Supervision. Eine Maßnahme zur Stressbewältigung?


Hausarbeit, 2018

25 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Entstehung von Stress – Stressmodelle und ihre Entwicklung
2.1. Die Grundlage heutiger Stressmodelle - Der reaktionsorientierte & reizorientierte Ansatz
2.2. Der transaktionale Ansatz
2.3. Die Theorie der Ressourcenerhaltung

3. Stress bei Lehrern – Charakteristische Belastungen im Berufsalltag

4. Supervision – Ihre Grundlagen, Inhalte, Formen und Ziele
4.1. Supervisionsformen
4.2. Inhalte und Phasen der Supervision
4.3. Aufgaben und Ziele

5. Eignung zur Stressbewältigung
5.1. Supervision angewendet auf das transaktionale Stressmodell und die COR-Theorie anhand eines Fallbeispiels
5.2. Supervision zur Negierung von Risikofaktoren
5.3. Supervision zur Förderung der Resilienz

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

8. Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

Die Gesellschaft und in ihr gelebte Werte stehen im Zeichen der Veränderung. Das Leben ist schnelllebiger geworden und ist geprägt von Unsicherheiten. Ulrich Beck (1986) umschreibt diese Gesellschaft daher als eine Art „Risikogesellschaft“. Im Zeitalter des sogenannten Wertewandels werden nunmehr postmaterialistische Werte wie z.B. Selbstverwirklichung angestrebt (vgl. Müller, 2012; Pallasch, 1991, S. 51). In der Konsequenz entstehen Ich-fokussierte Menschen, die größtenteils auf sich allein gestellt sind, gleichzeitig jedoch mit prekären Lebens- und Beschäftigungsverhältnissen zu kämpfen haben und aufgrund eigener und gesellschaftlich formulierter Zielsetzungen, großen Ansprüchen gerecht werden müssen (vgl. Pallasch, 1991, S. 51 f.).

Ansprüche oder Anforderungen des Individuums selbst oder der Umwelt können zu einer Belastung werden (vgl. van Dick & Stegmann, 2013, S. 44). Als Berufsbelastung bezeichnet man demnach „berufsbezogene Umweltfaktoren, die […] zu positiven oder negativen Reaktionen führen können“ (Kunter & Pohlmann, 2015, S. 274, nach: Maslach, Schaufeli & Leiter, 2001). Diese individuellen Reaktionen werden dann als Beanspruchungen bezeichnet (vgl. ebd.). Stress ist eine Form einer Beanspruchung und kann sich langfristig zu chronischem Stress oder Burnout entwickeln (van Dick & Stegmann, 2013, S.45 f.). In einer „berufsgruppenvergleichenden Studie zum Belastungserleben“ wird deutlich, dass gerade Lehrkräfte einem hohen Risiko „arbeitsbedingter psychischer Erschöpfung“ ausgesetzt sind (Blossfeld, 2014, S. 56). Ehinger & Henning (1994) sprechen von einer „erschreckend hohe[n] Zahl von Lehrer/innen, die nicht psychisch oder physisch gesund [sind,](bzw. gar nicht) die Pensionsgrenze erreichen“ (S.9).

Diese Tatsache zeigt die aktuelle Relevanz des Themas Stressentstehung und Stressbewältigung und begründet die Themenwahl dieser Arbeit. Grundlage bildet die Forschungsfrage „Supervision – Eine Maßnahme zur Stressbewältigung?“. Da diese Hausarbeit im Zuge der Lehrerausbildung verfasst wurde, wird sich die Feststellung der Eignung von Supervision zur Stressbewältigung vorrangig auf diesen Berufszweig konzentrieren.

