Die Krönung der Sexualpädagogik?

Eine kritische Auseinandersetzung mit der Sexualpädagogik der Vielfalt und eine Analyse über die Praxis


Bachelorarbeit, 2018

83 Seiten, Note: 1,00


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Forschungsfrage und Theorien
1.3 Methodik

2. Begriffserklärung
2.1 Sexualität
2.2 Sexualerziehung
2.3 Sexualpädagogik
2.4 Sexualaufklärung
2.5 Sexuelle Sozialisation

3. Diskurse der Sexualpädagogik im geschichtlichen Ablauf
3.1 Diskurs der 1960er
3.2 Diskurs der 1970er
3.3 Diskurs der 1980er
3.4 Sexualpädagogik heute

4. Sexualpädagogik der Vielfalt
4.1 Themen der Sexualpädagogik der V ielfalt
4.2 Einflüsse auf die Sexualpädagogik der Vielfalt
4.3 Konzepte, Theorien & Leitgedanken als treibende Kräfte
4.3.1 Heteronormativität
4.3.2 Vielfalt als Grundlage
4.3.3 Anerkennung
4.3.4 Das Kind als sexuelles Wesen
4.4 Standpunkte anderer Theorien
4.4.1 Entwicklung sozialer Kognition: Theory of Mind
4.4.2 Die Prägung
4.4.3 Die Inzesthemmung
4.4.4 Die Bindungstheorie
4.4.5 Sexualität als multidimensionales Modell
4.4.6 Wo bleibt die Liebe?

5. Didaktische Methoden zur Umsetzung der Sexualpädagogik der Vielfalt
5.1 Von Tussis und Bürschchen ‘
5.2 ,Nogger Dir einen ‘
5.3 ,So anders?!‘
5.4 ,Soll ich oder soll ich nicht?‘

6. Sexualerziehung in der Schule: Ist-Situation und Optionen
6.1 Die Situation in den Ausbildungsphasen des Lehrpersonals
6.2 Elteminitiative ,Sexualerziehung? Elternsache!‘
6.3 Rebellierende Eltern? Begründet oder unbegründet?
6.4 Peer-to-Peer? ,Achtung°liebe‘

7. Kinder, Sex und Pornografie
7.1 Die Sexualität im Cyberspace
7.2 Pornografie für das männliche Auge
7.3 Pornografiekonsum der Jugendlichen

8. Fazit

9. Literaturverzeichnis

10. Anhang

1. Einleitung

1.1 Problemstellung

Ein Fragebogen zum Thema Sexualität, der von einem Sozialarbeiter einer Klasse vorgelegt wurde, erhielt besonders hohe Aufmerksamkeit in den Medien. Eine Mutter beschwerte sich über die obszöne Wortwahl in manchen Fragen: „Muss man nackt ficken?“ (Mair 2018)

Dieser Artikel und die nachfolgende Diskussion führte zu dem Entschluss über die Theorie der Sexualpädagogik der Vielfalt und ihre praktische Umsetzung zu schreiben.

Solche Meldungen in den Medien entsprechen nicht einem Einzelfall. Immer wieder wird von aufgebrachten Eltern berichtet, die mit dem schulischen Umgang des Themas Sexualität nicht zufrieden sind. Doch dies ist nicht der einzige problematische Aspekt. Auch das Lehrpersonal fühlt sich oft nicht qualifiziert das Thema Sexualität den Kindern ,richtig’ zu vermitteln oder unter anderem den Erwartungen der Gesellschaft und des Staates bei dieser Vermittlung zu entsprechen.

Zudem wird auch ein verändertes Verhalten in der Sexualität der Jugend beobachtet. Warum sich deren Sexualverhalten von der vorherigen Generation drastisch unterscheidet ist eine wichtige Frage, die nach einer Antwort verlangt.

Das Internet kann als ein Grund genannt werden, der das Wissen über die Sexualität beeinflusst und somit indirekt auch das Sexualverhalten. Durch den einfachen Zugriff auf Pornografie kann das Kind seine Neugierde befriedigen. Pornografische Darstellungen vermitteln ein falsches, nicht der Realität entsprechendes Bild der Sexualität.

Letzten Endes sind die Theorie und die Praxis zwei Seiten einer Münze. Es stellt sich der Theorie die Aufgabe, sich praxisorientiert weiterzuentwickeln und somit einer Wandlung in die Richtung des Idealismus entgegenzuwirken. Geisteswissenschaften tendieren leider zu diesem Extrem, welches als nicht umsetzbar gilt und sich oft als realitätsfern herausstellt.

1.2 Forschungsfrage und Theorien

Die Bachelorarbeit will dem Diskurs der Sexualerziehung auf den Grund gehen und verstehen. Die Frage; Was sind Möglichkeiten und Grenzen der Sexualpädagogik der Vielfalt? bestimmt auch die Richtung dieser Bachelorarbeit. Diese Sexualpädagogik und ihre Prinzipien sind zurzeit vorherrschend in Schulen, wie auch in der Gesellschaft. Neben der Analyse dieser Pädagogik werden auch alternative Wege aufgezeigt, wie mit der Thematik Sexualität umgegangen werden kann. Dies ermöglicht eine erweiterte Perspektive auf den Sachverhalt.

Oft kommt es zur Verhärtung von zwei Positionen. Es gibt meist eine Bewegung, die oft als Mainstream bekannt ist und eine Gegenbewegung. In diesem Fall ist die Hauptbewegung, die der liberalen Theorien, die weiters an Stärke gewinnen durch ihre historische, wie auch gesellschaftspolitische Fundierung. Die Hauptbewegung versucht oft mit Ideen eine neue Richtung einzuschlagen, wobei die Gegenbewegung argumentiert, dass diese nicht umsetzbar sind. Dadurch entsteht auch die Diskrepanz des Ist- & Sollzustands. Die Gegenbewegung fürchtet auch oft einen moralischen Einbruch der Gesellschaft als Konsequenz auf die innovativen Ideen.

