Soziale Phobie: Angeboren oder erlernt?


Examensarbeit, 2005

113 Seiten, Note: 1.5


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Soziale Phobie – eine Begriffsklärung

3. Diagnostik der Sozialen Phobie
3.1. Diagnoseverfahren
3.1.1. Interview
3.1.2. Fragebögen
3.1.3. Verhaltensbeobachtung
3.1.4. Physiologische Messungen
3.1.5. Tagebücher
3.2. Klassifikation der Sozialen Phobie
3.2.1. Klassifikation der Sozialen Phobie nach DSM-IV
3.2.2. Klassifikation der Sozialen Phobie nach ICD-10

4. Die Subtypen der Sozialen Phobie
4.1. Die spezifische Sozialphobie
4.2. Die generalisierte Sozialphobie

5. Erscheinungsformen der Sozialen Phobie
5.1. Die Emotion „soziale Angst“
5.1.1. Kognitiven Komponente
5.1.2. Neurophysiologische Komponente
5.1.3. Ausdruckskomponente
5.1.4. Motivationale Komponente
5.1.5. Gefühlskomponente

6. Epidemiologie

7. Ätiologie der Sozialen Phobie
7.1. Psychoanalytische Erklärungsansätze
7.1.1. Psychoanalytische Ursachenerklärung nach Freud
7.1.2. Psychoanalytische Ursachenerklärung nach Arieti
7.2. Biologische Erklärungsansätze
7.2.1. Genetische Disposition
7.2.2. Erregbarkeit und Sensibilität
7.2.3. Neurobiologische Abweichungen
7.2.4. Der Temperamentsfaktor
7.3. Lerntheoretische Erklärungsansätze
7.3.1. Klassische Konditionierungstheorie
7.3.2. Operante Konditionierungstheorie
7.3.3. Lernen am Modell
7.3.4. Preparedness-Theorie
7.4. Kognitive Erklärungsansätze
7.4.1. Defizite sozialer Fertigkeiten
7.4.2. Das Selbstdarstellungsmodell
7.4.3. Dysfunktionale kognitive Schemata
7.4.4. Selbstfokussierung und Sicherheitsverhalten
7.5. Familiäre Einflüsse
7.5.1. Erziehungsstil
7.5.2. Überbehütung
7.5.3. Frühkindliche Bindung
7.6. Gesellschaftliche Einflüsse

8. Verlauf der Sozialen Phobie
8.1. Beginn der Sozialen Phobie
8.2. Aufrechterhaltung der Sozialen Phobie – ein Teufelskreis
8.2.1. Vermeidungs- und Fluchtverhalten
8.2.2. Erwartungsangst – Die Angst vor der Angst
8.2.3. Angstbestätigende Erfahrungen
8.3. Der Teufelskreis – ein Modell
8.4. Behandlungsbeginn
8.5. Natürliche Entwicklung der Sozialen Phobie
8.6. Faktoren, die den Verlauf beeinflussen

9. Auswirkungen Sozialer Phobie
9.1. Beeinträchtigungen in Schule und Ausbildung
9.2. Berufliche Probleme
9.3. Schwierigkeiten in sozialen Beziehungen

10. Komorbidität mit anderen psychischen Störungen
10.1. Vermeidend-selbstunsichere Persönlichkeitsstörung
10.2. Agoraphobie
10.3. Generalisierte Angststörung
10.4. Spezifische Phobie
10.5. Zwangsstörung
10.6. Körperdysmorphe Störung
10.7. Depression
10.8. Substanzstörungen
10.9. Schizophrenie
10.10. Essstörung

11. Schüchternheit und Soziale Phobie
11.1. Definition von „Schüchternheit“
11.2. Schüchternheit = Soziale Phobie?

12. Therapeutische Behandlung der Sozialen Phobie
12.1. Behandlung der Sozialen Phobie bei tiefenpsychologischen Ursachen
12.2. Behandlung der Sozialen Phobie bei angeborenen Ursachen
12.2.1. Pharmakotherapie
12.2.1.1. Antidepressiva
12.2.1.2. Benzodiazepine
12.2.1.3. Betablocker
12.3. Behandlung der Sozialen Phobie bei erlernten Ursachen
12.3.1. Systematische Desensibilisierung
12.3.2. Operante Ansätze
12.3.3. Modelllernen
12.3.4. Konfrontationstherapie
12.4. Behandlung der Sozialen Phobie bei kognitiven Ursachen
12.4.1. Training sozialer Kompetenz
12.4.1.1. Rollenspiel
12.4.1.2. Gruppentraining sozialer Kompetenzen (GSK)
12.4.2. Kognitive Umstrukturierung
12.4.2.1. Rational-emotive Therapie (RET) von Ellis
12.4.3. Angstbewältigungstraining
12.5. Behandlung der Sozialen Phobie bei familiären und gesellschaftlichen Ursachen

13. Fazit

14. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Emotion Angst mit ihren unterschiedlichen Ausprägungs- und Erscheinungsformen ist ein weit verbreitetes und bekanntes Phänomen, das sich darüber hinaus noch durch eine naturgeschichtliche Notwendigkeit auszeichnet. Sie ist Menschen vertraut, da jeder Angstgefühle kennt, sei es bei einem gruseligen Horrorfilm oder der Begegnung mit einem großen knurrenden Hund. Die Objekte oder Situationen, vor denen sich Menschen fürchten, sind genauso vielfältig wie ihre Angstreaktionen. Oft sind die Ängste so unspezifisch und generalisiert, dass keine eindeutige angstauslösende Quelle ausgemacht werden kann.

Obwohl Angst, wenn sie auftritt, oft als unangenehm empfunden wird, ist sie dennoch ein natürlicher und notwendiger Bestandteil unseres Lebens und trotz der auftretenden Beschwerden und körperlichen Veränderungen keinesfalls gefährlich. Die eigentliche Funktion der Angst ist die eines Gefahrensignals, so dass eine schnelle konsequente Reaktion erfolgt. Ein Mensch ohne die Fähigkeit zur Angstreaktion bei Gefahrensituationen wäre schutzlos dem Risiko von Verletzung oder Tod ausgesetzt. Wenn nun Angst aber ein so wichtiger und natürlicher Bestandteil unseres Lebens ist und dazu gehört wie Gefühle von Wut, Trauer und Freude, warum gibt es dann Personen, die unter Ängsten leiden?