Mit Hilfe unterschiedlicher Modelle soll im ersten Teil der Ausarbeitung eine theoretische Grundlage zur Begriffserklärung und Entstehung von Stress gelegt werden. Ältere Modelle werden hier nur kurz dargestellt und zusammengefasst, um die Entwicklung in der Stressforschung darzustellen. Der Fokus liegt allerdings auf dem aktuelleren transaktionalen Stressmodell und der Theorie der Ressourcenerhaltung. Anschließend werden die spezifischen Belastungen des Lehrerberufs, die zu Stresssituationen führen können, dargestellt. Neben dem Wissen über mögliche Belastungen und der theoretischen Erklärung zur Entstehung von Stress, sind für eine berufliche Professionalisierung Maßnahmen zur Bewältigung der Belastungen notwendig. So wird in Kapitel vier eine mögliche Variante, die sogenannte Supervision vorgestellt. Diese Methode wurde ausgewählt, da sie im Studium häufige Erwähnung fand, allerdings selten genauer thematisiert werden konnte. Unter Berücksichtigung der theoretischen Kenntnisse aus den vorherigen Kapiteln soll in Abschnitt fünf die Frage nach der Eignung von Supervision als Maßnahme zur Stressbewältigung durch die Anwendung auf zwei Studien und einem Fallbeispiel beantwortet werden.

Es wird vermutet, dass Supervision ein geeignetes Mittel zu Bewältigung von Stress, gerade bei Lehrkräften, darstellt. Hinsichtlich der kooperativen Arbeitsformen wird erwartet, dass durch den Perspektivwechsel eine erweiterte Betrachtungsweise antizipiert wird und so Ideen für neue Handlungsmöglichkeiten angeregt werden.

2. Entstehung von Stress – Stressmodelle und ihre Entwicklung

Stress ist ein gegenwärtiger Alltagsbegriff, der häufig verwendet wird. Aber was bedeutet Stress überhaupt? Eine gängige Gesundheitszeitschrift beschreibt den Begriff als eine „natürliche Reaktion unseres Körpers auf eine Herausforderung [, die] […] sich evolutionsbiologisch erklären“ lässt (Apothekenumschau 2018). Stress ist also kein neues Phänomen und hatte als Körperreaktion ursprünglich die Funktion, auf Gefahren zu reagieren und auf „Kampf und Flucht“ vorzubereiten (ebd.). Im Stresszustand sind zahlreiche körperliche Veränderungen festzustellen. So steigt z.B. der Blutdruck, die Sinneswahrnehmung wird spezifischer, die Atmung schneller, die Muskeln kontrahieren und es werden Stresshormone ausgeschüttet, die dem Körper extra Energie geben (vgl. ebd.). Eine Erklärung für dieses Phänomen bringt der reaktionsorientierte Ansatz nach Selye (1974). In den letzten Jahren wurden allerdings neue Stressmodelle entwickelt, sodass im Folgenden der reaktionsorientierte und reizorientierte Ansatz, als Vorstufe des transaktionalen bzw. interaktionistischen Ansatzes, inklusive der Ressourcenerhaltungstheorie, nur oberflächlich thematisiert werden.

Zum Verständnis der nachfolgenden Kapitel seien noch zwei relevante Fachausdrücke erklärt. Der Begriff Stressoren umfasst „Merkmale der Arbeitssituation, die das Auftreten negativer Beanspruchungen bei arbeitenden Menschen wahrscheinlicher machen und auch als Fehlbelastungen bezeichnet werden“ können (Krause, Dorsemagen & Baeriswyl in: Rothland, 2013, S. 61). Ressourcen sind hingegen „Gegebenheiten […], die negative Wirkungen von Stressoren abmildern und Gesundheit fördern können“ (ebd., S. 62).

2.1. Die Grundlage heutiger Stressmodelle - Der reaktionsorientierte & reizorientierte Ansatz

Bekannter Vertreter des reaktionsorientierten Ansatzes, auch als biologischer Ansatz bezeichnet, ist Hans Selye (1936, 1950, 1976) (vgl. Morgenroth, 2015, S. 22). Er stellte die Theorie auf, dass Stress, als abhängige Variable, durch bestimmte Ereignisse ausgelöst werden kann (ebd.). Darüber hinaus sei Stress aber eine reizunspezifische Reaktion des Körpers. Das Reaktionsmuster sei also, trotz unterschiedlicher Situationen, auch Stressoren genannt, gleich (vgl. Morgenroth, 2015, S. 22; Eichert, 2008, S. 81). Dieses reizunspezifische Reaktionsmuster wird auch als „allgemeines Adaptionssyndrom“ bezeichnet und wird in drei Phasen unterteilt, nämlich in die Alarm-, die Widerstands- und die Erschöpfungsphase (genauer: Morgenroth, 2015, S. 23, nach Selye 1936, 1974, s. Abb. 1).

