Die Bedeutung der gesundheitsfördernden Beratung unter Bezugnahme der Selbstpflege- und Selbstpflegedefizit-Theorie von Dorothea Orem


Hausarbeit, 2005

48 Seiten, Note: 1


Leseprobe


INHALT

1 EINLEITUNG

2 METATHEORETISCHER ENTWURF DER GESUNDHEITSFÖRDERNDEN BERATUNG

3 WELCHES VERSTÄNDNIS VERBIRGT SICH HINTER DER BEGRIFFLICHKEIT GESUNDHEIT FÖRDERN / GESUNDHEITSFÖRDERUNG

4 BERATUNG - BERATERIN

5 DIE PARADIGMEN PATHOGENESE UND SALUTOGENESE
5.1 PATHOGENESE ALS BESTIMMUNGSFAKTOR FÜR WISSENSCHAFTLICHE PARADIGMEN?
5.2 SALUTOGENSE MEHR ALS NUR DICHOTOMIE VON GESUNDHEIT UND KRANKHEIT

6 „ICH FÜHL MICH GESUND - BIN ICH DESHALB GESUND? DETERMINANTEN DER GESUNDHEIT
6.1 GESUNDHEITSFÖRDERUNG IN DER NANDA TAXONOMIE II

7 GESUNDHEITSFÖRDERUNG AM ANSATZ DER GESUNDHEITSAUFKLÄRUNG
7.1 BERATUNG IM KONTEXT DES MODELLS DER STADIEN DER VERÄNDERUNG (STAGES OF MODEL) VON PROCHASKA UND DICLEMENT

8 DIE SELBSTPFLEGEDEFIZIT-THEORIE VON OREM
8.1 THEORIE DER SELBSTPFLEGE
8.1.1 Entwicklungsbedingte Selbstpflegeerfordernisse
8.1.2 Allgemeine Selbstpflegeerfordernisse
8.1.3 Gesundheitsbedingte Selbstpflegeerfordernisse

9 ZUSAMMENFASSUNG

1 Einleitung

„Niemand geht sicher am Ufer entlang. Darüber hinaus ist für mich klar, dass ein Grossteil des Flusses sowohl im wörtlichen wie auch im herkömmlichen Sinn verschmutzt ist. Es gibt Gabelungen im Fluss, die zu leichten Strömungen oder in gefährliche Stromschnellen und Strudel führen. Meine Arbeit ist der Auseinandersetzung mit folgender Frage gewidmet: 'Wie wird man, wo immer man sich in dem Fluss befindet, dessen Natur von historischen, soziokul- turellen und physikalischen Umweltbedingungen bestimmt wird, ein guter Schwimmer?“

