Dilemmata bei der Zwangsbehandlung akuter Psychosen. Sind Zwangseinweisungen ethisch vertretbar?


Seminararbeit, 2018

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Zwangsbehandlung bei akuter Psychose

1. Definition der Psychose Schizophrenie

2. Zwangsmaßnahmen und Zwangsbehandlung
2.1 Rechtliche Grundlagen einer Zwangsmaßnahme
2.2 Medizinische Grundlagen

3. Ethische Dilemmata
3.1 Dilemmata auf der individuellen Ebene
3.2 Dilemmata auf der professionellen Ebene
3.3 Dilemmata auf der gesellschaftlichen Ebene

4. Lösungsansatz – Open Dialoque

Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Zwangsbehandlung bei akuter Psychose

Immer wieder kommt es zu Zwangseinweisungen und Zwangsbehandlungen von psychotischen Patienten, oftmals nach Zwangseinlieferungen in die Psychiatrie. Ärz- te und Pflegepersonal müssen routinemäßig entsprechend gesetzlichen und medizini- schen Vorgaben entscheiden und handeln. Dabei müssen sie berücksichtigen, dass der Patient1 prinzipiell als selbstbestimmter Mensch anzusehen ist. Dies alles zu si- chern ist allerdings nicht leicht. In einer Hospitation in einer Psychiatrie habe ich fol- genden Fall erlebt:

Frau S. wurde durch einen Krankenwagen von zwei männlichen Sanitätern in Beglei- tung der Polizei auf die Station gebracht. Sie litt laut der Sanitäter unter einer akuten Psychose. Sie hörte Stimmen, die ihr befahlen, dunkelhäutige Männer zu vergiften. Die Stimmen sagten Frau S., dass diese Männer gefährlich seien, sie und die deut- sche Bevölkerung vernichten wolle. Sie war gerade dabei, Gift im Internet zu bestel- len, als ihre Mitbewohnerin ins Zimmer kam und Frau S. zur Rede stellte. Die Mitbe- wohnerin beschrieb Frau S. als nicht mehr zugänglich, ihre Gedanken waren wirr, sie hatte nur noch den Gedanken an das Gift. Es war nicht mehr möglich, Frau S. in die Realität zurückzuholen. In Absprache mit den Eltern rief die Mitbewohnerin den Kri- sendienst an, der kurz darauf kam. Diese Szene geschah bereits das zweite Mal. Frau S. ist schizophren und leidet immer wieder unter akuten Psychosen. Die Sanitäter brachten Frau S. in unsere psychiatrische geschlossene Abteilung, da diese eine Fremd-und Eigengefährdung feststellten. Obwohl die Patienten bereits das zweite Mal bei uns war, wollte sie keine Hilfe annehmen und keine Medikamente einneh- men. Ein Arzt brachte Neuroleptika und ein Beruhigungsmittel, da Frau S. immer wieder um sich schlug. Dieser wog in einem kleinen Team ab, ob sie die Medika- mente zwangsweise, also gegen den Willen von Frau S., verabreichen oder nicht. Aufgrund der Wiedervorstellung konnte das Team gut abschätzen, dass die Medika- mente hilfreich sein werden, und Frau S. im Nachhinein einsichtig wäre – dies war zumindest bei der ersten Einlieferung der Fall.

