Der Einfluss der Erstsprache im Schrifterwerb. Eine Untersuchung bei Kindern mit Arabisch als Erstsprache


Masterarbeit, 2017

110 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhalt

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung

Teil I: Theorie

2. Das Schriftsystem des Deutschen

3. Ein- und mehrsprachiger Schrifterwerb
3.1 Modelle des Schrifterwerbs
3.1.1 Die präliterale Phase
3.1.2 Die vorphonetische Phase
3.1.3 Die phonetische Phase
3.1.4 Die orthographische Phase
3.2 Schrifterwerb in der Zweitsprache
3.2.1 Die phonologische Bewusstheit und die Rolle der Erstsprache
s 3.2.2 Weitere Einflussfaktoren auf den Schrifterwerb

4. Laut- und Schriftkontraste Arabisch-Deutsch
4.1 Das Phoneminventar des Arabischen
4.2 Phonologische Kontraste zum Deutschen
4.3 Das arabische Schriftsystem

Teil II: Empirie

5. Schrifterwerb bei Lernern mit Arabisch als Erstsprache
5.1 Ziel der Untersuchung
5.2 Probandengruppe
5.3 Methodisches Vorgehen
5.3.1 Erhebung
5.3.2 Auswertung

6. Ergebnisse
6.1 Quantitative Auswertung der Phonem-Graphem-Korrespondenzen
6.1.1 Amir
6.1.2 Alima
6.1.3 Issam
6.1.4 Namika
6.1.5 Reem
6.1.6 Zusammenfassende Auswertung des Diktats
6.2 Qualitative Auswertung weiterer Auffälligkeiten der Verschriftung

7. Diskussion der Ergebnisse und didaktische Empfehlungen

8. Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Erhebungsinstrumente

Schülertexte

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Vokaltrapez der deutschen Aussprache; eigene, veränderte Abbildung nach Kleiner, Knöbl & Mangold (72015, S. 34)

Abbildung 2: Original der Bildergeschichte von Alima und IPA-Übersetzung

Abbildung 3: Ausschnitt der Phonem-Auszählung einer Schreibprobe

Abbildung 4: Graphem-Realisierung von Einzelvokalphonemen bei Amir

Abbildung 4.1: Zusammenfassende Phonem-Graphem-Realisierung von Vokalqualitäten bei Amir

Abbildung 4.2: Korrekte (r) und plausible (p) Phonem-Graphem-Realisierung 41 von Diphthongen bei Amir

Abbildung 4.3: Graphem-Realisierung von Konsonantenphonemen bei Amir

Abbildung 4.4: Phonem-Graphem-Realisierung von Reduktionssilben bei Amir

Abbildung 5: Graphem-Realisierung von Einzelvokalphonemen bei Alima

Abbildung 5.1: Zusammenfassende Phonem-Graphem-Realisierung von Vokalqualitäten bei Alima

Abbildung 5.2: Korrekte (r) und plausible (p) Phonem-Graphem-Realisierung 45 von Diphthongen bei Alima

Abbildung 5.3: Graphem-Realisierung von Konsonantenphonemen bei Alima

Abbildung 5.4: Phonem-Graphem-Realisierung von Reduktionssilben bei Alima

Abbildung 6: Graphem-Realisierung von Einzelvokalphonemen bei Issam

Abbildung 6.1: Zusammenfassende Phonem-Graphem-Realisierung von Vokalqualitäten bei Issam

Abbildung 6.2: Korrekte (r) und plausible (p) Phonem-Graphem-Realisierung von Diphthongen bei Issam

Abbildung 6.3: Graphem-Realisierung von Konsonantenphonemen bei Issam

Abbildung 6.4: Phonem-Graphem-Realisierung von Reduktionssilben bei Issam

Abbildung 7: Graphem-Realisierung von Einzelvokalphonemen bei Namika

Abbildung 7.1: Zusammenfassende Phonem-Graphem-Realisierung von Vokalqualitäten bei Namika

Abbildung 7.2: Korrekte (r) und plausible (p) Phonem-Graphem-Realisierung 52 von Diphthongen bei Namika

Abbildung 7.3: Graphem-Realisierung von Konsonantenphonemen bei Namika

Abbildung 7.4: Phonem-Graphem-Realisierung von Reduktionssilben bei Namika

Abbildung 8: Graphem-Realisierung von Einzelvokalphonemen bei Reem

Abbildung 8.1: Zusammenfassende Phonem-Graphem-Realisierung von Vokalqualitäten bei Reem

Abbildung 8.2: Korrekte (r) und plausible (p) Phonem-Graphem-Realisierung 56 von Diphthongen bei Reem

Abbildung 8.3: Graphem-Realisierung von Konsonantenphonemen bei Reem

Abbildung 8.4: Phonem-Graphem-Realisierung von Reduktionssilben bei Reem

Abbildung 9: Durchschnittliche Graphem-Realisierung von Einzelvokal- 58 phonemen im Diktat

Abbildung 9.1: Durchschnittliche Phonem-Graphem-Realisierung von Vokalqualitäten im Diktat

Abbildung 9.2: Durchschnittliche Phonem-Graphem-Realisierung von Diphthongen im Diktat

Abbildung 9.3: Durchschnittliche Graphem-Realisierung von Konsonanten- 60 phonemen im Diktat

Abbildung 9.4: Durchschnittliche Phonem-Graphem-Realisierung von Reduktionssilben im Diktat

Abbildung 10: Beispiele nicht erkennbarer Wortgrenzen bei Alima

Abbildung 11: Beispiele nicht erkennbarer Wortgrenzen bei Namika

Abbildung 12: Vorlage des Diktats

Abbildung 13: Vorlage des Interviews

Abbildung 14: Vorlage der Bildergeschichte

Abbildung 15: Verschriftung des Diktats von Amir

Abbildung 15.1: Verschriftung des Interviews von Amir

Abbildung 15.2: Verschriftung der Bildergeschichte von Amir

Abbildung 16: Verschriftung des Diktats von Alima

Abbildung 16.1: Verschriftung des Interviews von Alima

Abbildung 16.2.: Verschriftung der Bildergeschichte von Alima

Abbildung 17: Verschriftung des Diktats von Issam

Abbildung 17.1: Verschriftung des Interviews von Issam

Abbildung 17.2: Verschriftung der Bildergeschichte von Issam

Abbildung 18: Verschriftung des Diktats von Namika

Abbildung 18.1: Verschriftung des Interviews von Namika

Abbildung 18.2: Verschriftung der Bildergeschichte von Namika

Abbildung 19: Verschriftung des Diktats von Reem

Abbildung 19.1: Verschriftung des Interviews von Reem

Abbildung 19.2: Verschriftung der Bildergeschichte von Reem

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Konsonanten des Arabischen, in Anlehnung an Zeldes & Kanbar (2014, S. 142)

Tabelle 1.1: Kehlig klingende Konsonanten des Arabischen, nach Zeldes & Kanbar (2014, S. 144)

Tabelle 1.2: Weitere Konsonanten des Arabischen, nach Zeldes & Kanbar (2014, S. 143)

Tabelle 2: Vergleich der deutschen und arabischen Konsonanten, 26 nach Zeldes & Kanbar (2014, S.142)

Tabelle 3: Persönliche Angaben der teilnehmenden Kinder

Tabelle 4: Ausgewählte Vokalqualitäten und entsprechende Phoneme

Tabelle 4.1: Ausgewählte Diphthonge und entsprechende Phoneme

Tabelle 4.2: Ausgewählte Konsonantenopposition bzw. -kombination und 37 entsprechende Phoneme

Tabelle 4.3: Reduktionssilben und entsprechendes Phonem

Tabelle 5: Vokalauslassung in vorliegenden Schreibproben

Tabelle 6: Verschriftungen des Phonems [ɛ]

Tabelle 7: Verschriftungen des Phonems [ɔ]

Tabelle 8: Fehlerhafte Verschriftungen der Kinder bei /ü/- und /ö/-Vokalqualitäten

Tabelle 9: Graphem-Realisierungen der Phoneme [ç] und [x] bei Namika

1. Einleitung

Die Deutsche Gesellschaft für Lesen und Schreiben fordert für Kinder „das Recht auf einen Unterricht im […] Schreiben, der die Fähigkeiten in ihrer gesprochenen Mutter- sprache einschließt“.

Die Forderung nach einem solchen Schreibunterricht scheint hochaktuell, da die Zahl der Schüler1 mit Migrationshintergrund, die als Erstsprache eine andere als die deut- sche sprechen, eine steigende Tendenz zeigt.2 Neben der Anzahl der Schüler mit Mi- grationshintergrund nimmt auch die Zahl neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher zu, die erst in den letzten Jahren nach Deutschland gezogen sind3. Sie sprechen nicht nur eine andere Muttersprache, sondern erwerben die deutsche Sprache verhältnismä- ßig spät. Das gemeinsame Lernen von Kindern mit verschiedenen Erstsprachen ist die Regel, Mehrsprachigkeit an deutschen Schulen daher Alltag.

Ein Großteil der Kinder erwirbt das deutsche Schriftsystem somit auf Grundlage von zwei oder mehr, unter Umständen sehr unterschiedlichen, Sprach- und Schriftsyste- men. Die Didaktik aller Lehrfächer sollte diese sprachlich heterogenen Voraussetzun- gen ihrer Schülerschaft berücksichtigen und den besonderen Anforderungen eines mehrsprachigen Schrifterwerbs gerecht werden. Aktuelle Ergebnisse von Vergleichs- studien wie PISA und IGLU zeigen aber, dass Kinder mit Migrationshintergrund nach wie vor überdurchschnittlich häufig schwache Leistungen im Schreiben aufweisen. Ist Mehrsprachigkeit also eine Hürde für einen erfolgreichen Schrifterwerb? Oder wird die Didaktik den Bedürfnissen der mehrsprachigen Schülerschaft nicht gerecht?

