Die Entwicklung des Factoring und seine Bedeutung als Finanzierungsalternative vor dem Hintergrund der aktuellen Situation des deutschen Mittelstandes


Diplomarbeit, 2004

83 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Situation des Mittelstandes in Deutschland
2.1 Der deutsche Mittelstand und seine Finanzierungsstruktur
2.2 Die Kreditklemme
2.3 Die Insolvenzsituation
2.4 Der Mittelstand und seine Kunden

3. Die Entwicklung des Factoringgeschäftes
3.1 Die Geschichte des Factoring
3.2 Factoring in Deutschland
3.3 Vergleich zur weltweiten Entwicklung
3.4 Hindernisgründe
3.4.1 Abtretungsverbote
3.4.2 Die Problematik des verlängerten Eigentumsvorbehaltes

4. Betrachtung des Factoring als aktuelle Finanzierungsalternative für den Mittelstand
4.1 Der sinnvolle Einsatz von Factoring
4.2 Die Finanzierung durch Factoring
4.3 Die drei Funktionen des Factoring und ihre Vor- und Nachteile
4.3.1 Die Finanzierungsfunktion
4.3.2 Die Delkrederefunktion
4.3.3 Die Dienstleistungsfunktion

5. Factoring im Unternehmen
5.1 Die Formen des Factoring
5.1.1 Einteilung des Factoring nach dem Leistungsumfang des Factors
5.1.2 Einteilung des Factoring nach Art der Forderungsabtretung
5.1.3 Factoring im Auslandsgeschäft
5.2 Die bilanzielle Behandlung des Factoringgeschäftes
5.3 Auswirkungen des Factoring auf die Rentabilität der System&Co

6. Beurteilung der Anwendbarkeit des Factoring
6.1 Factoring in verschiedenen Branchen
6.2 Entscheidungskriterien für das Factoring
6.3 Factoring und die KMU

7. Perspektiven und sinnvolle Kombinationsmöglichkeiten für das Factoring

8. Fazit

Literaturverzeichnis

Internetverzeichnis

Anhang

Ehrenwörtliche Erklärung

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Eigenkapitalausstattung deutscher Unternehmen

Abbildung 2: Unternehmensinsolvenzen in Deutschland

Abbildung 3: Der Kundenlebenszyklus

Abbildung 4: Forderungsverluste in Deutschland bis Herbst 2003

Abbildung 5: Das Zahlungsverhalten in Europa

Abbildung 6: Factoringumsatz in Deutschland

Abbildung 7: Factoring in Deutschland 1999-2003 in Milliarden Euro

Abbildung 8: Factoring auf dem Weltmarkt 1998-2002 in Milliarden Euro

Abbildung 9: Regionale Aufteilung des Factoringumsatzes in Milliarden Euro auf dem Weltmarkt

Abbildung 10: Factoringumsätze in Deutschland, den USA und Großbritannien

Abbildung 11: Der verlängerte Eigentumsvorbehalt

Abbildung 12: Beziehungen zwischen den Beteiligten beim Factoring

Abbildung 13: Übersicht zum offenen und stillen Factoring

Abbildung 14: Beteiligte beim Export-Factoring im Two-Factor-System

Abbildung 15: Leasing und Factoring als einzige Hoffnungsträger

Abbildung Nr. 1: Formen der Abtretung

Abbildung Nr. 2: Wachstum des Kreditvolumens in Deutschland im Vergleich zur Eurozone

Abbildung Nr. 3: Beispielhafte Forderungsliste eines Unternehmens

Abbildung Nr. 4: Beispielhafte Abrechnung eines Factors. Seite

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Die Entwicklung des Kreditbestandes an Unternehmen und Selbständige in Milliarden Euro

Tabelle 2: Formen des Factoring nach dem Leistungsumfang des Factors

Tabelle Nr. 1: Kostenstruktur vor und nach Nutzung des Factoring- beispielhafte

Berechnung des Kostenvorteils für die System&Co

Tabelle Nr. 2: Eigenkapitalquoten der einzelnen Wirtschaftsbereiche im Herbst 2003

Tabelle Nr. 3: Bewertungsaspekte bei Bonitätsprüfung

Tabelle Nr. 4: Unternehmensinsolvenzen in Deutschland

Tabelle Nr. 5.: Zahlungsfristen der Kunden in den Hauptwirtschaftsbereichen im Herbst 2003

Tabelle Nr. 6: Factoringumsatz in Deutschland in Milliarden Euro

Tabelle Nr. 7: Branchenverteilung der Klienten eines Factors am Beispiel der Heller Bank AG

1. Einleitung

‚Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben’ lautet ein Sprichwort. Heute könnte man sagen: Wer sich zu spät um seine Finanzierung kümmert, den bestraft die Bank. Dies gilt insbesondere für den deutschen Mittelstand. Er gilt unter Wirtschaftsexperten als die Stütze der deutschen Wirtschaft und schafft die meisten neuen Arbeitsplätze. Früher waren seine Finanzierungsstrukturen leicht überschaubar. Der Inhaber eines Unternehmens verfügte über Eigenkapital und was noch benötigt wurde, lieh man sich von der Bank. Heute ist die Beschaffung des notwendigen Kapitals nicht mehr so einfach.

Unternehmer müssen umdenken hinsichtlich des Finanzmanagements. Veränderungen finden nicht nur auf den Märkten, bei Produktlebenszyklen oder im Marketing statt, sondern auch auf der Ebene der Finanzen. Es bietet sich die Chance, aktiv Maßnahmen zu ergreifen um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen und das eigene Unternehmen auf eine solidere Basis zu stellen.[1] Doch obwohl sich immer neue Varianten der Innen- und Außenfinanzierung sowie Eigen- und Fremdfinanzierung entwickeln, können oder wollen viele deutsche Mittelständler diese nicht nutzen. Gerade deshalb bleibt die Fremdfinanzierung über Bankkredite die bevorzugte Finanzierungsform. Die Bilanzstrukturen vieler mittelständischer Unternehmen werden aber den Anforderungen an die Kreditvergabe von Banken nicht gerecht, die sich ihrerseits absichern müssen. Wie sieht die Alternative aus, wenn Bankkredite den Unternehmen verschlossen bleiben?

