Die Euroregion Pro Europa Viadrina. Probleme der grenzüberschreitenden deutsch-polnischen Zusammenarbeit

Ein Fallbeispiel


Masterarbeit, 2016

90 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Fragestellung und These
1.2. Methodische Vorgehensweise
1.3. Forschungsstand

2. Konzepte und Begriffe
2.1. Der Begriff der Region
2.2. Der Begriff der Grenze
2.3. Die Grenzüberschreitende Zusammenarbeit
2.3.1. Mehrwerte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
2.3.2. Hindernisse für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit
2.4. Die Euroregion

3. Theorieansätze zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
3.1. Der border area view
3.2. Der Transnationale Regionalismus
3.3. Grenzüberschreitende Netzwerkbildung
3.4. Analyserahmen zur Erforschung der Euroregion Pro Europa Viadrina
4. Europäische Rahmenbedingungen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit
4.1. Die Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen (AGEG)
4.2. Rechtliche Instrumente und Abkommen
4.2.1. Das Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften (Madrider Konvention)
4.2.2. Die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung
4.3. Das Interreg-Programm

5. Nationale Rahmenbedingungen für grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen
5.1. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenzen (Grenzvertrag)
5.2. Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen
5.3. Rechtsgrundlagen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der regionalen/kommunalen Ebene in Polen
5.4. Rechtsgrundlagen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der regionalen/kommunalen Ebene in Deutschland

6. Die Euroregion Pro Europa Viadrina
6.1. Die deutsch-polnische Staatsgrenze nach 1945
6.2. Der Entstehungsprozess der Pro Europa Viadrina
6.3. Der Handlungsraum der Pro Europa Viadrina
6.3.1. Lage, Fläche und administrative Gliederung
6.3.2. Bevölkerung
6.3.3. Wirtschaft und Arbeitsmarkt
6.3.4. Infrastruktur
6.4. Die institutionelle Ausgestaltung der Euroregion Pro Europa Viadrina
6.4.1. Rechtsform und Organisationsstruktur
6.4.2. Mitgliederstruktur und Finanzierung
6.5. Aufgaben und Ziele
6.6. Kompetenzen und Mitwirkungsmöglichkeiten
6.6.1. Eigentliche und rechtliche Handlungskompetenz
6.6.2. Übertragene Kompetenzen
6.6.3. Mitwirkungsmöglichkeiten der Pro Europa Viadrina
6.7. Bedeutung der Euroregion Pro Europa Viadrina für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit

7. Probleme und Hindernisse in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit

8. Fazit

9. Literaturverzeichnis

10. Interviewverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Ebenen, Formen, Rolle und Bedeutung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit:

Tabelle 2: Interreg-Perioden, Programme und Beträge des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE)

Tabelle 3: Bestandteile, Räumliche Logik und Handlungsebenen der Interreg-Programme

Tabelle 4: Ziele und Handlungsschwerpunkte der Euroregion Pro Europa Viadrina für den Zeitraum 2014 - 2020

Tabelle 5: Probleme der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Handlungsraum der Euroregion Pro Europa Viadrina nach unterschiedlichen Betrachtungsfeldern

Abbildung 1: Organisation, Arbeitsweise und Inhalte der grenzübergreifenden Kooperation von Euroregionen

Abbildung 2: Stufenmodell von Grenzregionen nach Oscar Martinez

Abbildung 3: Analyseraster zur Erforschung der Euroregion Pro Europa Viadrina

Abbildung 4: Lage der Euroregion Pro Europa Viadrina

Abbildung 5: Administrative Gliederung der Euroregion Pro Europa Viadrina

Abbildung 6: Aktuelle Organisationsstruktur der Euroregion Pro Europa Viadrina

1. Einleitung

Grenzregionen werden häufig als Drehscheiben oder Brücken zwischen zwei benachbarten Staaten bezeichnet. Staatsgrenzen bedingen dabei bestimmte Funktionen und Aufgaben, deren Gestaltung und Lösung eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit bzw. Kooperation erforderlich macht. Daneben ist durch eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit auch ein infrastruktureller, wirtschaftlicher und technologischer Wissenstransfer- und Austausch möglich. Dies gilt gerade im Hinblick auf den sich immer weiter erstreckenden Handlungsraum der Europäischen Union. Mit einem Vorankommen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ist zumeist auch die Erwartung verbunden, bestehende Disparitäten und Differenzen zwischen zwei Staaten bezüglich der jeweiligen Wirtschafts-, Sozial-, Kultur- und Rechtsordnung abzubauen und einander anzugleichen.

Es bestehen vielfältige Formen von grenzübergreifenden Kooperationsstrukturen innerhalb der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Es kann sich beispielsweise um Kooperationen der staatlich/regionalen Ebene in Form von Regierungs- oder

Raumordnungskommissionen handeln oder um Kooperationen der regionalen/lokalen Ebene, dort in Form von sogenannten Euroregionen. Bei Euroregionen handelt es sich um eine Art grenzüberschreitenden Dachverband, in dem sich die nach jeweiligem Nationalrecht gegründeten Regionalverbände zusammenschließen. Vor diesem Hintergrund wird das Konstrukt der Euroregion häufig als Sprachrohr für die Bearbeitung und Lösung aller grenzübergreifenden Probleme bezeichnet (vgl. AGEG 2008: 66).

Während sich an der „Westgrenze“ der Bundesrepublik Deutschland die ersten Euroregionen bereits in den 1960er und 1970er Jahren bildeten, ist es an der deutschen „Ostgrenze“ erst zu Beginn der 1990er Jahre zur Gründung von Euroregionen gekommen. Dies lag in erster Linie an der politischen Wende 1989 und dem Zusammenfall des Kommunismus in den ehemaligen Ostblockstaaten.

