Wie wirkt sich Stress oder Ablenkung des Psychotherapeuten in der Therapie aus?

Vorurteile unter Stress gegenüber muslimischen Paaren in der Paartherapie


Masterarbeit, 2019

142 Seiten

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abstract

1. Einleitung

2. Theoretischer Hintergrund
2.1 Vorurteile
2.1.1 Definition
2.1.2 Ethnische Vorurteile
2.1.3 Drei-Komponenten Modell
2.1.4 Stereotype
2.1.5 Vorurteile und Diskriminierung
2.1.6 Funktion von Vorurteilen
2.1.7 Stabilität von Vorurteilen
2.1.8 Entstehungs- und Erklärungstheorien
2.1.9 Reduzieren und Aufheben von Vorurteilen
2.1.10 Vorurteile gegenüber Muslimen
2.2 Vorurteile in der Psychotherapie
2.2.1 Vorurteile von Therapeuten in der Psychotherapie
2.2.2 Vorurteile von Patienten gegenüber der Psychotherapie
2.2.3 Vorurteile in der Paartherapie
2.2.4 Unterschiede in der Therapieempfehlung
2.3 Prozesse der sozialen Urteilsbildung
2.3.1 Heuristisch-Systematisches Modell (HSM)
2.3.2 Das Kontinuum-Modell der Eindrucksbildung
2.3.3 Dissoziationsmodell: Automatische und kontrollierte Prozesse von Vorurteilen und Stereotypen
2.3.4 Stress Begriffsbestimmung
2.3.5 Kognitiv Transaktionales Modell von Lazarus und Folkman (1987)
2.3.6 Stress und Aufmerksamkeit
2.3.7 Multitasking, Aufmerksamkeit, Stress und Automatisierung
2.4 Fazit
2.5 Hypothesen

3. Voruntersuchung
3.1 Methoden
3.1.1 Stichprobe
3.1.2 Material
3.1.3 Versuchsdurchführung
3.1.4 Datenauswertung
3.2 Ergebnisse der Vorbefragung
3.2.1 Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse
3.2.2 Ergebnisse der statistischen Auswertung

4. Hauptstudie
4.1 Methoden
4.1.1 Stichprobe
4.1.2 Versuchsplan
4.1.3 Material
4.1.5 Versuchsdurchführung
4.1.6 Datenauswertung
4.2 Ergebnisse der Hauptstudie
4.2.1 Faktorenanalyse „Vorurteile“
4.2.2 Reliabilitätsanalyse „Vorurteile“
4.2.3 Manipulationscheck
4.2.4 Regressionsanalyse
4.2.5 t-Test für unabhängige Stichproben
4.2.6 Chi-Quadrat-Test

5. Interpretation der Ergebnisse

6. Allgemeine Diskussion
6.1 Diskussion zu Hypothese 1
6.1.1 Manipulation
6.1.2 Kritik an Devines Modell (1989)
6.1.3 Automatizität von Stereotypen
6.1.4 Effekt von Stress
6.1.5 Effekt von Kontakt
6.1.6 Eigenschaften der Stichprobe
6.1.7 Namensstereotype
6.1.8 Muslime und Psychotherapie
6.1.9 Übertragbarkeit von Devines Studie in Deutschland
6.1.10 Vorurteile und Persönlichkeitstheorien
6.1.11 Demand Characteristics
6.2 Diskussion zu Hypothese 2
6.3 Empfehlung für Therapien
6.4 Empfehlungen für zukünftige Studien

7. Zusammenfassung

8. Literaturverzeichnis

9. Anhang

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 Beurteilung der Ergebnisse des KMO-Maßes

Tabelle 2 Beurteilung der internen Konsistenz nach Chronbachs α

Tabelle 3 Interpretation des Beta Koeffizienten

Tabelle 4 Regressionsanalysen für die Bewertungen der Therapiesituation

Tabelle 5 Bedingte Auswirkung von Ethnie auf drei Ebenen von Vorurteilen auf die drei Kriteriumsvariablen

Anhang

Tabelle B 1 Auswertung der Vorbefragung

Tabelle D 1 Faktorenlösung für die Skala „Vorurteile“. .

Tabelle D 2 Faktorenlösung für die Skala „Bewertung der Therapiesituation“

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1. 2x2x2 Versuchsdesign

Abbildung 2. Ablauf des Online Fragebogens für die Hauptstudie

Abbildung 3. Statistisches Modell der Dreifachwechselwirkung auf die AV

Abbildung 4. Bedingten Auswirkungen von Ethnie auf drei Ebenen von Vorurteilen auf die Bewertung von Konservatismus

Abbildung 5. Bedingten Auswirkungen von Ethnie auf drei Ebenen von Vorurteilen auf die Bewertung von Religiosität

Abbildung 6. Bedingten Auswirkungen von Ethnie auf drei Ebenen von Vorurteilen auf die Bewertung von Gewalt in der Ehe

Anhang

Abbildung D 1. Screeplot zur Skala „Vorurteile“

Abbildung D 2. Screeplot zur Skala "Bewertung der Therapiesituation"

Abbildung E 1. Linearer Zusammenhang zwischen Vorurteile und Konservatismus

Abbildung E 2. Linearer Zusammenhang zwischen Vorurteile und Religiosität

Abbildung E 3. Linearer Zusammenhang zwischen Vorurteile und Gewalt in der Ehe

Abbildung F 1. Boxplot zu den Datensätzen von Konservatismus

Abbildung F 2. Boxplot zu den Datensätzen von Religiosität

Abbildung F 3. Boxplot zu den Datensätzen von Gewalt in der Ehe

Abbildung F 4. Boxplot zu den Datensätzen von Vorurteilen

Abbildung G 1. Residuenplot für Konservatismus

Abbildung G 2. Residuenplot für Religiosität

Abbildung G 3. Residuenplot für Gewalt in der Ehe

Abbildung H 1. Probability-Probability-Plot der standardisierten Residuen vom z-Faktorenwert Konservatismus

Abbildung H 2. Probability-Probability-Plot der standardisierten Residuen vom z-Faktorenwert Religiosität

Abbildung H 3. Probability-Probability-Plot der standardisierten Residuen vom z-Faktorenwert Religiosität

Abbildung H 4. Histogramm mit Normalverteilungskurve der standardisierten Residuen von Konservatismus

Abbildung H 5. Histogramm mit Normalverteilungskurve der standardisierten Residuen von Religiosität

Abbildung H 6. Histogramm mit Normalverteilungskurve der standardisierten Residuen von Gewalt in der Ehe

Abbildung I 1. Anzahl der ausgewählten Fälle für Integrative, akzeptanzorientierte Methoden

Abbildung I 2. Anzahl der ausgewählten Fälle für Bewältigungsorientierte Methoden

Abbildung I 3. Anzahl der ausgewählten Fälle für Kognitive Methoden

Abbildung I 4. Anzahl der ausgewählten Fälle für Kommunikationstraining.

Abbildung I 5. Anzahl der ausgewählten Fälle für das Reziprozitätstraining.

Abbildung I 6. Anzahl der ausgewählten Fälle für das Problemlösetraining

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abstract

Nach Devine (1989) können Personen mit geringen Vorurteilen die automatisch aktivierten Stereotype kontrolliert hemmen. Wird die Aufmerksamkeit gestört, kann die Hemmung nicht stattfinden. Wir nahmen an, dass Probanden bei der Bewertung einer Paartherapiesituation mehr Vorurteile zeigen, wenn sie unter Stress stehen. Dieser Effekt sollte bei Personen, die geringe Vorurteile haben, größer sein, als bei Personen mit vielen Vorurteilen. Des Weiteren wurde untersucht, ob die Probanden unter Stress unterschiedliche Therapiemethoden für das muslimische Paar, im Vergleich zum deutschen Paar, als sinnvoll erachten. Die Teilnehmer wurden randomisiert einem von vier Fragebögen zugeteilt. Die Studie wurde nach einem 2 (Stressor/kein Stressor) x 2 (muslimisches/deutsches Paar) Design aufgebaut und die Vorurteile wurden zusätzlich zu Beginn erhoben. 194 Teilnehmerdaten wurden genutzt.

Die Items zur Bewertung der Paartherapiesituation wurden mithilfe einer Vorbefragung generiert und anhand einer Faktorenanalyse zu drei Faktoren gebündelt: „Konservatismus“, „Gewalt in der Ehe“ und „Religiosität“. Die Bewertung des Paares bei Personen mit wenig Vorurteilen unter Stress unterschied sich nicht signifikant von der Bewertung des Paares in den anderen drei Bedingungen. Teilnehmer mit mehr Vorurteilen gaben bei der Bewertung des muslimischen Paares mehr Stereotype an, als bei der Bewertung des deutschen Paars. Allerdings gaben Teilnehmer mit wenig Vorurteilen in der Bedingung „muslimisches Paar“ bei den Kriterien „Konservatismus“ und „Gewalt in der Ehe“ weniger stereotype Antworten an. Die Auswahl der Therapievorschläge für die Paare unterschied sich zwischen den Ethnien und den Stress-Bedingungen nicht.

1. Einleitung

Die Gesellschaft in Deutschland ist schon lange nicht mehr homogen (Benoit, El-Menour, Helbling, & Bertelsmann Stiftung, 2018). Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte entwickelte sie sich zu einer Gemeinschaft, die geprägt ist von Vielfalt (Benoit et al., 2018). Mitten im Herzen Europas gelegen habe Deutschland - besonders in den letzten Jahren - wie kaum ein anderes Land, von dem lebendigen und grenzüberschreitenden Austausch profitiert. Hier treffen Menschen mit Behinderungen, verschiedenen sexuellen Orientierungen, Religionen, Traditionen und kulturellen Hintergründen in einer Nachbarschaft zusammen. Die Vielfalt bietet einen fruchtbaren Nährboden für Innovation, Künstlertum und Forschergeist (Benoit et al., 2018).

