Pilgern als eine spezifische Form von sozialpädagogischer Einzelfallhilfe

Analysiert anhand eines konkreten Falls


Diplomarbeit, 2005

126 Seiten, Note: 1,6


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Vorwort
I. 1. Motivation
I. 2. These

II. Theoretische Grundlagen
II. 1. Hilfen zur Erziehung
II. 1.1. Erziehungshilfen für Jugendliche im Wandel
II. 1.2. Erlebnispädagogischer Hintergrund
II. 1.2.1. Geschichte und Wirkungsmodelle
II. 1.2.2. Stellenwert der Erlebnispädagogik in der Jugendhilfe
II. 1.3. Intensiv Sozialpädagogische Einzelmaßnahmen
II. 1.3.1. Letzte Instanz vorm sozialen Abstieg?
II. 1.3.2. Rechtliche Rahmenbedingungen
II. 1.3.3. Überblick über Maßnahmengebote
II. 1.3.4. Kritik und persönliche Bewertung
II. 1.3.5. Weiterentwicklung und Perspektiven
II. 2. Pilgern
II. 2.1. Spezielles Wandern
II. 2.2. Wandern als Therapie
II. 2.3. Wandern als Angebot für Jugendliche

III. Auf dem Jacobsweg
III. 1. Vorstellung des Jacobsweges
III. 2. Die Maßnahme
III. 3. Methodik
III. 3.1. Der thematische Leitfaden
III. 3.2. Beobachtung
III. 3.3. Befragung
III. 4. Vorstellung der Jugendlichen
III. 4.1. Biografisches
III. 4.2. Persönliche Erwartungen von Lisa an das Reiseprojekt
III. 5. Durchführung des Reiseprojektes
III. 6. Auswertung
III. 6.1. Bezug zu Lisas Biografie
III. 6.2. Lisas Einstellung zum Projekt
III. 6.3. Verhalten in Konfliktsituationen
III. 6.4. Einfluss der Umgebung
III. 6.5. Beziehung zum Betreuer
III. 6.6. Die Wirkung von positiven Erlebnissen
III. 6.7. Lisas körperliches Befinden

IV. Abschließende Betrachtung

Literaturverzeichnis

Anhang

Fragebogen

Abschließende Antworten Lisas zum Projekt

Interviews

Protokolle: Teilnehmende Beobachtung

Eidesstattliche Erklärung

I. Vorwort

I. 1. Motivation

Betrachtet man die Gesellschaft, in der wir gegenwärtig leben, muss man nach den Missständen nicht lange suchen. Spontaneität und Eigeninitiative nehmen immer mehr ab und „Individualismus“ spiegelt den Zeitgeist der westlichen Kultur wieder. Das Leben vieler Mitmenschen ist geprägt von Hektik, Selbstgefälligkeit und festgefahrenen Strukturen.

Im 6. Semester meines Studiums der Sozialpädagogik hatte ich die Chance, mein Hauptpraktikum in einer „Intensiv Sozialpädagogischen Einzelmaßnahme“ (ISE) im Süden Frankreichs zu absolvieren. Dort hatte ich zum Einen Gelegenheit, die während meines bisherigen Studiums erworbenen theoretischen Grundlagen praktisch anzuwenden und konnte zum anderen erfahren, wie wirkungsvoll diese handlungsorientierte Methode den beschriebenen Missständen entgegen wirken kann.

Schön wäre es, wenn Hilfsbereitschaft, Neugierde, Hingabe, Zusammenarbeit, Respekt etc. zur Grundausstattung jedes Individuums gehören würden und die Jugendhilfe weit weniger zu tun hätte. Aber betrachtet man die Statistiken in diesem Bereich, sind die Zahlen alles andere als rückläufig. Damit meine ich nicht nur den rasanten Anstieg der Sozialhilfeempfänger – das ließe sich mit der Langzeitmassenarbeitslosigkeit erklären. Bedenklicher ist meiner Meinung nach, dass es als immer weniger selbstverständlich gilt, für seine Kinder zu sorgen, egal wie schlecht es einem selbst geht. Es häufen sich die Fälle, in denen die staatliche Kinder- und Jugendhilfe eingreifen muss, weil z.B. die Eltern versagen. Begriffe wie „broken home“ oder „Familie in Auflösung“ sind oft gebrauchte Schlagwörter, mit denen familiäre Strukturen charakterisiert werden, die mittlerweile keine Seltenheit mehr sind. Die betroffenen Kinder können nicht richtig sprechen, sie sind fehlernährt, wahrnehmungsgestört, aggressiv, völlig distanzlos, seelisch verwahrlost, körperlich ungepflegt, einsam, verängstigt und/ oder kriminell. Oft kennzeichnen multiple Problemlagen das familiäre Zusammenleben und es entstehen Problemeskalationen, die immer wieder Kriseninterventionen erforderlich machen und diverse Unterstützungsmaßnahmen auslösen.[1]

Die traditionellen Diagnosemodelle scheinen der Komplexität der Probleme und dem gesellschaftlichen Druck nicht mehr gewachsen zu sein. Also müssen neue gute Konzepte entwickelt werden; Projekte, die bei den Jugendlichen etwas ausrichten und wenigstens ein paar Fehler von den Eltern versuchen zu korrigieren.

Die Möglichkeit in einer ISE zu arbeiten, hat mir nicht nur gezeigt, was es bedeutet, tatsächlich als Sozialpädagoge tätig zu sein, sondern hat mir auch Perspektiven und neue Ansätze aufgezeigt, was die Arbeit mit Jugendlichen betrifft.

Die ISE – Wassermühle befindet sich unweit des Dorfes Maignaut - Tauzia in der Region Midi – Pyreenes in Frankreich und besteht seit dem Jahr 2000. Dort lebt und arbeitet ein deutsches Paar mit Jugendlichen im familienähnlichen Verbund. Da der Betreuerschlüssel bei dieser Maßnahme 1:1 entspricht, sind maximal zwei Jugendliche vor Ort. Auf die Konzeption der ISE –Wassermühle selbst werde ich an dieser Stelle nicht eingehen. Bei Interesse ist auf die Homepage www.mou.lin.ms zu verweisen.

Durch die nächste größere Ortschaft Condom (etwa 15 km entfernt) führt der so genannte Jacobsweg, der als Pilgerweg nach Santiago de Compostela führt. Ein wesentlicher Bestandteil des Konzeptes vor Ort ist es, gemeinsam mit einem bzw. einer Jugendlichen diesen Weg für einen bestimmten Zeitraum zu wandern. Während meiner Praktikumszeit war ich schnell von diesem Projekt begeistert. Das Wandern bzw. Pilgern schien durch die Nähe zur Natur und die Aktivität an sich eine wunderbare Methode, verloren gegangene und verschüttete Ressourcen wieder ins Bewusstsein zu holen. Derzeitig war eine Jugendliche vor Ort, die diesem Projekt aufgeschlossen gegenüber stand und bald wurde eine Pilgerreise mit Lisa K.[2] und mir geplant, besprochen und vorbereitet.

Im Dezember 2003 fand die erste Wanderung statt. Obwohl auf Grund von schlechten Witterungsbedingungen die Maßnahme abgebrochen wurde, erahnte ich das erlebnispädagogische Potenzial dieser Aktivität und beschloss, das Pilgerprojekt im Sommer darauf fortzusetzen und theoretisch auszuwerten.

I. 2. These

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Pilgern als intensivsozialpädagogische Einzelmaßnahme. Gerade was die Umsetzung von erlebnispädagogischen Intensivmaßnahmen betrifft, scheinen der Phantasie keine Grenzen gesetzt zu sein. Besonders in den letzten Jahren haben sich vielfältige Formen von intensiver Einzelbetreuung mit erlebnispädagogischen Inhalten entwickelt. Dennoch gibt es immer wieder Kinder und Jugendliche, die von den verschiedenen erzieherischen Angeboten nicht erreicht werden. Unterschiedliche Faktoren tragen dazu bei, dass Jugendliche immer schwieriger werden, d.h. es für die Betreuer immer schwerer wird, erzieherisch Einfluss auf sie zu nehmen.

