Vertrauen als Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität anhand Luhmanns Werk

Möglichkeiten, Grenzen und Gefahren dieser Reduktion


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Vertrauen
1.1 Der Vertrauensbegriff in der Literatur
1.2 Der Vertrauensbegriff bei Luhmann
1.2.1 Der Bezug zur Zeit
1.2.2 Vertrautheit
1.2.3 Generalisierung von Erwartungen durch Vertrauen
1.2.4 Persönliches Vertrauen und Systemvertrauen

2. Vertrauen und Komplexität
2.1 Komplexität
2.2 Vertrauen als Reduktion von Komplexität
2.3 Vertrauen nach Luhmann: Versuch einer Definition

3. Möglichkeiten, Grenzen und Gefahren der Reduktion sozialer Komplexität durch Vertrauen
3.1 Möglichkeiten der Reduktion sozialer Komplexität durch Vertrauen
3.2 Grenzen und Gefahren der Reduktion sozialer Komplexität durch Vertrauen

4. Schluss
4.1 Zusammenfassung
4.2 Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Vertrauen

1.1 Der Vertrauensbegriff in der Literatur

In der Literatur über Vertrauen gibt es sehr unterschiedliche Ansätze sich dem Phänomen des Vertrauens zu nähern. Eine entscheidende Differenz bildet die gewählte Perspektive. Die wichtigsten Untersuchungsperspektiven sind die der Soziologie, der Psychologie und der Kommunikationswissenschaft. Darüber hinaus unterscheidet sich die Literatur in der Betrachtung entweder des persönlichen oder des generalisierten, des Systemvertrauens bzw. als Verständnisebene des zwischenmenschlichen und des systemischen Vertrauens. Die Literatur bezieht sich zum Teil auf die Ursachen für das Zustandekommen von Vertrauen. So meint Schottlaender:

„Vertrauen resultiert aus bisheriger Erfahrung und der Hoffnung auf das Gute im Menschen“.[1]

Uwe Laucken stellt die Erwartungs- und Planungssicherheit in den Vordergrund wenn er schreibt, dass es beim Vertrauensbegriff letztlich:

„... um Erwartungs- und Planungssicherheit in (sozialen) Beziehungen in einem riskanten und nichtvorhersehbaren Interaktionsraum...“[2]

geht.

Den verschiedenen Vertrauensdefinitionen ist gemein, dass sie vier Aspekte für die Konstituierung des Vertrauens anführen. Erstens den Aspekt des Vorhandenseins eines Risikos, zweitens den Aspekt der Information, drittens die Erwartung und viertens die Zeitperspektive.

Vertrauen ist immer mit einem Risiko behaftet, andernfalls handelt es sich nicht um Vertrauen, sondern um Kontinuitätserwartung, Hoffnung oder Gewohnheit. Vertrauen bietet die Möglichkeit in Austauschbeziehungen mit einem Risiko oder Unsicherheit umzugehen. Es ermöglicht sicheres Entscheiden und Handeln in Situationen, in denen nicht alles bis zum Letzten recherchiert und durchkalkuliert werden kann, da es mehr Informationen gibt als der Mensch verarbeiten kann. Anstelle von konkretem Wissen treten Erwartungen. Ohne Erwartungen gibt es keine Handlungsmotivation und Vertrauen ist eine Handlung. Diese Erwartungen beziehen sich auf etwas, dass in der Zukunft liegt. Somit ist Vertrauen eine Handlung, die ein Risiko eingeht, da auf Information verzichtet wird, die Erwartungen impliziert und in die Zukunft gerichtet ist.