Der deutsche Mittelstand hat mit vielfältigen Problemen wie zu geringen Eigenkapitalquoten, Kreditrationierung, Basel II, Rating, Unsicherheiten im Exportgeschäft, Insolvenzgefahr und schlechter Zahlungsmoral zu kämpfen. Gleichzeitig haben sich seine (Finanzierungs-) Bedürfnisse mit einem immer komplexer werdenden Unternehmensumfeld vielfältig weiterentwickelt. Im Fokus stehen folgende Punkte:

- Liquidität
- Möglichkeit, flexibel auf die Anforderungen des Marktes zu reagieren
- Finanzierung ohne starre Limite für ungehinderte Umsatzentwicklung
- Steigerung der Erträge durch steigende Umsätze und Zusatzerlöse (zum Beispiel Lieferantenskonti als Erträge über den Wareneinkauf)
- Gleichzeitig Aufwandssenkung zum Beispiel durch Outsourcing und Konzentration auf variable statt fixe Kosten und somit Steigerung der Geschäftsrentabilität
- Forderungsausfälle vermeiden
- Kundenfreundliches Mahnwesen
- Eigenkapitalbildung (Reserven) und Schuldenabbau bei Lieferanten und Banken
- Positives Basel II-Rating und Vermeidung steigender Finanzierungskosten[2]

Insbesondere vor dem Hintergrund der neuen Baseler Eigenkapitalvorschriften für Banken (Basel II) liegt die Passivseite der Unternehmensbilanz im Mittelpunkt des Interesses. Doch die Antwort auf die Probleme kann sich auf der Aktivseite verbergen. Einige Finanzierungsformen, wie Leasing zur Finanzierung von Anlagevermögen oder Factoring für das Umlaufvermögen, setzten hier an. Insbesondere das Factoring kann im Hinblick auf die genannten Probleme und Bedürfnisse eine Lösung bieten. Factoring beinhaltet den Verkauf und die Abtretung (Zession) von Waren- und Dienstleistungsforderungen an einen Factor. Es ist keine neue Finanzierungsform, sondern ein klassisches Instrument des Liquiditätsmanagements, das in einigen Teilen der Welt bereits eine erfolgreiche Geschichte hinter sich hat. Diese Entwicklung soll zunächst nachvollzogen werden und dann die Frage untersucht werden, ob das Factoring auch für die deutschen mittelständischen Unternehmen einen Beitrag zur Finanzierung leisten kann. Wie das Factoring sich positiv auf die Eigenkapitalquote auswirkt, größere Unabhängigkeit von Krediten schafft, das Rating nach Basel II verbessert, entscheidende Hilfe im Exportgeschäft bietet und das Zahlungsverhalten der Kunden beeinflusst, wird zu diesem Zweck herausgearbeitet. Zusätzlich soll am Beispiel eines mittelständischen Unternehmens untersucht werden, ob und wie Factoring sinnvoll in ein Finanzierungskonzept integriert werden kann. Als Beispielunternehmen dient dabei die mittelständische Firma System&Co, die im Bereich der individualisierten Systemlösungen steigende Umsätze verzeichnet.

2. Die Situation des Mittelstandes in Deutschland

2.1 Der deutsche Mittelstand und seine Finanzierungsstruktur

Eine allgemein gültige Definition des Begriffs „ mittelständische Unternehmen“ fehlt. Je nach Zielrichtung können Umsatzgrößen, Zahl der Beschäftigten, Branche oder Rechtsform in unterschiedlicher Gewichtung zur Erläuterung des Begriffes herangezogen werden.[3] Das Institut für Mittelstandsforschung in Bonn definiert den Mittelstand in Deutschland über die Merkmale Umsatz pro Jahr und Beschäftigtenzahl. Unternehmen mit Umsätzen unter einer Million Euro und bis zu 9 Beschäftigten werden als klein klassifiziert, Unternehmen mit einer bis 50 Millionen Euro Umsatz und 10 bis 499 Beschäftigten als mittel und Unternehmen mit mehr als 50 Millionen Euro Umsatz und mehr als 500 Beschäftigten als groß. Das oben genannte Beispielunternehmen, die System&Co, hat momentan einen Jahresumsatz in Höhe von 8,5 Millionen Euro und würde demnach zu den mittleren Unternehmen zählen. Insgesamt gab es im Jahr 2002 ein Bestand von 3.374.000 mittelständischen Unternehmen.[4] Davon machten die kleinen und mittleren Unternehmen (im Folgenden: KMU) 99,7 Prozent aus. Betrachtet man jedoch die Umsätze und Erträge, so erreichten die KMU hier nur 43,2 Prozent beziehungsweise 48,8 Prozent der Gesamtwerte. Das bedeutet, dass der stark überwiegende Teil der Unternehmen nur knapp die Hälfte der Wertschöpfung erwirtschaftet.

Hier ist eine starke Heterogenität im deutschen Mittelstand zu beobachten, die sich in allen Bereichen auswirkt. Die größeren und innovativeren Mittelständler haben bessere Kreditmöglichkeiten bei Banken und zusätzlich ein erweitertes Finanzierungsspektrum.[5] Die Masse des Mittelstandes (KMU), die bei den folgenden Ausführungen im Blickpunkt steht, verfügt jedoch über eine wesentlich geringere Finanzierungsautonomie. Die Finanzierung wird von Bankkrediten dominiert und es treten schnell bedrohliche Liquiditätsprobleme auf.[6] Aus verschiedenen noch zu untersuchenden Gründen müssen diese Unternehmen versuchen sich auch anderen möglichen Finanzierungsformen zu öffnen.

Ein Grund liegt in den geringen Eigenkapitalquoten der Unternehmen in Deutschland. Ein Großteil des Mittelstandes leidet unter zu geringer Eigenkapitalausstattung. Die durchschnittliche Eigenkapitalquote aller deutschen mittelständischen Unternehmen lag laut einer Untersuchung der Deutschen Bundesbank im Jahr 2001 bei 17,5 Prozent (2002: 17,0 Prozent). Dieser Wert ist selbst bei Berücksichtigung unterschiedlicher Bilanzierung im Vergleich mit dem Ausland unterdurchschnittlich. Unternehmen in den USA haben eine durchschnittliche Eigenkapitalquote von 50 Prozent, in Spanien über 40 Prozent und in Frankreich immerhin mehr als 30 Prozent.

