Welchen Einfluss haben grenzüberschreitende Kulturprojekte auf die Herausbildung einer regionalen Identität?

Eine Analyse des Fallbeispiels SaarLorLux


Seminararbeit, 2013

31 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Grundlegung
2.1 Regionale, interregionale und grenzüberschreitende Identität
2.2 Grenzüberschreitende Zusammenarbeit
2.2.1 Probleme von Grenzregionen und Motive für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit
2.2.2 Die Euregio als besonderer Typ der Grenzregion und die INTERREG-Initiative
2.3 Großregion SaaLorLux

3. Grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der Praxis: Analyse des Fallbeispiels SaarLorLux
3.1 Die Praxis der Zusammenarbeit: Projektbeispiele
3.1.1 Luxemburg und die Großregion – Kulturhauptstadt 2007
3.1.2 Deutsch-Luxemburgisches Schengen-Lyzeum Perl
3.1.3 Interregionaler Wissenschaftspreis
3.1.4 CMGR - Kooperation für Musik in der Großregion
3.1.5 Netzwerk der Naturparke in der Großregion
3.1.6 Trilingua
3.2 Die Sprache als Barriere
3.3 Grenzüberschreitender Arbeitsmarkt und die besondere Rolle Luxemburgs

4. Schluss

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Übersichtskarte der Großregion SaarLorLux

Abbildung 2: Grenzüberschreitende Berufspendler in der Großregion SaarLorLux

1. Einleitung

In Europa gab es im Laufe der vergangenen Jahrhunderte unzählige kriegerische Auseinandersetzungen, welche die Menschen und Nationalstaaten, ihre Ideologien und Ansichten stark und über Generationen nachhaltig geprägt haben. Der SaarLorLux Raum ist ein Paradebeispiel für diese Intensität der europäischen Geschichte der letzten Jahrhunderte. In der Schnittstelle zwischen germanischer und römischer Einflusssphäre ist diese Region seither vielfach als Kriegsschauplatz missbraucht worden. Die europäische Einigung ist in diesem Kontext eine der historisch längsten Phasen der persönlichen Freiheit, des Wohlstands und des Friedens. Sie gilt daher als große Chance insbesondere für die „im Herzen Europas“ liegende Großregion SaarLorLux. In den vergangenen etwa 60 Jahren der europäischen Integration hat sie in allen Bereichen, von Politik über Wirtschaft, Gesellschaft bis zur Kultur von allen europäischen Grenzregionen einen besondere und beispiellose Entwicklung genommen (vgl. Niedermayer/Moll 2007: 319/vgl. Leinen 2001: 17).

Der Schwerpunkt politikwissenschaftlicher Arbeiten bezüglich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit allgemein, sowie im Besonderen am Beispiel des SaarLorLux-Raumes, liegt vorwiegend auf der politischen Dimension. Es wird vor allem untersucht, inwiefern es gelungen ist, aus der wirtschaftsräumlichen Kooperationsidee der „Montanunion“ ein politisches Gebilde „Großregion SaarLorLux“ zu entwickeln. Die Maßnahmen, Konzepte und Strategien der Zusammenarbeit zwischen den Nachbarregionen werden zudem thematisiert. Zuletzt geht es aus einem historisch-deskriptiven Blickwinkel oft um die institutionelle Dimension, vorwiegend um die Schaffung von grenzüberschreitenden Institutionen, Behörden, Kommissionen, regelmäßigen Tagungen und Gipfeln etc. sowie deren Zusammenarbeit und daraus abgeleitete Ziel-Ergebnis Evaluationen.