Die sich ausschließende Ansicht dieser zwei Strömungen hemmt die Findung alternativer Lösungen. Die Frage stellt sich ob bessere Lösungen gefunden werden können, wenn mehrere Strömungen beachtet werden und auf einen komplementären Stil zurückgegriffen wird. Auch dieser Perspektivenwechsel ist in dieser Bachelorarbeit von Bedeutung und es wird versucht diesen umzusetzen.

1.3 Methodik

Die Arbeit stützt sich vor allem auf Literatur. Es wird zudem auch über die momentane Schulpraxis geschrieben. Hierbei wird auf Studien zurückgegriffen und auf ein Experteninterview, das im Rahmen dieser Arbeit durchgeführt wurde. Die Methodik, die in dieser Arbeit Anwendung fand, geht auf den hermeneutischen Ansatz zurück.

Erziehungswissenschaft kann sich als empirisch-analytische Sozialwissenschaft oder als verstehende Sozialwissenschaft begreifen. Der hermeneutische Ansatz basiert auf Verstehen. (Vgl. Koller 2009, S. 200f) Auf die empirisch-analytische Sozialwissenschaft wird in dieser Arbeit besonders im letzten Kapitel eingegangen, in dem verschiedene Studien vorgestellt und deren empirischen Funde aufgezeigt werden. Auch von Relevanz ist, dass die Sexualpädagogik von Werten und Weltanschauungen ausgeht. Ob jene einigermaßen die Realität wiederspiegeln, kann durch Studien gestützt oder wiederlegt werden.

Den Großteil der Arbeit macht die verstehende Sozialwissenschaft aus. Was ist nun mit Verstehen gemeint?

Die Methode der Hermeneutik versucht Texte, deren Autorinnen und Autoren und ihr historisches Umfeld mit reflektierten Fragen zu erörtern (vgl. Rittelmeyer et al. 2001, S. 1). Durch diese Erörterung und die Gegenüberstellungen von mehreren Autorinnen und Autoren wird es möglich, Zusammenhänge aufzuzeigen, die oft im Chaos des heutigen umfangreichen Wissensstandes verloren gehen. Es wird somit eine Struktur erstellt, die alle relevanten Informationen zu einem Thema darstellt.

Im Experteninterview wird besonders auf den Inhalt geachtet, sowie auf Wortwiederholungen und thematische Wiederholungen, um besonders wichtige Passagen ausfindig zu machen. Auch hier wird der hermeneutische Ansatz genutzt, um auch Zusammenhänge zur Literatur zu finden. Zudem wird auch die subjektive Empfindung, dem auch ein Experte unterliegt, beachtet.

2. Begriffserklärung

Einige Begriffe werden in der Literatur uneindeutig verwendet und es gibt verschiedene Definitionen. Dieses Kapitel soll dem Leser oder der Leserin ermöglichen die Begriffswahl nachzuvollziehen und zu verdeutlichen. Zudem wird auch der Hintergrund des Begriffs näher beleuchtet, wobei der Blick auf die Zusammenhänge und die Prozesse der Gesellschaft auf die fortschreitenden Begriffsentwicklungen geschärft werden soll.

2.1 Sexualität

Der Begriff Sexualität ist jünger als viele denken. Als Begriff existiert Sexualität erst seit ungefähr dreihundert Jahren. Bis zum 19. Jahrhundert bestand nur das Adjektiv sexuell, welches ihren Ursprung im spätlateinischem Begriff sexualis findet, der ,zum Geschlecht gehörig‘ bedeutet. Erst danach wurde der Begriff substantiviert. Sexualität ist ein Begriff, der kulturell verschieden konnotiert wird. Im Laufe der Zeit wird er von der Gesellschaft immer wieder neu umgedeutet. (Vgl. Sigusch 2016, S. 244-246)

Sigmund Freud und auch Michel Foucault haben zu diesem Prozess im deutschsprachigem Raum maßgeblich beigetragen. Auf sie wird in dieser Arbeit öfters Bezug genommen auch indirekt von anderen Autoren und Autorinnen. In diesem Kapitel wird nur ihr Beitrag zu dem heute gängigen Begriffsverständnis aufgezeigt.

Freud ist bekannt für seine Annahme der „infantilen Sexualität“ (Freud 2004, S. 33). Er prägte somit das Verständnis der Sexualität in der Hinsicht, dass nicht wie früher angenommen, Sexualbetätigungen nur bei Erwachsenen auftreten, sondern schon bei Neugeborenen. Freud sprach dem Begriff dadurch etwas zutiefst Natürliches zu.

Sarasin geht in seinem Buch auf das Sexualdispositiv von Foucault ein. Foucault sieht Sexualität als eine Machtkonzeption. Sexualität wird als eigenes Wesen dargestellt, dem ein ,Geheimnis’ innewohnt. Diese Effekte sind jedoch nur die Konsequenz des Sexualitätsdiskurses1. Dieser verleiht der Sexualität Macht. (Vgl. Sarasin 2005, S. 134)

In der Arbeit schwingt mit dem Begriff Sexualität auch der Bezug zur Gesellschaft mit. Natürlich spielt die Gesellschaft bei jedem Begriff eine große Rolle, aber sie scheint bei dem Begriff Sexualität eine besonders große einzunehmen. Ein Grund dafür kann die Betroffenheit eines jedem Einzelnen sein. Mit Sexualität wird von vielen Menschen etwas sehr Intimes und zutiefst Persönliches verbunden. Es scheint daher nicht an Standpunkten zu ,richtigem‘ Sexualverhalten zu fehlen.

