Wie können technische Assistenzsysteme die ambulante Krankenpflege verbessern? Potentiale und Herausforderungen im Pflegealltag


Fachbuch, 2020

66 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Der demografische Wandel
2.1 Determinanten des demografischen Wandels
2.2 Der Pflegebedürftigkeitsbegriff
2.3 Der demografische Wandel in der ambulanten Krankenpflege

3 Digitalisierung und Technisierung im Gesundheitswesen
3.1 Der Digitalisierungsgrad des Gesundheitswesens im Branchenvergleich
3.2 Digitalisierung in der (ambulanten) Pflege

4 Die Technologien der Digitalisierung
4.1 Elektronische Pflegedokumentation
4.2 Telecare
4.3 Robotik
4.4 Technische Assistenzsysteme

5 Technische Assistenzsysteme in der Anwendung
5.1 Zielgruppen technischer Assistenzsysteme: Charakteristika und Bedürfnisse
5.2 Konkrete Anwendungsbeispiele technischer Assistenzsysteme

6 Potentiale der Implementierung technischer Assistenzsysteme
6.1 Potentiale technischer Assistenzsysteme auf der individuellen Ebene
6.2 Potentiale technischer Assistenzsysteme auf der systemischen Ebene

7 Herausforderungen der Implementierung technischer Assistenzsysteme
7.1 Verhältnis von Technik und Pflege
7.2 Herausforderungen durch die Anforderungen der NutzerInnen
7.3 Herausforderungen durch das Gesundheitssystem

8 Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

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Impressum:

Copyright © Social Plus 2020

Ein Imprint der GRIN Publishing GmbH, München

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Abstract

Die Einwohnerzahl Deutschlands nimmt langfristig ab, wohingegen der Anteil an Menschen über 60 Jahre kontinuierlich wächst. Die Altersstruktur der deutschen Bevölkerung erhöht sich somit immer weiter. Der demografische Wandel stellt auch die nationale Gesundheitspolitik vor multiple Herausforderungen. Die Frage, ob die professionelle Pflege in Zukunft in der Lage sein wird, die 3,41 Millionen pflegebedürftigen Menschen angemessen zu versorgen, stellt sich automatisch. Schon jetzt werden mehr als zwei Drittel aller Pflegebedürftigen zu Hause versorgt. Gleichzeitig dringt der Trend der Digitalisierung unaufhaltsam in alle Wirtschaftsbereiche vor. Der Gesundheitssektor gilt im Branchenvergleich jedoch als Schlusslicht der Digitalisierungswelle. In dieser Arbeit geht es deshalb darum, zu analysieren, ob technische Assistenzsysteme in der ambulanten Pflege dazu beitragen können, Lösungen für die strukturellen Veränderungen, die der demografische Wandel in Form einer alternden Gesellschaft mit sich bringt, zu finden. Zur Durchführung dieser Analyse werden, nach einer ausführlichen Einführung in die Problemstellung, die Potentiale technischer Assistenzsysteme den zu bewältigen Herausforderungen gegenübergestellt, um die Forschungsfrage hinreichend zu beantworten. Eine Übersicht und Bewertung aktueller Literatur liegt den verwendeten Quellen zugrunde. Die Ergebnisse dieser Literaturrecherche zeigen, dass Technik aus der ambulanten Pflege schon nicht mehr wegzudenken ist und dass sie enorme Potentiale mit sich bringt, dem Pflegenotstand im Zuge des demografischen Wandels entgegenzuwirken. Jedoch müssen bei der Technikentwicklung viele Aspekte bedacht werden und der Mensch als Mittelpunkt der Pflege darf nie aus dem Blickfeld geraten.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Digitalisierungsgrad der Wirtschaftsbranchen

Abbildung 2: Qualitätskriterien technischer Systeme aus der NutzerInnenperspektive

Abbildung 3: Anstieg der Pflegebedürftigen von 1999 bis 2017

Abbildung 4: Pflegebedrüftige und ihre Pflegestufen

Abbildung 5: Zuordnung der Assistenzsysteme

1 Einleitung

Der demografische Wandel in Form einer immer älter werdenden Gesellschaft schreitet in Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedsstaaten mit am schnellsten voran (Haustein et al. 2016: 6). Die Einwohnerzahl Deutschlands nimmt langfristig ab, wohingegen der Anteil an Menschen über 60 Jahre aufgrund verschiedener Faktoren kontinuierlich wächst. Das bringt einige Herausforderungen an das nationale Gesundheitssystem mit sich. Durch den Anstieg der durchschnittlichen Lebensdauer nimmt die Menge und Varietät altersbedingter Erkrankungen stetig zu. Infolgedessen wächst der Anteil an Menschen in unserer Gesellschaft, die auf stetige Hilfe in ihrem Alltag angewiesen sind (vgl. Nagel 2017). Im Jahr 2017 waren 3,41 Millionen Menschen im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes als pflegebedürftig einzustufen, mehr als zwei Drittel von ihnen wurden zu Hause versorgt (Statistisches Bundesamt 2018: 16). Gleichzeitig herrscht ein Mangel an ausgebildeten Pflegefachkräften und die aktuell praktizierenden Pflegekräfte werden immer älter. Somit sind pflegebedürftige Menschen im ambulanten Bereich immer mehr auf informelle Pflegekräfte (Angehörige, Freunde, Nachbarn) angewiesen, die aber durch diese Tätigkeit oft Schaden an ihrer physischen und psychischen Gesundheit nehmen (Rashidi & Mihailidis 2013: 579). Im Zuge dieses Problems kommt der Digitalisierung im ambulanten Pflegebereich eine immer größer werdende Bedeutung zu. Die Relevanz des Bedarfs der Unterstützung durch technische Assistenzsysteme für alle am Pflegeprozess Beteiligten ist daher nicht mehr zu ignorieren. Die Integration von technischen Assistenzsystemen ins häusliche Umfeld bietet Pflegebedürftigen die Möglichkeit, trotz ihrer Einschränkungen, ein selbstständiges Leben in gewohnter Umgebung zu führen und entlastet (in)formell Pflegende.

