Zwischen Pipeline und Bürgerkrieg. Politische Konfliktanalyse zur geostrategischen Theorie in Syrien


Hausarbeit (Hauptseminar), 2019

39 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Auseinandersetzung mit den politischen Voraussetzungen vor dem Kriegsausbruch
2.1. Innerstaatliche Konfliktparteien und ihre Interessen
2.2. Kriegsverlauf und die Internationalisierung

3. Syrienkonflikt als geostrategischen Krieg
3.1. Definition
3.2. Der Syrienkonflikt auf Basis der Pipeline-Theorie
3.3. Geostrategische Militäroperationen fremder Staaten
3.4. Giftgaseinsätze als Legitimationsgrund
3.5. Kritische Sicht auf geostrategische Erklärungen

4. Quintessenz

5. Literaturnachweise

6. Abbildungsverzeichnis

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im vorliegenden Text die maskuline Form verwendet. Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig verstanden werden soll.

1. Einleitung

„Es wechseln die Zeiten, die riesigen Pläne der Mächtigen kommen am Ende zum Halt“ (Brecht 1944). Dieses Zitat stammt von Bertolt Brecht, welcher schon zu seiner Zeit die koloniale Denkweise des regime change kritisierte.

In Syrien herrscht im Jahr 2019 immer noch ein gewaltsamer Konflikt. Vielen Einschätzungen zufolge handelt es sich um einen Bürgerkrieg, unter welchem man die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Bürgern eines Staates versteht (Armbruster 2013; Asseburg 2014, 96f.; Rosiny 2014, 3). Bei einem Bürgerkrieg überfällt nicht ein Staat einen anderen Staat, sondern zwei oder mehrere Gruppen innerhalb eines Staates bekämpfen sich untereinander (Schneider/ Tokya-Seid 2019).

Der Schweizer Historiker und Friedensforscher Dr. Daniele Ganser hat mit einer einschneidenden Perspektive den Syrienkonflikt analysiert. In seinen Vorträgen versuchte er darzustellen, dass es sich bei dem Konflikt nicht um einen Bürgerkrieg, sondern um einen geostrategischen Ressourcenkrieg handelt. Hauptauslöser des Krieges soll ein Streit über eine geplante Gaspipeline gewesen sein. Des Weiteren führt er aus, mit welchen Mitteln und unter welchen zweifelhaften Vorsätzen internationaler Beteiligung der Konflikt geführt wird. Seinen Thesen zufolge seien die NATO-Staaten mit manipulativen Operationen für den militärischen Konflikt in Syrien verantwortlich, welche sich zum Ziel gesetzt haben, Präsident Baschar al-Assad zu stürzen. Sein Buch „Illegale Kriege“ wurde ein Bestseller, allerdings bekam er auch fundamentale Kritik (vgl. Würgler 2017). Ihm wird vorgeworfen, sehr viel Wahres mit steilen Thesen und „Verschwörungsschrott“ zu mischen (ebd.). Ganser verwende eine Sprache, welche Zuspruch bei Rechtsradikalen findet und lobe „Putins Propagandaschleudern“ (vgl. Würgler 2017; Beck 2017).

Der Anreiz, den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen zu überprüfen, selbst wenn sie sich auf einen schmalen Grat zwischen Wissenschaft und geringfügig untermauerten Theorien bewegen, besteht durchaus. Es spielt für die Konfliktanalyse eine große Rolle, welche Komponenten den Streit verursacht und beflügelt haben, da viele Menschen die Frage beschäftigt, wie der seit acht Jahre andauernde militärische Konflikt in Syrien gelöst werden könne. Die Politikwissenschaft versucht, gesamtgesellschaftlich umstrittene und zugleich Verbindlichkeit beanspruchende politische Entscheidungen zu verstehen und zu erklären. Um einen Beitrag zur Selbstaufklärung von Gesellschaft leisten zu können, sollten Theorien, auch jene von Ganser, die systemverändernden Charakter im sicherheitspolitischen Bereich besitzen, kritisch hinterfragt werden.