Bei den deutschen KMU fällt dagegen die Quote mit durchschnittlich 8 bis 12 Prozent sogar noch geringer aus.[7] Im Herbst 2001 hatten 40 Prozent der KMU weniger als 10 Prozent Eigenkapital in ihrer Bilanz. Auch die System&Co befindet sich mit einer Eigenkapitalquote von 7,7 Prozent in diesem unterkapitalisierten Bereich. Immerhin hat der Anteil dieser Unternehmen bis zum Herbst 2003 auf 35,7 Prozent abgenommen. Dennoch liegen immer noch fast 81,6 Prozent unter der wünschenswerten 30prozentigen Eigenkapitalquote. Mittelständler mit einer ausreichend stabilen Eigenkapitaldecke von über 30 Prozent der Bilanzsumme sind mit

18,3 Prozent vertreten.[8] Abbildung 1 auf der folgenden Seite verdeutlicht dies. Eine Aufschlüsselung der Eigenkapitalquoten nach den Hauptwirtschaftsbereichen Handel, Bau, Verarbeitendes Gewerbe und Dienstleistungen enthält Tabelle Nr. 2 im Anhang.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Eigenkapitalausstattung deutscher Unternehmen.

Quelle: Creditreform (2003a) (siehe Internetverzeichnis).

Die Gründe für diesen Mangel sind vielfältig. Bei Einzelunternehmen[9] sind zum Beispiel oft nur Teile des Privatvermögens der Inhaber in der Bilanz zu finden und ein Grossteil wird stattdessen in steuerlich attraktiven Finanzanlagen oder Immobilien gehalten. Es fehlen steuerliche Anreize, Gewinne im Unternehmen zu lassen (Thesaurierung) und so Eigenkapital zu bilden. Demgegenüber werden Kreditaufnahmen aufgrund der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Zinsen betrieblich erfasst (kreditfreundliche Steuergestaltung).[10]

Alternative Möglichkeiten der Eigenmittelbeschaffung zum Beispiel durch Mezzanin-Finanzierungen werden bisher nur zögerlich genutzt. Verbesserungsvorschläge zur Unterstützung der Eigenkapitalbildung, die zum Beispiel bei den Lohn(neben)kosten, gesellschaftsrechtlichen Vorgaben oder Erweiterung des Zugangs zum Kapitalmarkt ansetzen, sind meistens mit langwierigen politischen, gesellschaftlichen oder gesetzgeberischen Prozessen verbunden. Speziell expansive Unternehmen, die sinnvollerweise mit der Expansion gleichzeitig das Eigenkapital steigern sollten, müssen aber kurzfristig Abhilfe schaffen.[11] Auch Unternehmen mit zunehmend kapitalintensiven Produktionsformen stehen vor einem Finanzierungsproblem, das durch die zusätzliche Aufnahme von Darlehen nur unbefriedigend gelöst werden kann, da die Folgelasten durch Zinsen sowie steigende Gewerbesteuer bei Zurechnung zu den Dauerschulden das Unternehmen langfristig belasten. Ein weiterer negativer Aspekt bei der Darlehensfinanzierung liegt in der starken Abhängigkeit vom allgemeinen Zinsniveau. Erhöht die Europäische Zentralbank bei inflationären Tendenzen die Leitzinsen und Mindestreservesätze, so wird die Geldbeschaffung für Kreditinstitute teurer. Dies wird an die Kreditnehmer weitergeleitet und benachteiligt Unternehmen, die ihre Zahlungsfähigkeit über Kredite aufrechterhalten. Die Praxis der Kreditbesicherung erhöht durch den Bearbeitungsaufwand (Bestellung und Bewertung, Verwaltung, Verwertung) zusätzlich die Kreditkosten.[12]

Dennoch tendiert die Finanzierungsstruktur deutscher Unternehmen stark zur Fremdfinanzierung in Form von Bankkrediten, die über 80 Prozent des Fremdkapitals und damit die bedeutendste Komponente des Liquiditätsmanagements ausmachen.[13] 54 Prozent der Unternehmen messen dem Bankkredit auch zukünftig große bis sehr große Bedeutung als Finanzierungsmöglichkeit bei.[14]

Dies liegt auch daran, dass andere Finanzierungsalternativen aus unterschiedlichen Gründen verschlossen bleiben. Das Selbstfinanzierungspotential vieler KMU ist stark schwankend und wird zum Teil durch Aufwendungen der privaten Lebensführung belastet. Die Haltung gegenüber Beteiligungsfinanzierung durch direkte oder stille Beteiligungen (private equity) ist aufgrund fehlender organisierter Märkten und damit schlechter Handelbarkeit der Anteile oft ablehnend.[15] Außerdem halten in den vorherrschenden Einzelunternehmen die Eigentümer regelmäßig das Gros der Anteile. Auch die im Vergleich zu angelsächsischen Ländern generell unterentwickelten Finanzmärkte in Deutschland und die Renditeanforderungen der Kapitalgeber schränken die Finanzierungsalternativen ein. Umfangreiche Regularien und festgelegte Mindestvolumina begrenzen die Nutzung des Kapitalmarktes (zum Beispiel durch Emission von Unternehmensanleihen) besonders für die KMU.

So bleiben Kredite von Banken und Sparkassen die primäre Finanzierungsquelle bei externem Kapitalbedarf. Die oftmals langfristige und enge Beziehung zur ‚Hausbank’ spielt dabei eine wichtige Rolle. Doch zukünftig wird sich unter Umständen die Kreditgewährung problematischer gestalten. Wenn Unternehmen die Beziehung zu ihrer Bank als verschlechtert ansehen, hängt es hauptsächlich mit der Kreditsituation und Konditionen zusammen. In einer Umfrage von 2001 empfanden bereits über 30 Prozent der Unternehmen die Kreditaufnahme in den vorangehenden Monaten als schwerer. Im Jahr 2002 stieg der Anteil auf über 44 Prozent.[16] Diese Probleme tauchen nicht nur bei der Neuaufnahme von Krediten, sondern auch bei Erhöhungen und Prolongationen auf. Die erkennbar restriktivere Kreditvergabe der Banken in den letzten Jahren wird in der Presse bereits als ‚Kreditklemme’ bezeichnet.

2.2 Die Kreditklemme

Das volkswirtschaftliche System des Bankkredits, der die Sparleistung des privaten Sektors in Investitionskapital für die Wirtschaft umwandelt, ist unter Druck geraten. Obwohl die Sparquote in Deutschland seit Mitte 2001 steigt, sind die Investitionen in Erneuerung und Ausbau zurückhaltend. Dies ist mehr als ein konjunkturzyklisches Problem, bei dem potenzielle Schuldner sich mit Investitionen zurückhalten.[17] Denn Mittelständler, die dennoch investieren wollen, stehen vor Finanzierungsproblemen. Das Kreditwachstum in Deutschland fällt wesentlich geringer aus als im restlichen Europa (siehe Abbildung Nr. 2 im Anhang).