Zur Beantwortung dieser Fragen bedarf es einer intensiven Auseinandersetzung mit den Besonderheiten eines mehrsprachigen Schrifterwerbs. Dieser Thematik wurde trotz ihrer zunehmenden Relevanz in Forschung und Didaktik bisher wenig Beachtung geschenkt (vgl. Becker 22013, S. 11). Auch lassen die bisherigen Forschungsergeb- nisse nur eine begrenzte Einschätzung und Modellierung des Schrifterwerbprozesses bei mehrsprachigen Kindern, die bereits in ihrer jeweiligen Erstsprache alphabetisiert wurden bzw. werden, zu (vgl. Becker 22013, S. 110). Anhand der Zahlen neu nach Deutschland zugewanderter Kinder und Jugendlicher ist davon auszugehen, dass im- mer mehr von ihnen aufgrund ihres Alters bereits ein Schriftsystem einer anderen Sprache beherrschen und dadurch vor der Herausforderung des Zweitschrifterwerbs stehen.

Die Forschung hat die Aufgabe, den mehrsprachigen Schrifterwerb in seinen Beson- derheiten zu erfassen und didaktische Konsequenzen für die Vermittlung von Schrift im mehrsprachigen Kontext zu empfehlen. Die Didaktik sollte die Besonderheiten der jeweiligen Erstsprache und unter Umständen auch Erstschrift berücksichtigen, da die Strukturen der jeweiligen Erstsprache sowohl auf phonologischer als auch auf schrift- licher Ebene entscheidende Faktoren für den Schrifterwerb in der Zweitsprache sind.

Die vorliegende Arbeit möchte in diesem Zusammenhang einen Beitrag zur aktuellen Forschung zum mehrsprachigen Schrifterwerb leisten. Sie stellt eingangs kurz das deutsche Schriftsystem und dessen Erwerb bei Erstsprachlern vor, um die Prinzipien des deutschen Schriftsystems und dessen Erwerb zu erläutern. Der Fokus der Arbeit liegt dann auf den Besonderheiten des Schrifterwerbs in der Zweitsprache und mögli- chen Einflussfaktoren der Erstsprache. Dabei nehmen vor allem phonologische As- pekte der beiden Sprachen und damit die phonologische Bewusstheit eine wichtige Rolle ein.

Da der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund, die Arabisch als Erstsprache sprechen, in Deutschland auch aufgrund aktueller Fluchtbewegungen sehr hoch ist (vgl. Einhellinger 2017, S. 39)4, ist Arabisch häufig die Erstsprache, auf die der Schrifterwerb in der Zweitsprache Deutsch aufbaut. Sie stellt für diese Kinder die Grundlage des Sprach- und Schrifterwerbs im Deutschen dar und beeinflusst daher beide.

Aus diesem Grund befasst sich die vorliegende Untersuchung mit dem Schrifterwerb bei Kindern mit Arabisch als Erstsprache. Um die besonderen sprachlichen Anforde- rungen für einen Schrifterwerb im Deutschen für Lerner mit arabischer Erstsprache herauszuarbeiten, ist zunächst ein sprachkontrastiver Vergleich des Deutschen und des Arabischen erforderlich. Die Untersuchung setzt sich mit Verschriftungen arabisch- sprachiger Kinder auseinander, die momentan das deutsche Schriftsystem erlernen.

Ziel dieser Untersuchung ist es, die deutschen Verschriftungen der arabischsprachigen Kinder auf Grundlage von Forschungsergebnissen und dem kontrastiven Sprachver- gleich auf einen Einfluss der Erstsprache hin zu analysieren. Dies geschieht vor allem anhand einer Auswertung der Phonem-Graphem-Realisierungen der Kinder. Es ist zu erwarten, dass sich Beispiele in den Schreibproben finden lassen, die auf einen Ein- fluss der Erstsprache Arabisch hindeuten. Auf der Ebene des Schriftsystems sind ei- nige Fehlverschriftungen im Deutschen aufgrund von Interferenzen aus dem arabi- schen Schriftsystem ebenso wahrscheinlich.

In der Diskussion werden die Ergebnisse der eigenen Untersuchung vor dem Hinter- grund publizierter Forschungsergebnisse zum mehrsprachigen Schrifterwerb bewertet. Daran anschließend werden einige didaktische Empfehlungen formuliert, die sich an Lehrkräfte richten, die arabischsprachige Kinder in ihrem Schrifterwerb im Deutschen unterstützen.

Teil I: Theorie

2. Das Schriftsystem des Deutschen

Von verschiedenen Autoren, u.a. von Eisenberg (2017, S. 26ff) und Karg (2015, S. 48ff)5, werden für das deutsche Schriftsystem vier Prinzipien der Verschriftung auf- geführt:

1. Das phonetische oder phonographische Prinzip:

Die deutsche Schrift basiert zunächst auf einem phonographischen6 System; verschie- dene Lauteinheiten unseres Sprachsystems werden durch unterschiedliche Schriftzei- chen dargestellt. Dabei spricht man von einer lautorientierten Alphabetschrift, da keine 1:1 Korrespondenz zwischen Laut und Buchstabe existiert (vgl. Karg 2015, S. 50). So gibt es im Deutschen für den Ach-Laut [x] und Ich-Laut [ç] nur die Buchstabenkom- bination <ch>, für das Zäpfchen-[r] und das Zungenspitzen-[R] nur den Buchstaben <r>; der Glottisverschlusslaut [Ɂ] wird dagegen im Deutschen gar nicht durch Buch- staben repräsentiert7 (vgl. Karg 2015, S. 55). Die Beziehung von Gesprochenem und Geschriebenem besteht also nicht zwischen Laut und Buchstabe, sondern zwischen Phonem und Graphem8 (vgl. Schründer-Lenzen 2013, S. 16). Beispielsweise existieren in der deutschen Schrift für 16 Vokalphoneme9 nur neun entsprechende Grapheme (vgl. Fuhrhop 2009, S. 8). Das heißt, dass nicht alle kurz oder lang gesprochenen Vo- kale durch ein eigenes Graphem repräsentiert sind, sondern auf suprasegmentaler Ebene differenziert werden müssen. Es bestehen bestimmte Phonem-Graphem-Zuord- nungen, die in den meisten Fällen für die Umsetzung eines bestimmten Phonems in ein Graphem angewendet werden. Diese vorherrschenden Zuordnungen bezeichnet Thomé (2003) als Basisgrapheme (wie <ie> für [i:]), seltenere Schreibungen als Or- thographeme (wie <ih> für [i:]).

Die hier ausschnitthaft vorgestellte Varianz der Phonem-Graphem-Beziehungen zei- gen bereits in Teilen auf, dass das deutsche Schriftsystem als ein orthographisch tiefe- res Schriftsystem10 bezeichnet werden kann: es basiert nicht nur auf einer phonetischen oder phonologischen Orthographie, sondern hat für die Schreibung unter anderem auch entscheidende morphologische Bezüge (vgl. Eisenberg 2011, S. 323f.; Berke- meier 2006, S. 298). Das deutsche Schriftsystem ist zwar in erster Linie phonologisch organisiert, jedoch durch weitere orthographische Regularitäten normiert (vgl. Becker 22013, S. 18). Daher macht nicht allein das Wissen um die Laut-Buchstaben-Zuord- nung die Schreibung eines Wortes eindeutig, sondern es müssen noch weitere Aspekte bei der Verschriftung hinzugezogen werden (vgl. Klann-Delius 1999, S. 36ff). Für die Schreibung eines Wortes können neben der phonetischen Struktur auch die Silben- struktur, die morphologische Struktur sowie syntaktische Aspekte entscheidend sein (vgl. Weingarten 2002, S. 144).

2. Das silbische Prinzip:

Das silbische Prinzip betrifft das sogenannte Silbengelenk11 und greift im Deutschen in zwei Fällen. Zum einen besagt dieses Prinzip, „dass ein Konsonant als silbengelenk- ambisilbischer Konsonant verdoppelt wird“12 (Karg 2015, S. 57). Hierbei geht es um betonte offene Silben, die, würde man sie nicht „schließen“, im Deutschen lang aus- gesprochen würden (bspw. <*himel>, <*komen>). Diese „Schließung“ erfolgt durch die Schreibung eines Doppelkonsonanten. Der erste Konsonant gehört zur ersten Silbe, wodurch diese geschlossenen wird und so einen kurzen, betonten Vokal erhält, und der zweite Konsonant zur zweiten Silbe13.

Zum anderen zählt das silbeninitiale <h>14 zum silbischen Prinzip der deutschen Or- thographie. Es greift, wenn die erste Silbe des Wortes „auf einen langen Vokal endet und die zweite mit einem kurzen, unbetonten Vokal beginnt“ (Karg 2015, S. 58). Dies lässt sich durch das Einfügen eines <h> am Anfangsrand der zweiten Silbe vermeiden. So wird aus <*dreen> <drehen > und aus <*rue> <ruhe >.

3. Das morphologische Prinzip:

Unser Schriftsystem ist darauf ausgerichtet, das Erfassen einzelner Bedeutungseinhei- ten zu erleichtern. Daher beinhaltet es die sogenannte Morphemkonstanz, durch die die Verwandtschaft zu anderen Wörtern angezeigt wird. Es geht darum, die zu einem Stamm gehörenden Wortformen trotz ihrer lautlichen Unterschiede schriftlich gleich zu repräsentieren. Dieses Prinzip überlagert in bestimmten Fällen das phonetische oder auch das silbische Prinzip, beispielsweise bei der Nichtberücksichtigung der Auslaut- verhärtung (z.B. bei <hund/hundeleine>). Auch bei Nichtabbildung der Konsonanten- reduktion an Morphemgrenzen, wie bei <verraten>, greift das morphologische Prin- zip: Es ist zwar nur ein Konsonant hörbar, zur Identifizierung des Präfixes <ver> und des Wurzelmorphems <rat> bleiben jedoch beide Konsonanten erhalten. Auch die Ähnlichschreibung bei Wörtern wie <haus/häuser> ist auf das morphologische Prinzip zurückzuführen (vgl. Karg 2015, S. 59f.).