Diese Arbeit beschäftigt sich aufgrund der oben beschriebenen Problematik mit den Potentialen und Herausforderungen technischer Assistenzsysteme in der ambulanten Krankenpflege. Konkret lautet die Fragestellung: Wie können die Potentiale technischer Assistenzsysteme genutzt werden, um die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft im Rahmen der ambulanten Krankenpflege zu bewältigen? Die Fragestellung wird anhand einer Übersicht und Bewertung aktueller Literatur beantwortet. Die These ist, dass technische Assistenzsysteme einen entscheidenden Beitrag zur Abschwächung der negativen Folgen des demografischen Wandels im Bereich der ambulanten Pflege leisten können, wenn es gelingt, Technik sinnvoll und nachhaltig in den Pflegealltag zu integrieren.

Aspekte wie die Akzeptanz und Einbindung der Nutzenden, die Finanzierung technischer Systeme und auch der Datenschutz spielen bei der Entwicklung neuer Technologien eine entscheidende Rolle.

Die Arbeit gibt zu Beginn eine kurze Erläuterung der Determinanten des demografischen Wandels, woraufhin dann die daraus entstehenden Problematiken in der ambulanten Krankenpflege beschrieben werden. Zum Verständnis dieser Arbeit ist es wichtig, aufzuzeigen, welche verschiedenen Facetten die Digitalisierung der Pflege in Deutschland beinhaltet und auf welchem Stand sie sich im Vergleich mit anderen Branchen befindet. Wenn das geklärt ist, soll die historische Betrachtung der Entwicklung technischer Assistenzsysteme in der Pflege zeigen, dass ihr Einsatz zwar nichts Neues ist, dass jedoch durch die fortschreitende Digitalisierung, im Rahmen der sogenannten ‚Pflege 4.0‘, ganze Arbeitsprozesse neu strukturiert werden. Anschließend wird das breite Feld technischer Assistenzsysteme mit Hilfe verschiedener Klassifizierungsansätze dargestellt. Der Abschnitt, der sich mit technischen Assistenzsystemen in der Anwendung beschäftigt, dient dazu, eine Vorstellung darüber zu vermitteln, welche Systeme gemeint sind, wenn dann anschließend im zentralen Teil die Potentiale und Herausforderungen der Entwicklung technischer Assistenzsysteme dargestellt und gegeneinander abgewogen werden. Anschließend an diese beiden Kapitel wird im Fazit dann die Fragestellung beantwortet, ein Ausblick gegeben und Handlungsempfehlungen abgeleitet. Die Ergebnisse werden diskutiert und die Fragestellung bestmöglich beantwortet und in den Gesamtkontext des demografischen Wandels eingeordnet.

2 Der demografische Wandel

Der Begriff ‚Demografie‘ kommt aus dem Griechischen und wird wörtlich übersetzt mit ‚Volksbeschreibung‘. Heutzutage beschäftigen sich Demografen mit dem gegenwärtigen und vergangenen Zustand einer Bevölkerung und ziehen daraus Schlüsse für die Zukunft (Thurich 2011: 16). Der demografische Wandel beschreibt also die Veränderungen der Bevölkerungszusammensetzung eines Landes über die Zeit. Anhand von Kennziffern wird der Einfluss bestimmter Faktoren auf die Veränderung von Struktur und Umfang der Bevölkerung dargestellt. Hierbei lassen sich die drei wesentlichen Determinanten Migration, Fertilität und Mortalität ausmachen (Kühn 2017, o.S.), deren Veränderung über die Zeit auch den demografischen Wandel prägt.

2.1 Determinanten des demografischen Wandels

Die Migration beschreibt die räumliche Bevölkerungsveränderung durch Zu- oder Abwanderung (Immigration/Emigration). Die Differenz dieser beiden Kennzahlen bildet den Migrationssaldo. 2018 kam es in Deutschland zu ca. 1,6 Millionen Zuzügen und ca. 1,2 Millionen Fortzügen, also einem Migrationssaldo von ca. 400.000 (Statistisches Bundesamt 2019d, o.S.) Ein positiver Migrationssaldo hat häufig einen verjüngenden Einfluss auf die Altersstruktur und einen positiven auf die Erwerbstätigkeit eines Landes (bpb 2019, o.S.),

Die Fertilität beschreibt die Fruchtbarkeit einer Bevölkerung anhand der Kennziffer der Nettoreproduktionsrate. Konkret zeigt diese Zahl, wie viele Kinder eine Frau in der entsprechenden Gesellschaft im Laufe ihres Lebens bekommen würde, wenn ihr Geburtenverhalten so wäre, wie das Durchschnittliche aller Frauen im Alter von 15 bis 49 im jeweils betrachteten Jahr. Um die Einwohnerzahl konstant zu halten, sollte die Nettoreproduktionsrate im Schnitt bei 2,1 Kindern pro Frau liegen (Kühn 2017, o.S.). Nachdem sie seit 2009 von 1,36 kontinuierlich auf 1,59 angestiegen war, sank diese Kennziffer in Deutschland im Jahr 2017 erstmalig wieder, und lag somit bei 1,57 (Statistisches Bundesamt 2019c, o.S.). Diese Fertilitätsrate bedeutet, dass in jeder neuen Generation weniger potentielle Mütter geboren werden, als in der vorherigen.