Aaron Antonowsky

Seit fast 13 Jahren arbeite ich im Gesundheitswesen. Nach dem ich die Ausbildung zum Krankenpfleger abgeschlossen hatte, bin ich seit her schwerpunktmäßig in der Akutpsychiat- rie tätig. Kein Tag gleicht dem anderen, so wie die Menschen mit ihren Problemen und deren Verhalten und Erleben einzigartig sind. Gibt es zwar die Kategorisierung nach ICD 10 oder DSM, jedoch bedeutet dieses nicht, dass gleiche Erkrankungen mit gleichen Verläufen ein- hergehen. Im Gegenteil jede psychiatrische Erkrankung, und das ist meine persönliche Erfah- rung, ist individuell, ein Unikat. Nicht ohne Grund sind Fallpauschalen in der Psychiatrie bis heute nicht zum Einsatz gekommen. Wie bzw. wer soll die Psyche mit welchem Schema quantifizieren? Gibt es in der Somatik eine bestimmte Methode um beispielsweise eine Frak- tur des Unterarmes zu behandeln, sind die Ansätze in Psychiatrie mannigfaltig und kaum mit- einander zu vergleichen. Das soll nun nicht heißen, dass jeder Tag ein Chaos ist und Struktu- ren nur theoretische Konstrukte darstellen. Im Gegensatz, sie sind die Basis des pflegerischen Alltages. Jedoch sind Pflegemaßnahmen in ihrem Inhalt von einem auf den anderen Men- schen nicht übertragbar, auch wenn ähnliche Symptome es erwarten lassen. Ähnlich wie Pfle- getheorien die in anderen Gesellschaften entwickelt worden sind und nur in angepasster Form von anderen Gesellschaften angewendet werden können, stellt der Betroffene in der Psychiat- rie in seiner Persönlichkeit ein Individuum in einen Mikrokosmos dar. Folglich sind nicht die mechanisch-technischen Verrichtungen im Vordergrund, sondern die themenzentrierten und zur Alltagsbewältigung geführten Gespräche, Hauptbestandteil der therapeutischen Interven- tion. Primäre Ziele von Gesprächen sind demnach die „Begleitung bei seinem / ihrem Erleben oder der Unterstützung bei der Bewältigung seiner / ihrer früheren, aktuellen oder zukünfti- gen Situation der Patientin zur Unterstützung bei der Erhaltung und Förderung seiner / ihrer Selbstständigkeit und Gesundheit abgegeben werden, abgebildet.“1 Es stellt den einen Aspekt der individuellen Bewältigung von Problemen dar. Fraglich bleibt, warum die Men- schen häufig erneut in den stationären Aufenthalt zurückkehren. Es ist zu einfach zu meinen, das psychiatrische Erkrankungen phasenhaft Verlaufen und dieses einen von Zeit zu Zeit kli- nische Intervention unumgänglich machen. Nachdenklich und bedenklich erscheint mir der neue Trend der sich in Deutschland durch den derzeitigen Ausbau von forensischen Abteilun- gen abzeichnet. Ein Grund könnte, das Scheitern der in den 80iger Jahren begonnen ambulan- ten psychiatrischen Versorgung. Die herkömmlichen Sozialpsychiatrischen Dienste die unter öffentlicher Hand geleitet werden, stellen nur eine unzureichende Versorgung dar. Nicht nur weil die dort Tätigen zumeist aus anderen sozialen Berufungen kommen und die psychiatri- sche Pflege kaum vertreten ist, sondern weil die Intervalle für die Betreuung eher grobma- schig erfolgen und daher eine umfassende Unterstützung kaum durchführbar machen. Ande- rerseits ist die Ökonomisierung und Privatisierung ein weiterer Fakt, der die Gefahr der Un- terversorgung in sich birgt. Unverständlich bleibt, warum der Weg mit der einhergehenden Kriminalisierung von Menschen mit Störungen der Psyche auf diese Weise gelöst werden soll oder ist es vielleicht ein Spiegelbild des Stellenwertes der Psychiatrie in der Gesellschaft?

Wenn es hier um gesundheitsfördernde Beratung geht, soll dieses einen Betrag dazu liefern, die Ressourcen der Betroffenen zu stärken und gleichfalls zu hinterfragen welche Möglichkei- ten die Beratung hat, auf das soziale Umfeld einzuwirken. Aber auch für den somatischen Bereich bleibt eine gesundheitsfördernde Beratung gleichbedeutend. Nicht zuletzt wurde be- reits in zehn Schritten zur Entwicklung der Ambulantisierung die „Aufnahme des Moduls „Anleitung und Motivation“ im Leistungskatalog des SGB XI“2 von der BALK gefordert. Nicht zu vergessen, egal ob somatische oder psychisch/psychiatrische Präpositionen, bleibt zu beachten, dass Gesundheitsförderung die gesamte Bevölkerung als Zielgruppe umfasst und die Veränderung der Lebensweisen zum Ziel hat und im eigentlichem Sinne am Gesundheits- zustand als Interventionszeitpunkt ansetzt.