Die regionalen und im Grenzraum wirkenden Akteure vieler mittel- und osteuropäischer Länder wie Polen und Tschechien erkannten nach der Wende zügig, dass die über Jahrzehnte andauernde Abriegelung der Grenzen sowie die Abschottung der Grenzregionen zu großen Entwicklungsrückständen führte. In dieser Situation entschieden sich die regionalen Akteure sowohl in Deutschland als auch in Polen die Kooperation mit dem Nachbarn zu verstärken und zu intensivieren.

Gegenstand dieser Arbeit soll insbesondere die grenzüberschreitende Zusammenarbeit an der Grenze zwischen Deutschland und Polen sein. Dabei soll das Ziel sein, den Handlungsraum und das grenzüberschreitende Netzwerk der an dieser Grenze gelegenen Euroregion Pro Europa Viadrina darzustellen und zu analysieren. Anhand dieses konkreten Beispiels und der theoretischen Grundlagen sollen sodann die grundsätzlichen Probleme bzw. Barrieren der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit aufgezeigt und gewürdigt werden.

1.1. Fragestellung und These

Die Darstellung und die Analyse der Euroregion Pro Europa Viadrina nebst der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Allgemeinen kann und soll nicht anhand einer einzigen Frage erfolgen. Dies würde dem Konstrukt der Euroregion einschließlich seiner Rahmenbedingungen nicht gerecht werden. Vielmehr sollen in dieser Arbeit folgende (Teil-)Fragen beantwortet werden:

1. Unter welchen europäischen und nationalen Rahmenbedingungen agiert die Euroregion?
2. Wie ist die Euroregion Pro Europa Viadrina institutionell, rechtlich und finanziell ausgestaltet?
3. Welche Ziele und Aufgaben hat die Euroregion?
4. Was sind die allgemeinen und euroregionalen Barrieren der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen?

Die Euroregionen an der deutschen Ostgrenze und deren Wirken werden zumeist kritisch betrachtet. Sie müssen sich mit den Erfolgen der westdeutschen Euroregionen messen, mit denen sie stets verglichen werden. Dabei wird allerdings oftmals bei der Betrachtung der Euroregionen außen vor gelassen, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen ein (relativ) junges Phänomen darstellt. Zwar hat sich die Euroregion Pro Europa Viadrina bereits 1993 gegründet, jedoch ließen die Rahmenbedingungen insbesondere in Polen eine effektive grenzüberschreitende Zusammenarbeit kaum zu. Erst die Verwaltungsneustrukturierung 1999 sowie der Beitritt Polens zur EU im Jahr 2004 haben die Rahmenbedingungen erleichtert. Dennoch sind diese nach wie vor alles andere als optimal.

Aber auch die Strukturen innerhalb der Euroregion Pro Europa Viadrina können durchaus kritisch betrachtet werden. Insbesondere das Vorhandensein von zwei getrennten Geschäftsstellen sowie die rechtliche Konstitution mit einem jeweils deutschen und polnischen Zusammenschluss der Kommunen, erschweren die Zusammenarbeit und verhindern eine aktivere Rolle der Euroregion Pro Europa Viadrina. Deshalb soll in dieser Arbeit die These vertreten werden, dass

- die Euroregion aufgrund ihrer derzeitigen Organisationsstruktur und Mitwirkungsmöglichkeiten sowie innerhalb der vorgegebenen Rahmenbedingungen nur in begrenztem Ausmaß auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit einwirken kann.

1.2. Methodische Vorgehensweise

Nach der Vorstellung des allgemeinen Forschungsstandes zu dem Thema dieser Arbeit (Kapitel 1.3.), sollen in Kapitel 2 die Begriffe und Konzepte, die bei der Analyse der eingangs aufgezeigten Fragestellungen eine zentrale Rolle spielen, dargestellt und erläutert werden. Dabei handelt es sich um die Begriffe Region, Grenze sowie die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die Euroregion. Bei der Darstellung des Begriffes und des Konzeptes der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sollen bereits an dieser Stelle die Mehrwerte (Kapitel 2.3.1.) und die Hindernisse (Kapitel 2.3.2.) der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit herausgearbeitet werden.

In Kapitel 3 sollen dann ganz konkret die bisherigen Forschungsansätze aufgezeigt werden, die sich ausführlich mit den Begriffen der Region, der Grenze und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auseinandersetzen. Hierzu zählen zum einen der „border area view“-Ansatz von Oscar Martinez (Kapitel 3.1.) und zum anderen die Ausführungen des Transnationalen Regionalismus von Peter Schmitt-Egner (Kapitel 3.2.). Darüber hinaus soll die Theorie der grenzüberschreitenden Netzwerkbildung von Joachim Beck dargestellt und erläutert werden (Kapitel 3.3.). Mithilfe dieses Forschungsansatzes lässt sich das Konstrukt und Netzwerk der Euroregion Pro Europa Viadrina anhand fester Indikatoren analysieren. Das konkrete Analyseraster zur Erforschung der Pro Europa Viadrina soll anschließend in Kapitel 3.5. dargestellt und erläutert werden.

Anschließend sollen in Kapitel 4 die europäischen und in Kapitel 5 die nationalen Rahmenbedingungen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen aufgezeigt werden. Es handelt sich hierbei einerseits um die Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen als Sprachrohr der Grenzregionen in den europäischen Institutionen (Kapitel 4.1.) und andererseits um rechtliche Instrumente und Abkommen (Kapitel 4.2.). Zudem soll das europäische Förderprogramm Interreg dargestellt werden (Kapitel 4.3.), welches für die Arbeit der Euroregion und damit einhergehend für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen von großer Bedeutung ist. Zu den in dieser Arbeiten bedeutenden nationalen Rahmenbedingungen zählen zwischenstaatliche Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen (Kapitel 5.1. und 5.2.) sowie die Rechtsgrundlagen der kommunalen und regionalen Ebene in Polen und Deutschland (Kapitel 5.3. und 5.4.).

