Aischylos' "Die Perser" - Eine Untersuchung zu Tragödie und Polis


Seminararbeit, 2004

18 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Entstehung der Tragödie

3. Aischylos

4. „Die Perser“

5. Tragödie und Polis

6. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Abwehr der persischen Expansion durch die Griechen im 5. vorchristlichen Jahrhundert erscheint als epochales Ereignis, welches die innergriechische Entwicklung entscheidend bestimmt hat und soziale, politische und kulturelle Kräfte freisetzte, die bis heute das abendländische Denken prägen. Liegen die Wurzeln von Demokratie, Geschichtsschreibung und Theater auch tiefer, so entfalteten sie sich doch erst in der Dynamik der Perserkriege mit seinen Folgen zu ihrer klassischen Form. Diese Auseinandersetzung erst hat so etwas wie eine kulturelle griechische Identität ermöglicht, die ihre stärksten Ausdrücke in den Historien des Herodot, aber auch im besonderen Maße, in der griechischen Tragödie, fand.

Aischylos´ “Die Perser“ ist in diesem Zusammenhang in vielerlei Hinsicht von Relevanz. Ist uns damit nicht nur das älteste vollständig erhaltene Drama überliefert, das gleichzeitig mit der Schlacht bei Salamis ein explizit zeitgeschichtliches Thema behandelte und damit die einzige erhaltene Tragödie nichtmythischen Inhalts darstellt, sondern auch geradezu ein Musterbeispiel für die identitätsstiftende und staatstragende Funktion der griechischen Tragödie in der attischen Polis. Letzteres wird als Hypothese vorangestellt, jedoch im Weiteren genauer zu überprüfen sein.

In der vorliegenden Arbeit sollen einzelne Aspekte der „Perser“ hinsichtlich seiner Interpretation und Rezeption untersucht und sein historischen Quellenwert bestimmt werden. Dazu wird einerseits ein Vergleich mit Herodot anzustellen sein und andererseits die Frage nach einer möglichen Parteinahme des Stückes für Themistokles erörtert werden. Darüber hinaus wird versucht eine zeitgeschichtliche Einordnung vorzunehmen, die die kulturelle Praxis der Tragödie allgemein in ihrer Tradition und Funktion für die Polisgemeinschaft genauer bestimmt. Dazu scheint es notwendig einen Blick auf die Entstehungsgeschichte der griechischen Tragödie zu werfen und Aischylos´ Position und Bedeutung in dieser Entwicklung festzumachen, um sich dann intensiver der Tragödie anzunehmen, die im engeren Sinne Gegenstand dieser Arbeit ist. Ausgehend davon sollen dann, soweit dies möglich ist, Rückschlüsse auf die Wechselbeziehungen zwischen Tragödie und Polis gezogen werden.[1]

Einer Untersuchung dieses Themenkomplexes stellen sich eine Reihe von Problemen in den Weg, die bei weitem nicht vollständig ausgeräumt oder umgangen werden können. Das erste und sicherlich schwerwiegenste ist die problematische Quellenlage, insbesondere zur Entstehung und dem Wesen der griechischen Tragödie. Als zentrale Schriftquelle steht hier Aristoteles´ Poetik recht verlassen als einzige kompakte Abhandlung zu diesem Thema. Zugleich hat man es dabei mit einem antiken Text zu tun, der wie kaum ein Zweiter ein ähnlich großes rezeptives Echo und eine entsprechende Deutungsvielfalt hervorgerufen hat, was den Umgang damit nicht unbedingt erleichtert. Doch dazu vielleicht zu gegebener Stelle etwas genauer. Neben den überlieferten Tragödientexten, zentral hier natürlich „Die Perser“, liegen eine unüberschaubare Vielfalt von Textfragmenten, Epigrammen, Vasenmalereien und anderer archäologischen Quellen vor, die Eingang in die Forschung gefunden haben, hier aber nicht im einzelnen dargestellt werden können, so dass ich mich diesbezüglich in erster Linie auf die vorhandene Forschungsliteratur stützen werde. Eine weitere wichtige Schriftquelle ist hier natürlich Herodot, der eine Reihe wichtiger Anhaltspunkte liefert und darüber hinaus den zentralen Bezugspunkt für den hier relevanten Zeitraum darstellt. Desweiteren scheint eine handschriftlich überlieferte Vita[2] aus dem Mittelalter über die Person Aischylos unentbehrlich. Hinzu kommt eine interessante Darstellung von Aischylos in der Komödie „Die Frösche“ von Aristophanes. Quellenkritische Betrachtungen zu den einzelnen Texten werden, soweit dies nötig oder sinnvoll erscheint, an entsprechender Stelle vorgenommen.

Die Literatur zum dargestellten Thema ist zum einen sehr vielfältig und unübersichtlich, zum anderen reich an kontrovers diskutierten Forschungspositionen. Zur Entstehungsgeschichte der Tragödie gibt Lesky[3] einen sehr guten Überblick, der sich der langen Forschungstradition und den damit verbundenen Problemen stellt. Zu Aischylos und seinen Persern sind eine Reihe von Monographien und Aufsätze erschienen, die in ihrer Gesamtheit den Bereich Leben und Person, sowie Werk und Deutung, soweit dies die Quellenlage zulässt, relativ erschöpfend darstellen, dabei aber zum Teil zu recht unterschiedlichen Ansichten gelangen. Ein Problem welches sich in der Betrachtung der gesellschaftlichen Funktion der Tragödie fortsetzt.