Beratung ist fast so selbstverständliche, das man sie im alltäglichen Leben kaum wahrnimmt. Erst bei unlösbaren Konflikten oder defizitären Wissensstand3 begibt sich der Mensch be- wusst auf die Suche nach Hilfe. So will ich an dieser Stelle auch die philosophische Frage stellen „Suchen kann nur derjenige, der etwas verloren hat“. Geht man davon aus, das man sich dementsprechend auf die Suche nach etwas verloren begibt, so wäre es wohl das Ziel die Erkenntnis zu finden. Einmal mehr wird dieses in dem Leitsatz „Der Klient hat das Problem (Anmerkung: Wissensdefizit) und besitz die Lösung (Anmerkung: Entscheidungsfähigkeit)“4 deutlich. Im Alltag erhält man fast täglich Beratung. Ob am Fahrkartenschalter bei der Frage nach eine Zugverbindung, im Reisebüro nach einem Flug nach Spanien, beim Steuerberater welche Kosten man gegenüber dem Finanzamt gelten machen kann etc. Alle diese Beratungen beruhen darauf, dass im Vorfeld keine negative Situation eingetreten ist, sondern das man beispielsweise eine schöne Reise machen kann, Geld vom Finanzamt wiederbekommt, den richtigen Zug oder einen Flug nach Spanien bekommt. Es wäre wohl auch nicht sinnvoll, nach dem Flug nach Spanien zu fragen wenn man bereits in Moskau gelandet ist. Im Studienbrief 1.Beraterkompetenz, 2.Beratungsstruktur, Beratungsverlauf, Beratungsbeziehung von Klemm und Krczizek4 wird das Expertenprofil einer Beraterin mit dem beruflichen Selbstverständnis, den Feldkenntnissen über die Zielgruppe, dem Fachwissen zur Erkrankung bzw. Problematik und einem methodischen Know beschrieben.

Beratung steht im nachfolgenden nicht ausschließlich unter dem gesundheitsfördernden Aspekt, sondern gleichzeitig auch als präventive und kurative Möglichkeit, Menschen zu helfen sich in einer immer komplexeren Umwelt und Gesellschaft zurechtzufinden. Das Schwergewicht im folgenden liegt nicht auf der Prävention, da diese „bei der Vermeidung von Krankheiten und Gebrechen ansetzt...“5, sondern setzt bei der „Gesundheitsförderung direkt - sozusagen ohne Umwege über die Krankheitsverhütung - bei den positiven, fordernden Bedingungen für bzw. von Gesundheit an.“(ebd).

Anmerkung

BEI DEN IN DIESER HAUSARBEIT VERWENDETEN PERSONEN- UND BERUFSBEZEICHNUNGEN WERDEN, AUCH WENN SIE NUR IN EINER FORM AUFTRETEN, GLEICHWERTIG BEIDE GESCHLECHTER ANGESPROCHEN.

2 Metatheoretischer Entwurf der gesundheitsfördernden Beratung

Im folgenden ist der Aufbau der Kapitel systematisch. Jeder der Beratung unter gesundheits- fördernden Aspekten durchführt, sollte seine beratende Tätigkeit und den theoretischen und praktischen Einstellungen bewusst sein und ebenso für andere nachvollziehbar machen. Hier- zu wird das integrative Supervisionsmodell von Schreyögg6 als metatheoretisches Bezugs- ebene favorisiert. Je nach Beraterin ist das Gespräch von verschiedenen psychoanalytischen, gesprächstherapeutischen, soziologischen, verhaltenstherapeutischen, gestalttherapeutischen, kommunikationstheoretischen oder systemtheoretischen Grundlagen geprägt. Die Metaebene setzt sich aus anthropologischen und erkenntnistheoretischen Leitlinien für den Beratungspro- zess und den damit verbundenem Handeln zusammen wie beispielsweise Menschenbild, E- thik und moralisches Handeln. In der Folge haben sich alle verwendeten Theorien, Modelle und Methoden einem übergeordneten Menschenbild und ethischen Grundverständnis unterzu- ordnen bzw. sich in dieses einzuordnen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 Metatheoretische Ebene der Gesundheitsförderung unter der besonderen Berücksichtung des integrativen Supervisionsmodells

