Mitgliederentwicklung in Deutschland

Welche nationalspezifischen Faktoren tragen dazu bei, dass die Mitgliederentwicklung der deutschen Gewerkschaften anders verläuft als die Mitgliederentwicklung der Gewerkschaften in Großbritannien?


Seminararbeit, 2005

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Gewerkschaften in Deutschland und Großbritannien
2.1 Das Gewerkschaftssystem in Deutschland
2.1.1 Gründungsgeschichte der Gewerkschaften in Deutschland
2.1.2 Funktion der Gewerkschaften in Deutschland
2.2 Das Gewerkschaftssystem in Großbritannien
2.2.1 System der Gewerkschaften in Großbritannien
2.2.2 Funktion der Gewerkschaften in Großbritannien

3. Mitgliederentwicklung der Gewerkschaften in Deutschland und Großbritannien seit 1945

4. Einflüsse auf gewerkschaftliche Mitgliederentwicklung in Deutschland und Großbritannien
4.1 Zyklische Faktoren
4.2 Strukturelle Faktoren
4.3 Institutionelle Faktoren

5. Länderspezifische Mitgliederrekrutierung in Großbritannien und Deutschland

6. Résumée

Literaturverzeichnis

1. Vorwort

In der heutigen Arbeitswelt, in der Schlagwörter wie „freie Märkte“ und „flexible Arbeitszeiten“ eine große Rolle spielen, verlieren die Gewerkschaften sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland ihre Mitglieder.

Eine Gewerkschaft kann nur mit funktionierender Mitgliederbasis existieren, ohne sie verliert sie ihren Zweck, denn der Sinn einer Gewerkschaft, besonders in Deutschland ist es seine Mitglieder angemessen zu vertreten.

Die Frage, der ich mich in der vorliegenden Arbeit widmen möchte ist, aus welchen nationalspezifischen Gründen die Mitgliederentwicklung in Deutschland seit dem 2. Weltkrieg anders verläuft als in Großbritannien. Besonders das britische Gewerkschaftssystem kann man gut mit dem Deutschen vergleichen, da beide ähnliche Ursprünge haben, die Mitgliedsentwicklung oberflächlich betrachtet ähnlich verläuft, aber doch tiefgehende institutionelle Unterschiede bestehen.

Ich werde zuerst kurz die deutsche Gewerkschaftsorganisation von der britischen abgrenzen, um dann den Mitgliederverlauf der beiden Länder vor allem ab den siebziger Jahren zu dokumentieren und zu erläutern.

Das wirft dann die Frage nach den verschiedenen Einflüssen auf die Mitgliederentwicklung auf. Hier werde ich in drei Ansätze untergliedern: den zyklischen Ansatz, den strukturellen Ansatz und hauptsächlich den institutionellen Ansatz.

Der Hauptteil meiner Arbeit besteht dann aber, diese institutionellen Faktoren in Deutschland mit denen in Großbritannien zu vergleichen und abzugrenzen, um dann im Ergebnis meine Fragestellung, welche nationalspezifischen institutionellen Faktoren dazu beitragen, dass die Mitgliederentwicklung in Deutschland anders verläuft als in Großbritannien beantworten zu können.

2. Gewerkschaften in Deutschland und Großbritannien

2.1 Das Gewerkschaftssystem in Deutschland

2.1.1 Gründungsgeschichte der Gewerkschaften in Deutschland

Gewerkschaften haben sich Mitte des 19. Jahrhunderts als Vertragspartner von Unternehmerverbänden während der Industriellen Revolution entwickelt. Seit der Reichsgründung 1871 galten diese Gewerbeordnung sowie Koalitions- und Gewerbefreiheit im ganzen Deutschen Reich. Sie entstanden in einer Zeit, in der die Arbeiterschaft aufgrund der Landflucht in den rapide wachsenden Städten zunächst um ihr Existenzminimum ringen musste und die Unternehmer oft auch noch feudalistische Privilegien besaßen.