4. Das syntaktische Prinzip15:

Groß- und Kleinschreibung, Getrennt- und Zusammenschreibung sowie die Zeichen- setzung folgen im Deutschen grammatischen Regeln, die häufig erst im Kontext wirk- sam werden. Die satzinterne Großschreibung dient der Markierung des Bedeutungs- trägers einer Wortgruppe. Dabei ist die satzinterne Großschreibung bei Nomen und Nominalisierungen spezifisch für die Orthographie des Deutschen und kommt in an- deren Sprachen nicht vor.

Durch die Zusammenschreibung lassen sich zusammengehörige Bedeutungseinheiten innerhalb eines Satzes identifizieren. Über den Test der syntaktischen Eigenständig- keit prüft man, ob eine Zusammenschreibung verlangt wird. Die Zeichensetzung dient im Deutschen zum einen der Markierung kommunikativer Grundeinheiten wie bei- spielsweise der Punkt für die Markierung grammatischer Sätze. Zum anderen dient sie zur Differenzierung innerhalb eines Satzes in Untereinheiten wie das Komma zur Mar- kierung von Nebensätzen (vgl. Eisenberg 2017, S. 30ff).

Die Phonem-Graphem-Korrespondenz sowie das Befolgen weiterer schriftsprachli- cher Prinzipien führen zu einem komplexen Schriftsystem mit zahlreichen, unter Um- ständen voneinander abhängigen Regelhaftigkeiten, die sich überlagern und in Kon- kurrenz zueinander treten: Unser Schriftsystem ist eher eine Abbildung von Gramma- tik als der Lautung (vgl. Bredel, Fuhrhop & Noack 22017, S. 22). Beim Erwerb dieses Systems sind daher hohe kognitive Fähigkeiten gefordert, durch die sich der Lerner in Eigenaktivität sukzessive diese Regelhaftigkeiten erschließen muss. Das folgende Ka- pitel widmet sich in diesem Zusammenhang dem Erwerb unseres Schriftsystems, des- sen Verlauf schon mehrfach durch Modelle (u.a. Valtin 1988; Thomé 2003) dargestellt wurde.

3. Ein- und mehrsprachiger Schrifterwerb

Füssenich & Löffler (2005, S. 19) definieren den Schrifterwerb als eine „Aneignung der Schrift […] als Entwicklungsprozess […], bei dem sich das Kind schrittweise das System unserer Schrift erarbeitet und selbstständig Regeln zur Verschriftung gespro- chener Sprache entdeckt“. Der Schrifterwerb kann damit als ein Prozess aufgefasst werden, der durch Lösungsstrategien sowie durch Bildung von Hypothesen beeinflusst wird, die Kinder mithilfe ihrer sprachlichen Kompetenzen und Ressourcen entwickeln (vgl. Becker 22013, S. 12). Weingarten (2008) sowie Feilke (2001) unterteilen den Schriftspracherwerb16 in drei Erwerbsbereiche. Sie gehen davon aus, dass neben dem Erwerb der Orthographie und der Graphomotorik auch spezifische schriftsprachliche Kommunikationsformen und Textsorten erworben werden. Für einen erfolgreichen Schriftspracherwerb stellt das Beherrschen der Orthographie daher nur einen Teil- aspekt dar. Ebenso geht es beim Schrifterwerb um einen Übergang von konzeptionel- ler Mündlichkeit zu konzeptioneller Schriftlichkeit, der wiederum den Begriff der „Grammatikalisierung als Prozeß von Lernfortschritten“ (Fichtner 2001, S. 167) mit einschließt.

Auch wenn mittlerweile in Forschung und Didaktik anerkannt ist, dass es sich um sehr individuelle Erwerbsverläufe handelt, wurde der Schrifterwerb in Erwerbsmodellen in bestimmte Phasen oder Stufen gegliedert. Im folgenden Kapitel werden kurz die be- kanntesten und aktuellsten Modelle vorgestellt, um den Prozess des Schreibenlernens zu umreißen. Daran anschließend werden die Besonderheiten des Schrifterwerbs er- läutert, die bei mehrsprachigen Kindern bei einer Alphabetisierung in ihrer Zweitspra- che Deutsch auftreten.

3.1 Modelle des Schrifterwerbs

Seit den 1970er Jahren wird die Aneignung der Schriftsprache nicht mehr als ein End- zustand durch Einsatz didaktischer Methoden, sondern als ein Erwerbsprozess ange- sehen, bei dem der Lerner, in Form einer inneren Regelbildung, als eigenaktiv und eigenverantwortlich verstanden wird (vgl. Becker 22013, S. 29). So sind zahlreiche Erwerbsmodelle entstanden, die eine Differenzierung in verschiedene Phasen entwe- der nur für das Schreibenlernen oder - wie in der neueren Forschung - für die Verknüp- fung von Lesen- und Schreibenlernen vornehmen. Unumstritten ist hierbei, dass es während des Erwerbs zu Wechselwirkungen zwischen dem Schreiben und dem Lesen kommt, vor allem in den Anfangs- und Endphasen scheint diese Wechselwirkung je- doch eher gering. So zeigten beispielsweise Goswami & Bryant (1990) in ihrer Studie, dass Kinder zu Beginn des Erwerbs sehr unterschiedliche Strategien bezüglich ihres Schreib- und Leseerwerbs nutzen: Das Schreiben beruht eher auf phonologischen, während das Lesen eher auf logographischen, visuellen Strategien fußt. Die Verzah- nung der Erwerbsprozesse findet daher eher zeitlich und nicht unbedingt funktional statt. Im Folgenden wird ein Überblick über Modelle des Schrifterwerbs entsprechend ihrer Phasen gegeben, die das Lesen weniger berücksichtigen und eine getrennte Be- trachtung der Lese- und Schreibfertigkeiten vorziehen. Dabei stellt das Erwerbsmodell nach Thomé (2003) ein vergleichsweise aktuelles Modell dar, das Modellvorstellun- gen zu den Phasen früherer Autoren (Spitta 1988; Valtin 1988; Dehn 1985; Günther 1986; Scheerer-Neumann 1989) integriert und im Gegensatz zu anderen Modellen eine recht weitgehende Differenzierung innerhalb einzelner Phasen vornimmt.

Modelle zum Schrifterwerb geraten immer wieder in die Kritik, da ihnen häufig eine ausreichende empirische Fundierung fehlt. Sie vermitteln ein Konzept von aufeinander aufbauenden Stufen bzw. Phasen, das jedoch aufgrund der Variabilität sowie der Viel- schichtigkeit des individuellen Schrifterwerbs in Frage gestellt werden sollte. Mittler- weile geht man von einer Überlappung und Interaktion der Phasen aus. Mehr zur Kritik an Schrifterwerbsmodellen findet sich bei Becker (22013), Bredel et al. (22017) sowie Jeuk (2009); sie eignen sich aber trotzdem gut für eine grobe Modellierung des Schrif- terwerbs und als Orientierung bei der Bewertung und Einordnung des individuellen Entwicklungsstands von Schreibanfängern. Anzumerken ist allerdings, dass sich kei- nes der anschließend vorgestellten Modelle als didaktisches Modell versteht.

3.1.1 Die präliterale Phase

Die präliterale Phase wird in nur wenigen Modellen benannt, da es sich in dieser Phase ausschließlich um graphomotorische Aspekte des Schrifterwerbs handelt. So be- schreibt Spitta (1988) die erste Phase ihres Modells als „erste Versuche, mit Hilfe von (Schreib-)Geräten Spuren auf Papier […] zu erzeugen“ (Spitta 1988, S. 11). Wie Spitta sieht Günther (1986) diese Phase als eine Voraussetzung für den Schrifterwerb an, da es hierbei um den Erwerb und die Erprobung graphomotorischer Fähigkeiten geht.

3.1.2 Die vorphonetische Phase

Die vorphonetische Phase, wie sie bei Spitta (1988) als zweite Phase bezeichnet wird, findet sich als erste Phase bei weiteren Erwerbsmodellen wieder. Sie ist gekennzeich- net durch die sogenannte „Kritzelschrift“ (Becker 22013, S. 34). Die Kritzelschrift hebt sich durch ihren kommunikativen Charakter von den graphomotorischen Übungen aus der präliteralen Phase ab. So beinhaltet sie schon erste Buchstabenschreibungen, die sich eher als Malen von Buchstaben beschreiben lassen. Scheerer-Neumann (1989) bezeichnet diesen Erwerbszeitpunkt als logographemische Phase, da Kinder zu diesem Zeitpunkt zwar noch keinen Zusammenhang zwischen Zeichen und Laut herstellen, allerdings Zeichen bereits wiedererkennen und imitieren. Entscheidend ist auch bei den Modellen von Günther (1986) und Dehn (2006), dass die Bedeutungshaltigkeit der Schrift von den Kindern erkannt wird, weshalb sie diese ersten Annäherungen an Schrift bereits als Teil des Erwerbs ansehen und ebenfalls als logographemische Phase bezeichnen. Bis zu diesem Zeitpunkt besitzt die Schrift bzw. die schriftähnliche Pro- duktion bei den bisher zitierten Modellen noch keinen Lautbezug. Anders bei Thomé (2003), der die Phase bereits als protoalphabetisch-phonetische Phase bezeichnet, die deutlich macht, dass bei den „ersten Schreibversuchen“ schon ein „lautliche[r] Bezug erkennbar“ ist (Thomé 2003, S. 371). Er bezeichnet diese Schreibungen als rudimen- täre bzw. als Skelett-Schreibungen. Dieser Zusammenhang von Zeichen und Laut prägt die nächste Phase der meisten Erwerbsmodelle.