Die Vorzüge, welche die Vielfalt in einem Land schafft, scheinen jedoch nicht immer klar auf der Hand zu liegen, denn: Wo viele kulturelle Einflüsse aufeinandertreffen, begegnen sich auch unterschiedliche Menschen, die sich zunächst völlig fremd sind (Benoit et al., 2018). Die Begegnung mit dem Fremden kann zu einer zunehmenden Verunsicherung in der Gesellschaft führen (Feltes, 2018). Die Einwohner in Deutschland haben zurzeit immer mehr den Eindruck, dass sich in Deutschland Abschottungstendenzen breit machen und politische Kräfte an Einfluss gewinnen, die auf Ausgrenzung setzen (Benoit et al., 2018). Vorurteile, insbesondere den muslimischen Einwanderern gegenüber, werden durch rechtsorientierte Massen befeuert und durch die Medien häufig noch verstärkt (Hafez, 2017). Wie ist es möglich, dass sich Vorurteile gegenüber bestimmten Gruppen in dem Maße verankern?

Die Vorurteilsforschung in der Psychologie reicht weit zurück. Seit Allport mit seinem Werk „The Nature of Prejudice“ (1954) die Basis für die Forschung von Vorurteilen und Stereotypen geschaffen hat, haben immer mehr Sozialpsychologen Interesse an dem Gebiet gezeigt. Auch heutzutage gibt es eine Vielzahl an Studien, die sich damit beschäftigen (Amodio, 2014; Bahns, 2017; Forscher, Cox, Graetz, & Devine, 2015; Zhao, Liu, Zhang, Shi, & Huang, 2014).

Vorurteilsbehaftete und stereotypisierte Wahrnehmungen sind im alltäglichen Leben unvermeidbar, insbesondere, weil sie wichtige Funktionen erfüllen. So schaffen sie beispielsweise eine sichere Orientierungshilfe in komplexen sozialen Umwelten (Thomas, 2006). Problematisch wird es allerdings, wenn wir negative Vorurteile als wahr annehmen und diese bestimmten Gruppen zuschreiben, sodass es zu Ablehnung und Diskriminierung kommt.

Diese negativen Vorurteile sind in vielen Bereichen wiederzufinden, so auch im Gesundheitswesen. Voreingenommenheit, Überzeugungen des Leistungserbringers über das Verhalten oder die Gesundheit von Minderheiten, aber auch die klinischen Unsicherheiten im Umgang mit ethnischen Minderheiten können zu Unterschieden bei der Versorgung von Minoritätsgruppen führen (Balsa & McGuire, 2003; Nelson, 2002).

Auch Psychotherapeuten[1] werden, dem wachsenden Bevölkerungsanteil von Migranten entsprechend (Birg, 2000), immer häufiger mit der Therapie von Ausländern konfrontiert. Neben der Schwierigkeit, mit Patienten aus einem vollkommen anderen Kulturkreis umzugehen, sie in ihrem Denken und Fühlen zu verstehen und ihnen somit eine angemessene Therapie anzubieten, sind auch Psychotherapeuten nicht frei von stereotypem Denken. Zunächst hilft die Stereotypisierung eventuell, die Fülle an neuen Informationen bezüglich der neuen Kultur zu sortieren und verständlich zu machen. Allerdings können stereotype Denkweisen zu Verzerrungen im Wahrnehmen vom Patienten und zu unangemessenem Verhalten diesem gegenüber führen.

Menschen, die in Berufen der psychischen Gesundheit arbeiten, weisen besondere Belastungen in Form von Stress und Ablenkung auf (Cushway & Tyler, 1996). Wie sich der Stress, den die Therapierenden in die Sitzung mitbringen, auf die Vorurteile auswirkt, ist allerdings nicht geklärt.

Es gibt viele Studien, die aufzeigen, welche Kompetenzen und welches Wissen man benötigt, um ethnischen Minderheiten zu begegnen (Cardemil & Battle, 2003; Daneshpour, 1998; Hardy & Laszloffy, 1995). Allerdings behandelt keine der Studien, wie sich Stress oder Ablenkung des Therapierenden auf die Therapiesitzung auswirkt, insbesondere, wenn der Patient aus einer stereotypbelasteten ethnischen Gruppe stammt. Dies wollen wir anhand dieser Arbeit im Kontext einer Paartherapiesitzung untersuchen. Dazu möchten wir in einem ersten Schritt herausfinden, welche Vorurteile es in der Gesellschaft gegenüber muslimischen Paaren gibt.

Weiterhin soll die Arbeit aufzeigen, ob die Probanden andere Therapiemethoden für muslimische Paare für sinnvoller erachten als für deutsche Paare. Es soll diskutiert werden, welche Konsequenzen die Ergebnisse mit sich bringen und was diese für die therapeutische Praxis bei der Arbeit mit muslimischen Paaren bedeutet.

2. Theoretischer Hintergrund

Zu Beginn möchten wir einen theoretischen Überblick über das Thema geben, indem wir Definitionen relevanter Begriffe aufführen und verschiedene Modelle vorstellen, die Erklärungen zur Entstehung von Vorurteilen und Stress bieten. Zudem gehen wir auf die automatischen und kontrollierten Prozesse der sozialen Urteilsbildung ein.

2.1 Vorurteile

Im Folgenden sollen Vorurteile genauer erläutert werden. Es stellt sich die Frage, was genau Vorurteile sind, wie sie uns beeinflussen und wieso sie überhaupt existieren. Weiterhin soll untersucht werden, wie diese Vorurteile unseren Umgang mit Outgroups und unseren Arbeitsalltag als Psychotherapeuten bewusst, aber auch unbewusst, beeinflussen können.

2.1.1 Definition

„Vorurteile sind Urteile bzw. Aussageformen über Personen und Personengruppen, die falsch, voreilig, verallgemeinernd und klischeehaft sind, nicht an der Realität überprüft wurden, meist eine extrem negative Bewertung beinhalten und stark änderungsresistent, d.h. durch neue Informationen nur schwer oder kaum zu modifizieren sind und sich somit durch eine bemerkenswerte Stabilität auszeichnen.“, so G. Watson (1947) (Güttler, 2003, S. 111). Damit bezieht sich der amerikanische Psychologe Watson sehr genau auf die Bedeutung des Wortes „Vorurteil“, also ein Urteil, das vor dem eigentlichen Urteil getroffen wird. Denn erst dieses eigentliche, qualifizierte Urteil würde, mithilfe der uns zur Verfügung stehenden Fakten und Erfahrungen, getroffen werden. Außerdem spricht er, neben den stereotypen, negativen Eigenschaften und möglicherweise irrealen Inhalten, vor allem die starke Stabilität der Vorurteile an. Dabei stellt Watson heraus, dass die Veränderung dieser Vorurteile eine schwere Aufgabe ist.

Auch Gordan Allport liefert uns eine vielfach zitierte Definition von Vorurteilen: „Prejudice is an antipathy based on faulty and inflexible generalization. It may be felt or expressed. It may be directed toward a group or an individual of that group.” (Allport, 1979, S. 9). Damit beschreibt der amerikanische Sozialpsychologe die negativen Vorurteile in Bezug auf Gruppen und Individuen. Vorurteile können zwar positiv sein, also unseren Alltag erleichtern, da wir leichter und schneller in Kategorien denken können (Metzger, 1976), dennoch wird in der Bevölkerung und auch in der Forschung meistens von der negativen Bedeutung Gebrauch gemacht, wie auch das bereits genannte Zitat von Watson zeigt. Auch Allports Definition stellt uns Menschen als fehlerhaft und unflexibel dar, was neben unbewussten Urteilen und Verhalten gegenüber der anderen Person oder Gruppe auch in offenkundiger Diskriminierung, aufgrund wahrgenommener Bedrohung, münden kann (Pereira & Costa-Lopes, 2010).

Davis (1964) widmete sich als Kognitionspsychologe, wie viele seiner Kollegen, der selektiven Wahrnehmung durch Vorurteile. Er beschreibt eine eingeengte Wahrnehmung des Menschen durch Vorurteile. Wir fokussieren uns also nur auf das, was wir erwarten, oder was wir wahrnehmen wollen. Vorurteile scheinen zudem oft einen unbewussten Teil unserer sozialen Interaktion auszumachen. Sie sind dadurch schwer zu kontrollieren und aufzudecken (Amodio, 2014).

Diese vielen Eigenschaften von Vorurteilen haben, wie oben beschrieben, einen einflussreichen Platz in unserem täglichen Leben und unserer täglichen Interaktion. Sie beeinflussen uns ebenso in unserem beruflichen Alltag, wie beispielsweise bei der Arbeit als Psychotherapeut.

2.1.2 Ethnische Vorurteile

Geboren 1864 und zu Zeiten stärkerer Migration in Chicago lebend, interessierte sich der amerikanische Soziologe Robert Park besonders für die Einflüsse von Industrialisierung, den allgemeinen Wandel und (mitunter dadurch angeheizt) den Migrationszufluss um 1930. Außerdem führte seine Arbeit zur soziologischen Migrationsforschung (Park, 1950). Das Zusammentreffen der verschiedenen Ethnien und der kulturelle und kommunikative Austausch waren zentrale Themen für Park. Er beschreibt ein Prinzip der sozialen Distanzierung zwischen Gruppen aufgrund verschiedener Ethnien. Mit diesem Konzept der sozialen Distanz waren er und seine Mitarbeiter eine der ersten Forschergruppen, welche die daraus folgende Abgrenzung von Individuen erklärten. Grund dafür sei ein tief verinnerlichtes Klassen- und auch Rassenbewusstsein in der Gesellschaft. Diese soziale Distanz ist ein subjektives Gefühl einer Person, welches bestimmt, inwieweit wir uns Nähe von anderen Individuen der Gesellschaft wünschen. Empfinden wir also große soziale Distanz, erscheinen die anderen Gesellschaftsmitglieder als fremd, anders, oder sogar gefährlich, was bis hin zu einem Gefühl der Feindseligkeit reicht. Von dieser Person oder dieser Gruppe will man sich also eher lossagen. Eine geringe soziale Distanz führt zu einer gesteigerten Gruppenzugehörigkeit, bis hin zu einer gemeinsamen Identität, gemeinsamen Erfahrungen und Gefühlen von Verständnis, Zuneigung und Aufgeschlossenheit.

Viele Jahre später, nach einem Weltkrieg und ansteigender Migration (Oltmer, 2016), gibt es Forscher wie Andreas Zick, der mit seinem Team Dimensionen der Geschichtswissenschaften, Soziologie, Sozialbiologie, Anthropologie und Ethnologie in den Vordergrund der Forschung rückte (Zick, 1997).