Eltern fühlen sich zunehmend mit Erziehungsaufgaben überfordert und Jugendliche verweigern sich gegenüber elterlicher Autorität. Eine permanent älter werdende Gesellschaft grenzt junge Menschen aus, weil sie sich nicht ausreichend anpassen und verlangt staatliche Sanktionen.

In der Literatur und gegenwärtigen Diskussion werden diese Kinder und Jugendliche als „schwierig“ bezeichnet. Es gibt keine eindeutige Definition, wer oder was schwierige Kinder und Jugendliche sind. Typisch für eine Vielzahl von Fällen ist, dass Jungen und Mädchen in belastenden Lebenssituationen durch ein hohes Maß an Unsicherheit, Vernachlässigung und Gewalt, Versagung und Enttäuschung geprägt sind. Bereits deren Eltern sind häufig schon in ihren Entwicklungsbedürfnissen und Lebensgrundlagen eingegrenzt worden und diese erlittene Not wird weitergegeben und realisiert sich für die Kinder in Beziehungsunfähigkeit, zerstrittenen Beziehungen, resignativem Rückzug oder hilfslosem Protest.[3]

Auf die Frage, wie mit diesen Jugendlichen umzugehen sei, hält die öffentliche Erziehung mehrere Antworten bereit. Dabei haben sich vor allem zwei gegenüberstehende Positionen herauskristallisiert. Ein Ansatz davon sieht intensives Verständnis als Schlüssel und besondere Zuwendung als Basis einer erfolgreichen Erziehung und Bildung gerade der schwierigeren Kinder. Die konträre Haltung sieht eine Erfolg versprechende Antwort auf schwierige Kinder vor allem und zuerst in der besonderen Konsequenz, Disziplin und Strenge pädagogischer Arrangements. „Nur durch systematische Ordnung und eindrückliche Struktur der äußeren Regeln und ihres konsequenten Vollzugs könne dem inneren Chaos und der Desorientierung der Kinder begegnet werden.“[4]

Inwieweit diese beiden Positionen tatsächlich Erfolg versprechend sind, kann hier nicht ausführlich erörtert werden. Tatsache ist, dass dieses Klientel besondere Aufmerksamkeit braucht. Intensität und Individualität sind dabei entscheidende Faktoren. Durch besondere Zuwendung und eine individuelle, intensive Betreuung wird der Hilfeprozess durch den Kontakt zwischen Betreuer und Jugendlichen geprägt und die Wahrscheinlichkeit, den Jugendlichen tatsächlich zu erreichen und erzieherisch zu beeinflussen, dementsprechend erhöht. So soll die in dieser Arbeit untersuchte intensivpädagogische Wandermaßnahme zeigen, dass durch einen Betreuerschlüssel von 1:1 und ‚rund um die Uhr Betreuung’ für den Jugendlichen bei der erlebnispädagogischen Maßnahme Situationen geschaffen werden können, in denen das eigene Tun und Handeln und damit die Wirksamkeit der eigenen Handlungen und Handlungsplanung unmittelbar erkannt, reflektiert und erfahren werden können. Konkret soll damit eine Änderung des Verhaltens, ein neuer Bezug zu sich selbst und bessere Konfliktbearbeitungsfähigkeit eingeleitet werden.

Weiterhin sollen die wichtigen Wirkfaktoren der intensiven erlebnispädagogischen Maßnahme dargestellt und deren Einfluss auf den Jugendlichen herausgearbeitet werden. Vereinfacht gesagt sind das drei Bereiche:

a) die gemeinsamen Erlebnisse von Jugendlichen und Betreuer,
b) die aus sich selbst wirksamen naturnahem Medien der Erlebnispädagogik (geringer Lebensstandart, unberührte Natur, eigene Grenzen erfahren durch körperliche Anstrengung...) und
c) der Aufbau einer persönlichen Beziehung zwischen Betreuer und Jugendlichem, wo der Jugendliche so angenommen wird wie er ist und dadurch erfährt, dass es der Betreuer ernst meint und er Vertrauen und Verlässlichkeit aufbauen kann.

Auch wenn die Notwendigkeit der persönlichen Beziehung eine gewisse Gefahr der zu großen Nähe enthält, ist dieser Aspekt meiner Meinung nach der wichtigste und wirkungsvollste bei dieser Art von Projekten. Zumal dem Risiko von zu großer Nähe durch Beratung, Supervision oder Arbeit im Team begegnet werden kann. Denn betrachtet man generell die Biografien dieser schwierigen Kinder, sind diese geprägt von unzureichender Versorgung, Misstrauen, unzuverlässigen Beziehungen sowie gewalttätigen Übergriffe in privater wie öffentlicher Erziehung. Diese Kinder brauchen am meisten einen Bezugspartner bzw. Betreuer, der ihnen etwas bietet was sie bisher nicht kannten bzw. erlebt haben und sie so akzeptiert wie sie sind, ohne gleich zu kritisieren und verändern zu wollen. Sie brauchen jemanden, der das Kind bzw. den Jugendlichen in seiner Lebensgeschichte, den prägenden Erfahrungen und dem Gewordensein versteht und den Mut hat, sich auf Aushandlungsprozesse einzulassen. Wenn der Erzieher dazu offen mit Emotionen wie Angst und Unsicherheit umgehen kann, erleichtert das den Jugendlichen den Zugang zu den eigenen Emotionen und wirkt außerdem motivierend.

Doch die beschriebenen Missstände lassen sich bei den Kindern nicht einfach durch eine erlebnispädagogische, zeitlich begrenzte Maßnahme wiedergutmachen. Untersucht man die Ursachen und betrachtet die Erklärungsgrundsätze für sozialpädagogisches Handeln[5], so führt das zu einer nicht neuen und im Kern banalen, aber doch immer wieder aufregenden und beunruhigenden Erkenntnis: Schwierige Kinder werden nicht schwierig geboren, sondern das Leben hat sie dazu gemacht! Das bedeutet auch, dass mit einem geeigneten Erlebnis die persönlichen und sozialen Ressourcen dieser Kinder gefördert und wieder aufgebaut werden können. Dem Bedürfnis, erfolgreiche Überlebenschancen entwickeln zu müssen kann entgegengewirkt werden. Eine Erfolg versprechende Methode ist dafür das gemeinsame Pilgern. Entgegen dem Trend nach ständiger Steigerung im Erlebniskonsum geht es nicht darum, höher, schneller oder radikaler zu sein, sondern ein entscheidender Schlüssel liegt hier in den Faktoren Natur, Zeit und Langsamkeit.

Durch diese Einflüsse und einer Verlangsamung statt Beschleunigung, hat der Jugendliche die Möglichkeit, Kontakt, Kommunikation Vertrauen und Verantwortungsbewusstsein aufzubauen. Versuch und Irrtum spielen dabei ebenso eine wichtige Rolle, wie Überlegung und Reflexion. Erfolgreiche Strategien werden behalten und weiterentwickelt, weniger erfolgreiche verworfen und vergessen. Bei der intensiven Pilgermaßnahme sind diese Vorraussetzungen gegeben und dementsprechend werde ich in der vorliegenden Arbeit prüfen, welchen Einfluss die besagten Erlebnisse auf den Jugendlichen haben und wie dadurch ein neues Selbstbild entwickeln werden kann, was auch einen anderen Umgang mit Ängsten und Konflikten einschließt.

Zur besseren Übersichtlichkeit habe ich die Arbeit in zwei Abschnitte geteilt. Der erste einleitende Teil ist eher allgemein gehalten und widmet sich den Erziehungshilfen vorerst insgesamt und der intensivsozialpädagogischen Einzelmaßnahme im Speziellen. Dabei gehe ich ausführlich auf den erlebnispädagogischen Hintergrund ein. Des Weiteren stelle ich in diesem ersten Teil das Pilgern vor und zeige, inwieweit es als Therapie geeignet ist bzw. als Betätigungsfeld für Jugendliche.

