Health Literacy bei Schwangeren und Wöchnerinnen im Asylverfahren


Bachelorarbeit, 2017

31 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

Abkürzungsverzeichnis

1. EINLEITUNG
1.1 Hintergrund
1.2 Definition und Konzept
1.3 Einflussfaktoren
1.4 HL in Deutschland und Europa
1.5 Bedeutung bei Migranten
1.6 Relevanz der maternalen HL
1.7 Herausforderungen
1.8 Mutterschaftsrichtlinien
1.9 Ziel
1.10 Forschungsfrage

2. METHODEN
2.1 Sampling und Datenerhebung im Rahmen der SALOMO-Studie
2.2 Inhaltlich strukturierte Inhaltsanalyse nach Udo Kuckartz
2.3 Ethik

3. ERGEBNISSE
3.1 Individuelle Herausforderungen:
3.2 Systemische Herausforderungen:
3.3 Gesundheit, Prävention, Gesundheitsförderung
3.4 Ethische Aspekte
3.5 Schlussfolgerung

4. DISKUSSION

5. Limitationen

6. Ausblick

7. Literaturverzeichnis

Abstract

Hintergrund: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge berichtet von insgesamt 480.737 entgegengenommen und entschieden Erst- und Folgeanträgen im Jahr 2017 durch Asylsuchenden und Flüchtlingen in der Bundesrepublik Deutschland. Diese Situ- ation stellt die bestehenden Strukturen der Gesundheitsversorgung vor große Herausfor- derungen. Aufgrund der akut bestehenden Versorgungssituation von Menschen im Asylverfahren, wird der Health Literacy, also der Kompetenz gesundheitsrelevante In- formationen zu beziehen, zu verstehen und anzuwenden bei Schwangeren und Wöchne- rinnen jener Gruppe eine hohe Relevanz eingeräumt. Auf Basis der empirischen Er- kenntnisse im europäischen Raum zu Schwangeren und Wöchnerinnen im Asylverfah- ren, werden Einschätzungen der Health Literacy dieser Population von fünf behandeln- den Gynäkologinnen beleuchtet.

Methoden: Eine Literaturrecherche zu Health Literacy jener Population steht im inhalt- lichen Zusammenhang mit einer qualitativen Auswertung von fünf Interviews mit Gy- näkologen und soll als Ergänzung des Themenkomplexes dienen. Bei der angewandten qualitativen Inhaltsanalyse steht das Modell von Udo Kuckartz im Vordergrund. Hierbei erfolgt eine deduktive Kategorienbildung durch Ableitung der Forschungsfrage und dem theoretischen Bezugsrahmen. Es erfolgt daraufhin eine Subkategorisierung, wo- raufhin das gesamte Material anhand des aufgestellten Kategoriensystem erneut codiert wird mit einer sich daran anschließenden Auswertung.

Ergebnisse: Der Forschungsbereich zu Health Literacy ist bei Asylsuchenden in Euro- pa unterrepräsentiert. Der qualitativen Inhaltsanalyse wie auch der Literaturrecherche gemeinsam, waren die Beschreibung der Heterogenität jener Population, sowie Barrie- ren hinsichtlich Sprache, kulturellen Verständnisses und der sozioökonomische Status, welche relevante Herausforderungen im Beziehen, Verstehen und Anwenden gesund- heitsrelevanter Informationen darstellen.