Zick definiert ethnische Vorurteile wie folgt:

„Negative ethnische Vorurteile bezeichnen die Tendenz eines Individuums, ein Mitglied einer Outgroup oder die Outgroup als ganze negativ zu beurteilen und damit die Ingroup, zu der sich das Individuum zugehörig fühlt, positiv zu beurteilen. Ethnische Vorurteile sind negative Einstellungen, die stabil und konsistent sind. Diese Einstellungen werden gegenüber Mitgliedern einer ethnischen Outgroup geäußert“ (Zick, 1997, S. 39)

Negative ethnische Vorurteile, oder auch rassistische Vorurteile genannt, beziehen sich also ganz gezielt auf ethnische Gruppen und werden oft im Zusammenhang mit Zuwanderern zu einer Gesellschaft untersucht (Carter & Virdee, 2008; Farwick, 2009; Rose, 1950). Insgesamt spricht man demnach von negativen Einstellungen gegenüber Mitgliedern anderer ethnischer Gruppen.

Ethnische Vorurteile haben seit der beschriebenen zunehmenden Migration immer mehr Einfluss auf unser Leben, ebenso wie die generellen Vorurteile. Hier beziehen wir uns auf Vorurteile, entstanden aufgrund verschiedener Ethnien und deren Konsequenzen und Behandlungsmethoden.

2.1.3 Drei-Komponenten Modell

Nach dem Drei-Komponenten Modell, welches im Rahmen der Einstellungsuntersuchung entstand, werden Vorurteile als Einstellungen in drei Komponenten unterteilt. Zum einen kognitiv in Form von Stereotypen, oder affektiv in Bezug auf die Emotionen, als auch in diskriminierendes Verhalten auf der konativen Ebene (Cuddy, Fiske, & Glick, 2007; Duckitt, 2003; Farley, 2010). Diese drei Komponenten sollen die Einstellungsdimensionen der Intergruppenbewertung beschreiben. Duckitt (2003) stellte nachträglich heraus, dass man seit längerer Zeit zusätzlich zwei verschiedene Dimensionen bei der Bewertung und Einschätzung von Gruppen unterscheidet. Zum einen die Dimension der Abneigung und Respektlosigkeit, zum anderen die der Sympathie und des Respekts. Beide Bewertungsdimensionen lassen sich mithilfe der drei Komponenten beschreiben. In der Regel wird sich bei den meisten Forschern auf die negative Bewertung beschränkt, da diese ein Problem für unser Gesellschaftsleben darstellt (Duckitt, 1992).

Bei der kognitiven Komponente (Stereotype) geht es um Prozesse wie Lernen, Wahrnehmen und Denken von und über Mitglieder der Fremdgruppe. Durch die stereotype Betrachtung dieser Personen agieren wir wertend und charakterisierend, und das mithilfe impliziter Urteile über Eigenschaften der Personen (Lüddecke, 2007). Man spricht also auf dieser Ebene von der Struktur, die Wissen und Überzeugungen über Mitglieder anderer sozialer Gruppen bezeichnet. Gerade diese kognitive Komponente ist ein erlernter und oft unbewusster Begleiter unseres täglichen interaktiven Alltags und bietet die Grundlage unserer Vorurteile (Bierhoff, Frey, & Bengel, 2006). Auf Stereotype beziehen wir uns ausführlicher in Kapitel „2.1.4 Stereotype“.

Die affektive Seite der Vorurteile befasst sich mit den Gefühlen, die oft negativ behaftet sind und beispielsweise Argwohn, Eifersucht und Abneigung umfassen können. Diese negative Haltung bezieht sich auf Mitglieder der Outgroup (Lüddecke, 2007). Talaska, Fiske und Chaiken (2008) forschten in ihrer Metaanalyse mithilfe von 57 Studien zu Rassendiskriminierung ebenfalls zu dem Drei-Komponenten Modell. Neben Stereotypen und anderen Überzeugungen haben sich emotionale Vorurteile als zentrale Erklärungsmechanismen für Rassendiskriminierung aufgezeigt. Außerdem zeigte sich ein moderater Zusammenhang zwischen den Emotionen und der Diskriminierung. Die Rassendiskriminierung könne zweifach so gut durch die affektive Komponente (Emotionen) vorhergesagt werden, als von der kognitiven Komponente (Stereotype) und anderen Überzeugungen zusammen. Emotionale und kognitive Vorurteile hängen nach den Ergebnissen dieser Metaanalyse zusätzlich mit selbstberichteter Diskriminierung zusammen. Allerdings hängen nur die Emotionen auch mit beobachteter Diskriminierung zusammen. Cuddy et al. (2007) halten außerdem fest, dass unsere Emotionen Verhaltenstendenzen besser vorhersagen als Stereotype. Auch diese Forscher stellen die Mediatorfunktion von Emotionen zwischen Stereotyp und Verhaltenstendenz heraus.

Die Diskriminierung auf der Verhaltensebene meint, gegenüber einer anderen Person oder Gruppe diskriminierend zu sein. Bei der Verhaltenskomponente spielt aber auch die jeweilige Situation und deren Einfluss eine Rolle, denn nicht jede Bereitschaft zu einem diskriminierenden Verhalten wird auch ausgeführt (Cuddy et al., 2007). Talaska et al. (2008) zeigten in ihrer Metaanalyse, dass Diskriminierung eine Folge von Stereotypen sei. Fasbender (2006), welche sich mit der Gruppe der älteren Arbeitnehmer bezüglich Vorurteile beschäftigt, schreibt dazu, dass ein Mangel an Weiterbildungsmöglichkeiten für ältere Arbeitnehmer zu einer negativen Gesamtbeurteilung der betroffenen Personen führen kann. Diese Menschen werden dann als veränderungsresistent und allgemein negativ bewertet. Dies führe zu einem Teufelskreis der negativen Spirale für ältere Arbeitnehmer. Diskriminierung wird in dieser Arbeit als einzelner Punkt fortfolgend ausführlicher unter Kapitel „2.1.5 Vorurteile und Diskriminierung“ erläutert.

Die Entstehung und Aufrechterhaltung von Vorurteilen kann durch dieses Modell noch einmal verdeutlicht werden. Es bietet analytische Ansatzpunkte für verschiedene vorurteilsbehaftete Szenarien, da die drei Komponenten sich gegenseitig beeinflussen (Fasbender, 2016).

2.1.4 Stereotype

Bei der Bestimmung des Begriffs des Stereotyps wurde die Definition von Hamilton und Trolier (1986) hinzugezogen: „From a cognitive perspective, then, a stereotype can be defined as a cognitive structure, that contains the perceiver´s knowledge, beliefs and expectancies about some human group.“ (S. 133)

Eine umfassendere Definition hierzu lieferten Hippel, Sekaquaptewa und Vargas (1995):

„Along with many social psychologists, we hold the view that a stereotype is a consensual belief held by members of one group concerning the characteristics of members of another group. A stereotype is more than just this, however, in that it is also a theory about how members of another group look, think, and act and how and why these attributes are linked together. […] this theory may be represented in a variety of fashions: as a social category, a base rate, a distribution, an expectancy, a prototype, an exemplar, an associative network, or even perhaps a vast collection of instances [...]. “ (S. 178)

Diese Definition legt nahe, dass stereotypisiertes Denken ein Prozess ist, welcher zu Kategorisierung und Urteilsbildung führen kann. Somit kann die Fülle an Informationen, die uns täglich erreicht, vereinfacht werden, um somit Informationen ohne Anstrengung und ohne viel Mühe zu verarbeiten. Darüber hinaus fungieren Stereotype als Erwartungen, welche die Urteile und auch die Verhaltensweise gegenüber diesen Personen beeinflussen können. Stereotypes Denken kann zudem zu Verzerrungen der Wahrnehmung über bestimmte Gruppen führen und die Aufmerksamkeit gezielt auf stereotypbestätigende Merkmale steuern. Eine einzige Information (z.B. Hautfarbe) kann ausreichen, um die Stereotype bei einer Person gegenüber einer bestimmten Gruppe zu aktivieren und somit die gesamte Informationsverarbeitung zu beeinflussen. Fazit ist also, dass Stereotype kognitive Prozesse sind, die Überzeugungen über eine Gruppe beinhalten und die kognitive Informationsverarbeitung vereinfachen und beeinflussen.

Damit Stereotype überhaupt existieren können, muss es zwischen verschiedenen sozialen Gruppen physische und soziale Merkmale geben, anhand derer man die Stereotype unterscheiden kann. Dabei werden den Gruppen anhand dieser Unterscheidung Attribute zugeschrieben, welche die Grundlage für das stereotype Denken bilden (Tajfel, 1969). Menschen werden nicht als Individuen gesehen, sondern als Vertreter einer übergeordneten, sozialen Gruppe.

2.1.5 Vorurteile und Diskriminierung

Allein der Wunsch nach Gleichberechtigung einer Gruppe, in Bezug auf eine andere, stellt noch keine Diskriminierung dar. Diese liegt erst vor, wenn diesem Wunsch nicht nachgegangen wird. Wenn also Frauen nicht gleich bezahlt werden, dann ist das Diskriminierung. Wenn jedoch kleine Kinder kein Wahlrecht haben, dann ist das Differenzierung, nicht Diskriminierung (Mummendey & Otten, 2003).

In Bezug auf verschiedene Ethnien zeigen Studien aus Europa, dass Vorurteile und Diskriminierung eher entstehen, wenn die Menschen eine gestärkte nationale Identität (hier: „Dutch nationals“) verspüren (Verkuyten & Hagendoorn, 1998). Persönliche Identität und nationale Identität sagen demnach Vorurteile vorher. Diese Identitäten wurden in zwei randomisierten Gruppen manipuliert, indem die Teilnehmer sich gezielt vorstellen sollten, wie sie als Niederländer oder als Individuum zu mehreren Fragen Bezug nehmen würden. In dieser holländischen Studie waren, bezüglich der persönlichen Identität, individuelle Unterschiede im Autoritarismus mit Vorurteilen gegenüber Türken und Deutschen im eigenen Land verbunden. Dieses Ergebnis zeigte sich ohne jegliche Auswirkungen der Stereotype der Ingroup („Dutch nationals“). Bei der Untersuchung der nationalen Identität waren die Stereotype der Ingroup mit Vorurteilen verbunden. Es konnte also gezeigt werden, dass individuelle Einstellungen unsere Bewertung gegenüber der Outgroup beeinflussen, wenn unsere persönliche Sichtweise Einfluss hat. Die Stereotypen unserer Gruppe beeinflussen unsere Sichtweise nur, wenn eine kollektivistische Perspektive aktiviert ist. Selbstkategorisierung (einzeln oder als Gruppe) bestimmt also, wie wir über andere Personen Vorurteile bilden. Auch in Belgien erlangte man ähnliche Ergebnisse, welche besagen, dass die Beziehung zwischen den Variablen der nationalen Identität und der Einstellung gegenüber Ausländern zumindest teilweise durch die soziale Repräsentation der Nation bestimmt wird (Billiet, Maddens, & Beerten, 2003).

