Ideomotorische Apraxie und Imitation


Hausarbeit, 2005

18 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Allgemeines zur Apraxie
2.1 – Definition
2.2 - Klassifikation der Apraxien
2.3 - Sonderformen
2.4 - Entdeckungsgeschichte

3 Neuroanatomische Grundlagen

4 Symptomatik der Apraxie
4.1 - Störungen im Umgang mit Objekten
4.2 - Fehlerhaftes Imitieren von Bewegungen
4.3 - Fehlende und entdifferenzierte kommunikative Gesten

5 Die Behandlung von Apraxie

6 Imitating Gestures and Manipulating a Mannikin – Die Goldenbergstudie
6.1 - Die Liepmann-Studie
6.2 - Methodisches Vorgehen der Goldenbergstudie
6.3 - Ergebnisse
6.4 - Diskussion
6.5 - Die Hypothese des „Multi-Part Mechanical Object“

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Schädigungen des Gehirns wie sie z.B. bei einem Schlaganfall auftreten können, sind die Ursache vielerlei höchst unterschiedlicher Krankheitsbilder, in denen die Geschädigten nicht selten seltsame Verhaltensweisen an den Tag legen oder sich in bestimmten Bereichen des täglichen Lebens als vollkommen unfähig erweisen. In weniger drastischen Fällen hingegen sind die Beeinträchtigungen für die Umwelt vielleicht kaum wahrnehmbar.

Wenn ein Patient nicht mehr weiß, wozu Objekte des normalen Umgangs dienen, so kann man dies sicherlich als schwere Beeinträchtigung werten. Wenn ein Patient eine Säge ratlos abtastet, sich mit Stempel und Stempelkissen ein „Sandwich“ bastelt, um es dann zum Mund zu führen und schließlich in einen Telefonhörer bläst, um daraufhin an beiden Muscheln zu lauschen, so ist dies die Folge einer spezifischen Schädigung neuronaler Strukturen. Einen Keks dagegen nimmt er mit routinierter Geschicklichkeit zu sich, ein erstaunliches Merkmal des Krankheitsbildes Apraxie. Der hier beschriebene Patient ist ein extremer Fall, bei dem weitere Störungen zusätzlich festgestellt wurden. Häufig sind die Fehlhandlungen nicht derart massiv, aber auch nicht weniger behindernd für den Patienten. Ein typischer Fall ist jener Versuch, in dem der Patient eine alltägliche Handlung wie das Zähneputzen ausführen soll. Er benutzt einen Becher ohne das Wasser aufzudrehen, versucht aus einer geschlossenen Tube Zahnpasta zu drücken und putzt die Zähne schließlich umständlich atypisch und in nicht effektiver Art und Weise. Nur das Aufdrehen des Verschlusses gelingt zügig und geschickt, ein Widerspruch, der für apraktische Störungen kennzeichnend ist. Die folgenden Ausführungen basieren auf dem Referat „Ideomotorische Apraxie und Imitation“ und der darin zugrunde gelegten Literatur und sollen dieses Krankheitsbild näher beleuchten.

2 Allgemeines zur Apraxie

2.1 Definition

Apraxie ist die Störung von Handlungen oder Bewegungsabläufen und die Unfähigkeit, Gegenstände bei erhaltener Bewegungsfähigkeit, Motilität und Wahrnehmung sinnvoll zu verwenden; Ursache: Erkrankungen oder Schädigungen des Gehirns oder der Kommissurenbahnen; Hauptformen: 1. ideomotorische Apraxie: Bewegungen werden fragmentarisch ausgeführt oder durch fehlerhafte ersetzt, eventuell besteht zusätzliche Aphasie; vor allem bei Läsionen des Parietallappens und der Kommissurenbahnen; 2. ideatorische Apraxie: komplexe und differenzierte Handlungen können infolge einer Störung des Bewegungsentwurfs (Ideation) nicht richtig aneinandergereiht werden; vor allem bei Läsion der temporoparietalen Region der dominanten Hemisphäre.[1]

2.2 Klassifikation der Apraxien

Bei der oben genannten Unterscheidung der Apraxie in zwei Hauptformen, nämlich in die ideomotorische und die ideatorische, handelt es sich zwar um die gängige, nicht aber um die einzig mögliche Klassifizierung. In der Tat gehen die Meinungen darüber, wie und in welchen Symptomen sich diese Formen äußern teilweise erheblich auseinander.