In der vorliegenden Arbeit werden diese Fragen angesichts des limitierten Umfanges weitestgehend ausgeblendet. Durch die Konzentration in der Literatur auf die politisch-institutionelle sowie wirtschaftliche und juristische Dimension gibt es zudem einen besonderen Bedarf an Arbeiten und Analysen, die sich auf den kulturellen Aspekt der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der Großregion SaarLorLux beziehen. Es wird daher vielmehr um die Analyse der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im kulturellen Bereich gehen, sowie um die Frage, wie sich diese Zusammenarbeit auf das Regionalbewusstsein der Grenzbewohner auswirkt und ob sich dadurch langfristig eine regionale grenzüberschreitende Identität entwickeln kann. Vor diesem Hintergrund ergibt sich folgende zentrale Fragestellung:

Welchen Einfluss haben grenzüberschreitende Kulturprojekte auf die Herausbildung einer regionalen Identität in der Großregion SaarLorLux?

Das methodische Vorgehen gliedert sich in drei Schritte: Zunächst erfolgt eine theoretische Grundlegung und Begriffsbestimmung. Es wird erklärt, was unter regionaler Identität zu verstehen ist, wie sich grenzüberschreitende Zusammenarbeit konstituiert, allgemein sowie im konkreten Fallbeispiel SaarLorLux. Anschließend erfolgt im analytischen Teil (Kapitel 3) eine gezielte Auswahl von sechs grenzüberschreitenden Projektbeispielen und Kooperationen aus den Bereichen Kultur und Bildung in der Großregion. In Anlehnung an das Most Similar Case Design werden möglichst ähnliche und vergleichbare Projekte aus dem kulturellen Gebieten vorgestellt und anschließend konkludiert, welche Auswirkungen diese Art von Kulturprojekten im Einzelnen, aber auch darüber hinaus in ihrer Gesamtheit im Hinblick auf die Forschungsfrage haben. Dabei wird ausschließlich auf Sekundärliteratur, bereits vorhandene Studien zu dem Thema und Internetrecherche zurückgegriffen, da eine rein empirische Analyse im Rahmen der Arbeit praktisch nicht durchführbar ist. Nach der Vorstellung und Analyse der Projektbeispiele wird zudem noch gesondert auf die beiden Faktoren Sprachkompetenz als Hemmnis und Chance der Grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der Großregion SaarLorLux (vgl. Kapitel 3.2) sowie den grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt eingegangen, welcher durch die europaweit größten Pendlerströme in Grenzregionen eine herausragende Bedeutung für die Großregion hat. Abschließend werden im Schlussteil die Ergebnisse zur Beantwortung der Forschungsfrage zusammengefasst, Schlussfolgerungen gezogen sowie ein Ausblick gegeben.

2. Theoretische Grundlegung

Die Begriffe Region und Identität, das Phänomen der Grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und die Realisierung dieser am Beispiel der Großregion SaarLorLux stellen allesamt Kernelemente der vorliegenden Arbeit dar und werden als Grundlagen für die analytischen Untersuchungen in Kapitel drei zunächst definitorisch eingegrenzt.

2.1 Regionale, interregionale und grenzüberschreitende Identität

Im Zuge der Globalisierung sind neue Herausforderungen für regionale Akteure entstanden. Dazu gehört der verstärkte Wettbewerb der globalen Standorte, der zugleich eine beobachtbare Rückbesinnung auf die jeweils eigene regionale Ebene erzeugt hat. Innerhalb des Prozesses der Europäischen Integration, der in den vergangenen Jahrzehnten zu einer erheblichen geografischen und darüber hinaus grundsätzlich multidimensionalen Ausdehnung der Europäischen Union geführt hat, sind politische Bestrebungen als Reaktion zu dieser Ausdehnung entstanden, welche ein Wiederentdecken der kleinen regionalen Einheit zum Ziel haben. Diese Entwicklungen haben einen Regionalismus hervorgebracht, der dem Brüsseler Zentralismus diametral entgegensteht (vgl. Groß 2006 et al. 2006: 89f.).