Die Forschungsarbeit verfolgt das Ziel, zunächst die Voraussetzungen für den Syrienkrieg aufzuzeigen. Danach soll die Theorie untersucht werden, inwieweit es im Fall Syrien um einen Ressourcenkonflikt auf Grundlage von Geostrategie handelt. Es sollen die unterschiedlichen Facetten und Motive der Konfliktparteien in den Blick genommen nehmen. Auch wird ein Einblick darüber gegeben, inwieweit geschehene Interventionen mit dem Völkerrecht vereinbar waren bzw. sind. Abschließend soll in der Quintessenz die Frage, ob es sich in Syrien um einen Krieg mit geostrategischen Absichten handelt, abgewogen und ein kurzer Ausblick gegeben werden.

2. Auseinandersetzung mit den politischen Voraussetzungen vor dem Kriegsausbruch

Bis zu Beginn der Unruhen Mitte März 2011 glaubten viele Beobachter nicht an eine Revolte in Syrien (Wieland 2017). Denn aus Sicht einiger Studien der Vereinten Nationen wurden positive Entwicklungen in Syrien beobachtet. Die Armutsquote war im Vergleich zu Südafrika, Pakistan, Ägypten, Marokko niedriger, die gesundheitliche Versorgung wurde relativ gut als auch mehrheitlich kostenlos bezeichnet, und auch ein guter Zugang zum Bildungswesen wurde Syrien attestiert (United Nations 2003, 349; Glasenapp 2014; UNESCO 2008, 54). Ebenso sorgte der Staat bereits 1980 durch die genossenschaftlichen Landreformgesetze für Ernährungssicherheit bei der armen Bauernschaft, sowie nachhaltigem Wachstum innerhalb der Landwirtschaft (Abu-Ismail/ Abdel-Gadir/ El-Laithy 2011, 28). Erste europäische Investoren für „sanften Tourismus“ schlugen auf, da Syrien viele historische Kulturgüter besaß und am Mittelmeer große Sandstrände hatte (vgl. Helberg 2008). Auch in dem von der britischen New Economics Foundation (NEF) veröffentlichen Happy Planet Index, welcher Lebenserwartung, Lebenszufriedenheit und ökologischen Fußabdruck miteinander vergleicht, schnitt der Nahost-Staat gut ab (vgl. Abb.1). Insbesondere aufgrund des umweltbewussten Lebensstils erreichte Syrien eine bessere Platzierung als Westeuropa, Skandinavien und die USA (New Economics Foundation 2009, 32f.). Diese vorgefundenen Grundbedingungen würden im Normalfall der Annahme widersprechen, dass ein bewaffneter Konflikt ausbrechen könnte.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1

In Bezug auf die Demokratieentwicklung gab es innerhalb Syriens auch vor den Aufständen Schwierigkeiten. Seit der Machtergreifung im Jahr 1963 regierte im Volksrat die syrische Baath-Partei, welche jahrzehntelang eine panarabische und sozialistische Politik förderte. Der Volksrat ist das Parlament im Einkammersystem Syriens und tagt in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Aufgrund leninistischer Vorbildfunktion wurde sehr lange in der Verfassung Syriens festgeschrieben, dass die Mehrheit der Sitze für die Partei vorgesehen ist, die die „Interessen der Arbeiterklasse“ vertrete (vgl. Verfassung der Arabischen Republik Syrien 1973, Art. 8). Diesen Anspruch erhob die syrische Baath-Partei (ebd.). Das Parlament setzte sich somit zu 51 Prozent aus Abgeordneten der Baath-Partei und zu 49 Prozent aus gewählten Abgeordneten zusammen. Im Parlament haben sich die meisten wählbaren Parteien der Einheitspartei blockweise der Nationalen Fortschrittsfront angeschlossen, welche eine Zwei-Drittel-Mehrheit besitzt. Erst 2012, also nach Ausbruch des Konfliktes, wurde die Verfassung per Referendum so geändert, dass die Monopolstellung der Baath- Partei aufgehoben und politischer Pluralismus eingeführt werden sollte (Leidholdt 2012).