3.1.3 Die phonetische Phase

Die phonetische, in manchen Modellen alphabetische, Phase ist gekennzeichnet durch Schreibungen, die sich schon stark an phonetischen Regeln orientieren. Diese Phase findet sich sowohl bei Spitta (1988) als auch Valtin (1988) wieder, die in ihren Mo- dellen jedoch noch eine halbphonetische Phase voranstellen. Diese wird durch die „Lautabbildungsfunktion der Buchstaben“ (Becker 22013, S. 36) charakterisiert. An- dere Modelle wie bei Dehn (1985) und Günther (1986) betonen in dieser Phase die Verschriftung artikulatorischer Aspekte des Gesprochenen, wobei Schreibanfänger ir- relevante Aspekte der Lautstruktur wiedergeben und/oder phonematische Prinzipien berücksichtigen (vgl. Becker 22013, S. 36f.). Thomé (2003) sieht diese Phase noch als Teil der protoalphabetisch-phonetischen Phase an, er benennt sie als Teilstufe der pho- netisch orientierten Schreibungen, in der den Schreibanfängern zunehmend eine laut- liche Durchgliederung von Wörtern gelingt. Allerdings herrscht in der Forschung Un- einigkeit darüber, ob die phonetische bzw. alphabetische Phase als Übergangsstadium von der logographemischen zur orthographischen Phase als obligatorisch im Erwerbs- prozess angesehen werden kann. Allgemein betrachtet ist vor allem die Einsicht in die Grundprinzipien der alphabetischen Schrift für den Erwerbsprozess entscheidend. Hierbei geht es in erster Linie um den Zusammenhang von Laut- und Schriftsystem, der sich wiederum auf die Begriffe der Phoneme und Grapheme segmentieren lässt. Dabei liegt bei der phonemischen Fundierung der deutschen Schriftsprache ein zent- rales Problem für ihre Lerner. Die Phoneme ergeben sich zwar aus der Analyse eines phonologischen Wortes, diese stimmen jedoch nicht mit dem phonetischen Wort über- ein.

3.1.4 Die orthographische Phase

Die orthographische Phase findet sich in allen Modellen in gleichem Ausmaße wieder und stellt zumeist die letzte Phase des Erwerbs dar. Sie tritt etwa im siebten Lebensjahr ein, in dem die Kinder mit der Entwicklung und Anwendung orthographischer Muster beginnen, wobei diese häufig übergeneralisiert werden. Einige Autoren nehmen in die- ser Phase noch feinere Unterteilungen vor. Spitta (1988) und Valtin (1988) sprechen beide zunächst von einer phonetischen Umschrift, bei der es sich um eine zunehmende Integration von Rechtschreibmustern handelt bzw. erste orthographische Muster ver- wendet werden. Diese Umschrift kann als Übergangsform zu Rechtschreibfähigkeit bzw. korrekter orthographischer Wiedergabe von Gesprochenem angesehen werden. Valtin (1988) unterscheidet zudem ebenso wie Scheerer-Neumann (1989) zwischen Regelwissen und Lernwörtern, während Dehn (1985) vor allem das morphematische Prinzip als entscheidend für diese Phase des Erwerbs ansieht. Auch Thomé (2003) schließt sein Modell mit einer orthographischen Phase ab, in der die Entwicklung zu Standardisierungen und Regelhaftigkeiten im Zentrum steht und die Schreibanfänger Abweichungen des phonologischen Prinzips kennenlernen. Allerdings stellt Thomé (2003) der orthographischen Phase noch eine alphabetische Phase voran. In dieser er- halten die Schreibanfänger - wie in der phonetischen Phase anderer Modelle - die ent- scheidende Einsicht in das Grundprinzip einer Alphabetschrift und die Relevanz be- stimmter Laute für unsere Schriftsprache.

Einig sind sich die zitierten Autoren darüber, dass in der orthographischen Phase mar- kante Unterschiede zwischen dem Lesen- und dem Schreibenlernen bestehen und diese getrennt voneinander betrachtet werden müssen. Zudem ist diese Phase ohne di- daktische Anleitung und Unterstützung zumindest für bestimmte Orthographieberei- che, die beispielsweise auf syntaktischen oder morphologischen Prinzipien beruhen, kaum zu bewältigen. Diese Orthographiebereiche bauen auf der Vermittlung von grammatischem Wissen auf (vgl. Becker 22013, S. 38f.).

Alphabetisierung kann somit als ein Prozess definiert werden, der sowohl eine allmäh- lich wachsende Erkenntnis über die Repräsentation von Sprache im schriftlichen Me- dium (Orthographie) als auch den Aufbau der Regeln des Systems (Grammatik) bein- haltet (Şimşek 2017, S.1).

Im anschließenden Kapitel wird die Alphabetisierung von mehrsprachigen Kindern spezifisch betrachtet, um die Besonderheiten eines Schrifterwerbs in einer Zweitspra- che hervorzuheben und dabei die Rolle der phonologischen Bewusstheit (vgl. Kap. 3.2.1) und der Erstsprache zu beleuchten.

3.2 Schrifterwerb in der Zweitsprache

Die Phasen des Schrifterwerbs in der Zweitsprache ähneln grundsätzlich denen in der Erstsprache. Besonders beim Schrifterwerb mehrsprachiger Kinder ist allerdings, dass sie über „qualitativ andere sprachliche Ressourcen“17 sowie „andere Zu- und Rück- griffsmöglichkeiten auf sprachliches Wissen“ verfügen (Becker 22013, S. 12). Somit kann man davon ausgehen, dass der Erwerb des Schriftsystems in der Zweitsprache anderen Einflüssen als der Schrifterwerb in der Erstsprache und damit besonderen Ge- setzmäßigkeiten unterliegt. Die Frage nach bzw. die Beschreibung von Strategien, die auf das Wissen aus der Erstsprache zurückzuführen und somit für den zweitsprachli- chen Schrifterwerb einzigartig sind, ist auf Grundlage bisheriger Forschungsergeb- nisse noch nicht gesichert zu beantworten (vgl. Jeuk 2012, S. 107ff). Momentan wer- den in der Fachdidaktik zum einen die Potenziale thematisiert, die mehrsprachige Kin- der aufgrund ihrer Sprachbewusstheit18 sowie ihrer besonderen Fähigkeiten der Sprachreflexion mitbringen. So weisen Bredel et al. (22017, S. 205) darauf hin, dass mehrsprachige Kinder ihre Kompetenzen „in erstaunlichem Maße […] auch beim Er- werb der deutschen Schriftsprache“ nutzen können. Sind sie in ihrer Erstsprache schon alphabetisiert, bedeutet dies, dass sie auf „wesentliche Grundlagen“ aus der Erstschrift zurückgreifen können und der Zweitschrifterwerb „auf Erfahrungen des Erstschrifter- werbs aufbaut“ (Schulte-Bunert 2000, S. 34). Zum anderen zeigt die Literatur auch mögliche Erwerbsverzögerungen auf, die durch die sprachkontrastive Situation verur- sacht werden können. Der Schrifterwerb in einer Sprache, die mündlich noch nicht ausreichend beherrscht wird, stellt hohe kognitive Anforderungen an die jeweiligen Kinder (vgl. u.a. Grießhaber & Kalkavan 2012, S. 7; Schulte-Bunert 2012, S. 123; Belke 32003, S. 103). Anders ausgedrückt kann - „da Schriftsprache in der gesproche- nen Sprache ,fundiert‘ ist“ - im Fall von Mehrsprachigkeit der Schrifterwerb in der Zweitsprache Kinder vor besondere Herausforderungen stellen19 (vgl. Weth 2008, S. 3).

Herdina und Jessner (2002) gehen davon aus, dass bei mehrsprachigen Kindern nicht nur zwei, sondern drei sprachliche Systeme existieren, die mitunter parallel erworben werden müssen. Einerseits erwerben sie das erstsprachliche System, das unter anderem die Teilbereiche der Phonologie, der Morphologie sowie des Lexikons beinhaltet so- wie entsprechend das zweitsprachliche System, das ebenfalls die genannten Teilberei- che enthält. Andererseits erwerben die Kinder als drittes das zweitsprachliche, deut- sche Schriftsystem, das aus erwerbstheoretischer Sicht als autonomes System mit ei- genen Strukturen und Regularitäten betrachtet werden kann (vgl. Herdina & Jessner 2002, S. 89ff). Dies bedeutet, dass sowohl die mündliche Sprachkompetenz in der Erst- als auch in der Zweitsprache den Schrifterwerb des Deutschen beeinflussen (vgl. Reich 2002, S. 41; Schröder 2010, S. 26). Belke (2001) spricht hierbei von eigenen Gesetz- mäßigkeiten, denen der Erwerb einer Zweitsprache unter Migrationsbedingungen un- terliegt. Dabei geht sie davon aus, dass sich diese besonderen Gegebenheiten vor allem auf den Orthographieerwerb in der Zweitsprache auswirken. Jeuk (2007, S. 36) kon- statiert, dass es bei Kindern mit Deutsch als Zweitsprache - da der Schrifterwerb auf vorhandene Sprachfähigkeiten aufbaut - „zwangsläufig zu Schwierigkeiten beim Er- werb von konzeptioneller Schriftlichkeit“ im Hinblick auf morphologisch und syntak- tisch bestimmte Rechtschreibkenntnisse kommt20. Thomé (1987) (zit. nach Becker 22013) stellte im Zuge seiner Dissertation zum Schrifterwerb mehrsprachiger Kinder fest, dass die Strukturen der Erstsprache den Orthographieerwerb der Zweitsprache nicht erheblich beeinflussen, sondern eher graphematische Interferenzen zu erwarten sind. Grießhaber (2004) untersuchte den Schrifterwerb bei Kindern in ihrer Zweitspra- che und konnte ebenfalls feststellen, dass die Erstsprache durchaus einen Einfluss auf Schreibungen der mehrsprachigen Kinder hat. Mehlem und El-Asrouti (2002) widme- ten ihr Forschungsprojekt dagegen der Frage, ob die in der Zweitsprache Deutsch er- worbene Orthographie auf Schreibungen in der Erstsprache übertragen werden, und zeigten dabei, dass Kinder, die in ihrer Zweitsprache alphabetisiert wurden, durchaus in der Lage sind, erworbenes schriftsprachliches Wissen auf Schreibungen in der Erst- sprache zu übertragen. Interessant hierbei ist, dass die Kinder das Schriftsystem der Erstsprache nicht in vergleichbarem Maße wie das der Zweitsprache beherrschten. Auch Kalkavan (2012) ließ türkisch-deutsch aufwachsende Kinder türkische Texte schreiben und stellte dabei fest, dass die in beiden Sprachen alphabetisierten Kinder orthographische Muster des Deutschen ins Türkische übertragen; eine konsequente Übertragung fand vor allem in Bezug auf die Groß- und Kleinschreibung statt. Belke (2007) konstatiert, dass Lerner, die in ihrer Erstsprache alphabetisiert wurden, ihr vor- handenes schriftsprachliches Wissen auf Schreibungen in der Zweitsprache übertragen und es vor allem auf der Ebene der Phonem-Graphem-Beziehungen zu systematischen Interferenzen21 kommt. Im Gegensatz zu den bisher zitierten Veröffentlichungen konnte Selmani (2012) bei einer Untersuchung mit albanisch-deutschen Kindern be- züglich orthographischer Aspekte weder einen Einfluss der Erst- auf die Zweitsprache noch der Zweit- auf die Erstsprache feststellen, obwohl aufgrund orthographischer Differenzen der beiden Sprachen durchaus Interferenzen zu erwarten gewesen wären. Beim Schrifterwerb in einer Zweitsprache kann es also je nach Unterschieden oder Übereinstimmungen der entsprechenden Schriftsysteme zu auf die Erstschrift zurück- zuführenden Interferenzen oder einem transferierbaren Wissen kommen (vgl. Busch- feld & Schöneberger 2010, S. 65)22.