Das diese Entwicklung befördernde Kompositum „Regionale Identität“ setzt sich zusammen aus den beiden Substantiven „Region“ und „Identität“, die zunächst kurz jeweils getrennt charakterisiert werden. Der Begriff der Region stellt ein schwierig zu definierendes Gebilde dar, welches durch verschiedene Wissenschaftsdisziplinen einzugrenzen versucht wird. Er ist sehr vielschichtig und variabel und bekommt in der wissenschaftlichen und praktischen Anwendung sowie in unterschiedlichen fachlichen und inhaltlichen Kontexten immer wieder neue Gesichter und Interpretationen. Becker-Marx (1996: 164) kommt angesichts dieser Vielfalt zu dem Schluss: „Region ist heute, was einer so nennt“.

Nach einer zunächst sehr (erd-)räumlichen Definition innerhalb der Geographie Mitte des 20. Jahrhunderts erfuhr der Begriff seit dem Beginn der 1980er Jahre eine Bedeutungserweiterung, sodass Region heute hinsichtlich ihres Untersuchungsgrunds und dessen Zielsetzung abgeleitet wird (vgl. Scholz 2011: 33). Scheff (1996: 18) kategorisiert beispielsweise den Regionsbegriff aus strategischen (Region als ökonomische Einheit), analytischen (Region als Zwischenebene zwischen Zentralstaat und lokaler Ebene), territorialen (Region als Raumeinheit) und funktionalen (Region als Interventionsraum zur gemeinsamen Problembewältigung bzw. Zielerreichung) Perspektiven heraus. Ohne an dieser Stelle auf die vielfachen theoretischen Analysekonstruktionen der unterschiedlichen Autoren eingehen zu wollen, soll in der vorliegenden Arbeit „Region“ zunächst einmal als historisch gewachsene Einheit verstanden werden, welche sich ungeachtet der politisch-administrativen Grenzen herausbildet und dauerhaft Bestand hat (vgl. Balderjahn 1996: 119).

Eine ausschlaggebende bewusstseinsbildende Rolle im Leben der meisten Menschen spielt der Ort der Geburt, Kindheit und/oder Jugend – die Heimat. Über die geographische Komponente hinausgehend, ist mit der „Heimat“ eine subjektive Erfahrungs- und Gefühlswelt verbunden, welche prägenden Einfluss auf die individuelle Sozialisierung haben. Konstituierend für dieses Heimatsgefühl sind die jeweiligen lokalen, regionalen oder nationalen Besonderheiten wie Sprache, Geschichte, Tradition, Bräuche, Sitten usw. Die Identifikation mit dem Bekannten geht zumeist einher mit einer gewissen Abgrenzung vom Fremden. Der Prozess einer Identitätsfindung ist somit oft eng verbunden mit der eigenen Heimatsdefinition (vgl. Scholz 2011: 35f.).