Forscher einer weiteren Studie stellten fest, dass jene Menschen, die sich eher als Europäer ansehen, Migranten weniger skeptisch und negativ gegenüberstehen (Becker, Wagner & Christ, 2007). Auch wenn ein Individuum vermehrt auf seine demokratischen Einrichtungen im Land stolz ist, sind Migranten stärker willkommen und akzeptiert, als bei weniger Ehrgefühl für diese Einrichtungen (Heyder & Schmidt, 2002). In der Studie von Heyder und Schmidt (2002) wurde die Frage, ob Autoritarismus und Ethnozentrismus Phänomene der jungen Menschen oder der alten Menschen sind, untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die Einstellungen bei alten Menschen vermehrt ausgeprägt sind, wohingegen sich für die Idealisierung der Eigengruppe keine große Differenz bezüglich der verschiedenen Lebensjahre feststellen lässt.

Benner und Graham zeigten 2013, dass die Folgen von gesellschaftlicher Diskriminierung, aufgrund erhöhten Rassenbewusstseins bei 876 lateinamerikanischen, afroamerikanischen und asiatisch-amerikanischen Jugendlichen, eine schlechtere Leistung in der Schule und eine erhöhte psychologische Fehlanpassung sein können.

In zwei Metaanalysen untersuchten Schmitt, Branscombe, Postmes und Garcia (2014) die Beziehung zwischen wahrgenommener Diskriminierung und psychischem Wohlbefinden. Sie fanden unter anderem heraus, dass die Auswirkung der Diskriminierung auf das Wohlbefinden in Studien, bei denen die allgemeine Wahrnehmung von Diskriminierung manipuliert wurde, signifikant negativ war. Die Ergebnisse der Metaanalysen verdeutlichen insgesamt über viele Studien hinweg, dass die wahrgenommene Diskriminierung schädliche Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden mit sich zieht.

Eine andere Studie untersuchte Diskriminierung bei Minderheiten und die Auswirkung auf die Gesundheit (Berger & Sarnyai, 2015). Die Forscher der Studie analysieren hier die hormonellen und neuronalen Auswirkungen der Rassendiskriminierung. Sie fanden unter anderem heraus, dass die Diskriminierung einen chronisch erhöhten Cortisolspiegel und eine Dysregulation von Stresshormonen zur Folge hatte. Des Weiteren scheint die Rassendiskriminierung einen Einfluss auf verschiedene Bereiche im Gehirn zu haben, wobei dieser Einfluss zu Funktionsbeeinträchtigungen führen kann. Zusammengefasst führt Diskriminierung bei uns Menschen zu Auswirkungen, welche eine erhebliche Ähnlichkeit mit den Folgen vom chronischen sozialen Stress haben.

Insgesamt kann Diskriminierung, als ausführende Komponente von Vorurteilen (s. Kapitel „2.1.3 Drei-Komponenten Modell“), zu gesundheitlichen und sozialen Folgen für diskriminierte Minderheiten führen.

2.1.6 Funktion von Vorurteilen

Vorteile bieten Sicherheit. Vorurteile entstehen mitunter dadurch, dass wir uns einer Gruppe zugehörig fühlen und andere Personen oder Gruppen ausgrenzen. Wir sind also Mitglied einer Gruppe und dadurch nicht allein in der komplexen Welt. Diese Zugehörigkeit nimmt Einfluss auf unsere Identität als Teil einer Gruppe (Tajfel, 1979). Die Bedürfnispyramide von Maslow zeigt, dass das Gefühl nach Zugehörigkeit eines der zentralen Bedürfnisse von uns Menschen ist, um uns zu befriedigen und höhere Bedürfnisse, wie die Selbstverwirklichung, umzusetzen zu können (Maslow, 2018). Vorurteile bieten also Sicherheit und sind identitätsstiftend. Wir grenzen uns durch sie von anderen ab.

Vorurteile können uns bei unserem komplexen Alltag entlasten. Fiske zeigte, dass Vorurteile durch Kategorisierung entstehen. Wir teilen andere Menschen zwischen warm-kalt, kompetent-inkompetent ein (siehe dazu: Stereotype Content Model (SCM) in der Arbeit von Fiske, Cuddy, Glick und Xu (2002)). Dies hilft uns dann dabei, die gemeinsamen menschlichen Dilemmata der Interaktion zwischen gesellschaftlichen und persönlichen Positionen zu bewältigen. Ethnische Vorurteile seien aber noch komplexer, spezifischer und variabler. Um diese zu ändern, müssen die Gemeinsamkeiten und auch Unterschiede aufgedeckt werden. Wir ordnen Menschen also einfachen Mustern zu (Fiske, 2017).

Des Weiteren können Vorurteile unseren komplexen Alltag entlasten, weil sie uns Grund zur Rechtfertigung geben. Wie die vielen bereits erwähnten Studien zeigen, werten wir die eigene Gruppe auf und die andere ab, und das durch Vorurteile. (Allport, 1979; Tajfel & Turner, 2004). Das sind unsere, wenn auch nicht an der Realität bewiesenen, Argumente für unser Handeln. Genauso, wie es auch beim Antisemitismus der Nationalsozialisten im zweiten Weltkrieg der Fall war. Diese haben mit ihren Vorurteilen gegenüber Juden das eigene Handeln gerechtfertigt. Und wiederum kann man die eigene Gruppe, auch mithilfe positiver Vorurteile, weiter aufwerten (Heyder, 2006). Beispielsweise, indem man allgemein bekannte Vorurteile für sich nutzt. Ein Deutscher kann behaupten, er sei fleißig, sparsam und ordentlich (Demleitner, 2010). Vorurteile legitimieren also Hierarchien und Macht und sind ein einfacher Weg, komplexe Situationen zu erklären und zu rechtfertigen.

Aufgrund der Funktionen von Vorurteilen, die uns Menschen in unserem Alltag eigentlich helfen sollen, kann die Ursache für negative ethnische Vorurteile erkannt werden. Um Vorurteile im Umgang mit Patienten weitestgehend zu umgehen, müssen wir genügend Verständnis haben, warum sie da sind, woher sie kommen und welche Mechanismen greifen, um dort, im Sinne einer positiven Veränderung, ansetzen zu können.

2.1.7 Stabilität von Vorurteilen

Ein immer wieder erwähntes und überliefertes Zitat von Albert Einstein lautet: „Ein Vorurteil ist schwerer zu spalten als ein Atom“ (Zschiesche, 2015). Damit gibt Einstein an, dass Vorurteile wohl schwer zu verändern sind. Ob das so ist, haben viele Forscher untersucht.

Bezüglich der Stabilität von Vorurteilen bei Geschlechterstereotypen fanden Bergen und Williams (1991) anhand einer Replikation von 1988 heraus, dass diese Stabilität sehr hoch ist. In beiden Studien wurden 300 Adjektive gezeigt und die Probanden mussten angeben, ob diese eher zu Männern oder Frauen passen. Die errechnete Korrelation zwischen den Geschlechtsstereotype aus dem Jahr 1972 und der Replikation von 1988 betrug r = 0,90. Das bedeutet, dass die stereotypkonforme Beurteilung sich über diese 16 Jahre kaum veränderte. Die Übersichtsarbeit von Eckes (2008) zeigt, dass dieses Phänomen der Geschlechterstereotype oft mithilfe verschiedener Studien bestätigt werden konnte, sich allerdings im Laufe der Zeit langsam verändert, da Frauen immer mehr Selbstbewusstsein erlangen.

Während Situationsfaktoren das Ausmaß der Vorurteile von Menschen beeinflussen, stehen Persönlichkeitsfaktoren für die Rangordnung der Stabilität der Vorurteile. Nach den Ergebnissen der Forscher Akrami, Ekehammar, Bergh, Dahlstrand und Malmsten (2009) meint dies, dass interindividuelle Unterschiede, bezogen auf die Persönlichkeit und somit auf die Vorurteile, relativ stabil sind. Vorurteile verändern sich durch die Manipulation sozialpsychologischer Variablen, obwohl die Korrelation zwischen Vorurteil und Persönlichkeit gleichblieb, so die Forscher. Situative und persönliche Faktoren spielen bezüglich der Vorurteile eine wichtige Rolle.

Insgesamt lässt sich also festhalten, dass verschiedene Vorurteile ein relativ hohes Maß an Stabilität aufweisen. Sie zu verändern bedarf genügend Wissen über ihre Entstehung und Veränderung.

2.1.8 Entstehungs- und Erklärungstheorien

Um besser zu verstehen, wie Vorurteile, vor allem zwischen Gruppen, entstehen, aufrechterhalten und beseitigt werden können, bedarf es eines gewissen Verständnisses der Entstehung von Vorurteilen. Es gibt verschiedene Ansätze, um Phänomene von Vorurteilen zu erklären, die im Folgenden aufgeführt werden:

Einer davon ist die Theorie der sozialen Identität oder auch Social Identity Theory von Tajful und Turner (2004). Zusammengefasst beschreibt sie die Tatsache, dass die Identität eines Individuums, neben dem Selbstkonzept, von der wahrgenommenen sozialen Identität beeinflusst wird. Diese ergibt sich aufgrund der Zugehörigkeiten zu Gruppen (Tajfel & Turner, 2004).