In Kapitel 6 wird der Handlungsraum der Pro Europa Viadrina untersucht werden (Kapitel 6.3. ), bevor dann die institutionelle Ausgestaltung (Kapitel 6.4.), die Aufgaben und Ziele (Kapitel 6.5.), die Kompetenzen und Mitwirkungsmöglichkeiten (Kapitel 6.6.) sowie abschließend die Bedeutung der Euroregion Pro Europa Viadrina analysiert werden sollen.

Eine aufbereitete Übersicht der allgemeinen sowie euroregionalen Hindernisse der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit beider Länder erfolgt in Kapitel 7, bevor in Kapitel 8 die Zusammenfassung sowie das Fazit dieser Arbeit gezogen werden soll.

Die Beantwortung der unter Kapitel 1.1. aufgeführten Fragen kann dabei nicht nur aufgrund einer Literatur- und Dokumentenanalyse erfolgen, da es insbesondere über das Netzwerk der Euroregion Pro Europa Viadrina und das Zusammenwirken der beteiligten Akteure zu wenig aussagekräftige Literatur und Dokumente gibt. Aus diesem Grund erfolgt die Beantwortung der (Teil-)Fragen sowie die gesamte Analyse der Euroregion im Wesentlichen mithilfe zahlreich geführter Interviews. Befragt wurden - mit der qualitativen und „offenen“ Methode des Leitfadeninterviews - einerseits die Mitglieder und Geschäftsführer der Euroregion sowohl auf deutscher als auch auf polnischer Seite, aber auch Vertreter des Ministeriums der Justiz, für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburgs, die in ihrer alltäglichen Arbeit mit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Allgemeinen und der Euroregion Pro Europa Viadrina im Besonderen zu tun haben.

Wissenschaftliche Forschung zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und den Euroregionen ist zwar grundsätzlich vorhanden, allerdings handelt es sich meistens um Werke aus dem Bereich der Wirtschaftsgeografie. Politik- oder Verwaltungswissenschaftliche Arbeiten sind demgegenüber eher selten. Auffallend ist auch das bestehende Ungleichgewicht zwischen Arbeiten zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Westen und im Osten der Bundesrepublik Deutschland. Ein Großteil der vorhandenen Literatur behandelt die an der Westgrenze gelegenen Euroregionen, zum Beispiel an der deutsch-niederländischen oder der deutsch-französischen Grenze, während die relativ neuen Kooperationsbündnisse an der Ostgrenze bisher kaum erforscht wurden.

Die erste Untersuchung zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Europa wurde 1975 von Freiherr von Malchus vorgelegt. Die Arbeit beschäftigt sich ausführlich mit der Bedeutung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, listet die zum damaligen Zeitpunkt stattfindenden Kooperationen auf und gibt abschließend Empfehlungen für die zukünftige Entwicklung. Danach folgten einige Jahre, in denen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit nicht in größerem Umfang thematisiert wurde. Erst zu Beginn der 1990er Jahre fand die grenzüberschreitende Zusammenarbeit wieder Beachtung in der Forschung. Dies lag nach Meinung von Schramek zum Einen daran, dass nach dem Fall des Kommunismus und der damit verbundenen Öffnung der Grenzen ein Anstieg der Anzahl kooperierender Grenzregionen zu beobachten war. Zum anderen wurden Grenzregionen im Zuge der Reformierung der EU-Regionalpolitik am Ende der 1980er Jahre merklich aufgewertet (vgl. Schramek 2014: 31). Groß und Schmitt-Egner veröffentlichten 1994 eine Untersuchung zu den Rahmenbedingungen und der Praxis transnationaler Zusammenarbeit deutscher Grenzregionen. 1998 stellt Schmitt-Egner erstmals auch einige theoretische Überlegungen zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit an. Insbesondere werden die Begriffe „Grenze“ und „Region“ einer Analyse unterzogen, die auch im theoretischen Teil dieser Arbeit erläutert werden sollen. Schmitt-Egner ging in seiner Arbeit zudem auf die theoretischen Ausführungen von Martinez zu den unterschiedlichen Arten von Grenzen und Grenzräumen ein.1

Oben aufgeführte Arbeiten beschäftigen sich grundsätzlich mit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, jedoch kaum mit dem Phänomen „Euroregion“. Beck untersuchte 1997 in seiner Dissertation die an der deutsch-französischen Grenze gelegene Euregio Pamina aus einer verwaltungswissenschaftlichen Perspektive heraus. Dabei analysierte er die Funktionslogik und die Rahmenbedingungen transnationaler Netzwerke. Von großer Bedeutung für diese Arbeit sind seine Überlegungen zur grenzüberschreitenden Netzwerkbildung und zu Netzwerken im Allgemeinen.

Die Geografin Schöne analysierte in ihrer Dissertation 2006 die deutsch-polnischen und deutsch-tschechischen Euroregionen. Dabei verglich und typologisierte sie die regionalen Netzwerke und zeigte zudem mögliche Entwicklungsperspektiven der Euroregionen an der Ostgrenze Deutschlands auf.

Schließlich untersuchte Niehaus 2013 in ihrer Dissertation die „Problematik der Grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der Europäischen Union“. Ausgehend von der insbesondere in der Politikwissenschaft bekannten Theorie des „Multilevel Governance“ untersuchte sie die europäischen und nationalen Rahmenbedingungen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und zeigte abschließend Barrieren der Zusammenarbeit in ausgewählten Grenzregionen auf.

2. Konzepte und Begriffe

2.1. Der Begriff der Region

Ungeachtet seiner weiten Verbreitung und der zentralen Rolle, die der Begriff der Region insbesondere im Zusammenhang der föderalen Strukturen in Europa spielt, ist es weder der Politikwissenschaft noch der politischen Praxis gelungen, eine einheitliche Definition hervorzubringen (vgl. Haack 2007: 27).