Die deutschen Kreditinstitute haben mit verschiedenen Problemen zu kämpfen. Die Eigenkapitalrentabilität deutscher Institute liegt im internationalen Vergleich an vorletzter Stelle. Gründe sind, trotz leichter Reduzierung des Verwaltungsaufwandes, die mäßigen Provisionseinnahmen und das anhaltende Absinken der Zinsspanne seit Mitte der neunziger Jahre. Eine überzeugende Strategie als Reaktion auf die Anforderungen eines globalisierten Finanzmarktes fehlt und notwendige Reformen in den Bereichen Filialnetz, Personal oder Risikokontrolle wurden versäumt. Steigende Wertberichtigungen infolge ‚fauler Kredite’ und nicht risikogerechter Kreditkonditionen drücken zusätzlich das Ergebnis. Indem Konditionen unter dem risikoadäquaten Satz vereinbart wurden, erfolgte in einigen Bereichen jahrelang eine Quersubventionierung von Unternehmen mit schlechter Bonität durch Unternehmen mit guter Bonität. Dies hat nicht nur negative Folgen für das Kreditinstitut. Mit zu großzügiger Kreditvergabe verhindern die Banken auch eine Modernisierung der Unternehmensfinanzierung oder fördern chancenlose Unternehmensstrategien. Am Beispiel der Schmidt Bank in Hof/Oberfranken wurde deutlich, dass leichtfertig vergebene Kredite am Ende weder die 1.200 Firmenkunden noch das Kreditinstitut selbst vor dem Konkurs retten konnten. Außerdem wurde hier der Strukturwandel in der Region nachhaltig behindert. In Oberfranken dominieren infolge der Subventionierung international kaum wettbewerbsfähige Industrien wie Porzellanherstellung, Textilgewerbe und Holzverarbeitung.[18]

Die Banken beginnen nun, sich differenziert aus dem Kreditgeschäft mit dem inländischen Mittelstand zurückzuziehen. Viele Institute wollen den Unternehmen nicht länger Kredite als Eigenkapitalersatz zur Verfügung stellen und dabei das Risiko des Kreditnehmers in die eigene Bilanz nehmen. Mittlerweile müssen sich die Banken vor ihren Aktionären rechtfertigen warum sie ihr teures Eigenkapital in Kreditengagements mit geringen Margen binden. Außerdem sehen Strategiewechsel im Firmenkundenbereich vieler Institute vor, die Rolle des Geldgebers auf die eines Rundumbetreuers in allen Finanzangelegenheiten auszubauen. Die Kreditbeziehung soll neben Zinsderivaten, strukturierten Finanzierungen et cetera nur einen Teil der Kundenverbindung ausmachen.[19]

Die folgende Tabelle zeigt die Entwicklung der Kreditvergabe in den Jahren 1995 bis 2002. Dabei ist zu erkennen, dass die Gesamtkreditvergabe im Jahr 2002 um 19 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr gesunken ist. In diesem Jahr wurde auch das geringste Kreditwachstum seit der Rezession Anfang der achtziger Jahre erreicht.

Tabelle 1: Die Entwicklung des Kreditbestandes an Unternehmen und Selbständige in Milliarden Euro.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Kayser, G. (2002), S. 25.

Insbesondere die Großbanken fallen bereits seit dem Jahr 2001 mit deutlich reduzierten Kreditvolumina auf. Die vier großen Privatbanken Deutsche Bank, Commerzbank, Dresdner Bank und Hypo Vereinsbank haben ihre Ausleihungen von März 2001 bis März 2002 um 9,3 Prozent auf 140 Milliarden Euro reduziert. Ihre Wertberichtigungen für Kreditrisiken im Firmenkundengeschäft haben Rekordhöhen angenommen und dämpfen die Kreditvergabebereitschaft der Institute erheblich. So sahen sich zum Beispiel die Dresdner Bank und die Hypo Vereinsbank gezwungen, ihre Risikovorsorge im Jahr 2002 mehr als zu verdoppeln, die Deutsche Bank erhöhte immerhin um ein Drittel.[20] Die Sparkassen und Genossenschaftsbanken haben dagegen ihr Engagement in der Mittelstandfinanzierung noch erhöht, auch wenn sie den Einbruch auf der privaten Seite dadurch nicht vollständig auffangen konnten. Aspekte wie die zukünftig wegfallende kommunale und staatliche Unterstützung (Gewährträgerhaftung und Anstaltslast) lassen aber auch im öffentlich-rechtlichen Bankensegment Veränderungen zu einer restriktiveren Geschäftspolitik denkbar erscheinen, zum Beispiel im Hinblick auf die Bewertung riskanterer Kreditwünsche und die Auswahl von Kunden und Konditionen zur Rentabilitätsverbesserung.

Für alle Banken gilt, dass die Wertberichtigungen für faule Kredite im Extremfall dazu führen, dass das vorgeschriebene Eigenkapital fehlt, um Kredite ausgeben zu können. Dann könnte es zu einem sogenannten ‚credit crunch’[21] kommen, bei dem die Banken nicht einmal durch expansive Geldpolitik zur Kreditvergabe an den Unternehmenssektor bewegt werden können. Die Kreditnachfrage könnte dann nicht einmal voll bedient werden, wenn die Unternehmen zur Zahlung eines erhöhten Zinses bereit wären. In dieser Situation befindet sich beispielsweise Japan seit Jahren. Dort haben die Banken ein extremes Maß an faulen Krediten zu tragen und können bis zu deren Abschreibung kaum neue Kredite ausgeben, nicht einmal an solide Unternehmen. Diese Situation bietet sich in Deutschland (noch) nicht, da die fehlenden Kredite hauptsächlich in Krisenbranchen zum Tragen kommen (Baugewerbe, Glas- und Porzellanherstellung, Textil-, Bekleidungs- und Ledergewerbe). Die fehlenden positiven Einflüsse der Weltkonjunktur zeichnen jedoch einen wirtschaftlichen Abwärtstrend.