Zahlreiche Autoren haben in den vergangenen Jahrzehnten diesen Ansatz kritisiert (vgl. Morgenroth, 2015, S. 24; Eichert, 2008, S. 82). Mason (1971; 1975) beispielsweise bringt als Kritikpunkt hervor, dass die körperlichen Reaktionen erst durch den Einfluss der Stressoren auf die Psyche auftreten (vgl. Morgenroth, 2015, S. 24). „Die Reaktionen [seien] in der äußeren Erscheinung [zwar ähnlich], doch unterscheiden sie sich hinsichtlich der auslösenden Emotionen (z. B. Ärger, Angst oder Wut) und physiologischen Prozesse des Organismus“ (Morgenroth, 2015, S. 24 nach: Henry & Stephens, 1977). Demnach sind Reaktionsmuster, entgegen Selyes Annahme, nicht immer einheitlich

In Folge dessen entwickelte Caplan (1964) den reizorientierten Ansatz, der auf der Annahme beruht, dass Stress eine unabhängige Variable ist (vgl. Morgenroth, 2015, S. 25). Stress wird hauptsächlich als eine psychische Belastung definiert, die durch bestimmte Stressoren ausgelöst wird (vgl. Morgenroth, 2015, S. 25 nach: Caplan, 1964). Anders als lange angenommen, sei Stress nicht zwangsläufig das Ergebnis „von tief greifenden Persönlichkeitsstörungen“, sondern vielmehr eine psychische Reaktion auf Umweltreize und „kritische Lebensereignisse“ (ebd.). Diese Reizsituationen bilden also in diesem Ansatz die sogenannten Stressoren (vgl. ebd.). In der sogenannten Live-Event-Forschung, in der Stress rein situationsbezogen verstanden wird, werden diese kritischen Lebensereignisse genauer definiert (vgl. Christ, 2014, S. 19). Es wird davon ausgegangen, dass je höher die Anzahl dieser kritischen Lebensereignisse, desto gravierender ist die Veränderungen im Leben unddesto höher die psychische und physische Belastung durch eine nötige Anpassungsleistung (vgl. Spektrum Akademischer Verlag).

Als Kritikpunkte dieser situationsbezogenen Sichtweise nennt Nitsch (1981) zum einen die fehlende Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Lebensereignisse (vgl. Morgenroth, 2015, S. 26 nach Nitsch 1981a: S. 42). Zum anderen wird die Nichtberücksichtigung eines Zusammenhangs verschiedener negativer Ereignisse, die sich unter Umständen beeinflussen könnten, kritisiert. Darüber hinaus stellt er fest, dass die negative Bewertung eines Ereignisses und die daraus resultierende psychische oder physische Reaktion eine subjektive Wahrnehmung ist, sie sich also je nach Individuum unterscheidet, ebenso wie die Maßnahmen und Möglichkeiten der Stressbewältigung (vgl. ebd.; Eichert, 2008, S. 82)

2.2. Der transaktionale Ansatz

Ein bekannter Vertreter des transaktionalen Stressmodells ist Richard Lazarus (1984). Dieser Ansatz stellt eine Erweiterung zum interaktionistischen (reizorientiertem) Stresskonzept dar, indem das Modell nicht allein von einer Interaktion zwischen Person und Umwelt ausgeht, sondern Stress als ein Wechselwirkungsprozess (Transaktion) zwischen diesen beiden Komponenten gesehen wird (vgl. Eisele, 2016, S.14). Darüber hinaus enthält dieser Ansatz eine kognitive Bewertungskomponente (vgl. Eichert, 2008, S. 83; van Dick & Stegmann, 2013, S. 46). Es findet also zusätzlich eine geistige Bewertung und Auseinandersetzung mit Reizen statt, eine sogenannte „subjektive und situative Einschätzung“, die dazu führt, dass eine Situation als Stress empfunden wird (Morgenroth, 2015, S. 26f. nach: Aldwin, 1994; Schwarzer, 2000). Demnach werden, anders als im reizorientierten Ansatz, Umweltfaktoren nicht weiter als Stressoren definiert (vgl. ebd.). Als Auslöser von Stress wird die „Beziehung zwischen einer Person und ihrer Umwelt […] [gesehen, die] von der Person als anstrengend oder als die eigenen Ressourcen übersteigend und das Wohlergehen gefährdend eingeschätzt wird“ (van Dick & Stegmann, 2013, S. 46 nach: Lazarus & Folkman, 1984, S. 21). Unterteilt werden die subjektiven Einschätzungen, auch „Appraisals“ genannt, in die primäre und die sekundäre Bewertungsphase und die Neubewertungsphase (Morgenroth, 2015, S. 27; van Dick & Stegmann, 2013, S. 46).