Eine weitere Theorie ist die des realistischen Gruppenkonflikts oder auch Realistic Conflict Theory, welche durch Muzafer Sherif (1954) geprägt wurde. Sherif sagt, dass die Konflikte zwischen den verschiedenen Gruppen dadurch zustande kommen, dass nur eine Partei ein gewünschtes Ziel erreichen kann. Hierdurch kommt es zur Eigengruppenfavorisierung. Sherifs Untersuchungen im Ferienlager zeigten neben den experimentell herbeigeführten Gruppenkonflikten aber auch, dass ein übergeordnetes Ziel, welches beide Gruppen zusammen erreichen sollen, die Rivalitäten wieder aufheben oder zumindest minimieren kann. Diese Untersuchungen zur Konfliktforschung machen deutlich, dass Vorurteile gegenüber anderen, mithilfe von Zielen erzeugt werden können, welche nur für eine der beiden Gruppen erreichbar sind. Sie zeigen aber auch, dass die Gruppen durch übergeordnete Ziele wieder vereint werden können (Lambert, 1954).

Zum Thema Vorurteile spielt auch den Begriff des Ingroup Bias eine Rolle. Dieser besagt, dass wir unsere Gruppe gegenüber einer anderen Gruppe bevorzugen. Hierzu gibt es mehrere Studien, welche eine randomisierte Gruppenzuteilung der Versuchspersonen beinhalten. Die Versuchspersonen der zufälligen Gruppenzuteilung identifizieren sich dabei mit der ihnen zugeteilten Gruppe und werten die anderen Gruppen ab. (Verkuyten & Hagendoorn, 1998). Die Studie von Brewer (1979) zeigt aber auch, dass es eine Kontroverse gibt. So konnte Brewer aufzeigen, dass es zur Eigengruppenfavorisierung kommt, und nicht zur Abwertung anderer. Aberson, Healy, und Romero (2000) stellten fest, dass Personen mit einem hohen Selbstwertgefühl mehr Ingroup Bias zeigten, als jene mit niedrigem Selbstwertgefühl.

Die Theorie der relativen Deprivation, bzw. Relative Deprivation Theory, geht davon aus, dass der subjektiv empfundene Mangel gegenüber einer Person oder Gruppe das Gefühl der sozialen Benachteiligung fördert (Tajfel & Turner, 2004; Walker & Smith, 2001). Es gibt die relative Deprivation auf der Ebene des Individuums und die auf Gruppenebene (Pettigrew et al., 2008). Pettigrew et al. (2008) zeigten außerdem, dass die gruppenbasierte relative Deprivation am nächsten mit Vorurteilen korreliert, nicht die individualistische. Das zeigen auch Schmitt und Maes (2002), welche die relative Deprivation bei Ost- und Westdeutschen untersuchten und das Gefühl von Ungerechtigkeit der Ostdeutschen gegenüber der Gruppe der Westdeutschen herausstellten.

Die Integrated Threat Theory (ITT), beziehungsweise integrierte Bedrohungstheorie, ist eine Theorie, welche die Komponenten beschreibt, die eine wahrgenommene Bedrohung zwischen sozialen Gruppen verursacht. Hierdurch können wiederum Vorurteile entstehen. Die Grundannahme dieser Theorie ist die Tatsache, dass die Menschen in der jeweiligen Situation als Mitglieder einer Gruppe und nicht als einzelne Individuen handeln und denken (Stephan & Stephan, 2000). Es gibt dabei vier Komponenten: die realistische Bedrohung (bezüglich dem Physischen, Materiellem und Ökonomischen), die symbolische Bedrohung (bezüglich der Werte und Normen), negative Stereotype (Ingroup gegenüber Outgroup) und die Intergruppenangst (Angst gegenüber Outgroup). Croucher (2017) untersuchte die ITT in Bezug auf Einwanderer und zeigte, dass Einwanderer eine subjektive Bedrohung für die Kultur der Menschen im Land darstellen, welche zu Verurteilung und Diskriminierung führt, um die eigene Kultur zu schützen. Dabei entstehen die realistische Bedrohung, die symbolische Bedrohung, das negative Stereotyp und die Intergruppenangst. Realistische Bedrohungen betreffen das physische Wohlergehen, sowie die wirtschaftliche und politische Macht der Gruppe. Symbolische Bedrohungen entstehen aufgrund kultureller Unterschiede in Werten, Moral und Weltanschauung der Außengruppe. Negative Vorurteile entstehen aus negativen Stereotypen, welche die interne Gruppe gegenüber der externen Gruppe hat. Und Intergruppenangst bezieht sich auf die Angst, die die Mitglieder der Gruppe im Verlauf der Interaktion mit Mitgliedern der Außengruppe erfahren.

2.1.9 Reduzieren und Aufheben von Vorurteilen

Bislang aufgeführt, wie Vorurteile entstehen und welche Auswirkungen sie haben können. Die Frage scheint nun naheliegend, wie Vorurteile allgemein und in Zukunft reduziert werden können.

Die Kontakthypothese beschreibt das Verringern oder gar das Aufheben von Vorurteilen mithilfe von Kontakt (Pettigrew, 1997). McLaren (2003) hat erklärt, wie vermehrter Kontakt zwischen Einheimischen und Einwanderern in Europa das Gefühl von Bedrohung reduzieren kann. Dafür darf der Kontakt aber nicht oberflächlich sein, beispielsweise eine flüchtige Nachbarschaft oder Arbeitsbeziehung, sondern verlangt ein gewisses Maß an Intensivität, wie beispielsweise Freundschaften. Bei der Studie von Croucher, Aalto, Hirvonen und Sommier (2013) führte der Kontakt von muslimischen Einwanderern auch zu weniger Vorurteilen gegenüber Muslimen seitens der finnischen Bevölkerung.

Hamberger und Hewstone (1997) erforschten Freundschaften zwischen Kulturen (eine davon europäisch) und fanden heraus, dass Vorurteile von Gruppenmitgliedern durch den Kontakt anderer Gruppenmitglieder mit Personen aus der Outgroup abgebaut werden können.

Durch vermehrten Kontakt können sogar in Zeiten größerer Einwanderungsquoten Vorurteile abgebaut werden. So haben Wagner, Christ, Pettigrew, Stellmacher und Wolf (2006) gezeigt, dass bei erhöhten Ausländerquoten in Deutschland der Kontakt zwischen den Gruppen an Häufigkeit und Intensität zunimmt, was dazu führt, dass andere ethnischen Gruppen generell weniger abgelehnt werden.

Dovidio und Gaertner (1999) zeigen verschiedene Wege, Vorurteile zu reduzieren. Zum einen gibt es den Weg der Einstellungsänderung durch Aufklärung, beziehungsweise Bildung und Wissen über die Menschen, die man mit Vorurteilen behaftet hat. Zum anderen führen die Forscher individuelle Techniken an, die dazu führen sollen, dass Menschen mit Vorurteilen Inkonsistenzen zwischen ihren Selbstbildern, Werten und Verhaltensweisen entdecken, welche beispielsweise in Emotionen wie Schuldgefühlen münden können. Dazu kommt es dann zu anderen Einstellungen, die diese Vorurteile reduzieren. Außerdem führen sie Intergruppenstrategien mit Intergruppenkontakt an, um die Gruppengrenzen neu zu definieren. Die Dekategorisierung sei beispielsweise eine Folge von Intergruppenkontakt. Eine Person der Outgroup wird als Individuum bewertet, da sie nicht nur stereotypkonform nach den Normen der Outgroup agiert, sondern sich als eigenständige, facettenreiche Person entpuppt (Brewer & Miller, 1984; Wilder, 1986).

Alternativ kann der gruppenübergreifende Kontakt so strukturiert werden, dass die Art der Gruppengrenzen beibehalten, aber geändert wird, d.h. eine Neukategorisierung hervorgerufen wird. Dieser Rekategorisierungsansatz besteht darin, Gruppenmitgliedschaften zu kreuzen oder die Bekanntheit der verschiedenen Gruppenmitglieder zu steigern. Wenn den Interaktionspartnern bewusst wird, dass Mitglieder der anderen Gruppe, aufgrund von Gemeinsamkeiten, auch Mitglieder der eigenen Gruppe sind, können sie die Einstellungen zur jeweiligen Gruppe verbessern (Urban & Miller, 1998).

2.1.10 Vorurteile gegenüber Muslimen

Strabac und Listhaug (2008) nutzten Daten aus der European Value Study, die von 1999–2000 durchgeführt wurde, um das Ausmaß und die Determinanten antimuslimischer Vorurteile in West- und Osteuropa zu untersuchen. Dabei stellten sie fest, dass Vorurteile gegenüber Muslimen weiter verbreitet waren, als Vorurteile gegenüber anderen Einwanderern. Die Ergebnisse deuten weiter darauf hin, dass Muslime in Europa bereits vor den Anschlägen am 11. September besonders häufig von Vorurteilen betroffen waren. Die Ergebnisse unterstützen die Realistic Conflict Theory, vor allem im Hinblick auf die Auswirkungen der Arbeitslosigkeit. Die Größe der muslimischen Bevölkerung in einem Land scheint jedoch die Vorurteile gegen Muslime nicht zu erhöhen (s. Kapitel „2.1.9 Reduzieren und Aufheben von Vorurteilen“).

Anderson und Antalíková (2014) konnten in ihrer Studie zeigen, dass die negative Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber Einwanderern tatsächlich auf die wahrgenommene islamische Zugehörigkeit der Einwanderer zurückzuführen war. Ihre Ergebnisse zeigten, dass sowohl explizite als auch implizite Einstellungen negativer waren, wenn der zu bewertende Mensch als Muslim und nicht als Einwanderer eingestuft wurde.

Da stellt sich die Frage, aus welchem Grund die Menschen gegenüber Muslimen in diesem Maße voreingenommen sind. Es gibt einige allgemeine Gründe, warum Menschen gegenüber einer Outgroup Vorurteile hegen, wie z.B. die Angst vor dem Unbekannten, Bedenken hinsichtlich der sozialen Identität und realistische und symbolische Konflikte (s. Kapitel „2.1.8 Entstehungs- und Erklärungstheorien“). Abgesehen davon gibt es auch spezifische Erklärungen dafür, weshalb gerade Muslime besonders von Vorurteilen betroffen sind. Zum einen werden der Islam und somit auch die Muslime mit Terrorismus in Verbindung gebracht, was eine eindeutige Quelle von Vorurteilen darstellt. Insbesondere bei Menschen mit einer konservativen Überzeugung werden die Vorurteile gegenüber Muslimen bei Erinnerung an Terrorismus verstärkt (Steele, Parker, & Lickel, 2015). Ein weiterer Beweis für die Annahme, dass Angst vor Terrorismus Vorurteile gegenüber Muslimen verstärkt ist, dass Hassverbrechen gegenüber Muslimen nach Terroranschlägen zunehmen (Soltas & Stephens-Davidowitz, 2015).