2.2 Sexualerziehung

Der Erziehungsbegriff ist generell sehr umstritten. Winkler versteht die Erziehung als eine Leistung, die von der Familie erbracht wird. Eltern handeln jedoch vor einem sozialen und kulturellen Hintergrund, der sich in den letzten Jahren sehr stark gewandelt hat. (Vgl. Winkler 2010, S. 57)

Brezinka bezeichnet die Handlung, die Menschen bewusst einsetzen, um bei anderen Mitmenschen eine bestimmte Wirkung zu erzielen, als erzieherisch. So bildet sich zwangsläufig die Dyade von Erzieher oder Erzieherin und Zögling. (Vgl. Brezinka 1978, S. 42f.)

Sielert definiert Sexualerziehung nicht nur als eine Leistung der Familie. Er bezieht alle Quellen mit ein, die kontinuierlich und bewusst Einfluss „auf die Entwicklung sexueller Motivationen, Ausdrucks- und Verhaltensformen sowie von Einstellungs- und Sinnaspekten der Sexualität von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen“ (Sielert 2008, S. 39) ausüben.

In dieser Arbeit soll die Sexualerziehung in zwei Unterkategorien eingeteilt werden. Erstens in die schulische und zweitens in die familiäre Sexualerziehung. Die familiäre Sexualerziehung soll in dieser Arbeit, wie Winkler erwähnt, als eine Leistung gesehen werden, die vor allem die Eltern aber teilweise auch ältere Geschwister erbringen. Der kulturelle Hintergrund ist natürlich bei Erziehungsmaßnahmen gegeben. Dies soll aber noch von der Sozialisation weiter abgegrenzt werden. Die schulische Sexualerziehung meint alle Leistungen, die im Kontext der Schule erfolgen. Dies schließt die Sexualaufklärung mit ein oder wenn von Sexualkundeunterricht geredet wird. Angemerkt sei, dass dieser Unterricht oft kein eigenes Fach bildet, sondern ein Teil des Faches Biologie ist. Dieser Teil kann auch von einer externen Sozialarbeiterin oder einem externen Sozialarbeiter übernommen werden.

Sielert macht eine ähnliche Unterteilung von familiärer und schulischer Sexualerziehung (vgl. Sielert 2008, S. 41).

2.3 Sexualpädagogik

Sexualpädagogik ist ein Teilbereich der Pädagogik und meint die Erforschung und wissenschaftliche Reflexion von schulischer und familiärer Sexualerziehung und sexueller Sozialisation (vgl. Sielert 2008, S. 39).

Sie ist nicht gleichzusetzen mit den umgesetzten Lehrmethoden der Pädagogen und Pädagoginnen im Unterricht. Die schulische Sexualerziehung, welche im Aufklärungsunterricht oder als Sexualkundeunterricht stattfindet, beschreibt dieses Phänomen. Auf Sexualpädagogik soll nur Bezug genommen werden, wenn von der Theorie die Rede ist, die der schulischen Sexualerziehung den Grundbaustein liefert.

2.4 Sexualaufklärung

Wenn nach den Ursprüngen des Begriffs Aufklärung gefragt wird, so führt die Antwort meist auf Kants Definition zurück.

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines Anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. “ (Kant 1900, S. 9)

Laut Kants Aufklärungsbegriff kann auch eine Selbstaufklärung stattfinden und muss nicht durch eine außenstehende Person geschehen. Zudem sagt Kant damit auch aus, dass nach der Aufklärung der Mensch dazu fähig sei, selbst zu handeln ohne die Leitung einer dritten Person. Also kann gesagt werden, dass die Aufklärung auch eine Erkenntnis darstellt, mit der das Individuum nun fähig ist eigenverantwortlich zu handeln. Eine Aufklärung der Sexualität ist somit nur ein Beitrag zur der gesamten Aufklärung.

Unter Aufklärung wird heutzutage meistens eine sexuelle verstanden. Trotzdem wird in dieser Arbeit der Begriff Sexualaufklärung oder sexuelle Aufklärung benutzt.

Nach Sielert wird die Sexualaufklärung als Weitergabe von Informationen verstanden, die im Zusammenhang mit der ganzen menschlichen Sexualität stehen. Meist wird es als ein einmaliges Geschehen gesehen. Die Sexualaufklärung bildet einen Teil der Sexualerziehung. (Vgl. Sielert 2008, S. 39)

In dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass der Aufklärungsunterricht über Sexualität mehrere Einheiten umfassen kann. Bei manchen Individuen dauert der Vorgang länger als bei anderen, bis das Kind im Stande ist selbst Stellung zu beziehen und diese auch reflektieren kann.

2.5 Sexuelle Sozialisation

Der Sozialisationsbegriff beschreibt die lebenslange Veränderung von Individuen, die in einem sozialen, interaktiven Rahmen beeinflusst werden. Er bezeichnet auch den Zusammenhang der sprachlichen, kognitiven, motivationalen und emotionalen Entstehung des Individuums. (Vgl. Krüger und Helsper 2010, S. 80)

Kluge deutet in seinem Beitrag zum Sozialisationsbegriff darauf hin, dass die Pädagogik ihn als ergänzenden Begriff übernommen hat, weil jener auch Faktoren miteinbezieht, die nicht von intentionaler Natur sind (vgl. Kluge 2008, S. 118).

Die sexuelle Sozialisation beachtet alle Einflüsse, von intentionaler und von unbeabsichtigter Natur, die in der Umwelt auf das Individuum einwirkt. Diese Einflüsse müssen nicht aktiv vom Individuum erkannt werden.