2. Entstehung der Tragödie

Auf die vieldiskutierte Frage nach dem `Ursprung´ der Tragödie, die so reich an Hypothesen wie sie arm an Quellen ist, lässt sich im Rahmen dieser Arbeit natürlich nur sehr oberflächlich und verkürzt eingehen. Ohnehin lässt sich darüber streiten inwiefern es Sinn macht bzw. überhaupt möglich ist ein so komplexes Phänomen auf eine anschauliche Ursprungsformel zu reduzieren. Aus diesen Gründen sollen hier lediglich einige Aspekte und Vorformen der Tragödie angesprochen werden, die eine grobe Entstehungsgeschichte bis zum Wirken von Aischylos illustrieren.

Die Bezeichnung `tragodia´ wird gewöhnlich mit `Bocksgesang´ übersetzt, oder auch `Gesang zum Bocksopfer´.[4] Diese Etymologie verweist auf vorhellenische Opfer- und Fruchtbarkeitsriten, welche durch Verwendung von Musik, Tanz, Masken und Kostümen als Urformen des kultischen Spiels angesehen werden könnten. Jedoch sind diese Praktiken zu allgemein verbreitet, als das man von ihnen konkrete Rückschlüsse auf die Entstehung und Einzigartigkeit der griechischen Tragödie ziehen könnte. Die Existenz von Bockschören und deren Verbindung mit dem Satyrspiel[5] scheint von der Forschung zum Teil ausgeräumt.[6] Die Hypothesen zu diesem Bereich sind aber nach wie vor äußerst umstritten,[7] und sind in diesem Zusammenhang von geringerem Interesse.

Unstrittig, geradezu wesenhaft, ist hingegen die Verbindung der Tragödie zum Dionysoskult, der schon zu mykenischer Zeit bekannt gewesen zu sein scheint,[8] sich jedoch erst im siebten Jahrhundert mit aller Macht in Griechenland ausbreitete.[9] Die Dionysosverehrung war vielen Wandlungen und lokalen Einflüssen ausgesetzt und vor allem bei der ländlich-bäuerlichen Bevölkerung (besonders auf dem weinreichen Peloponnes) äußerst beliebt, wobei er von aristokratischen Kreisen wohl eher distanziert, zum Teil gar als Bedrohung der öffentlichen Ordnung, wahrgenommen wurde.[10] Aristoteles verweist in seiner Poetik neben dem natürlichen urmenschlichen Drang zur Nachahmung[11] im wesentlichen auf drei Wurzeln aus denen sich die Tragödie herleitet, wovon zwei unmittelbar mit dem Dionysoskult verbunden sind.

Zum einen den Dithyrambos,[12] der als Chorlied zu Ehren des Dionysos von der Kultgemeinde im Wechselgesang mit dem Chorführer vorgetragen wurde, aber auch allgemein als Bezeichnung für Chorlyrik verstanden werden kann. Herodot behauptet Arion “[...] habe als den erster Mensch, soweit wir wissen, einen Dithyrambos gedichtet, ihm diesen Namen gegeben und in Korinth vorgetragen“[13]. Inwiefern Arion wirklich der `Erste´ war, sei hier dahingestellt, interessant ist hingegen, dass in Korinth unter dem Tyrannen Periandros bereits im frühen 6. Jahrhundert der Dionysoskult staatlich organisiert wurde.

Ein weiterer Hinweis aus der Poetik stellt dar, dass die Tragödie aus dem „Sartyrischen“[14] hervorgegangen sei. Was Aristoteles in diesem Zusammenhang nun genau darunter versteht, darüber ist viel spekuliert worden. Es deutet auf Maskentänze und Phallos-Umzüge, welche zum Teil in Verbindung mit chorischen Darbietungen und Improvisationen in Satyrkostümen im Rahmen des Dionysoskultes aufgeführt wurden und eine enge Verbindung zwischen Satyrspiel und Tragödie nahe legen. Diese Darstellungen waren eher von „[...] einer auf Lachen zielenden Redeweise [...]“[15] geprägt, so dass man davon ausgehen mag, dass der große feierliche Ernst der Tragödie sich erst allmählich ausgebildet hat. Für die Entwicklung der Tragödie aus dem Dionysoskult, welcher mit den Großen Dionysien stets den festlichen Rahmen bildete, ließen sich eine Vielzahl weiterer Belege anführen, nicht zuletzt „[...] die Überlegung, daß in der Ekstase des Dionysoskultes jener geheimnisvolle Vorgang der Verwandlung gründet, der für die Entstehung des Dramas die wichtigste Vorraussetzung überhaupt ist“[16].