Der zweite Teil befasst sich mit der Maßnahme im Speziellen und stellt den begangen Jacobsweg vor. Hier wird weiterhin die methodische Herangehensweise erläutert und die eingesetzten Mittel erklärt. Anschließend stelle ich anhand eines kurzen biografischen Portraits die teilnehmende Jugendliche vor, einschließlich ihren Vorstellungen und Erwartungen an das Projekt. Schließlich werte ich die Maßnahme anhand von bereits im Vorfeld aufgestellten thematischen Schwerpunkten aus.

Ich möchte darauf hinweisen, dass innerhalb der vorliegenden Arbeit in Bezug auf die Beteiligten, zum Beispiel der Jugendlichen und Betreuer, hauptsächlich die männliche Form verwandt wird. Dies geschieht nur aus Gründen der Übersichtlichkeit und des besseren Leseflusses und ist nicht auf geschlechtsspezifische Gründe zurückzuführen.

II. Theoretische Grundlagen

II. 1. Hilfen zur Erziehung

II. 1.1. Erziehungshilfen für Jugendliche im Wandel

Die Phase der Jugend befindet sich in permanenter Veränderung und galt schon in vergangenen Zeitepochen als erlebnisreiche, aber auch schwierige Phase. In der gegenwärtigen Situation wird diese Phase zusätzlich durch gesellschaftliche Faktoren erschwert. Die gesellschaftlichen Strukturen, das vorherrschende Wirtschaftssystem und die damit verbundene Arbeitsethik sind derzeitig von einer starken Wandlung geprägt. Jugendliche sind davon besonders betroffen, da sie in der Schule unter dem Gesichtspunkt der traditionellen Arbeitsethik noch auf das Arbeitsleben hin erzogen werden. Wenn sie die Schule verlassen, werden sie allerdings oft mit einer anderen Realität konfrontiert. Letztendlich machen viele die Erfahrung, dass sie sich Mühe geben können, aber dass Arbeitsplatzverlust bzw. gar keine Chance auf einen Arbeitsplatz, wahrscheinlicher ist.[6]

Dem Jugendamt als „Organ der öffentlichen Jugendhilfe“ kommt in Deutschland eine Aufgabe mit besonderer Verantwortung zu. Bis Anfang der 90er Jahre regelte das Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) die rechtlichen Belange. Das bedeutete zum einen die Zuständigkeit für die Wohlfahrt der Jugend, d.h. das Jugendamt hatte die dazu erforderlichen Einrichtungen und Veranstaltungen anzuregen, zu fördern und ggf. zu schaffen.[7] Zum anderen waren im JWG die besondere Verantwortung gegenüber dem einzelnen Kind oder Jugendlichen mit dem Grundprinzip „Die öffentliche Jugendhilfe hat jeweiligen erzieherischen Bedarf entsprechend rechtzeitig und ausreichend zu gewähren“[8] verankert. Die Formulierung zeigt, dass der im JWG formulierte Auftrag des Jugendamtes, erzieherische Hilfen im Einzelfall bedarfsgerecht, ausreichend und rechtzeitig anzubieten, viel „Ermessensspielraum“ ließ.

Auch wenn sich an der gesellschaftlichen Brisanz und der fachlichen Problematik des Aufgabenbereiches öffentlicher Jugendhilfe kaum etwas geändert hat, sind doch sozialpädagogische Entscheidungen und damit Ermessensspielräume in der Wahrnehmung einer „öffentlichen Verantwortung für private Lebens- und Erziehungsschicksale“ historischen Entwicklungen unterworfen.[9] Das am 1. Januar 1991 in Kraft getretene Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) spiegelt die neueren Ansätze der Pädagogik und die Erkenntnisse der Sozialisationsforschung wieder. Die Angebote des neuen KJHG (verankert im SGB VIII) zu erzieherischen Hilfen sind eher als Leistungsangebote zu verstehen und nicht mehr so sehr als Erziehungseingriff. Die Fremdplatzierung von Kindern und Jugendlichen in Heimen oder Pflegestellen wurde abgebaut und nun gibt es einen breit gefächerten Leistungskatalog, der den erzieherischen Bedarf im Einzelfall als Auswahlkriterium vorsieht.

Doch trotz des „Perspektivwechsels“ steigt die Zahl von jungen Menschen, die erzieherische Hilfen in Anspruch nehmen, an. Eine Ursache dafür ist, „dass einer immer größeren Zahl von materiell unzweifelhaft benachteiligten Eltern auch der sittliche Anstand abhanden kommt“[10] und es gegenwärtig nicht mehr selbstverständlich ist, dass man für die eigenen Kinder zu sorgen habe, egal wie schlecht es einem selbst geht. In der Literatur wird dieser Zustand auch „andere Armut“ oder „Familienmisere“ genannt.

Exkurs: Die andere Armut

Deutschland gehört zu einem der reichsten Länder der Welt. Das zeigt nicht nur das Bruttoinlandsprodukt (2004: 2,178 Billionen Euro)[11], sondern auch die Ausstattung der deutschen Haushalte mit diversen langlebigen Konsumgütern, die noch vor einigen Jahren als Luxus galten. Doch heute gehören ebenso für Menschen, welche Anspruch auf staatliche Unterstützung haben, beispielsweise der Fernseher, der Computer und das Auto zur Standardausstattung, Die Schere zwischen Arm und Reich, zwischen sozial Schwachen und sozial Starken geht immer weiter auseinander. Und obwohl genug finanzielle Mittel in Deutschland vorhanden sind, gelingt es nicht, alle Mitglieder dieser reichen Gesellschaft stark zu machen. Im Gegenteil: eine „neue Armut“ hat sich entwickelt, für welche finanzielle Benachteiligung möglicherweise Ursache ist, die aber darüber hinaus Merkmale, wie fehlende soziale Bindungen, gesellschaftlicher Ausschluss, mangelnde Bildung, keine Perspektiven etc. aufweist. Das Kritische dabei ist, dass hingenommen wird, wenn sich Sozialhilfemilieus verfestigen und über mehrere Generationen laufen. Einkommensarmut ist nicht das Hauptproblem, denn das deutsche System deckt die Existenzsicherung weitgehend ab. Vielmehr fehlt vielen sozial Schwachen die Stärke, um die Chancen in dieser offenen Gesellschaft wahrzunehmen. Dabei geht es nicht nur um „Reichtumsverteilung“, sondern um persönliche Unterstützung. Es kann nicht sein, dass Eltern, je weniger sie in der Lage sind, ihre Kinder zu erziehen, diese umso mehr als ihr Eigentum betrachten und gegen Übergriffe von außen verteidigen. Wer eigenverantwortlich handeln soll, braucht gerade nicht die grenzenlose Freiheit einer Gesellschaft, die sich von ihm zurückgezogen hat, sondern er muss lernen, Bindungen einzugehen und Pflichten auf sich zu nehmen, für sich und andere zu sorgen. Dass das Problem nicht nur ein finanzielles ist, zeigt, dass viele Studenten auch mit einem geringen Einkommen von unter 700 Euro im Monat gut leben und zufrieden sind. Demnach spielen Perspektive und das Wissen, dass noch etwas Anderes auf einen wartet, eine Schlüsselrolle. Auch wenn es sich nicht auf den ersten Blick rechnet, sollte das durch aktivierende Sozialarbeit neben Eigenverantwortung und persönlicher Hilfe vermittelt werden. Dann würden auf längere Sicht auch die Kinder- und Jugendhilfestatistiken in Deutschland bessere Zahlen aufweisen.

Neben Erziehungshilfen wie der sozialpädagogischen Familienhilfe, der Tagesgruppenerziehung, Vollzeitpflege, Erziehungsbeistandschaft, Betreuungs-helfern, intensiv sozialpädagogischer Einzelbetreuung oder sozialer Gruppenarbeit, ist die Heimerziehung laut Elftem Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung (mit 111.547 Fällen) nach der institutionellen Beratung nach wie vor die zahlenmäßig am Häufigsten vertretene.[12] Dennoch hat sich in der Jugendhilfe im Sinne eines Paradigmenwechsels einiges getan - auch und besonders in der Heimerziehung. Im Folgenden werde ich diese Veränderungen kurz skizzieren.