Hrbek und Weyand sehen einen Definitionsansatz darin, dass sich eine Region anhand bestimmter Merkmale von anderen Regionen abgrenzt. Dabei kann es sich um folgende Merkmale handeln: physisch-geografische Gegebenheiten, ethnische, sprachliche, kulturelle oder religiöse Gemeinsamkeiten der Bevölkerungsmehrheiten, eine gemeinsame Vergangenheit oder eine ähnliche ökonomische Struktur, die ein Territorium prägt (vgl. Hrbek/Weyand 1994: 15ff.).

Schmitt-Egner definiert Region unabhängig von ihrer internationalen, transnationalen oder subnationalen Gestalt als „eine räumliche Teileinheit mittlerer Größenordnung und intermediären Charakters, deren materielles Substrat das Territorium bildet“ (Schmitt- Egner 1998: 50). Dabei sind nach Schmitt-Egner folgende Grundmerkmale in dieser Definition enthalten:

- Der Lage- oder Raumbezug: Die Teilraumnatur verweist einerseits auf ein vertikales Referenzsystem, andererseits aber auch auf ein horizontales Referenzsystem mit anderen Teileinheiten.
- Der Maßstabbezug „mittlere Größe“, der sowohl die Existenz einer größeren überregionalen Einheit als auch den Einschluss kleinerer subregionalen Einheiten umfasst.
- Der funktionale Bezug „intermediär“ weist auf die Vermittlung zwischen den größeren und kleineren Teileinheiten hin.
- Dagegen impliziert nach Schmitt-Egner der Begriff „Territorium“, dass es sich um kein natürliches, sondern um ein historisches Produkt politischer und sozialer Interaktion handelt (Schmitt-Egner 1998: 51f.). Dazu zählt im Einzelnen:

o der Zeitbezug; das heißt Regionen entstehen und verschwinden wieder, o der Subjektbezug; dies bedeutet, dass es sich bei Regionen um Resultate sozialer und politischer Interaktionen handelt und o der Qualitätsbezug; das heißt Territorien sind rechtlich-politische Konstrukte, die in einem sozialen, ökonomischen und kulturellen Kontext stehen.

Insbesondere der funktionale Bezug und der Begriff des Territoriums weisen darauf hin, dass es sich bei dem Konzept bzw. Begriff der Region nicht ausschließlich um ein geografisches, sondern ebenso um ein sozialwissenschaftliches Konzept handeln muss.

Die Art und Beschaffenheit einer Grenze bedingt zu einem großen Teil die Intensität und Qualität der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Deshalb soll zunächst nach der Funktion und Art der Grenze gefragt werden. Schmitt-Egner bezeichnet eine Grenze als „konstruierte Barriere, die Raumeinheiten sowie Systeme ebenso umfasst wie trennt und nur unter bestimmten Bedingungen überwunden werden kann“ (Schmitt-Egner 1998: 39). Die Grenze fungiert im klassischen System der Nationalstaaten als Entstehungsgrund des Völkerrechts sowie als Verbindungslinie zum innerstaatlichen Recht (Schmitt-Egner 2005: 80). Dabei werden der Grenze fünf (normative) Funktionen von den Nationalstaaten zugeschrieben:

- eine Ordnungsfunktion, d.h. Trennungsfunktion, denn sie grenzt Souveränitätsbereiche und Kompetenzen diesseits und jenseits der juristischen Trennungslinie ab,
- eine Kontrollfunktion als Instrument der Regulierung der Transaktion von Waren, Kapital, Personen und Dienstleistungen,
- eine Schutzfunktion, als Garant staatlicher Integrität und Unverletzbarkeit des Territoriums,
- eine identitätsstiftende Funktion als Definitionsgrenze nationaler Identität und
- eine Friedensfunktion, d.h. innerhalb ihres Raumes herrscht das Gewaltverbot auf Basis des staatlichen Gewaltmonopols.

Vor 1990 ließen sich in Europa drei Grenzarten beobachten (vgl. Schmitt-Egner 1998: 39ff.):

- „Ultraharte Grenzen“, in denen ideologische Systemgrenzen zusammen mit strategisch-territorialen Grenzen Ost- und Westeuropa in geschlossene Handlungsräume teilten;
- „Harte Grenzen“, d.h. klassisch politisch-juristische Grenzen zwischen der Europäischen Union und anderen nichtkommunistischen Staaten Europas mit Filterfunktion im Bereich Waren, Grenzkontrollen und Dienstleistungen;
- Durchlässige politisch-juristische Grenzen zwischen den Mitgliedsstaaten der EU.

Bei der hier gegenständlichen deutsch-polnischen Grenze handelte es sich vor dem Zusammenbruch des Kommunismus um eine „ultraharte“ Grenze. Nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ begannen die „ultraharten“ Grenzen jedoch „aufzuweichen“. Das deutsch-polnische Grenzgebiet lässt sich seit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union im Jahr 2004 als sogenannte Binnengrenzregion bezeichnen, also nach Schmitt-Egners Definition als durchlässige politisch-juristische Grenze zwischen zwei Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Dadurch ergeben sich für die grenznahen Regionen neue Handlungsoptionen sowie transnationale und supranationale Handlungsräume, die von den subgouvernementalen Akteuren besetzt werden können. Jedoch muss betont werden, dass auch nach der Erweiterung des Schengener Abkommens auf die mittel- und osteuropäischen Staaten wie Polen im Jahr 2007, in deren Folge unter anderem die stationären Grenzkontrollen drastisch zurückgegangen sind, es sich bei der deutsch­polnischen Grenze jedoch nur scheinbar um eine „offen“ Grenze handelt. Diese ist mittlerweile nur weniger juristischer, denn politischer, ökonomischer, sozialer und kultureller Natur (vgl. Schmitt-Egner 2005: 85). So existieren zwischen Deutschland und Polen beispielsweise unterschiedliche Bildungssysteme, verschiedene Sprachen und auch abweichende Wirtschaftsmentalitäten, die als Barriere fungieren.