Ein sehr hohes Maß an Angst kann viele Handlungs-, Verhaltens- und Denkprozesse lähmen und in diesem Sinne keinesfalls mehr produktiv als Schutzfunktion verstanden werden. Die Angstreaktion ist außer Kontrolle geraten und wird zum zentralen Problem des Lebens.

Mit den Begriffen „Soziale Phobie“, „Sozialphobie“ und „soziale Angststörung“, die in dieser Arbeit synonym verwendet werden, wird die psychische Erkrankung beschrieben, wenn die Ängste vor und in sozialen Situationen übermäßig und extrem belastend werden. Soziale Phobie, die als Angst vor sozialen Situationen und der Interaktion mit Menschen verstanden wird, ist keine seltene Erkrankung und geht mit schweren Beeinträchtigungen der Lebensqualität Betroffener einher. 13,3% aller Amerikaner sind laut einer Studie von einer sozialen Angststörung betroffen (Katschnig 1998).

Nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in den Medien gewinnt das Thema der Sozialen Phobie an Präsenz und steigender Aufmerksamkeit. Immer mehr Artikel in nichtmedizinischen Zeitschriften und Zeitungen sowie Reportagen im Fernsehen haben mich auf die soziale Angststörung aufmerksam gemacht und mein Interesse geweckt, mich eingehender mit der Sozialen Phobie zu beschäftigen. Insbesondere möchte ich mich der Frage widmen, woher eine Soziale Phobie kommt und wie sie entsteht.

Kann diese Erkrankung jeden treffen, da sie durch traumatische Erlebnisse innerhalb einer sozialen Situation ausgelöst werden kann? Wie lässt sich aber erklären, dass viele Menschen traumatische Ereignisse in sozialen Situationen erleben, diese anschließend jedoch keine Soziale Phobie entwickeln? Sind möglicherweise bestimmte Erbanlagen dafür verantwortlich, dass manche Menschen an einer Sozialen Phobie erkranken? Ist die Soziale Phobie also angeboren? Wenn die Eltern oder andere nahe Verwandte an Sozialer Phobie erkrankt sind, steigt dann die Wahrscheinlichkeit, dass einen dasselbe Schicksal trifft? Allerdings entwickeln nicht zwangsläufig alle Kinder sozialängstlicher Eltern auch eine solche Phobie. Besteht vielleicht die Möglichkeit, an Sozialer Phobie durch Lernen fehlerhafter Verhaltensweisen zu erkranken? Entwickelt man selbst eine Soziale Phobie, weil man andere Menschen in sozialen Situationen ängstlich erlebt hat? Erlernt man eine Soziale Phobie durch positive oder negative Verstärkung im Sinne der operanten Konditionierung?

In dieser Arbeit werde ich Ursachenerklärungen aus unterschiedlichen psychologischen Forschungsrichtungen vorstellen und sie ausführlich beschreiben, um schließlich die Frage beantworten zu können, ob eine Soziale Phobie angeboren oder erlernt ist.

Dieser Hauptteil der Arbeit wird ergänzt durch einen Einblick in die Diagnostik und Klassifikation der Sozialen Phobie. Darauf folgt eine Beschreibung der Subtypen und Erscheinungsformen Sozialer Phobie sowie das Aufzeigen von Auftretenswahrscheinlichkeit- und häufigkeit. Des Weiteren wird der Verlauf einer Sozialen Phobie erläutert und die negativen Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen dargestellt. Daran schließt eine Übersicht über mögliche komorbide Störungen an und die Erläuterung des Zusammenhangs von Sozialer Phobie und Schüchternheit. Abschließend werden geeignete Behandlungsmöglichkeiten der Sozialen Phobie vorgestellt.

2. Soziale Phobie – eine Begriffsklärung

Soziale Phobie ist die übermäßige Angst vor oder in Situationen, in denen Betroffene entweder im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen oder sich einer kritischen Beobachtung durch andere ausgesetzt fühlen. Die Hauptbefürchtung besteht in solchen Situationen darin, dass die Personen meinen, ihnen könnte etwas Peinliches oder Demütigendes passieren.

Sozialphobiker fürchten sich vor sozialen, beruflichen oder ähnlichen Leistungssituationen, die in Gegenwart anderer, möglicherweise kritisierender Menschen bestanden werden müssen. Auch Interaktionssituationen, in denen eigenes Verhalten und Reaktionen von anderen in wechselseitiger Beziehung stattfinden und in denen ein strukturierter Ablauf fehlt, können Angstsituationen für Sozialphobiker darstellen. Sie erleben bereits im Vorfeld einer sozialen Konfrontation große Angst, da sie glauben, den Anforderungen nicht gerecht zu werden und sich zu blamieren oder Ablehnung der anderen zu erfahren. Die Angst zeigt sich dabei in körperlichen Symptomen wie Erröten und Schwitzen sowie in den Gedanken und im Verhalten der Betroffenen, die sich bis zu einer Panikattacke steigern können. Oft macht das Auftreten dieser Symptome das eigentliche Problem der Beschwerden aus, da diese nach außen hin sichtbar werden und als mögliche Ursache für eine folgende negative Reaktion verstanden werden könnten. Obwohl sie sich bewusst sind, dass ihre Angst unbegründet ist, fürchten Sozialphobiker soziale Situationen so sehr, dass häufig Vermeidungs- und Fluchtverhalten gezeigt wird, um sich vor negativen Reaktionen der anderen zu schützen.

Situationen, die Angst auslösen, können sein: Widerspruch gegenüber anderen bei Meinungsverschiedenheit, Reklamation oder Beschwerde in einem Geschäft, das Halten einer Rede vor öffentlichem Publikum, Kontakte mit dem anderen Geschlecht, Autoritätspersonen oder Fremden, Essen und Trinken im Beisein anderer, das Sitzen in der Mitte eines Raumes, Telefonate, die Benutzung öffentlicher Toiletten, Bewerbungsgespräche und andere mündliche Prüfungen, das Gefühl, beobachtet zu werden beim Erröten, Zittern oder Schwitzen. Die Liste der gefürchteten Situationen ist lang und die Einschränkung der Lebensqualität von Betroffenen wird ersichtlich und verständlich, wenn besonders viele der genannten Situationen einen Angstauslöser darstellen und gemieden oder unter großer Angst und Anspannung durchlebt werden.

Sozialphobiker haben oft Probleme, enge soziale Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen, da sie einerseits soziale Interaktion fürchten und andererseits Angst vor möglichen Rückschlägen und Enttäuschungen haben, die sie in einer Beziehung erwarten könnten. Aus diesem Grund leben Sozialphobiker oft ohne Partner.