Das traditionelle Bild von der Heimerziehung ist eine anstaltsförmige Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in 24-Stundeneinrichtungen. Ihr Zweck ist dabei die Pflege, Betreuung, Versorgung, Erziehung und Therapie von entweder „familienlosen“ Kindern oder von Kindern, deren Eltern nicht die volle Verantwortung für die Erziehung ihrer Kinder übernehmen können bzw. wollen.[13]

Bis Mitte der 80er Jahre war die Heimunterbringung klar nominiert und bedeutete im Sinn der „stationären Erziehung“ in erster Linie einen Lebensmittelpunkt für die Kinder und Jugendlichen außerhalb der eigenen Familie. Es wurde lediglich grob zwischen der „freiwilligen Erzieherischen Hilfe“, der „klassischen Fürsorgeerziehung“ und örtlichen Unerbringungen nach den § 5, 6 JWG unterschieden.[14]

Ende der 80er Jahre wurde eine neue Qualität von Verhaltensstörung ausgemacht, wie man sie bis dahin noch nicht kannte. Dabei ging es vorrangig um Beziehungsstörungen bei den Jugendlichen, die sich durch ständige Flucht, Gewaltbereitschaft, Kriminalität und mangelnde Konfliktfähigkeit äußerten. Immer mehr Jugendliche schienen aus dem bis dahin existierenden Versorgungssystem heraus zu fallen, da die Institutionen erstens eindeutig überfordert waren und zweitens gar keine Angebote im Sinne der klassischen Heimerziehung existierten, die auf diese Jugendlichen abgestimmt waren.[15] „Aber immer mehr Jugendliche haben die Nase voll von "den Erwachsenen" und ihren Angeboten; sie wollen sich nicht mehr auf sie einlassen – ja sie wollen sich auf überhaupt nichts mehr einlassen: sie wollen nichts mehr. Bei all den üblen Erfahrungen ihres Lebens (allein gelassen, abgelehnt von den eigenen Eltern, von ihnen misshandelt, sexuell missbraucht ohne Chancen im herkömmlichen Schul- und Ausbildungssystem...), warum sollten sie sich noch auf Jugendhilfe einlassen? Wenn sie etwas wollten, dann etwas anderes, als das ihnen Angebotene.“[16]

Auf die Heimkritik und die –Kampagnen der 70er Jahre folgten Reformen, welche die traditionelle Heimerziehung grundlegend geändert haben. Ausgelöst durch die Studentenunruhen, die damit verbundene Entstehung von Wohngemeinschaften etc. und der Machtwechsel zur sozial-liberalen Koalition Ende der 60er Jahre begann auch für die Jugend- und Erziehungshilfe eine Phase intensiver Reformbemühungen.[17] Dezentralisierung, Entinstitutionalisierung, Entspezialisierung, Regionalisierung und Individualisierung sind einige Schlagwörter der zentralen Entwicklungstrends. Diese Trends verlangten eine Änderung der kontrollierenden, reglementierenden, eingreifenden Heimerziehung, Abschaffung der Unterbringung und Schaffung von einem Verständnis pädagogisch begründeter Erzieherischer Hilfen als professionelles, unterstützendes Angebot für Eltern, Kinder und Jugendliche.[18]

Seinen rechtlichen Ausdruck fand dieser Wechsel durch die Inkraftsetzung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes am 1. Januar 1991 (in den neuen Bundesländern am 3. Oktober 1990).

Anstelle allgemeiner Klauseln hatte der Gesetzgeber ein differenziertes Spektrum von Aufgaben der Jugendhilfe festgesetzt (z.B. allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie, Förderungen von Kindern in Tageseinrichtungen, die Hilfe zur Erziehung im Einzelfall, Hilfe für junge Volljährige). Damit sind die erzieherischen Hilfen im Gegensatz zu dem alten Jugendwohlfahrtsgesetz vielfältiger, aber auch unübersichtlicher und uneinheitlicher geworden. Vor allem ist die Änderung Ausdruck einer Neubestimmung der Hilfen zur Erziehung von der Eingriffsbehörde zur sozialen Dienstleistung.

II. 1.2. Erlebnispädagogischer Hintergrund

Schon lang ist Erlebnispädagogik bzw. das pädagogische Handeln eine Methode, die versucht hat, den drängenden pädagogischen Fragen bzw. reformbedürftigen Erziehungskonzepten der jeweiligen Zeit etwas entgegenzusetzen. Angefangen bei den reformpädagogischen Konzepten der 20er Jahre, entstanden zu Beginn der 80er Jahre vermehrt so genannte erlebnispädagogische Projekte und Angebote. Der Ausbau von Hilfeformen, die zunehmend flexibler gestaltet werden und so bedarfsgerecht wie möglich sein sollten, war dabei für die Etablierung derartiger Projekte sehr förderlich. Denn letztendlich ist auch die Erlebnispädagogik eine maßgeschneiderte Hilfe und entspricht damit der Entwicklung hin zu den ambulanten Hilfeformen.

Im Besonderen sieht Erlebnispädagogik ihre Aufgabe darin, Jugendlichen ein entsprechendes Lernfeld anzubieten, welches ihrem Abenteuer-, Taten- und Erlebnisdrang entgegenkommt und somit interessant und motivierend ist. Das eigene Tun, das eigene Handeln und das eigene Erleben stehen dabei im Vordergrund.

Bereits der achte Jugendbericht im März 1990 fordert eine Dezentralisierung und Regionalisierung der Leistungsangebote und erwähnt die Erlebnispädagogik als Möglichkeit, nicht alltägliche Herausforderungen und Grenzen zu erfahren und sich ihnen zu stellen: „Erlebnisaktivierende Methoden sind nach Jahren, in denen kritische Bewusstseinsbildung im Vordergrund stand, wieder neu entdeckt worden. Als Gegengewicht zu einseitig intellektuellen Anforderungen im schulischen Lernen, zum passiven Rezipieren alter und neuer Medien schaffen sie ganzheitliche Lernerfahrungen.“[19] Mittels Langzeitreisen in fremde Länder[20], Unternehmungen im Hochgebirge[21], Wüstendurchquerungen[22], oder den vielen Projekten auf und mit Segelschiffen[23] waren bzw. sind es Projekte, „die durch ein intensives Erlebnis in ungewohnter Umgebung ein Moratorium gegen die Verschärfung von sozialer Ausgrenzung und Isolation und die Chance zur Neuorientierung und zum Erfahren grundlegender sozialer Bezüge schaffen sollten.“[24] Die Erlebnispädagogik versucht durch intensive Naturerlebnisse, die Betonung von Aktivität, Grenzerfahrungen, gruppendynamische Prozesse und intensive Beschäftigung mit dem einzelnen Individuum, zu einer eigenen Identität zu verhelfen und persönliche Perspektiven zu entwickeln.

Im Folgenden werde ich einen kurzen Überblick über die Ursprünge und Grundlagen der Erlebnispädagogik geben und versuchen, erlebnispädagogische Aspekte im Kontext von intensivpädagogischen Einzelmaßnahmen aufzuzeigen.

II. 1.2.1. Geschichte und Wirkungsmodelle

Die Geschichte der Erlebnispädagogik ist viel älter als ihr Name, der sich erst zu Beginn der 80er Jahre in der Theoriediskussion etablierte. Ihre Entwicklung steht in engem Zusammenhang mit der Geschichte der Philosophie, Psychologie und Pädagogik.