Neben diesem andauernden Demokratiedefizit wurde Präsident Baschar al-Assad immer wieder ein politisches Vermächtnis seines Vaters angelastet, denn in der Zeit unter der Regierung Hafez al-Assad eskalierte ein religiös-bedingter Konflikt: In den achtziger Jahren plante die im Untergrund organisierte radikalislamistische Syrische Muslimbrüderschaft in mehreren syrischen Städten einen Staatsstreich des Militärs gegen Hafez al-Assad. Die Verschwörung im Militärapparat wurde jedoch Anfang 1982 aufgedeckt. Danach begannen die syrischen Sicherheitskräfte mit Durchsuchungsaktionen, um die islamistische Untergrundorganisation auszuheben. Diese reagierte in ihrer Hochburg Hama mit gewaltsamen Anschlägen als unkonventionelle Protestform, welche anschließend ebenfalls unter Gewaltanwendung von Hafez al-Assad per Luftschlag vergolten wurden, der 2.000 Menschen das Leben kostete. (vgl. Defense Intelligence Agency 1982, 6f.)

Die Familie al-Assad gehört zur Religionsgemeinschaft der Alawiten, welche ca. zwölf Prozent der gesamten syrischen Bevölkerung ausmacht (vgl. Wieland 2017). Die Mehrheit der syrischen Bürger bekennt sich zum sunnitischen Glauben (ebd.). Es besteht im politikwissenschaftlichen Diskurs die Annahme, dass sich die lange verfolgten Alawiten mit Vetternwirtschaft, überproportionalen Besetzung von Staatsämtern und eben dem Luftangriff von Hama an „den“ Sunniten bis heute rächen würden (vgl. Helberg 2012). Dass der Ausbruch des Syrienkrieges auf ein solches konfessionelles Hierarchiegefälle zurückzuführen sei, sah Politikwissenschaftler Prof. Dr. Werner Ruf kritisch.

Dieser spricht davon, dass mit einer Konfessionalisierung der Politik in Nah- und Mittelost ein neues politisches Paradigma etabliert wurde, das auch der Fluch des Samuel Huntington genannt werden könnte (Ruf 2015). Dieser hatte die „Kulturen“ weitestgehend mit Religionen gleichgesetzt und die Kämpfe zwischen ihnen als entscheidendes Kriterium der Konflikte im 21. Jahrhundert bezeichnet (vgl. Huntington 2006). Wird Religion bzw. Konfession anstelle der Nation zum neuen politische Identifikationsmuster, wie sie mit Wahllisten nach Religionszugehörigkeit im Irak seit 2003 praktiziert werden, wird die politische Landkarte des gesamten arabischen Raums in Frage gestellt und die Huntingtonsche Vorstellung droht wie ein Brandbeschleuniger zu wirken (vgl. Ruf 2015).

Als Baschar al-Assad nach dem Tod seines Vaters im Jahr 2000 einstimmig zum Präsidenten gewählt wurde, konnte er die gemäßigte Handelsklasse, welche mehrheitlich sunnitischen Glaubens war, zunächst an sich binden (vgl. Wieland 2017). Allerdings konzentrierte er sich darauf, Teile einer neoliberalen Wirtschaftsreform umzusetzen; er hatte aber keine demokratischen Erneuerungen am (de facto-) Einparteien- oder am Verwaltungssystem geplant (Tabarani 2011). Um 2005 erlebte Syrien eine beschleunigte Implementierung neoliberaler Politik (vgl. Daher 2018). Anders als sein Vater erlaubte es Baschar der Weltbank und den Weltwährungsfonds, in den Prozess der wirtschaftlichen Liberalisierung einzugreifen (ebd.). Die Beschleunigung der neoliberalen Politik führte zu einer zunehmenden Verlagerung eines ursprünglich aus Bauern, staatlichen Angestellten und einigen Teilen des Bürgertums bestehenden Unterstützerkreises zu einem vetternwirtschaftlich und kapitalistisch orientierten (vgl. ebd.).

