Entwicklung des beruflichen Selbstverständnisses an einer Berufsfachschule für Altenpflege im ersten Ausbildungsjahr

Didaktische Analyse


Studienarbeit, 2019

26 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

1 Didaktische Analyse
1.1 Unterricht zur Entwicklung des beruflichen Selbstverständnisses
1.1.1 Institutioneller Kontext
1.1.2 Beschreibung der Lernenden
1.1.3 Einordnung des Themas in den Lehrplan
1.2 Zweck der didaktischen Analyse von Wolfgang Klafki
1.3 Anwendung der didaktischen Analyse auf meinen Unterricht
1.3.1 Exemplarische Bedeutung
1.3.2 Gegenwartsbedeutung
1.3.3 Zukunftsbedeutung
1.3.4 Thematische Struktur
1.3.5 Zugänglichkeit
1.4 Literatur zur Vorbereitung und Gestaltung des Unterrichts

2 Reflexion der didaktischen Analyse
2.1 Möglichkeiten des Transfers fach- und bereichsdidaktischer Theorien und Modelle für die Gestaltung von Lehr-Lernprozessen
2.2 Reflexion der didaktischen Analyse vor dem Hintergrund der didaktischen Theorie von Ingrid Darmann-Finck

Literaturverzeichnis

ANHANG 1: Analyse der Fallsituation „Entdeckung einer Infektionsgefahr“ mit einer heuristischen Matrix

ANHANG 2: Struktur der Lerninsel „Hygienemängel erkennen, kollegial ansprechen und gemeinsam adäquat bekämpfen“

Zusammenfassung

Beschrieben wird eine an Klafki orientierte didaktische Analyse eines Unterrichts im Altenpflege-Lernfeld 4.1 „Berufliches Selbstverständnis entwickeln“, Untergebiet 4.1.1 „Geschichte der Pflegeberufe“ an einer Berufsfachschule für Altenpflege mit interkulturellem Schwerpunkt. Konkretes Thema des Unterrichts sind der Einsatz der „Krankenschwest+er“ Florence Nightingales im Krimkrieg (1853 - 1856), die Mängel in Verpflegung, Versorgung, Ausstattung und Hygiene, die sie in den Militärlazaretten in Scutari und Sewastopol vorfand, die fachlichen Defizite, die sie bei ihren Kolleginnen beobachtete und die sie dazu führte, die Krankenpflege zu reformieren und in einen Ausbildungsberuf zu verwandeln.

Zukunftsbedeutung hat der Unterricht zu diesem Thema, weil die Wichtigkeit einer profunden Ausbildung für die Qualität der Pflege historisch hergeleitet wird.

Gegenwartsbedeutung ist nicht im Vorhinein immer erkennbar, da man dafür die Schüler/innen kennen muss; jedoch ergeben sich bei einem sehr vielschichtigen Thema diverse Anschlussmöglichkeiten: Professionalisierungsbestrebungen des Pflegeberufes, die Bedeutung der Hygiene in der Krankenpflege, die Emanzipation der Frau u. v. a.

Die exemplarische Bedeutung zeigt sich beispielsweise in den gesellschaftlichen Nebeneffekten eines Krieges, die auch schon bei anderen Kriegen zu beobachten waren.

Die thematische Strukturierung ergibt sich durch das Dreieck Biographie, Historie und Gegenwartsbezug. Die persönliche Biographie Florence Nightingales steht sehr dicht vor dem Hintergrund der sozial-ökonomischen Umwälzungen im Großbritannien des 19. Jahrhunderts, die schon von dem Industriellen Friedrich Engels beschrieben worden waren, aber auch vor dem Hintergrund eines sich rasch entwickelnden Gesundheitswesens. Was die Geschichte von Nightingale uns heute noch zu sagen hat, liegt in unserem Ermessen, aber es ergeben sich sehr viele Anknüpfungspunkte, da Leben und Wirken von Florence Nightingale einen breiten Deutungsspielraum zulassen.