In dieser Arbeit werden - basierend auf dieser Fallgeschichte - die ethischen Dilem- mata genauer betrachtet, die sich mit Zwangseinweisung und Zwangsbehandlung er- geben können. Um die Zusammenhänge zu verstehen, findet man zu Beginn eine kurze Erklärung der Begriffe Schizophrenie und Zwangsbehandlungen. Es werden Antworten auf Fragen wie beispielsweise „was versteht man unter einer Psychose?“, und „was sind Zwangsbehandlungen und auf welchen medizinischen und rechtlichen Grundlagen basieren diese?“ erarbeitet, um danach zu den ethischen Dilemmata überzuleiten. Die Psychiatrie befindet sich in einem Spannungsverhältnis zwischen dem Respekt vor dem Patientenwillen einerseits, dem gesundheitlichen Wohl des Kranken und der Verpflichtung zur Fürsorge gegenüber selbstbestimmungsunfähigen und hilfebedürftigen Menschen anderseits, sowie den Interessen von Angehörigen, Institutionen und Gesellschaft (vgl. DGPPN 2014 S. ). Es ergeben sich dadurch Di- lemmata auf drei zu behandelnden unterschiedlichen Ebenen – der individuellen, der professionellen und der gesellschaftlichen Ebene. Das Ziel dieser Auseinanderset- zung soll die Beantwortung der Frage sein, ob Zwangsbehandlungen bei psychotisch Erkrankten ethisch zu vertreten sind.Abschließend wird das Modell des „Open Dia- logue“ (vgl. Seikkula 2003, S. 89ff.) als möglicher Lösungsansatz, um die ethischen Dilemmata zu reduzieren, vorgestellt.

1. Definition der Psychose Schizophrenie

Schizophrenie ist eine psychische Erkrankung. Um eine Erkrankung zu definieren, ist das Handbuch der Internationalen Statistischen Klassifikation von Krankheiten und verwandten Gesundheitsproblemen (kurz ICD) - einer Liste medizinischer Klas- sifizierungen der Weltgesundheitsorganisation – ein guter Ausgangspunkt. Die Schi- zophrenie ist von der WHO (2018) in den psychischen Störung im fünften Kapitel (psychische und Verhaltensstörungen) unter „F20 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen“ zu finden:

„Die schizophrenen Störungen sind im Allgemeinen durch grundlegende und charak- teristische Störungen von Denken und Wahrnehmung sowie inadäquate oder verflach- te Affekte gekennzeichnet. (…). Die wichtigsten psychopathologischen Phänomene sind Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung oder Gedankenentzug, Gedankenaus- breitung, Wahnwahrnehmung, Kontrollwahn, Beeinflussungswahn oder das Gefühl des Gemachten, Stimmen, die in der dritten Person den Patienten kommentieren oder über ihn sprechen, Denkstörungen und Negativsymptome.“

In der heutigen Gesellschaft werden mit Schizophrenie oft die Symptome Wahn und Halluzination verbunden, ohne dass man damit dem wirklichen Krankheitsbild und -geschehen gerecht wird.

Beim Wahn entwickelt der Betroffene krankhafte Vorstellungen, die von der Realität abweichen oder nichts mit ihr zu tun haben. Die Wahnvorstellungen sind dabei für ihn so wirklich, dass er unbeirrbar daran festhält, sie nicht anhand der Realität über- prüfen kann und Korrekturen durch andere nicht versteht und daher auch nicht ak- zeptiert. Diese Wahnideen können fast alle Lebensumstände und -bereiche betreffen. Zu nennen sind beispielsweise der Verfolgungswahn, der hypochondrische Wahn – der Wahn, schwer krank zu sein - oder der Größenwahn – der Wahn, in religiöser/politischer Hinsicht für eine große Aufgabe berufen bzw. auserwählt zu sein. Für den Schizophrenen ist es unmöglich, Wahn und Realität zu unterscheiden. Für ihn wird der Wahn zur Realität (vgl. DGPPN 2006, S3ff).

Halluzinationen sind seltener Berührungs-Halluzinationen und optische Halluzinatio- nen, sondern meist akustischer Natur, die vor allem durch das Hören von Stimmen gekennzeichnet sind. Vom „Gedankenlautwerden“ - wie es in der Definition der WHO zu lesen ist - spricht man, wenn die Stimmen als das eigene Denken wahrge- nommen und erlebt werden. Es kommt auch häufig zu sogenannten „imperativen Stimmen“ , die dem Betroffenen konkrete Handlungsanweisungen geben.