3. Diskurse der Sexualpädagogik im geschichtlichen Ablauf

Um den heutigen Diskurs über die schulische Sexualerziehung analysieren zu können, muss zuerst ein Blick auf die bisherigen Diskurse geworfen werden. Diskurse bauen aufeinander auf und beziehen sich auch immer wieder aufeinander, auch ohne die konkrete Erwähnung auf eben jene Verweise. Der erste Diskurs, der näher erläutert wird, entstand in den 1960er. Die Diskurse, die beschrieben werden, haben als Austragungsort die BRD. Ein Vergleich zur DDR wäre interessant, würde aber den Rahmen dieser Bachelorarbeit sprengen.

Die Verdrängung der Sexualität nahm vom 16. Jahrhundert an zu. Erst ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden die vorher tabuierten Themen der Sexualität angesprochen. Ussel sieht einen Zusammenhang in der Verbürgerlichung der Gesellschaft, denn durch diese nahm die Verdrängung der Sexualität zu. (Vgl. van Ussel 1979, S. 15)

Dieser Zusammenhang, den Ussel erwähnt, ist für diese Arbeit von großem Interesse. Das antisexuelle Syndrom stammt somit besonders aus den höheren Schichten, deren Verhaltensmuster als das einzige sittliche Verhalten galt (vgl. van Ussel 1979, S. 7 & 15).

Auch Koch widmet sich den tabuierten Themen der Sexualität, denen vielen Erzieherinnen und Erzieher unterlagen. Sie sehen sich dem Problem gegenüber andere aufzuklären, obwohl sie selbst nie eine Aufklärung erfuhren. Fragen zum geschlechtlichen Gebiet waren in ihrer Generation oft mit Schuldgefühlen und Scham verbunden und es wurde oft ein Gefühl der Überforderung empfunden. Um diesem Problem zu entgegnen, verfasste die katholische Kirche viele Aufklärungsbrochüren. Diese waren von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den 1960ern oft Gegenstand ihrer Untersuchungen. (Vgl. Koch 1971, S. 9)

3.1 Diskurs der 1960er

Aufgrund dieser Vorgeschichte sollte es nicht verwundern, dass sich eine Gegenbewegung formieren würde. Durch Arbeiten von vielen verschiedenen Wissenschaftlern, wie Freud und Reich hat sich das Verständnis über Sexualität grundlegend verändert.

Die infantile Sexualität, die Freud ausführlich beschreibt, hat auch neue Fragen zur Sexualerziehung aufgeworfen (vgl. Freud 2004, S. 33). Wenn das Kind von Anfang an ein sexuelles Wesen ist, muss es dann nicht von Anfang an auch als solches erzogen werden?

Reich nimmt auf die Krankmachung durch die Verdrängung der Sexualität Bezug. Nach Reich führt diese Verdrängung zu Formen moralischen Selbstschutzes. Es entsteht ein unlösbarer Konflikt zwischen der moralischen Hemmung und dem Triebanspruch, der dazu führt alle Handlungen moralisch einer Messung zu unterziehen. Durch die Anerkennung der genitalen Triebbefriedigung wird die moralische Hemmung unbrauchbar, da die Triebbedürfnisse durch ihre Anerkennung an Zwang verlieren. Zudem zeigen Menschen, die sich orgastisch befriedigen können, laut Wilhelm Reich, eine größere Fähigkeit zu monogamen Beziehungen. So bezeichnet Reich die Monogamie, mit einem Partner diese beglückende Lust immer wieder zu erfahren, als sexualökonomisches Prinzip. Unter der sexualverneinenden Gesellschaft leiden die gesündesten Menschen am meisten. Reich proklamiert also die Wandlung zu einer sexualbejahenden Gesellschaft, mit der etliche Probleme gelöst werden würden. (Vgl. Reich 1971, S. 34-36)

Auf die Thesen von Reich folgten die Proteste von Schülerinnen und Schüler. Umgangssprachlich wurde dieser Trend als Sexuelle Revolution‘2 bekannt. Das Sexualtabu wurde stark angegriffen und mit ihm auch die autoritäre Gesellschaft, die das Tabu für Machtzwecke einsetzte. (Vgl. Koch 1975, S. 165-167)

Die Sexuelle Revolution‘ ist eng gekoppelt mit der Studentenbewegung der 1968er. Diese ist auch bekannt unter der ,68er Bewegung‘.

Miteinher entwickelte sich die emanzipatorische Sexualpädagogik. Sie wurde von vielen Pädagogen und Pädagoginnen sehr kritisch gesehen. Das Produkt dieser Erziehung zur Emanzipation wurde als ein verunsicherter, ich-schwacher und haltloser Mensch gesehen, der sich jeder Herrschaft unterwirft. Koch versucht die verengten Perspektiven aufzuzeigen und erwähnt auch den Einfluss der Politik, die die emanzipatorische Erziehung und linke Theorien kriminalisierte. (Vgl. Koch 1979, S. 51-54 & 141)

Dabei sei zu beachten, dass auch die linken Theorien aus einer Bewegung entstanden, die eine politische Funktion aufwies (die ,68er Bewegung‘).

Die ,Sex-Welle‘ beschreibt die Thematisierung der Sexualität in den Massenmedien. Neben Aufklärungsbroschüren für Eltern wurden auch sexuelle Belange von Kindern und Jugendlichen angesprochen. Dieses Phänomen wird als mögliche Antwort auf die Zensurmaßnahmen und Verbote von unterschiedlichen Medien gesehen. Durch diese Welle gewann auch die Thematik der kindlichen Sexualität in Unmaßen an Popularität. (Vgl. Elberfeld 2015, S. 255)

Ende der 1960er wurden mehrere Beschlüsse zur Sexualerziehung für Schulen gefasst. Die Empfehlung der Kultusminister sah die Aufgabe der Sexualerziehung in erster Linie bei den Eltern. Allerdings solle die Schule die Kinder im Rahmen der öffentlichen Ordnung sexuell erziehen. So sollen auch geschlechtliche Probleme in der Entwicklung im Unterricht angesprochen werden. Die Sexualerziehung soll nicht als eigenes Fach eingeführt werden, sondern in verschiedenen Unterrichtsfächern, wie der Biologieunterricht, der Sozial- und Gemeinschaftskundeunterricht, der Religionsunterricht und in geisteswissenschaftlichen und künstlerischen Fächern sollen Beiträge zur Sexualerziehung geleistet werden. (Vgl. Kluge 1976, S. 9-13)