Zu diesen Veränderungen kam die ungeplante Aufnahme von Geflüchteten aus dem Irak, welche in nur vier Jahren die Bevölkerungsanzahl um 20 Prozent steigerte (vgl. Kelley 2015). Auf Deutschland diesen Prozentsatz vergleichend hochzurechnen, entspricht das ungefähr 16 Millionen Geflüchteten in vier Jahren. Syrien ist aber ein Staat, in welchem einerseits subtropische Klimabedingungen mit Dürrezeiten auftreten können, und andererseits mit viel geringeren Staatseinnahmen gehaushaltet werden muss als in europäischen Staaten. Als zwischen 2006 und 2010 dann tatsächlich wegen einer anhaltenden Dürreperiode Versorgungsengpässe auftraten, verschlechterte sich die Lebenssituation. Durch das Bevölkerungswachstum erhöhte sich auch die Nachfrage an Wasser, worauf die syrische Bevölkerung jenseits staatlicher Überwachung Brunnen baute. Bis 2011 gab es in Syrien einen starken Preisanstieg für Alltagsprodukte, der zu einer deutlichen Verschlechterung des Lebensstandards führte (Saleeby 2012). Ebenfalls sahen sich viele Menschen bei Missernten nicht ausreichend unterstützt, obwohl die Solidarität mit den Bauern in der Vergangenheit ein Grundsatz der Baath-Partei gewesen ist (ebd.).

Für das Auslösen der Gewaltspirale wird die Wut über Korruption und Willkürherrschaft als Grund angenommen (vgl. Wieland 2017). Dieser Widerstand sei durch die „mutigen Demonstrationen in Tunesien, Ägypten und Libyen“, den sogenannten „Arabischen Frühling“, begünstigt worden (vgl. Wieland 2017). Als Ausgangspunkt des Konfliktes gilt die Gewaltanwendung gegen Demonstranten, die gegen die Verhaftung von Kindern in der südsyrischen Stadt Darʿā im März 2011 protestierten. Nach gewaltsamen Zuspitzungen wurde im April 2011 die Armee gegen die Kundgebungsteilnehmer eingesetzt. Hundert Personen starben, unter welchen einige nach Einschätzung der US- Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch Aktionen des syrischen Geheimdienste zum Opfer fielen (Human Rights Watch 2011).

2.1. Innerstaatliche Konfliktparteien und ihre Interessen

Die Staatsmacht unter der Nationalen Fortschrittfront ist verständlicherweise ein Hauptakteur des Konfliktes. Die Regierung besitzt das Interesse, Reform-, Entwicklungs- und Modernisierungsprozesse unter der Leitung von Assad, der alle politischen, wirtschaftlichen und administrativen Hoheiten abdeckt, fortzusetzen (vgl. Nationale Fortschrittfront 2006). Assad hat den Vorteil, auf ein 100.000-köpfiges Militär zurückgreifen zu können.

Gegen die Assad-Regierung gibt es mehrere innenpolitische Gegenspieler: Im Juli 2011 hat sich offiziell mit der Freien Syrischen Armee (FSA) eine paramilitärische Vereinigung gegründet, die Assad stürzen will, welche nach eigenen Angaben aus Deserteuren der syrischen Armee und Zivilisten besteht.

Sie wird auf politischer Ebene von einem konservativen Oppositionsbündnis Syrischer Nationalrat (SNC) unterstützt, welches seit dem 23. August 2011 existiert und aus der Türkei koordiniert wird. Der SNC ist der politische Arm der FSA, vertritt aber nur einen Bruchteil der syrischen Opposition: Sie umfasst vor allem die syrische Muslimbruderschaft in Syrien und wird von konservativen Kleinparteien gefördert (Solomon/Samir 2012). Die Organisation unterstützt die Bewaffnung der Opposition und fordert eine militärische Intervention der internationalen Staatengemeinschaft gegen die Assad-Regierung (Zein 2018). Dem SNC wird vorgeworfen, „von der Türkei beeinflusst“ zu sein (Weiss 2012).