Die augenblickliche Erscheinung der ‚Kreditklemme’ in Deutschland kann jedenfalls auf die vorhergehend beschriebenen strukturellen Schwächen der Kreditnehmer und Kreditgeber zurückgeführt werden. Einen weiteren wichtigen Einflussfaktor stellen die Regelungen nach Basel II dar, die bei Politikern, Verbänden und Banken allerdings oftmals als einzige Entschuldigung für die Finanzierungskrise des Mittelstandes dienen.[22]

Basel II ist das Schlagwort für die neuen Eigenkapitalvorschriften für Kreditinstitute ab 2007. Dann müssen Kredite nicht mehr pauschal mit acht Prozent Eigenkapital hinterlegt werden, sondern in Abhängigkeit von der Bonität der Kreditnehmer. Für Aktivposten mit geringerem Ausfallrisiko wird die Eigenkapitalhinterlegung herabgesetzt, bei höherem Ausfallrisiko gilt der umgekehrte Fall, der unter Berücksichtigung des vorhergehenden Kapitels in erster Linie für Kredite an KMU eintreffen wird. Im Rahmen ihrer Kreditvergabepolitik stehen die Banken bei der Beratung und Risikoeinschätzung unter starkem Kostenreduzierungs- und Professionalisierungsdruck. Dennoch können die erforderlichen Prüfverfahren für Kreditnehmer die Flexibilität und die schnellen Entscheidungswege bei der Kreditvergabe hemmen.[23] Die Banken differenzieren genauer zwischen guten und schlechten Risiken und verwirklichen gegebenenfalls einen Aufschlag in den Kreditkonditionen. Im Ergebnis wird beim potentiellen Kreditnehmer zunehmend auf die individuelle Bonität sowie auf bereitgestellte/zu stellende Sicherheiten Wert gelegt und die Kreditkondition dementsprechend angepasst. Tendenziell werden die teureren Bankkredite andere Finanzierungsformen relativ verbilligen.

Eine Kreditentscheidung wird nicht mehr nur auf Grundlage einer vergangenheitsbezogenen, statistiklastigen Betrachtung der Finanzverhältnisse gefällt, sondern durch eine analytische Bonitätsbeurteilung mit zukunftorientierten Kriterien begründet. Diese Bonitätsbeurteilung kann sowohl als externes Rating durch Ratingagenturen[24], als auch als internes Rating durch die Kreditinstitute erstellt werden. Viele Institute wenden schon jetzt bei der internen Bonitätsbeurteilung Kriterien an, die in den kommenden Regelungen gefordert werden. Die Bonitätsnote macht Aussagen zur Überlebensfähigkeit und nachhaltigen Ertragskraft und dient dem Unternehmensimage. Die Attraktivität des Unternehmens als Vertragspartner hängt nicht nur bei Kreditinstituten immer öfter vom Rating ab. Einige Konzerne verlangen von ihren Zulieferern einen Bonitätsnachweis. Auch wenn ein mittelständisches Unternehmen nicht erwägt, Finanzmittel über den Kapitalmarkt zu beschaffen, ist es also bei Kreditverhandlungen und sogar bei allgemeinen Geschäftsabschlüssen im Vorteil, wenn es sich vorher mit den quantitativen und qualitativen Ratingkriterien befasst hat. (siehe Tabelle Nr. 3 im Anhang). Die bereits erwähnte Eigenkapitalquote wird beim Rating eine entscheidende Rolle spielen. Laut einer Studie der Kreditanstalt für Wiederaufbau werden schon jetzt 42 Prozent aller abgelehnten Kreditanträge mit einer unzureichenden Eigenkapitalquote begründet.[25] Die Banken fordern von den Unternehmen außerdem ein schlüssiges Geschäftsmodell, eine realistische Positionierung in der Branche und ein funktionierendes Controlling. Damit geht auch eine weitergehende Informationsbereitschaft der Unternehmen einher (Transparenz). Es müssen Organisationsstrukturen und nachvollziehbare strategische Planungsinstrumente geschaffen oder verbessert werden um eine zeitnahe, offene und vollständige Finanzkommunikation mit den Kreditinstituten zu gewährleisten.[26]

Bei optimistischer Sichtweise werden mit Basel II lediglich Risikostandards festgelegt, die sowieso zunehmend betriebswirtschaftliche Notwendigkeit haben. Ein neues Finanzierungszeitalter wird eingeleitet, in dem sich neue, alternative Finanzierungsmethoden für KMU eröffnen und eine höhere finanzielle Flexibilität ohne Abhängigkeit von Bankkrediten schaffen. Nach mehreren Verhandlungen zu den Eigenkapitalregeln werden Mittelstandskredite zudem nachsichtiger behandelt. Bei 90 Prozent aller Unternehmen, deren Kredithöhe bei einem Institut nicht mehr als eine Million Euro beträgt, werden voraussichtlich geringere Eigenkapitalunterlegungen für die Kredite nötig sein. Die KMU werden somit besser gestellt. Bei mittleren Unternehmen wird zudem ein Abschlag von 10 bis 20 Prozent bei der Gewichtung des Kreditisikos berücksichtigt. Außerdem soll es keine Zinsaufschläge im Langfristbereich geben.[27] Negative Stimmen behaupten dagegen, dass die Finanzierungsautonomie der KMU auch nach Basel II auf einem geringen Level verbleibt und zusätzlich die Kreditvergabe durch Banken gefährdet ist. Es gäbe zukünftig keine Kredite mehr oder nur mit steigenden Finanzierungskosten. Egal wie man die Rolle von Basel II in dieser Entwicklung bewertet, es steht fest, dass die ‚Kreditklemme’ besonders für expansiv ausgerichtete Unternehmen im deutschen Mittelstand zum strukturellen Wachstumshemmnis wird. Vielfach wird sie auch für die steigende Zahl von Unternehmensinsolvenzen verantwortlich gemacht. Im Folgenden soll jedoch erläutert werden, dass noch diverse andere Aspekte dabei eine Rolle spielen.

2.3 Die Insolvenzsituation

Die Insolvenz bezeichnet eine Situation der Zahlungsunfähigkeit, in der die Liquidität eines Unternehmens nicht mehr ausreicht, um ausstehende Verpflichtungen zu begleichen. Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung von Unternehmensinsolvenzen in Deutschland von 1997 bis zum Jahr 2001.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 : Unternehmensinsolvenzen in Deutschland.

Quelle: Deutsche-Factoring (2004) (siehe Internetverzeichnis).