Ideomotorische Apraxie zeigt sich demnach in der Ausführung zusätzlicher Bewegung bzw. durch Ersatz derselben, sowie in einer zunehmenden Annäherung an die vorher geforderte Bewegung. Außerdem stellt man das Auftauchen früherer, zum Beobachtungszeitpunkt jedoch kontextfremder Bewegungen fest. Symptome der ideatorischen Apraxie entsprechen dem Vertauschen bzw. Wiederholen von Handlungen, dem Auslassen von Teilhandlungen bis zum „ratlosen Abbruch“, bei dem der Patient mit der gegebenen Aufgabe offenbar völlig überfordert ist. Wie schwierig es jedoch ist, einem Patienten genau eine dieser Formen zuzuschreiben wird am Beispiel einer Fischzerlegerin (Critchley 1965) deutlich: die Frau (mit biparietaler Läsion) hatte jahrelang problemlos in ihrem Beruf gearbeitet, bis die auftretenden Symptome der Apraxie ihr die weitere Ausübung unmöglich machten. Sie konnte die ihr lange vertrauten Vorgehensweisen zum Zerlegen eines Fisches nicht mehr durchführen. Mit ihrem Messer wusste sich nichts anzufangen, weshalb sie zunächst in den Kopf des Fisches stach, um dann beim ersten Schnitt inne zu halten. Im Geiste schien ihr klar zu sein, wie man einen Fisch ausnimmt und verarbeitet, aber sie konnte die Absicht nicht in die Tat umsetzen. Zusätzlich konnte sie einmal begonnene Arbeiten nicht vollenden, stattdessen sammelten sich die unerledigten Aufgaben über die Zeit an.

Konnte die Fischzerlegerin nicht planen, wie man einen Fisch filetiert? Tatsächlich hat sie es irgendwie wahllos versucht, weswegen man eine ideatorische Apraxie diagnostizieren würde. Hat sie sich das Ziel gesetzt, den Fisch zu filetieren, konnte es aber aufgrund einer Unfähigkeit einzelne Teilschritte richtig durchzuführen nicht erreichen? Auch dies wäre denkbar und würde auf die Diagnose einer ideomotorischen Apraxie hinauslaufen. Wenn Zielvorstellung und Bewegungsfolgen vorhanden wären, die notwendigen Bewegungen aber trotzdem für die Patientin nicht umsetzbar wären, würde man eine motorische Apraxie annehmen. Man erkennt hier die offenkundige Unterscheidung zwischen dem Wissen, was zu tun ist und der Fähigkeit, es auch umzusetzen. Welche Art von Apraxie im genannten Fall aber tatsächlich vorliegt, lässt sich mit der klassischen Definition jedoch nicht mit Sicherheit sagen. Die im folgenden zu behandelnden Sonderformen dieser Störung sowie die mehr oder weniger willkürlichen Klassifikationen der Apraxie in klinischen Beschreibungen verbessern nicht gerade die Trennschärfe der Begrifflichkeiten, insbesondere da neue Typen nicht unbedingt auf die Entdeckung tatsächlich neuer Symptome zurückgehen, sondern nicht selten das Ergebnis anderer Untersuchungsmethoden sind.

2.3 Sonderformen der Apraxie

Wie erwähnt finden sich in Internet und Literatur immer wieder (vermeintlich) neue Klassifikationen und Typen der Apraxie, wobei einige Sonderformen als gemeinhin anerkannt gelten können. Hierzu zählen: 1) die gliedkinetische Apraxie, die eine zentrale Bewegungsstörung bezeichnet, welche auf eine zentralen motorischen Lähmung (kontralaterale Schädigung des Gyrus precentralis) zurückzuführen ist; 2) die okulomotorische Apraxie, bei der willkürlich oder visuell ausgelöste rasche Augenbewegungen mit ruckartigen Kopfbewegungen kompensiert werden (bilaterale frontoparietale Läsion); 3) die konstruktive Apraxie, die gestaltende Handlungen unter visueller Kontrolle, z.B. bei der räumlichen Formgebung (Zeichnen) oder bei Puzzlespielen, misslingen lässt, ohne dass eine Beeinträchtigung elementarer Bewegungsabläufe vorliegt; 4) die „Ankleideapraxie“, eine Störung der Fähigkeit, räumliche Beziehungen zwischen Objekt und Körper herzustellen[2] ; 5) die bukkofaziale Apraxie, deren Symptom das Versagen bei der Durchführung von Bewegungen des Mundes und des Gesichts auf verbale Aufforderung oder bei Imitation ist. Patienten, die zusätzlich zur apraktischen Störung unter einer Halbseitenlähmung leiden, sind in höchstem Maße eingeschränkt, da die nicht gelähmte Seite apraktisch ist und daher Handlungen insgesamt kaum noch ausführbar sind.