In der Abbildung werden die unterschiedlichen Ebenen verdeutlicht. Die theoretische Ebene bezieht sich auf das Salutogenese Konzept von Antonovsky. Es wird unter den Punkt 5.2 Salutogense mehr als nur Dichotomie von Gesundheit und Krankheit näher erläutert. Die Ge- sundheitsförderung selbst wird im Kapitel 3 Welches Verständnis verbirgt sich hinter der Be- grifflichkeit Gesundheit fördern / besprochen.und enthält Aussagen zu den Zielen, welche der Berater mit seinem Handeln verfolgt. Es bildet die beratungstheoretische Ebene. Die praxeo- logische Ebene der gesundheitsfördernde Beratung beschäftigt sich mit der Selbstpflege- und Selbstpflegedefizittheorie nach Orem - siehe hierzu unter „8. Die Selbstpflegedefizit-Theorie von Orem“. Es ist ein praxisorientiertes Modell, welches sich explizit auf die Pflege bezieht.

Wenn es im folgenden also um gesundheitsfördernde Beratung unter der Bezugnahme der oremschen Pflegetheorie geht, dann ist damit die Beratung unter pflegerischen Gesichtspunkten gemeint. Das dazu vorgeschlagene Modell der Stadien der Veränderung, soll als methodologischer Ansatz für die Umsetzung auf der Handlungsebene dienen. Es wird unter 7.1 Beratung im Kontext des Modells der Stadien der Veränderung (Stages of Model) von Prochaska und DiClement behandelt.

3 Welches Verständnis verbirgt sich hinter der Begrifflichkeit Gesundheit fördern / Gesundheitsförderung

Bereits in der Einleitung wurde die Aussage getroffen „Suchen kann nur derjenige, der etwas verloren hat.“ Geht man noch einen Schritt weiter, so kommt man auf die Erkenntnis, „Wenn der jenige etwas verloren hat, dann muss er es bereits besessen haben.“. Demzufolge kann es sich bei Gesundheit fördern auch nur darum handeln, dass bei einem Menschen schon etwas vorhanden ist. Wie bzw. was sonst sollte gefördert werden? In den nächsten Zeilen und Wör- tern wird sich der Begriffsbestimmung Gesundheitsförderung genähert. Zuvor sei noch darauf hingewiesen, dass es sich um keine statische und absolute Bestimmung handelt (es gibt zu viele unterschiedliche Meinungen), sondern um eine Auslegung der vorhandenen Fakten.

Der Beginn der Gesundheitsförderung liegt im 19 Jahrhundert. Krankheits- bzw. Infektionsepidemien wie Tuberkulose, Cholera und Typhus verbreiteten sich rasend schnell in den überfüllten Industriestätten. Es wurde dringend notwendig, Massnahmen dagegen zu ergreifen. Da zu dieser Zeit noch keine Erkenntnisse über die Erreger und dessen Immunisierung in Form von Impfungen vorlag, wurden die Ursachen oftmals als schicksalhaft und Strafe einer höheren Macht (Gott gewollt, Buße tun etc.) interpretiert.

Reformen kamen Mitte des 19 Jahrhundert auf. In Großbritannien wurde beispielsweise 1848 für jede Stadt ein Medizinalbeamter benannt, der die Aufgabe hatte Gesundheitsratschläge zum Schutz vor übertragbaren Krankheiten gab. Bereits hier ist schon die Begrifflichkeit von Beratung erwähnt, nämlich in der Art und Weise, wie es der gesundheitlichen Aufklärung entspricht. In Bezug auf die Pflege ist an dieser Stelle Florence Nightingale zu nennen. Die hygienischen Zustände in der Armee führte dazu, dass zahlreiche Soldaten an Infektionen starben. „Als im März 1854 England und Frankreich Russland den Krieg erklärt, ging sie, nachdem sie von der katastrophalen medizinischen Versorgung der Soldaten hörte, auf Bitten des damaligen englischen Kriegsministers Sidney HERBERT, mit einer von ihr ausgewählten Gruppe von 38 Krankenpflegerinnen nach Scutari in die Türkei. Nach anfänglichen erhebli- chen Widerständen vonseiten der Offiziere und Ärzte organisierte sie schließlich die Kran- kenpflege im Lazarett von Scutari. Hier entstand auch der Mythos der „Lady with the lamp“ („der Dame mit der Lampe“): „Wenn Florence Nightingale nachts mit ihrer Lampe durch das Krankenlager geht, küssen wir heimlich ihren Schatten.“ schrieb ein Soldat aus dem La- zarett nach Hause (WOODHAMSMITH 1952, 218).“7