Der Duden definiert Identität als „Echtheit einer Person oder Sache; völlige Übereinstimmung mit dem, was sie ist oder als was sie bezeichnet wird“ (vgl. DUDEN Online). Manfred G. Schmidt (2004: 307) beispielsweise konkretisiert diesen, insbesondere innerhalb der Sozialpsychologie fundierten, Terminus als „das Einssein eines Individual- oder Kollektivakteurs mit seinen Rollen und seiner Verortung in Gesellschaft und Politik“ etwas griffiger und praktikabler. Das renommierte Diercke Wörterbuch Allgemeine Geographie versteht unter regionaler Identität das Zugehörigkeitsgefühl und die Identifikation einer Person zu einer Region. Dieses Gefühl wird intensiviert durch gemeinsame Verwurzelung in der Geschichte, in Sitten, Gebräuchen oder dem Dialekt (vgl. Leser 2005: 747). Die Identität drückt folglich den Identifikationsgrad einer Person mit ihrem Lebensraum aus. Ausgangspunkt ist ein starkes Verhältnis mit der sozialen und räumlichen Umwelt, woraus zunächst ein Regionalbewusstsein entstehen kann, welches in seiner stärksten Form zu einer regionalen Identität werden kann (vgl. Scholz 2011: 43). Als Träger von Identität können Alter, Geschlecht, Religion, Kultur und Sprache fungieren. Besonders bei der Sprache spielt der Abgrenzungsprozess gegenüber anderen eine wichtige Rolle, was sich in der Herausbildung und dem Gebrauch von Dialekten manifestiert. Aus den genannten Trägern von Identität leiten sich unterschiedliche Differenzierungen ab: Ich-Identität, multiple Identität, religiöse Identität, kulturelle Identität, nationale, regionale und europäische Identität usw.1 Abhängig von der Bezugsebene bilden sich verschiedene Identitätsgrenzen heraus, infolgedessen eine Person auch mehrere Identitäten repräsentieren kann (vgl. Ebda. 2011: 37). Die in dieser Arbeit relevante regionale Identität ist im Kern die Herkunftseinheit aus der gemeinsamen Geschichte, sodass das Herkunftsbewusstsein (die Heimat) zu dem wichtigsten konstituierenden Element von Identität wird. Die regionale Identität begründet sich jedoch nicht nur durch die gemeinsame Geschichte, sondern auch aus der Erfahrung der Gegenwart. Soziale und politische Ortsbestimmungen in der Gegenwart erzeugen Identität. Projizierte Absichten und Ziele sowie Zukunftserwartungen prägen zusätzlich die Identität der Region (vgl. Breuer 2001: 60). Ein Zusammengehörigkeitsgefühl – die Voraussetzung von Identität – kann nur entstehen, wenn sich die Bürger in einer Region wohlfühlen, gegenseitiges Verständnis aufbringen und mentale Barrieren abbauen. Es genügt nicht wenn die Menschen nur nebeneinander leben, sondern auch miteinander interagieren.

Gemäß dem aus der Sozialpsychologie stammenden Konsistenztheorem korrelieren die Punkte Wahrnehmung, Gefühl und Handeln miteinander (vgl. Scholz 2011: 39ff.)2. Wahrnehmung und Gefühl entsprechen den Erfahrungen, der Sozialisierung in der Region und der Heimat. Daraus kann sich ein Regionalbewusstsein und im letzten Schritt eine regionale Identität entwickeln. In der vorliegenden Arbeit wird diese Regionale Identität im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses stehen. Da die Großregion SaarLorLux als eine zusammenhängende Region verstanden wird, ist es redundant zwischen einer regionalen, interregionalen oder grenzüberschreitenden Identität zu differenzieren. Diese Termini können synonym gebraucht werden und meinen in der konkreten Fallstudie dasselbe Phänomen.

Das Handeln, der letzte Punkt, der zuvor erwähnten soziopsychologischen Kausalkette, steht im Erkenntnisinteresse dieser Arbeit. Von besonderer Relevanz hinsichtlich der untersuchten Großregion und EUREGIO SaarLorLux wird daher die Frage sein, inwiefern in den untersuchten Projekten Elemente eines gemeinsamen Herkunftsbewusstseins, einer gegenwärtigen sozialen und politischen Ortsbestimmung, verschiedener kultureller Faktoren sowie gemeinsamer Zielprojektionen der Menschen in der Region existieren und inwieweit diese Projekte auch Ergebnisse der vermeintlichen verankerten regionalen und interregionalen, grenzüberschreitenden Identität sind und vor allem inwieweit die Projekte selbst diese befördern.

2.2 Grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Europa ist ein Flickenteppich vieler Nationen, der nach jahrhundertelangen kriegerischen Auseinandersetzungen, welche ihren finalen Kulminationspunkt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg fanden, seit nunmehr etwa 60 Jahren in politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht zunehmend zusammenwächst (vgl. Scholz 2011: 51). Diese Nationalstaaten sind bis heute durch Grenzen voneinander getrennt, welche zunächst einmal formale Trennlinien zwischen den verschiedene Gebieten, Staaten und politischen Systemen sowie Kulturen und Mentalitäten darstellen und allgemein unterschiedliche Wirkungen auf die Grenzbewohner haben können. Ohne auf die unterschiedlichen Grenzkonzepte und verschiedenen Funktionen von Grenzen detaillierter einzugehen (vgl. hierzu Schmidt-Egner 2005: 73-86), können diese Kontakträume sein, welche das gegenseitige Kennenlernen und Miteinander befördern und im besten Fall zu einer interregionalen Identitätsausbildung führen können, oder auf der anderen Seite trennend wirken und benachbarte Gebiete kulturell und wirtschaftlich auseinanderscheiden (vgl. Ebda: 45/vgl. Zeyrek 2005: 63).