Dieser Beschluss symbolisiert vor allem die Aufhebung der Tabuisierung, die in der vorigen Zeit vorgenommen wurde. In dem Beschluss ist erkennbar, dass über die Sexualität geredet werden soll und auch Inhalte, die als peinlich empfunden werden können, soll ein Raum gegeben werden. Was nicht berücksichtigt wird, ist die Hemmung, die bei den Lehrerinnen und Lehrern sowie bei den Schülerinnen und Schülern entstehen kann, wenn solche Thematiken angesprochen werden. So können auch solche Beschlüsse nur schwer in die Praxis umgesetzt werden. Es erfordert ein außerordentlich hohes Einfühlungsvermögen seitens der Lehrerinnen und Lehrer. Zudem bildet es einen sehr hohen Kontrast zu der vorherigen repressiven Didaktik, was somit die Umsetzung erschwert. Des Weiteren ist ein Problem die Aufteilung der schulischen Sexualerziehung auf unterschiedliche Fächer. Somit fühlt sich keine bestimmte Lehrperson verantwortlich. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Verantwortungsdiffusion kommt, ist sehr groß.

Die Anschauung, dass über Sexualität frei geredet werden soll, wurde nicht von allen geteilt.

Viele Sexualpädagoginnen und Sexualpädagogen vertraten auch in den 1960ern die Überzeugung, dass die Aufgabe der Sexualerziehung darin bestehe die Jugend von der Sexualität abzulenken. (Vgl. Kentler 1981, S. 42)

1969 kam der Sexualkunde-Atlas auf den Markt und wurde vielfach im Unterricht eingesetzt. In diesem Medium nehmen die biologischen Informationen den Hauptteil ein. Fotografien über Geschlechtsteile, die im Buch abgebildet wurden, sollten bei den Schülerinnen und Schüler Ekel erregen. Dieser Sexualkunde-Atlas versinnbildlichte die Unternehmungen des Kultusministeriums, so Friedrich Koch. (Vgl. Koch 2008, S. 32)

Das Tabu wurde zwar nicht mehr aktiv aufrecht gehalten, aber durch die Assoziation von Sexualität mit Ekel, wurden die Schülerinnen und Schüler von der Sexualität abgebracht. Dies könnte auch als Methode angewendet worden sein, um nicht erwünschtes Sexualverhalten, wie Pädophilie oder Promiskuität, vorzubeugen.

3.2 Diskurs der 1970er

Eine Gegenaufklärung fing nach 1970 an. Es formierten sich Gruppierungen, die die Rechtmäßigkeit der schulischen Sexualerziehung anzweifelten. Es wurden Aktionen von Eltern durchgeführt und Klagen wurden sogar vor Gericht eingereicht. Der Einspruch war, dass durch die Richtlinien, die der Staat verordnet hatte, Grundrechte der Eltern eingeschränkt werden. (Vgl. Koch 2008, S. 32)

Folglich fand eine erhöhte Konzentration auf die Wissensvermittlung biologischer Art statt. Doch dies erwies sich auch für die Pädagoginnen und Pädagogen als zunehmend schwierig, weil die Sexualität mit affektiven Komponenten einhergeht, wie Einstellungen und Bedürfnisse. (Vgl. Sielert 2016, S. 74)

1979 wurde der Beschluss verkündet, dass das Elternrecht den gleichen Rang, wie der Staat, in der Sexualitätsthematik einnimmt. Nachfolgend durften die Eltern Zurückhaltung und Toleranz im Sexualkundeunterricht erwarten. So sei auch das Schamgefühl und religiöse Überzeugungen der Kinder von den Lehrpersonen zu achten. Den Eltern wurde auch das Recht auf umfassende Informationen über die Inhalte eingeräumt, die die Lehrerin oder der Lehrer planten. (Vgl. Koch 2008, S. 32)

Es soll hervorgehoben werden, dass dieser Einspruch seitens der Eltern erfolgte. Folglich haben sich nicht die Kinder selbst in ihren Einstellungen bedroht gefühlt (zumindest ist dies nicht bekannt), sondern ihre Eltern. Sie empfanden eine Einengung ihrer Freiheit und eine zu geringe Wertschätzung ihrer Vorstellungen und Werte.

3.3 Diskurs der 1980er

Dieser Beschluss hatte zur Folge, dass in den 1970er Jahren und zu Beginn der 1980er Jahre nur wenige Initiativen in der schulischen Sexualerziehung unternommen wurden ((vgl. Koch 2008, S. 33) & (vgl. Sielert 2016, S. 74)).

Das Interesse in die Sexualerziehung erfuhr Mitte der 1980er Jahre wieder einen gewaltigen Anstieg (vgl. Koch 2008, S. 33). Bis 1985 wurde davon ausgegangen, dass AIDS eine Krankheit der männlichen Homosexualität wäre und die Übertragung durch ,falschen‘ Sex3 erfolge (vgl. Beljan 2015, S. 325).

Nicht nur die Krankheit AIDS und die darauffolgende mediale Reaktion waren ausschlaggebend für das neue Interesse in die Sexualerziehung, sondern auch die vermehrten Teenagerschwangerschaften. Nach einiger Zeit wurde die Politik darauf aufmerksam, dass alle Jugendlichen potentiell Gefährdete sind. Um dieser Gefährdung vorzubeugen wurde ein rundum geschütztes Sexualverhalten empfohlen. Laut Sielert blieb es nicht lange bei diesen Überzeugungen. (Vgl. Sielert 2016, S. 74f.)