Zugänglichkeit erhält das Thema „Leben und Wirken von Florence Nightingale“ durch Hineinversetzen der Schüler/innen in eine Schlüsselsituation, in der Nightingale eine Entdeckung zu mangelnder Hygiene macht, die ihr weiteres pflegerisches Handeln bestimmt. Ganz konkret erfolgt der Zugang durch die zahlreichen Medien, die über das Leben und Wirken von Nightingale erschienen sind.

Für die heuristische Matrix nach Darmann-Finck wurde ein einzelner Aspekt des Unterrichts zu Nightingale herausgegriffen, nämlich der Aspekt der Hygiene, und in die Gegenwart übertragen, woraus die Struktur einer Lerninsel abgeleitet wurde.

1 Didaktische Analyse

1.1 Unterricht zur Entwicklung des beruflichen Selbstverständnisses

1.1.1 Institutioneller Kontext

Ich bin nebenberuflich gelegentlich als Honorardozent einer Berufsfachschule für Altenpflege tätig. Diese Berufsfachschule ist ein Unternehmen, das sich vor allem der Berufsvorbereitung und Ausbildung widmet. Gegenwärtig bietet sie Umschulungen zum/zur Altenpfleger/in, zum/zur Fahrradmonteur/in, zum/zur Friseur/in, zum/zur Hotelfachmann bzw. -frau, zum/zur Koch/zur Köchin, im Bereich Hauswirtschaft und zum/zur Textil- und Modeschneider/in an (vgl. Gehle, Platz o. J.: S. 13). Überdies berät und qualifiziert die Berufsfachschule Langzeitarbeitslose zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt (vgl. Gehle, Platz o. J.: S. 18 ff.) und ist in internationalen Projekten involviert (vgl. Gehle, Platz o. J.: S. 28 ff.).

Der Ausbildungsgang „Altenpflege“ hat einen „interkulturellen Schwerpunkt“ (Klein o. J.: o. S.). Dies bedeutet, dass vornehmlich, aber nicht nur Personen mit Migrationshintergrund die Altenpflegeausbildung dort absolvieren. Die Altenpflegeschüler/innen stammen von mindestens vier Kontinenten: Afrika (z. B. Kenia, Äthiopien, Nigeria), Amerika (z. B. Argentinien, Kuba), Asien (z. B. Indonesien, Vietnam, Pakistan, Afghanistan) und Europa (z. B. BRD, Türkei, Polen, Serbien).

Die Altenpflegeausbildung findet in zwei verschiedenen Modi statt, berufsbegleitend in vier Jahren oder Vollzeit in drei Jahren. Im berufsbegleitenden Modus kommen die Schüler/innen an zwei Tagen in der Woche in die Altenpflegeschule zum Unterricht. Hauptberuflich sind sie von der Schule unabhängig und sind zum Teil als Pflegehelfer/innen tätig, führen aber zum Teil selbst schon Pflegeunternehmen (ambulante Dienste). In der Vollzeitvariante besteht ein Ausbildungsvertrag mit einem Betrieb; dennoch müssen diese Schülerinnen auch auswärtig einige Einsätze absolvieren (Geriatrie, ambulanter Pflegedienst). Ca. 110 Schüler/innen absolvieren zur Zeit die Vollzeitausbildung und ca. 46 Schüler/innen die Teilzeitausbildung. Im Herbst starten die letzten Altenpflegeausbildungsgänge und ab 2020 bietet die Berufsfachschule die generalistische Pflegeausbildung an.

An der Berufsfachschule für Altenpflege sind eine Schulleiterin, eine Schulsekretärin und sechs Lehrer/innen fest angestellt. Außerdem sind an der Schule noch eine Reihe von Honorardozent/innen nebenberuflich tätig: Ärzt/innen, Rechtsanwält/innen, Psycholog/innen und Pfleger/innen.