Es ging zunächst nicht darum, die Unterlegenheit der Arbeitnehmer beim Aushandeln von Arbeitsbedingungen auszugleichen, sondern man musste Gewerkschaften seit je her als Arbeiter-Kartell verstehen, welches lediglich daran interessiert war, die jeweilige Lage ihrer Mitglieder zu verbessern. Dazu schlossen sie sich zusammen und führten Arbeitskämpfe gegen die Unternehmer.[1]

Bevorzugtes Mittel des Arbeitskampfes war und ist der Streik. Über das Ziel eines reinen Ausgleiches der Bedingungen wurde aus politischen Gründen etliche Male hinausgeschossen, genauso wie es Gang und Gebe war, Gewerkschaften bzw. deren Vorformen zeitweise immer wieder zu verbieten oder gesetzlich zu behindern.[2]

2.1.2 Funktion der Gewerkschaften in Deutschland

Bei den deutschen Gewerkschaften sind im internationalen Vergleich vor allem die häufigen überbetrieblichen Tarifverhandlungen, die aufgrund der Tarifautonomie erfolgen, die im Grundgesetz geschützt ist charakteristisch.

Weiterhin steht Deutschland mit seinem System der Einheitsgewerkschaft im internatonalen Vergleich allein da.[3]

Heute sind in Deutschland Gewerkschaften ihrerseits als Interessengruppen gesetzlich privilegiert und sind zu sehr großen Organisationen herangewachsen, deren Aufgabe in erster Linie die Vertretung der in ihnen zusammengeschlossenen Mitglieder bei Tarifverhandlungen ist und deren Ziel es ist, die Ware „Arbeitskraft“ zu einem möglichst hohen Preis zu verkaufen.

2.2 Das Gewerkschaftssystem in Großbritannien

2.2.1 System der Gewerkschaften in Großbritannien

In Großbritannien hat sich, wie in kaum einem anderen europäischen Land ein extrem traditionsreiches und kompliziertes Gewerkschaftssystem entwickelt.

Es bestehen tausende wirtschaftliche Verbände und etliche Gewerkschaften. Zu den am besten organisierten gehören die National Farmer’s Union (NFU) und die British Medical Association (BMA).[4] Im Folgenden soll aber aus Platzgründen nur auf die Britischen Gewerkschaften eingegangen werden.

Diese sind generell im Trades Union Congress (TUC) zusammengeschlossen, der traditionell in enger Verbindung zur britischen Labour Party steht. Man kann sogar fast sagen, dass die Labour Party aus der Gewerkschaftsbewegung hervorgegangen ist, da diese maßgeblich an der Gründung der Partei im Jahre 1900 beteiligt waren und seitdem einen wichtigen Beitrag zu Finanzierung leisten.[5]

Bezeichnend ist in Großbritannien die enorme Anzahl an Gewerkschaften, die 1996 bei 245 lag, wobei hier anzumerken ist, dass sie im Jahre 1896 sogar bei über 1300 lag.[6] Dies ist meiner Meinung nach auf die größere Offenheit der Regierung gegenüber Gewerkschaften in ihrer Gründungszeit zurückzuführen, die in Deutschland zur Zeit der Sozialistengesetze so nicht gegeben war.

Diese starke Fragmentierung war besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts häufig Thema von Reformbemühungen, in denen Fusionen von Gewerkschaften und Großgewerkschaften empfohlen wurden.[7] Dies erfolgte jedoch nur darin, dass der Dachverband TUC zwischen den 60er Jahren und den 90er Jahren grundsätzlich keine neuen Organisationen mehr aufnahm, und die Fusionierung kleinerer Gewerkschaften forcierte.[8]

2.2.2 Funktion der Gewerkschaften in Großbritannien

Die grundsätzlichen Ziele der britischen Gewerkschaften liegen wie die der deutschen auch in der Vertretung der Interessen besonders in Hinblick auf Tarifverhandlungen mit den Arbeitgebern und zum Schutz der Arbeitnehmer.[9]

Jedoch ist das System Großbritanniens dadurch anders aufgebaut, dass es eine wesentlich stärkere Fragmentierung der Gewerkschaften gibt. Durch die erhöhte Anzahl von verschieden Arbeitnehmerinteressen in den verschiedensten Gewerkschaften müssen die Interessen wesentlich pluralistischer organisiert sein als in eher zentralistisch organisierten Gewerkschaftssystemen wie z.B. in Deutschland.[10]

Bis in die sechziger Jahre konnten die Interessen sogar innerhalb eines Betriebes in verschiedensten Gewerkschaften organisiert sein: von der Gewerkschaft des ungelernten Arbeiters bis zu der des Facharbeiters. Hier wurden auch jeweils eigene Tarifverhandlungen geführt. Erst im Laufe der Zeit entwickelte sich die Zusammenfassung in Arbeiter- und Angestelltenorganisationen.[11]