Die Mortalität ist der letzte und besonders prägende Einflussfaktor auf die Bevölkerungsentwicklung und zeigt sich in der Lebenserwartung. Dem Bericht des statistischen Bundesamtes über ältere Menschen in Deutschland ist zu entnehmen, dass sich die Lebenserwartung seit Ende des 19. Jahrhunderts fast verdoppelt hat und somit mittlerweile bei 78 Jahren für Männer und 83 Jahren für Frauen liegt. Dieser Abstand zwischen den Geschlechtern wird sich in Zukunft weiter verringern. Gleichzeitig ist ein stetiger Anstieg der ‚ferneren Lebenserwartung‘, also der Generation 60 plus, zu verzeichnen (Haustein et al. 2016: 44). Das führt dazu, dass der Anteil hochaltriger Menschen in Deutschland seit längerem stark ansteigt. 27 Prozent der Bevölkerung waren im Jahr 2014 schon 60 Jahre oder älter, 11 Prozent sogar über 75 Jahre. Auffällig ist der größere Anteil an Frauen in den hohen Altersklassen, bei den 90- bis 99-Jährigen liegt er bei 78 Prozent. (Haustein et al. 2016: 10). Höpflinger beschreibt diesen Effekt als ‚Feminisierung des Alters‘ und begründet ihn anhand tiefverankerter soziokultureller Aspekte (Höpflinger 2019: 2 ff.). Die stetig steigende Lebenserwartung lässt sich vor allem auf eine bessere gesundheitliche Versorgung und den rasanten medizinischen Fortschritt zurückführen, wodurch besseres Wissen über Krankheitsursachen, sowie deren Präventionsmöglichkeiten verfügbar geworden ist. Ein weiterer Faktor ist zudem die gesunkene gesundheitliche Belastung durch schlechte Arbeits- und Lebensbedingungen (Kühn 2017, o.S.).

Zur Beantwortung der Frage, ob sich der Trend der alternden Bevölkerung in den kommenden Jahrzehnten fortsetzen wird, veröffentlicht das Statistische Bundesamt regelmäßig koordinierte Bevölkerungsvorausberechnungen. Diese Arbeit basiert auf der vierzehnten Ausgabe, welche im Juni 2019 erschienen ist. Um der Unsicherheit hinsichtlich der Entwicklung der oben beschriebenen Determinanten gerecht zu werden und auch zur Sensitivitätsanalyse, werden verschiedene Szenarien der Bevölkerungsentwicklung angenommen. Als Kernelement des gesamten Rechnungssystems zur Vorausberechnung zeigen neun Hauptvarianten die Spannbreite der möglichen Entwicklungen auf. Diese Varianten sind keine Prognosen, sondern nur ‚Wenn-Dann-Aussagen‘. Je nach Variante wird die Zahl der Menschen im Erwerbsalter zwischen 20 und 66 Jahren voraussichtlich bis 2035 um vier bis sechs Millionen abnehmen und bis 2060 sogar um sechs bis zwölf Millionen. Durch einen zeitgleichen Anstieg des Anteils der über 80-Jährigen, wäre jeder zehnte Deutsche in dreißig Jahren mindestens 80 Jahre alt. Der Einfachheit halber wird im Folgenden nur die als am wahrscheinlichsten eingestufte Variante (G2-L2-W2: Moderate Entwicklung der Determinanten) betrachtet. Bei dieser Variante wird eine konstante Fertilitätsrate von 1,55 angenommen. Zudem geht man von einem kontinuierlichen Anstieg der Lebenserwartung bei Geburt auf 84,4 Jahre für Männer und 88,1 Jahre für Frauen bis 2060 und einem durchschnittlichen Migrationssaldo von 221.000 aus. Unter diesen Voraussetzungen wird der Anteil von Menschen, die älter als 67 Jahre sind von aktuell etwa 19 Prozent auf voraussichtlich etwa 22,8 Prozent bis 2030 und sogar 26,3 Prozent bis 2050 ansteigen (Statistisches Bundesamt 2019b, o.S.). Ländliche Regionen werden von dieser Veränderung der Altersstruktur besonders betroffen sein und solche im Osten Deutschlands noch einmal stärker als im Westen (Statistisches Bundesamt 2019a, o.S.).

Nach der genauen Betrachtung der Einflussfaktoren auf den demografischen Wandel in Deutschland, lässt sich schlussfolgern, dass ein Anstieg der Lebenserwartung und somit ein Anstieg des Anteils der hochbetagten Menschen in der Bevölkerung nicht zu bezweifeln ist. Die oben aufgeführten demografischen Entwicklungen werden das Gesundheitssystem und somit auch die ambulante Pflege vor die Herausforderung stellen, eine angemessene Versorgung für die alternde Bevölkerung sicherzustellen.