1.1.2 Beschreibung der Lernenden

Den auf den folgenden Seiten beschriebenen Unterricht zum beruflichen Selbstverständnis gab ich im Altenpflegeteilzeitkurs „APTZ 5“, der von der Krankenschwester und Lehrerin Frauke S. geleitet wird. Altenpflege-Teilzeitkurse sind in der Regel Quereinsteigerkurse für Personen, die in der Mitte ihres Lebens stehen und über einen reichen Erfahrungsschatz verfügen. Drei Schüler/innen sind selbst schon Inhaber/innen von ambulanten Pflegediensten, die aber aufgrund der Fachkraftquote nur Leistungen nach SGB 11, nicht aber nach SGB 5 anbieten dürfen; um dies durch die Erhöhung der Fachkraftquote in ihren Unternehmen zu verändern, absolvieren diese Personen eine Altenpflegeausbildung. Der Kurs „APTZ 5“ hat 15 Teilnehmer/innen; davon haben 12 Schüler/innen einen Migrationshintergrund; drei Schüler/innen sind deutscher Abstammung.

1.1.3 Einordnung des Themas in den Lehrplan

Der theoretische Unterricht in der Altenpflege ist in vier Lernbereiche gegliedert:

„1. Aufgaben und Konzepte in der Altenpflege (…)
2. Unterstützung alter Menschen bei der Lebensgestaltung (…)
3. Rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen altenpflegerischer Arbeit (…)
4. Altenpflege als Beruf“ (AltPflAPrV 2016: S. 8 ff.):

Diese vier Lernbereiche sind jeweils in mehrere Lernfelder unterteilt, wobei „Berufliches Selbstverständnis entwickeln“ das Lernfeld 4.1 bildet (vgl. AltPflAPrV 2016: S. 11). Dieses Lernfeld 4.1. ist entsprechend der von dem Senat für Bildung, Jugend und Sport herausgegebenen Broschüre „ Altenpflege – Eine Handreichung “ noch mal in sieben Unterbereiche eingeteilt: „1. Geschichte der Pflegeberufe (…) 2. Berufsgesetze der Pflegeberufe (…) 3. Professionalisierung der Altenpflege, Berufsbild und Arbeitsfelder (…) 4. Berufsverbände und Organisationen der Altenpflege (…) 5. Teamarbeit und Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen (…) 6. Ethische Herausforderungen der Altenpflege (…) 7. Reflexion der beruflichen Rolle und des eigenen Handelns.“ (Kuhlich, Rau 2006: S. 12 f.)

Ich gab an der Berufsfachschule für Altenpflege mit interkulturellem Schwerpunkt am 18. September 2018 im dritten Block (11:45 bis 13:15 Uhr) Unterricht zum beruflichen Selbstverständnis, und zwar zu Lernfeld 4.1.1: „Geschichte der Pflegeberufe“. In eben besagter „Handreichung“ für die Altenpflege vom Berliner Senat wird das Ziel dieses Lernfeldes so definiert: „Die Schülerinnen und Schüler kennen die historische Entwicklung der Pflegeberufe.“ (Kuhlich, Rau 2006: S. 12). Hier eröffnet sich also ein sehr weites Feld.