Die Rolle der Gewerkschaften ist in Großbritannien (so wie in Deutschland auch) heftig umstritten. In einer Zeit, in der Schlagwörter wie „freie Märkte“ und „flexible Arbeitsmärkte“ derart wichtig zu sein scheinen sehen die einen das Gewerkschaftssystem als ein eher hemmendes, die anderen jedoch als das so genanntes „Schwert der Gerechtigkeit“[12], dass als einzige Institution die Durchsetzungskraft einer globalisierten Marktwirtschaft bremsen könnte.[13]

3. Mitgliederentwicklung der Gewerkschaften in Deutschland und Großbritannien seit 1945

Man kann die Mitgliederentwicklung der Gewerkschaften in Deutschland und Großbritannien seit 1945 in drei Phasen einteilen:

1. Die Stagnationsphase der fünfziger und sechziger Jahre
2. Die Wachstumsphase zwischen Ende der sechziger Jahre bis 1980
3. Die Abschwungphase ab 1980

Im Folgenden möchte ich vor allem auf die zweite und dritte Phase der Mitgliederentwicklung eingehen. In den 50er und 60er Jahren stieg die Mitgliedschaft in Gewerkschaften in beiden Ländern zwar leicht an, konnte jedoch nicht mit der Beschäftigungsentwicklung mithalten.

In der zweiten Phase wuchs die Zahl der Mitglieder enorm an, der Organisationsgrad erhöhte sich deutlich.[14] In Deutschland stieg er zwischen 1970 und 1980 von 37,7% auf 40,6%, in Großbritannien von 49,7% (1970) auf 55,0% (1980).[15]

In den achtziger Jahren wandelte sich dieses Phänomen der steigenden Mitgliederzahlen. In beiden Ländern sank der Organisationsgrad der Gewerkschaften drastisch: In Deutschland sank er zwischen den Jahren 1980 und 1995 von 40,6 auf 35,1% und in Großbritannien von 55,0% (1980) auf 36,1%.

Es sieht also so aus, als ob die Mitgliederentwicklung der beiden Länder im Grunde seit dem zweiten Weltkrieg ähnlich verläuft.

Jedoch sind hier nur die Bruttoorganisationsgrade betrachtet. Schaut man auf konkrete Zahlen muss diese Aussage relativiert werden. Während in Deutschland die Zahl der Arbeitnehmer zwischen 1970 und 1995 kontinuierlich steigt (besonders zwischen 1990 und 1995, wahrscheinlich aufgrund der Wiedervereinigung; Anm. d. Verf.) bleibt sie in Großbritannien weithin konstant.

Die Prozentzahlen der Organisationsgrade, die sich in beiden Ländern so ähneln, kommen daher zustande, dass in Deutschland die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder langsamer wächst als die Zahl der Arbeitnehmer.

[...]


[1] Vgl. Hesse/Ellwein 1992: 145

[2] Beispiel hierfür ist die Sozialistengesetzgebung unter Bismarck zwischen 1878 und 1890; Anm. d. Verf.

[3] Funk (2003): „Der neue Strukturwandel- Herausforderung und Chance für die Gewerkschaften“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 47-48/2003

[4] Saalfeld 1998: 84

[5] ebd.: 85

[6] ebd.

[7] Hassel 1999: 91

[8] ebd.

[9] Saalfeld 1998: 85

[10] Hassel 1999: 91

[11] ebd.: 92

[12] „sword of Justice“; vgl. Wrigley 2002: 81

[13] Wrigley 2002: 81

[14] Organisationsgrad bedeutet in diesem Fall den Prozentsatz erwerbstätiger Personen, die in Gewerkschaften organisiert sind: Zahl der Gewerkschaftsmitglieder geteilt durch die Zahl der Arbeitnehmer[Anm.d.Verf.]

[15] Hassel 1999: 28 (Tabelle)

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Details

Titel
Mitgliederentwicklung in Deutschland
Untertitel
Welche nationalspezifischen Faktoren tragen dazu bei, dass die Mitgliederentwicklung der deutschen Gewerkschaften anders verläuft als die Mitgliederentwicklung der Gewerkschaften in Großbritannien?
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
17
Katalognummer
V50130
ISBN (eBook)
9783638464086
Dateigröße
581 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mitgliederentwicklung, Deutschland, Welche, Faktoren, Mitgliederentwicklung, Gewerkschaften, Mitgliederentwicklung, Gewerkschaften, Großbritannien
Arbeit zitieren
Maike Schölmerich (Autor:in), 2005, Mitgliederentwicklung in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50130

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