In Europa geht die Bedeutung der Grenzen im Zuge der Europäisierung insbesondere durch politische Meilensteine wie der Schaffung des gemeinsamen Binnenmarktes (seit 1992) sowie dem Inkrafttreten des Schengener Abkommens (1995) zunehmend zurück. Seit dem 1. Januar 2007 umfasst die Europäische Union 27 Mitgliedsstaaten3, zwischen deren Grenzen flächenhafte Grenzräume und –regionen entstanden sind, welche seit über 30 Jahren als „Euroregionen“ bezeichnet werden und innerhalb des gemeinsamen Binnenmarktes und dessen vier Grundfreiheiten4 eine geeignete Basis für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit liefern (vgl. Scholz 2011: 45). So ist die „Grenze“ innerhalb der EU mittlerweile durch die Erfahrungen der beiden Weltkriege eher zur Kontaktzone der verschiedenen Akteure avanciert. Zudem wurde mit dem Gebilde der EU ein großer Wirtschafts- und Lebensraum kreiert, in dem die nationalen Grenzen noch immer existieren, jedoch zunehmend weniger als Trennlinien fungieren (vgl. Ebda: 50/vgl. Gabbe 2001: 72). Daneben ergibt sich in Grenzregionen eine Reihe von strukturellen Problemen, welche durch eine grenzüberschreitende Kooperation kompensiert werden können. Diese werden nachfolgend in Kapitel 2.2.1 erklärt.

2.2.1 Probleme von Grenzregionen und Motive für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit findet in unterschiedlichen Formen statt, formell und informell, mit vertraglicher Grundlage und ohne sowie in horizontaler und vertikaler Struktur, staatlich, regional oder kommunal. Obwohl der europäische Einigungsprozess wichtige Fortschritte für die Grenzregionen initiiert und erzielt hat (Europa der Regionen, Euroregionen als Stichworte seien an dieser Stelle bereits genannt, vgl. Kapitel 2.2.2), so leiden alle Grenzregionen nach wie vor unter den historischen Folgen von Grenzen sowie der strukturell bedingten peripheren Lage (vgl. Gabbe 2001: 72).

Zur Erklärung von grenzüberschreitende Zusammenarbeit dominiert in Europa ein Ansatz, der seine theoretische Fundierung in der sozilogischen Systemtheorie von Niklas Luhman. Die entstandenen Probleme im Bereich der Grenzregionen werden demnach als Folgen des Aufeinandertreffens divergierender (politisch-administrativer) Systeme verstanden. Während die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der nordamerikanischen Literatur oftmals als problemorientierter bottom-up -Prozess verstanden wird, zeigt sich zudem aus der europäischen Betrachtungsweise eine entgegengesetzte Perspektive. Die Entstehung grenzüberschreitender Institutionen wird top-down -Prozess skizziert, dem das Konzept „Europa der Regionen“, die Entstehung von Euroregionen und die Unterstützung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit durch das europäische INTERREG-Programm (mehr dazu in Kapitel 2.2.2) entsprechen (vgl. Blatter 2000: 32f.).