Die Antwort auf die Gefahren waren präventionsorientierte Didaktiken.4 Sielert führt in seinem Beitrag aus, dass nach der Phase der Vogel-Strauß-Politik die Erkenntnis, dass HIV durch Körperflüssigkeiten übertragen wird, von vielen Politikern und Politikerinnen und auch katholischen Bischöfen benutzt wurde, um besonders ausschweifenden Sexualpraktiken als moralisch verwerflich zu brandmarken. (Vgl. Sielert 2016, S. 75)

Zur Risikogruppe gehörten vor allem Jugendliche während ihrer ,Experimentierphase‘. Nachfolgend gründete sich die ,Wahre-Liebe-wartet-Bewegungi. (Vgl. Sielert 2016, S. 75) „Der Leitspruch war: Möglichst kein Körperkontakt, jedenfalls nie mehr ohne Kondom!“ (Sielert 2016, S. 75)

Mitte der 1980er Jahre wurde von den Tabus traditionell-bürgerlicher und streng­christlicher Lehren in der Sexualerziehung und zugleich auch von der Wissensvermittlung über die menschliche Sexualität, die sich medizinisch-biologisch und technisch orientierte, Abstand genommen. (Vgl. Glück et al. 1992, S. 151)

Sielert behauptet, dass dies den Wandel zur Professionalisierung einleitete. Auch hier hatte die Politik großen Einfluss. Geißler, der zu dieser Zeit Bundesfamilienminister war, beauftragte die Erstellung einer neuen sexualpädagogischen Arbeitshilfe für die Jugendarbeit. Sexualpädagogik wurde zur erziehungswissenschaftlichen Disziplin erklärt und die schulische Sexualerziehung setzte sich zum Ziel die Schüler und Schülerinnen zu einer kritisch-emanzipative sexuellen Selbstbildung anzuregen. (Vgl. Sielert 2016, S. 75)

Sexualpädagogische Materialien versuchten die Sexualerziehung als wertvoll zu beschreiben. Auch der Punkt der Selbstbestimmung nimmt einen wichtigen Platz ein. (Vgl. Sielert und Keil 1993, S. 14)

Dabei stellt sich unwiderruflich die Frage, inwieweit Selbstbestimmung gehen soll. Wenn es einem Individuum selbst schadet, sollte dann nicht eingegriffen werden? Und inwieweit ist es Jugendlichen oder sogar Kindern überhaupt möglich selbstbestimmt zu handeln? Schlussendlich stehen wir ständig unter dem Einfluss und der Leitung von Personen, besonders denen, die uns emotional nahestehen.

Diese Unerreichbarkeit der vollkommenen Selbstbestimmung wird auch von Sielert und Keil anerkannt (vgl. Sielert und Keil 1993, S. 14).

Die sexualpädagogischen Materialien versuchen einen ganzheitlichen Blick auf die Sexualität zu werfen. Gewaltvolle Aspekte, Beziehungsaspekte, den Identitätsaspekt und unter anderem den Lustaspekt und viele mehr werden anerkannt. (Vgl. Sielert und Keil 1993, S. 15f.)

Verschiedene Universitäten widmeten sich der Entwicklung der Sexualpädagogik. Die kritische Gender- und Queer-Forschung und auch die Diversity-Education Forschung beeinflussten die Theorieentwicklung. Das Werk Sexualpädagogik der Vielfalt (Timmermanns und Tuider 2008) wurde von diesen Richtungen auch beeinflusst. Hier fanden auch stärker als in anderen didaktischen Medien die Ergebnisse der

Geschlechterforschung Niederschlag. Die Ergebnisse betrafen auch andere Gebiete: Zum Beispiel der Kritik des Patriarchats, die Thematisierung sexualisierter Gewalt und die Dekonstruktion heteronormativen Wissens. (Vgl. Sielert 2016, S. 76f.)

3.4 Sexualpädagogik heute

Zu erwähnen ist, dass Uwe Sielert einen beträchtlichen Beitrag zur heutigen Sexualpädagogik geleistet hat. Durch eine Festschrift, die Sielert zu seinem 60. Geburtstag gewidmet wurde, wird deutlich, dass sich viele nachfolgende Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die sich dem Gebiet der Sexualpädagogik widmen, Sielert als Kollegen sehr schätzen. (Vgl. Schmidt et al. 2009, S. 5)

Die Vielfalt ist der Grundgedanke, auf dem die heutige Sexualpädagogik aufbaut. Mit ihm geht auch das Thema der Anerkennung einher (vgl. Prengel 2006, S. 61). Durch das Eintreten in die Postmoderne kam es auch zum Anstieg der Pluralität der Lebensformen (vgl. Welsch 1988, S. 23). Auch die Globalisierung, die durch das Internet und die steigende Mobilität ins Rollen kam, schaffte mehr Perspektiven für manche Individuen. Angemerkt sei, dass dieses Privileg meist den Reichen zukommt. Die arme Bevölkerung bekommt diese Pluralisierung weniger zu spüren. Die Demokratisierung wird als eine Voraussetzung genannt, damit Pluralisierung zu Stande kommt. Doch diese Demokratisierung kann durch ökonomische und soziale Notstände erschwert werden. (Vgl. Nuscheler 1992, S. 82)

Welsch bezeichnet die Pluralität, die mit der Postmodernen entstand, auch als radikal. Die Postmoderne weist unter anderem den Menschen an diese Vielfalt vorbehaltslos anzuerkennen und zu schätzen. Gleichzeitig werden sie mit den unterschiedlichsten Lebensformen, Wissenskonzeptionen und Orientierungsweisen konfrontiert. In dieser Pluralität liegen der Antrieb wie auch der Brennpunkt der Probleme der Vielfalt. (Vgl. Welsch 1988, S. 23)