1.2 Zweck der didaktischen Analyse von Wolfgang Klafki

Die „didaktische Analyse als des ersten und wichtigsten Schrittes der Unterrichtsvorbereitung (…) soll ermitteln, worin der allgemeine Bildungsgehalt des jeweils besonderen Bildungsgehaltes liegt“ (Klafki 1958/1970: S. 134). Dabei wird der Bildungsgehalt aus dem Bildungsinhalt abgeleitet: „Jene Momente nun, die solche Erschließung des Allgemeinen im Besonderen oder am Besonderen bewirken, meint der Begriff des Bildungsgehaltes. Jeder besondere Bildungsinhalt birgt in sich also einen allgemeinen Bildungsinhalt“ (a. a. O.: S. 134). Dies dient vor allem dem Zweck, einen Unterrichtsstoff im Sinne der Lernenden aufzuarbeiten, seine Anschlussfähigkeit zu ermitteln, das Thema für die Schulstunde zu gliedern und zu überlegen, wie die Schüler/innen einen Zugang zum Thema finden können (vgl. a. a. O.: S. 135 ff.). Die didaktische Analyse ist eigentlich nicht der erste, sondern der zweite Schritt der Unterrichtsvorbereitung, denn ihr geht die Bedingungsanalyse voraus, bei der die Besonderheiten des Klientels herausgearbeitet werden (vgl. Schmal 2017: S. 42), und ihr folgt die methodische Vorbereitung des Unterrichts (vgl. Klafki 1958/1970: S. 142 f.). Bei der didaktischen Analyse ist die Beantwortung von fünf Fragen zentral: 1. Welche Gegenwartsbedeutung hat das Thema für die Schüler/innen? 2. Welche Bedeutung hat das Thema in der Zukunft für die Schülerinnen? 3. Welches allgemeine Prinzip zeigt sich am Unterrichtsthema am exemplarischen Fall? 4. Wie kann das Thema strukturiert werden? 5. Welcher Zugang bietet sich für das Thema an? (vgl. a. a. O.: S. 135 ff.)

Im Folgenden werden Fragen von Klafki, die bei der didaktischen Analyse beantwortet werden sollen, wörtlich zitiert; in diesen Fragen ist von „Kindern“ (a. a. O.: S. 136) die Rede, weil Klafki als Klientel wohl Schüler/innen in der Unter- und Mittelstufe vorschwebten. Die Fragen der didaktischen Analyse eignen sich auch für die Berufsausbildung als eine Sonderform der Erwachsenenbildung, solange eine Bedingungsanalyse sich nicht auf die didaktische Analyse auswirkt, die aber hier nicht durchgeführt wurde.

1.3 Anwendung der didaktischen Analyse auf meinen Unterricht

Im Unterricht zum beruflichen Selbstverständnis wurde das Leben und Wirken von Florence Nightingale (1820 – 1910) behandelt, weil deren Karriere einen Schlüsselmoment der Pflegegeschichte darstellt, in dem Pflege zu einem Ausbildungsberuf wurde. Die Geschichte Nightingales ist vielschichtig und in mehrere Richtungen anschlussfähig. „Heldengeschichten“ wie die von Nightingale stiften, wenn man sie mit einem leichten Augenzwinkern wahrnimmt, Identifikation und können die Schüler/innen emotional motivieren. Mit Vorbehalten und Einschränkungen können sich die Schüler/innen Florence Nightingale als Vorbild nehmen, wenn sie nicht die krankmachende Selbstaufopferung nachahmen.

1.3.1 Exemplarische Bedeutung

„I. Welchen größeren bzw. welchen allgemeinen Sinn- oder Sachzusammenhang vertritt und erschließt dieser Inhalt? Welches Urphänomen oder Grundprinzip, welches Gesetz, Kriterium, Problem, welche Methode, Technik oder Haltung läßt sich in der Auseinandersetzung mit ihm „exemplarisch“ erfassen?