2.3. Die Grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Zur Milderung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Nachteile von Grenzregionen2, die sich vordergründig durch ihre Lage und den Barriereeffekt der nationalen Grenzen ergeben (vgl. Kapitel 3.1.), entwickelte sich insbesondere nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ in Osteuropa ein Netz an grenzüberschreitender Zusammenarbeit. Die Bewältigung der grenzbedingten Nachteile sollte dabei durch ein aufeinander abgestimmtes oder im Optimalfall sogar gemeinsames Handeln erfolgen. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit erscheint als Möglichkeit zur Förderung des inneren Entwicklungspotenzials der beteiligten Regionen. Zugleich erhoffen sich die Akteure eine Ausweitung ihres eigenen Handlungsspielraums, sowohl gegenüber den nationalstaatlichen als auch gegenüber den europäischen Instanzen (vgl. Hrbek/Weyand 1994: 44).

Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, von Schmitt-Egner als „transnationale Interaktion zwischen benachbarten Regionen und ihren Akteuren zur Erhaltung, Steuerung und Entwicklung eines gemeinsamen Lebensraums“ definiert, kann in drei Entwicklungsstufen unterteilt werden. Zu Beginn stehen meist informelle regelmäßige Kontakte zwischen den Kooperationspartnern, die eine wichtige Basis für eine langfristige Zusammenarbeit bilden. Die nächste Stufe bildet die vertragliche Zusammenarbeit, die durch die Übertragung von Rechten entsteht. Mit diesem Schritt können dauerhafte grenzüberschreitende Strukturen geschaffen werden. Aus der vertraglichen Zusammenarbeit können sich sodann als dritte Stufe grenzüberschreitende Institutionen entwickeln. Mithilfe dieser Institutionen erhofft man sich, politische Interessen gemeinsam vertreten und koordinieren zu können (vgl. Newrly 2002: 46).

Es bestehen vielfältige Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Am deutlichsten ist die Abgrenzung zwischen der staatlich/regionalen Ebene und der regionalen/lokalen Ebene. In dieser Arbeit soll in erster Linie auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf regionaler/lokaler Ebene eingegangen werden. Diese umfasst häufig sowohl die sozio-kulturelle als auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Dieser Art der Kooperation wird eine langfristige Rolle als Nahtstelle und Verknüpfungspunkt der Integration zugeschrieben.

Jens Gabbe sieht die regionale/lokale Ebene als die beste Ebene der Zusammenarbeit an, da sie vier Grundelemente einer erfolgreichen grenzüberschreitenden Kooperation sicherstellt (vgl. AGEG 2008: 64). Die vier Grundelemente lauten:

- Bürgernähe,
- Einschaltung von Entscheidungsträgern aller Ebenen (EU, national, regional, lokal) beiderseits der Grenze,
- Beteiligung verschiedener Akteure (Organisationen, Verbände) beiderseits der Grenze,
- Grenzüberschreitende Kooperationsstrukturen mit gemeinsamen Organen, Geschäftsstellen sowie Sicherstellung eigener Finanzierung.

In der nachfolgenden Tabelle soll die Form, die Rolle und Bedeutung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit aufgezeigt werden.

Tabelle 1: Ebene, Form, Rolle und Bedeutung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Niehaus 2013: 50

2.3.1. Mehrwerte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit

Die als Dachverband für die europäischen Grenzregionen fungierende Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen (AGEG) formulierte die wichtigsten Mehrwerte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit (vgl. AGEG 2010: 73ff.). Der Mehrwert der Zusammenarbeit kann auf europäischer, politischer, institutioneller, wirtschaftlicher und soziokultureller Ebene aufgezeigt werden. Hierzu im Einzelnen:

Der europäische Mehrwert ergibt sich aus dem Wunsch der Bevölkerung, aufgrund ihrer vergangenen Erfahrungen in benachbarten Grenzregionen zusammenzuarbeiten und somit wirksam zur Förderung von Frieden, Freiheit, Sicherheit und Schutz der Menschenrechte beizutragen.

Der politische Mehrwert besteht im Beitrag zum Aufbau und zur Integration Europas. Er soll das Kennenlernen, den Aufbau von Vertrauen, die Umsetzung von Subsidiarität und Partnerschaft sowie die verstärkte wirtschaftliche und soziale Kohäsion voranbringen. Dazu gehört auch die Vorbereitung auf den Beitritt und die Aufnahme neuer Mitglieder in die Europäische Union. Durch EU-Fördermittel soll die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in mehrjährigen Programmen gesichert sowie die nationale und regionale Co-Finanzierung gebunden werden.

Der institutionelle Mehrwert besteht aus der aktiven Beteiligung der Bürger, Behörden und der sozialen und politischen Verbände beiderseits der Grenze. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit soll in arbeitsfähigen Strukturen realisiert werden, deren Grundlage eine vertikal und horizontal funktionierende Partnerschaft darstellt. Nur so können Struktur- und Kompetenzunterschiede überwunden werden. Innerhalb dieser Strukturen sollen grenzüberschreitende Programme und Projekte gemeinsam ausgearbeitet, umgesetzt und finanziert werden. Nach Meinung der AGEG zeigen bisherige Erfahrungen, dass gemeinsam entwickelte Programme und Projekte am effektivsten realisiert werden können, wenn die regionalen und lokalen Akteure vor Ort eine zentrale Rolle einnehmen (vgl. AGEG 2008: 92).

Der wirtschaftliche und soziale Mehrwert äußert sich in erster Linie durch folgende Aspekte:

- die Mobilisierung eines endogenen Potenzials dank der Stärkung der kommunalen und regionalen Ebenen als Partner und Vorläufer für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit,
- die Mitwirkung von Akteuren aus dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich,
- die Öffnung des Arbeitsmarktes und Angleichung der beruflichen Qualifikationen,
- dauerhafte Fortschritte in der Raumordnung und der Regionalpolitik und
- die Verbesserung der grenzübergreifenden Verkehrsinfrastruktur.