Im Hinblick auf die lautliche Differenzierung der jeweiligen Sprachen konnte Röber (1997) bei russischen und türkischen Kindern beobachten, dass ihnen in ihrer Zweit- sprache Deutsch vor allem die Differenzierung von kurzen und langen Vokalen schwerfiel. Die Unsicherheiten im Mündlichen äußerten sich auch in einer fehlerhaften Verschriftung in der Zweitsprache. Sie geht davon aus, dass mehrsprachige Kinder durch Unterschiede der phonologischen Systeme gegenüber einsprachigen Kindern vor allem im Hinblick auf die lautliche Segmentierung benachteiligt sind und führt Interferenzen zum größten Teil auf phonetische Schwierigkeiten der Schüler zurück (vgl. Röber-Siekmeyer 1998, S. 69; Röber 2004, S. 15). Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Belke (32003, S. 106), die in Diktaten bei mehrsprachigen Kindern eine auffällig häufige „phonetische Wiedergabe des Gehörten“ vorfand23. Hüttis-Graff (62003) verglich in ihrer Studie Schreibungen einsprachiger und mehrsprachiger Kin- der in der Schuleingangsphase und stellte dabei ebenfalls fest, dass die Fehlschreibun- gen in der Zweitsprache der mehrsprachigen Kinder auf die Übertragung phonologi- scher Strukturen ihrer Erstsprache zurückzuführen sind. Schwierigkeiten für mehr- sprachige Kinder ergeben sich auch dadurch, dass „Probleme der auditiven Wahrneh- mung der Zweitsprache den Zugang zu lexikalischen und grammatischen Erschlie- ßungsprozessen beim Schriftspracherwerb erschweren“ (Belke 2007, S. 30). Damit sieht auch sie die Ursache für Erwerbsverzögerungen im Umgang mit zwei oder mehr unterschiedlichen Lautsystemen.

Trotz der vorgestellten Forschungsergebnisse wird von einigen Autoren, darunter Röber (2003), Jeuk (2012) sowie Becker (22013), beklagt, dass der bisherige Stand der Forschung noch unbefriedigend ist und die einzelnen Studien ein recht unvollständiges Bild zum mehrsprachigen Schrifterwerb liefern. Şimşek (2017, S. 3f.) zieht dennoch folgende vorläufige Schlussfolgerungen: Die „Identifizierung phonologischer Einhei- ten“ und die entsprechende graphische Umsetzung führen bei mehrsprachigen Kindern zu vergleichsweise höheren kognitiven Anforderungen, da sie das deutsche Schriftsys- tem auf verschiedenen Ebenen24 analysieren müssen. Zudem stehen ihnen - anders als einsprachigen Kindern - sprachliche Ressourcen zweier Systeme zur Verfügung, die stark voneinander abweichen können. Da sich die mehrsprachigen Kinder nicht nur im Zweit schrift - sondern meist auch noch im Zweit sprach erwerb befinden, fehlt ihnen für eine korrekte Analyse orthographischer Strukturen des Deutschen der nötige Bezug zum Gesprochenen. Diese im Vergleich zu einsprachigen Kindern größeren Anforde- rungen können, wie zu Anfang des Kapitels angemerkt, jedoch auch Vorteile in Form von größeren sprachanalytischen Fähigkeiten mit sich bringen, die die mehrsprachigen Kinder in ihrem Schrifterwerbsprozess in der Zweitsprache nutzen können. Şimşek (2017, S. 4) sieht abschließend die größte Herausforderung eines Schrifterwerbs in der Zweitsprache in der „kontrastierende[n] Erfahrung, insbesondere in Bezug auf phono- logische Merkmale“. Dementsprechend wird die phonologische Bewusstheit im fol- genden Kapitel beschrieben und die Rolle der Erstsprache im Hinblick auf einen Schrifterwerb in einer Zweitsprache diskutiert, wobei unter anderem die Forschungs- ergebnisse von James Flege (1999; 2002) thematisiert werden, der sich im Kontext des Speech Learning Models eingehend mit Wechselwirkungen phonetischer Aspekte bei mehrsprachigen Lernern befasst hat25.

3.2.1 Die phonologische Bewusstheit und die Rolle der Erstsprache

„Um zu erkennen, welche diskreten Einheiten der Schrift sich auf welche diskreten Einheiten der Lautsprache beziehen, sind Kenntnisse über den Aufbau der Lautsprache unerlässlich“ (Becker 22013, S. 49). Bei diesen Kenntnissen handelt es sich um die sogenannte phonologische Bewusstheit, die seit mehr als 20 Jahren als „wohl wich- tigste Voraussetzung für den erfolgreichen Einstieg in das Lesen und Schreiben“ (Bredel et al. 22017, S. 91) angesehen wird - wobei bis heute diskutiert wird, ob sie wirklich Voraussetzung oder eher Folge eines erfolgreichen Erwerbs darstellt. So be- findet sich laut Şimşek (2017) die phonologische Bewusstheit zu Schulbeginn noch im Aufbau und wird erst mit dem Einsetzen des Lesen- und Schreibenlernens, worunter auch die Vermittlung der Orthographie fällt, ausgebildet. Schründer-Lenzen (2009, S.16) definiert die phonologische Bewusstheit als auditive Wahrnehmung von „sprachlich-phonologische[n] Sequenzen“ und „Reflexionsfähigkeit im Hinblick auf Sprache“, nach Şimşek (2015, S. 284) eine „Folge des Erwerbs von Sprachwissen“. Unter phonologischer Bewusstheit kann also eine Fähigkeit verstanden werden, die es dem Sprecher erlaubt, ein lautliches Wort mitsamt seiner Betonungs- und Silbenstruk- tur in einzelne Einheiten zu gliedern. Dabei geht es auf der übergeordneten Ebene um eine Gliederung in Silben(-konstituenten), auf der Ebene darunter um die Gliederung in Laute. Dementsprechend müssen Kinder lernen, welche lautlichen Aspekte bei der Zuordnung von Phonem zu Graphem relevant werden.26 Da Kinder in den Anfängen des Schrifterwerbs noch nicht über eine phonologische Bewusstheit auf Ebene der Lautgliederung verfügen, geht es zunächst um die Fähigkeit, Worte in ihre Silben ein- teilen zu können (vgl. Bredel et al. 22017, S. 91). Anders als einsprachige Kinder er- werben mehrsprachige Kinder phonologische Bewusstheit in zwei Sprachsystemen bzw. verfügen bereits über diese, müssen sie aber auf ein Schriftsystem beziehen (vgl. Şimşek 2017, S. 4). Bei der Schriftaneignung in der Zweitsprache muss nicht nur das System an sich, sondern auch die Wahrnehmungs- und Diskriminierfähigkeit, mit der das entsprechende System beurteilt werden muss, angeeignet bzw. ausgebildet werden (vgl. Jeuk 2012, S. 109) Dies kann auf der lautlichen Ebene zu besonderen Anforderungen und Schwierigkeiten bei der Verschriftung in der Zweitsprache führen, wenn diese Wahrnehmungs- und Diskriminierfähigkeiten ganz oder überwiegend aus der Erstsprache stammen. Dass sich Schwierigkeiten auf lautlicher Ebene in Interfe- renzen bei Schreibungen in der Erst- und Zweitsprache äußern können, wurde bereits im vorangegangen Kapitel anhand von Forschungsergebnissen thematisiert. Inwiefern diese Interferenzen mit der phonologischen Bewusstheit zusammenhängen, wird im Folgenden dargestellt.