1.2 Der Vertrauensbegriff bei Luhmann

Luhmann verwendet den Vertrauensbegriff in einer sehr weitreichenden Form, er beinhaltet fast jede Erwartungsbildung, so schreibt er, dass:

„Vertrauen im weitesten Sinne eines Zutrauens zu eigenen Erwartungen [...] ein elementarer Tatbestand des sozialen Lebens.“[3]

ist. Er analysiert das Vertrauen aus der Sicht der Soziologie und auf der Basis der kybernetischen Systemtheorie. Es handelt sich um eine funktionale Theorie des Vertrauens. In diesem Sinne geht es ihm um die Frage wie Handlungssysteme erhalten werden, um ihre Beziehung zwischen System und Umwelt und um die Bedingungen ihrer Ersetzbarkeit. Er stellt seinen Beobachtungen über Vertrauen einige Überlegungen voran.

1.2.1 Der Bezug zur Zeit

Zeit kann bezeichnet werden als die Beobachtung der Wirklichkeit aufgrund der Differenz von Vergangenheit und Zukunft. Die Gegenwart bewegt sich in der Zeit, denn in jedem Augenblick werden Vergangenheit und Zukunft neu geschaffen. Die Gegenwart ist so als Dauer trotz Wechsel beobachtbar, sie ist ein Kontinuum. Vertrauen ist auf die Gegenwart bezogen, es

„...kann nur in der Gegenwart gewonnen und erhalten werden.“[4]

Die Zukunft ist in ihrer Gesamtheit zu komplex um vom Menschen erfasst zu werden, dennoch sind die Menschen gehalten in die Zukunft gerichtet zu handeln. Nach Luhmann ist Vertrauen eine Möglichkeit diese Leistung, der Erfassung und Reduktion von Komplexität, zu erbringen.

1.2.2 Vertrautheit

Der Zusammenhang zwischen Vertrautheit und Vertrauen besteht in der Voraussetzung des Vertrauens durch Vertrautheit. Vertrautheit meint hier die anonyme, latent bleibende und intersubjektive Konstitution von Sinn und Welt. Dabei wird jedermann

„... als dasselbe miterlebend vorausgesetzt in der Leerform eines anderen Ichs, als „Man“.[5]

Durch diese Konstitution von Sinn und Welt wird die gegebene Komplexität der Welt dem Menschen nicht bewusst. Diese subjektive Ordnung, die vertraute Welt, bezieht sich immer auf die Vergangenheit, in ihr ist die Komplexität der Welt bereits reduziert. Vertrauen jedoch ist eine Handlung, die in die Zukunft gerichtet ist. Durch Vertrauen wird die Komplexität der zukünftigen Welt reduziert. Die Vertrautheit der Lebenswelt ist und bleibt die Grundlage für alle Handlungen. Für Luhmann ist sie die

„...Voraussetzung allen Vertrauens und allen Misstrauens.“[6]

1.2.3 Generalisierung von Erwartungen durch Vertrauen

Als Generalisierung wird ein Vorgang des Lernens bezeichnet, der auf der Grundlage bisheriger Erfahrungen diese verallgemeinert und damit eine Unabhängigkeit - im Sinne einer Loslösung - von spezifischen Erfahrungen ermöglicht. Luhmann nennt drei Aspekte, die für den Vorgang der Generalisierung von Erwartung durch Vertrauen für seine weiteren Betrachtungen wichtig sind. Der Vorgang der Generalisierung

„... involviert eine Teilverlagerung der Problematik von „außen“ nach „innen“, einen Vorgang des Lernens und eine symbolische Fixierung des Ergebnisses in der Umwelt.“[7]

Der erste Aspekt bezieht sich auf das Komplexitätsgefälle das es zwischen dem „außen“, der Wirklichkeit der Welt und dem „innen“, den Vorstellungen und Absichten gibt. Hier sieht Luhmann in den „inneren“ Vorstellungen der Menschen die Funktion Ordnung zu schaffen und Komplexität zu reduzieren. Ordnung entsteht, indem es „innen“ weniger Möglichkeiten und damit mehr Ordnung gibt als „außen“. Für das Vertrauen ist dies relevant, weil der Mensch dadurch

„... innere Sicherheit an die stelle äußerer Sicherheit...“[8]

setzt. Diese innere Sicherheit kann auf entgegengesetzte Weise zustande kommen und dennoch jeweils Vertrauen fundieren. Zum einen kann sie darauf beruhen, dass das Vertrauensobjekt eine unentbehrliche Funktion hat, so dass die Konsequenzen eines Vertrauensbruchs als Möglichkeit gar nicht erst zugelassen wird. Zum anderen kann sie genau darauf beruhen, dass der Ausfall des Vertrauensobjektes nur begrenzten Schaden stiften kann, da es ersetzbar ist. In beiden Fällen wird vertraut und in beiden Fällen ist die Grundlage des Vertrauens im „Inneren“ zu finden.