Schwarzer (2010) betitelt die erste Phase auch als Ereigniswahrnehmung oder Situationsmodell (Morgenroth, 2015, S. 27 nach Schwarzer 2000, S.15). Hierbei wird eine konkrete Situation hinsichtlich ihrer individuellen Relevanz überprüft. Es wird in Folge dessen bewertet, ob diese Situation zu Stress führt, sich positiv auf den Organismus auswirkt oder für das Empfinden überhaupt nicht relevant ist (vgl. Eichert, 2008, S. 83; van Dick & Stegmann, 2013, S. 46). Für diese Bewertung werden die Anforderungen der aktuellen Situation den individuellen Ressourcen gegenübergestellt (Morgenroth, 2015, S. 27). Dazu gehören etwa die personalen Ressourcen, also „Kenntnisse, Fertigkeit, Fähigkeiten etc., zur Bewältigung unterschiedlicher situationaler Anforderungen“, die sowohl körperlicher, psychischer, sozialer als auch materieller Natur sein können (Rothland, 2013, S. 12; vgl. Morgenroth, 2015, S. 28).

Häufig werden Situationen als stressrelevant bewertet, wenn eine Aussicht auf „[…] Schädigung/Verlust (eingetretener Schaden), Bedrohung (antizipierter Schaden) und Herausforderung (antizipierte Bewältigung)“ besteht (Eichert, 2008, S. 83; vgl. van Dick & Stegmann, 2013, S. 46).

Anschließend folgt die zweite Bewertungsphase, in der die Möglichkeiten der Situationsbewältigung überdacht und eine Entscheidung hinsichtlich einer oder mehrere passender Strategien getroffen wird (vgl. van Dick & Stegmann, 2013, S. 46). Einflussfaktoren dieser sogenannten Ressourcenwahrnehmung sind z.B. der „Grad der bewerteten Bedrohung […] [oder] der Grad der Hilflosigkeit […] sowie individuelle Persönlichkeitsfaktoren“ (Eichert, 2008, S. 83 f.). Die Bewältigung interner oder externer Anforderungen, welche vom Individuum „als anstrengend oder als die [eigenen] Ressourcen […] übersteigend eingeschätzt werden“ und „kognitive“ Veränderung nach sich zieht, wird als „coping“ bezeichnet (van Dick & Stegmann, 2013, S. 46 nach: Lazarus & Folkman, 1984, S. 141). Durch verschiedene Unterscheidungskategorien, wie beispielsweise der „zeitlichen Orientierung“ oder dem „thematischen Charakter“, entstehen laut Lazaraus und Launier (1978) am Ende 32 verschiedene Bewältigungsverhalten, die in dieser Arbeit aufgrund ihrer Komplexität nicht näher erläutert werden können (Eichert, 2008, S. 84 nach: Lazarus & Launier, 1978; vgl. Abb. 2). Grundsätzlich kann coping aber sowohl „[…] ein beobachtbares Verhalten als auch intrapsychische Prozesse beinhalten.“ (van Dick & Stegmann, 2013, S. 46).

Die ersten beiden Bewertungsphasen sind nicht klar voneinander zu trennen, da sie sich, u.a. durch ihr reziprokes Verhältnis zueinander überschneiden können (vgl. Morgenroth, 2015, S. 27). In der dritten Phase wird ein Fazit hinsichtlich der Funktionalität der gewählten Bewältigungsstrategie getroffen. Anschließend erfolgt eine Neubewertung der Situation, woraufhin die zuvor genannten kognitiven Schritte erneut durchlaufen werden (vgl. van Dick & Stegmann, 2013, S. 46). Eine zuvor als Bedrohung eingestufte Situation kann dann unter Umständen als eine Herausforderung wahrgenommen werden (vgl. Morgenroth, 2015, S. 28 nach: Folkman, 1984; Lazarus & Folkman, 1978).