Vor mehr als 2000 Jahren hatte Plato bereits eine Philosophie über die sittliche Erziehung des Menschen entwickelt. Er vertrat die Ansicht, dass man, um innere und äußere Wohlgestimmtheit zu erlangen, neben der Vernunft und dem damit verbundenem Erwerb von Wissen auch über sportliche Fähigkeiten verfügen muss.[25] Sein Schüler Aristoteles hatte festgestellt, dass Menschen mit Erfahrungen mehr Aussicht auf Erfolg hätten als diejenigen, die zwar über theoretisches Wissen, jedoch über keine Erfahrungen verfügten. Auch die Reformpädagogik (1890 – 1930) forderte eine „Erziehung vom Kinde aus“ und damit eine aktivere Rolle des Lernenden im Lernprozess.[26] Die Erlebnispädagogik hat neben Plato und Aristoteles zahlreiche Wegbegleiter wie u.a. John Dewey, Hermann Lietz oder Wilhelm Dilthey. Einer der Bedeutendsten ist Kurt Hahn (1886 – 1974), der mit der pädagogischen Konzeption der „Erlebnistherapie“ wichtige Impulse für die Erlebnispädagogik gegeben hatte. Er nutzte die von Plato aufgestellte Ganzheitssicht von Körper, Geist und Seele, Individuum und Gesellschaft, als ein Grundpfeiler seines Konzepts. Er gründete Schulen (z.B. Salem) und wollte dort die Jugendlichen, die an modernen Verfallserscheinungen litten, zurück zu den gesunden Tugenden zu führen. Besonders kritisierte er an der Gesellschaft den Mangel an menschlicher Anteilnahme und Verlust persönlicher Verantwortung, den Mangel an Sorgsamkeit und ein Nachlassen von Phantasie und Kreativität, den Mangel an körperlicher Tüchtigkeit und an Initiative und Spontaneität.[27] Auch wenn sich diverse gesellschaftliche Umstände geändert haben, bleibt die von Kurt Hahn vorgetragene Gesellschaftskritik und seine postulierten Ziele und Visionen von einer besseren Welt für die gegenwärtige Lebenswirklichkeit junger Menschen relevant. Zumindest zeigen Einrichtungen, Projekte und Bewegungen der Jugendarbeit dass die erlebnispädagogische Theorie und Praxis nicht an Aktualität verloren haben und auch generell zeigt sich bei Fachleuten eine breite Akzeptanz von Erlebnispädagogik.

Die Erlebnispädagogik verfügt über keine eindeutig beschreibbare Praxisform und auch eine eigenständige Theorie zu formulieren ist schwierig.[28] Um annähernd zu erklären, wie handlungsorientiertes Lernen funktioniert, skizziere ich im Folgenden drei methodische Ansätze, die sich herausgebildet haben. Diese „curriculum models“ wurden später zu sechs Lernmodellen differenziert, die anschließend nur genannt werden sollen.

“The mountain speaks for themselves” - Modell

Wie der Name schon sagt, geht dieser Ansatz davon aus, dass der Berg (oder auch der Fluss, die Wildnis, die Stadt etc.) für sich selbst spricht und somit als stiller Lehrmeister fungiert. Die erzieherische Funktion resultiert hier aus dem bloßen Vorhandensein der natürlichen Umwelt und dem Leben fern von zivilisatorischen Einflüssen.

Das bedeutet auch, dass der Begleiter nicht unbedingt pädagogische Kenntnisse haben muss, sondern dass vielmehr die persönliche Erfahrung bzw. so genannte „Aha-Erlebnisse“ von besonderer Bedeutung sind.

Durch Handeln eigene Erfahrungen machen, ist sicherlich die natürlichste und intensivste Form von Erziehung. Die Kehrseite ist allerdings, dass diese Art von Pädagogik ab einem gewissen Punkt von außen nicht mehr erreichbar ist und dass damit das Resultat eben extrem positiv oder auch extrem negativ sein kann bzw. kaum noch zu beeinflussen.

Die Begleitung von Klienten (beispielsweise Jugendliche mit konfliktreichem Hinterrund) ohne entsprechende Beratung oder Reflexion halte ich persönlich deshalb für sehr riskant.

„Outward Bound“

Dieses – auch genannte „Aktion Reaktion“ – Modell knüpft an das vorhergehende an und erweitert die Praxis mit der Theorie. Der Begriff bezieht sich ursprünglich auf die Seefahrt und bedeutet‚ für die große Reise gerüstet’. Bei diesem Modell findet zusätzlich eine Auswertung statt, wo Erkenntnisse verarbeitet und somit zu Erfahrungen werden können. Eine wesentliche Rolle hierbei spielt die Möglichkeit, durch das Gespräch, Erlebtes in der Gruppe zu teilen. Bei diesem Ansatz sollte der pädagogische Leiter zusätzlich zu wildnistechnischen und natursportlichen Kompetenzen auch pädagogisches Geschick und psychologisches Hintergrundwissen etc. mitbringen.

Die Definition des Modells über die Reflexion und das Gespräch kann man auch kritisch betrachten. Denn gerade in Extremsituationen gibt es Momente, die wertvoller sind, wenn sie nicht zerredet werden. Ich denke, dass viele Erlebnisse nicht auswertbar sind und die Aktion oft selbst schon für sich spricht.

Metaphorisches Modell

Dieses von Stephen Bacon entwickelte Modell, ist eine Fortsetzung des „Outward Bound“ und soll den Transfer des Erlebten in die Alltagssituation besser gewährleisten. Der Ansatz setzt auf die Wirkung von Metaphern/ Bildern, die im Verlauf eines erlebnispädagogischen Projektes auftauchen und sich anbieten. Gleichzeitig sind sie auch relevant für die Alltagswelt der Teilnehmer. Die Bilder sollen als Anker wirken. Sie sollen es ermöglichen, im Alltag auftauchende Situationen mit Erlebnissen im Projekt in Verbindung zu bringen und damit auch neu gelernte Verhaltensweisen bzw. Handlungen im Alltag zugänglich zu machen. Damit werden die Metaphern/ Bilder zu Transportmittern für wesentliche Lernbotschaften. Um einen positiven Transport zu gewährleisten, sollten Situationen möglichst so gestaltet sein, dass sie große Strukturähnlichkeit zu denen der Lebensumwelt der Teilnehmer aufweisen.

Allerdings besteht bei diesem Modell die Gefahr, dass das Erlebnis verflacht, da der Ablauf bereits geplant ist, und die Erfahrungen möglicherweise vorweggenommen werden.[29]

Aus diesen Ansätzen wurden sechs Lernmodelle weiterentwickelt:

Handlungslernen pur

Kommentiertes Handlungslernen

Handlungslernen durch Reflexion

Direktes Handlungslernen

Metaphorisches Handlungslernen

Indirekt-metaphorisches Handlungslernen

Ohne auf die Lernmodelle genauer einzugehen, sind sie mehr oder weniger Abbildungen einer Wirklichkeit, welche fließende Übergänge aufweist. Doch geben die Modelle einen Halt und gewisse Orientierung in der erlebnispädagogischen Praxis für das Ziel bzw. den entsprechenden Weg dorthin.