Der zweite Vorgang der Generalisierung beinhaltet einen Vorgang des Lernens, denn Vertrauen muss gelernt werden. Luhmann schreibt:

„Der Lernende schließt von sich auf andere zurück und ist dadurch in der Lage, seine Erfahrungen mit anderen zu verallgemeinern. Weil er sich selbst bereit fühlt, fremdes Vertrauen zu honorieren, kann er auch anderen Vertrauen schenken.“[9]

Die Voraussetzung für die Möglichkeit des Vertrauens ist das Urvertrauen. Es ist Grundlage des Selbstvertrauens, dass wiederum Voraussetzung für Vertrauenshandlungen und die Möglichkeit ist das Erlernen von Vertrauen zu lernen.

Im dritten Vorgang der Generalisierung geht es um die Spannung, die sich aus der Vereinfachung der Umwelt für das Vertrauen ergibt. Nach Luhmann werden durch die Rückprojizierung in die Umwelt

„...Menschen und soziale Einrichtungen, denen man vertraut [...] zu Symbolkomplexen.“[10]

Gemeint ist hier die Unsicherheit und Zerbrechlichkeit von Vertrauenshandlungen, die zur Handlungsfähigkeit notwendig sind, jedoch niemals ganz kontrolliert werden können. Es findet in dieser Hinsicht eine symbolische Kontrolle statt, eine Rückkopplung darüber, ob Vertrauen weiterhin gerechtfertigt ist oder nicht. Vertrauen ist so ein Risiko, das eingegangen werden muss und bei dem nur die Bereitschaft dazu kontrolliert werden kann. Ein Vertrauensbeweis widerspricht dem Wesen des Vertrauens, so funktioniert symbolische Kontrolle und Vertrauen unartikuliert.

1.2.4 Persönliches Vertrauen und Systemvertrauen

Die Unterscheidung von persönlichem bzw. interpersonellem und systemischem Vertrauen ist im Hinblick auf die Reduktion sozialer Komplexität von Bedeutung, da Luhmann eine konzeptionelle Trennung dieser beiden Vertrauensformen vornimmt. Für ihn

„...ist Vertrauen zunächst personales (und damit begrenztes) Vertrauen.“[11]

Persönliches Vertrauen ist immer auf einen konkreten Interaktionspartner bezogen, ist mit emotionale Grundlagen verbunden und ist ein Lernvorgang. Im Bereich des persönlichen Vertrauens ist dies ein evolutionärer Prozess mit einem stufenhaften Aufbau. Voraussetzung ist Vertrautheit, das Wissen, um Es setzt Selbstdarstellung und Fremdinterpretation voraus, damit der andere sehen kann, dass er mir vertrauen kann und ich erkennen kann, dass ich dem anderen vertrauen kann. Im persönlichen Bereich muss Vertrauen die Möglichkeit haben zurückgewiesen werden zu können. Es muss die Wahlmöglichkeit geben und damit auch die Möglichkeit der Enttäuschung. Für Deutsch weist persönliches Vertrauen Verhaltensweisen auf

,,...die (a) die eigene Verwundbarkeit steigern, (b) gegenüber einer Person erfolgen, die nicht der persönlichen Kontrolle unterliegt, und (c) in einer Situation gewählt werden, in der der Schaden, den man möglicherweise erleidet, größer ist als der Nutzen, den man aus dem Verhalten ziehen kann."[12]

Das persönliche Vertrauen basiert auf Vertrauenserweisen, die außerhalb der Logik liegen und nicht auf Systeme übertragbar sind. Die Bereitschaft zu vertrauen ist um so größer, je höher das Selbstvertrauen ist, denn selbstbewusstere Menschen können sich eine Enttäuschung eher leisten, bzw. vertragen eher einen Vertrauensmissbrauch.