Auch berufliche Aufstiegschancen werden selten wahrgenommen, aus Angst, vermehrter sozialer Interaktion ausgesetzt zu sein und öfter im Mittelpunkt stehen zu müssen, sei es bei Vorträgen oder während wichtigen Geschäftsessen.

Obwohl sich Sozialphobiker trotz ihrer Ängste nach der Nähe anderer Menschen, sowie nach Aufmerksamkeit und sozialer Anerkennung sehnen, bleiben Soziale Phobien oft ein Leben lang bestehen, da sich Betroffene mit ihrem Schicksal abfinden und es im Laufe der Zeit als Teil ihrer Persönlichkeit akzeptieren. Dennoch leiden sie weiterhin stark unter den Beeinträchtigungen ihres Alltags.

3. Diagnostik der Sozialen Phobie

Um klinisch relevante, sogenannte pathologische Ängste, von den Merkmalen der Angst als Primäremotion, die unser Überleben sichert, und der Ängstlichkeit als Persönlichkeitsmerkmal genau abgrenzen zu können, bedarf es bestimmter Diagnoseverfahren und Klassifikationssysteme. Diese ermöglichen einerseits die Erkennung der Angststörung als behandlungsbedürftige Erkrankung und andererseits die Unterscheidung der psychischen Störungen untereinander.

Die Soziale Phobie wurde 1966 von englischen Psychiatern und Verhaltenstherapeuten definiert und schließlich weiter ausgearbeitet, so dass sie 1980 in das Klassifikationssystem DSM-III bzw. 1990 in das Diagnoseschema ICD-10 aufgenommen wurde (Morschitzky 2004).

In diesem Kapitel werden unterschiedliche Diagnoseverfahren vorgestellt, die es Medizinern erleichtern, eine psychische Störung zu erkennen. Außerdem werden die Klassifikationssysteme DSM-IV und ICD-10 dargestellt, mit deren festgelegten Kategorien die genaue Zuordnung einer psychischen Störung durchgeführt werden kann. Darauf folgend wird anhand dieser Klassifikationssysteme die Soziale Phobie beschrieben und die Einordnung erläutert.

3.1. Diagnoseverfahren

Um die Symptomatik einer psychischen Störung genau zu erfassen und ihr eine präzise Diagnose zuordnen zu können, stehen mehrere Diagnoseverfahren zur Verfügung. Im Gespräch mit einem Psychotherapeuten ist dabei ein diagnostisches Interview zur Erfassung der Störung am gebräuchlichsten. Im Folgenden werden weitere gängige Diagnoseverfahren vorgestellt: der Fragebogen, die Verhaltensbeobachtung, physiologische Messungen und Tagebücher.

3.1.1. Interview

Das erste Gespräch mit einem Therapeuten beginnt in den meisten Fällen mit einem standardisierten Interview, das dazu dient, erste Anhaltspunkte über die Beschwerden des Patienten zu bekommen, die mit Hilfe der beiden Klassifikationssysteme psychischer Erkrankungen ICD-10 bzw. DSM-IV in eine Kategorie der psychischen Störungen eingeordnet werden können. Anhand des diagnostischen Interviews kann ein zielgerichteter Therapieplan entwickelt und die mögliche Verabreichung von Medikamenten eingeleitet werden (Lieb et al. 1998).

Während eines Interviews ist es besonders wichtig, dass der Therapeut auf die geschilderte Symptomatik des Patienten achtet, da oft zunächst nur physische Probleme genannt werden, deren Beschwerden auf körperliche Erkrankungen statt auf mögliche psychische Ursachen bezogen werden. Daher müssen Angstpatienten im Allgemeinen dazu motiviert werden, organische Ursachen für ihr Leiden auszuschließen und ein psychologisches Erklärungsmodell zuzulassen (Rief et al. 1993).

3.1.2. Fragebögen

Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Fragebögen, die es ermöglichen, die Symptome einer Sozialen Phobie zu erfassen. Sie alle stellen die Grundlage für einen passenden Behandlungs- und Therapieplan dar. Die Fragebögen haben unterschiedliche Items, so dass Daten über selbstbehauptendes Verhalten, Ausdruck negativer Gefühle, Vermeidung sozialer Situationen, Angst vor negativer Bewertung, Unsicherheit, Angstsituationen, ängstliche Gedanken und Auftretenshäufigkeit sozialer Angst auf der Basis von Zustimmungsskalen erhoben werden können (Sartory 1997). Bei den Fragebögen, mit Hilfe derer sich die Patienten meist selbst beurteilen sollen, unterscheidet man zwischen Breitbandverfahren, die mehrere Einzelaspekte einer Angststörung abfragen, beispielsweise den Aspekt der Unsicherheit, und störungsspezifischen Fragebögen, mit deren Hilfe spezifische Störungsbilder erfasst werden sollen.

Für die Erfassung der Sozialphobie stehen zwei gängige Fragebögen zur Verfügung: Der Unsicherheitsfragebogen von Ullrich de Muynck und Ullrich (1977) umfasst 65 Items, mit denen soziale Ängste und soziale Fertigkeiten abgefragt werden können. Ein weiterer ist der Fragebogen zur sozialen Angst von Fydrich, Kasten und Scheurich (1995). Er setzt sich aus 32 Items zusammen, die kognitive, somatische und verhaltensbestimmte Merkmale der Angst aufgreifen.

Die Fragebögen geben einen ersten Anhaltspunkt über das Störungsbild eines Patienten, sie sind jedoch in Bezug auf Reliabilität und Validität noch nicht ausreichend gesichert, da die meisten Items auf der Basis älterer Klassifikationssysteme entwickelt wurden und demnach nicht aktuell sind (Lieb et al. 1998).

Einem Fragebogen ähnlich sind sogenannte Angstskalen. Eine Liste von für Sozialphobiker typischen Aussagen zu bestimmten Situationen werden von dem Patienten anhand von Zustimmungspunkten nach dem Grad der Übereinstimmung mit ihren eigenen Aussagen bewertet. Beispiele hierfür sind die „Liebowitz Social Anxiety Scale“ und das „Social Phobia Inventory.