2.2 Der Pflegebedürftigkeitsbegriff

Bevor der demografische Wandel in der ambulanten Pflege erläutert wird, ist es wichtig zu verstehen, wie festgelegt wird, zu welchem Grad ein Mensch pflegebedürftig ist. Das erleichtert später das Verständnis der Bedürfnisse der potentiellen Zielgruppen. Der Pflegebedürftigkeitsbegriff ist seit dem 01.01.2017 neu definiert und genauer unterteilt worden. Im Rahmen des zweiten Pflegestärkungsgesetzes kam es zur Aufstockung von drei auf fünf Pflegegraden und der Einführung von sechs Modulen, die zur Bewertung der Pflegebedürftigkeit dienen sollen. Diese Module mit ihrer jeweiligen prozentualen Gewichtung innerhalb des Bewertungssystems sind ‚Mobilität‘ (10 Prozent), ‚geistige und kommunikative Fähigkeiten‘ sowie ‚Verhaltensweisen und psychische Problemlagen‘ (gemeinsam 15 Prozent), ‚Selbstversorgung‘ (40 Prozent), ein ‚selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen‘ (20 Prozent) und letztlich die ‚Gestaltung des Alltagslebens und der sozialen Kontakte‘ (15 Prozent). Daraus resultiert ein Punktesystem von 0 bis 100, welches am Ende zur begründeten Einstufung in einen der fünf Pflegegrade führt. Der Pflegegrad orientiert sich demnach an der Schwere der Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder anderer Fähigkeiten und reicht von einer geringen über erhebliche, schwere und schwerste Beeinträchtigung bis zur zusätzlichen Bemerkung, dass „besondere Anforderungen an die pflegerische Versorgung“ notwendig sind, was in einer Einstufung in den Pflegegrad 5 resultiert (BMJV 2017, o.S.).

Dass der Pflegebedürftigkeitsbegriff nun weiter gefasst wird als zuvor, liegt daran, dass seit Anfang des Jahres 2017 keine gesonderte Behandlung von körperlicher und geistiger Beeinträchtigung mehr stattfindet. Außerdem bewirkte die Gesetzesänderung, dass die Bewertung der Pflegebedürftigkeit jetzt losgelöst vom zeitlichen Hilfebedarf stattfinden kann, sodass bei jedem Menschen individuell die Eigenständigkeit im Alltag bewertet wird (BMG 2018c, o.S.).

2.3 Der demografische Wandel in der ambulanten Krankenpflege

Um die Herausforderungen, die der demografische Wandel an die ambulante Krankenpflege stellt, zu verstehen, muss zuerst einmal die aktuell vorherrschende Versorgungssituation in Deutschland genauer betrachtet werden. Laut statistischem Bundesamt existieren aktuell 14.050 ambulante Pflegedienste in Deutschland. Dem gegenüber stehen 14.480 Pflegeheime, 11.241 von ihnen mit vollstationärer Dauerpflege. Zu versorgen sind 3,41 Millionen Menschen, die im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI) als pflegebedürftig einzustufen sind (Stand 2017). Diese Zahl lag zwei Jahre zuvor noch bei 2,86 Millionen. Der starke Anstieg um etwa 19 Prozent lässt sich jedoch maßgeblich darauf zurückführen, dass der Pflegebedürftigkeitsbegriff, wie oben beschrieben, zu Beginn des Jahres 2017 neu definiert wurde. Wenn man um diesen Einfluss weiß, lässt sich ein kontinuierliches Wachstum der Zahl der Pflegebedürftigen aber dennoch nicht von der Hand weisen, denn auch in den 10 Jahren von 2005 bis 2015 stieg die Zahl der Pflegebedürftigen von 2,13 Millionen Menschen auf 2,86 Millionen um etwa 34 Prozent an (siehe Anhang). Der Anteil an Pflegebedürftigen, die zu Hause versorgt werden, liegt bei 76 Prozent oder in absoluten Zahlen bei 2,59 Millionen Menschen. 1,76 Millionen, also mehr als zwei Drittel von ihnen, werden durch Angehörige versorgt und nur 830.000 durch die ambulanten Pflegedienste. Der größte Anteil ist entweder dem Pflegegrad zwei (46 Prozent) oder drei (30 Prozent) zugeordnet (Anhang). Insgesamt waren 81 Prozent der zu Pflegenden schon älter als 65 Jahre und 55 Prozent sogar älter als 80 Jahre. Zudem sind 71 Prozent aller Deutschen über 90 Jahren auf pflegerische Unterstützung angewiesen (Statistisches Bundesamt 2018: 2ff.). All diese Faktoren weisen auf eine zunehmende Pflegebedürftigkeit im Alter hin. Insgesamt lässt sich also ein stetiger Anstieg der Zahl pflegebedürftiger Menschen in den letzten Jahrzehnten in Deutschland festhalten.

Diese Entwicklungen wirken sich auch auf die ambulante Krankenpflege aus. Der Trend hin zu einer immer älter werdenden Gesellschaft bedeutet einen Anstieg an altersbedingten Erkrankungen und somit auch, wie oben beschrieben, einen Anstieg der Pflegebedürftigkeit in der Gesellschaft (Nagel 2017: 252). Die Wahrscheinlichkeit, im Alter pflegebedürftig zu werden, wird beispielsweise durch eine Demenzerkrankung in etwa verdoppelt (Rothgang et al. 2017: 88). Die deutsche Alzheimergesellschaft prognostiziert einen Anstieg der Demenzprävalenz in Deutschland von aktuell 1,7 Millionen (Stand 2016) auf etwa 3 Millionen im Jahr 2050 (Bickel 2018: 1 ff.). Die Fortsetzung dieses Trends ist zu erwarten, wenn in Zukunft keine Heilmöglichkeiten der Krankheiten, die zur Pflegebedürftigkeit führen, gefunden werden. Außerdem ist zu bedenken, dass ein großer Anteil der Pflegebedürftigen aufgrund von Multimorbidität als pflegebedürftig gilt. Sie leiden dann an mehreren, sich wechselseitig beeinflussenden, Erkrankungen gleichzeitig. Das führt in den meisten Fällen zu komplexen Krankheitsverläufen. Erkrankungen, die am häufigsten zur Pflegebedürftigkeit führen sind psychisch degenerative Erkrankungen, Frakturen nach Unfällen, Hirngefäßerkrankungen, wie z.B. Schlaganfälle, Krankheiten des Skelett- und Bewegungsapparats und chronische Erkrankungen der inneren Organe. Außerdem kommt es bei älteren Pflegebedürftigen oft zu Überlagerungen von chronisch-degenerativen und psychischen Erkrankungen, womit starke kognitive Einschränkungen verbunden sind (Blüher et al. 2017: 5 f.).