II. 1.2.2. Stellenwert der Erlebnispädagogik in der Jugendhilfe

Erlebnispädagogik kann als pädagogisches Handeln bezeichnet werden, dass durch reale Situationen und Angebote existenziell relevante Veränderungen und Anstöße beabsichtigt und auf die subjektive qualitative Beziehung zwischen dem Menschen und seinen Wirklichkeiten zielt.[30] Diese Methode spielt auch im Kinder- und Jugendhilfegesetz eine Rolle. Viele der Hilfeangebote zeigen, dass die Vielfalt erlebnispädagogischer Praxis Spuren in der Theorie der Jugendhilfe hinterlassen hat. Auch wenn "Erlebnispädagogik" an keiner Stelle des KJHG ausdrücklich erwähnt wird, steht sie als Konzept hinter einer ganzen Reihe von gesetzlichen Ausführungen. In den §§ 27 - 35 beschriebenen Hilfen zur Erziehung lassen sich erlebnispädagogische Projekte im Rahmen der §§ 29, 30, 34 (d.h. im Rahmen der sozialen Gruppenarbeit, der Erziehungsbeistandschaft und der Betreuungshilfe, im Rahmen der Heimerziehung und der sonstigen betreuten Wohnformen) und vor allem im § 35, der intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung, einsetzen.[31]

Wie erlebnispädagogische Projekte in Hilfen der Erziehung außerhalb der Herkunftsfamilie eingebettet sind, soll folgende Grafik veranschaulichen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[32]

Die Grafik zeigt, dass erlebnispädagogische Projekte Bestandteil der intensiven Einzelbetreuung sein können. Abgesehen von der Realisierung in reinen Reisemaßnahmen, Standprojekten im Ausland oder Schiffsprojekten kann Erlebnispädagogik auch regional verwirklicht und im Bedarfsfall durch Reiseprojekte ergänzt werden. Entscheidend ist, dass Elemente der Maßnahme über den Alltag hinausgehende, aufregende Erlebnisse vermitteln. Körperliche Tätigkeiten und aktives Handeln sollen angeregt werden und zugleich machen die Jugendlichen Erfahrungen in Grenzbereichen. Um einen Zugang zu schwierigen Jugendlichen zu bekommen, ist es manchmal notwenig, die bisherigen pädagogischen Wege zu verlassen und neue Methoden anzuwenden. Durch erlebnispädagogische Projekte sollen Jugendliche, die auf keinem anderen Weg mehr erreichbar scheinen, motiviert und zur freiwilligen Mitarbeit angespornt werden.

Bei herkömmlichen pädagogischen Methoden im Umgang mit massiv gestörten und auffälligen Jugendlichen, wird die Zielsetzung der persönlichen Veränderung meist von außen vorgegeben und gefährdet durch diesen „Erwartungsdruck“ oftmals die aktive Mitarbeit der jungen Menschen. „Die erlebnispädagogische Methode setzt hingegen darauf, die Jugendlichen weder durch Institutionen, noch durch fremdbestimmte Zielvorgaben einzuschränken, sondern gerade persönliche Freiheiten zu Veränderungen zu eröffnen, Veränderungen, die die Jugendlichen selbst wünschen.“[33]

Für extrem schwierige Jugendliche gab es früher wenig Alternativen der Unterbringung: geschlossenes Heim, Jugendgefängnis oder Psychiatrie. Die normale Heimerziehung erwartete, dass die Jugendlichen bestimmte Bedingungen erfüllten, ansonsten blieben sie ausgeschlossen und wurden als nicht therapierbar angesehen. Die üblichen pädagogischen Methoden waren in schwierigen Fällen erschöpft und somit blieb vielen auch der Ausweg aus der geschlossenen Heimunterbringung versperrt.

Es zeigte sich immer wieder, dass bestimmte Jugendliche durch alle Raster fallen und innerhalb der bestehenden Institutionen nicht betreut bzw. gefördert werden konnten. Als alternative Handlungsmöglichkeit zur Heimerziehung entwickelte sich die intensiv sozialpädagogische Einzelbetreuung, die sich mit erlebnispädagogischen Elementen (wie Naturerlebnisse, Extremsituationen, persönliche Grenzerfahrungen) jungen Menschen in schwierigen Lebenslagen mit massiven Problemen und Auffälligkeiten annimmt.

Bei dieser Erziehungshilfe werden Jugendliche nicht wegen vorhandener Probleme, Verhaltensdefizite und –abweichungen ausgeschlossen. Ein Problemverhalten gilt vielmehr als Aufnahmegrund. Beispielhaft möchte ich die Konzeption der Jugendhilfe Hephata nennen:

„Für die Teilnahme an der Heilpädagogischen Intensivbetreuung schätzen wir folgende Problemsituation ein:

1. Jugendliche, die durch ambulante und stationäre Hilfe nicht erreichbar werden können.
2. Jugendliche, für die als Alternative zum Jugendstrafvollzug oder einer geschlossenen Unterbringung ein Angebot gemacht werden soll.
3. Jugendliche, die sich den bisherigen Hilfen entzogen haben.

Die durch die Problematik entwickelten Verhaltensauffälligkeiten drücken sich häufig durch folgende Symptome aus:

abweichendes Verhalten

Beziehungsstörungen

Perspektivlosigkeit

Leistungsverweigerung

delinquentes Verhalten

mangelndes Selbstwertgefühl“[34]

Bei der intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung liegt der Schwerpunkt vor allem darauf, den Jugendlichen vorerst aus dem normalen, meist als schädigend empfundenem Umfeld herauszunehmen. Erziehung bildet in diesem Sinn eine Gegenkraft zu den schädigenden oder behindernden gesellschaftlichen Verhältnissen. Des Weiteren findet sich in einem Großteil der Intensivmaßnahmen ein Prinzip der Hahn´schen Erlebnispädagogik wieder: Erleben ist besser als Belehren. Hier zeigt sich die enge Verbindung zwischen der intensiven Einzelbetreuung und der Erlebnispädagogik. Die Aufgabe der Pädagogik ist es demnach, nicht nur die Ratio anzusprechen, wie es bei „normaler“ Betreuung geschieht, sondern den ganzen Menschen, insbesondere das Herz und die Hand.[35] Um dies bei dem Klientel zu gewährleisten, ist meist eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung notwendig. Die meisten Einzelmaßnahmen sind durch einen Betreuerschlüssel von 1:1 gekennzeichnet. Neben dem Erlebnis soll diese Intensität des Zusammenlebens eine erfolgreiche Betreuung der Jugendlichen sichern. Zu den gemeinsamen Erlebnissen von Jugendlichem und Erzieher und den aus sich selbst wirksamen Medien der Erlebnispädagogik (Felsen, Wildwasser, unberührte Natur...) ist der Erzieher als authentischer Mensch ein entscheidender Wirkungsfaktor. Was die Jugendlichen besonders brauchen, ist ein Erzieher, der es ernst meint und sich ihnen menschlich stellt bzw. sie individuell annimmt, wie sie sind.

In der Regel zeichnen sich die betreuten jungen Menschen, für die eine ISE gewährt wird, durch besonders ausgeprägte Lebenskrisen und durch eine Vielzahl von negativen Lebenserfahrungen aus. Diese Hilfeform wird in der Praxis der Erziehungshilfen vor allem für diejenigen Jugendlichen entwickelt, bei denen mit anderen sozialpädagogischen Ansätzen eine Stabilisierung ihres Lebens nicht mehr zu gewährleisten scheint. Die meisten haben bereits verschiedene Instanzen erlebt und die Erfahrung gemacht, einfach in eine andere Einrichtung (möglicherweise mit einem besseren Betreuungsangebot) zu kommen, wenn sie zu schwierig wurden. „Das deutsche Jugendhilfesystem ist so aufgebaut, dass bei Schwierigkeiten des jungen Menschen immer mehr Personen zuständig werden, dass immer mehr Beziehungen angeboten werden und nicht weniger. Und dieses gerade bei denjenigen, die nicht mehr, sondern weniger, vielleicht sogar erst mal nur eine Beziehung brauchen.“[36]

Insofern ist der Bonus dieser Einzelbetreuung der individualpädagogische Ansatz, wo sich der Jugendliche persönlich angesprochen und vom Betreuer individuell angenommen fühlt.