1. Wofür soll das geplante Thema exemplarisch, repräsentativ, typisch sein?“ (Klafki 1958/1970, S. 135)

Nightingale pflegte mit Ordensschwestern und Pflegehelferinnen kranke und verletzte Soldaten im Krimkrieg in Scutari (heute Üsküdar, Stadteil von Istanbul) und Sewastopol. Die Zustände allerdings, die Nightingale dort zunächst vorfand, waren katastrophal: Es gab keine Utensilien wie Eimer oder Becher und keine Möbel wie Betten oder einen Operationstisch (vgl. Vasold 2003: S. 103). Die Soldaten erhielten keine Krankenhaushemden, sondern waren in „blutdrucktränkte“ Decken (a. a. O.: S. 103) gehüllt oder gänzlich nackt (vgl. a. a. O.: S. 103). Frisch Operierte wurden auf den blanken Fußboden gelegt (vgl. a. a. O.: 2003: S. 103). Es mangelte an Getränken und Speisen (vgl. a. a. O.: S. 103). Diäten wurden von Ärzten zwar angeordnet, aber „letzten Ende hing es von Wohlwollen des Beschaffers ab, ob der Verletzte diese Kost tatsächlich erhielt“ (a. a. O.: S. 111). „Und es gab längst nicht genügend Ärzte und Pflegepersonal.“ (a. a. O.: S. 103) Amputationen fanden vor Augen und Ohren der Kameraden statt, weil es keine spanischen Wände gab (vgl. a. a. O.: S. 120). „Die alten Latrinen waren in einem verwahrlosten Zustand.“ (a. a. O.: S. 120). Folge davon war, dass die meisten Soldaten Durchfall erlitten (vgl. a. a. O: S. 120). Die Berufene ergriff Gegenmaßnahmen und verbesserte die Ernährung (vgl. a. a. O.: S. 123), beschaffte Utensilien wie Essbesteck und Handtücher (vgl. a. a. O., S. 123) und sorgte dafür, dass den Soldaten der Sold nicht mehr bar ausgezahlt, sondern in ihre Heimat überwiesen wurde, so dass die Verzweifelten ihren Lohn nicht mehr ad hoc ad loc in Alkohol umsetzen konnten (vgl. a. a. O.: S. 123 f.).1 Dies bedeutet also, dass Nightingale die Krankenpflege auf eine höhere Niveauebene hob. Ihre Erfahrungen brachten Florence Nightingale dazu, die Defizite in der Krankenversorgung zu erkennen und sich dafür einzusetzen, dass Krankenpflege zu einem Ausbildungsberuf wurde (vgl. a. a. O.: S 188 f.). So wurde nach den Vorstellungen von Florence Nightingale 1860 am St. Thomas Hospital in London die erste ernstzunehmende Krankenpflegeschule im europäischen Raum gegründet (vgl. Seidler, Leven 2003: S. 219).

Der Didaktiker Wolfgang Klafki war bestrebt, den Begriff der Allgemeinbildung zu retten, die er als „geschichtlich vermitteltes Bewußtsein von zentralen Problemen der Gegenwart und – soweit voraussehbar – der Zukunft“ (Klafki 2007: S. 56) definierte und auch als „epochaltypische Schlüsselprobleme“ bezeichnete; als Beispiel ist hier die Friedensfrage als erstes Schlüsselproblem zu nennen (vgl. a. a. O: S. 56 f.). Das Beispiel des Kriegseinsatzes von Florence Nightingale zeigt, wie Krieg bei all seiner Grausamkeit, Brutalität und Zerstörung aber dennoch diverse Nebeneffekte auf die Entwicklung einer Gesellschaft hat: Geopolitik, politisch-juristische Verfassung, Medizin, Technik und die sozialen Verhältnisse. Beispiele hierfür sind die Neuaufteilung Europas nach den Koalitionskriegen beim Wiener Kongress 1814 bis 1815, die Verabschiedung der Monarchie im Deutschen Reich nach dem ersten Weltkrieg und die rasant fortschreitende Antibiotikaforschung der USA während des zweiten Weltkrieges. Dies ist völlig wertfrei und faktenanalytisch zu betrachten, denn Krieg kann ein Motor der Geschichte sein, die aber auch durch andere Faktoren in Schwung gebracht werden kann.

„2. Wo läßt sich das an diesem Thema zu Gewinnende als Ganzes oder in einzelnen Elementen - Einsichten, Vorstellungen, Wertbegriffen, Arbeitsmethoden, Techniken - später als Moment fruchtbar machen?“ (Klafki 1958/1970: S. 135)

Das Beispiel von Florence Nightingale zeigt die Wichtigkeit von Bildung und Ausbildung und das eines der Grundlagen der guten Praxis eine profunde Ausbildung ist, obwohl klar ist, dass auch eine gute Ausbildung nicht notwendig zu einer guten Praxis führen muss, sie dennoch begünstigt.