Wenn also eine veränderte Altersstruktur dazu führt, dass immer mehr Menschen an altersbedingten Erkrankungen leiden und dadurch pflegebedürftig werden, dann braucht es auch immer mehr Pflegepersonal, um dies zu kompensieren. Jedoch lässt sich hier feststellen, dass es trotz ansteigender Zahl an Beschäftigten im ambulanten Pflegesektor zu großen Personallücken und damit einem enormen Fachkräftemangel kommen könnte (Nagel 2017: 252). Insgesamt arbeiten etwa 1,1 Millionen Beschäftigte in Pflegeberufen in Deutschland, was etwa 74 Prozent mehr sind als noch im Jahr 1999. In der Altenpflege, als stark wachsende Dienstleistungsbranche, stieg die Beschäftigtenzahl allein zwischen 2013 und 2015 um acht Prozent und auch die Zahl der Auszubildenden nimmt zu. Jedoch gibt es in der Pflege schon heute 25.000 bis 30.000 unbesetzte Stellen, was dazu führt, dass es in allen Pflegeberufen an qualifizierten Fachkräften mangelt. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass die Zahl der Pflegebedürftigen, wie oben beschrieben, so stark angestiegen ist und zum anderen darauf, dass sich auch die Altersstruktur des Pflegepersonals verändert (BMG 2018b, o.S.). 37 Prozent des Personals in der Altenpflege ist mittlerweile älter als 50 Jahre (GBE des Bundes 2018, o.S.). Prognosen, wie sich die Beschäftigtenzahl in den nächsten Jahren im ambulanten Sektor entwickeln wird, lassen sich nur schwer erstellen und sind von vielen Faktoren abhängig. Eine Studie des Statistischen Bundesamtes und des Bundesinstituts für Berufsbildung schätzt, dass bei konstanter Fortschreibung der Beschäftigungsstruktur bis 2025 bis zu 200.000 ausgebildete Pflegekräften fehlen könnten. Falls sich die Pflegefallwahrscheinlichkeit mit steigender Lebenserwartung ebenfalls ins höhere Lebensalter verschiebt, wäre immer noch ein Fachkräftemangeln von ca. 140.000 formellen Pflegekräften anzunehmen (BMG 2018b, o.S.). In jedem Fall wird es zu Personalengpässen in der Pflege kommen, für deren Eindämmung es Lösungsmöglichkeiten benötigt, denn ansonsten wird der Anteil an informellen Pflegekräften, also Angehörige und Freunde, die, wie oben beschrieben, schon heute zwei Drittel der Pflegebedürftigen versorgen, weiterhin steigen. Dies kann sowohl zur Minderung der Qualität der Pflege als auch zu starken seelischen und körperlichen Belastungen bei den informellen Pflegekräften selbst führen, was wiederum bedingt, dass die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen, auf die später in dieser Arbeit noch eingegangen wird, nicht mehr erfüllt werden können. Dies hätte einen erheblichen Einfluss auf die gesamte Wirtschaft, da durch die Angehörigenpflege enorme Arbeitsausfall-Kosten entstehen (Rashidi & Mihailidis 2013: 579 f.).

Die Frage, die sich aus der beschriebenen Problematik stellt, ist, ob es Möglichkeiten gibt, die Herausforderungen, die der demografische Wandel in Form einer alternden Gesellschaft mit sich bringt, anzugehen. Diese Arbeit wird deshalb in den folgenden Kapiteln untersuchen, ob und in welcher Form die Digitalisierung in Form technischer Assistenzsysteme einen Beitrag zur Bewältigung der Risiken des demografischen Wandels leisten kann und welche Herausforderungen dabei zu bewältigen sind.

3 Digitalisierung und Technisierung im Gesundheitswesen

Als die drei Stufen der industriellen Entwicklung können Mechanisierung, Massenfertigung und Automatisierung genannt werden. Seit etwa der Jahrtausendwende hat sich die Digitalisierung mittlerweile als vierte grundlegende Veränderung in der Produktionsweise bestätigt (Rösler et al. 2018: 6). Digitalisierung lässt sich verallgemeinert als die „Umwandlung analoger Informationen in digital gespeicherte und genutzte Informationen“ (Baierlein 2017: 1) beschreiben. Der Prozess der Digitalisierung ist untrennbar mit allen Wirtschaftsbranchen und Lebensbereichen verknüpft. Es existiert jedoch bisher keine einheitliche Definition des Begriffes. Klar ist aber, dass nicht nur technische Lösungen wie Geräte, Maschinen und Systeme gemeint sind, sondern dass die Digitalisierung auch zu einer Veränderung der Arbeitswelt insgesamt, sowie der darin enthaltenen Arbeitsprozesse, führt. Technisierung beschreibt hingegen spezifischer den Prozess der zunehmenden qualitativen und quantitativen Ausweitung von Technik in immer mehr Lebensbereiche. Jedoch ist auch wiederum umstritten, welche Dimensionen mit in die Definition des Begriffs ‚Technik‘ einbezogen werden sollen. Geräte und Maschinen, sowie auch technische Systeme und Prozesse, lassen sich genauso wie Kultur- oder Sozialtechniken oder auch einfach nur die Ausführung von Handlungen mit besonderen Fertigkeiten als Techniken bezeichnen (Friesacher 2010: 295 ff.).