II. 1.3. Intensiv Sozialpädagogische Einzelmaßnahmen

II. 1.3.1. Letzte Instanz vorm sozialen Abstieg?

Wenn Eltern, Schule, Psychologen und die Hilfen zur Erziehung versagen, ist die Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung ein mögliches Angebot der Jugendhilfe. Sie soll „Jugendlichen gewährt werden, die einer intensiven Unterstützung zur sozialen Integration und zur eigenverantwortlichen Lebensführung bedürfen. Die Hilfe ist in der Regel auf längere Zeit angelegt und soll den individuellen Bedürfnissen des Jugendlichen Rechnung tragen.“[37]

Trotz aussichtslos erscheinender Situation soll zusammen mit dem betroffenen Jugendlichen eine neue Perspektive entwickelt werden. Oftmals weigern sich die Jugendlichen, in Heimen oder Wohngruppen zu leben oder sie werden dort als nicht gruppenfähig empfunden und als nicht tragbar entlassen. Die Position dieser Maßnahme vor dem Abstieg in Obdachlosigkeit, in die Psychiatrie oder in das Gefängnis, lässt den Zustand der jungen Menschen erahnen. „Die Jugendlichen, die auf solche Trips geschickt werden, sind so verstört und traumatisiert, so aggressiv oder depressiv, dass alle konventionellen Therapiemethoden bei ihnen versagt haben.“[38]

In den Maßnahmen finden sich Kinder und Jugendliche, die oft unter stark beeinträchtigenden Lebensbedingungen aufgewachsen sind. Erfahrungen der Vernachlässigung, der Gewalt, des sexuellen Missbrauchs, von ökonomischer und emotionaler Unterversorgung haben ihr Verhalten geprägt. Häufige Beziehungsabbrüche, auch in den Einrichtungen der bisherigen Erziehungshilfe, lassen dabei kaum Raum für eine positive Entwicklung. In den intensivpädagogischen Maßnahmen wird dagegen

versucht, direkt auf die Klientel einzugehen und neue Normen für entsprechende Zielgruppen zu setzen. Die Umbenennung von „Individuelle sozialpädagogische Intensivbetreuung“ zu „Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung“ soll verdeutlichen, dass es sich bei dieser Hilfe nicht um eine Form geschlossener Unterbringung handelt, sondern um eine Alternative zu Freiheit entziehenden Maßnahmen[39], die in hohem Maße auf Freiwilligkeit basiert.

Zusammenfassend unterscheiden sich die Maßnahmen der Intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung von anderen Betreuungsangeboten vor allem durch:

größere Formenvielfalt (ambulantes oder mit Unterbringungshilfen verbundenes Angebot)

größere Offenheit der Inhalte (z.B. Einbezug erlebnispädagogischer Angebote)

eine von vornherein auf längere Zeit angelegte Betreuung

eine von der individuellen Situation des Jugendlichen ausgehende Angebotsgestaltung (keine Standardisierung)

eine deutliche höhere Betreuungsintensität[40]

Die Auswahl und Entscheidung über eine geeignete Maßnahme werden in der Regel vom Jugendamt getroffen. „Wie bei allen Hilfeprozessen kommt der Art und Weise, in der ausgewählt und eingeleitet werden kann, große Bedeutung zu. Erschwerend kommt für Angebote der individuellen Einzelbetreuung hinzu, dass sie oft aus akuten Krisensituationen heraus entwickelt werden müssen, und sich in ganz besonderer Art und Weise an den Bedarf des konkreten Einzelfalls orientieren sollen.“[41] In diesem Zusammenhang wird von pädagogischen Intensivmaßnamen auch als „Finales Rettungskonzept“ gesprochen. Einerseits spricht das dem Konzept gewisse Kompetenzen zu, andererseits setzt diese Bezeichnung den Betreuer und den Jugendlichen unter gewissen Erfolgsdruck. Denn das würde eine Niederlage bedeuten, wenn das Projekt scheitern sollte. Es stimmt zwar, dass die meisten Jugendlichen bereits ein oder mehrere Hilfeangebote in Anspruch genommen haben und nun die Erwartung an die Intensivmaßnahme als weiterer Versuch recht hoch ist. Doch es wird immer Jugendliche geben, die auch auf diesem Wege nicht erreichbar sind und für die möglicherweise ein anderer Betreuer oder ein anderes Konzept bessere Chancen hätte. Somit gibt es auch hier keine Garantie für Erfolg.

Alles in allem ist die intensive Einzelbetreuung mehr als eine Notlösung. Dennoch ist und bleibt sie das letzte und „intensivste“ Glied in der Interventionskette, bevor es zur Abgabe der Jugendlichen an andere Hilfesysteme oder zur Erklärung der Nichtzuständigkeit kommt.

II. 1.3.2. Rechtliche Rahmenbedingungen

Der größte Teil der erlebnispädagogischen Intensivmaßnahmen findet auf der Grundlage des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) unter dem Kapitel „Hilfen zur Erziehung“ statt. Hilfen zur Erziehung sollen als Leistungsangebote in Anspruch genommen werden, wenn eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen entsprechende Erziehung ansonsten nicht gewährleistet werden kann. Besonders im Laufe der letzten Jahre hat sich die Kinder- und Jugendhilfe immer mehr von der Kontroll- und Eingriffsinstanz zur sozialen Dienstleistung entwickelt. „Zentrales Anliegen der Kinder- und Jugendhilfe ist die rechtliche Fixierung eines neuen Verständnisses von Jugendhilfe sowie eines differenzierten, an den unterschiedlichen Lebens- und Erziehungssituationen von Kindern, Jugendlichen und Eltern orientierten Leistungs- und Aufgabenspektrums.“[42] Die Hilfen nehmen somit keinen fremdbestimmten Charakter ein, sondern werden auf den individuellen Fall bezogen und unter Berücksichtigung der individuellen Lebenswirklichkeit und des sozialen Umfelds mit allen Betroffenen gemeinsam ausgewählt, bewertet und realisiert.

„Hilfen zur Erziehung zielen darauf ab, dass

(1) die Entwicklung (im Sinne der Reifung) eines jungen Menschen so begleitet wird, dass sie als gesellschaftlich angemessen einzuschätzen ist bzw. nach entwicklungspsychologischen Erkenntnissen reflektiert wird
(2) die Erziehungskompetenz der Erziehungsberechtigten gestärkt wird und gegebenenfalls die Rahmenbedingungen so verbessert werden, dass die Erziehungskraft, also die Beziehungsfähigkeit gestärkt und dauerhaft stabilisiert wird
(3) die Bewältigung des Alltags gefördert und stabilisiert wird
(4) durch besondere Angebote verfestigte, gesellschaftlich negativ bewertete Verhaltensmuster durchbrochen und neue objektiv wie subjektiv befriedigende Lebenskonzepte erprobt werden
(5) durch ein „zweites Zuhause“ eine emotionale Entlastung und Stabilisierung des ganzen Familiensystems erreicht wird
(6) neue „psychologische Eltern“ oder ein neuer mittelfristiger Lebensort gesucht werden“[43]

Die Kosten der erzieherischen Hilfen übernehmen die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Diese Träger bieten Leistungen der Erziehungshilfe entweder selbst an oder sie finanzieren die entsprechenden Aufwendungen solcher erzieherischen Hilfen, die anerkannte freie Träger der Jugendhilfe durchführen.

Um den gesetzlichen Anspruch auf erzieherische Hilfen erfüllen zu können, sind die öffentlichen Träger der Jugendhilfe zu einer verbindlichen Jugendhilfeplanung (§ 80 KJHG) verpflichtet. „Planung in der Jugendhilfe ist notwendig zur Steuerung der verschiedenen Hilfeprozesse, bezüglich des vorhandenen Hilfeangebots, seiner Erweiterung und des bedarfsgerechten Umbaus bei veränderten Problemlagen. Sie schafft somit die Vorraussetzungen für qualifizierte Entscheidungen und Hilfeformen (bzw. Leistungen und andere Aufgaben) und die notwendigen Rahmenbedingungen von Sozialarbeit und Sozialleistung.“[44]

Der § 35 im SGB VIII benennt die Erziehungshilfeform der Intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung. Nach § 27 besteht auch auf diese Art von Hilfe zur Erziehung ein Rechtsanspruch. Die Auswahl der geeigneten und notwendigen Hilfe richtet sich nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall. Die konkrete Ausgestaltung sowie ihre Dauer lassen sich vorab nicht endgültig bestimmen, sondern sind im Verlauf der Hilfe immer wieder neu festzulegen. In der Regel ist die Hilfe nach Satz 2 auf längere Zeit angelegt. Damit kommt regelmäßig § 36 Abs. 2 zur Anwendung, nämlich die Verpflichtung zur Entscheidung im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte, sowie zur Aufstellung und Fortschreibung des Hilfeplans.[45]

Viele der Intensivmaßnahmen finden im Ausland statt. § 35 setzt ausschließlich die individuelle Beziehung als Arbeitsgrundlage voraus, erwähnt aber nicht, wo der Hilfeprozess stattfinden soll.