Für die weitere Zukunft kann der Schüler bzw. die Schülerin anhand der Geschichte Nightingales erkennen, wie sehr Entwicklungen in einem Netzwerk von Ereignissen und Prozessen gesehen werden müssen und die Fortschritte der Krankenpflege mit den Fortschritten in anderen Bereichen in Zusammenhang stehen, denn das Gesundheitswesen erlebte im 19. Jahrhundert durch die Technisierung und durch Fortschritte in Pharmakologie, Medizin und Hygiene einen Entwicklungsschub, der sich dann auch auf die Krankenpflege auswirkte.

1.3.2 Gegenwartsbedeutung

„II. Welche Bedeutung hat der betreffende Inhalt bzw. die an diesem Thema zu gewinnende Erfahrung, Erkenntnis, Fähigkeit oder Fertigkeit bereits im geistigen Leben der Kinder meiner Klasse, welche Bedeutung sollte er – vom pädagogischen Gesichtspunkt aus gesehen darin haben?“ (a. a. O.: S. 136)

Ich kannte den „APTZ 5“ vor dem Unterricht zum Thema „Geschichte der Krankenpflege“ nicht und so ergaben sich nur durch Zufall einige Anknüpfungspunkte der Schüler/innen zum Thema. Einige Altenpflegeschüler/innen stammen aus der Türkei und so war ihnen der Ort Scutari, der heutzutage Üsküdar (Stadtteil von Istanbul) heißt, ein Begriff; auch wusste ein Schüler, dass es in der Türkei eine Krankenhauskette gibt, die nach Florence Nightingale benannt ist. Eine Schülerin, die aus Aserbaidschan stammt, sah eine Analogie zwischen dem imperialen Streben Russlands im 19. Jahrhundert, das zum Ausbruch des Krimkriegs führte, und der späteren Hegemonialstellung Russlands innerhalb der Sowjetunion, aber auch der Annektion der Krim durch Russland im Jahre 2014 (vgl. Kaminer 2017: Track 3).

Gerade für die Schüler/innen an einer Berufsfachschule mit interkulturellem Schwerpunkt, die zum Teil als Flüchtlinge aus Krisen- und Kriegsgebieten nach Deutschland gekommen sind (z. B. eine Schülerin stammt aus Palästina), bildet das Thema Krieg eine Anknüpfungsmöglichkeit. Mithin kann man anhand der Geschichte des Krimkrieges erkennen, dass es Regionen auf dieser Welt von geopolitischer Bedeutung gibt, die immer wieder Schauplatz von zwischenstaatlichen Spannungen, Gewalt und Krieg werden (vgl. Kaminer 2017: Track 3).

Dabei ist die enge Verzahnung zwischen Krankenpflege und Krieg oft ein konfliktbeladenes Thema. Reflexiv kann die Auseinandersetzung mit dem Kriegseinsatz von Florence Nightingale zu der Überlegung führen, ob und inwieweit Krankenpflege Kriegseinsätze unterstützt und ob nicht jemand, der z. B. eine pazifistische Einstellung vertritt, in ein ethisches Dilemma gerät, weil er indirekt die Kriegsmaschinerie unterstützt und am Leben erhält, wenn er den im Krieg verletzten Personen Hilfe und pflegerische Versorgung angedeihen lässt.

Florence Nightingale ist in ein ähnliches Dilemma geraten; sie war eigentlich den Deutschen wohlgesonnen und konnte den damaligen Herrscher Frankreichs Kaiser Napoleon III „nicht ausstehen“ (Vasold 2003: S. 232). Doch bereute sie es, 1870 im deutsch-französischen Krieg an der Bildung einer Kriegsambulanz, die von der preußischen Regierung an die Kriegsfront entsandt wurde, beteiligt gewesen zu sein (vgl. a. a. O.: S. 234), weil nach ihrer Meinung durch die Vormachtstellung der Deutschen in Europa in Folge des von den Deutschen gewonnenen Krieges das Gleichgewicht der Mächte aus der Balance geriet (vgl. a. a. O.: S. 233).