Kritisiert wird neben der Komplexität dieses transaktionalen Ansatzes u.a. auch die „Vernachlässigung der Umweltvariablen“, indem man sich zu sehr auf die „interindividuellen Unterschiede“ konzentriere, objektive Einflüsse aber außenvorlasse (Morgenroth, 2015, S. 29 f. nach: Hobfoll & Buchwald, 2004; nach: Greif,1991).

2.3. Die Theorie der Ressourcenerhaltung

Die Theorie der Ressourcenerhaltung (conservation of resources-theory1 ), wurde von Stevan Hobfoll (1988, 1989, 1998) entwickelt. Erweiternd zum kognitiv-transaktionalem Stressmodell von Lazarus, welches Stress vor allem durch die subjektive und individuelle Wahrnehmung und Bewertung von Situationen erklärt, soll mit der COR-Theorie eine objektive Perspektive eingeführt werden (vgl. Buchwald & Hobfoll, 2013, S. 127). Hobfoll geht davon aus, dass Stress durch Bedrohung oder Verlust der eigenen Ressourcen hervorgerufen wird. Die dafür notwendigen „Bewertungen und Bewältigungsanstrengungen“ seien dabei von Menschen gleicher Kultur, aufgrund ähnlicher Lebensumstände, Weltanschauungen und Ideologien ähnlich (ebd.). Die COR-Theorie wird auch als „motivationale Stresstheorie“ bezeichnet, da Motivation als entscheidender Faktor zur Stressbewältigung angesehen wird. Motivation entwickelt sich laut Theorie aus dem Grundsatz, dass „Individuen danach streben, solche Dinge zu erhalten, zu vermehren und zu schützen, die sie wertschätzen“, diese Dinge bezeichnet man als Ressourcen (ebd.). Neben den Möglichkeiten eines Ressourcenverlustes ist auch der Aspekt des Gewinns nicht unerheblich. Erst durch beide Komponenten lassen sich Reaktionen und Bewältigungsverhalten von Individuen erklären und verstehen (Buchwald & Hobfoll, 2013, S. 128). Für den Erhalt sind unterschiedliche, von jedem Menschen individuell als wichtig eingeschätzte „Schlüsselressourcen“ notwendig (ebd.). Für die eine Person ist es möglicherweise die Gesundheit, für eine Andere eher „soziales Kapital“, z.B. in Form von Unterstützung durch seine Mitmenschen (Buchwald & Hobfoll, 2013; S. 128 nach: Lin, 2001).

Die Theorie der Ressourcenerhaltung setzt sich aus mehreren Prinzipien zusammen. So besagt das erste Prinzip, dass Ressourcenverluste schwerwiegender sind als Ressourcengewinne (Buchwald & Hobfoll, 2013; S. 129). Begründet wird dieses Prinzip mit der Feststellung, dass das Ausmaß eines Verlustes meist größer ist, es die Personen häufig schneller, z.T. unerwarteter trifft und auch nachhaltig Konsequenzen nach sich sieht (vgl. ebd.).

Hobfoll nimmt innerhalb der Ressourcen eine strukturelle Klassifizierung vor (vgl. Morgenroth, 2015, S. 33): Als erstes nennt er die Bedingungsressourcen, also Ressourcen, die voneinander abhängig sind, z.B. Arbeitsplatz und soziale Netzwerke (Buchwald & Hobfoll, 2013; S. 129) . Des Weiteren können die persönlichen Ressourcen, genauer gesagt „besondere Eigenschaften und Fähigkeiten von Personen“, also z.B. ihr Selbstwert, genannt werden (Morgenroth, 2015, S. 34; vgl. ebd.). Eine weitere Kategorie bilden die Objektressourcen, hiermit sind materielle Gegenstände wie etwa Nahrung oder Bücher gemeint. Sie sind z.T. überlebenswichtig oder dienen dem „Erhalt von Status und Selbstwertgefühl“ (Morgenroth, 2015, S.35). Und zuletzt bilden die Energieressourcen eine Unterkategorie, sie sind notwendig, um an andere Ressourcen zu gelangen, Beispiele hierfür sind „Zeit, Geld und Wissen“ (Morgenroth, 2015, S.35; Buchwald & Hobfoll, 2013; S. 129).