Der andere Bruchteil der Opposition ist das Nationale Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel (NCC), welches aus zehn linksgerichteten Parteien, drei kurdischen und unabhängigen Jugendaktivisten besteht. Im Gegensatz zum Syrischen Nationalrat, der einen Dialog mit der Regierung Assad ablehnt, betreibt das Koordinationskomitee den friedlichen und parlamentarischen Protest gegen das Regime (vgl. Galaktionow 2012). Es befürwortet eine Lösung, in der die syrische Regierung zu Veränderungen und zu Gesprächen mit der Opposition überzeugt werden soll (vgl. ebd.). Wegen ihres moderaten Vorgehens wird das NCC immer wieder dem Vorwurf der Kollaboration mit Assad ausgesetzt (vgl. ebd.). Dass prominente NCC-Mitglieder trotz ihrer regierungskritischen Positionen teilweise ungehindert publizieren und reisen können, macht sie für andere Gruppen verdächtig (ebd.). Es wird angenommen, dass das Regime den Eindruck vermitteln will, dass das ursprüngliche Problem die Exilopposition sei, die im Dienste ausländischer Mächte stehe, während der internen Opposition sehr wohl Spielraum gewährt und Reformbereitschaft vermittelt wird (vgl. ebd.). Das NCC erklärte im August 2012, auf zivilen, gewaltlosen Widerstand und eine Verhandlungslösung zu setzen (vgl. Zein 2018). Angestrebt wird ein friedlicher Übergang von einem Staat der Despotie hin zu einer Demokratie (ebd.). Es fordert ein säkulares Mehrparteiensystem, soziale Gerechtigkeit, Gleichheit unter den Bürgern, Stärkung von Frauenrechten, eine Umstrukturierung von Militär- und Sicherheitseinrichtungen und staatliche Souveränität (vgl. Nationale Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel 2018). Obwohl auch ähnliche Ziele beim konservativen Bündnis vorhanden sind, kritisiert der NCC die Islamisierung, was eine Zusammenarbeit erschwert. Im Gegensatz zum SNC hat das NCC kaum diplomatische, finanzielle und mediale Unterstützung (Zein 2018).

Im Konfliktgebiet lassen sich auch dschihadistische Milizen finden. Sie seien durch den Krieg und den Zerfall des Staates aus dem Ausland angezogen worden (vgl. Wieland 2017). Ihr Ziel ist oft nicht mehr der Kampf gegen das Assad-Regime, sondern die Errichtung regionaler Kalifate (ebd.). Radikalislamistische Gruppierungen, wie die al-Nusra-Front, vertreten einen lokalen Dschihadismus, während der Islamische Staat (IS) als Vertreter eines transnationalen Islamismus angesehen wird, um einen Staat gemäß ihrer religiösen Vorstellungen zu errichten und eine Ausweitung ihres Herrschaftsbereiches auf die ganze Welt anzustreben (vgl. Deutscher Bundestag 2017, 23). Im Laufe des Krieges kam es zu zahlreichen Kooperationen zwischen Rebellen und radikalislamistische Gruppen, al-Nusra und die FSA besetzen immer noch gemeinsam Gebiete im Nordwesten.

Die bewaffnete Militärorganisation Demokratische Kräfte Syriens (DKS) konstituierte sich im Laufe des Gefechts, um den IS im Norden Syriens wieder zu vertreiben. Ihnen wird eine Nähe zu der in Deutschland als Terrororganisation eingestuften Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nachgesagt (Salloum 2015). Die DKS haben neben der Vertreibung des IS das Ziel, einen Autonomieanspruch in Syrien zu erhalten (vgl. Reuters 2018).

2.2. Kriegsverlauf und die Internationalisierung

Zunächst sah vieles danach aus, dass die Rebellen nach einer Militarisierung die Regierung Assad stürzen können. Der FSA gelang es bis Mitte 2012, die reguläre syrische Armee aus vielen Städten mit Gewalt zu vertreiben. Das loyale Militär büßte etwa 60.000 desertierte Soldaten ein, während sie gleichzeitig versuchten, an mehreren Orten Präsenz zu zeigen, um eine Ausbreitung der FSA zu verhindern (Peker/Abu-Nasr 2012). Der deutsche Bundesnachrichtenchef prognostizierte, dass „das Assad-Regime nicht überleben werde“ (vgl. Lohse/ Wehner 2012, 2).