Explizit wird die Möglichkeit der Ausführung von Jugendhilfe im Ausland mit § 6 Absatz 3 (SGB VIII) eingeräumt. Im Jahre 2004 sind diverse Entwürfe zu unzweifelhaft notwendigen Veränderungen und Differenzierungen des § 35 SGB VIII durch die Bundesregierung und den Bundesrat erstellt wurden. Beispielsweise ist angedacht, dass die Durchführung individualpädagogischer Hilfen im Ausland nur Trägern erlaubt wird, die

a) über eine Betriebserlaubnis im Ausland verfügen
b) die rechtlichen Bestimmungen des Gastlandes einhalten und
c) mit der Betreuung ausschließlich Fachkräfte gemäß § 72 beauftragen.[46]

II. 1.3.3. Überblick über Maßnahmengebote

Generell lassen sich die Angebote bei den pädagogischen Intensivmaßnahmen in zwei Hauptgruppen unterteilen: in Langzeitmaßnahmen, die ca. zwischen zwei Monaten und einem Jahr andauern und in Kriseninterventionen, die auf bis zu acht Wochen angelegt sind.

Kriseninterventionen

Bei diesen Kurzzeitmaßnahmen – auch Clearings genannt – soll dem Jugendlichen eine Auszeit gegeben werden, wo er nach oder während einer Krise wieder zu sich selbst finden kann. Meistens geht dieser Intervention ein extremes eskalierendes Ereignis voraus, was eine Bearbeitung der Konfliktsituation und das Erarbeiten möglicher Perspektiven dringend erforderlich macht. Die spontane Maßnahme soll vorrangig die momentane Notsituation auffangen, wobei auf Grund der Spontaneität keine intensive Vorbereitung möglich ist und auch die Nachbereitung selten gewährleistet wird.

Langzeitprojekte (die im Folgenden erläutert werden) können ebenfalls als Krisenintervention für einen kürzeren Zeitraum eingesetzt werden. Meistens handelt es sich bei Interventionen um kurzfristige Reisemaßnahmen (durchschnittlich bis zu acht Wochen). Generell ist entscheidend, wie flexibel ein Projekt auf eine Krisenanfrage reagieren kann.

Langzeitmaßnahmen

Bei den erlebnispädagogischen Langzeitmaßnahmen haben sich drei Angebotsformen entwickelt:

Am häufigsten sind Standprojekte (40,8 %)[47] vertreten; Projekte, die an feste Orte gebunden sind. In der Regel befinden sich diese Standorte meist in ländlichen Gebieten im europäischen Ausland. Dabei kann die inhaltliche Gestaltung des Aufenthalts stark variieren. Dass sich diese Standprojekte in Außenstellen einheimischer Träger bzw. im Ausland befinden, soll sicherstellen, dass die Kinder bzw. Jugendlichen tatsächlich einen sicheren Ort zum Leben haben, fernab von bekannten Einflüssen und Beziehungsverstrickungen. Mit der räumlichen Distanz und der Abgeschiedenheit soll diese Sicherheit gewährleistet werden. Ein stabiler Lebensort und verlässliche Beziehungen sind ein wichtiger Bestandteil dieser Projekte.

Standprojekte können enge Beziehungsarbeit oder gruppendynamische Orientierung bieten und haben auf Grund ihrer Konstanz die Möglichkeit für langfristige Planung und feste Strukturen.

Eine weitere Projektform spielte vor allem in den Anfängen der Erlebnispädagogik eine bedeutende Rolle: Schiffs- bzw. Segelprojekte (15,2 %)[48] Hierfür ist eine Gruppe Jugendlicher (in der Regel vier bis acht) ca. 20 Wochen auf einem Segelschiff unterwegs und wird dabei von einem Team (drei bis fünf Betreuer, darunter auch nautisches Fachpersonal) betreut. Bezeichnend sind bei dieser Art von Maßnahme die strengen Regeln, die durch Meer und Schiffsfunktionen vorgegeben sind. „Schiffsprojekte nutzen die klaren Regelmechanismen, des Bordalltags, um die Notwendigkeit und Erfahrung des Zusammenwirkens in der Gruppe zu vermitteln, Vertrauen in der Gruppe zu erleben und zu erproben und das Gefühl zu geben, auch schwierige Situationen zu meistern.“[49]

[...]


[1] vgl. Conen 2002

[2] Name geändert

[3] vgl. Ader/ Schrapper 2002

[4] Schrapper 2002

[5] vgl. Schrapper 2002, S.18

[6] vgl. Fischer 1991, S. 12f.

[7] Palandt 1980, JWG § 5.1.

[8] Palandt 1980, JWG § 6.1.

[9] vgl. Schrapper 1989, S.8

[10] http://www.zeit.de/archiv/2000/41/200041_kindheit.xml

[11] http://www.destatis.de/presse/deutsch/pm2005/p0190121.htm

[12] Elfter Kinder- und Jugendbericht, S. 131

[13] vgl. Blandow 1990, S. 4

[14] vgl. Struck/ Galuske/ Thole 2003, S. 12

[15] vgl. Bohry/Liegel 1993

[16] Bohry/Liegel 1993

[17] vgl. Kuhlmann/ Schrapper 2001

[18] vgl. Struck/ Galuske/ Thole 2003, S.12

[19] Achter Kinder- und Jugendbericht, S. 86

[20] vgl. Detering/ Wagner-Kröger, 1991

[21] vgl. Stöckler 1998

[22] vgl. Bschor 1989

[23] vgl. Henke 1994; vgl. Sommerfeld 1993

[24] Gintzel/ Schrapper 1991, S.11

[25] vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Erlebnisp%C3%A4dagogik#Die_Vordenker

[26] Reiners 1995, S.12

[27] vgl. Heckmair/ Michl 2002, S.24

[28] vgl. Stüwe/ Dilcher 1998, S. 8

[29] vgl. Meier-Gantenbein 2000

[30] vgl. Eckmann/ Drouven/ Fitzke 2003

[31] vgl. Heckmair/ Michl 2002, S.111

[32] http://www.kinder-jugendhilfe.info/cgi-bin/showcontent.asp?ThemaID=4501

[33] Günder 1999, S. 144

[34] Jugendhilfe Hephata 1994

[35] vgl. Sommerfeld 1993, S.32

[36] Bohry/ Liegel 1993

[37] Wiesner, SGB VIII §35, S.458

[38] Heckmair/ Michl 2002, S. 117

[39] vgl. Wiesner, SGB VIII §35, S.459

[40] vgl. Günder 1999, S. 136

[41] Schrapper 1993

[42] http://www.kinder-jugendhilfe.info/cgi-bin/showcontent.asp?ThemaID=4576

[43] Münstermann 1993, S. 138f.

[44] Heck 1993, S. 280

[45] Wiesner 2000, S.464

[46] http://wellenbrecher.de/Angebote/Fachbeitrage/be1.html

[47] vgl. Klawe 2001, S.670

[48] vgl. Klawe 2001, S. 670

[49] Klawe/Bräuer 1998, S. 96

Ende der Leseprobe aus 126 Seiten

Details

Titel
Pilgern als eine spezifische Form von sozialpädagogischer Einzelfallhilfe
Untertitel
Analysiert anhand eines konkreten Falls
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Institut für Sozialpädagogik und Sozialarbeit)
Note
1,6
Autor
Jahr
2005
Seiten
126
Katalognummer
V50404
ISBN (eBook)
9783638466349
ISBN (Buch)
9783638680219
Dateigröße
1572 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pilgern, Form, Einzelfallhilfe, Falls
Arbeit zitieren
Claudia Franke (Autor:in), 2005, Pilgern als eine spezifische Form von sozialpädagogischer Einzelfallhilfe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50404

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