2.4 Zur Entdeckungsgeschichte der Apraxie

Die Symptome der Apraxie wurden bereits im Jahre 1867 von Hughlings Jackson beschrieben, den Begriff prägte Stendhal fünf Jahre später. Aphasische Patienten konnten Willkürbewegungen nicht mehr ausführen, obwohl ihnen offenbar nicht eine Muskelschwäche zu schaffen machte. Das von vielen in der Folgezeit beschriebene Problem wurde dann, im Jahre 1900, von Liepmann eingehender untersucht. Er veröffentlichte eine erste detaillierte Analyse des Phänomens anhand eines kaiserlichen Ratsherrn, der, obgleich nicht gelähmt und mit normaler Körperkraft ausgestattet, keine Aufforderungen sich in einer bestimmten Weise zu bewegen (z.B. die rechte Hand an die Nase zu führen) nachkommen konnte. Er verstand die Instruktionen und war in seiner motorischen Aktivität nicht gestört, weshalb Liepmann Schwierigkeiten zwischen den sensorischen und motorischen Erinnerungen vermutete. Bei der Obduktion des verstorbenen Patienten konnte er seine Vermutung bestätigen, indem er durch das Sezieren dessen Gehirns Schädigungen im inneren der linken Hemisphäre und des Corpus callosum diagnostizierte. Die von ihm 1920 aufgestellte klassische Theorie der Apraxie dient bis heute als Grundlage zur Untersuchung des Phänomens und konnte in ihren wesentlichen Aussagen lediglich ergänzt werden. Die zwei wichtigsten Annahmen sind, dass erstens eine Apraxie das Ergebnis von Läsionen in der linken Hemisphäre und/oder des Corpus callosum ist und es zweitens unterschiedliche Formen der Apraxie gibt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen jeweils besonderen Ort der linken Hemisphäre zurückzuführen sind. Moderne Konzepte zur Beschreibung der Apraxie beruhen zum überwiegenden Teil auf Reinterpretationen dieser Annahmen.

3 Neuroanatomische Grundlagen der Apraxie

Liepmann sieht für die Kontrolle komplexer Bewegungen der rechten Körperhälfte den linken parietalen Cortex (Areal 40) als neuroanatomische Entsprechung. Die Vermittlung dieser Kontrolle erfolgt über den linken Frontallappen und das Areal 4, die Gliedmaßen der linken Seite werden nach Liepmann über cortiko-cortikale Verbindungen vom linken Parietallappen bis hin zum rechten frontalen Cortex angesteuert. Kritisiert wurde an diesem Modell vor allem der Mangel differenzierter Betrachtung verschiedener Bewegungstypen. Diese Bewegungstypen müssten nämlich auch bestimmte Systeme als Entsprechung auf neuronaler Ebene besitzen, was bei Liepmann nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Laut weiterführender Untersuchungen ergaben sich nämlich Hinweise auf jeweils unterschiedliche Informationseingänge zum frontalen beziehungsweise zum parietalen Cortex in Hinblick auf die Bewegungskontrolle. Demnach kann es zu sehr unterschiedlichen, zusätzlich zu untersuchenden Störungsformen kommen, die z.B. von der Komplexität der Bewegung abhängen, Beeinträchtigungen daher „individueller“ sein können als das Liepmann-Modell nahe legt. Weiterhin wirken Fälle, in denen auch massive chirurgische Abtragungen der linken Hemisphäre eher geringe Störungen bei der Imitation von Bewegungen hervorgerufen haben, relativierend auf die Annahmen des klassischen Modells. Folglich ist wohl der Beitrag des präfrontalen und parietalen Cortex an der Motorik geringer als zunächst angenommen wurde, zumal der Einfluss von Basalganglien und des Thalamus auf apraktische Phänomene ebenfalls nicht einbezogen wurde. Die Zerstörung dieser subcortikalen Strukturen hat aber offenbar gravierende Folgen, zu denen auch klinische Apraxien gehören können.

Die zentrale Frage bei der Klassifizierung motorischer Störungen bleibt, ob Wahrnehmungen, Repräsentationen und Aktivitäten voneinander getrennt sind oder nicht. Wenn dies so ist, dann müsste man von den verschiedenen Fehlhandlungen auf eine bestimmte neuronale Struktur als Entsprechung schließen können. Wenn es nicht so ist, müssten Schädigungen eines neuronalen Systems in allen drei Komponenten gleichzeitig zu beobachten sein. Eine endgültige Beantwortung dieser Frage steht noch aus. Hinsichtlich der Imitation (siehe unten) kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sie auf sehr unterschiedliche Gehirnregionen zugreift, schlussendlich jedoch die linke Hemisphäre immer die ausschlaggebende ist. Andersherum führen Schädigungen der linken Gehirnhälfte aber nicht zwangsläufig zur Apraxie.

[...]


[1] Vgl. Pschyrembel – Klinisches Wörterbuch

[2] vgl. Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Ideomotorische Apraxie und Imitation
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Psychologisches Institut)
Veranstaltung
Gehirn und Handlung
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
18
Katalognummer
V50618
ISBN (eBook)
9783638468053
ISBN (Buch)
9783638773133
Dateigröße
481 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ideomotorische, Apraxie, Imitation, Gehirn, Handlung
Arbeit zitieren
Christof Niemann (Autor:in), 2005, Ideomotorische Apraxie und Imitation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50618

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