Um Ressourcenverluste abzuwenden, sich von „ihnen zu erholen und um neue Ressourcen zu gewinnen“ muss eine Person Ressourcen investieren (Buchwald & Hobfoll, 2013, S. 130.). Dieses zweite Prinzip lässt folglich den Schluss zu, dass Personen mit wenigen Ressourcen schlechter an Neue gelangen und sich vor einem Verlust auch schwerer schützen können (vgl. ebd.). Der individuelle Bestand von Ressourcen, den sich ein Mensch im Laufe der Jahre erarbeitet, nennt Hobfoll (2010) „resource caravan“ (ebd.). Als „Caravan Passageways“ bezeichnet er im übertragenen Sinn dementsprechend die Strecke, die für den Erwerb zurückgelegt werden muss. Um über diesen Weg eine neue Ressource entwickeln zu können, ist der soziale Rückhalt enorm wichtig. So wird berichtet, dass die „Wirkung von Social Support […] einer der sehr robusten Einzel-Prädiktoren für Resilienz“ darstellt (Buchwald & Hobfoll, 2013; S. 132 nach: Schumm, Briggs-Phillips, & Hobfoll, 2006).

Das dritte Prinzip der COR-Theorie besagt, dass „[…][o]bwohl Ressourcenverluste stärker wirken als Ressourcengewinne, […] Gewinne in Situationen, in denen Verluste vorherrschen, vermehrte Bedeutung“ bekommen (Buchwald & Hobfoll, 2013; S. 133 nach: Wells, Hobfoll, & Lavin, 1999). D.h. gerade in stressigen Phasen des Lebens sind Ressourcengewinne umso wichtiger und hilfreicher (vgl. ebd.).

Zusammenfassend geht es bei der COR-Theorie weniger um eine Stressbewertung als vielmehr um eine Stressbewältigung und ihre Hintergründe, auf die auch in dieser Arbeit der Fokus liegen wird.

3. Stress bei Lehrern – Charakteristische Belastungen im Berufsalltag

Der Lehrerberuf zählt zu den klassischen Helferberufen (vgl. Fengler, 1992, S.173). Charakteristisch für diese allgemeine Bezeichnung sind u.a. berufliche Elemente wie „Information und Kontrolle, Anleitung […] Unterstützung, Förderung und Erziehung, […] Begutachtung, Beratung“ (ebd.). Häufig seien gerade bei dieser Berufsgruppe Belastungen auf unterschiedlichen Ebenen zu erkennen, typischerweise z.B. der Glaube an eine „Verpflichtung, für andere Menschen da zu sein, bis hin zur Überforderung der eigenen Kräfte“ (ebd.).

Einer „subjektiven Prognose“ über die berufliche Zukunft von Lehrer/innen konnte entnommen werden, dass 49% der befragten Lehrkräfte unter „Berücksichtigung der eigenen gesundheitlichen Ressourcen“, ihren Beruf nicht bis zum regulären Rentenalter ausüben können (Blossfeld, 2014, S. 57). Diese Studie ist aufgrund einer kleinen Stichprobe wenig repräsentativ, lässt aber vermuten, dass die subjektiv wahrgenommene Belastung bei Lehrkräften sehr hoch ist (ebd.). Ob Lehrer/innen tatsächlich einer höheren Belastung als andere Berufsgruppen ausgesetzt sind, ist laut Pallasch (1991) „methodisch gesehen […] kaum zu beantworten“, da schon allein die Persönlichkeiten und die Gründe für die Berufsentscheidung innerhalb der einen Berufsgruppe kaum zu vergleichen sind (S. 807).

In diesem Kapitel soll der Fokus daher auf den charakteristischen Belastungen und Anforderungen im Lehrerberuf liegen, weniger, ob diese gravierender als bei anderen Berufen ausfallen.