Neben der positiven Symptomatik gibt es noch die schwierig zu behandelnden nega- tiven Symptome im Bereich der Affektivität, womit starke Stimmungswechsel ge- meint sind oder Affektverflachung. Die Grundstimmung des Psychotikers ist häufig von Gleichgültigkeit und Leere geprägt. In der akuten Wahnphase kommt das starke Gefühl des Gejagt- oder Verfolgtwerdens hinzu, mit starkem Gefühl der Unruhe. Häufig stimmen bei schizophrenen PatientInnen der Gefühlsausdruck und die aktuel- le Situation nicht überein (zum Beispiel Lachen bei schrecklichen Ereignissen). Man spricht hier von Parathymie. Passt die Verhaltensebene (Mimik/Gestik) und Stim- mung auch nicht zusammen, wird diese Diskrepanz als Paramimie bezeichnet. Bei einem Großteil der Schizophrenien treten kognitive Beeinträchtigungen in den Berei- chen Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnis auf. Dies kann zur Fehldeu- tung vieler Elemente der „normalen“ Realität führen.

Für diese Arbeit sind die ausgebildeten Denk- und Sprachstörungen relevant. Das Denken erscheint zerfahren, zusammenhangslos und ohne innere Logik. Oftmals werden logische Zusammenhänge hergestellt, die objektiv unsinnig sind. Sprachliche Äußerungen werden zunehmend skurriler und passen nicht zum Thema oder gehen komplett daran vorbei, Wörter werden durcheinander gewürfelt, der Satzbau ist zer- stört, Wortneubildungen (Neologismen) werden erfunden.

Schließlich ist noch das katatone Symptom zu nennen. Dies beschreibt eine starke Antriebsminderung hinsichtlich Aktivität, Spontaneität und Initiative. Es kann soweit führen, dass der Kranke bei vollem Bewusstsein völlig bewegungs- und reaktionslos ist (Stupor). Bei starker motorischen Erregung kann es sich allerdings auch zu ziello- ser Aggressivität entwickeln. (vgl. ebd.).

Obwohl die positive Symptomatik mit Psychopharmaka (vor allem Neuroleptika) gut und relativ schnell behandelbar ist, nimmt die Schizophrenie oft einen rezidivieren- den bzw. chronischen Verlauf. Nicht alle Patienten, die an einer Schizophrenie mit akuter Psychose leiden, Ärzte und Pflegepersonal müssen routinemäßig entsprechend gesetzlichen und medizinischen Vorgaben entscheiden und handeln. Dabei müssen sie berücksichtigen, dass der Patient prinzipiell als selbstbestimmter Mensch anzuse- hen ist. Dies alles zu sichern ist allerdings nicht leicht.Patienten sind in der akuten Krankheitsphase oft nicht bereit, Medikamente einzunehmen, um die Realität als sol- che wahrzunehmen. Deshalb gibt es immer wieder Fälle, bei denen Menschen mit ei- ner akuten Psychose zwangsbehandelt werden (müssen).

2. Zwangsmaßnahmen und Zwangsbehandlung

In den medizin-ethischen Richtlinien der Zentrale Ethikkommission der Schweizeri- sche Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) werden „alle Eingriffe, die gegen den erklärten Willen oder gegen Widerstand eines Menschen – oder bei Kommunikationsunfähigkeit gegen den mutmaßlichen Willen – erfolgen“ (SAMW 2005, S.1993) als Zwangsmaßnahme beschrieben . Es muss hier nochmals zwischen Zwangsmaßnahmen im Rahmen der stationären Unterbringung (Zwangsunterbrin- gung) und den Zwangsbehandlungen während des stationären Aufenthaltes unter- schieden werden.