3.1.3. Verhaltensbeobachtung

Beobachtungen können sowohl in reellen Situationen, als auch in Rollenspielen durchgeführt werden. So wird zum Beispiel beobachtet, wie der Patient reagiert, wenn er vor den Augen des Therapeuten telefonieren muss. Zusätzlich wurde ein Rollenspieltest entwickelt, in dem die Patienten ihr selbstsicheres Verhalten in bestimmten Situationen unter Beweis stellen sollen. Das beobachtete Verhalten wird anschließend mit Hilfe eines standardisierten Verfahrens eingestuft. Um die Objektivität des Verfahrens zu wahren, werden gegebenenfalls Videoaufnahmen gemacht, damit die Beurteilung bestimmter Aspekte des Verhaltens von unterschiedlichen Beobachtern durchgeführt werden kann. Vor allem wird dabei auf die Art des Blickkontaktes, Tonfall, Mimik, Körperhaltung und Sprechdauer geachtet, um auffälliges Sozialverhalten zu erkennen (Sartory 1997).

3.1.4. Physiologische Messungen

Mit Hilfe von Herzfrequenz- und Blutdruckmessungen lässt sich feststellen, wie Patienten physiologisch auf soziale Reize innerhalb von Situationen reagieren. Es konnte festgestellt werden, dass sich bei Sozialphobikern in gefürchteten sozialen Situationen der Herzschlag oder der Blutdruck verändert (Sartory 1997). Bestimmte Messungen sind ebenfalls notwendig, um organische Ursachen, die vielleicht eine Rolle spielen abzuklären oder auszuschließen (Wittchen et al.).

3.1.5. Tagebücher

Tagebücher dienen der Erhebung von problematischem Verhalten bei einer sozialen Angststörung. Gleichzeitig sind sie von großer Bedeutung für den Therapeuten in Bezug auf Therapieplanung und –durchführung sowie zur Vorbeugung von Rückfällen. Der Patient führt täglich eine Art Tagebuch, in dem Angstauslöser, Häufigkeit und Stärke der Beschwerden, Gedanken, Gefühle und darauf folgende Konsequenzen eingetragen werden. Dadurch werden einerseits dem Patienten seine Gedanken und Gefühle bewusster gemacht, was eine wichtige Basis für eine anschließende Therapie ist und andererseits können auf diese Weise Fortschritte einer Therapie festgehalten werden (Lieb et al. 1998).

3.2. Klassifikation der Sozialen Phobie

Soziale Phobie ist eine psychische Störung, die einer genauen psychologischen Diagnose bedarf, um sie von anderen Krankheiten mit ähnlichem Störungsbild genau abgrenzen zu können. Für die Einordnung psychischer Erkrankungen in ein diagnostisches System stehen weltweit zwei besonders gebräuchliche und umfassende Klassifikationssysteme zur Verfügung. Erstens das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM), das von der American Psychiatric Association entwickelt wurde und zweitens die International Classification of Diseases (ICD) der Weltgesundheitsorganisation WHO (Zimbardo 1999).

In beiden Klassifikationssystemen ist die Soziale Phobie mit ihren Symptomen und Hauptmerkmalen aufgeführt, in denen sie als kognitive Störung beschrieben wird, die auf der Fehleinschätzung des eigenen Verhaltens und der Erwartung von negativer Beurteilung des gezeigten Verhaltens durch andere basiert.

Im folgenden Abschnitt wird die Soziale Phobie mit ihren Hauptmerkmalen nach der im DSM-IV und in der ICD-10 vorgenommenen Klassifikation beschrieben.

3.2.1. Klassifikation der Sozialen Phobie nach DSM-IV

Im DSM-IV findet man in der Kategorie der Angststörungen die Soziale Phobie oder soziale Angststörung (300.23), die zunächst kurz beschrieben wird als „klinisch bedeutsame Angst, die durch die Konfrontation mit bestimmten Arten sozialer oder Leistungssituationen ausgelöst wird und oft zu Vermeidungsverhalten führt“( Sass 1996, S.453).

Die diagnostischen Merkmale sind im DSM-IV in einzelne Unterkriterien gegliedert, die bei einem Patienten oder einer Patientin erfüllt sein müssen, damit die Diagnose einer Sozialen Phobie eindeutig und richtig gestellt werden kann:

Kriterium A:

Die Person verfügt über eine langanhaltende und ausgeprägte Angst vor sozialen oder Leistungssituationen, in denen sie mit anderen Personen konfrontiert wird oder von anderen beurteilt werden könnte. Die Angst besteht darin, möglicherweise ein Verhalten zu zeigen, dass peinlich oder demütigend sein könnte. Situationen wie öffentliches Sprechen, Essen und Trinken in der Öffentlichkeit, sowie Schreiben vor anderen können demnach als Angstsituationen betrachtet werden, da andere möglicherweise ein Zittern der Hände oder eine nervöse Stimme bemerken und dieses als unangenehm beurteilen könnten.

Falls die Diagnose einer Sozialen Phobie bei Kindern gestellt wird, muss sich die Angst vor der Konfrontation mit anderen auch auf Gleichaltrige beziehen und sich nicht nur in der Auseinandersetzung mit Erwachsenen zeigen. Darüber hinaus muss gesichert sein, dass das Kind über soziale Kompetenzen verfügt, die seinem Alter angemessen sind.

Kriterium B:

Wird die betroffene Person mit der gefürchteten sozialen Situation konfrontiert, löst diese eine unmittelbare Angstreaktion hervor, die, wenn sie besonders stark auftritt, in ihrem Erscheinungsbild einer Panikattacke ähnlich sein kann. In den meisten Fällen, reagieren die Betroffenen mit Angstsymptomen, zu denen Herzklopfen, Zittern, Schwitzen, Magen-Darm-Beschwerden, Durchfall, Muskelverspannungen, Erröten und „durcheinander sein“ gehören können.

Die Symptome der Angstreaktion bei Kindern können sich zeigen in Weinen, Wutanfällen, Erstarren oder Zurückweichen von der sozialen Situation, in der sie mit unvertrauten Personen konfrontiert werden.

Kriterium C:

Betroffene schätzen ihre Angst vor den sozialen Situationen als unbegründet ein und erkennen, dass ihre Reaktionen übertrieben sind. Sind die Patienten sich jedoch dessen nicht bewusst, sollte eher eine andere Diagnose als Soziale Phobie gestellt werden. Ebenso wird eine andere Diagnose gestellt, wenn die Angst vor der sozialen Situation begründet ist.

Bei Kindern muss dieses Kriterium, also das Erkennen der unbegründeten Angst unbegründet hingegen noch nicht erfüllt sein.