Belastungen sind berufsbezogene Umweltfaktoren, die auf die Person einwirken und zu positiven oder negativen Reaktionen führen können. Unterschieden wird zwischen objektiven Belastungen (psychophysiologisch nachweisbare Umweltmerkmale wie z.B. Lärm oder organisatorische Strukturen) und subjektiven Belastungen (individuelle Wahrnehmung und Interpretation von Umweltbedingungen). (Kunter & Pohlmann, 2015, S. 274)

Anforderungen sind dagegen eher positiv konnotiert. Werden Personen gewissen Anforderungen nicht gerecht, können diese als Belastung wahrgenommen werden (vgl. ebd.). Doch woran liegt es, dass der Beruf des Lehrers/ der Lehrerin häufig, vor allem von Lehrer/innen selbst, als einer der stressreichsten Berufe angesehen wird (Hillert, Koch & Lehr, 2013, S. 806)?

Tatsache ist, dass die Lehrertätigkeit sehr komplex ist. Als erstes Feld ist hier die allgemeine Lehrtätigkeit zu nennen (Kunter & Pohlmann, 2015, S. 262). Hier begegnen Lehrkräfte oft den ersten Herausforderungen. Auf der einen Seite muss der Unterricht geplant werden. Dies ist, vor allem in den ersten Jahren sehr zeitintensiv. Trotz aller Vorbereitung ist der Verlauf einer Unterrichtsstunde und eines Arbeitstages oft wenig planbar. Im Unterricht selbst ist es die Aufgabe des Lehrers/ der Lehrerin für ein angenehmes Lehrklima zu sorgen. Es gibt unterschiedliche Klassen mit unterschiedlichen Charakteren, mit unterschiedlichen Leistungsniveaus, unterschiedlichen Interessen und unterschiedlich großer Arbeitsmotivation (vgl. ebd.). Auf der einen Seite sollen alle Schülerinnen und Schüler2 individuell gefördert werden, auf der anderen Seite findet Unterricht häufig in Gruppen statt, was einer individuellen Förderung entgegensteht. Während eines Arbeitstages müssen viele kleine, oftmals aber auch weitreichende Entscheidungen z.T. innerhalb von Sekunden getroffen werden (vgl. Hillert, Koch & Lehr, 2013, S. 806). Neben dem Unterricht müssen Arbeiten und Tests korrigiert, Mitarbeitsnoten vergeben, Ausflüge oder Klassenfahrten geplant und geleitet und Gespräche mit Eltern geführt werden (vgl. Kunter & Pohlmann, 2015, S. 262). Lehrer-, Klassen-, Fach- und Schulkonferenzen kommen zusätzlich zum Arbeitsaufwand hinzu.

Neben den allgemeinen Aufgaben beinhaltet dieser Beruf also auch einige andere Tätigkeiten, die häufig auch flexibel von Zuhause wahrgenommen werden können. Dies wird häufig als Vorteil gesehen, kann aber auch dazu führen, dass privates und berufliches vermischt werden (vgl. Hillert, Koch & Lehr, 2013, S. 807).

Obwohl eine Lehrperson gewisse gestalterische Freiheiten genießt, unterliegt sowohl der Unterricht an sich, als auch das allgemeine Handeln, Einschränkungen, Kontrollen, Erwartungen und Vorgaben der Öffentlichkeit und Bildungspolitik (vgl. Kunter & Pohlmann, 2015, S. 262 nach: Lortie, 1975). Kritisiert wird außerdem, dass Lehrer/innen einigen Anforderungen und Aufgaben ausgesetzt sind, für dessen Bewältigung sie nicht ausreichend ausgebildet sind oder sich nicht entsprechend ausgebildet fühlen, z.B. beim Umgang mit SuS mit besonderem Förderbedarf (vgl. Schlee & Mustzeck, 1996, S.9).

Trotz der hohen Erwartungen bemängeln viele Lehrer/innen eine geringe Wertschätzung ihrer Arbeit, auch wenn diese in den letzten Jahren stetig zugenommen hat (vgl. Kunter & Pohlmann, 2015, S. 262 nach: Osterwald, 2003; Institut für Demoskopie Allensbach, 2011).