3.1 Der Digitalisierungsgrad des Gesundheitswesens im Branchenvergleich

Der digitale Wandel verändert nicht nur einzelne Teilbereiche der Wirtschaft, sondern alle Branchen mit ihren interdisziplinären Wertschöpfungsketten. Da lohnt sich der Blick über den Tellerrand hinaus, um zu eruieren, wie stark digitalisiert das Gesundheitswesen im Vergleich mit anderen Sektoren ist.

Laut einer Studie der Prognos AG lag der Digitalisierungsgrad des Gesundheitswesens im Jahr 2015 bei nur 2,3 Prozent, während etwa die Hälfte der anderen Branchen einen Digitalisierungsanteil von um die 50 Prozent oder mehr aufweisen konnte. Ebenfalls unter 10 Prozent lagen sonst nur die Wirtschaftsbereiche ‚Heime und Sozialwesen‘, sowie ‚Häusliche Dienste‘. Zudem ist zu beobachten, dass das Gesundheitswesen sich im Zeitraum seit 1991 nur um etwa einen Prozentpunkt steigerte, während die meisten anderen Bereiche 25 bis 30 Prozentpunkte dazu gewannen (Prognos AG 2017: 13 ff.). Jedoch lassen sich an dieser Studie zwei Aspekte kritisieren. Zum einen haben der primäre Sektor (Urproduktion) und der sekundäre/industrielle Sektor (verarbeitendes Gewerbe), aufgrund der leichter zu digitalisierenden Prozesse generell deutlich stärkere Veränderungen des Digitalisierungsgrades im Vergleich zum tertiären-/Dienstleistungssektor, zu dem auch das Gesundheitswesen gehört. Zum anderen wurde der Grad der Digitalisierung bei dieser Studie anhand des Anteils digitaler Patente an der Vergabe aller Patente bewertet, wodurch nicht das gesamte Leistungsspektrum der Branchen mit einbezogen wurde. Somit könnten sich Verzerrungen ergeben (Baierlein 2017: 4 f.).

Der Monitoring Report Wirtschaft DIGITAL, der im Jahr 2017 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) erstellt wurde, verwendet eine andere Methode zur Bestimmung des Digitalisierungsgrades. Hier werden, basierend auf dem Digitalisierungsgrad und -tempo, unternehmensinterne Prozesse und die Nutzung neuer Technologien anhand von Indexpunkten auf einer Ordinalskala von Null (gar nicht digitalisiert) bis einhundert (komplett digitalisiert) bewertet (Abb. 1). Jedoch auch hier zeigt sich, dass das Gesundheitswesen mit 37 Indexpunkten das Schlusslicht bildet und als einzige Branche in der Kategorie ‚niedrig digitalisiert‘ einzustufen ist. Obwohl bis zum Jahr 2022 eine Steigerung um 5 Indexpunkt auf insgesamt 42 prognostiziert wird, ändert sich auch dadurch nichts an der Rolle des Gesundheitswesens als am geringsten digitalisierte Branche (Bertschek & Graumann 2017: 24).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Digitalisierungsgrad der Wirtschaftsbranchen (Bertschek & Graumann 2017: 24)

Es lässt sich schließen, dass die verschiedenen Studien trotz unterschiedlicher Untersuchungsmethoden zu dem Ergebnis kommen, dass das Gesundheitswesen die bisher am wenigsten digitalisierte Branche ist. Die Frage nach den Gründen für diese geringe Anpassungsfähigkeit an die fortschreitende Digitalisierung der Wirtschaft soll im Abschnitt über Herausforderungen der Technik-Implementierung beantwortet werden.

3.2 Digitalisierung in der (ambulanten) Pflege

In diesem Kapitel soll die historische Entwicklung der Digitalisierung und Technisierung im Pflegesektor komprimiert aufgezeigt werden, woraufhin die ‚Pflege 4.0‘ als Inbegriff für die Digitalisierung in der Pflege erläutert wird.

3.2.1 Digitalisierung und Technisierung in der Pflege aus historischer Perspektive

Die Pflegearbeit war schon immer von Menschlichkeit geprägt und definiert sich seit jeher als personennahe Dienstleistung, was ein Grund dafür sein könnte, dass das Verhältnis zwischen Pflege und Technik als „spannungsreich und ambivalent“ (Friesacher 2010: 308) beschrieben wird. Der Einsatz technischer Hilfsmittel in der Pflege ist jedoch nicht ausschließlich ein Phänomen der letzten zehn Jahre. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben sich Pflegekräfte einfachster technischer Hilfsmittel bedient, um sich den Arbeitsalltag zu erleichtern, wie beispielsweise einem Nachttisch als Atemunterstützung oder einem Besenstiel als Aufrichtungshilfe (Hülsken-Giesler 2007: 104 f.). Durch den medizinischen Fortschritt angeschoben, schritt die Implementierung technischer Geräte in den Pflegealltag seit den 1950er Jahren immer stärker voran (Hielscher 2014: 9), sodass schon zu Beginn der 1990er Jahre 90 Prozent der Verwaltungsbereiche in Kliniken mit EDV-Systemen ausgestattet waren (Sowinski et al. 2013: 20). Ab 1990 war dann auch eine allgemeine Einführung von Informations- und Kommunikationstechnologien im Gesundheitswesen zu beobachten, welche jedoch erst seit Mitte der 2000er Jahre auch in der Pflege angekommen sind. Gemeint sind vor allem die Sammlung, Speicherung und Weitergabe von Daten, Vitalparameter-Monitoring, die Dokumentation des Pflegeprozesses sowie die Kommunikation über größere Distanzen innerhalb des Pflegeprozesses (Hielscher 2014: 10). Generell lässt sich sagen, dass Technik in der Pflege spätestens seit den ersten größeren politischen Digitalisierungsdebatten Ende der 2000er Jahre eine wesentlich größere Rolle spielt als zuvor. Daum sieht diese Entwicklung sowohl durch die zuvor beschriebenen demografischen Veränderungen, als auch die technologischen Entwicklungen und Möglichkeiten begründet (Daum 2017: 13). In der ambulanten Pflege setzte die Anwendung moderner Technologien noch etwas später ein als im stationären Bereich (Hülsken-Giesler 2007: 103). Auch wenn die Technisierung im Pflegesektor im Vergleich zu anderen Branchen mit einer zeitlichen Verzögerung zum Tragen kommt (Hülsken-Giesler 2015: 10), lässt sich abschließend festhalten, dass ihr in den letzten zwei Dekaden eine immer größer werdende Bedeutung zuteilwurde (Daum 2017: 13).