Der soziokulturelle Mehrwert zeigt sich durch:

- die zügige und konstante Verbreitung der Kenntnisse über die geografischen, strukturellen, wirtschaftlichen, soziokulturellen und historischen Gegebenheiten der grenzübergreifenden Region,
- die Darstellung der Grenzregion mithilfe kartografischer Veröffentlichungen,
- die Herausbildung einer motivierten Expertengruppe aus dem gesellschaftlich relevanten Bereichen (z.B. Schule, Kirche, Vereine),
- Kenntnisse der Sprache und Förderung des interkulturellen Dialogs als Katalysator der Regionalentwicklung.

2.3.2. Hindernisse für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Trotz der überragenden Mehrwerte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit stehen ihrer vollen Entfaltung jedoch nach Ansicht von Hans Martin Tschudi mehrere Hindernisse wie folgt (vgl. Tschudi 2010: 16) entgegen:

- Geophysische Hindernisse können die grenzüberschreitende Zusammenarbeit erschweren oder zumindest einschränken, zum Beispiel kann ein Fluss oder eine Gebirgskette enge und regelmäßige grenzüberschreitende Beziehungen erschweren oder gar verhindern. Oft ist die wirkliche Ursache weniger das natürliche Hindernis selbst, sondern eher das Fehlen von Überwindungsstrukturen. Im deutsch­polnischen Grenzgebiet stellt die Oder ein solches geophysisches Hindernis dar. Insbesondere das Fehlen von Brücken erschwert hier das regelmäßige und einfache Überqueren des Flusses.
- Kulturhistorische Hindernisse sind zumeist schwieriger zu überwinden als natürliche Hindernisse. Frühere Konflikte und Auseinandersetzungen, zum Beispiel zwischen Deutschland und Polen im 2. Weltkrieg, erschweren das Zustandekommen dauerhafter Beziehungen zwischen den Grenzgebieten der betroffenen Länder. Dabei möchte die Bevölkerung beiderseits der Grenze nicht unbedingt Kontakte zum Nachbarland knüpfen oder wird von den staatlichen Stellen nicht dazu ermuntert.
- Das Sprachhindernis in den Grenzgebieten wird teilweise unterschätzt, obwohl es eines der ersten und gravierendsten Hemmnisse beim Zustandekommen dauerhafter enger Grenzbeziehungen ist.

Darüber hinaus ergeben sich aus Sicht von Grenzregionen und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit folgende grundsätzliche Probleme (vgl. Schmitt-Egner 2005: 172ff.):

- Das „loi unique“-Prinzip: Ein sehr großes Problem bei der Schaffung eines gemeinsamen rechtlichen Rahmens ist die Konstruktion einer Rechtspersönlichkeit, die auf beiden Seiten der Grenze Gültigkeit besitzt. Nach dem loi-unique-Prinzip kann die Rechtspersönlichkeit nur von einem Rechtssystem ausgehen, dem auch die Kooperationspartner aus anderen Staaten unterliegen. Bei unterschiedlichen Rechtssystemen ist ein juristischer Konflikt quasi vorprogrammiert.
- Übertragung von staatlichen Kompetenzen auf grenzüberschreitende Körperschaften, Vereine, etc.. Dieser Vorgang ist zumeist mit einer Souveränitätseinschränkung verbunden. Ähnliches gilt für das Territorialprinzip, welches besagt, dass die Anwendung ausländischer Rechtsprechung und Gesetzgebung auf eigenem Gebiet abgelehnt wird.
- Problematik privatrechtlicher Kooperationsformen: Grenzüberschreitende

Zusammenarbeit, die auf privatrechtlichen Zusammenschlüssen basiert, wird mit der Problematik unzureichender oder gar fehlender Kontrolle und Transparenz konfrontiert. Unter diesen Bedingungen erscheint eine Übertragung von Kompetenzen auf grenzüberschreitende Netzwerke problematisch.

2.4. Die Euroregion

Nunmehr wird der Begriff der Euroregion erläutert. Die Bezeichnung „Euroregion“ geht auf die sogenannte „Madrider Konvention“3 des Europarates vom 21.5.1980 zurück4. Bei einer Euroregion handelt es sich um eine spezielle Form der Grenzregion. In ihrer geografischen Begriffsdimension markiert die Euroregion ein Gebiet, das ihre übergeordnete Bezugsgröße im Sinne einer Europäischen Region bereits im Namen trägt (Haack 2007: 36). Im Allgemeinen stellen Euroregionen transnationale Kooperationsgemeinschaften aus mindestens zwei kooperierenden Staaten beiderseits der Staatsgrenze dar, die sowohl auf der staatlichen, der regionalen als auch der kommunalen Ebene miteinander vernetzt sind.

In ihrer rechtlichen Ausgestaltung können sich die Euroregionen stark voneinander unterscheiden. Sie können aufgrund eines Staatsvertrages zwischen den beteiligten Regionen zusammengeführt sein, über privatrechtliche Vereinbarungen oder in Form von losen Arbeitsgemeinschaften. Folglich existiert kein allgemeingültig anerkanntes Modell einer Euroregion (vgl. Student 2000: 77f.). Nichtsdestotrotz lässt sich bei ihnen ein typisches Organisationsschema vorfinden. Zumeist bestehen sie aus mehreren Gremien. Hierzu zählen eine gewählte parlamentarische Versammlung als höchstes Gremium, ein Hauptausschuss und thematische Arbeitskreise, in die alle Wirtschafts- und Sozialpartner sowie Regierungsinstanzen und Verbände beiderseits der Grenze eingebunden sein können (vgl. Gabbe 2000: 54).

