Musikinstrumente und Personifizierungen im "Berner Totentanz".

Eine Bildanalyse


Essay, 2018

20 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Bildanalyse I
2.1 Konzert im Beinhaus
2.1.1 Der Dudelsack
2.1.2 Die Trompeten
2.1.3 Der mittelalterliche Zink

3. Bildanalyse II
3.1 Tod und Priester
3.2 Tod und Kaiser
3.3 Tod und Königin
3.4 Tod und Dirne

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

6. Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

Der Berner Totentanz ist das wohl bedeutendste Werk des Schweizer Malers und Dichters Niklaus Manuel Deutsch. Der aus insgesamt 46 Einzelbildern bestehende Totentanz entstand in Gemälden und Versen in den Jahren 1516–1519 und wurde auf die Innenseite der Mauer des Laienfriedhofs im Dominikanerkloster in Bern aufgetragen. Nachdem Albrecht Kauw glücklicherweise 1649 den gesamten Totentanz Deutschs kopierte, wurde dieser 1660 vollkommen zerstört.1

Wann genau das Thema des Totentanzes entstanden ist und wo dessen Ursprung liegt, ist unbekannt, er soll seine Wurzeln aber mindestens in drei Teilbereichen haben.2 Zum einen findet man das Thema des Tanzes, dessen Verbindung mit dem Tod auf den ersten Blick äußerst sonderbar erscheint und einen Widerspruch in sich birgt, bedenkt man, dass ein Toter eigentlich nicht mehr tanzen können dürfte. Der Tanz ist Sinnbild des Lebens, wodurch die Verbindung zwischen Tanz und Tod eine gewisse Ironie ausdrückt. Der Tod ist das Gegenbild des Lebens und gerade dieser ruft den Menschen auf dem Weg in das Beinhaus durch den Tanz die Vergänglichkeit des Lebens ins Bewusstsein.3 Eine zweite Wurzel findet sich in den sogenannten Vadomori-Gedichten, die gegen Ende des 13. Jahrhunderts aufkamen und in denen sich Repräsentanten einzelner Stände in Doppelversen über ihr Schicksal und ihren bevorstehenden Tod beklagen. Hier liegt der Ursprung eines weiteren Merkmals des späteren Totentanzes: die Gruppierung nach Ständen. Die dritte Wurzel befindet sich in der Legende von den drei Leben und den drei Toten, was wiederum für das Doppelgänger-Motiv und den dialogischen Charakter des Totentanzes von essentieller Bedeutung ist.4 Auch die im Jahr 1347 ausbrechende Pest war mit Sicherheit ein elementarer Einfluss auf die Entstehung der Totentänze. Denn genau wie der Tod begegnete auch die Pest den Menschen als Gleichmacher, der keinen Unterschied zwischen reich oder arm, jung oder alt machte.5

Die vorliegende Seminararbeit beschäftigt sich mit der Frage, ob Niklaus Manuel Deutsch bestimmte Standesvertreter und Musikinstrumente bewusst in Kombination abgebildet hat, oder ob diese Kombinationen willkürlich erfolgten. Diesem Essay liegt die Annahme zugrunde, dass Letzteres der Fall war, und dass die Zuteilung der im Berner Totentanz vorkommenden Musikinstrumente, welche von den musizierenden Gerippen gespielt werden, zu bestimmten Standesvertretern nicht dem Zufall überlassen wurde. Niklaus Manuel Deutsch hat die Instrumente und Personen der verschiedenen Stände bewusst miteinander kombiniert. Die erste Analyse des Bildes Konzert im Beinhaus, bei dem ein vierköpfiges Totenorchester dargestellt ist, soll eine Erklärung dazu geben, wieso sich der Maler explizit für diese vier Musikinstrumente entschied. Im Zuge der zweiten Analyse und Interpretation vier ausgewählter Einzelbilder soll die zuvor erwähnte Annahme weiter bekräftigt werden. Folgende Bilder werden untersucht: Tod und Priester, Tod und Kaiser, Tod und Königin sowie Tod und Dirne. Zu Beginn der ersten Analyse werden kurz die Charakteristika der abgebildeten Instrumente und für die Arbeit wesentliche Informationen über diese angeführt, während in einem weiteren Schritt die typischen Verwendungsweisen der Musikinstrumente im Spätmittelalter bzw. in der frühen Renaissance erläutert werden. Im Weiteren erfolgt die Interpretation und Analyse der vier ausgewählten Einzelbilder und des miteinander in Beziehung Setzens der Instrumente und Standesvertreter. Ziel dieser Arbeit ist es, durch die Interpretation und Analyse einzelner Bilder die Annahme, dass die Kombination bestimmter Instrumente und Personifizierungen nicht willkürlich erfolgte, sondern beabsichtigt war, zu bestärken, um so einen – wenn auch nur kleinen – Beitrag zur mittelalterlichen Ikonographie zu leisten.