Die Schwierigkeiten der lautlichen Segmentierung27 bei mehrsprachigen Kindern führt Röber-Siekmeyer (2003) darauf zurück, dass sie nur diejenigen phonologischen Seg- mente wahrnehmen, die auch in ihrer Erstsprache vorhanden sind, und ihnen somit die Fähigkeit der lautlichen Diskriminierung in der Zweitsprache fehlt. Die Autorin spricht in diesem Zusammenhang von einem muttersprachlichen „phonologischen Sieb“28, das auch bei der Analyse von zweitsprachlichen Äußerungen greift und so zu fehlerhaften „phonologische[n] Interpretationen“ und folglich zu fehlerhaften Bezie- hungen zwischen Phonemen und Graphemen führt (Röber-Siekmeyer 1998, S. 68). Dabei stellt nicht das Fehlen bzw. Vorhandensein gleicher Laute die Schwierigkeit der phonologischen Unterscheidung dar, sondern vielmehr die Ähnlichkeit von Lauten in beiden Sprachen. Zwar können phonologische Ähnlichkeiten laut Zellerhoff (2009) zunächst hilfreich für den Erwerbsprozess von Zweitsprache und -schrift sein, doch sieht auch sie ähnlich klingende Laute beider Sprachen als Ursache bestimmter Inter- ferenzen. Sie vermutet Schwierigkeiten beim Schrifterwerb, wenn Erst- und Zweit- sprache im Bereich der Phonologie schon in geringen Nuancen voneinander abwei- chen (vgl. Zellerhoff 2009, S. 107). Diese Lautähnlichkeiten und die damit verbunde- nen Interferenzen kann Flege (1999; 2002) in seinen Untersuchungen zu Einflüssen des phonetischen Systems der Erst- auf die Zweitsprache bestätigen. Er untersuchte eingehend die auditive Wahrnehmung von Zweitsprachlern bezüglich phonetischer Aspekte in ihrer Erst- und Zweitsprache und konnte dabei feststellen, dass sowohl Vo- kale als auch Konsonanten aufgrund ihrer Ähnlichkeit schon bestehenden „phonetic categories“ in der Erstsprache zugeordnet werden (Flege 2002, S. 224).29 Er geht davon aus, dass ,,[…] the more phonetically distant from the closest L1 speech sound an L2 speech sound is perceived to be, the more likely it is that an L2 learner […] will establish a new category for the L2 speech sound“ (Flege 2002, S. 225).30 Demzufolge stellen beim Schreibenlernen in einer Zweitsprache nicht phonologische Unterschiede, sondern phonologische Ähnlichkeiten die größeren Anforderungen an den Lerner. Laut Flege (2002) nutzt ein Lerner nämlich die phonologischen Elemente seiner Her- kunftssprache, um sie mit dem Lautinventar der Zweitsprache abzugleichen und dieses dann in seine vorhandenen phonetischen Kategorien einzuordnen. Nicht nur die Wahr- nehmung, sondern auch die Aussprache der Zweitsprache wird von der Ähnlichkeit bestimmter Laute beeinflusst (vgl. Flege 1998, S. 108). So führt eine von der Erstspra- che beeinflusste auditive Wahrnehmung zu einer fehlerhaften Aussprache. Buschfeld und Schöneberger (2010) stellen für die Problematik der auditiven Wahrnehmung der Zweitsprache einen Zusammenhang von deren Aussprache und fehlerhafter Verschrif- tung her: Sie gehen davon aus, dass ein Zweitsprachlerner das ihm unbekannte Laut- system im Bereich der Aussprache der Herkunftssprache anpasst und so die Laute auch entsprechend des herkunftssprachlichen Lautsystems verschriftlicht (vgl. Buschfeld & Schöneberger 2010, S. 65).31 Dabei spricht Belke (32003) von einer noch diffusen Lautwahrnehmung, durch die es nicht nur zu Interferenzen auf der Graphemebene, sondern bereits auf der Ebene der Lautwahrnehmung kommt. Sie kommt zu einem ähnlichen Schluss wie Röber-Siekmeyer (1998; 2003) und Buschfeld & Schöneberger (2010), dass die Phonologie des Deutschen auditiv zunächst so wahrgenommen wird, wie der Lerner es von seinem herkunftssprachlichen Lautsystem erwartet. Enthält die Herkunftssprache beispielsweise keine Unterscheidung von kurzen und langen Voka- len - ein für das deutsche Vokalsystem wichtiger Unterschied -, kann diese lautliche Unterscheidung nicht wahrgenommen werden. Genauso verhält es sich bei den für das Deutsche typischen Konsonantenhäufungen im Silbenanlaut bzw. -auslaut32: Existiert dieser Silbenbau in der Erstsprache nicht, werden eher erwartete Phonemkombinatio- nen in die Zweitsprache übertragen (Belke 32003, S. 107ff). Wie schon im vorange- gangenen Kapitel erwähnt, wirkt sich eine solche herkunftssprachliche auditive Wahr- nehmung in übermäßig phonetisch geprägten Verschriftungen aus.

Untersuchungen von Inckermann (2003) und Marx (2007) belegen, dass eine Förde- rung der phonologischen Bewusstheit sich positiv auf den Schrifterwerb in der Zweit- sprache auswirkt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die phonologische Bewusst- heit aus der Erstsprache häufig nicht ausreicht, um das Lautsystem des Deutschen voll- ständig zu erschließen, entsprechende Segmentierungen vorzunehmen und Phonem- Graphem-Korrespondenzen herzustellen. Auch Flege (2002) kommt zu dem Schluss, dass die Unterscheidung phonetischer Ähnlichkeiten gelernt werden kann. In einer Untersuchung zur lautlichen Wahrnehmung bei Kindern, die eine Zweitsprache lernen, fanden Baker et al. (2008), dass sich das Lautsystem der Erstsprache während der Kindheit bis in die Jugend noch in der Entwicklung befindet und somit Kinder durch- aus eher in der Lage sind - im Gegensatz zu erwachsenen Zweitsprachlernern -, den Einfluss der Erstsprache bezüglich ihrer lautlichen Wahrnehmung zu verringern und dadurch die feinen phonetischen Unterschiede wahrzunehmen.

Die vorgestellten Schwierigkeiten im Bereich der Phonologie sind zwar linguistisch prognostizierbar, treten jedoch nicht notwendigerweise bei jedem Kind auf. Kinder, die in einer Zweitsprache sowohl sprechen als auch schreiben lernen, zeigen unter- schiedliche Zugangsweisen und Strategien. Entscheidend ist dabei ebenso, welche phonologische Nähe bzw. Distanz zwischen der Erst- und Zweitsprache besteht (vgl. Şimşek 2015, S. 288). Man kann also nicht per se von einem Nach- bzw. Vorteil mehr- sprachiger Kinder im Hinblick auf phonologische Analysefähigkeiten sprechen, son- dern muss von den phonologischen Eigenschaften der jeweiligen Erstsprache ausge- hen und diese im Vergleich zu denen der Zweitsprache Deutsch betrachten. Auf einen Vorteil weisen Ergebnisse einiger Studien (u.a. Fix (2002); DESI-Studie (2006); Schroeder & Şimşek (2010)) hin, die mehrsprachigen Kindern aufgrund ihrer verschie- denen sprachlichen Systeme eine allgemein höhere phonologische Bewusstheit zu- sprechen, die sie auch für die Erschließung des zweitsprachlichen Systems nutzen kön- nen. Dem entsprechen auch frühere Untersuchungen von Bruck & Genesee (1995) und Bialystok et al. (2003), beide zitiert nach Şimşek (2017), die bei mehrsprachigen Kin- dern sowohl im Kindergartenalter als auch in den ersten beiden Schuljahren ein im Vergleich zu einsprachigen Kindern größeres phonologisches Wissen feststellen konn- ten, unter anderem im Hinblick auf phonemische Segmentierungsaufgaben. Şimşek (2015) weist allerdings darauf hin, dass der Forschungsstand zur Bedeutung der pho- nologischen Bewusstheit vor allem im Zusammenhang mit den Fähigkeiten mehrspra- chiger Kinder trotzdem noch keine gesicherten Schlussfolgerungen zulässt.

3.2.2 Weitere Einflussfaktoren auf den Schrifterwerb

Die bisher aufgeführten Zusammenhänge beim Schrifterwerb in einer Zweitsprache erwecken den Eindruck, dass allein die Eigenschaften der Erstsprache Erklärung für jegliche auftretenden Interferenzphänomene ist. Studien zu möglichen Zusammenhän- gen mit einer Alphabetisierung in der Erstsprache wurden nur kurz erwähnt. Geht man davon aus, dass mehrsprachige Kinder bis zur Einschulung größtenteils innerhalb der Familie und damit in ihrer Herkunftssprache kommunizieren, kommt man wie Belke (2007, S. 30) zu der Annahme, dass sie bei Schulbeginn „Probleme bei der auditiven Wahrnehmung der Zweitsprache [hätten], die den Zugang zu entsprechenden ziel- sprachlichen Strukturen erschweren“. Diese „Probleme der auditiven Wahrnehmung“ können ebenso mit der sich noch in der Entwicklung befindlichen Segmentierungsfä- higkeit, die auch einsprachige Kinder zu diesem Zeitpunkt zeigen, begründet werden (vgl. Şimşek 2015, S. 292). Es muss also einerseits diskutiert werden, in welcher Form und in welchem Maß sich Wissen aus der Erstsprache im zweitsprachlichen Schrifter- werb bemerkbar macht bzw. diesen erschwert, und andererseits, welche weiteren Fak- toren dabei berücksichtigt werden müssen.

Zunächst kann man festhalten, dass die Voraussetzungen für den Schrifterwerb im Hinblick auf lexikalisch-semantische und morphologische Regeln sowie Regeln des Schriftsystems für ein- und mehrsprachige Kinder in etwa übereinstimmen. Auch ein- sprachige Kinder, die in ihrer Erstsprache alphabetisiert werden, stehen vor der Auf- gabe, die phonologischen Regularitäten der deutschen Orthographie zu durchdringen (vgl. Şimşek 2015, S. 293). Entsprechend den Aussagen von Herdina & Jessner (2002) handelt es sich beim schriftsprachlichen System um ein eigenes, von der gesprochenen Sprache separat zu betrachtendes System. Jeuk (2012) kritisiert in diesem Zusammen- hang das Maß der Bedeutung, das der Erstsprache bezüglich des Schrifterwerbs in ei- ner Zweitsprache beigemessen wird. Er zitiert in seinem Aufsatz zum Orthographie- erwerb mehrsprachiger Kinder Untersuchungen von Grießhaber (2004) und Thomé (1987), die „nur im Einzelfall wahrnehmbare“ Einflüsse der Erstsprache feststellen konnten bzw. nur 5% der fehlerhaften Schreibungen auf Interferenzen durch die Erst- sprache zurückführen (vgl. Jeuk 2012, S. 110). Ein weiterer wichtiger Faktor, der hier- bei eine Rolle zu spielen scheint, ist die zweifache Alphabetisierung. So weist Jeuk (2012) darauf hin, dass eine Alphabetisierung in beiden Sprachen vermehrt zu besag- ten Interferenzfehlern beitragen könnte. Andererseits plädieren Bredel et al. (22017, S. 200) dafür, dass eine Alphabetisierung in der Erstsprache zu einem „tiefgehende[n] metasprachliche[n] Bewusstsein“ beiträgt, das auch beim Orthographieerwerb in der Zweitsprache eingesetzt werden könne. Schulte-Bunert (2000) sieht in Bezug auf eine vorangegangene Alphabetisierung in der Erstsprache Parallelen zum Erst- und Zweit- spracherwerb33. Sie geht deswegen davon aus, dass auch die Zweitschrift auf Grund- lage der Erstschrift erworben wird und entsprechend Erfahrungen des Erstschrifter- werbs im zweiten Erwerbsprozess übernommen werden. Ob dies Vor- oder Nachteile für den Zweitschrifterwerb mit sich bringt, lässt sie zunächst offen. Diese Parallelen sehen auch Bialystok et al. (2005, zit. nach Şimşek 2015, S. 295): Sie stellten eine Übertragung schriftsprachlicher Prinzipien vom Erst- in das Zweitschriftsystem fest.