1.3.3 Zukunftsbedeutung

„III. Worin liegt die Bedeutung des Themas für die Zukunft der Kinder?“ (Klafki 1958/1970: S. 137)

Aus der Geschichte für die Zukunft: Wesentlich ist es, zu verstehen, warum Pflege, die bis 1860 meistens nachlässig, inkompetent und unprofessionell durchgeführt wurde, ein Ausbildungsberuf werden musste, um den an Bedeutung gewinnenden Wertmaßstäben des Humanismus Folge zu leisten, aber auch, um Antworten auf die zahlreichen Herausforderungen durch den technisch-medizinischen Fortschritt und durch die sozial-ökonomische Entwicklung vor dem Hintergrund der Industrialisierung zu finden. Für die Zukunft bedeutet dies, dass der Pflegeberuf auch weiterhin mit der Zeit gehen und den aktuellen gesellschaftlichen, kulturellen und technischen Herausforderungen begegnen muss.

Durch Berufstraditionen und Mythenbildung gewinnt der Beruf an Identifikationsmöglichkeiten und Vorbildern, die sowohl den Auszubildenden als auch den Berufstätigten mit Stolz erfüllen können, auch zu dieser Berufsgruppe dazuzugehören. Symbole, Geschichten, Berufskleidung, Bilder, Kunstwerke, Museen, Namen und Heroen stellen Bezüge her und erzeugen Emotionen, die den Pflegenden in besonderem Maße motivieren können.

Allerdings baut eine Motivation, die seine Kraft aus der Heroisierung von besonders engagierten Personen zieht, auf Treibsand, der in Bewegung gerät, sobald der Schüler oder die Schülerin tiefer in die Geschichte vordringt. Denn dann wird ihm oder ihr schnell klar, dass 1. das Bild der Heldin konstruiert ist und Ergebnis einer geschickten Selbstinszenierung ist (Emig 2010: S. 279 ff.), 2. die vermeintliche „Heroin“ ihre eigene Gesundheit durch ihre aufopferungsvolle Hingabe nachhaltig geschädigt hat (vgl. Meißner 2019: 263 ff.), insofern fast schon ein abschreckendes Beispiel für die ohnehin von Burnout gefährdeten Pflegenden ist, 3. die Heldin in Wirklichkeit nicht völlig alleine dasteht, sondern neben anderen Akteuren in einem Netz von Ideen, Vorgängen, Situationen, Theorien und Einflüssen sich befindet, die ihr Denken und Verhalten aus dem zeithistorischen Kontext hermeneutisch verständlich machen. Als Beispiele seien hier die folgenden zeithistorischen Einflüsse auf Nightingale zu nennen: 1. die Hygienebewegung, die Nightingale offensichtlich sehr beeindruckt hat (vgl. Schweikardt, Schulze-Jaschok 2005: S. 14), 2. die fast zeitgleich zum Wirken Nightingales stattfindenden Entwicklungen, die zur Gründung des roten Kreuzes führten (vgl. Seidler, Leven 2003: 220 ff.), 3. die Bestrebungen von Theodor Fliedner in Kaiserswerth, Pflegekräfte rudimentär auszubilden (vgl. a. a. O.: 212 ff.), 4. insgesamt das stark in Bewegung befindliche Gesundheitswesen im 19. Jahrhundert (vgl. a. a. O. S. 179 ff.), 5. vor allem aber auch die Berichterstattung in den Zeitungen über die Missstände in den britischen Militärlazaretten des Krimkrieges (vgl. Vasold 2003: S. 103).