Nach der Einnahme staatlicher Institutionen und Vertreibung des Militärs scheiterte allerdings die FSA daran, die Bevölkerung mit Nahrung und Treibstoff zu versorgen, geschweige denn die öffentlichen Aufgaben wie Müllabfuhr und Sicherheit aufrechtzuerhalten (Bauer 2014). Da sich viele Bürger selbst bewaffnet haben, wurde nach dem Prinzip der Beutewirtschaft gelebt (ebd.). Dieses Vakuum wurde dann zunehmend von vermeintlichen Hilfsorganisationen gefüllt, welche die Versorgungssicherheit wieder herstellten (vgl. ebd.). Diese bewaffneten sich mit Fortschreiten des Konfliktes (vgl. ebd.). Sie trugen bald die Hauptlast der Kriegsgefechte gegen das Assad-Regime mit radikalislamistisch motivierten Freiwilligen, kampferprobten Veteranen und Waffen aus verschiedenen Regionen der Welt (vgl. ebd.). Als diese Gruppierung im Frühjahr 2013 die Provinzhauptstadt ar-Raqqa einnahm und später per Öffentlichkeitsarbeit die Gangart ihrer religiösen Vorstellung mit durchgeführten Massenexekutionen von Zivilisten und Selbstmordattentaten präsentierte, entpuppte sich der sogenannte „Islamische Staat“ als Widerstandsgruppierung mit Alleinherrschaftsanspruch (vgl. Deutsche Presseagentur 2014).

Es kam zur Massenflucht der Bevölkerung aus Angst vor dem IS (Güsten 2014). Durch die angstschürende Brutalität dieser Organisation stieg das Verlangen nach Sicherheit, was indirekt die Position der syrischen Regierung um Assad stärkte. Es kam in diesem Zeitabschnitt vermehrt zu Giftgasattacken, auf welche speziell in Kapitel 3.4. eingegangen wird. Anfang bis Mitte 2013 begann sich die syrische Regierung, entgegen der Voraussagen, wieder zu stabilisieren.

Die syrische Armee gewann gegen die geschwächte FSA viele Gebiete wieder zurück, zum Teil auch mit Luftschlägen. Allerdings eroberte auch der IS bis Mitte 2015 parallel einige Gebiete, sodass sie erstmals 50 Prozent des Territoriums besaßen (Korge 2015). Zunächst formierte sich im Norden Syriens die PKK-nahe Widerstandsgruppe DKS, ehe auf Assads Wunsch Russland in Syrien Luftstreitkräfte stationierte, um den IS und andere von der UNO anerkannte Terrororganisationen zu vertreiben (vgl. Russisches Außenministerium 2015). Nach offiziellen Angaben des Verteidigungsministeriums bekämpft Deutschland im Syriengebiet den IS seit dem 4. Dezember 2015 mit anderen NATO- Staaten (Deutsches Verteidigungsministe rium 2018). Die Bundeswehr beteiligt sich mit Tornados und mit Airbus- Tankflugzeugen aktiv im Luftraum Syriens (ebd.). Da allerdings die Luftwaffenangriffe ohne Zustimmung des UN- Sicherheitsrats oder von Syrien erfolgt waren, und auch, weil es sich beim IS um eine Terrororganisation und nicht einem echten Staat handelt, wird der Einsatz als völkerrechtswidrig bezeichnet (Hipp 2015; Deutscher Bundestag 2015; Heintze 2015). Es besteht die Gefahr, dass die Lageinformationen der deutschen Aufklärungsflüge für die Auskunft über Standorte der syrischen Armee bzw. kurdischen Einheiten, anstatt für die IS-Bekämpfung, missbraucht werden. Trotz Sicherheitsvorkehrungen bleibt unklar, ob andere Staaten der Anti-IS-Koalition diese Daten für ein „doppeltes Spiel“ gegen das Assad-Regime verwendeten, als Syrien am 14. April 2018 offiziell einmalig von der NATO angegriffen wurde (vgl. Gebauer 2015). Luftschläge der NATO als auch von Russland zeigten Wirkung gegen den IS. Den russischen Streitkräften wurde vorgeworfen, auch Attacken gegen gemäßigte Rebellen zu verrichten (Walker 2015). Allerdings entgegnete Russland auf den Vorwurf, dass diese mit den UNO-eingestuften Terrororganisationen, wie die al-Nusra-Front, gemeinsame Sache machen (vgl. Demircan 2018; vgl. Böhme/Seibert 2019). Zur Bekämpfung des IS entsandt die USA ab März 2017 Bodentruppen zur DKS in den Nordosten (Chulov 2017). Die DKS wurde in Afrin bei einer Bodenoffensive des türkischen Militärs im Januar 2018 angegriffen, weil die Türkei die kurdischen Milizen vernichten will, was die Spannungen auch im eigenen Land mit der kurdischen Minderheit anheizt (vgl. Deutsche Presseagentur 2018a). Trump kehrte im Dezember 2018 überraschenderweise der DKS den Rücken und blockierte die Wiederaufbauhilfe von 200 Millionen Dollar (Schmitt/Cooper/Rubin 2018; Landwehr 2018). Als Begründung für die ausbleibenden Zahlungen wurde genannt, dass zwei Soldaten vom Islamischen Staat getötet worden seien (vgl. Schmitt/Cooper/Rubin 2018). Diese Argumentation ist paradox, weil die Militäroperation gerade die Bekämpfung des IS vorsah. Es entsteht somit eher der Eindruck, die US-Entscheidung basiere auf einem finanzpolitischen Hintergrund. Den Auslandseinsatz und die Zahlungen aufgrund des drohenden Shutdown abzubrechen, wäre bei Kosten von 54 Milliarden US-Dollar in Syrien seit 2001 realistisch (Crawford 2018, 5). Dass Trump damit diplomatische Vereinbarungen mit der DKS nicht einhalten kann und daher die USA des Verrats beschuldigt wird, ist der politische Preis dafür.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2