3.2.2 ‚Pflege 4.0‘

Im Gesundheitswesen stellt die sogenannte ‚Pflege 4.0‘ einen Teilprozess der Digitalisierung in Deutschland dar und leitet sich von dem Begriff ‚Industrie 4.0‘ ab, welcher als Marketingbegriff für Zukunftsarbeit der deutschen Bundesregierung verwendet wird und die vierte industrielle Revolution beschreibt. Letztere zeichnet sich allgemein durch Entwicklungen, wie einen immer höheren Individualisierungsgrad, die Verkopplung von Produktion und Dienstleistung, sowie einem stetig wachsenden Einbezug von Kunden in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse aus (Bendel 2019, o.S.). Durch eine Integration von digitalen Systemen (IT-Systeme, Roboter, etc.) in den Gesundheits- und Pflegesektor wird die Pflege an die sich stetig verändernden wirtschaftlichen und strukturellen Rahmenbedingungen angepasst, welche auch bei den verschiedenen Akteuren neue Denkprozesse fordern und die Zukunft der Arbeit in der Pflege verändern (Rösler et al. 2018: 5). Dieser Prozess wird synonym mit dem Begriff ‚Pflege 4.0‘ beschrieben.

4 Die Technologien der Digitalisierung

Dieses Kapitel gibt eine Übersicht über die Techniktrends, welche die Digitalisierung und Technisierung der Pflege in Deutschland prägen. Eine gängige Unterteilung moderner Technologien separiert im Pflegesektor vier Obergruppen voneinander. Die elektronische Pflegedokumentation, sowie der Bereich Telecare, als auch die Robotik wird von der Gruppe der technischen Assistenzsysteme abgegrenzt (vgl. Rösler et al. 2018; vgl. Merda et al. 2017). Die Autoren beteuern, ihre Zuordnung einzelner technischer Lösungen zu den Fokusgruppen sei nicht normativ, da sich die einzelnen Technologien meist in Abhängigkeit ihrer Produkteigenschaften nicht eindeutig zu nur einer Gruppe zuordnen lassen. Zudem mangelt es für die vier Fokustechnologien an einheitlichen Definitionen und Abgrenzungen (Merda et al. 2017: 20). Dennoch soll diese Einteilung genutzt werden, um einen ersten Überblick über das Technikfeld in der ambulanten Pflege zu erlangen. Gleichzeitig wird aufgezeigt, wie weit verbreitet diese einzelnen Fokustechnologien in Deutschland aktuell sind. Anschließend werden weitere Klassifikationsansätze dargestellt.

4.1 Elektronische Pflegedokumentation

Merda et al. (2017: 20) definieren die elektronische Pflegedokumentation als die „schriftliche Fixierung der durchgeführten pflegerischen Maßnahmen und einzelner Schritte der Pflegeplanung mit geeigneter Software“. Wenn Pflegeleistungen erbracht werden, erfolgt eine begleitende Pflegedokumentation. Würde diese ausbleiben, könnte die erforderliche Behandlungsqualität nicht gewährleistet werden und der Behandlungsverlauf bliebe intransparent, was die Anschlussbehandlung erschweren würde. Auch die Abrechnung der erbrachten Leistungen würde nicht ohne eine angemessene Dokumentation funktionieren. Deshalb ist die schriftliche Dokumentation der pflegerischen Leistungen eine unverzichtbare Pflicht. Die Pflicht, diese Dokumentation auch elektronisch durchzuführen, gibt es bisher jedoch noch nicht. Bei der Einführung elektronischer Dokumentationssysteme geht es um die Frage, ob und wie eine digitale Unterstützung die Dokumentationspflichten der Pflegekräfte erleichtern kann. Das geht weit über die einfache Erfassung von Patientendaten hinaus, denn die Technikvariation ist groß. Auch komplexere Systeme, wie zum Beispiel die Routen-, Dienst- oder Terminplanung ambulanter Pflegedienste sind Teil der elektronischen Pflegedokumentation (Rösler et al. 2018: 21).