1.3.4 Thematische Struktur

„IV. Welches ist die Struktur des (durch die Fragen I, II und Ill in die spezifisch pädagogische Sicht gerückten) Inhaltes?“ (Klafki 158/1970: S. 137)

1. - 3. Sinnzusammenhang der einzelnen Momente und Schichtung des Themas (vgl. a. a. O.: S. 138 f.)

Der Unterrichtsstoff bildet eine Trinität aus Biographie, Geschichte und Gegenwartsbezug:

1. BIOGRAPHIE: Der Teil des Unterrichts, der sich der Biographie Nightingales zuwendet, wird weitgehend chronologisch die Episoden im Leben von Nightingale nachverfolgen. Wir haben es hier allerdings nicht mit Mathematik oder Physik zu tun, wo es eine zwingende Reihenfolge der aufeinanderfolgenden Lerninhalte gibt, und daher könnte man auch Episoden aus dem Leben von Florence Nightingale eben nicht in der chronologischen Reihenfolge wiedergeben, wie z. B. der Film „The Lady With The Lamp“ (Wilcox 1951) mit einer Szene ihrer letzten Jahre beginnt, als sie nämlich 1907 von König Edward VII. den „Order of Merit“ verliehen bekommt.2 Trotzdem besitzen die Episoden im Leben von Florence Nightingale eine gewisse Folgerichtigkeit: Im Alter von 17 Jahren pflegt Nightingale während einer Grippeepidemie Dienstboten, Angehörige und Bekannte und findet Gefallen an der Pflege. ® Dies führt sie einige Zeit später dazu, die Pflege einer Tante zu übernehmen, als diese pflegebedürftig wird. ® Dadurch reift in Nightingale der Wunsch, Pflegerin zu werden. ® Die Familie vereitelt diesen Berufswunsch zunächst. ® Nightingale gerät daraufhin in eine Sinnkrise. ® Ohne die Eltern zu fragen, hospitiert Nightingale in einem Krankenhaus von Theodor Fliedner in Kaiserswerth, wo sie rudimentären Pflegeunterricht erhält. ® Weitere Erfahrungen in der Pflege und die freizeitmäßige Auseinandersetzung mit so einem spannenden Thema wie Krankenhausstatistik verhelfen ihr 1854 zum Leitungsposten im Militärlazarett in Scutari. ® Dort beobachtet sie, dass die Pflegenden zahlreiche Defizite aufweisen. ® Dies führt dazu, dass Nightingale sich dafür einsetzt, dass Pflegende eine Ausbildung absolvieren sollen. ® Nach Nightingales Ideen wird 1860 eine Pflegeschule gegründet.

2. HISTORIE: Im nächsten Teil des Unterrichts sollten die Schüler/innen einen Schritt zurücktreten, um einen breiteren Blickwinkel einnehmen zu können. Der historische Hintergrund der Lebensgeschichte Nightingales ist vielschichtig:

[...]


1 Weitere Interventionen Nightingales erfolgten, die aber aus Platzgründen hier nicht erwähnt werden.

2 Die Ordensverleihung wird nicht direkt gezeigt, sondern zwei Herren in einer Kutsche sprechen darüber (Wilcox 1951).

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Entwicklung des beruflichen Selbstverständnisses an einer Berufsfachschule für Altenpflege im ersten Ausbildungsjahr
Untertitel
Didaktische Analyse
Hochschule
Charité - Universitätsmedizin Berlin  (Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft)
Veranstaltung
Modul 06: Didaktische Modelle und Theorien
Note
1,0
Autor
Jahr
2019
Seiten
26
Katalognummer
V502565
ISBN (eBook)
9783346041098
ISBN (Buch)
9783346041104
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Didaktische Analyse, interaktionistische Pflegedidaktik
Arbeit zitieren
Markus Hieber (Autor:in), 2019, Entwicklung des beruflichen Selbstverständnisses an einer Berufsfachschule für Altenpflege im ersten Ausbildungsjahr, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/502565

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