2. Bildanalyse I

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Konzert im Beinhaus

2.1 Konzert im Beinhaus

Dieses Bild stellt die ersten musizierenden Gerippe des Berner Totentanzes dar. Sie bilden das vierköpfige Totenorchester, welches den Standesvertretern auf ihrem Weg ins Beinhaus musikalisches Geleit gibt und ihnen zum letzten Tanz aufspielt. Folgende Instrumente wurden hier laut Tripps abgebildet: Ein Dudelsack, eine Trompete, eine Busine und ein Zink.6 Sie alle gehören zur Gruppe der Aerophone (Windinstrumente)7, wofür auch die Bezeichnungen Fistula und Tibia gebräuchlich waren und die im Mittelalter immer wieder dem Teufel und Dämonen zugeordnet wurden.8 Da die Tibia oft bei Leichengängen gespielt wurde, bezeichnete man sie auch als tibia mortis. Den Klang der Fistula bezeichnete man häufig als tonus fistulae mortis, worunter man ein „hellisches pfeifen schreien“ verstand.9 Dies könnte möglicherweise ein Grund dafür sein, dass im Berner Totentanz fast ausschließlich Aerophone dargestellt werden. Bei Windinstrumenten können Töne einzig und allein durch Lufteinwirkung erzeugt werden.10 Kirchenväter sahen die Nähe von Fistula und Tibia zu Tod und Teufel schon alleine dadurch begründet, dass sie die klassischen Instrumente von Dionysos, Gott des Weines, der Freude und der Fruchtbarkeit, des Wahnsinns und der Ekstase11, und Pan, der Hirtengott, der für seine Wollust bekannt ist und oft mit Dionysos in Verbindung gebracht wird12, darstellten.13

2.1.1 Der Dudelsack

Der Ursprung des Dudelsacks ist unbekannt, jedoch reicht seine Geschichte bis weit vor das Mittelalter zurück. Während in früherer Zeit noch zwischen Dudelsack und Sackpfeife unterschieden wurde, hat sich der Begriff des Dudelsacks heute durchgesetzt und wird als Überbegriff aller Arten von Sackpfeifen benutzt bzw. als gleichwertiger Begriff angesehen. Der Begriff Dudel leitet sich vom slawischen Dudy ab, worunter man früher die Bockspfeife verstand, und bezeichnet somit den Teil, der die Pfeife des Instruments14 bildet, während das zweite Glied -sack auf den sackförmigen Teil, der meist aus Tierbalg hergestellt wurde, hinweist. Seit dem 14. Jahrhundert ist das Instrument mit Bordunpfeifen, deren Anzahl zwischen zwei und drei Stück variieren kann, ausgestattet.15 Mit diesen können gleichbleibende und durchgehende Bass- oder Quinttöne und somit ein starkes musikalisches Fundament erzeugt werden.16

Ikonographisch wurde der Dudelsack sowohl in den Händen von Teufeln und Engeln, als auch von Mönchen, Kaisern und Königen, Bürgern, Bauern, Bettlern und Vagabunden dargestellt und hat im Laufe der Zeit alle Höhen und Tiefen eines Musikinstruments durchlebt. Er wurde geschätzt und geachtet, verdammt und gefürchtet, vergessen und wieder entdeckt. Vom Hochmittelalter bis in die Renaissance war der Dudelsack ein omnipräsentes Instrument in allen Volksschichten, das man bei Schlachten und religiösen Prozessionen genauso einsetzte wie in Burgen, Schlössern und Kirchen, Wirtshäusern, Badestuben und Bordellen. Obgleich die Sackpfeife in vielerlei Hinsicht Verwendung fand, lag das Haupteinsatzgebiet dieser am Hof, zu repräsentativen Anlässen wie zum Beispiel zur Begrüßung hoher Gäste, zur Umrahmung von Amtshandlungen, zu Festzügen oder zu Prozessionen.17 Wolfram Tuschner, Musikforscher und Kulturhistoriker aus Wels, beschreibt das Ansehen des Dudelsacks im ausgehenden 16. Jahrhundert folgendermaßen:

„[…] war der Ruf des Dudelsacks und auch der Schalmei in Deutschland bereits ins Bodenlose gesunken. Inquisitionen und Hexenwahn sahen in ihnen Instrumente des Bösen, auf denen dem Teufel ergebene Spielleute oder gar Dämonen selbst die Tanzmusik auf Hexenfesten und satanischen Orgien exekutierten.“18

Niklaus Manuel Deutsch hat den Dudelsack bewusst als einen der vier Instrumente des Totenorchesters gewählt. Zum einen wurden Windinstrumente den höllischen Sphären zugeordnet und als Todes- oder Teufelsinstrumente gestempelt. Aus diesem Grund liegt die Nähe zum dämonischen, zum höllischen, zum Tod sehr nahe. Die Toten, die als Gehilfen des Todes angesehen werden können, spielen besessen und wild den dargestellten Personen zum Tanz auf und führen sie damit auf direktem Wege in das Beinhaus, das als Symbol für den Tod gedeutet werden kann. Außerdem war er eines der wenigen Instrumente, die im Lauf seiner Existenz in allen gesellschaftlichen Schichten des Mittelalters vorkam und präsent war. Auch im Totentanz ist es so, dass die Vertreter aller Stände, angefangen vom Papst über den Kaiser, bis hin zur Dirne und dem kleinen wehrlosen Kind von den Gerippen ins Beinhaus gezerrt werden und dabei vom Totenorchester begleitet werden. Die Darstellung des Todes als Einebner, als jemand, der keine Unterschiede zwischen den Menschen macht, kann auch auf den Dudelsack übertragen werden. Er spielt allen Figuren des Totentanzes zum letzten Geleit, egal ob Papst oder armer Mann. Ferner fand der Dudelsack Verwendung bei Festzügen, Prozessionen und repräsentativen Anlässen am Hof, wie es auch im Berner Totentanz der Fall ist. Die Standesvertreter werden bildlich präsentiert und folgen den Toten auf ihrem letzten Weg. Legt man alle Bilder des Berner Totentanzes nacheinander auf, erweckt es wirklich den Anschein eines Festzuges und bekommt einen prozessionshaften Charakter. Ein weiterer Grund könnte womöglich gewesen sein, dass er das einzige der vier Instrumente ist, welches durchgehend und ohne Unterbrechung gespielt werden kann. Der Spieler kann den Luftstrom aufrechterhalten, indem er den Sack mit seinem Arm anpresst während er einatmet und den Luftvorrat wieder erneuert. Alle anderen Musizierenden müssen ihr Spiel immer wieder unterbrechen, um kurz Luft zu holen, was den Totentanz unterbrechen könnte. Folgender Gedanke könnte diese Theorie unterstützen: Ein Tanz wird stets von Musik begleitet und ist die Musik zu Ende, so hören die Menschen auf zu tanzen. Wenn die Musik beim Totentanz plötzlich aufhören würde, dann würden die Menschen den Tanz unterbrechen und könnten ihrem Schicksal so womöglich entrinnen. Durch den Dudelsack kann das dämonische Spiel ohne Unterbrechung fortgeführt und die Todgeweihten ins Beinhaus gezerrt werden.