Zu kurz kommen in der Literatur Erklären zu den materiellen Problemlagen und die daraus abgeleitete Motivation für eine grenzüberscheitende Kooperation in Grenzregionen. Nach Groß und Schmitt-Egner determinieren die jeweiligen Problemlagen die Ziele und Aufgaben grenzüberschreitender Zusammenarbeit. Diese Problemlagen fußen auf drei Defizite:

1) Politisch-historisches Defizit: Die Grenzregionen zeichnen sich gewöhnlich durch historische zwischenstaatliche Konflikte aus.
2) Ökonomisch-strukturelles Defizit: Durch die Fokussierung nationalstaatlicher Zentren wurden die Grenzregionen zunehmend strukturell vernachlässigt.
3) Kulturell-identitäres Defizit: Die Dominanz nationalstaatlichen Denkens in den Bereichen der Kultur, Gesellschaft und Politik erzeugte in den Grenzgebieten überdurchschnittliche Identitätsverluste (vgl. Groß/Schmitt-Egner 1994: 85).

Das dritte und letzte, kulturell-identitäre Defizit steht isoliert von den beiden anderen identifizierten Defizite im Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit. Duchacek differenziert die Problemlagen und Ursachen für grenzüberschreitende Zusammenarbeit zudem noch systematischer in sieben Punkte:

1) „Imperatives of interdependence (global, continental, and regional);
2) welfare of service functions of all governments;
3) neighborhood linkages;
4) extensions of foreign policy field;
5) ‘me-tooism’;
6) Separatism (in a few cases)” (Duchacek zit. nach Blatter 2000: 32).
Infolge dessen lassen sich folgende zentrale Hauptmotive für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ausmachen:

1) Transformierung der Grenze von einer Trennungslinie hin zu einer Kontaktlinie, welche die interkulturelle Begegnung mit dem Grenznachbarn fördert. Durch den europäischen Binnenmarkt und das Schengener Abkommen ist dieses Realisierung dieses Ziels in der EU und damit auch in der Großregion SaarLorLux wesentlich vereinfacht worden.
2) Überwindung von gegenseitigen Vorurteilen und Animositäten zwischen den Menschen in den jeweiligen Grenzgebieten, welche Folge des historischen Erbes sind (vgl. Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen 2000: 7). Dies gilt in besonderer Weise für die Großregion SaarLorLux. Die Überwindung der negativen Grenzeffekte durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Regionen, insbesondere dem Saarland, der Region Lothringen und dem Großherzogtum Luxemburg, wird als historische Verpflichtung und Notwendigkeit internationaler deutsch-französischer Versöhnungspolitik verstanden (Niedermayer/Moll 2007: 297).
3) Überwindung der nationalstaatlich peripheren Lage und Isolation. Dies gilt vor allem für zentralstaatliche politische Systeme, in welchen die Grenzgebiete zumeist strukturell noch schwächer sind als in bundesstaatlichen Systemen.
4) Förderung des wirtschaftlichen Wachstums und Erhöhung des Lebensstandards (vgl. Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen 2000: 7).

Die ersten beiden dieser Motive werden in der vorliegenden Arbeit anhand der sechs ausgewählten grenzübergreifenden Projektbeispiele im kulturellen Bereich untersucht (vgl. Kapitel 3.1).

2.2.2 Die Euregio als besonderer Typ der Grenzregion und die INTERREG-Initiative

Im europäischen Mosaikteppich der Nationen spielen in der europäischen Integration die Regionen eine besondere Rolle. Das politische Konzept „Europa der Regionen“ hat nicht nur eine Annäherung der Staaten untereinander zum Ziel, sondern auch die Förderung der Berührungspunkte zwischen den Regionen. Das Konzept soll die Regionen in den EU-Mitgliedsländern fördern und in ihrer regionalen Eigenständigkeit unterstützen. Im Rahmen dieses Konzepts gibt es eine Vielzahl europäischer Aktivitäten und Programme, welche sowohl die (wirtschaftliche, kulturelle etc.) Vernetzung zwischen den europäischen Regionen als auch vor allem die Bildung grenzübergreifender Regionen (Euregios) unterstützen (vgl. Schubert/Klein 2011/vgl. BpB 2011). Die EU will durch dieses föderalistische Konzept eine effizientere regionale Verwaltung mit höherer Sachkompetent und Bürgernähe erreichen, die Wettbewerbsfähigkeit und die Infrastruktur in den Regionen stärken sowie die Grundsätze der Subsidiarität, also die Ausführung von Entscheidungen und Verwaltung auf der möglichst niedrigsten Ebene, realisieren. Das Konzept intendiert ein Europa der Bürger. Durch diese Fokussierung wird versucht, dem Bürger eine demokratische, bürgernahe und transparente EU näherzubringen und dadurch dessen Interesse und Europabewusstsein zu fördern (vgl. Scholz 2011: 52).