Eine weitere Erklärung dafür, weshalb insbesondere Muslime von Vorurteilen betroffen sind, ist die Immigration. Schon vor Jahrhunderten war die muslimische Bevölkerung in Europa stark vertreten, allerdings ist es die Einwanderung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die zu den muslimischen Großgemeinden geführt hat (Berlingshoff, 2018). Diese sind heute Ziel von Vorurteilen (Nielsen, 1999, S 1ff.). In Deutschland leben zurzeit 4,7 Millionen Muslime, was einen Anteil von 5,7% an der Gesamtbevölkerung ausmacht (Stichs, 2016). Somit kommt die muslimische Bevölkerung in Deutschland direkt nach der christlichen. Nach der Integrated Threat Theory (Stephan & Stephan, 2000) (s Kapitel „2.1.8 Entstehungs- und Erklärungstheorien“) kann das zahlreiche Vorhandensein der muslimischen Bevölkerung zu einer Wahrnehmung von Bedrohung führen. Es kommt zu einem Wettbewerb über die vorhandenen, begrenzten Ressourcen, was wiederum zu einer wahrgenommenen Bedrohung der eigenen Werte und der Kultur führt. Besonders die realistische Bedrohung führt hierbei zu Vorurteilen und Diskriminierung der muslimischen Gruppen in Europa (Pereira, Vala, & Costa-Lopes, 2010).

Ein weiterer Grund für die Vorurteile gegenüber Muslimen ist der, dass die (wahrgenommenen) muslimischen Werte stark von denen der europäischen bzw. westlichen Kultur abweichen (Vecchione, Caprara, Schoen, Castro, & Schwartz, 2012). Bereits Allport (1954) beschrieb, dass Menschen mit bestimmten Werten andere abweisen, wenn diese nicht ihre eigenen Werte und Vorstellungen teilen. Die muslimische Kultur wird der westlichen Kultur als entfernter, als andere ethnische Gruppen (Blank, 1998). Die muslimische und die westliche Welt werden als zwei gegensätzliche Pole gesehen. So werden Werte der westlichen Gesellschaft in Form von Gleichberechtigung, Demokratie, Individualismus und Fortschritt oft denen der muslimischen Gesellschaft gegenübergestellt. Die muslimische Welt wird derweil oft als rückständig und Frauen unterdrückend wahrgenommen (Pew Research Center, 2010; Moss, Blodorn, van Camp, & O’Brien, 2019). Die Einschätzung reicht sogar bis hin zu religiösem Fanatismus und Missachtung von Menschenrechten.

2.2 Vorurteile in der Psychotherapie

Auch in der Therapie, insbesondere in der Paartherapie, kommt es zu Einflüssen von Vorteilen. Dies soll weiterführend anhand existierender Forschung gezeigt werden.

2.2.1 Vorurteile von Therapeuten in der Psychotherapie

In seinem Review zeigt Garb (1997), dass es in Therapien zu Rassen-, Status- und Geschlechterbias kommen kann. Therapierende neigen demnach dazu, Patienten mit einem niedrigen sozialen Status als psychisch labiler zu beurteilen, im Vergleich zu Patienten mit einem hohen sozioökonomischen Status. Schizophrenie wird Schwarzen Menschen[2] eher zugeschrieben als Weißen Menschen. Und weibliche Patienten werden oft als labiler beurteilt als männliche Patienten mit identischen Problemen.

Mithilfe eines weiteren Reviews konnte ebenfalls gezeigt werden, dass Menschen im Gesundheitssystem impliziten Vorurteilen gegenüber ihren Patienten unterliegen (Hall et al., 2015). In diesem Review wurden 15 Studien eingeschlossen. Es stellte heraus, dass die untersuchten Menschen des Gesundheitssystems, wie beispielsweise Therapeuten, einem Bias unterliegen. Sie haben eine negativere Einstellung gegenüber Schwarzen Menschen in der Therapie als gegenüber Weißen Patienten.

2.2.2 Vorurteile von Patienten gegenüber der Psychotherapie

Auch die Patienten bringen verschiedene Vorurteile in die Psychotherapie mit ein. In einer Pilotstudie untersuchten Stephan und Utsch (2017) den Einfluss von Religiosität auf die Bereitschaft, eine Psychotherapie zu beginnen. Die Studie lieferte dieselben Ergebnisse in Deutschland, die bereits in den USA bestätigt werden konnten: Streng religiöse Menschen sind weniger bereit eine Therapie wahrzunehmen. Erwartungen konnten dabei den Effekt teilweise mediieren, was ebenfalls die Erwartungen an eine Therapie, neben der Religiosität, als einen wichtigen Aspekt hervorhebt. Villatoro, Mays, Ponce und Aneshensel (2018) konnten für verschiedene ethnische Outgroups und Minderheiten in Amerika zeigen, dass diese weniger psychotherapeutische Unterstützung bei mindestens gleichen psychischen Problemen in Anspruch nehmen.

Die Inanspruchnahme psychotherapeutischer Leistungen liegt bei zwei Drittel der Erkrankten mit depressiven Symptomen vor. Eine geringe soziale Unterstützung und das Leben als Single sind Faktoren, die ebenfalls bei der Inanspruchnahme der Leistungen von Psychotherapeuten und Psychiatern eine Rolle spielen. Die Studie zeigt auch, dass die Inanspruchnahme in Regionen, die ein gut ausgebautes Netz an Versorgungsleistungen haben, besser ist, als in Regionen, bei denen das nicht der Fall ist (15% mehr Inanspruchnahme) (Robert Koch-Institut, 2019).

Nach Meyer und Zane (2013) hielten Klienten ethnischer Minderheiten im Allgemeinen Fragen der Herkunft und der ethnischen Zugehörigkeit für wichtiger als Klienten Weißer Herkunft. Wenn diese Elemente als wichtig erachtet, aber nicht in die Behandlung einbezogen wurden, waren die Klienten mit der Behandlung weniger zufrieden. Übereinstimmend mit dem Begriff der kulturellen Reaktionsfähigkeit, liefern diese Ergebnisse empirische Belege dafür, dass kulturell relevante Aspekte des psychosozialen Leistungserlebnisses für Klienten aus ethnischen Minderheiten von herausragender Bedeutung sind. Diese Aspekte können Einfluss darauf haben, wie diese Klienten auf Dienstleistungen reagieren.

Vorurteile begleiten uns überall im Alltag. Doch auch der professionelle Alltag als Psychotherapeut unterliegt ihren Einflüssen, trotz des Wissens über diese Vorurteile. Es ist demnach wichtig, diese Tatsache herauszustellen, um ein Bewusstsein im Umgang mit diesen Vorurteilen zu schaffen.

2.2.3 Vorurteile in der Paartherapie

Leider gibt es bislang noch wenig einschlägige Forschung zum Thema Vorurteile in der Paartherapie.

Laszloffy und Hardy (2000) untersuchten den Rassismus in der Familientherapie. Ihre Empfehlung lautet, dass die Therapeuten sich immer wieder selbst hinterfragen müssen, da unabsichtlicher und verdeckter Rassismus in den privaten Therapieräumen meist ungewollt und unbemerkt auftreten kann. Dabei sei die wichtigste Frage als Therapeut an sich selbst: „Woran glauben wir wirklich“? („What is it that we really believe?“). Es schwingt aber immer wieder die generelle Forderung mit, dass Therapeuten kontinuierlich die Art und Weise ihrer Therapie hinterfragen. Der Hintergrund ist, dass sie den Prozess, in Bezug auf rassistische Einflüsse, aber auch andere Arten von Einflüssen, überwachen und ausblenden, bzw. nicht mit einfließen lassen.

Auch ältere Paare begegnen in der Psychotherapie mehr Vorurteilen als jüngere Paare (Ivey, Wieling, & Harris, 2000) . Die Forscher fanden heraus, dass die älteren Paare in der Paartherapie nicht so ernst genommen werden wie jüngere. Ein geringeres Funktionsniveau auf individueller Ebene, sowie auf Ebene als Paar, wurde den Älteren vermehrt unterstellt. Allerdings konnten sie auch zeigen, dass der Grad der Ausbildung des beurteilenden Therapeuten darauf keinen Einfluss hatte.

2.2.4 Unterschiede in der Therapieempfehlung

In der Psychotherapie gibt es unterschiedliche Methoden, um Patienten zu helfen. Diese Methoden lassen sich verschiedenen störungsübergreifenden Therapieschulen zuordnen. Doch heutzutage ist das Auseinanderhalten von unterschiedlichen therapeutischen Schulen und deren Methoden nicht mehr so klar wie früher. Viele Methoden sind ähnlich. Die Krankenkassen legen in ihrer Finanzierung Wert auf eine gute Heilung des Patienten, schauen also auf die wissenschaftlichen Evidenzen der Therapien. Doch selbst, wenn sich der Psychotherapeut strikt an das Manual einer jeweiligen Störung hält (abgesehen davon, dass Störungen selten so einfach und klar strukturiert in einem Patienten auftreten), ist die Vorgehensweise zwangsweise individuell. Das liegt natürlich überwiegend am Patienten, aber auch an den Erfahrungen und Vorlieben des Therapeuten und vielen weiteren Faktoren. Das heißt, bei einem bestimmten Fall gibt es viele unterschiedliche Möglichkeiten, die Behandlung des Patienten zu beginnen und fortzuführen. Aber herauszufinden, welche nun die Richtige ist, oder welche am besten hilft, das ist ebenfalls ein individueller Vorgang (Berger, 2009).

Kizilhan (2015) spricht sich sogar dafür aus, dass Heilungszeremonien und andere muslimische und nicht wissenschaftliche Methoden als Ressource in die wissenschaftlich fundierte Therapie mit einbezogen werden können und sollen. Er verwendet dafür den Begriff der interkulturellen Ressource.

Ein Problem der Individualität des Therapieprozesses sind unterschiedliche Vorgänge und daraus resultierend unterschiedliche Diagnosen. Adebimpe (1981) zeigte, dass Schwarze Menschen in der Therapie öfter falsch diagnostiziert werden als Weiße, beispielsweise in Bezug auf die Diagnose der Schizophrenie. Auch Loring und Powell (1988) untersuchten in den USA die Auswirkungen der Hautfarbe, aber auch des Geschlechts, auf die psychiatrische Diagnose. Die Ergebnisse zeigten, dass die Hautfarbe und Ethnie des Klienten und des Psychiaters die Diagnose beeinflussten. Dies geschah auch, wenn eindeutige diagnostische DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders)-Kriterien vorgelegt wurden.