Kriterium D:

Die angstauslösenden Situationen, in denen die Personen mit anderen konfrontiert werden und möglicher Beurteilung ausgesetzt sind, werden meistens vermieden. Manchmal jedoch werden die sozialen Situationen unter großer Angst und Unbehagen ausgehalten. Ein weiteres Kennzeichen der Sozialen Phobie ist die Erwartungsangst der Betroffenen. Allein das Wissen einer zukünftigen sozialen Situation kann sie in Sorge versetzen und tage im Voraus beeinträchtigen.

Kriterium E:

Die Angst der Betroffenen vor gefürchteten sozialen Situationen ist so stark, dass sie die normale Lebensführung der Person stark beeinträchtigt oder die Personen aufgrund der Angst enorm leiden. Die Beeinträchtigungen können ein Nachlassen beruflicher oder schulischer Leistungen sein, aber auch erhebliche Probleme in Bezug auf soziale Aktivitäten und Beziehungen.

Kriterium F:

Bevor eine Soziale Phobie diagnostiziert werden kann, müssen bei Personen unter 18 Jahren die Symptome und Beeinträchtigungen mindestens sechs Monate angedauert haben.

Kriterium G:

Soziale Phobie wird erst dann diagnostiziert, wenn die Angst- und Vermeidungsreaktionen nicht besser durch andere psychische Störungen erklärt werden können. Darüber hinaus müssen die Symptome direkte Folge der Angst sein und dürfen nicht als mögliche körperliche Reaktionen auf bestimmte Substanzen oder Krankheitsfaktoren zurückführbar sein.

Kriterium H:

Wenn ein anderes psychisches Leiden oder andere Krankheitsfaktoren bereits vorliegen, darf sich die Angst und Sorge nicht auf die sozialen Auswirkungen der bereits vorhandenen Krankheit beschränken.

3.2.2. Klassifikation der Sozialen Phobie nach ICD-10

Nach der ICD-10 sind Soziale Phobien der Kategorie F40 (phobischen Störungen) zugeordnet. Damit gehören sie zu den neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen.

Die Soziale Phobie (F40.1) wird in der ICD-10 anhand folgender Merkmale beschrieben: Es muss entweder eine Furcht vor Situationen bestehen, in denen man im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht und sich möglicherweise unangemessen verhält oder ein deutliches Vermeidungsverhalten vor solchen Situationen. Betroffene einer Sozialen Phobie befürchten, dass andere sie kritisieren könnten, daher gehen Phobie oft mit einem niedrigen Selbstwertgefühl einher. Zu den gefürchteten Situationen können Essen und Sprechen in der Öffentlichkeit gezählt werden, der Kontakt mit Bekannten in der Öffentlichkeit oder die Teilnahme an Treffen mit Menschen auf Parties, Konferenzen oder in Klassenräumen.

Ferner müssen nach der ICD-10 in den Angstsituationen mindestens einmal zwei Angstsymptome aufgetreten sein, zu denen Erröten oder Zittern, Übelkeit, Stuhl- und Harndrang oder die Angst vor diesen gehören. Die Symptome, die sich ausschließlich auf die sozialen Situationen beschränken oder von dem bloßen Denken an gefürchtete Situationen ausgelöst werden, können das Ausmaß einer Panikattacke annehmen. Betroffene meinen dabei oft, dass einige dieser Angstsymptome die eigentlichen Beschwerden ausmachen. Die Personen stehen durch die Angst unter einer hohen emotionalen Belastung, sind sich jedoch bewusst, dass dieses eigentlich übertrieben und unbegründet ist (DIMDI 2003, Morschitzky 2004).

4. Die Subtypen der Sozialen Phobie

Im Hinblick auf verschieden stark ausgeprägte Erscheinungsbilder und Schweregrade der sozialen Angststörungen werden zwei Subtypen der Sozialen Phobie unterschieden: der spezifische und der generalisierte Typ.

4.1. Die spezifische Sozialphobie

Die spezifische Form der Sozialphobie tritt bei Betroffenen in der Regel erstmals im Alter von 16 oder 17 Jahren auf. Sie kennzeichnet sich dadurch, dass sich die Angst nur auf bestimmte Leistungssituationen beschränkt, zum Beispiel auf das Reden vor anderen. Daher wird diese Form auch als Leistungstyp der Sozialphobie bezeichnet (Morschitzky 2004).

Personen mit einer spezifischen Phobie haben meistens Probleme im Schul- oder Berufsleben, da schulische Verbesserungschancen oder berufliche Aufstiegsmöglichkeiten, aus Angst, vermehrt vor anderen reden zu müssen, oft nicht genutzt werden. Andere soziale Lebenssituationen hingegen werden nicht als problematisch empfunden.

Auf Grund der Beschränkung auf eine bestimmte soziale Situation wird für eine spezifische Sozialphobie vor allem ein traumatisches Erlebnis als Auslöser angesehen. Dieses Auslösemoment führt dann zur Angst in genau der sozialen Situation, in der diese zuerst spontan aufgetreten ist. Bei 56% der Personen mit spezifischer Sozialphobie stand ein traumatisches Erlebnis am Beginn ihrer Phobie, bei dem generalisierten Typ berichteten dies nur 40% (Ambühl 2001).

Im Hinblick auf eine mögliche Komorbidität, das Auftreten weiterer psychischer Störungen, wird die spezifische Sozialphobie häufig mit Panikattacken in Verbindung gebracht, die häufig situativ bedingt auftreten können (Katschnig 1998, Morschitzky 2004).

4.2. Die generalisierte Sozialphobie

Der Zusatz „generalisiert“ bei einer Sozialen Phobie bedeutet, dass sich die Ängste nicht nur auf bestimmte Leistungssituationen beschränken, sondern auch auf weitere soziale Situationen übertragen werden. So werden nicht nur Reden vor anderen, sondern auch soziale Interaktionen, die nicht im Kontext einer möglichen Bewertung stehen, als Angstsituationen empfunden. Demnach treten bei Betroffenen Einschränkungen und Beschwerden in allen Lebensbereichen auf (Sass 1996, Katschnig 1998).

Die generalisierte Form tritt im Vergleich zum spezifischen Typ wesentlich früher auf, meistens zwischen dem 11. und 12. Lebensjahr, spätestens aber vor dem

15. Lebensjahr. Betroffene wirken in sozialen Situationen weniger kompetent. Häufig liegen auch soziale Defizite vor, was jedoch nicht unbedingt auf einen Mangel an sozialen Fertigkeiten, sondern auf eine falsche Umsetzung der vorhandenen Fähigkeiten zurückgeführt werden kann.