Der bisherige Forschungsstand lässt darauf schließen, dass mehrsprachige Kinder, die bereits in einer Sprache alphabetisiert wurden, nicht nur eine größere phonologische, sondern auch eine größere morphologische Analysefähigkeit im Verlauf ihres Zweit- schrifterwerbs aufweisen (vgl. Şimşek 2015, S. 296). So könnte man wie Berkemeier (1997) darauf schließen, dass sie auf für das Deutsche typische orthographische Phä- nomene sensibler reagieren, wenn sie diese aus ihrer Erstschrift noch nicht kennen.34

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich im Besonderen mit Kindern, deren Erstsprache Arabisch ist, die in dieser Sprache bereits eine teilweise Alphabetisierung erfahren ha- ben und die sich zurzeit im Schrifterwerb in ihrer Zweitsprache Deutsch befinden (vgl. Kap. 5.2). Es bedarf zunächst einer kontrastiven Darstellung der Sprach- und Schriftsysteme des Arabischen und des Deutschen, um die Forschungsergebnisse und Annahmen zum Schrifterwerb in der Zweitsprache sowie der Wechselwirkungen mit der Erstsprache für die Situation arabisch-deutsch-zweisprachiger Kinder zu spezifi- zieren und auf die eigene Untersuchung zu beziehen.

4. Laut- und Schriftkontraste Arabisch-Deutsch

Arabisch wird als Muttersprache weltweit von etwa 280 Millionen Menschen gespro- chen35. Der arabische Sprachraum erstreckt sich von Mauretanien und Marokko im Westen bis zum arabisch-persischen Golf im Osten und vom Sudan im Süden bis nach Syrien im Norden. Entsprechend seiner Verbreitung sind zahlreiche Varianten des Arabischen, die in einzelnen Regionen als Sprechsprache genutzt werden, entstanden. Die Schriftsprache wird in der Schule vermittelt und entspricht der arabischen Stan- dardsprache36, sodass Kinder bereits mit der Einschulung mindestens zweisprachig aufwachsen, da die Schriftsprache nicht in der gesprochenen Sprache fundiert ist (vgl. Zeldes & Kanbar 2014, S. 136; Maas & Mehlem 2003, S. 19).

Im Folgenden wird das Phoneminventar des Standard-Arabischen beschrieben und im Kapitel darauf mit dem des Deutschen verglichen, da - auch wenn alle untersuchten Kinder aus Syrien stammen - die regionalen Sprachvarianten und ihre Abweichungen vom Standard-Arabisch im Rahmen dieser Arbeit nicht zu erfassen sind. Weil nicht nur phonologische Kontraste zum Deutschen vorliegen, sondern sich auch das arabi- sche Schriftsystem vom deutschen grundlegend unterscheidet, ist diesem ein weiteres Unterkapitel gewidmet. Im Hinblick auf die qualitative Auswertung der Schriftproben geht es darum, mögliche Schwierigkeiten in der deutschen Schriftsprache durch Be- herrschung bzw. Erlernen zweier verschiedener Schriftsysteme zu thematisieren.

4.1 Das Phoneminventar des Arabischen

Die arabische Sprache verfügt über insgesamt 28 Konsonanten und drei Vokale, wobei die Vokale sowohl in einer kurzen als auch langen Version auftreten. Bei den Vokalp- honemen handelt es sich entsprechend um [a], [i] und [ʊ] bzw. [a:], [i:] und [u:]. Die Konsonantenphoneme sind in den anschließenden Tabellen 1 bis 1.2 aufgeführt.

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Tab. 1: Konsonanten des Arabischen, in Anlehnung an Zeldes & Kanbar (2014, S. 142)

Besonders am Arabischen ist der kehlige Klang der Aussprache, für den weitere sieben Konsonantenlaute verantwortlich sind (vgl. Tab 1.1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1.1: Kehlig klingende Konsonanten des Arabischen, nach Zeldes & Kanbar (2014, S. 144)

Die verbleibenden Laute können unter den fünf übrigen Konsonanten, so unter ande- rem der Knack- sowie der Gleitlaut, zusammengefasst werden (vgl. Tab. 1.2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1.2: Weitere Konsonanten des Arabischen, nach Zeldes & Kanbar (2014, S. 143)

Laut Guth (2012, S. 92) können im Arabischen auch die Konsonanten in einer langen Version auftreten - „dieser Unterschied zwischen einfacher und gelängter Artikulation ist auch semantisch relevant“.

4.2 Phonologische Kontraste zum Deutschen

Das Vokalphonem-Inventar des Deutschen ist wesentlich größer als das des Arabi- schen. So verfügt das Deutsche über etwa 18 Vokalphoneme; von den fünf Vokalen /a/, /e/, /i/, /o/ und /u/ existieren sowohl je eine gespannte als auch eine nicht-gespannte Version, hinzu kommen die Vokalqualitäten der sogenannten Umlaute sowie Diph- thonge (vgl. Belke 32003, S. 121).

Kleiner, Knöbl & Mangold (72015) ordnen die deutschen Vokalphoneme entspre- chend ihrer Artikulation in einem sogenannten Vokaltrapez an37 (vgl. Abb. 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Vokaltrapez der deutschen Aussprache; eigene, veränderte Abbildung nach Kleiner, Knöbl & Mangold (72015, S. 34)

Da das Standard-Arabische nur über insgesamt sechs Vokalphoneme (vgl. Kap. 4.1) verfügt, stellt das „deutsche Vokalsystem eine besondere Herausforderung dar“ (Buschfeld & Schöneberger 2010, S. 66): Es fällt Lernern mit Arabisch als Erstsprache schwer, Phoneme, die im Deutschen, aber nicht im Arabischen vorkommen, von jenen zu unterscheiden, die sie aus dem Arabischen kennen. Dies lässt sich darauf zurück- führen, dass die ihnen bekannten Phoneme [u: u] und [ʊ] sowie [i: i] und [ɪ] eine artikulatorische und somit lautliche Nähe zu den ihnen fremden Phonemen [o: o] und [ɔ] bzw. [e: e], [ɛ: ɛ] und [ə] aufweisen (vgl. Abb. 1). Dies äußert sich beispielsweise darin, dass sie „Unterschiede zwischen deutschen Wörtern wie <setzen> und <sitzen> oder <Frost> und <Frust> in der Regel zunächst nicht deutlich wahr[nehmen]“ (Buschfeld & Schöneberger 2010, S. 67). Den Lernern sind hierbei die Phoneme [ɛ] in [ˈzɛʦn] und [ɔ] in [fʀɔst] aus ihrer Herkunftssprache nicht bekannt, zudem ähneln sie in ihrer Artikulation und damit in ihrer Lautung den ihnen bekannten Phonemen [ɪ] wie in [ˈzɪʦn] bzw. [ʊ] wie in [fʀʊst]. El Baghdadi (2013) führt ebenfalls die Schwie- rigkeiten der Unterscheidung zwischen /i/- und /e/- bzw. /u/- und /o/-Vokalphonem- qualitäten auf. Sie sieht auch Probleme bei der Wahrnehmung der - dem Arabischen unbekannten - Umlaute. Demzufolge werden „auch /ö/- und /ü/-Laute […] oft ersetzt durch /u/-Laute“ (El Baghdadi 2013, S. 4). Ähnliche Schwierigkeiten merkt auch Meh- lem (2010, S. 46) an, der bei seiner Untersuchung mit marokkanischen Kindern beo- bachtete, dass das Phonem [ʊ] mit dem Buchstaben <o> kodiert wurde, und wertete dies als Versuch, den lautlichen „Unterschied zwischen [u:] und [ʊ] zu markieren“. Für die Qualitäten des deutschen Vokals /e/ stellten Buschfeld und Schöneberger (2010) entsprechend fest, dass Arabischsprecher diesen häufig durch ein <i> in ihren Verschriftungen ersetzen. Im Gegensatz dazu vermuten Zeldes & Kanbar (2014, S. 145), dass die Unterscheidung der /i/- und /e/- sowie /o/- und /u/-Vokalqualitäten „seltener problematisch ist, da die meisten arabischen Mundarten auch diese Vokale verwenden“. Dies begründen sie mit historisch bedingten Veränderungen des Stan- dard-Arabischen, durch die Diphthonge wie /ai/ und /au/ zu /e/ bzw. /o/ zusammenge- zogen und entsprechend ausgesprochen werden. Inwieweit sich dies in Verschriftun- gen des Deutschen äußert, bleibt jedoch offen. 38

[...]


1 Im Verlauf dieser Arbeit wird zugunsten des Leseflusses auf eine dauerhafte Zweifachnennung ver- zichtet. Die männliche Form im Text bezieht sich immer auf Angaben zu beiden Geschlechtern.

