999, 14) Diese Entwicklung war keineswegs förderlich für die Bildung einer konsensfähigen demokratischen Republik. Die Betrachtung der Ursprünge des Parlamentarismus und der Lagerbildung bieten wichtige Implikationen für das Auftreten späterer Entwicklungen in Österreich.

2.2 Staatsgründung und Verfassungsentwicklung des B-VG 1920

Der Verlust des Ersten Weltkriegs stellte für die spätere Republik Österreich das erste von mehreren Schlüsselereignissen in der Entwicklung des Parlamentarismus dar, wie auch Pelinka feststellt: „Die Schlüsselereignisse 1918, 1938 und 1945 werfen ein bezeichnendes Licht auf einen anderen, ebenfalls zentralen Aspekt der Entwicklung der österreichischen Demokratie. Deren Qualität wurde ganz wesentlich von außen bestimmt [...].“ (Pelinka 1999, 17) Wie groß der Außeneinfluss zu Zeiten der Staatsgründung war, zeigt sich an folgendem Beispiel: Die Provisorische Nationalversammlung beschloss am 11.11.1918 die demokratische Republik als Staatsform Deutschösterreichs, darin war in Artikel 2 festgehalten, dass Deutschösterreich Bestandteil der Deutschen Republik sein soll. Darüber hinaus wurde damit auch die staatsrechtliche Verbindung beider Staaten als politisches Programm festgelegt, erster Ausdruck war die wechselseitige Einräumung des Wahlrechts zu den jeweiligen Nationalversammlungen für beide StaatsbürgerInnen. (vgl. Kohl et al. 2016, 267, 271) Durch den Staatsvertrag von St. Germain zwangen die Siegermächte des Ersten Weltkriegs Österreich im Zuge des Anschlussverbots zur Unabhängigkeit und zur Einhaltung demokratischer Mindeststandards sowie zur Annahme der Staatsbezeichnung „Republik Österreich“ im Oktober 1919. (vgl. Kohl et al. 2016, 274ff.)

Österreich musste das Scheitern der Monarchie und die Niederlage des Ersten Weltkriegs hinnehmen und im selben Moment unter Zeitdruck eine demokratische Republik Österreich aufbauen, dessen Staatsgebiet, Staatsbezeichnung und Regierungsform schon vorher von außen bestimmt war. Vom alten Kaisertum Österreich blieben die Parteien erhalten sowie Teile der alten Rechtsordnung, darunter Teile des Verfassungsrechts von 1867 und das KWEG 1917, welches die entscheidende Rolle in der Errichtung der Kanzler-Diktatur 1934 spielte. (vgl. Kohl et al. 2016, 268) Die Parteien und ihre Abgeordnete sahen sich durch die Wahlen zum Abgeordnetenhaus 1911 legitimiert, die politische Verantwortung für den Wiederaufbau zu übernehmen. Jedoch konnte sich kein Lager so recht mit dem neuen Österreich, dem kleinen Rest Zisleithaniens, identifizieren; zu groß war die Trauer um die einst mächtige Stellung Österreichs in Europa. Daher waren besonders in der Anfangszeit Unstimmigkeiten innerhalb der Parteien beinahe vorprogrammiert. (vgl. Pelinka 2017, 55)

Im Folgenden wird bewusst nur kurz auf die verfassungsrechtlichen Entwicklungen der Ersten Republik eingegangen; eine sehr genaue Beschreibung derselben befindet sich in Kohl et al. 2016. Bei der Entwicklung der österreichischen Verfassung wurde zunächst ein gewaltenverbindender Kurs eingeschlagen, um eine neuerliche Personalisierung der Macht zu vermeiden. Die Staatsregierung wurde von der Nationalversammlung nach einem Gesamtvorschlag des Hauptausschusses derselben gewählt und war der Nationalversammlung verantwortlich. Das Bundesverfassungsgesetz vom 1.10.1920 (B-VG 1920) führte das Amt des Bundespräsidenten ein, wenn auch mit äußerst beschränkter realer politischer Macht. Eine weitere Neuerung des B-VG 1920 war die Einführung der heute gebräuchlichen Bezeichnungen für die politischen Ämter (Bundes- statt Staatskanzler, Bundesminister statt Staatssekretär und Staatssekretär statt Unterstaatssekretär) und der Bezeichnung Nationalrat statt Nationalversammlung. (vgl. Müller et al. 1995, 73ff.)