Unternehmensinsolvenzen sind nach wie vor ein Problem des Mittelstandes beziehungsweise der KMU. Weniger als fünfzig von den 32.400 insolventen Unternehmen des Jahres 2001 hatten mehr als 500 Beschäftigte. Stattdessen machten Unternehmen mit höchstens fünf Mitarbeitern circa die Hälfte der Gesamtinsolvenzen aus. Neben der geringen Beschäftigtenzahl zeichnen sich Insolvenzkandidaten häufig durch geringe Umsätze und eine kurze Unternehmensgeschichte aus. Fast die Hälfte der insolventen Unternehmen arbeitete mit Umsätzen unter 500 TEUR und 36 Prozent mussten bereits vier Jahre nach Unternehmensgründung Insolvenz anmelden.[28]

Tabelle Nr. 4 im Anhang zeigt die gesamte Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen seit

1991 bis ins Jahr 2003. Mit Ausnahme des Jahres 1999 hat in Deutschland die Zahl der Unternehmensinsolvenzen während dieses Zeitraumes jedes Jahr zugenommen und wurde insgesamt mehr als vervierfacht (1991: 8.837, 2003: 39.700). Nach der Wiedervereinigung gab es jährliche Zuwachsraten von 23,6 (1992) oder sogar 38,7 Prozent (1993). Hohe Anstiegsraten um die 16 Prozent waren zuletzt wieder in den Jahren 2001 und 2002 zu beobachten. Für das Jahr 2003 war der Zuwachs im Vergleich zu den Vorjahren abgeschwächt (+5,5 Prozent). Aber auch hier hatten fast drei von vier Unternehmen höchstens fünf Mitarbeiter. Daher muss die 1999/2001 in Kraft getretene Änderung des Insolvenzrechtes berücksichtigt werden, die ein geregeltes Insolvenzverfahren für Kleinstunternehmen ermöglicht hat. Vor dem Jahr 2002 waren Kleinstunternehmen in der Statistik nicht erfasst. Dies bereinigt die Zahl der Insolvenzen zwar, verhindert aber nicht den steigenden Trend, der sich nicht auf eine einzige Ursache zurückführen lässt. Eine Insolvenz wird bestimmt von vielen verschiedenen Faktoren. Aktuell spielen sowohl das schwierige konjunkturelle Umfeld, als auch geänderte rechtliche Bedingungen und die problematische Finanzierungssituation eine Rolle. Auch Managementaktivitäten können zu den Insolvenzgründen gehören. Rückläufige Erträge erschweren es den Unternehmen, die bereits angesprochenen unterdurchschnittlichen Eigenkapitalquoten zu verbessern. Trifft eine zu geringe Eigenkapitalquote zum Beispiel mit schwachen Konjunkturerwartungen und einem veralteten Produktionsprogramm zusammen, kann ein Unternehmen insolvent werden. Dennoch hätte unter Umständen ein Teil der Insolvenzen verhindert werden können.

Fast 50 Prozent der Unternehmen betreiben keine aussagefähige Finanz- und Liquiditätsplanung, obwohl gerade in konjunkturellen Problemzeiten ein professionelles Planungs- und Kontrollwesen helfen kann, Warnzeichen im Unternehmen frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern.[29] Der transparente Finanzstatus hilft, wie bereits erwähnt, nicht nur dem Unternehmen selbst, sondern ist auch ein wichtiger Faktor bei der Finanzierung. Angesichts der vorherrschenden Unternehmensgröße ist es zwar nachvollziehbar, dass drei Viertel der Unternehmen nicht über eine eigenständige Finanzabteilung verfügen, aber es ist dennoch nicht positiv für die Unternehmenssituation zu bewerten. In 65 Prozent der Unternehmen trifft der Inhaber oder geschäftsführende Gesellschafter allein die Finanzierungsentscheidungen. Dennoch hat rund die Hälfte der Unternehmen keine Stellvertretungsregelung für Abwesenheiten des Chefs von mehr als zwei Wochen und nur zwei von zehn Unternehmen holen sich zur Behebung von Schwierigkeiten Hilfe bei einem professionellen Berater.[30] Viele mittelständische Unternehmen machen sich außerdem abhängig von wenigen Abnehmern und können dann einen eventuellen Ausfall nicht verkraften. Welche Gefahren die Kundenstruktur eines Unternehmens noch birgt, wird im Folgenden erläutert.

2.4 Der Mittelstand und seine Kunden

Der Kundenstamm ist eine tragende Säule jedes Unternehmens. Seit Jahren haben sich Verkäufermärkte in Käufermärkte gewandelt. Dies bedeutet, dass die Kunden mit ihrer Nachfragemacht entscheidenden Einfluss auf die Konditionen der Geschäfte ausüben können. Die Unternehmen müssen sich anpassen und zunehmend längere Forderungslaufzeiten oder offene Zahlungsziele akzeptieren. Darum nimmt die Bedeutung des Finanzmanagements insbesondere im Hinblick auf die Liquiditätssteuerung zur Erhaltung der Zahlungsfähigkeit des Unternehmens zu.[31] Die ununterbrochene systematische Liquiditätsplanung wird aber, wie bereits angesprochen, besonders von kleinen Unternehmen oft vernachlässigt.

Da das Augenmerk in Zeiten der Käufermärkte auf den Bedürfnissen der Kunden liegt, wird

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

viel Kapital und Arbeitzeit in die Akquisition von Kunden investiert. Nur so können neue Abnehmer für die Produkte des Unternehmen gewonnen werden. Dies ist der Beginn eines Kunden-Lebens-Zyklus.

Abbildung 3: Der Kundenlebenszyklus.

Quelle: Infoscore (2004) (siehe Internetverzeichnis).

Die System&Co hat durch Werbung und die Erweiterung ihres unternehmerischen Leistungsspektrums auch eine Anzahl neuer Kunden hinzugewonnen. Doch nach dem Erstauftrag liegt die größte Bedeutung für das Unternehmen darin, die Kunden auch zu halten. Die dazu notwendige Betreuung ist ebenfalls zeit-, kapital- und arbeitsintensiv. Ziel ist es, den Kunden zum dauerhaften Konsumenten der Produkte und Leistungen des Unternehmens zu machen. Dennoch befürchtet die System&Co, dass Zahlungsstörungen bei ihren Kunden auftreten könnten. Sobald ein Kunde die Leistungen des Unternehmens in Anspruch nimmt, wird er zum Debitor (Schuldner) und damit auch zu einem Risikofaktor für das Unternehmen. Die System&Co hat Kunden von durchschnittlicher Bonität und musste bereits Forderungsausfälle in Höhe von 1,1 Prozent des Umsatzes hinnehmen. Ein Teil der Forderungsverluste war auch auf Insolvenzfälle unter ihren Kunden zurückzuführen. Die Krise des Mittelstandes zeigt also sich nicht nur in den weiter steigenden Unternehmensinsolvenzen, sondern auch in daraus resultierenden hohen Forderungsverlusten bei Firmen, die nicht in ihrer Existenz bedroht sind. Nur 13,3 Prozent der mittelständischen Betriebe können sich im Herbst 2003 ohne Forderungsverluste zeigen. Dafür sind 20,7 Prozent von hohen Forderungsverlusten von über einem Prozent des Umsatzes betroffen. Dies wird in Abbildung 4 illustriert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Forderungsverluste in Deutschland bis Herbst 2003.