Schlussfolgerung und Ausblick: Die Erkenntnis der Heterogenität der Gruppe berück- sichtigend, müssen Edukationsmaßnahmen für Gesundheitsempfänger und -versorger geplant, durchgeführt und regelmäßig evaluiert werden. Prävention und Versorgung während und nach der Schwangerschaft müssen der kulturellen und sprachlichen Diver- sität angepasst werden und jenen Frauen Zugang zu und Angebote der Informationsbe- schaffung bieten.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. EINLEITUNG

Die Beschaffung gesundheitsbezogener Informationen hängt neben dem Verständnis über Gesundheit und Krankheit, auch vom Wissen bezüglich der Gesundheitsversor- gung und der ökonomischen Möglichkeiten ab [1]. Analphabetismus, kulturelle Ver- ständnisse, Religion, große Distanzen zu medizinischen Einrichtungen, fehlende finan- zielle Ressourcen und der benachteiligte Status der Frau gegenüber dem Mann sind Gründe einer minderen oder Nichtinanspruchnahme medizinischer Leistungen [2]. Menschen, die aus ihrem Heimatland aus unterschiedlichen Gründen migrieren oder flüchten, sind dem Risiko ausgesetzt, traumatische Erlebnisse, die sich auf die psychi- sche und physische Gesundheit auswirken, zu erleben [3]. Innerhalb dieser vulnerablen Gruppe, sind Schwangere als hochvulnerable Gruppe zu betrachten, da diese biologi- schen und psychosozialen Stressoren ausgesetzt werden, welche sich pathologisch auf maternale und neonatale Gesundheit auswirken und Frühgeburten oder Wachstumsre- tardierungen zur Folge haben können [2, 4].

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) berichtet von einer besonders hohen Zuwanderung durch Schutzsuchende vor Krieg und Verfolgung oder vor einer als hoffnungslos empfundenen wirtschaftlichen Situation, in den Jahren 2015/16. 2015 wurden doppelt so viele Asylanträge im Vergleich zum Vorjahr 2014 registriert, näm- lich 476.649 Erst- und Folgeanträge. Diese Situation stellt die bestehenden Strukturen der Gesundheitsversorgung vor große Herausforderungen. Mit den Zuwanderungen bildet sich eine neue, vulnerable Bevölkerungsgruppe. In diesem Rahmen nimmt die Kompetenz Schwangerer und Wöchnerinnen im Asylverfahren, gesundheitsrelevante Informationen und Leistungen zu beziehen, eine hohe Relevanz ein. Eine empirische Analyse der Gesundheitskompetenz, schwangerer Asylsuchenden und Wöchnerinnen ist also von großer Bedeutung der in dieser Arbeit nachgegangen werden soll.

Die vorliegende Arbeit lehnt thematisch an die longitudinale Mixed-Methods-Studie (SALOMO ± Studie) an, welche aktuell in der Abteilung für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Heidelberg durchgeführt wird.

1.1 Hintergrund

Der international gebräuchliche Begriff Health Literacy (HL) findet sich im deutschen Sprachgebrauch als ÄGesundheitskompetenz³ wieder. Beide Begriffe werden in dieser Arbeit synonym verwendet. Die wörtliche Übersetzung, nämlich gesundheitliche Litera- lität-, oder Gesundheitsbildung, verknüpft den Begriff eng mit grundlegenden Fähigkei- ten der Lese- und Schreibfähigkeit.

1.2 Definition und Konzept

HL ist ein multidimensionales Konzept [5], bestehend aus verschiedenen Komponenten. Ein vielfach publiziertes Modell ist das von Nutbeam. Dieser teilt HL in drei Ebenen auf [5]. Die funktionale meint grundlegende Kompetenzen, wie Lesen, Schreiben und Verstehen, um überhaupt als Patient agieren zu können. Die interaktive Ebene setzt eine Kommunikationsfähigkeit und -fertigkeit mit dem sozialen Umfeld zur Informationsbe- schaffung voraus. Die kritische Ebene, die als höchste Ebene gilt, meint die kritische Auseinandersetzung gesundheitsbezogener Informationen. Aufgrund der Vielzahl an Definitionen und Konzepten von HL, führten Sorensen und Kollegen hierzu ein syste- matisches Review durch (2012). Sie kamen zu dem Ergebnis, dass sich viele Definitio- nen und Konzepte entweder auf individuelle Fähigkeiten fokussieren, andere sehr an systemischen und einige sich als empirisch nicht valide genug auszeichneten [5]. Basie- rend auf dem Drei-Ebenen-Modell von Nutbeam, mit dem Ziel aus der individuellen Perspektive die Public Health Ebene zu erreichen, erarbeitete Sorensen ein Modell von HL, um eine umfassende, in der Wissenschaft integrierende Konzeption von HL zu er- möglichen. Die funktionale HL meint fundamentale Fähig- und Fertigkeiten eines Indi- viduums, gesundheitsbezogene Informationen und Instruktionen zu beziehen, verstehen, bewerten und anzuwenden um als Patient agieren zu können. Dies beeinflusst Wissen, Motivation und Kompetenzen eines Menschen, Informationen eigenständig zu bezie- hen, zu verstehen, zu bewerten und anzuwenden. Sie setzt interaktive Fähig- und Fer- tigkeiten voraus. Hier werden Entscheidungen im alltäglichen Leben bezüglich Krank- heitsprävention und der Gesundheitsförderung getroffen. Vier Dimensionen werden jeweils zu Gesundheit, (Krankheits)prävention und Gesundheitsförderung beschrieben.