Euroregionen bilden dabei keine neue Verwaltungsebene im europäischen Mehrebenensystem, vielmehr fungieren sie als „Drehscheibe“, in denen sich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit konzentriert. Aus diesem Grund besitzen sie keine eigene Rechtspersönlichkeit. Um über eine Rechtsfähigkeit zu verfügen, müssen sie von einer Einrichtung getragen werden, die als juristische Person agiert. In der Bundesrepublik Deutschland sind das zumeist Zusammenschlüsse von Kreisen, Städten und Gemeinden, in Polen handelt es sich um Kommunal- oder Gemeindeverbände.

In Europa sind Euroregionen nach dem zweiten Weltkrieg auf Initiative von Lokalpolitikern gegründet worden mit dem Ziel, die gemeinsamen Interessen beiderseits von den Staatsgrenzen und somit die grenzüberschreitenden Zusammenarbeit fördern zu wollen (vgl. Euroregion Pro Europa Viadrina 2013: 7). Die älteste Euroregion ist die EUREGIO mit Sitz in Gronau. Sie befindet sich entlang der deutsch-niederländischen Grenze und wurde 1958 gegründet. Insgesamt umfasst sie 130 Gemeinden aus beiden Ländern.

Euroregionen zielen als Kern einer zielorientierten und effektiven Planungskooperation in erster Linie auf die Überwindung der Grenzen zur besseren Nutzung der eigenen Potenziale (vgl. Newrly 2002: 48). Des Weiteren streben sie eine Ausweitung des eigenen Handlungsspielraums gegenüber der nationalen und supranationalen Ebene an.

Die Europäische Kommission betrachtet die Zusammenarbeit in den Euroregionen als die intensivste Form der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und als einen wesentlichen Faktor für Völkerverständigung. Deshalb hat sie sich zum Ziel gesetzt, diese Form an den EU-Binnen- und Außengrenzen politisch anzustreben (Gabbe 2000: 8). Zudem dienen Euroregionen der EU als grenzübergreifende Ansprechpartner für einzelne Programme und Projekte der europäischen Strukturfondsförderung, zum Beispiel im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative Interreg, die in den nachfolgenden Kapiteln ausführlich erläutert wird.

Die Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen (AGEG) arbeitete in Zusammenarbeit mit der Generaldirektion Regionalpolitik der Europäischen Kommission eine Zusammenfassung der Struktur, der Inhalte und der Arbeitsweise einer Euroregion aus. Das Ergebnis wird in der nachfolgenden Abbildung dargestellt und zusammengefasst. Grundsätzlich wird darin aufgezeigt, wie Euroregionen organisatorisch aufgebaut sind und wie und auf welche Weise sie inhaltlich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mitbestimmen und fördern sollen.

Abbildung 1: Organisation, Arbeitsweise und Inhalte der grenzübergreifenden Kooperation von Euroregionen

Organisation

- Zusammenschluss regionaler und lokaler Körperschaften beiderseits einer Staatsgrenze, teilweise mit einer parlamentarischen Versammlung;
- Grenzübergreifende Organisation mit einem ständigen Sekretariat und mit Fach- und Verwaltungspersonal und eigenen finanziellen Mitteln;
- Nach dem Privatrecht, basierend auf nationalen Zweckverbänden beiderseits der Grenze nach jeweils geltendem öffentlichen Recht oder
- Nach dem öffentlichen Recht, basierend auf Staatsverträgen, die auch die Mitgliedschaft der Gebietskörperschaften regeln.

Arbeitsweise

- Entwicklungs- und strategieorientierte Zusammenarbeit, nicht einzelfallorientierte Maßnahmen;
- Grundsätzlich grenzüberschreitend, nicht als nationale Grenzregion;
- Keine neue Verwaltungsebene;
- Drehscheibe für alle grenzübergreifenden Beziehungen;
- Ausgleichsebene zwischen unterschiedlichen Strukturen und Kompetenzen beiderseits der Grenze sowie in psychologischer Sicht;

- Partnerschaftliche Kooperation sowohl vertikal (europäisch, staatlich, regional, lokal) beiderseits der Grenze als auch horizontal über die Grenze hinweg;
- Umsetzung von grenzübergreifend getroffenen Entscheidungen auf nationaler Ebene gemäß den beiderseits der Grenze jeweils geltenden Verfahren;
- Grenzübergreifende Beteiligung von Politikern und Bürgern, Institutionen und Sozialpartnern an den Programmen, Projekten und Entscheidungsprozessen;
- Eigeninitiative und Einsatz von Eigenmitteln als Voraussetzung für Hilfe und Unterstützung von Dritten.

Inhalte der grenzübergreifenden Kooperation

- Abgrenzung des Arbeitsgebietes entsprechend gemeinsamer Interessen;
- Zusammenarbeit in allen Lebensbereichen: Wohnen, Arbeit, Kultur, etc.;
- Umsetzung der Verträge, Vereinbarungen und Abkommen, die auf europäischer Ebene und zwischen Staaten abgeschlossen worden sind, in die grenzübergreifende Praxis;
- Beratung, Förderung und Koordinierung der grenzübergreifenden Zusammenarbeit unter anderem auf folgenden Gebieten;

- Wirtschaftliche Entwicklung,
- Transport und Verkehr und Kommunikation,
- Kultur, Sport und Tourismus,
- Umwelt und Naturschutz,
- Energie und Gesundheitswesen,
- Schule und Bildung, soziale Kooperation,
- Öffentliche Sicherheit.

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: AGEG 2008: 67

3. Theorieansätze zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit

Die vorstehenden Ausführungen, insbesondere zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und zu den Euroregionen haben gezeigt, dass die grenzübergreifende Zusammenarbeit auf der einen Seite einen deutlichen Mehrwert mit sich bringt und zur Schaffung eines harmonischen und effizienten Miteinander an den europäischen Grenzen beitragen kann, dieser jedoch zuweilen auch Hindernisse und Barrieren gegenüber stehen.