Der Einsatz technisch basierter Dokumentationssysteme nimmt in den letzten Jahren stark zu und laut Rösler et al. (2018: 27) stellt sich für Einrichtungen des Gesundheitswesens in Zukunft nicht mehr die Frage „Ist eine elektronische Dokumentation sinnvoll für unser Haus?“, sondern viel eher „Welches System passt zu uns und wie können wir die Umstellung auf eine elektronische Dokumentation möglichst sinnvoll gestalten?“. Dies bedingt sich durch dessen starke Verbreitung, denn 17 Prozent der Krankenhäuser waren schon im Jahr 2009 komplett mit der elektronischen Pflegedokumentation ausgestattet (Sellemann 2010: 9). Bis 2015 hatten bereits 31,3 Prozent der Kliniken diese in mindestens einer Einheit vollständig eingeführt und weitere 32,1 Prozent hatten mit der Einführung begonnen (Hübner et al. 2015: 28). Auch im ambulanten Bereich nimmt der Einsatz von computerbasierten Dokumentationssystemen zu, wenngleich auch etwas langsamer. Es zeigt sich jedoch, dass Deutschland bei der elektronischen Pflegedokumentation im internationalen Vergleich noch großen Aufholbedarf hat (Daum 2017: 17 f.).

4.2 Telecare

Telecare überbrückt durch moderne Informations- und Kommunikationstechnologien auf elektronischem Wege sowohl räumliche als auch zeitliche Distanzen und trägt hierdurch zur Gewährleistung einer angemessenen Pflege, Diagnostik und Behandlung älterer und pflegebedürftiger Menschen, vor allem in ländlichen Regionen, bei (Hielscher 2014: 26 ff.). Dies ist dann notwendig, wenn der Leistungserbringer den Leistungsempfänger nicht am gleichen Ort behandeln kann. Ambulante Pflegekräfte können sich Anfahrtswege und damit Zeit sparen. Es wird lediglich ein mobiles Endgerät (Smartphone, Tablet, …) auf jeder Seite benötigt. Telecare, auch Telenursing genannt, beschäftigt sich mit dem pflegerischen Bereich und ist abzugrenzen von Telemedizin, welche den Fokus eher auf den medizinischen Bereich legt (Merda et al. 2017: 21). Anwendungsbeispiele für Telecare im ambulanten Bereich sind sowohl die Übermittlung von Vitaldaten per Video-Chat, als auch die digitale Anleitung pflegender Angehöriger durch formelle Pflegekräfte bis hin zu virtuellen Nachmittagen, an denen Pflegebedürftige sich mit ihren Endgeräten untereinander austauschen können (Merda et al. 2017: 83).

In Deutschland ist Telecare noch kaum verbreitet und wurde bisher nur in Pilotprojekten erprobt, während der Kontakt zwischen ÄrztInnen und Patient (Telemedizin) schon etwas häufiger zum Einsatz kommt. In Ländern wie den USA, Kanada oder Norwegen, eben solche mit entlegenen ländlichen Regionen, ist die Entwicklung von Telecare schon sehr viel weiter (Merda et al. 2017: 56). Bei der Weiterentwicklung von Telecare ist immer zu beachten, dass die Pflege direkt am Menschen durch entsprechende Technologien nicht ersetzt, sondern nur unterstützt, werden kann (Rösler et al. 2018: 43).

4.3 Robotik

Die International Federation of Robotics (IFR) unterscheidet zwischen industrieller Robotik und Servicerobotik. Sie definiert industrielle Robotik sehr allgemein als autonom handelnd und ohne dass dabei eine direkte Interaktion mit dem Menschen stattfindet. Servicerobotik beinhaltet hingegen alle im nicht-industriellen Bereich eingesetzten Roboter. Es wird hierbei zwischen Servicerobotik für den persönlichen und professionellen Bereich unterschieden (IFR 2016: 9). In der Pflege wird ausschließlich Servicerobotik eingesetzt (Biniok & Lettkemann 2017: 7 f.). Beispielhaft zu nennen sind hier im häuslichen Umfeld Roboter, die das Bewegen von Personen oder schweren Gegenständen übernehmen, wie der humanoide multifunktionale Serviceroboter RI-Man oder programmierbare Bett- und Deckenlifter, sowie Haushaltsroboter oder auch emotionale Kuscheltier-Roboter (Merda et al. 2017: 23).

Mensch und Roboter können auf verschiedene Weise miteinander interagieren. Eine Form der Interaktion ist die Ko-Existenz. Mensch und Roboter arbeiten hier unabhängig voneinander. Im Gegensatz dazu stehen die Kooperation und die Kollaboration, welche eine echte Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter beinhalten und somit eine gemeinsame Zielerreichung bedingen. Mit dem Unterschied, dass die Zusammenarbeit bei der Kollaboration direkt voneinander abhängig ist (Rösler et al. 2018: 52).

Obwohl in den Medien immer wieder Berichte über solche oder ähnliche Roboter in der Pflege veröffentlicht werden und kontroverse Meinungen auslösen, ist der Implementationsgrad von Pflege-Robotik in Deutschland über die Modellerprobung hinaus noch sehr niedrig und die flächendeckende Verbreitung auf dem Absatzmarkt und im Arbeitsalltag ist somit noch einige Zeit entfernt. Im internationalen Bereich gilt vor allem Japan als Vorreiter in Sachen Robotik in der Pflege (Merda et al. 2017: 71).

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Ende der Leseprobe aus 66 Seiten

Details

Titel
Wie können technische Assistenzsysteme die ambulante Krankenpflege verbessern? Potentiale und Herausforderungen im Pflegealltag
Autor
Jahr
2020
Seiten
66
Katalognummer
V506055
ISBN (eBook)
9783963550140
ISBN (Buch)
9783963550157
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fachkräftemangel, Pflege 4.0, Akzeptanz, Versorgung, Menschenwürde, Robotik, technische Assistenzsysteme, Telemedizin, demografischer Wandel
Arbeit zitieren
Simon Bimczok (Autor:in), 2020, Wie können technische Assistenzsysteme die ambulante Krankenpflege verbessern? Potentiale und Herausforderungen im Pflegealltag, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/506055

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