Wichtig anzumerken ist, dass die Perspektive der Pluralität von Pädagogen und Pädagoginnen anfangs kritisch gesehen wurde und als Angriff auf die kritisch- emanzipative Denktradition in der Pädagogik der 1970er verstanden wurde. (Vgl. Lamp 2009, S. 132)

Diese gesellschaftliche kritische Betrachtungsweise ist auch in Welschs (1988) Werk Postmoderne - Pluralität als ethischer und politischer Wert spürbar. Der Autor versucht den Begriff der Pluralität in seiner Ganzheit zu beschreiben und auch seine positiven Tendenzen aufzuzeigen.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass durch die verschiedenen Epochen hindurch immer wieder ein Zusammenspiel von Kräften stattfand: Angefangen in den 1945ern, in der das Sexualtabu hochgehalten wurde, das dann durch den großen Druck, der in den 60ern entstand zu bröckeln begann. Die emanzipative Sexualpädagogik versuchte auch dem Kinde seine Sexualität zuzugestehen und Reich und Freud trugen mit ihren Theorien zu der ,,Sexuellen Revolution' bei. Oft wird von Autoren und Autorinnen von einer Zeit vor und einer Zeit nach den ,68er' berichtet. Dies schien die große Wende zu markieren. Dies ist aber auch oft symbolisch zu betrachten, da manche, vielleicht sogar viele Eltern und Pädagoginnen und Pädagogen noch für die repressive Sexualpädagogik standen und diese praktizierten. Im Nachhinein ist schwer zu beurteilen, welchem Trend die Mehrheit folgte. Oft werden Revolution von Minderheiten gestartet. Doch die Geschichte wird bekanntlich von Siegern geschrieben und die Bücher implizieren oft, dass die emanzipative Sexualpädagogik, die Kräfte für Enttabuisierung, die Stimme des Volkes und somit auch die Mehrheit war. Damit soll nicht ausgedrückt werden, dass diese Revolution nicht notwendig war für eine Weiterentwicklung. Durch den Beschluss des Kultusministeriums wurden die Gemüter ein wenig beruhigt, doch Friedrich Koch beispielsweise, kritisiert, dass selbst der Beschluss nur ein kleines Entgegenkommen war, verglichen mit den massiven Protesten (vgl. Koch 2008, S. 33).

In den 1970ern, in der die schulische Sexualerziehung in die biologische Ecke verwiesen wurde, wird das Nebeneinander der vielen Theorien, was die ,beste' Sexualerziehung ist, erkenntlich. Dadurch erscheint es nur logisch, dass auch heute noch viele Theorien nebeneinander existieren. Dies wird auch durch die Pluralität der Lebensformen, die sich in Einstellung niederschlägt, gefördert.

Auch die Gefahren, die der Sexualverkehr mit sich bringt, (mit diesen Gefahren wurde sich besonders Mitte der 1980er Jahre auseinandergesetzt), sind noch heute verankert. Diese Gefahren bieten besonders religiösen Ansichten einen Nährboden. 100%ige Sicherheit kann nur durch Enthaltung gewährleistet werden.

Die Richtungen und Theorien dieser verschiedenen Kurse ziehen sich auch durch die weiteren Erläuterungen dieser Bachelorarbeit. Die Geschichte verhält sich nicht geradlinig, sondern spiralförmig. Parallelen und Zusammenhänge zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit sind erkenntlich.

4. Sexualpädagogik der Vielfalt

Es deutet viel darauf hin, dass die Pädagogik der Vielfalt eine Antwort auf die Pluralität beziehungsweise sogar eine Problemlösung darstellt.

Welsch bemerkte 1988, dass das Postmoderne-Theorem hocheffiziente Strömungen mit sich bringt, die die Gesellschaft zunehmend beeinflussen oder sogar bestimmen wird. Welsch rief deshalb die Professionen auf sich mit den Tendenzen, die die Postmoderne mit sich bringt, auseinanderzusetzen. Oft wurde die Postmoderne als gefährliches Bazillus behandelt, doch sieht Welsch auch einen gewichtigen normativen Kern, in dem eine hohe Legitimität zu finden ist. Mit diesem Kern meint Welsch die Pluralität. (Vgl. Welsch 1988, 5. 21f.)

4.1 Themen der Sexualpädagogik der Vielfalt

Ein Thema, dass wieder in den Mittelpunkt gerückt werden soll, ist die Körper- und Sexualaufklärung. Das klassische Verständnis ist in den letzten Jahren in den Hintergrund gerückt und die Beziehungsthemen wurden fokussiert. Unter dem klassischen Verständnis der Sexualaufklärung ist auch die Übermittlung des geschützten Geschlechtsverkehres gemeint. Diese Art der Aufklärung soll wegen steigenden sexuell übertragbaren Infektionen wieder stärker betont werden. Besonders deswegen, weil Eltern selten mit ihren Kindern über ihre körperliche und sexuelle Entwicklung reden und in den Peergroups oft Halbwahrheit ausgetauscht werden. (Vgl. Sielert 2005, S. 26)

Eine angemessene Sprache in der schulischen Sexualerziehung ist in diesem Bereich sehr wichtig. Dies betont auch die Sexualpädagogik der Vielfalt. Es bedarf einer verstärkten Reflexion, gerade im Angesicht der heutigen oft herablassenden Alltagssprache über Sexualität, die auch in den Peergroups von Kindern ihre Anwendung findet. (Vgl. Sielert 2005, S. 26)

Großgeschrieben in der sexuellen Bildung wird das Wissen um die Zusammenhänge von Sexualität mit der Sozialisation. Kinder sollen in der Lage sein diese Zusammenhänge zu reflektieren. Die ,sexuelle Verwahrlosung‘ von Kindern wird nicht mit der Sexualität erklärt, sondern als Resultat unzureichender Bildung und sozialer Deprivation. Sielert erwähnt zudem, dass Pornografie nicht durchweg jugendgefährdend sei. (Vgl. Sielert 2005, S. 26)

Das Problem mit dieser Aussage ist, dass Sielert nicht sein Verständnis über dem Begriff Pornografie offenlegt. Aus diesem Grund kann auf diese Aussage keine Diskussion erfolgen. Jedoch wird auf das Thema Pornografie in dieser Arbeit noch genauer eingegangen.