Fähig- und Fertigkeiten ermöglichen es bezüglich der eigenen Gesundheit gesundheits- relevante Informationen zu beziehen, diese zu verstehen, zu interpretieren und zu evalu- ieren, um fundierte Entscheidungen zu treffen.

Jene vier Dimensionen beziehen sich in der Prävention auf Fähig- und Fertigkeiten, bezüglich der Risikofaktoren.

Innerhalb der Gesundheitsförderung beziehen sich diese auf Fähig- und Fertigkeiten, auf dem neusten Stand der Informationen hinsichtlich der beeinflussenden Determinan- ten der Gesundheit zu sein.

Das Individuum und Angebote der Gesundheitsleistungen stehen in Wechselwirkung miteinander. Ziel auf systemischer Ebene ist das sogenannte empowerment, oder die Bevollmächtigung des Einzelnen. Das Individuum soll größtmögliche Autonomie in Erhaltung und Förderung der eigenen Gesundheit erhalten. Die HL einer Bevölkerung ist nicht nur von individuellen Voraussetzungen und erworbenen Kompetenzen abhän- gig, sondern hängt wesentlich von der Verfügbarkeit bereitgestellter Informationen und deren fachlichen Qualität ab. Die HL resultiert somit aus gelungener Aneignung auf der Basis individueller und systembedingter Leistungen [6].

Sorensen definiert HL als Äkognitive und soziale Fähig- und Fertigkeiten eines Men- schen, welche Wissen und Motivation beeinflusst, Informationen bezüglich der eigenen Gesundheit zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, um im Alltag in gesundheitsrelevanten Bereichen, Entscheidungen in Prävention und Gesundheitsförde- rung treffen zu können³ [5].

Aus Sicht von Public Health, stellt sich in HL der Grad dar, indem eine Bevölkerungs- gruppe über Fertig- und Fähigkeiten verfügt, vernünftige Entscheidungen bezüglich der Gesundheit für das alltägliche Leben, zu Hause, wie auf politischer Ebene zu treffen, die dem Menschen und der Gemeinschaft zugutekommen. Individuen mit einer adäqua- ten HL, sind fähig in einen offenen Dialog mit dem sozialen Umfeld hinsichtlich kultu- reller Überzeugungen, Gesundheit, Prävention, etc. einzutreten [5, 7].

1.3 Einflussfaktoren

Auf individueller Ebene beeinflussen Alter, Geschlecht, Ethnie, sozioökonomischer Status, Bildung, Beruf, Einkommen und Literacy die Gesundheitskompetenz. Auf sys- temischer Ebene assoziieren demographische Situation, Kultur, Sprache, politische Si- tuation, und umweltbedingte Determinanten mit dem Grad der Gesundheitskompetenz [5]. Situative Determinanten wie Mediengebrauch, soziale- und familiäre Unterstützung sind ebenso Einflussfaktoren. Ebenso wird sie von äußeren Bedingungen, wie dem So- zialisationsprozess oder dem Gesundheitssystem beeinflusst [5]. Insgesamt beeinflusst die HL das gesundheitsbezogene Verhalten und den Gebrauch gesundheitsbezogener Leistungen. Das Ergebnis beeinflusst sowohl die gesundheitsbezogenen Outcomes, als auch die entstehenden Kosten für das Gesundheitssystem [5].