Die schweren Formen sozialer Defizite werden eher als Persönlichkeitsstörung beschrieben. Im DSM-IV ist dies die vermeidend-selbstunsichere, im ICD-10 die ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung. Beide gehen über die Merkmale einer generalisierten Sozialphobie hinaus. Es werden zwar auch soziale Situationen generell gefürchtet und gemieden, besonders jedoch werden soziale Beziehungen auf Grund von zu großer Ängstlichkeit und Unsicherheit gescheut (Morschitzky 2004).

Personen mit einer vermeidenden Persönlichkeitsstörung suchen nur Tätigkeiten auf, bei denen soziale Kontakte umgangen werden können. Zusätzlich wird die Aufnahme von Beziehungen vermieden. Sind sie doch in einer Beziehung, bleiben sie reserviert und beschäftigen sich übermäßig mit Gedanken der Kritik und Ablehnung. Betroffene leiden an Gefühlen der Unzulänglichkeit und sehen sich als unattraktiv. Auf Grund möglicher Peinlichkeiten gehen sie keine persönlichen Risiken ein und entfalten keine neuen Aktivitäten (Sartory 1997)

Als komorbide Störungen bei einer generalisierten Sozialphobie treten meist Depressionen und Alkoholmissbrauch auf (Katschnig 1998).

5. Erscheinungsformen der Sozialen Phobie

Die Angstsymptome, die Betroffene in gefürchteten sozialen Situationen erleben, sind äußerst vielfältig. Die Liste ist lang: ein unangenehmes Kribbeln im Magen, Erröten, feuchte Hände, Zittern, Herzklopfen, innere Unruhe und wackelige Beine sind nur einige der Beschwerden. In vielen Fällen können Panikattacken auftreten, die mit Atemnot, Schwindel und sogar Ohnmacht einhergehen. Bei jedem äußert sich die Angst in anderer Weise und Ausprägung. Die Situationen, vor denen man Angst hat, sind von Person zu Person ebenso unterschiedlich wie die entsprechenden Angstsymptome.

Die Symptome der Angst spiegeln sich unter anderem in körperlichen Veränderungen, in den Gedanken und im Verhalten von Sozialphobikern wider. Die Angstsymptome, die durch eine Soziale Phobie ausgelöst werden, treten dabei nur auf, wenn sich die Betroffenen vor oder in der Interaktion mit anderen befinden oder weitere Personen anwesend sind. Sind sie jedoch allein und fühlen sich unbeobachtet, sind sie weitestgehend angstfrei und ohne Beschwerden.

Die Anwesenheit von Interaktionspartnern hängt demnach mit dem Ausmaß der Angst zusammen. In kleinen sozialen Gruppen ist die Angst größer als innerhalb einer Menschenmenge, da hier der direkte Kontakt fehlt und somit mögliche genaue Beobachtung mit anschließender negativer Beurteilung nicht stattfinden kann. Der Zusammenhang zwischen An- bzw. Abwesenheit von Personen und der Angst mit ihren auftretenden Symptomen wird noch deutlicher, wenn man betrachtet, dass 86% der Sozialphobiker befürchten, ihre Angstsymptome könnten von anderen wahrgenommen werden (Mourlane 2002).

Darüber hinaus werden andere Menschen von Sozialphobikern in Gruppen eingeteilt, in Abhängigkeit davon, wie hoch das Gefühl einer Bedrohung ist, die von einem Kontakt mit ihnen ausgeht. So zeigen Sozialphobiker in der Regel keine Angst vor der Gruppe der vertrauten Menschen, Familienmitgliedern oder dem eigenen Partner, da eine gewisse Beurteilungssicherheit gewährleistet ist. Die Bewertungen von Personen, die einem eher unbekannt oder nicht so vertraut sind, könnten für einen potentiell wichtig sein.

Demnach wird bei dieser größten Gruppe das eigene Verhalten besonders kontrolliert und ein mögliches negatives Auffallen versucht zu unterbinden. Personen, denen man nie wieder begegnen wird, die man nicht mag oder deren Urteil einem unwichtig ist, stellen keine Gefahr für das eigene Selbstbewusstsein und Auftreten dar, so dass auch vor ihnen keine Angst entwickelt wird (Morschitzky 2004).

5.1. Die Emotion „soziale Angst“

Soziale Angst ist eine Emotion, die wie alle Gefühle als ein Prozess verstanden wird, der von mehreren bestimmten Reaktionskomponenten abhängt. Zu diesen Reaktionskomponenten zählen die kognitive Komponente, die neurophysiologische Komponente, die Ausdruckskomponente, die motivationale Komponente und die Gefühlskomponente. Diese Einteilung der emotionalen Komponenten in fünf unterschiedliche Klassen wurde von Scherer (1990) definiert. Die einzelnen Komponenten sind bestimmte Zustandsformen der jeweiligen organischen Systeme und haben gewisse Funktionen, die sich auf die Anpassung und das Verhalten des Organismus in einer bestimmten Situation konzentrieren.

Die kognitive Komponente bewertet interne und externe Reize und meldet so wichtige Veränderungen der Umwelt an das Individuum zurück.

Die neurophysiologische Komponente versorgt den Körper mit nötiger Energie für bestimmte Handlungen und reguliert das physiologische Gleichgewicht des Körpers.

Die Ausdruckskomponente sorgt für die Mitteilung von Handlungsabsichten und Reaktionen an den jeweiligen Interaktionspartner.

Die motivationale Komponente plant und entscheidet instrumentelle Handlungen.

Die Gefühlskomponente fasst schließlich in Form eines bestimmten Gefühlsausdruckes den aktuellen Zustand der anderen Ebenen zusammen und richtet so die Aufmerksamkeit des Individuums auf die wesentlichen Aspekte der inneren und äußeren Kontexte gelenkt (Schowalter 2001).

Im Folgenden werden die einzelnen Reaktionskomponenten und die auslösenden Veränderungen in einer Angstsituation genauer dargestellt. Diese Veränderungen machen das Symptombild einer Sozialen Phobie aus, unter denen Betroffene stark leiden.