Ivey et al. (2000) stellten fest, dass Training und Erfahrung im Umgang mit Klienten in der Ehe- und Familientherapie nicht verhindern können, dass die älteren Paare in der Paartherapie diskriminiert werden. Diese signifikant andere Bewertung der Paare würde in einer realen Therapiesitzung möglicherweise zu unterschiedlichen Herangehensweisen führen.

Es gibt also unterschiedliche Therapiemethoden bei unterschiedlichen Gruppen. Ob das in Bezug auf muslimische Paare im Vergleich zu einem deutschen Paar auch so ist, stellt unser Hauptaugenmerk für diese wissenschaftliche Arbeit dar.

2.3 Prozesse der sozialen Urteilsbildung

Im Folgenden sollen den Fragen nachgegangen werden, wie sich Menschen Urteile über soziale Situationen bilden und welchen Einfluss Stereotype und Vorurteile auf die Bewertung sozialer Situationen haben. Zudem soll die Auswirkung von Stress auf die Prozesse der sozialen Urteilsbildung verdeutlicht werden.

2.3.1 Heuristisch-Systematisches Modell (HSM)

Das HSM (Chaiken, Liberman & Eagly, 1989) ist ein anerkanntes Kommunikationsmodell, das erklärt, wie Menschen Informationen empfangen und verarbeiten. Dabei geht das Modell von einem heuristischen und systematischen Weg aus. Nach dem Modell kann der systematische Prozess der Informationsverarbeitung nur funktionieren, wenn die Person genügend Ressourcen in Form von Motivation und Verarbeitungskapazität vorweist. Der heuristische Prozess hingegen benötigt wenig oder keine Ressourcen, da vereinfachte Entscheidungsregeln oder „Heuristiken“ (wie z.B. Stereotype) eingesetzt werden und somit die Bewertung der empfangenen Informationen schnell ablaufen kann (Chaiken et al., 1989).

Die heuristische Verarbeitung verwendet Bewertungsregeln, die als Wissensstrukturen bekannt sind (Chen, Duckworth, & Chaiken, 1999). Sie wurden laut den Autoren im Laufe des Lebens gelernt und im Gedächtnis verankert. Der heuristische Ansatz bietet einen wirtschaftlichen Vorteil, da sie kaum kognitive Ressourcen fordert (Chaiken, 1980). Chaiken et al. (1989) gehen davon aus, dass die heuristische Verarbeitung bestimmt wird durch die Verfügbarkeit von Wissensstrukturen, die Fähigkeit, den Speicher zur Verwendung abzurufen, und die Anwendbarkeit. Letzteres beziehe sich auf die Relevanz des gespeicherten Gedächtnisinhalts für die Beurteilungsaufgabe. Durch die Verwendung von Heuristiken erkläre sich eine Person damit einverstanden, Informationen zu verarbeiten, ohne den semantischen Inhalt der Information vollständig einzubeziehen. Bei der heuristischen Verarbeitung wird lediglich auf zugängliche Kontextinformationen oder nicht-inhaltliche Hinweise zurückgegriffen. Der Einbezug detaillierter Informationen wird daher in heuristischer Sicht vernachlässigt. In Bezug auf die Vorurteile würde dies bedeuten, dass eine einfache Information, wie z.B. die Hautfarbe einer Person, ausreicht, um bekannte Wissensstrukturen, wie Stereotype, zu aktivieren. Wenn nicht genügend Motivation und kognitive Ressourcen vorhanden sind, wird das Urteil über die Situation laut dem Modell nur anhand der aktivierten Stereotype gefällt. D.h. die Beurteilung läuft stereotypkongruent.

Der heuristischen Verarbeitung gegenüber stellt sich die systematische Verarbeitung. Sie umfasst eine umfangreiche und analytische kognitive Verarbeitung urteilsrelevanter Informationen (Chaiken et al. 1989). Laut der Autoren wird bei Informationsempfang zusätzlich die Zuverlässigkeit der Quelle und der Nachrichteninhalt bewertet. Entsprechend reagiere die heuristische Verarbeitung auf den semantischen Inhalt der Nachricht. Um auf systematischer Basis Urteile entwickeln zu können, müsse man laut Chaiken et al. (1989) besondere kognitive Anstrengungen vornehmen. Bei der Bewertung einer mehrdeutigen Situation, bei der beispielsweise ein Schwarzer Mensch involviert ist, wird nicht stereotypkongruent bewertet, sondern es werden weitere Informationen (wie z.B. die eigenen Überzeugungen oder Fakten) hinzugezogen und die Situation kritisch betrachtet.

2.3.2 Das Kontinuum-Modell der Eindrucksbildung

Das Modell wurde von Fiske und Neuberg (1990) aufgestellt. Es ist von mehreren Grundannahmen geprägt. Die erste Annahme geht davon aus, dass kategoriebezogene Urteile den individualisierten Urteilen überlegen sind. Bei der Eindrucksbildung von Personen wird zunächst auf Kategorien (wie z.B. Stereotype) zurückgegriffen. Nach Fiske und Neuberg (1990) erfolgt diese anfängliche Kategorisierungsphase extrem schnell und unmittelbar nach der Begegnung mit dem Individuum. Die Kategorien beziehen sich hier meistens auf Alter, Geschlecht und Herkunft. Kann eine Person aufgrund von uneindeutigen Eigenschaften nicht in eine Kategorie eingeteilt werden, wird eine individualisierte, eigenschaftsbezogene Bewertung eingesetzt. Die zweite Annahme besagt, dass die Leichtigkeit, mit der die Eigenschaften einer Person einer Kategorie zugeordnet werden kann, verantwortlich dafür ist, wie man sich auf dem Kontinuum-Modell bewegt. Die dritte Annahme verweist darauf, dass Aufmerksamkeit benötigt wird, damit man auf dem Kontinuum-Modell in Richtung individualisierter Informationsverarbeitung fortschreitet. Dabei ist der Grad der Aufmerksamkeit ausschlaggebend. Bei einer geringen Aufmerksamkeit wird eher kategoriebezogen geurteilt, bei einer hohen Aufmerksamkeit eher individualisiert. Bei der vierten Annahme spielt die Motivation, ein bestimmtes Ergebnis erreichen zu wollen, dabei eine Rolle, ob eher kategoriebezogen oder individualisiert bewertet wird. In der fünften Annahme werden die interpretationssteuernden Aspekte, motivationale und aufmerksamkeitsbezogene Einflüsse zusammengebracht. Die Annahme besagt, dass sich diese drei Aspekte gegenseitig beeinflussen.

Die Informationsverarbeitung ist in diesem Modell durch nacheinander ablaufende Instanzen bestimmt. Das Durchlaufen der ersten Instanz bestimmt, ob die nächsten Instanzen durchlaufen werden sollen. Wenn nicht, erfolgt ein Abbruch der Informationsverarbeitung.

Auch wenn Fiske und Neuberg in ihrem Modell nicht von automatischen und kontrollierten Prozessen sprechen, so legt das Modell doch nahe, dass die erste Phase der Eindrucksbildung, die Kategorisierungsphase, ein automatischer Prozess ist, da er umgehend auftritt nachdem eine Zielperson aufgetaucht. Dieser Prozess geschieht also ohne willentliche Kontrolle, ohne Bewusstheit und mit hoher Effizienz und erfüllt somit die Kriterien für einen automatischen Prozess. Die Darauffolgenden Instanzen sind somit die bewussten und kontrollierten Prozesse.

Für die vorliegende Arbeit ist besonders die Unterscheidung in automatische und kontrollierte Prozesse von Bedeutung. Hierbei ist besonders wichtig, dass Fiske und Neuberg bei der Kategorisierung von sozial relevanten Informationen, also der Stereotypaktivierung, von einer automatischen Verarbeitung ausgehen.

2.3.3 Dissoziationsmodell: Automatische und kontrollierte Prozesse von Vorurteilen und Stereotypen

Bereits im Alter von drei bis fünf Jahren entwickeln Kinder, aufgrund von Sozialisierungsprozessen, Stereotype und ein bestimmtes Bewusstsein für die Herkunft von Personen (Castelli, Carraro, Tomelleri, & Amari, 2007; Lam, Guerrero, Damree, & Enesco, 2011). Dies zeigt sich darin, dass Kinder in bestimmten Situationen eine Ingroupfavorisierung zeigen, d.h. andere Kinder bevorzugen, die sie sich als ähnlich ansehen (Lam et al., 2011). Da dieses Bewusstsein von Stereotypen bereits in sehr jungem Alter beginnt (Augoustinos & Rosewarne, 2001), ist es sehr wahrscheinlich, dass die Stereotype sich in das Gedächtnis einspeichern und mit der Zeit automatisch aktiviert werden, sobald ein Hinweisreiz auftaucht. Augoustinos und Rosewarne (2001) konnten in ihrer Studie ebenfalls zeigen, dass Kinder erst im späteren Verlauf ihres Lebens lernen, das Wissen über Stereotype und persönliche Überzeugungen zu unterscheiden.

Auch Devine (1989) postulierte in ihrer Arbeit Stereotypes and Prejudice: Their Automatic and Controlled Components, dass Stereotype zugänglicher sind als persönliche Überzeugungen, da sie bereits früh im Laufe von Sozialisierungsprozessen gelernt werden. Somit kann laut Devine in späteren Jahren ein Konflikt zwischen den bestehenden Stereotypen und den eigenen Überzeugungen auftreten, da das Wissen über eine Gruppe nicht zwangsläufig den Überzeugungen einer Person entsprechen muss. Daher entspringen kulturell geteiltes Wissen und Überzeugungen verschiedenen kognitiven Strukturen, die je nach Aktivierung verschiedene Einflüsse auf das Handeln und Urteilen der betroffenen Person haben können.