1.4 HL in Deutschland und Europa

Eine empirische, möglichst repräsentative Datenerfassung zu HL in Europa erfolgte durch Sorensen und Kollegen (2015). Diese versuchten im Rahmen einer Querschnitts- studie des European HL Surveys (HLS-EU) die HL-Prävalenz der Bevölkerung empi- risch zu beleuchten [8]. Die Datenerhebung erfolgte mittels computergestützter Inter- views (47 Items), wie auch in Erfassung soziodemographischer Daten. Hierbei wurden acht europäische Länder inkludiert (n=7795), wobei sich Deutschland nur mit dem Bundesland Nordrhein-Westfalen (n=1045) beteiligte. Dies zeigt das zurückhaltende Auftreten Deutschlands in Bezug zum Forschungsfeld von HL. Zwar liegen bereits em- pirische Daten der Literacy Fähigkeiten der Bevölkerung vor, jedoch befindet sich die Forschung der gesundheitsbezogenen Literacy noch am Anfang. Die HL unterschied sich unter den Ländern. Hierbei hatten Subgruppen, welche einen niedrigen sozialen Status, eine finanzielle Deprivation, einen niedrigen Bildungsgrad oder Hochbetagte ein höheres Risiko für eine problematische HL.

Neben der durchgeführten Studie zur Beschreibung der Verteilung von Gesundheits- kompetenz in der Erwachsenenbevölkerung Deutschlands ÄGesundheit in Deutschland aktuell³ (GEDA), fördert das Bundesministerium der Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) an der Universität Bielefeld die Datenerhebung zur Gesundheitskompetenz der deutschen Bevölkerung mit dem Ziel, die für Deutschland bestehende Datenlücke zu schließen [9]. Daten spielen eine zentrale Rolle, um vor allem Bedarfe aufzudecken und diese mittels adäquater Ansätze/ Methoden und Verbesserungen abdecken zu können. Mithilfe einer Querschnittsstudie erfolgte erstmals eine repräsentative Erhebung zur Prävalenz von HL in Deutschland. Hierbei wurde methodisch an den international viel- fach erprobten Fragebogen HLS-EU-Q47 angelehnt, womit eine direkte Einordnung deutscher Daten im europäischen Kontext möglich ist. Diese wurden um soziodemogra- phische Determinanten ergänzt (Alter, Bildungsniveau, Versichertenstatus, Sozialstatus, Migrationshintergrund, funktionale HL). Erkennbar in der Studie ist, dass sich insge- samt mehr als die Hälfte der Teilnehmer vor der Herausforderung sieht, gesundheitsre- levante Informationen zu finden, zu verstehen, einzuordnen sowie zu nutzen und einzu- schätzen.

Das in der deutschen Studie gemessene HL-Niveau fällt im Vergleich zur europäischen Studie deutlich schlechter aus. Ein problematisches oder inadäquates HL-Niveau fällt bei mehr als 50% der Teilnehmer auf. Der Wert verschlechterte sich in der deutschen Studie um acht Prozent im Vergleich zu Nordrhein-Westfalen [9].

Des Weiteren weist die Studie auf soziale Ungleichheiten zwischen den Bevölkerungs- gruppen hin. Ein mangelndes HL-Niveau weisen Menschen mit Migrationshintergrund, niedrigem Bildungsniveau, chronischer Krankheit, höherem Lebensalter und niedrigem Sozialstatus auf. Solche werden als vulnerable Gruppen bezeichnet.