Eine Euregio (auch Euroregion oder Europaregion) ist ein länderübergreifender Regionenkomplex in Europa, welcher meist einen wirtschaftlichen Schwerpunkt hat, gleichzeitig jedoch auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen fördern soll. Das primäre Ziel der Euregios ist die Unterstützung und Entwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen den Regionen, um insbesondere die periphere Lage und die damit verbundenen Benachteiligungen gegenüber zentral gelegenen Staatsgebieten zu kompensieren.

Als erste grenzüberschreitende Region wurde im Jahr 1958 die „Euregio“ an der deutsch-niederländischen Grenze gegründet, welche nur noch diesen Namen ohne weitere Ortsbezeichnung trägt. Seitdem kooperieren nahezu alle Grenzregionen in der EU miteinander. Allein Deutschland ist mit 22 Gebieten an einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit den Nachbarländern beteiligt. Innerhalb der Euregios existieren teilweise auch andere Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wie „Städtenetze“. In der Eurgio SaarLorLux beispielsweise kooperieren Trier, Saarbrücken, Luxemburg und Metz und bilden ein städteübergreifendes Quattropol.

[...]


1 Neben der regionalen und nationalen Identität konstatiert beispielsweise eine Studie des Vienna Institute of Demography anhand der Daten des Eurobarometers, dass vor allem die jüngeren Menschen neben ihrer nationalen auch eine europäische Identität verspüren. Daneben geben die Befragten aller untersuchten Länder an, mehrfache Identitäten zu besitzen (vgl. Lutz 2007: 1).

2 Dieses Theorem wird jedoch auch kritisiert, weil eine genaue Ursache-Wirkungs-Kausalkette nicht eindeutig indentifiziert werden kann. Denn sowohl Einstellungen können das Verhalten beeinflussen oder bestimmen, als auch umgekehrt das Verhalten selbst Einstellungen (vgl. Scholz 2011: 40).

3 Am 01.07.2013 umfasst die Europäische Union durch den Beitritt Kroatiens 28 Mitglieddsstaaten.

4 Basis des Binnenmarktes sind die sogenannten vier "Grundfreiheiten": freier Warenverkehr, freier Personenverkehr, freier Dienstleistungsverkehr und freier Kapitalverkehr.

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Welchen Einfluss haben grenzüberschreitende Kulturprojekte auf die Herausbildung einer regionalen Identität?
Untertitel
Eine Analyse des Fallbeispiels SaarLorLux
Hochschule
Universität Trier
Veranstaltung
Spezialisierungsmodul Politik in Grenzregionen
Note
1,7
Autor
Jahr
2013
Seiten
31
Katalognummer
V502873
ISBN (eBook)
9783346044327
ISBN (Buch)
9783346044334
Sprache
Deutsch
Schlagworte
grezüberschreitende, Kulturprojekte, Grenzüberschreitende Zusammenarbeit, regionale Identität, SaarLorLux, Saar Lor Lux, Euregio, Interreg, Grenzüberschreitender Arbeitsmarkt, Luxemburg, Großregion
Arbeit zitieren
Bajram Dibrani (Autor:in), 2013, Welchen Einfluss haben grenzüberschreitende Kulturprojekte auf die Herausbildung einer regionalen Identität?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/502873

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