Es tut sich ein gewisser Widerspruch zu dem „undionysischen Charakter der Tragödienstoffe“[17] auf, welche ihre Vorbilder im homerischen Heldenepos finden, womit ein dritter Einfluss auf die klassischen Tragödie von Aristoteles angeführt ist.[18] Dieser Einfluss hat zum Teil mit Kulturreformen griechischer Tyrannen im 6. Jahrhundert zu tun, die aus machtpolitischen Gründen den unaristokratischen Dionysoskult stark förderten und ihn mit lokalen oder auch importierten Heroenmythen verbanden.[19] Herodot berichtet von den religiösen Neuerungen des Kleisthenes von Sikyon,[20] welche eine ähnliche Rolle gespielt haben dürften wie die des Periandros in Korinth, zumal sich beide Orte in unmittelbarer Nachbarschaft befanden. Dazu wäre anzumerken, dass solche Aufführungen sicher auch an anderen Orten stattfanden, wovon wir keine Aufzeichnungen besitzen und dass die Verbindung von Chorlyrik und Heldensage eine wesentlich längere Tradition hatte. Darüber hinaus stellt sich die Frage inwiefern die teilweise recht vagen Äußerungen Aristoteles´, sowie natürlich auch die Schilderungen Herodots, diesbezüglich als Fakten oder als Hypothesen angesehen werden müssen. Darüber wird sich wohl keine absolut befriedigende Gewissheit herstellen lassen.

Als erster Tragiker, darüber scheinen sich eine Reihe von Quellen einig, wird Thespis angesehen, der auf dem von Peisistratos eingerichteten Stadtfest der Großen Dionysien in Athen um das Jahr 535 seine erste Tragödie zur Aufführung brachte.[21] Er trat als Sprecher zu seinem Chor, womit die für die griechische Tragödie typische Verbindung zwischen chorischem Gesang und gesprochenem Vers hergestellt wurde. Dieses Wechselspiel wurde im Weiteren von Thespis und seinen Nachfolgern, wie Choirilos, Phrynichos und Pratinas, weiter ausgebaut und verfeinert. Eine Entwicklung, die auch mit dem Wirken von Aischylos keineswegs abgeschlossen war. In Athen entfernte sich die Tragödie in ihrer Form, wie auch inhaltlich, weiter von ihren dorischen, ländlichen Vorformen und dem Satyrspiel mit seiner heiteren Ausgelassenheit, hin zum ernsten mythischen Trauerspiel.[22] Es scheint einen Kompromiss dargestellt zu haben, dass einer Tragödientrilogie ein Satyrspiel folgte, welches den tragischen Chor zuweilen regelrecht verjagte.

Man kann die klassische griechische Tragödie durchaus als eine attische Schöpfung betrachten, zumindest gelangte sie dort zu ihrer Vollendung. Doch herrschte schon zur Zeit Aristoteles´ Uneinigkeit über die Herkunft der Tragödie, wie auch der Komödie.[23] Es standen sich attische und dorische Ansprüche darauf gegenüber, so dass es unangebracht scheint darüber heute eine gültige Entscheidung treffen zu wollen.

[...]


[1] Polis meint in diesem Zusammenhang in erster Linie das Athen des 5. Jahrhunderts v.Chr.

[2] in: Aischylos: Werke und Fragmente, hrsg. u. übers. v. Oskar Werner, München u. Zürich 1988, S. 676-683.

[3] Lesky, A.: Die tragische Dichtung der Hellenen, Göttingen 1972.

[4] Vgl. Burkert, W.: Wilder Ursprung, Berlin 1990, S.16.

[5] Vgl. Wilamowitz-Moellendorff, U. v.: Eurpides Herakles Bd.I, Berlin 1959, S. 82ff.

[6] Vgl. Burkert, S. 14ff.

[7] Vgl. Lesky, S. 28ff.

[8] Vgl. Seeck, G. A.: Die griechische Tragödie, Stuttgart 2000, S.175.

[9] Vgl. Pohlenz, M.: Die griechische Tragödie, Leipzig 1930, S.25.

[10] Vgl. Seeck, S.175f.

[11] Aristot. poet. IV, 1448b 5-13.

[12] Aristot. poet. IV, 1449a 9-16.

[13] Hdt. I, 23.

[14] Aristot. poet. IV, 1449a 20.

[15] Aristot. poet. IV, 1449a 19.

[16] Lesky, S. 42.

[17] Ebd.

[18] Aristot. poet. IV, 1448b 35 – 1449a 2.

[19] Vgl. Lesky, S. 42ff.

[20] Hdt. V, 67.

[21] Vgl. Lesky, S. 49f.

[22] Vgl. Pohlenz, S. 35ff.

[23] Aristot. poet. IV, 1448a 29 – 1448b 2.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Aischylos' "Die Perser" - Eine Untersuchung zu Tragödie und Polis
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Veranstaltung
PS Die Perserkriege
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
18
Katalognummer
V50139
ISBN (eBook)
9783638464161
ISBN (Buch)
9783638776806
Dateigröße
522 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Aischylos, Perser, Eine, Untersuchung, Tragödie, Polis, Perserkriege
Arbeit zitieren
Robert Hanulak (Autor:in), 2004, Aischylos' "Die Perser" - Eine Untersuchung zu Tragödie und Polis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50139

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