Systemvertrauen bedeutet für den Akteur, in ein entpersonalisiertes System zu vertrauen, das unabhängig von ihm funktioniert. Für Luhmann impliziert es

„...einen bewusst riskierten Verzicht auf mögliche weitere Informationen, sowie bewährte Indifferenzen und laufende Erfolgskontrolle...“[13]

Es beruht auf Verlässlichkeit im Sinne einer immer gleichen Selbstdarstellung. Dies bedeutet, dass punktuelle Maßnahmen nicht vertrauensbildend sind, sondern nur ständige Maßnahmen können Vertrauen bilden. Die Bereiche des Systemvertrauens sind für Luhmann die Wirtschaft, also das Vertrauen auf die Stabilität des Geldes. Das Recht, hier ist es das Vertrauen auf die Gütigkeit von Gerechtigkeit und Gesetzen. Die Politik, das Vertrauen darauf, dass die Macht nicht missbraucht wird. Das Systemvertrauen ist kein aufbauendes Vertrauen. Es ist strenger geregelt als das persönliche Vertrauen, denn die Reaktionen des Systems auf Vertrauensmissbrauch sind Sanktionen. Vergeben und Verzeihen ist nur bei persönlichem Vertrauen möglich. Beim Vertrauen in Systemen gibt es keine Wahlmöglichkeit, Reaktionen sind nur systemintern möglich. Wie beim persönlichen Vertrauen bedarf es einer stetigen Rückkopplung, jedoch nicht einer besonderen Innengarantie. Deshalb ist es wesentlich leichter zu lernen als persönliches Vertrauen in immer neue Personen. Für beide Vertrauensebenen gilt, dass es einen Vertrauensvorschuss gibt und dass konsequente Handlungen Vertrauen ermöglichen, es wird durch Strukturen und Rhythmus stabilisiert. Dies sind Verhaltensweisen wie beispielsweise Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit.

[...]


[1] Schottlaender, Rudolf: Theorie des Vertrauens. Berlin, 1957. Seite 8

[2] Laucken, Uwe: Zwischenmenschliches Vertrauen. Rahmenentwurf und Ideenskizze. Oldenburg, 2001. Seite 18

[3] Luhmann, Niklas: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Stuttgart, 2000. S. 1

[4] ebd. Seite 13

[5] ebd. Seite 21

[6] ebd. Seite 26

[7] ebd. Seite 31f

[8] ebd. Seite 32

[9] ebd. Seite 35

[10] ebd. Seite 35

[11] ebd. Seite 27

[12] Deutsch (1962) In: Schmidke, Jeanette: http.//www.hausarbeiten.de/faecher/hausarbeit/psa/ 13584.htm, 2000 (Zugriff: 16.12.2005) Seite 2

[13] Luhmann, N.: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Stuttgart, 2000. S. 27

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Vertrauen als Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität anhand Luhmanns Werk
Untertitel
Möglichkeiten, Grenzen und Gefahren dieser Reduktion
Hochschule
Freie Universität Berlin  (FB Publizistik- und Kommunikationswissenschaften)
Veranstaltung
HS Trauen-Vertrauen-Misstrauen in der Kommunikation
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
22
Katalognummer
V50211
ISBN (eBook)
9783638464765
Dateigröße
492 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Luhmann, Vertrauen, Eine, Methode, Reduktion, Komplexität, Möglichkeiten, Grenzen, Gefahren, Reduktion, Trauen-Vertrauen-Misstrauen, Kommunikation
Arbeit zitieren
Monika Skolud (Autor:in), 2006, Vertrauen als Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität anhand Luhmanns Werk, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50211

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