1.5 Bedeutung bei Migranten

Der Begriff ÄMigrationshintergrund³ subsumiert sowohl Personen mit eigener Migrati- onserfahrung als auch Nachkommen von Zugewanderten [10]. Mit der hohen Anzahl an Zuwanderungen in Deutschland seit 2015 [11] steigt die ethnische Diversität. Studien belegen den Migrantenstatus als Risikofaktor für eine adäquate HL [9, 16]. Eine schlechte HL resultiert in schlechten gesundheitlichen Outcomes und steigert die Kos- ten für das Gesundheitssystem, aufgrund einer folglich, weniger gesunden Bevölkerung [5]. Durch eine verminderte Nutzung an Primärversorgung durch den Hausarzt bleiben Bedarfe unentdeckt und es kommt zur häufigeren, tertiären Versorgung (Hospitalisie- rung). Wie in der Studie HLS-GER ersichtlich, wird Menschen mit Migrationshinter- grund eine besonders große Schwierigkeit im Umgang mit gesundheitsbezogenen In- formationen zugeschrieben. Ursachen seien demnach häufig Sprachbarrieren, fehlende Kenntnisse über das Gesundheitssystem in Deutschland oder ein niedriges Bildungsni- veau [9]. In der Gesamtstichprobe (n=1946) wurde das HL-Niveau nach Migrationshin- tergrund, Bildungsstatus und chronischer Erkrankung gemessen. Auffallend ist ein ho- hes inadäquates HL-Niveau bei Menschen mit Migrationshintergrund (6,2% häufiger als bei Menschen ohne Migrationshintergrund). Zudem ist ein ÄAltersgefälle³ erkenn- bar. Dies zeigt sich anhand des Anstiegs des inadäquaten Niveaus von der jüngsten bis zur ältesten Altersgruppe um 8,4%. Somit stehen soziodemographische Faktoren wie Alter, Bildungsstand, Migrationshintergrund und Sozialstatus mit dem HL-Niveau im Zusammenhang. Ebenso in der HLS-GER Studie belegt war die schlechte Nutzung pri- mär- und sekundärpräventiver Maßnahmen durch Migranten und Migrantinnen [9]. Das läge vor allem an sprachlichen und kulturellen Hürden.

Studien aus Einwanderungsländern wie den USA, Niederlanden oder Kanada weisen auf Unterschiede in der Versorgung zwischen Migrantinnen und nicht Migrantinnen hin [12]. Durchgeführte Untersuchungen in Skandinavien [1] und Großbritannien [13] zei- gen, dass sich die mit Migration und/ oder Zugehörigkeit einer ethnischen Minderheit verbundenen ungünstigen sozioökonomischen Umstände deutlich steigern. Hierzu wer- den Mängel in der geburtshilflichen Betreuung, Kommunikationsstörungen, etc. das Risiko einer perinatalen Mortalität, die Frühgeburtenrate oder operative Entbindungen gezählt [1, 13, 14]. Insgesamt liegen in Deutschland wenige, aktuelle Studien zum Ein- fluss des Migrationshintergrunds auf geburtshilfliche Outcomes vor. Erste Studien zu geburtshilflichen Aspekten in Deutschland wurden auf Grundlage der in den 1970er Jahre durchgeführten, Perinataldatenerhebungen erhoben. Bei älteren, durchgeführten Studien in Deutschland handelt es sich meist um Frauen mit eigener Migrationserfah- rung. Heute ist festzuhalten, dass sich das Migrationsgeschehen im Laufe der Jahrzehnte deutlich verändert hat [15]. Sowohl die ethnische Zusammensetzung, als auch die Auf- enthaltsdauer und der damit möglicherweise verbundene Akkulturationsgrad haben an Diversität zugenommen [15]. Perinataldaten zeigten, dass Qualitätsparameter der ma- ternalen und neonatalen Mortalität zwischen türkischen Migrantinnen und Frauen ohne Migrationshintergrund inzwischen sehr ähnlich sind [15]. Die Berliner Perinatalstudie [15] verzeichnete einen soziodemographischen Gradienten zwischen Migrantinnen und Frauen ohne Migrationshintergrund. Ein ähnliches Inanspruchnahmeverhalten der Vor- sorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft war zu verzeichnen. Ebenso zeigte der Zeitpunkt der ersten Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchung im Vergleich zu den ersten Perinataldaten keine wesentlichen Unterschiede mehr. Bei Migrantinnen mit ge- ringen Deutschkenntnissen und unsicherem Aufenthaltsstatus zeichnete sich das Risiko einer Unterversorgung der gynäkologischen Vorsorge durch eine viel geringere medizi- nische Inanspruchnahme ab [15]. Barrieren erschweren hier oft den Zugang, die an an- derer Stelle dieser Arbeit genauer betrachtet werden. Weiter zeigte die Studie auf, dass Frauen ohne Migrationshintergrund Geburtsvorbereitungskurse und die Vor- und Nach- sorge durch Hebammen deutlich häufiger nutzen, als vor allem Frauen mit Migrations- erfahrung.