Devine (1989) unterscheidet weiterhin zwischen einem automatisch ablaufenden und einem kontrollierbaren Prozess beim vorurteilbehafteten Denken und Urteilen. Laut der Autorin ist die Stereotypaktivierung ein automatisch ablaufender Prozess. Die automatisierte Aktivierung des Stereotyps erfolge aufgrund einer hohen Verfügbarkeit von stereotypem Wissen durch dessen unzähligen vorausgegangenen Aktivierungen. Somit stellen automatische Prozesse die schnelle, spontane Aktivierung von Assoziationen dar und benötigen keine bewusste Anstrengung oder Aufmerksamkeit. Die Anwendung des Stereotyps allerdings, kann laut Devine willentlich beeinflusst werden. Der kontrollierte Prozess hingegen verläuft langsamer und wird bewusst gesteuert. Damit stellt sich Devine gegen die Annahme, dass vorurteilbehaftete Urteile unvermeidlich sind, nachdem die Stereotype erst einmal aktiviert wurden. Sie geht davon aus, dass das Stereotyp durch die Aktivierung eines zweiten, nachgeschalteten Prozesses korrigiert werden kann. In dieser Phase kann das Stereotyp gehemmt werden und durch die eigenen, differenzierten Überzeugungen ersetzt werden. Allerdings benötige dieser Prozess genügend Zeit und vor allem auch Aufmerksamkeit. Somit spielt also der Grad der Ähnlichkeit zwischen den Stereotypen und der persönlichen Überzeugung, als auch die Gelegenheit Korrekturen zu aktivieren (wie z.B. genügend Zeit), eine Rolle dabei, ob der Einsatz der persönlichen Überzeugung gelingt oder nicht.

Weiterhin unterscheidet Devine (1989) zwischen stark und schwach vorurteilbelasteten Personen. Demnach sind die persönlichen Überzeugungen von Personen mit vielen Vorurteilen denen des kulturell geteilten Stereotyps sehr ähnlich. Personen hingegen, die nur schwach vorurteilbelastet sind, können stärker zwischen Stereotypen und den eigenen Überzeugungen differenzieren. Da nach Devine beide Personengruppen über dasselbe Maß an kulturell geteiltem Wissen verfügen, sollte in der ersten Phase der automatischen Aktivierung, kein Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen bestehen. In der Beurteilungsphase allerdings, sollten sich die beiden Gruppen unterscheiden, da Personen, die wenig Vorurteile aufzeigen, die vorurteilbehafteten Urteile hemmen und somit eine Beurteilung abgeben können, die ihren persönlichen Überzeugungen entspricht. Die Beurteilung jedoch ist davon abhängig, ob die Person die benötigten Mittel dazu hat, die Stereotype kontrolliert zu hemmen.

Um ihre Hypothesen zu testen, hat Devine (1989) drei Experimente durchgeführt. Im ersten Experiment sollten die Versuchspersonen aufschreiben, welche kulturell geteilten Stereotype sie über Afro-Amerikaner kennen. Dabei wurden die Versuchspersonen explizit darauf hingewiesen, dass es sich nicht um ihre eigenen Überzeugungen handelt, sondern lediglich um das Wissen, welches sie über die Stereotype haben. Anschließend sollten die Versuchspersonen die Modern Racism Scale (MRS) (McConahay, Hardee & Batts, 1981) ausfüllen. Sie wurden daraufhin in schwach und stark vorurteilbehaftete Versuchspersonen unterschieden. Das Ergebnis, dass sowohl die Personen mit wenig als auch die Personen mit vielen Vorurteilen dasselbe stereotype Wissen über die Gruppe der Afro-Amerikaner hatten, bestätigt Devines Hypothese, dass beide Gruppen im selben Maße über Stereotype Bescheid wissen.

Das zweite Experiment sollte aufzeigen, ob durch Priming zwischen den schwach und stark vorurteilbehafteten Personengruppen das kulturell geteilte Stereotyp auf ähnliche automatische Weise aktiviert wird. Anschließend sollten die Versuchspersonen in einer zweiten Aufgabenrunde ihre Eindrücke wiedergeben. In einem ersten Termin sollten die Versuchspersonen die MRS ausfüllen. Zu einem späteren Zeitpunkt wurden die Versuchspersonen zu dem zweiten Teil des Experiments eingeladen haben eine subliminale Primingaufgabe gemachen. Die Primes waren Worte, welche die Kategorie „Afro-Amerikaner“ beschrieben. Danach sollten die Versuchspersonen eine uneindeutige Geschichte über eine Person (Donald-Geschichte von Srull & Wyer, 1979; 1989) lesen und diese Person beurteilen. Es hatte sich gezeigt, dass sowohl Personen mit vielen Vorurteilen, als auch Personen mit wenig Vorurteilen, die Geschichte stereotypkongruent bewertet hatten. Das heißt, die unbewusste Aktivierung des Stereotyps hat die bewusste Beurteilung der beiden Personengruppen nachhaltig beeinflusst. Devine (1989) wollte damit aufzeigen, dass, nachdem der Stereotyp erst einmal aktiviert wurde, sowohl stark als auch schwach vorurteilbehaftete Personen keine Möglichkeit mehr hatten, korrigierende Mechanismen einzusetzen und von Donald einen neutralen Eindruck zu gewinnen. Devine (1989) erklärt dies damit, dass sich die Personen durch die unbewusste Primigprozedur der Aktivierung des Stereotyps nicht bewusst gewesen sind und somit nicht entgegensteuern konnten. Zudem soll die Geschichte von Donald keine Aufmerksamkeit in Bezug auf die Korrektur des Stereotyps auf sich gezogen haben.

In einem dritten Experiment bat Devine (1989) die Versuchspersonen darum, Stereotype über Afro-Amerikaner aufzuzählen, die sie kannten. Anschließend sollten die Versuchspersonen ihre persönlichen Überzeugungen über Afro-Amerikaner auflisten. Zum Schluss füllten die Versuchspersonen die MRS aus. Das Ergebnis war, dass Personen mit wenig Vorurteilen weniger vorurteilbelastete Überzeugungen über Afro-Amerikaner äußerten, als Personen mit vielen Vorurteilen. Dies sah Devine (1989) als Bestätigung für ihre Hypothese an, dass Urteile über eine stereotypbehaftete Gruppe sehr wohl durch persönliche Überzeugungen beeinflussbar sind.

Devine geht also von einer sequenziell ablaufenden Verarbeitung von sozialen Urteilsprozessen aus. Diese wird in automatische und kontrollierte Prozesse eingeteilt. Dabei werden Informationen bei dem automatischen Prozess schnell und assoziativ verarbeitet, benötigen wenig kognitive Anstrengung, Aufmerksamkeit und Bewusstsein und verbrauchen deshalb wenig kognitive Ressourcen. Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass die Stereotypaktivierung ein automatischer Prozess ist (Bargh, Chen, & Burrows, 1996; Bessenoff & Sherman, 2000; Dovidio, Kawakami, Johnson, Johnson, & Howard, 1997; Strabac & Listhaug, 2008; Wang et al., 2016).

Kontrollierte Prozesse hingegen laufen langsam ab und bedienen sich komplexerer kognitiver Abläufe, wie z.B. das Abrufen persönlicher Überzeugungen. Sie bedürfen eines hohen Maßes an kognitiver Anstrengung, Aufmerksamkeit, Bewusstsein und willentlicher Kontrolle. Aus diesem Grund benötigen kontrollierte Prozesse viele kognitive Ressourcen (Chaiken & Trope, 1999).

Devines Modell (1989) stellt entscheidende Schritt zu einer prozessualen Klärung des stereotypen Denkens und Urteilens dar. Die vorliegende Arbeit greift Devines Überlegungen zu den automatischen und kontrollierten Prozessen auf und untersucht sie in Hinblick auf ihre Gültigkeit in einer Paartherapiesituation.

Stellt man die Modelle gegenüber, sieht man folgende Zusammenhänge: Für eine Urteilsbildung, bei der alle verfügbaren Informationen einbezogen werden können, damit keine verzerrten Bewertungen entstehen, benötigt man genügend Zeit, kognitive Ressourcen und Aufmerksamkeit. Allerdings kommt es im Alltag nur sehr selten vor, dass man Informationen unter optimalen Bedingungen verarbeiten kann. Was passiert nun, wenn Stress vorhanden ist und somit die Ressourcen nicht eingesetzt werden können?

2.3.4 Stress Begriffsbestimmung

Der Begriff „Stress" stammt aus dem Englischen und bedeutet „Druck", „Zwang“, „Belastung“ (PONS, o.J.). „Stress ist ein Zustand, der auftritt, wenn bestimmte Ereignisse für das physische und psychische Wohlbefinden als bedrohlich empfunden werden, und wenn die betreffende Person unsicher darüber ist, ob sie mit der Situation umgehen kann oder nicht.“ (Bornstein, 2000)

Stress entsteht demnach dann, wenn einer Person Anforderungen von außen oder von ihr selbst gestellt werden und diese zu einer Belastung und Beanspruchung des Organismus führen. Verbunden mit dem Begriff Stress ist das Stresserleben. Man unterscheidet zwischen akutem und chronischem Stresserleben. Dieses kann folgendermaßen definiert werden:

Akutes Stresserleben:

“Akuter Stress ist die häufigste Form von Stress. Sie beruht auf den Anforderungen und Belastungen der jüngsten Vergangenheit und den erwarteten Anforderungen und Belastungen der nahen Zukunft. Akuter Stress ist in kleinen Dosen anregend.” (American Psychological Association, 2011)

Chronisches Stresserleben:

Chronischer Stress ist der Stress unablässiger Anforderungen und Belastungen für scheinbar unendliche Zeit […] Ressourcen werden durch langfristige Abnutzung aufgebraucht.“ (American Psychological Association, 2011)

[...]


[1] In dieser Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint, soweit es für die Aussage erforderlich ist.

[2] Politisch korrekter Begriff laut der bpb (Bundeszentrale für politische Bildung)

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Titel
Wie wirkt sich Stress oder Ablenkung des Psychotherapeuten in der Therapie aus?
Untertitel
Vorurteile unter Stress gegenüber muslimischen Paaren in der Paartherapie
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Psychologie)
Jahr
2019
Seiten
142
Katalognummer
V503776
ISBN (eBook)
9783346050946
ISBN (Buch)
9783346050953
Sprache
Deutsch
Schlagworte
stress, ablenkung, psychotherapeuten, therapie, vorurteile, paaren, paartherapie
Arbeit zitieren
Anonym, 2019, Wie wirkt sich Stress oder Ablenkung des Psychotherapeuten in der Therapie aus?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/503776

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