2 Zahl des statistischen Bundesamts für 2015: 36% der Schüler an Grundschulen haben einen Migrati- onshintergrund (vgl. statistisches Bundesamt 2017a).

3 Zahl der KMK für 2015: Integration von rund 300 Tsd. neu zugezogenen Kindern und Jugendlichen im deutschen Schulsystem.

4 Laut statistischem Bundesamt (2017b) leben zurzeit rund 1,5 Mio. Menschen mit arabischen Wur- zeln in Deutschland, weitere 760 Tsd. mit Staatangehörigkeit arabischer Länder - Tendenz steigend.

5 Karg (2015) nennt noch weitere Prinzipien der deutschen Orthographie, die im Kontext der vorlie- genden Arbeit vernachlässigbar sind.

6 Für die Organisation von Alphabetschriften werden die Begriffe phonologisch, phonographisch und phonematisch genutzt (vgl. Karg 2015, S. 53).

7 Zum gesamten Phoneminventar des Deutschen vgl. Belke (32003) und Schründer-Lenzen (2013).

8 Als Phoneme bezeichnet man im Deutschen die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten (vgl. Noack 22016, S. 22). Grapheme entsprechen Schriftzeichen.

9 Über die Anzahl der Vokal- und Konsonantenphoneme besteht in der deutschen Wissenschaft kein Konsens. Ossner (2010) geht beispielsweise von 18 Vokal- und 22 Konsonantenphonemen aus.

10 Zur Unterteilung in flache und tiefe Orthographien kommt es bei Sprachen, die für ihr Schriftsystem das gleiche Alphabet nutzen, dieses jedoch für ihre Zwecke abwandeln. Die Einordnung in flache und tiefe Orthographien sowie Beispiele entsprechender Sprachen finden sich bei Eisenberg (2011).

11 Silben sind nach dem Phonem die nächstgrößere phonologische Einheit (vgl. Noack 22016, S. 50). Unter Silbengelenk kann man sich die Stelle des Aufeinandertreffens zweier Silben vorstellen.

12 „Ambisilbisch“ ist ein von Eisenberg (72006) eingeführter Begriff. Er bezeichnet einen Konsonan- ten, der – je nach Betrachtung - entweder zur vorangehenden oder der darauffolgenden Silbe gezählt werden kann.

13 Die Verdopplung des Konsonanten <k> wird durch <ck> repräsentiert, auch <z> wird im Deut- schen nicht verdoppelt und wird daher durch <tz> realisiert (vgl. Karg 2015, S. 57).

14 Das silbeninitiale <h> unterscheidet sich durch seine Trennungsfunktion zweier Silben vom Deh- nungs-h als Längenmarkierung.

15 Die unter diesem Abschnitt von Eisenberg (2017) aufgeführten Prinzipien wurden von Bredel et al. (22017) zu einem syntaktischen Prinzip zusammengefasst.

16 Schrifterwerb nach Weth (2010, S. 9): das Schreiben- und Lesenlernen, darunter auch der Erwerb orthographischer Strukturen als Lernprozess, der in Schriftspracherwerb eingebunden ist. Schrift- spracherwerb bedeutet „das Aufwachsen in einer Schriftkultur und das damit verbundene Lernen, in welchen Kontexten von welchen Personen auf welche Weise mit Schrift umgegangen wird“.

17 „Mehrsprachigkeit [versteht sich] hier als die Gesamtsumme der zur Verfügung stehenden sprachli- chen Ressourcen, gleichermaßen die Summe des strukturellen Wissens und der sich daraus ergeben- den Möglichkeiten, die bei der Analyse sprachlicher Einheiten – syllabisch, morphologisch, syntak- tisch, textuell – im Prozess des Erwerbs der Schriftsprache zur Verfügung stehen“ (Şimşek 2015, S. 281).

18 „Als Sprachbewusstheit wird die Bereitschaft und Fähigkeit bezeichnet, sich aus der mit dem Sprachgebrauch in der Regel verbundenen inhaltlichen Sichtweise zu lösen und die Aufmerksamkeit auf die sprachliche Erscheinung als solche zu richten.“ (Andresen & Funke 2006, S. 439)

19 Zur Fundierung der Schriftsprache in der gesprochenen Sprache vgl. Maas (2003).

20 Sprachschwierigkeiten werden häufig erst im Zusammenhang mit Verschriftungen sichtbar. Zu so- genannten verdeckten Sprachschwierigkeiten mehr bei Knapp (1999).

21 Bei dem Begriff der Interferenz handelt es sich um eine Übertragung von (schrift-) sprachlichen Elementen in eine andere Sprache, die verschiedene Fehler mit sich bringen kann (vgl. Kabatek 1997, S. 233). Im Gegensatz dazu wird der Begriff des Transfers zwischen zwei Sprachsystemen eher als neutral oder positiv angesehen (vgl. Gümüşoğlu 2010, S. 69).

22 Weitere Ausführungen zu Wechselwirkungen bei bereits erfolgter Alphabetisierung und möglichen Schlussfolgerungen in Kapitel 3.2.2.

23 Phonetische Schreibungen: Orientierung an der eigenen Aussprache statt an Phonem-Graphem-Kor- respondenzen. Das heißt, es werden häufig Laute ganz ausgelassen oder durch Buchstaben ersetzt, die von den Regeln der Phonem-Graphem-Korrespondenz nicht vorgesehen sind (Jeuk 2009, S. 173).

24 vgl. hierzu Prinzipien des deutschen Schriftsystems nach Eisenberg (20134) in Kapitel 2.

25 Eine ausführliche Beschreibung und Hypothesen des Speech Learning Models finden sich bei Flege (1995).

26 Die phonologische Bewusstheit beschreibt nach Şimşek (2015) das sprachliche Wissen über jegli- che Eigenschaften der phonologischen Ebene einer Sprache. Im Deutschen entspricht dies dem Wis- sen über Lautdiskriminierung, die bedeutungsdifferenzierende Funktion von Phonemen, die Phonotak- tik, phonologische Regelhaftigkeiten sowie prosodische Merkmale.

27 Unter Segmentierung versteht man in der Sprachwissenschaft das Zerlegen komplexer sprachlicher Einheiten wie Sätze oder Wörter in ihre einzelnen Elemente. Hierbei geht es im Speziellen um eine phonologische Segmentierung, die der Analyse sprachlicher Einheiten dient (vgl. Dürscheid 2010, S. 46f.).

28 Zur Einführung des Begriffs des „phonologischen Siebs“ vgl. Trubetzkoy (51971).

29 Als „phonetic categories“ bezeichnet Flege (2002) sprachspezifische Aspekte der Sprachlaute.

30 Ist kein lautlicher Unterschied zwischen dem L1- und L2-Laut wahrnehmbar und wird der L2-Laut in eine vorhandene Kategorie übertragen, spricht Flege (2002) von Assimilation. Existiert der Laut jedoch nur in der L2 und ist daher wahrnehmbar, wird eine neue Kategorie gebildet. Flege (2002) spricht hier von Dissimilation.

31 Dem gegenüber steht die Annahme der viel diskutierten Critical Period Hypothese (u.a. Lenneberg, 1977), dass Kinder bis zu einem Alter von 12 Jahren eine Zweit- bzw. Fremdsprache akzentfrei erler- nen können. Ergebnisse von u.a. Flege (1995) sowie die hier aufgeführten Studien zeigen jedoch, dass es auch bei noch jungen Kindern zu einer herkunftssprachlich geprägten Aussprache der Zweitsprache kommen kann.

32 Hall (2000, S. 60) spricht von „phonotaktischen Beschränkungen“ einer Sprache. Da die phonologi- sche Bewusstheit auch eine auditive Wahrnehmung der Silbenstruktur einschließt, spielt auch hierbei die Erstsprache eine bedeutende Rolle.

33 Mehr zu Einflüssen der Erstsprache auf den Zweitspracherwerb u.a. bei Rösch (2011).

34 Anzumerken ist an dieser Stelle, dass bei den aufgeführten Thesen zum Einfluss der Erstschrift auf die Zweitschrift angenommen wird, dass die Kinder bereits in der Erstschrift auch eine Alphabet- schrift erlernt haben.

35 Die Zahl der Muttersprachler des Arabischen variiert in versch. Werken, so spricht Guth (2012) von etwa 150 bis 220 Millionen Muttersprachlern weltweit. Als Sprache des Islams wird sie in der gesam- ten islamischen Welt gelernt.

36 Als Standardsprache wird das moderne Arabisch bezeichnet, zu dem auch eine überregionale Stan- dardaussprache gehört (vgl. Bußmann 32002, S. 90).

37 Die Darstellung bildet nach dem Schema einer Mundhöhle zwei artikulatorische Dimensionen ab. Dabei steht die Horizontale für den hinteren bzw. vorderen Teil der Zunge, die Vertikale für die Höhe der Zungenposition (vgl. Kleiner, Knöbl & Mangold 72015, S. 35).

38 Diphthonge treten im Arabischen nur in Form von /ai/ und /au/ auf, sie bestehen aus einem kurzen und einem Halbvokal. Dadurch unterscheiden sie sich von deutschen Diphthongen, die andere Zusam- mensetzungen und andere Stellungen vor Konsonantenverbindungen aufweisen (vgl. Mahmood 2009, S. 3).

Ende der Leseprobe aus 110 Seiten

Details

Titel
Der Einfluss der Erstsprache im Schrifterwerb. Eine Untersuchung bei Kindern mit Arabisch als Erstsprache
Hochschule
Universität Münster  (Centrum für Mehrsprachigkeit und Spracherwerb)
Note
1,3
Jahr
2017
Seiten
110
Katalognummer
V501026
ISBN (eBook)
9783346038067
ISBN (Buch)
9783346038074
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mehrsprachigkeit, Mehrschriftigkeit, bilingual, arabisch, Schrifterwerb, Zweitsprache, Erstsprache
Arbeit zitieren
Anonym, 2017, Der Einfluss der Erstsprache im Schrifterwerb. Eine Untersuchung bei Kindern mit Arabisch als Erstsprache, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/501026

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