Quelle: Creditreform (2003) (siehe Internetverzeichnis).

Ein schneller Zahlungseingang ist der beste Weg zur Behebung von Liquiditätsengpässen im Unternehmen. Doch schon vor dem endgültigen Forderungsausfall liegen meist Zahlungsstörungen des Kunden. Ein Viertel aller Konkurse von europäischen Unternehmen wird durch Zahlungsverzug verursacht. Im August 2000 trat aus diesem Grund eine „Zahlungsverzugsrichtlinie“ der Europäischen Union in Kraft. Sie sollte die KMU unter anderem vor finanziellen Belastungen, die aus Zahlungsverzug entstehen, schützen.[32] Trotz dieser Richtlinie, die noch nicht in allen Ländern umgesetzt worden ist, leiden die Unternehmen unter Zahlungsverzug. Insbesondere in Zeiten der Rezession wird eine Ausdehnung der Forderungslaufzeiten bewirkt, die nicht nur die zahlungsgestörten Unternehmen selbst, sondern letztendlich auch deren Gläubiger durch erhöhten Fremdkapitalbedarf in Schwierigkeiten bringen kann.[33] Obwohl die Zahlungsmoral zu wünschen übrig lässt, verzichten viele Unternehmen auf ein geregeltes Mahnwesen, Bonitätsprüfungen bei quantitativ bedeutenden Neukunden, usw..[34] Eine laufende Bonitätskontrolle, auch bei Stammkunden, ist jedoch theoretisch unverzichtbar. Dies gilt erschwert im Auslandsgeschäft, wo die Rechtsverfolgung erheblich schwieriger ist.

Abbildung 5 verdeutlicht, dass man sich insbesondere in Italien, Frankreich und Belgien mit dem Bezahlen einer Rechnung viel Zeit lässt. In Italien sind es fast drei Monate (85 Tage), in Belgien immerhin mehr als zwei Monate (63 Tage) und in Frankreich dauert es im Schnitt 56 Tage, bis das Geld auf dem Empfängerkonto eingeht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Das Zahlungsverhalten in Europa.

Quelle: Creditreform (2003b) (siehe Internetverzeichnis).

Deutschland liegt mit durchschnittlich (branchenübergreifend) 24 Tagen Zahlungsziel und 16 Tagen Zahlungsverzug im Ländervergleich in Europa an zweiter Stelle, d.h. die Zahlungsziele fallen relativ kurz aus. Es gilt die 30-Tage-Regel, wenn im Vertrag zwischen zwei Parteien keine Zahlungsfrist vereinbart ist. Das heißt, Zahlungseingänge bis zu einen Monat nach Vertragsabschluss beziehungsweise Rechnungsstellung gelten als pünktlich. Betrachtet man die Zahlungsfristen im Jahr 2003 aufgeschlüsselt nach Wirtschaftsbereichen (siehe Tabelle Nr. 5 im Anhang), so zahlen ungefähr zwei Drittel der Kunden ihre Rechnung fristgerecht innerhalb von 30 Tagen. Das Baugewerbe hat mit 71,4 Prozent sogar mehr pünktliche Zahler. Diese überraschend positive Entwicklung von ehemals unterdurchschnittlichen 55,3 Prozent im Vorjahr lässt annehmen, dass die Wichtigkeit eines zügig arbeitenden und gut organisierten Forderungsmanagements zur eigenen Liquiditätssicherung erkannt wurde. Sie kann aber auch mit einer Zunahme von Geschäften gegen Vorauskasse zusammenhängen, die als pünktliche Zahlung gelten würden. Das Baugewerbe und das verarbeitende Gewerbe konnten auch den Anteil der Zahlungsfristen von über 90 Tagen deutlich auf 3,5 beziehungsweise 3,0 Prozent reduzieren. Demgegenüber mussten Handel und Dienstleistungsgewerbe einen Anstieg in diesem Bereich hinnehmen. Beim Handel bedeutet dies eine Verdopplung innerhalb eines Jahres von 1,5 Prozent auf 3,0 Prozent. Der Dienstleistungsbereich hat mit 5,3 Prozent (2002: 3,4 Prozent) mit Abstand die meisten spät zahlenden Kunden.[35] Diese negative Entwicklung betraf auch die System&Co, deren Liquidität durch Zahlungsverzug ihrer Kunden strapaziert wurde. Die daraus entstehende Problematik zeigte sich zum Beispiel darin, dass die System&Co vorteilhafte Einkaufskonditionen durch Skonti oder Rabatte, die in der Regel an schnelle Zahlung oder sogar Barzahlung gebunden sind, kaum nutzen konnte.

Insgesamt bewerten nur 28,6 Prozent der mittelständischen Unternehmen die Pünktlichkeit der Zahlungseingänge ihrer Kunden als sehr gut oder gut.[36] In jedem Fall stellt die Gewährung von Zahlungszielen den Unternehmer vor verschiedene Probleme. Da die Unternehmen oftmals in beträchtliche Vorleistung gehen, sind sie auf einen planbaren Zahlungseingang angewiesen. Durch verspätete Zahlungseingänge können gerade mittelständische Unternehmen leicht in einen Liquiditätsengpass kommen, wenn sie nicht über ausreichendes Eigenkapital (vgl. Punkt 2.1) oder entsprechendes Fremdkapital verfügen. In den Forderungen sind eigene Mittel des Unternehmens gebunden, denn das Unternehmen finanziert seine Kunden bis zum Forderungseingang und trägt das Risiko eines Forderungsausfalls. Diese Rolle als Lieferantenkreditgeber belastet die Verwaltung und das Personalbudget des Unternehmens.[37] Rechnungen schreiben, Debitorenbuchhaltung, die Überwachung von Zahlungseingängen und ein funktionierendes Mahnwesen verursachen hohe Aufwendungen. Zum Teil ist eine Verlagerung der Problembereiche möglich. Die Dienstleistungen der Buchhaltung können von Inkassobüros übernommen werden, die Refinanzierung kann über Kreditinstitute gegen Forderungsabtretung (Zessionskredit) erfolgen und das Ausfallrisiko kann durch Kreditversicherungen abgesichert werden.