5.1.1. Kognitive Komponente

Steht Sozialphobikern eine gefürchtete soziale Situation bevor, entsteht bereits eine Angst vor der Angst, kurz Erwartungsangst (siehe Kapitel 7.2.2.) vor negativer Kritik und Bewertung. Diese Erwartungsangst kann sich über Wochen und Monate hinziehen. Dabei spielen sich in Gedanken katastrophale Abläufe der bevorstehenden Situation ab, die als gefährlich angesehen wird. Die eigenen sozialen Fertigkeiten, die soziale Situationen erfordern, werden unterschätzt und somit ein Misslingen und Unvermögen mit anschließender negativer Bewertung bereits vorausgesetzt (Ambühl et al. 2001). Gedanken der eigenen Schwäche, der Unsicherheit und der Unzulänglichkeit bestimmen die Denkmuster, so dass soziale Situationen als Überforderung angesehen werden, die man unfähig ist zu bewältigen (Morschitzky 2004).

Generell werden mehr negative als positive Gedanken über soziale Situationen entwickelt. Ebenso wird die Wahrscheinlichkeit eines negativen Ablaufs und der daraus resultierenden Folgen überschätzt. Innerhalb sozialer Situationen haben Sozialphobiker meistens negative Gedanken, die sich um sie selbst und um ihr Körpergefühl drehen. So sind Sozialphobiker kaum in der Lage, soziale Situationen richtig einzuschätzen und passendes Verhalten zu zeigen (Schowalter 2001).

5.1.2. Neurophysiologische Komponente

Wird Angst empfunden, arbeitet das autonome Nervensystem mit größerer Leistung, was sich in einer Erhöhung der Herzschlagfrequenz und des Blutdrucks zeigt. Die Atmung beschleunigt sich, die Leitfähigkeit der Haut ist erhöht und die Temperatur in den Händen sinkt. Diese natürlichen Reaktionen werden aktiviert, um den Organismus bereit zu machen, sich einer Bedrohung zu stellen oder vor ihr zu flüchten. Fühlt sich die betroffene Person nicht bereit, sich der Situation auszusetzen, treten weitere Symptome auf, die als sehr belastend empfunden werden und oft die Hauptbeschwerden einer Sozialen Phobie ausmachen (Schowalter 2001).

Dazu gehören Erröten, Schwitzen, Stottern, starkes Herzklopfen oder Zittern. Manche Betroffene weinen auch und fühlen sich benommen. Darüber hinaus klagen viele über eine unsichere, schwankende Stimme oder einen trockenen Mund (Ambühl et al. 2001). Erröten (75%), Schwitzen (65%), Herzrasen (62%) und Zittern (52%) sind die vier am häufigsten genannten Symptome von Sozialphobikern (Mourlane 2002). Diese an sich harmlosen Symptome werden als extrem belastend erlebt, da sie für andere sichtbar werden könnten und man der zusätzlichen Gefahr sozialer Auffälligkeit ausgesetzt wäre. Auch auf den ersten Blick nicht sichtbare Symptome, wie erhöhter Harn- und Stuhldrang, Magenschmerzen, Verkrampfungen und Übelkeit werden als stigmatisierend erlebt, da andere daraus Rückschlüsse auf psychische Probleme ziehen könnten. Aus diesem Grund werden jegliche Symptome so gut wie möglich versteckt (Morschitzky 2004).

5.1.3. Ausdruckskomponente

Soziale Kompetenz wird häufig in Verbindung gebracht mit bestimmten Ausdruckskomponenten. Dazu gehören beispielsweise Mimik, Gestik und die Stimme. Laut einer Studie zeigen Sozialphobiker generell ein Defizit ihrer sozialen Kompetenzen; der spezifische Subtyp jedoch in deutlich geringerem Ausmaß als der generalisierte. Beurteilt wurden Blickkontakt, Stimme und Sprache, körperliche Unruhe und Nervosität, Sprechdauer und Konversationsfluss. In diesen Kategorien wurden sozialängstliche Personen als weniger kompetent eingestuft als die Probanden einer nichtängstlichen Kontrollgruppe (Schowalter 2001). Dies bestätigte eine Umfrage von Sozialphobikern, nach der 71% über eine zitternde Stimme in sozialen Situationen klagten und 67% in der Interaktion mit anderen Schwierigkeiten beim Sprechen haben (Mourlane 2002).

5.1.4. Motivationale Komponente

Auf dieser Ebene werden bestimmte Handlungen geplant und entschieden, was sich in einem für Sozialphobiker typischen Verhalten widerspiegelt, dem sogenannten Sicherheitsverhalten. Um die Angst zu reduzieren, treffen Sozialphobiker vor oder innerhalb einer sozialen Situation übertriebene Maßnahmen, um bestimmte Auffälligkeiten zu überspielen. Beispielsweise werden Reden auswendig gelernt, um peinliche Versprecher und Aussetzer zu verhindern; ein Glas wird nicht voll gefüllt, um Ausschütten aufgrund von Zittern zu vermeiden oder es wird besonders viel Make-up aufgetragen, um errötende Wangen zu verstecken.

Die häufigste Strategie ist jedoch die Vermeidung von sozialen Situationen oder die Flucht aus ihnen, die 85% der Sozialphobiker als Maßnahme zur Angstreduktion nutzen (Schowalter 2001). Ist nämlich die Angst bereits im Vorfeld so belastend, vermeiden Sozialphobiker häufig diese Situationen, was ein kurzzeitiges Verschwinden der Angst zur Folge hat. Befinden sie sich jedoch in sozialer Interaktion und wird die Angst mit ihren Symptomen unerträglich, verlassen Betroffene solche Situationen fluchtartig. Gefürchtete negative Bewertung durch andere wird dadurch jedoch eher verstärkt als vermieden (Ambühl et al. 2001).

5.1.5. Gefühlskomponente

Auf der Gefühlsebene spiegelt sich das emotionale Erleben einer Situation wider. Es zeigt sich ein Gefühlseindruck, der als Kontrollinstanz den aktuellen Zustand der anderen Ebenen integriert. Sozialphobiker verspüren in der Interaktion mit anderen verstärkt Gefühle der Angst und des Unbehagens (Schowalter 2001). Auch Schamgefühle, Unsicherheit und Verlegenheit bis hin zu depressiven Empfindungen können auftreten (Morschitzky 2004).

6. Epidemiologie

Studien zur Erhebung von psychischen Krankheiten in der Bevölkerung können Aufschluss darüber geben, wie verbreitet eine bestimmte Störung ist, bei welchen Bevölkerungsgruppen sie gehäuft auftritt und wie oft sie in Bezug auf eine bestimmte Zeitspanne oder einen Zeitpunkt auftreten kann. Dabei werden diese Erhebungen der Epidemiologie beeinflusst von den Diagnosekriterien der Sozialen Phobie. Auf Änderungen der Definition können Schwankungen der Auftretenshäufigkeit folgen, da auf bestimmte Personengruppen die Merkmale nun entweder nicht mehr zutreffen oder sie durch die Änderung der Kriterien die Diagnose einer Sozialen Phobie nun erhalten können (Ambühl 2001).