Unter dem Begriff Zwangsunterbringung versteht man die zwangsweise Einweisung eines Patienten in eine geschützte Abteilung einer psychiatrischen Klinik, wenn bei demjenigen eine akute Selbst- und/oder Fremdgefährdung besteht und die freiwillige Aufnahme abgelehnt wird. Neben der Zwangsunterbringung gibt es noch die soge- nannte Zwangsbehandlung. Zwangsbehandlungen haben im Gegensatz zu den Zwangsmaßnahmen vor allem therapeutischen Charakter. Ein Beispiel ist die Zwangsmedikation - darunter versteht man die Verabreichung von Medikamenten gegen den Willen eines Patienten(vgl. Meesman 2012, S3ff.). Andere Zwangsbe- handlungen wären beispielsweise die Isolierung und Fixierung. „Isolierung ist das Platzieren eines Patienten allein in einem separaten Raum, wo er am Verlassen des- selben gehindert wird“ (Zäske & Gaebel 2010, S.14). Eine Fixierung ist jede me- chanische Methode, die die Bewegungsfreiheit einschränkt, wie zum Beispiel Bett- gitter, Stuhltische oder auch das Festbinden an einen Stuhl oder an ein Bett. Die Fi- xierung mit einem Gurtsystem an einem Bett ist heute die häufigste Zwangsmaßnah- me, die durchgeführt wird. (vgl. Egger 2013, S.23). Laut der Leitlinie des DGPPN sollten „Maßnahmen wie Isolierung oder Fixierung […] lediglich nach Scheitern al- ler anderen Deeskalationsversuche angewendet werden“ (DGPPN, 2006: 221).

2.1 Rechtliche Grundlagen einer Zwangsmaßnahme

In Deutschland kann ein Mensch gegen seinen Willen mit Hilfe von zwei Gesetzen in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen werden: Zum einen durch die Länderge- setze zur Behandlung psychisch Kranker (PsychKG) und zum anderen nach dem bundesweiten Betreuungsrecht. Sucht man die rechtliche Grundlage einer möglichen ärztlichen Behandlung, fällt einem das Behandlungs- und Arzthaftungsrecht des Bür- gerlichen Gesetzbuches (BGB) im Rahmen einer (psychiatrischen) Behandlung ins Auge. Eine medizinische Behandlung bedarf einer informierten Einwilligung des Pa- tienten und eine Kooperation zur medizinischen Behandlung, dies ergibt sich aus dem Paragraph 630d im BGB. Die Einwilligung des Patienten ist Voraussetzung für jedes ärztliche Handeln.

Hier stellt sich dann die Frage, wann ein Mensch einwilligungsfähig ist. Hierzu müs- sen folgende Bedingungen gegeben sein: Informationsverständnis, Urteilsvermögen, Einsichtsfähigkeit und Ausdrucksfähigkeit (vgl. DGPPN, 2014, S. 2).

Wer aber kann oder muss dann die Entscheidung bezüglich der Behandlung des Pati- enten treffen? Dies wird im BGB - im Betreuungsrecht, genauer im Paragraph 1906 - geregelt. Ein gesetzlicher Betreuer ist an dieser Stelle zu konsultieren, wenn noch keiner als solcher benannt wurde. Dieser wird meist im Voraus bestellt, wenn der psychisch Erkrankte vorher bereits Unterstützung im Bereich Wohnen, Gesundheit oder in finanziellen Angelegenheiten benötigte. Es gibt – im oben genannten Para- graphen - klare gesetzliche Regelungen, wann der Betreuer über eine Zwangsbehand- lung gegen den Willen des Betreuten entscheiden darf:

[...]


1 Aus Gründen der Lesbarkeit wurde im Text die männliche Form gewählt, nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf beide Geschlechter

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Details

Titel
Dilemmata bei der Zwangsbehandlung akuter Psychosen. Sind Zwangseinweisungen ethisch vertretbar?
Hochschule
Hochschule München
Note
1,7
Autor
Jahr
2018
Seiten
20
Katalognummer
V506281
ISBN (eBook)
9783346069788
ISBN (Buch)
9783346069795
Sprache
Deutsch
Schlagworte
dilemmata, zwangsbehandlung, psychosen, sind, zwangseinweisungen
Arbeit zitieren
Ulrike Eckert (Autor:in), 2018, Dilemmata bei der Zwangsbehandlung akuter Psychosen. Sind Zwangseinweisungen ethisch vertretbar?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/506281

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