Eine einheitlichere Lösung bietet jedoch das Factoring. Nach einer Umfrage des Deutschen

Factoring-Verbandes e.V., eines Wirtschaftsverbandes zur Förderung der geschäftlichen Interessen der führenden Factoringinstitute in Deutschland, betrug die Laufzeit der von seinen Mitgliedsfirmen angekauften Forderungen im ersten Halbjahr 2002 durchschnittlich 55 Tage. Diese Zahlungsziele ließen sich durch Factoring sinnvoll überbrücken. Die Forderungslaufzeit im internationalen Geschäft war zum Teil noch erheblich länger.[38] Auch im Exportgeschäft stellen Zahlungsziele für das Unternehmen eine Belastung dar. Es kommt hinzu, dass starke Barrieren für den Markteintritt bestehen. Probleme ergeben sich besonders aus der Unkenntnis der unterschiedlichen Rechtssysteme und Handelsbräuche in den Exportstaaten, Sprachproblemen, schwieriger Bonitätsbeurteilung der ausländischen Abnehmer und unsicheren Zahlungskonditionen. Verschuldete Staaten, die ihren Gläubigern Umschuldungs- und Stundungsvereinbarungen anbieten müssen, verunsichern zusätzlich.[39] Daher ist die Suche nach neuen Abnehmern im Ausland beim deutschen Mittelstand eher unterentwickelt. Aufgrund der Globalisierungstendenzen in der Wirtschaft werden sich jedoch auch mittelständische Unternehmen nicht auf Dauer von internationalen Handelstätigkeiten distanzieren können. Das Verschwinden von Protektion und Subvention inländischer Unternehmen durch den Staat sowie die Entwicklung auf dem europäischen Binnenmarkt verstärkt den grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr und zwingt die deutschen KMU zu einer Öffnung in Richtung Ausland.[40] Die stagnierende Inlandsnachfrage übt zusätzlich Druck auf die Unternehmen aus.

[...]


[1] Vgl. Financial Gates (Hrsg.) (2004), S. 93.

[2] Vgl. Deutscher Factoring-Verband e.V. (Hrsg.) (2003a), S. 49.

[3] Vgl. Bette, K. (2001), S. 11.

[4] Vgl. Institut für Mittelstandsforschung (2003) (siehe Internetverzeichnis).

[5] Vgl. Wallau, F. (2002), S. 4 ff..

[6] Vgl. Bette, K. (1999), S. 2.

[7] Die Befragung umfasste nur Unternehmen, die Kreditnehmer sind. Die Durchschnittswerte sind zudem nicht

um bilanzielle Bewertungsspielräume bereinigt.

[8] Vgl. Creditreform (2003a) (siehe Internetverzeichnis).

[9] Circa 60 Prozent der KMU sind in der Rechtsform der Einzelunternehmung organisiert.

[10] Vgl. § 4 Abs. 4 EstG.

[11] Vgl. Hill. H. (1994), S. 1.

[12] Vgl. Bette, K. (2001), S. 13.

[13] Vgl. Beck-aktuell (2004) (siehe Internetverzeichnis), S.2.; davon 37 Prozent langfristige Bankkredite,

27 Prozent kurzfristige Betriebsmittel, neun Prozent Dispositionskredite und neun Prozent andere Kredite.

[14] Vgl. Wallau, F. (2002), S. 8.

[15] Vgl. Pfaffenholz, G. (2002), S. 3 ff..

[16] Vgl. Kayser, G. (2003), S. 23 f..

[17] Vgl. Ehren, H.; Prellberg, M.; Wanner, C. (2002), S. 1.

[18] Vgl. Heismann, G. (2002), S. 1.

[19] Vgl. Lebert, R. (2002), S. 1.

[20] Vgl. Ehren, H.; Prellberg, M.; Wanner, C.(2002), S. 1.

[21] Credit crunch (engl.)= Zermalmen von Krediten, ’Kreditklemme’.

[22] Vgl. Marschall, B. (2002), S. 31.

[23] Vgl. Deutsche Factoring Bank (Hrsg.) (1999), S.5.

[24] Die größten internationalen Ratingagenturen sind Standard & Poor’s sowie Moody’s. Bisher ist allerdings nur

ein sehr geringer Teil der deutschen (mittelständischen) Unternehmen auf diese Weise geratet.

[25] Vgl. Creditreform (2003c) (siehe Internetverzeichnis), S. 19.

[26] Vgl. Pfaffenholz, G. (2002), S. 9-13.

[27] Vgl. Bundesregierung (2002) (siehe Internetverzeichnis).

[28] Vgl. Deutsche-Factoring (2004) (siehe Internetverzeichnis).

[29] Umfrage von 2001 unter einer repräsentativen Stichprobe von 1.117 deutschen Unternehmen.

[30] Vgl. Kayser, G. (2004) (siehe Internetverzeichnis).

[31] Vgl. Hill, H. (1994), S. 3.

[32] Vgl. Creditreform (2003b) (siehe Internetverzeichnis).

[33] Vgl. Schepers, Ch. (1993), S. 87 f..

[34] Vgl. Kayser, G. (2004) (siehe Internetverzeichnis).

[35] Vgl. Creditreform (2003c) (siehe Internetverzeichnis), S. 22.

[36] Vgl. Ebenda, S. 21f..

[37] Vgl. Financial Gates (Hrsg.) (2004), S. 93f..

[38] Vgl. Deutscher Factoring Verband (2004b) (siehe Internetverzeichnis).

[39] Vgl. Hill, H. (1994), S. 3.

[40] Vgl. Tzeng, C. (2002), S. 1.

Ende der Leseprobe aus 83 Seiten

Details

Titel
Die Entwicklung des Factoring und seine Bedeutung als Finanzierungsalternative vor dem Hintergrund der aktuellen Situation des deutschen Mittelstandes
Hochschule
Fachhochschule für Wirtschaft Berlin
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
83
Katalognummer
V49922
ISBN (eBook)
9783638462556
Dateigröße
1008 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entwicklung, Factoring, Bedeutung, Finanzierungsalternative, Hintergrund, Situation, Mittelstandes, Thema Factoring
Arbeit zitieren
Maria Hietel (Autor:in), 2004, Die Entwicklung des Factoring und seine Bedeutung als Finanzierungsalternative vor dem Hintergrund der aktuellen Situation des deutschen Mittelstandes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49922

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