Den Begriff Pornografie kann keiner genau definieren, denn niemand kennt die Pornografie allumfassend. Was sicher ist, ist das Pornografie mit Sexualität zu tun hat. (Vgl. Starke 2010, S. 7) Doch da selbst Sexualität ein so breiter Begriff ist und auf ein zugrundeliegendes Menschenbild aufbaut, sagt dieser Zusammenhang nicht viel aus.

Für die sexuelle Identität ist das Geschlecht von großer Bedeutung. Der Begriff der sexuellen Orientierung fasst die Sexualpädagogik der Vielfalt weiter als nur die drei häufigsten vertretenen Formen (Heterosexualität, Homosexualität, Bisexualität), weil es unzählig viele Varianten gibt. Deswegen ist es auch nicht förderlich die Homosexualität additiv zu der heterosexuellen Norm zu erheben. (Vgl. Sielert 2005, S. 26)

Die immer steigende Multikulturalität in Klassen wurde auch ein Thema. Des Weiteren beschäftigt sich die Sexualpädagogik der Vielfalt immer mehr mit den Themen von Sexualität bei Menschen mit Behinderung, Menschen in besonderen Lebenssituationen, wie beispielsweise Sexualität im Gefängnis und älteren Menschen. (Vgl. Sielert 2005, S. 27)

Im öffentlichen Diskurs steht immer öfter die Sexualität und Gewalt im Mittelpunkt. Die Sexualpädagogik der Vielfalt versucht dieses Gebiet wissenschaftlich zu beleuchten. Sielert steuert bei, dass hier allerding Vorsicht walten muss, damit die Pädagogik nicht zu einer Gefahrenabwehrpädagogik degradiert. Eine sexualfreundliche Pädagogik soll die Assoziation in der Gesellschaft von Sexualität und deren Gewaltaspekte überschatten. Sie soll zu einer Sensibilisierung der Sinne führen. Die Themen, die zur Sensibilisierung der Sinne führen sollen, sind zahlreich. Sielert erwähnt zum Beispiel die Kultivierung von Körperlichkeit, die Balance von Selbstwertgefühl und die aktive Gestaltung der Selbstpräsentation. (Vgl. Sielert 2005, S. 27)

[...]


1 Foucault beschreibt in seinem Werk Archäologie des Wissens die Einheiten des Diskurses. Der manifeste Diskurs bezieht sich auf etwas bereits Gesagtes. So liegt die Macht des Diskurses nicht in den Sätzen selbst, sondern im Nichtgesagten. (Vgl. Foucault 1979, S. 39) Damit ist gemeint, dass der Diskurs sich auf Symboliken stützt, die jedem bewusst sind und nicht ausdrücklich formuliert werden müssen.

2 Bänziger et. al (2015) beschreibt im Buch Sexuelle Revolution? die Geschichte der Sexualität seit den 1960er Jahren im deutschsprachigen Raum. In diesem Buch wird um einiges genauer die Umstände und Phänomene der damaligen Zeit erörtert, denen leider kein Raum in dieser Arbeit zusteht. Um Verwirrungen vorzugreifen ist zu erwähnen, dass der Begriff der ,Sexuellen Revolution‘ jedoch schon früher verwendet wird und eine andere Situation beschreibt. Saurer erwähnt, dass dieser Begriff von der Forschung in Bezug auf die Zeitspanne von Oktober 1917 bis Mitte der 1930er Jahre verwendet wurde. Deswegen muss im Vorhinein abgeklärt werden, ob es sich bei einem vorliegenden Werk, um die umgangssprachliche Verwendung oder die forschungsbezogene Verwendung handelt. (Vgl. Saurer und Lanzinger 2014, S. 189)

3 Mit ,falschem‘ Sex ist besonders der Analverkehr gemeint. Durch die Entdeckung, dass die meisten untersuchten Infizierten einen hochfrequenten Partnerwechsel aufwiesen und, dass die Krankheit sexuell übertragen werden kann, gerieten besonders die sexuellen Praktiken sowie die homosexuell-orientierten Personen, denen Promiskuität vorgeworfen wurde, in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussionen. Analverkehr wurde in der Öffentlichkeit in kurzer Zeit mit homosexuellen Praktiken semantisch gleichgestellt. (Vgl. Eitz 2003, S. 96.)

4 Auch heutzutage liegt der Fokus wieder vermehrt auf den Gefahren der Sexualität. Sielert meint, dass sich die Pädagogik gegen die Tendenz wehren müsse, um nicht zu einer Gefahrenpädagogik zu degradieren. (Vgl. Sielert 2007, S. 72)

Ende der Leseprobe aus 83 Seiten

Details

Titel
Die Krönung der Sexualpädagogik?
Untertitel
Eine kritische Auseinandersetzung mit der Sexualpädagogik der Vielfalt und eine Analyse über die Praxis
Hochschule
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
Note
1,00
Autor
Jahr
2018
Seiten
83
Katalognummer
V505813
ISBN (eBook)
9783346090812
ISBN (Buch)
9783346090829
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sexualpädagogik der Vielfalt, Sexualität, Sexualpädagogik
Arbeit zitieren
Naemi Reimeir (Autor:in), 2018, Die Krönung der Sexualpädagogik?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/505813

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