2.1.2 Die Trompeten

Die weiteren Instrumente wurden von Tripps als Trompete und Busine bezeichnet.19 Da in Munrows Werk die Rede von Businen als lange und Claro oder Clarion als kurze mittelalterliche Trompeten ist und er selbst schreibt, dass der Begriff der Trompete wahllos verwendet worden zu sein scheint20, ist anzunehmen, dass Trompete als Überbegriff gebraucht wurde und es verschiedene Trompetenarten gab. Aus diesem Grund wird für die weitere Analyse von den beiden mittleren Instrumenten als lange Trompeten bzw. Businen ausgegangen und diese somit als dasselbe Instrument angenommen. Die frühe Trompete besaß weder Ventile noch Züge oder Grifflöcher und war deshalb auf das Hervorbringen von Naturtönen beschränkt. Darunter versteht man ausschließlich Töne, die mit einem offenen Rohr erzielt werden können. Da sie aus diesem Grund für das Spielen von Melodien sehr ungeeignet waren, wurden sie zur damaligen Zeit fast ausschließlich für Fanfarenmusik verwendet. Die typischen geraden Trompeten des Mittelalters waren meist über 180 cm lang, bestanden aus mehreren Metallteilen und besaßen ein ausladendes Schallstück. Diese Art der Trompete war allgemein bekannt als Busine, welches sich vom lateinischen Wort buccina ableitet21 und so viel wie horn- oder trompetenartiges Instrument bedeutet.22

[...]


1 Kettler, Wilfried: Der Berner Totentanz des Niklaus Manuel. Philologische, epigraphische sowie historische Überlegungen zu einem Sprach- und Kunstdenkmal der frühen Neuzeit. Bern: Peter Lang AG, Internationaler Verlag der Wissenschaften, 2009, S. 15.

2 Tripps, Johannes: Den Würmern wirst du Wildbret sein. Der Berner Totentanz des Niklaus Manuel Deutsch in den Aquarellkopien von Albrecht Kauw (1649). Bern: Verlag Bernisches Historisches Muesum, 2005, S. 7

3 Fest, Joachim: Der tanzende Tod. Über den Ursprung und Formen des Totentanzes vom Mittelalter bis zur Gegenwart. 1. Auflage. Lübeck: Lucifer-Verlag im Kunsthaus Lübeck, 1986, S. 5.

4 Ebd. S. 30.

5 Ebd. S. 8.

6 Tripps, Den Würmern wirst du Wildbret sein, S. 23.

7 Lughofer, Rudolf: Grenzenlos – Die Wiederkehr des Dudelsacks. Gedanken und Fakten über ein europäisches Instrument. Weitra: Verlag Bibliothek der Provinz, 2015, S. 46.

8 Kaiser, Gert: Der tanzende Tod. Mittelalterliche Tänze. 1. Auflage. Frankfurt am Main: Insel Verlag, 1983, S. 60.

9 Gert, Der tanzende Tod, S. 61.

10 Duden: https://www.duden.de/rechtschreibung/Aerofon.

11 Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Dionysos.

12 Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Pan_(Mythologie).

13 Gert, Der tanzende Tod, S. 60.

14 Lughofer, Grenzenlos – Die Wiederkehr des Dudelsacks, 50-51.

15 Relleke, Walburga: Ein Instrument spielen. Instrumentenbezeichnungen und Tonerzeugungsverben im Althochdeutschen, Mittelhochdeutschen und Neuhochdeutschen. Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag 1980, S. 134.

16 Duden: https://www.duden.de/rechtschreibung/Bordun.

17 Lughofer, Grenzenlos – Die Wiederkehr des Dudelsacks, S. 89-92.

18 Ebd. S. 95.

19 Tripps, Den Würmern wirst du Wildbret sein, S. 23.

20 Munrow, David: Musikinstrumente des Mittelalters und der Renaissance. Celle: Moeck Verlag, 1980, S. 32.

21 Ebd. S. 32.

22 Duden: https://www.duden.de/rechtschreibung/Bucina.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Musikinstrumente und Personifizierungen im "Berner Totentanz".
Untertitel
Eine Bildanalyse
Hochschule
Universität Salzburg
Note
2
Autor
Jahr
2018
Seiten
20
Katalognummer
V502095
ISBN (eBook)
9783346037435
ISBN (Buch)
9783346037442
Sprache
Deutsch
Schlagworte
musikinstrumente, personifizierungen, berner, totentanz, eine, bildanalyse
Arbeit zitieren
Josepha Stangassinger (Autor:in), 2018, Musikinstrumente und Personifizierungen im "Berner Totentanz"., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/502095

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