1.6 Relevanz der maternalen HL

Eine adäquate HL ist mit bewusstem, präventivem und gesundheitsförderlichem Verhal- ten wie gesunde Ernährung, Substitution von Folsäure, Alkohol- und Tabakabstinenz, Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen und komplettem Impfstatus assoziiert [16]. Ne- ben dem Alter und dem sozioökonomischem Status, hängt das Verhalten auch mit dem Migrationsstatus zusammen. So zeigen die gewonnenen Ergebnisse der KiGGs Studie (Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland) auf Basis von Selbsteinschätzungen der Befragten, dass Schwangere mit niedrigem Sozialstatus und sehr junge Mütter (<19 Jahre) rauchten und ein vermindertes Stillverhalten aufwiesen [16, 17].

Studien untersuchten den Zusammenhang der maternalen HL auf das neonatale Outco- me [4, 18], beispielsweise in einer intrauterinen Wachstumsretardierung bei mangelnder HL [19]. Eine problematische HL resultiert in schlechten maternalen und neonatalen Outcomes. Frauen mit einer adäquaten HL tendieren dazu, gesundheitsrelevante Infor- mationen zu beziehen. Eine Assoziation von HL wurde hinsichtlich des geburtshilfli- chen Wissens festgestellt [4]. Diese zeigte Auswirkungen auf das Verhalten der Frauen hinsichtlich der präventiven Einnahme von Vitaminpräparaten und des postnatalen Stil- lens gezeigt [20]. Wenn eine ungenügende HL mit schlechten, gesundheitlichen Out- comes [4] sowie einer geringeren Nutzung medizinischer Einrichtungen assoziiert ist, besteht folglich die Gefahr, dass Schwangerschaftsrisiken, wie vaginale Blutungen, Kopfschmerzen mit gestörtem Sehempfinden oder Unterbauchschmerzen, missverstan- den oder gar verschwiegen werden. Die Kompetenz Schwangerer, die für sie relevanten Informationen zu beziehen, verstehen und anzuwenden nimmt hier also eine hohe Rele- vanz ein.