Die Soziale Phobie ist nach der Depression und der Alkoholabhängigkeit eine der am häufigsten auftretenden psychischen Erkrankungen und somit die am häufigsten vertretende Angststörung (Mourlane 2002). Die Lebenszeitprävalenz, also die Anzahl der Fälle von Personen, die in ihrem Leben mindestens einmal an Sozialphobie erkrankt sind (Müller 2002), ist innerhalb der letzten 15 Jahre von 2,4% auf 13,3% angestiegen, was mit der Erweiterung der Diagnosekriterien für eine Soziale Phobie und der Verbesserung der Methoden zur Erfassung von psychischen Störungsbildern zusammenhängen könnte (Katschnig 1998). Die epidemiologische Studie, aus der diese Daten hervorgingen, erfasste dabei Personen aus den USA, die nach den Kriterien des DSM-III-R, dem Vorgänger des DSM-IV, an Sozialer Phobie leiden.

Bei Männern liegt die Lebenszeitprävalenz bei 11,1%, bei Frauen sind es 15,5%. Auch ein Blick auf die Jahres- oder Monatsprävalenz, also die Auftretenshäufigkeit einer Sozialen Phobie innerhalb des letzten Jahres bzw. des letzten Monats, bestätigt, dass Frauen generell häufiger an Sozialer Phobie erkranken als Männer (Morschitzky 2004). Das Risiko einer Erkrankung ist für Frauen 1,4 mal höher (Mourlane 2002).

Epidemiologische Studien wurden auch in anderen Kulturkreisen durchgeführt, um kulturspezifische Unterschiede zu ermitteln. Dabei wurde im Vergleich zu den Erhebungen aus den USA festgestellt, dass in Basel eine gleich hohe Lebenszeitprävalenz von Sozialer Phobie besteht, jedoch in Ostasien die Raten wesentlich geringer sind (Katschnig 1998).

Aus einer umfassenden Studie in Bayern an 3000 Personen im Alter zwischen 14 und 24 Jahren geht hervor, dass von den befragten 18- bis 24- Jährigen 8,7% im Laufe ihres Lebens unter einer Sozialen Phobie litten. Diesen Untersuchungen zufolge erkrankt etwa jeder Zehnte in seinem Leben an einer sozialen Angststörung. Diesen Untersuchungen zufolge erkrankt etwa jeder Zehnte in seinem Leben an einer sozialen Angststörung.

Eine Unterteilung in die Subtypen der Sozialen Phobie, spezifisch und generalisiert, zeigt, dass die spezifische Form in der Durchschnittsbevölkerung überwiegt, sich jedoch eher die Betroffenen des generalisierten Typus in klinische Behandlung begeben, wodurch im klinischen Bereich mehr Fälle von generalisierter Sozialer Phobie zu verzeichnen sind. Die Soziale Phobie ist dort nach der Agoraphobie die zweithäufigste Angststörung, die behandelt wird.

Soziale Phobie tritt in einem Alter zwischen 15 und 20 Jahren auf, selten nach dem 25.Lebensjahr. Häufig sind auch soziale Ängste in der Kindheit, die jedoch in den meisten Fällen wieder vorübergehen (Morschitzky 2004).

7. Ätiologie der Sozialen Phobie

Um eine mögliche Antwort auf die Frage „Soziale Phobie – angeboren oder erlernt?“ geben zu können, widme ich mich in diesem Kapitel umfassend den Ursachen, die zu einer sozialen Angststörung führen können.

Die Ursachenforschung zur Entstehung Sozialer Phobie hat eine Vielzahl von theoretischen Ansätzen hervorgebracht, die psychoanalytische, biologische, lerntheoretische und kognitive Konzepte beinhalten. Außerdem können familiäre und gesellschaftliche Einflüsse Aufschluss über die Entstehung sozialer Angststörungen geben.

Die verschiedenartigen Ansätze zeigen, dass es keine einheitliche und vor allem, keine einfache Ursachenerklärung gibt, die für alle Erkrankungsfälle als eindeutige Entstehungsursache gelten kann. Die Entstehungszusammenhänge und Entwicklungsverläufe sind von Person zu Person unterschiedlich.

Nach dem heutigen Forschungs- und Wissensstand geht man von einer multifaktoriellen Genese aus, einem sogenannten Diathese-Stress-Modell für die Entwicklung psychischer Störungen. Diathese bedeutet die Veranlagung für eine bestimmte Erkrankung und bezeichnet somit jegliche Tendenz oder Neigung eines Menschen, mit krankhaften Reaktionen auf Belastungen zu reagieren. Nach diesem Modell sind sowohl Veranlagung als auch stressbedingte Umwelteinflüsse für die Entstehung einer Sozialen Phobie verantwortlich und wirken zusammen. Dabei ist zu betonen, dass nicht nur die Umweltbedingungen auf das Individuum wirken, sondern umgekehrt, auch das Individuum die Gegebenheiten mit beeinflusst. Die einzelnen Faktoren des Diathese-Stress-Modells nicht konstant, es sind veränderliche und dynamische Größen (Lieb et al. 1998).

Dem Diathese-Stress-Modell zufolge besitzt ein Mensch eine genetische Empfindlichkeit und Anfälligkeit (Vulnerabilität), die durch die Familiengeschichte als Veranlagung deutlich wird. Dazu kommen in aller Regel zusätzliche aktuelle Stressfaktoren und Belastungen, die zusammen zum Auftreten von ersten Symptomen bzw. Frühwarnzeichen einer Sozialen Phobie beitragen (Ambühl et al. 2001). Aus diesem Grund spricht man auch von einem störungsspezifischen Diathese-Stress-Modell (Lieb et al. 1998).

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Ende der Leseprobe aus 113 Seiten

Details

Titel
Soziale Phobie: Angeboren oder erlernt?
Hochschule
Universität Hildesheim (Stiftung)  (Institut für Psychologie)
Note
1.5
Autor
Jahr
2005
Seiten
113
Katalognummer
V50113
ISBN (eBook)
9783638464017
ISBN (Buch)
9783638739023
Dateigröße
1187 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Soziale, Phobie, Angeboren
Arbeit zitieren
Darina Damm (Autor:in), 2005, Soziale Phobie: Angeboren oder erlernt?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50113

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