Mit der Zunahme regionaler und kommunaler Kooperationsformen an den Binnengrenzen der europäischen Staaten setzte in den 1970er Jahren die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Forschungsgegenstand der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ein. Als Gegenstand angewandter Forschung weist sie einen hohen Grad an Interdisziplinarität auf (vgl. Schmitt-Egner 1998: 27).

Da es keine spezielle Theorie zu der Arbeit und Wirkungsweise von Euroregionen gibt, sollen an dieser Stelle Theorieansätze zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit aufgezeigt werden. Jedoch beziehen die nachfolgenden Forschungsansätze auch Euroregionen - definiert als institutionalisierte und intensivste Form der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit - ausdrücklich mit ein. Zahlreiche theoretische Annahmen der nachfolgend vorgestellten Forschungsansätze sollen am Fallbeispiel der Euroregion Pro Europa Viadrina überprüft und analysiert werden.

In diesem Kapitel sollen insbesondere die Theorie des Transnationalen Regionalismus sowie die grenzüberschreitende Netzwerkbildung den Grundrahmen für den empirischen Teil der Arbeit liefern. Aus diesen beiden Theorieansätzen soll anschließend ein geeigneter Analyserahmen für die empirische Untersuchung der Euroregion PRO EUROPA VIADRINA entwickelt werden.

Während die Theorie der grenzüberschreitenden Netzwerke von Joachim Beck die Analyse der Euroregion als institutionelles Netzwerk ermöglicht, befassen sich die Theorie des Transnationalen Regionalismus und der „border area view“-Ansatz unter anderem mit den historischen Rahmenbedingungen, den zentralen Begriffen wie der Region und der Grenze, sowie deren Auswirkungen auf Grenzregionen, die für die Funktionalität und Bedeutung einer Euroregion prägend sind. Die Auseinandersetzung mit den zentralen Begriffen wurde im Wesentlichen bereits in Kapitel 2 vorgenommen.

3.1. Der border area view

Der „border area view“-Ansatz, in erster Linie vertreten vom US-amerikanischen Professor Oscar Martinez, befasst sich mit den Auswirkungen der Grenze auf den grenznahen Raum. Dabei untersucht Martinez nicht nur einen einzelnen Grenzraum, sondern mehrere benachbarte Grenzräume mit ihren vielfältigen ökonomischen, sozialen und kulturellen Interaktionen (vgl. Martinez 1994: 23ff). Martinez hat dabei am Beispiel der Grenze zwischen den USA und Mexico ein Stufenmodell des grenznahen Raumes und der grenzüberschreitenden Beziehungen entworfen. Dabei unterscheidet er vier Grundtypen von Grenzregionen:

1. „Alienated borderlands“, bei denen die Grenzen quasi geschlossen sind und es so gut wie keinen grenzüberschreitenden Austausch gibt. Diese Gegenden sind meist nur gering bevölkert und wirtschaftlich unterentwickelt.
2. „Coexistenz borderlands“, bei denen die Nationalstaaten auftretende Grenzkonflikte auf ein beherrschbares Maß reduzieren und ein begrenzter Austausch stattfindet. Es kommt jedoch zu keiner spürbaren sozialen oder wirtschaftlichen Entwicklung dieser Regionen.
3. „Interdependent borderlands“, bei denen es aufgrund grenzübergreifender Strukturverflechtungen zu einer tiefergehenden Kooperation kommt, die von gegenseitigem Nutzen geprägt ist. Dieser Zustand kann zu einer freundschaftlichen Beziehung der Grenzbewohner führen, welche wiederum Auswirkungen auf die sozialen und kulturellen Systeme hat. Der Grad der Grenzöffnung ist laut Martinez abhängig von den getroffenen Entscheidungen und Regelungen der jeweiligen Nationalregierungen, beispielsweise in den Bereichen Immigration und Wirtschaftsabkommen.
4. „Integrated borderlands“ sind solche Grenzregionen, die alle politischen, ökonomischen und sozialen Barrieren beseitigt haben und ein unbegrenzter grenzüberschreitender Personen- und Warenverkehr möglich ist. Dabei sehen sich die Grenzbewohner als Mitglieder und Teil einer gemeinsamen Region. Voraussetzung ist, dass beide Staaten politisch stabil, wirtschaftlich gefestigt und militärisch sicher sind.

[...]


1 Siehe dazu Kapitel 3.1.

2 Schmitt-Egner definiert Grenzregionen als „subnationale Einheiten, die an den nationalstaatlichen Grenzen zu Lande und zu Wasser liegen“ (Schmitt-Egner 1998: 37).

3 Siehe Kapitel 4.2.

4 In der Literatur wird häufig auch von „Euregio“ oder „Europaregion“ gesprochen. In dieser Arbeit wird der Begriff „Euroregion“ verwendet. Diese Bezeichnung hat sich insbesondere zur Beschreibung der transnationalen Kooperationsgemeinschaften an der „Ostgrenze“ Deutschland in der Literatur durchgesetzt, während die Strukturen an der Westgrenze häufig mit dem Begriff „Euregio“ bezeichnet werden.

Ende der Leseprobe aus 90 Seiten

Details

Titel
Die Euroregion Pro Europa Viadrina. Probleme der grenzüberschreitenden deutsch-polnischen Zusammenarbeit
Untertitel
Ein Fallbeispiel
Hochschule
Universität Potsdam  (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät)
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
90
Katalognummer
V505095
ISBN (eBook)
9783346078346
ISBN (Buch)
9783346078353
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Euroregion, Rechtliche Rahmenbedingungen, Europäische Rahmenbedingungen, Theorien der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
Arbeit zitieren
Alexander Hertel (Autor:in), 2016, Die Euroregion Pro Europa Viadrina. Probleme der grenzüberschreitenden deutsch-polnischen Zusammenarbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/505095

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