1.7 Herausforderungen

Robertshaw und Kollegen untersuchten 2015 in einem systematischen Review Fakto- ren, welche die Tätigkeit der Gesundheitsberufe im Umgang mit Asylsuchenden beein- flussten [21]. Sprachbarrieren, einschließlich des medizinischen Fachjargons, [21±23] werden in Studien als deutliche Herausforderung im Umgang mit Flüchtlingen und Asylsuchenden, innerhalb medizinischer Behandlungen, beschrieben. Im Zusammen- hang mit einer problematischen HL resultiert dies in einer schlechten Versorgungsquali- tät und Risiken hinsichtlich der Patientensicherheit [5]. Insgesamt zeigt die Berliner Perinatalstudie Risiken einer möglichen Unterversorgung in der Schwangerschaft neu zugewanderter Frauen, welche über nur geringe oder keine Deutschkenntnisse verfügen [15]. Dolmetscher, vor allem solche, die die Fachsprache beherrschten, stellten in ver- schiedenen Studien demnach eine große Hilfe dar [21]. Dies beanspruche jedoch zeitli- ϭϮ che und finanzielle Ressourcen. Bei Unerreichbarkeit qualifizierter Übersetzer, bestand die Gefahr einer inkorrekten Übersetzung durch z.B. Familienangehörige. Aus der Public Health Perspektive stellen Kommunikationsprobleme ernsthafte Limitationen bezüglich des Zugangs zum Gesundheitssystem und gesundheitsrelevanten Informatio- nen dar. Ethnische Gruppen unterscheiden sich in ihrem Erleben von Gesundheit und Krankheit, in der Symptomdarstellung, in ihren Annahmen über die Ursachen von Er- krankungen und in der Erfahrung von Schmerz und wie sie diesen Schmerz kommuni- zieren [22]. Ebenso zu berücksichtigen sind Erwartungen gegenüber Ärzten, Helfern und Therapeuten und in Bezug auf die Behandlung, welche sie erhoffen. Medizinisch- naturwissenschaftliche Konzepte können neben traditionellen und religiösen Sichtwei- sen diese Erwartungshaltung beeinflussen. Im kulturellen Verständnis entstehen Diffe- renzen in Entscheidungsfindung, Geschlechterrollen, sozialer Tabuisierung [22] und zeitlichen Orientierungen [21]. Eine vollumfassende, körperliche Untersuchung kann aufgrund genannter Probleme oftmals nicht durchgeführt werden. Asylsuchende und Flüchtlinge sind aufgrund ihres sozioökonomischen Status anfälliger für Risikofaktoren und somatische Erkrankungen [24]. Aufgrund gesetzlicher Regelungen zeigen sich be- stimmte Therapieverfahren oft als nicht durchführbar. Gesundheitsversorger berichteten über Konflikte, als Anwalt für Patienten dieser Population zu fungieren und andererseits die sich ständig ändernden, gesetzlichen Regelungen zu befolgen [21].

1.8 Mutterschaftsrichtlinien

Die Schwangerenvorsorge gehört zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenver- sorgung [25]. Mutterschaftsrichtlinien legen die von den Gynäkologen und Gynäkolo- ginnen durchzuführenden Leistungen in zeitlicher Abfolge fest. Ziel der Schwangeren- vorsorge ist, Risikofaktoren frühzeitig zu erkennen, eine bestmögliche Versorgung von Schwangeren und Risikoschwangeren zu ermöglichen und die maternale und neonatale Morbidität zu senken. Die Dokumentation über den Schwangerschaftsverlauf erfolgt über den Mutterpass. Die Schwangerenversorgung ist durch eine regelmäßige Vorsorge und eine fortschreitende Ausweitung pränatal diagnostischer Maßnahmen gekennzeich- net. Demnach ist die Untersuchung des Gewichts und des Blutdrucks alle vier Wochen durchzuführen. Drei Ultraschalluntersuchungen werden von der gesetzlichen Kranken- versicherung finanziell übernommen und werden in folgenden Schwangerschaftswo- chen (SSW) angeboten:

- 8+0 bis 11+6 SSW (1. Screening)
- 18+0 bis 21+6 SSW (2. Screening)
- 28+0 bis 31+6 SSW (3. Screening)

[...]

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Health Literacy bei Schwangeren und Wöchnerinnen im Asylverfahren
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
1,8
Autor
Jahr
2017
Seiten
31
Katalognummer
V506075
ISBN (eBook)
9783346074270
ISBN (Buch)
9783346074287
Sprache
Deutsch
Schlagworte
#HealthLiteracy #Public Health #Interview
Arbeit zitieren
Helene Schreiber (Autor:in), 2017, Health Literacy bei Schwangeren und Wöchnerinnen im Asylverfahren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/506075

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