Des Weiteren kamen Brigaden aus dem Libanon und Iran, obwohl deren nachgesagte Unterstützung Assad nicht gesichert ist (vgl. Deutscher Bundestag 2018, 12). Laut dem Nahostexperten Dr. Michael Lüders wären die Milizen eine Art Vorwärtsverteidigung für den Iran, welcher über keine nennenswerte Luftwaffe verfügt und daher auf Abfangraketen angewiesen ist (vgl. Lüders 2018, 187f.). Das Machtvakuum im Krieg erzeugte den geopolitisch wahrgenommenen Machtzuwachs Teherans, sodass Ultranationalisten Israels einen Militärschlag fordern (vgl. ebd.). Israel flog am 20. Januar 2019 einen Luftangriff auf Ziele der iranische Brigaden und der syrischen Armee, da diese als „direkte Bedrohung wahrgenommen werden“ (Hechler 2019).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3

Stand Februar 2019 ist Syrien dreigeteilt, während der IS fast komplett ausgelöscht wurde: Ein großer Teil steht wieder unter Einfluss des Staates, die letzte von Rebellengruppen besetzte Gegend ist Idlib, und die Regionen im Norden werden von den Demokratischen Kräften Syriens verteidigt (vgl. Live Universal Awareness Map 2019). Mit Vertretern der syrischen Regierung laufen seit Juli 2018 Sondierungsgespräche (vgl. Reuters 2018). Bisherige Friedensgespräche stießen auf das Problem, dass sie jeweils von der anderen Seite als nicht objektiv empfunden wurden: Die von der UN einberufenen Konferenzen in Genf fanden unter der Prämisse statt, eine Übergangsregierung zu bilden, während der von Russland ergänzende Astana-Prozess von vereinzelten Rebellengruppen boykottiert wird (vgl. Deutsche Presseagentur 2017; Ehrhardt 2017).

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Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Zwischen Pipeline und Bürgerkrieg. Politische Konfliktanalyse zur geostrategischen Theorie in Syrien
Hochschule
Pädagogische Hochschule Ludwigsburg
Note
1,0
Jahr
2019
Seiten
39
Katalognummer
V502271
ISBN (eBook)
9783346037015
ISBN (Buch)
9783346037022
Sprache
Deutsch
Schlagworte
zwischen, pipeline, bürgerkrieg, politische, konfliktanalyse, theorie, syrien
Arbeit zitieren
Anonym, 2019, Zwischen Pipeline und Bürgerkrieg. Politische Konfliktanalyse zur geostrategischen Theorie in Syrien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/502271

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