Die letzte durch parlamentarischen Konsens entstandene Weiterentwicklung der Verfassung fand mit der 2. Novelle des B-VG 1920 im Dezember 1929 statt, wodurch Österreich in ein parlamentarisch-präsidiales Regierungssystem mit negativem Parlamentarismus umgewandelt wurde. Die ursprüngliche Intention der Novelle seitens des bürgerlichen Blocks war die Zurückdrängung der Sozialdemokratie, ein Ausdruck des politischen Konflikts zwischen SdAP und CSP, der sich seit 1927 weiter zugespitzt hatten. Durch diese Reform sollten Verfassungsänderungen auch ohne die Zustimmung der SdAP mit einer Volksabstimmung möglich werden, die SdAP wehrte diese Reform ab. So kam es, dass die sich Verfassungsrealität durch die Novelle nur wenig änderte, aber das Veränderungsstreben der bürgerlichen Kräfte weiter anstieg. (vgl. Lehner 1995, 52; Tálos/Manoschek 2005, 10; Reformpunkte s. Kohl et al. 2016 S.284-286)

2.3 Die Kräfteverhältnisse zwischen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und der Christlichsozialen Partei und die negativen Auswirkungen auf den Parlamentarismus

Die Parteien sind die zentralen Akteure einer parlamentarischen Demokratie, daher sind die Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat von entscheidender Bedeutung für die Durchsetzung politischer Ziele. Auch wenn die CSP die österreichische Demokratie immer wieder als „Parteienherrschaft“ betitelte, zeichnen Statistiken ein anderes Bild. Nach den Vergleichen von Regierungsbeteiligung der Parteichefs und der Parteibeteiligung an der Regierung ist die Personalverschränkung von Partei und Regierung in der Ersten Republik nur sehr schwach ausgeprägt (im Gegensatz zur Zweiten Republik). (vgl. Müller et al. 1995, 77ff.)

Ein großes Demokratiedefizit der Ersten Republik zeichnet sich statistisch durch die fehlende Regierungsstabilität ab. In den 16 Jahren, in denen die Erste Republik bestand, existierten 24 Kabinette mit einer durchschnittlichen Lebensdauer von weniger als acht Monaten, wobei kein parlamentarisch verantwortliches Kabinett länger als 1,2 Jahre überdauerte. (vgl. Müller et al. 1995, 81) Die Ursachen für die frühzeitige Kabinettsauflösung lagen in den meisten Fällen entweder in einer problematischen Veränderung des Verhältnisses zwischen oder innerhalb der Regierungsparteien, an vorzeitigen Neuwahlen oder an der Person des Bundeskanzlers. Die quantitativ häufigste Ursache rührte von Problemen in der Parteizusammenarbeit her; gefolgt von Problemen innerhalb der Parteien. (vgl. Müller et al. 1995, 85) Dies zeigt, welchen großen Einfluss die Kräfteverhältnisse zwischen den Parteien und eine fehlende Konsensorientierung unter den Parteien auf eine Demokratie haben. Alle drei politischen Lager sahen in der Demokratie v.a. nur ein Mittel zur Durchsetzung ihrer sehr unterschiedlichen ideologischen Ziele anstatt in Bezug auf die politische Arbeit zusammenzuarbeiten und etwas zu erreichen. Die Demokratie fungierte in der Ersten Republik als Ordnungsstruktur, die die Möglichkeiten des politischen Handelns einschränkte. In den folgenden Abschnitten wird genauer auf die CSP und die SdAP, ihre Idee der Demokratie und die gegenseitigen Konflikte eingegangen.

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Details

Titel
Das Scheitern des Parlamentarismus der Ersten Republik in Österreich
Untertitel
Der Konflikt zwischen dem sozialdemokratischen und dem christlich-konservativen Lager
Hochschule
Universität Wien  (Faculty for Political Science)
Veranstaltung
Österreichische Politik
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
15
Katalognummer
V506713
ISBN (eBook)
9783346063670
ISBN (Buch)
9783346063687
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erste Republik, Parlamentarismus, Österreich, Politisches System, Entwicklung, Parteipolitik
Arbeit zitieren
Luana Luisa Heuberger (Autor:in), 2018, Das Scheitern des Parlamentarismus der Ersten Republik in Österreich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/506713

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