In Deutschland haben Lehrkräfte einen relativ sicheren Arbeitsplatz, so werden unbefriedigende Arbeitsleistungen häufig nicht geahndet, es sei denn, es gehen einige Beschwerden über eine Lehrkraft ein. Das Grundproblem liegt hierbei aber grundsätzlich bei der Messung der Arbeitsleistung, da sie schwer zu operationalisieren ist. Hinzu kommt, dass Lehrpersonen, die besonders engagiert sind, gewissenhaft Unterricht planen und ihren weiteren Aufgaben vollends nachkommen, nur geringe Aufstiegsmöglichkeiten haben. Darüber hinaus steigt das Gehalt mit den Berufsjahren nur minimal an. Die Arbeitsleistung wird, im Unterschied zu Jobs in der freien Marktwirtschaft, nur begrenzt berücksichtigt (vgl. ebd.).

Kunter und Pohlamnn (2015) ziehen daher das Fazit, dass der Lehrerberuf sehr vielseitig ist und „im täglichen Handeln hohe Konzentration und Anstrengung erfordert, und langfristig gesehen vor allem Anforderungen an die selbstregulativen Fähigkeiten der Lehrer stellt“ (S. 263)

4. Supervision – Ihre Grundlagen, Inhalte, Formen und Ziele

Der Begriff Supervision stammt vom lateinischen Wort „subvidere“ und bedeutet so viel wie „von oben her überblicken“ (Pallasch, 1991, S. 18). Gleichgesetzt oder bevorzugt werden häufig die Begriffe „Beratung, kooperative Beratung, Praxisberatung, Praxisanleitung“ gebraucht (Pallasch, 1991, S. 17). Das liegt u.a. daran, dass der Supervisionsbegriff häufig mit negativen Elementen, wie „Kontrolle, Überwachung, Besserwisserei, Entmündigung“ assoziiert wird und sich so im Laufe der Jahre Begriffsalternativen herausgebildet haben (Denner, 2000, S. 12).

Die Supervision ist in erster Linie eine fachliche Beratung und Begleitung eines Supervisanden durch einen Supervisor und zwar – und das ist in diesem Zusammenhang wichtig – ohne eine formale Bewertung oder Beurteilung. In zweiter Linie ist Supervision auch eine psychologische – oder besser: psychohygienische – Instanz für persönliche Sorgen und Probleme des Supervisanden. Supervision versteht sich auch als eine Entlastungsinstanz für berufliche Beschwerden. (Pallasch, 1991, S. 31)

Der Supervisor ist in diesem Sinne ein „Fachmann für Fachleute“. Während diese Aufgabe in früheren Zeiten oftmals von „erfahrenden Psychotherapeuten, Gruppendynamikern und Sozialarbeitern“ übernommen wurde, besitzen heutige Supervisoren eine entsprechende spezielle Zusatzqualifikation (Fengler, 1992, S. 181). Diese gibt „ihm Fähigkeiten und Fertigkeiten an die Hand […], eine Praxisberatung (Fallberatung) unter Beachtung spezifischer Kriterien durchzuführen.“ (Pallasch, 1991, S. 32). Diese Qualifikation erhält er durch eine separate Ausbildung, deren Inhalte neben der Fach- und Sachkompetenz des jeweiligen Arbeitsfeldes […] vor allem diagnostisch-analytische, wahrnehmungspsychologische, kommunikationstheoretische, interaktionstheoretische, gruppendynamische und gesprächspsychotherapeutische (klientenzentrierte) Elemente“ sind (ebd.).

[...]


1 Abkürzung von nun an: COR-Theorie

2 Abkürzung von nun an: SuS

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Supervision. Eine Maßnahme zur Stressbewältigung?
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Note
1,7
Autor
Jahr
2018
Seiten
25
Katalognummer
V502251
ISBN (eBook)
9783346022073
ISBN (Buch)
9783346022080
Sprache
Deutsch
Schlagworte
supervision, eine, maßnahme, stressbewältigung
Arbeit zitieren
Cathrin Esser (Autor:in), 2018, Supervision. Eine Maßnahme zur Stressbewältigung?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/502251

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