Ihre hygienischen Reformen in der Armee bzw. Armeekrankenhäusern und später in der Ar- men-Krankenpflege beruhten auf der Konzeption Belüftung, Wärme, Licht, Diät, Sauberkeit und Lärm, welche sie als Komponenten der Umwelt bezeichnete. Sie entwickelt 5 Punkte für die Erhaltung der Gesundheit. Diese sind Saubere Luft, sauberes Wasser, funktionierende Kanalisation, Sauberkeit, Licht. Mit der Umsetzung des konzeptionellen Rahmens konnte die Ausbreitung der Infektionen, insbesondere während des Krimkrieges innerhalb der Lazarette, eingedämmt und dezimiert werden.

Ähnlich verlief die stattliche Gesundheitspolitik in Deutschland, die sich ebenfalls auf der Hygieneerziehung berufen fühlte. Man versuchte durch die Verbesserung der Lebensverhält- nisse der Bevölkerung durch Sauberkeit, Gründlichkeit und Ordnung, beispielsweise die Säuglingssterblichkeit zu verringern. Die Erfolge lassen sich auf die Untersuchungen von McKeown8, im Bezug auf den Rückgang der Tuberkulosesterblichkeit für England und Wales, empirisch Nachweisen. Während 1838 noch eine jährliche Todesrate von 4000 Personen pro Millionen Einwohner belief, halbierte sich die Rate 1880. Zu dieser Zeit wurde der Tuberkulosebazillus identifiziert, jedoch erst in den 50iger Jahren des 20 Jahrhundert die BCG Impfung eingeführt. Die Sterblichkeit war bereits zu diesem Zeitpunkt unter 500 Personen pro Millionen Einwohner gesunken.

In den 20iger Jahren des letzten Jahrhunderts entdeckten die Versicherungsgesellschaften Gesundheitserziehung für ihre Zwecke. Sie warben mit Slogans wie „Nimm mindestens ein- mal wöchentlich ein heißes Bad“ und anderen. In den 60iger und 70iger Jahren fand ein Para- digmenwechsel statt. Die zunehmenden Kosten im klinischen-ambulanten Bereich und die ausbleibenden Verbesserungen im Gesundheitsverhalten als auch die veränderten Morbidi- täts- und Mortalitätsstrukturen, führten dazu, dass man den Einzelnen nun für seine Erkran- kungen infolge seines Verhaltens verantwortlich machte. Ziel dieser Taktik war, das jeder Mensch mehr Verantwortung für sein Leben übernehmen sollte. Es war der Beginn der Prä- vention. Aus psychologischer Sicht mag man bestimmte Aspekte durchaus belegen können. Wohl aus soziologischer Sicht bleibt der Ansatz unvollständig, da er wesentliche Faktoren aus der Umwelt9, wie soziale Schicht, Arbeitsplatzbedingungen, Zugang zu Gesundheitsdiensten etc. nicht berücksichtigt. Hierzu noch eine Anmerkung aus der heutigen Sicht des Gesund- heitswesens und deren stetigen Ökonomisierung. Untersuchungen im Mutterland der Fallpau- schalen den USA haben ergeben, dass die Lebenserwartung in einem vollständig ökonomi- sierten Gesundheitssektor (bezogen beispielsweise auf ein privates Krankenhaus) sinken lässt. Durch solche Veränderungsmassnahmen, wie man später noch sehen wird, verändert sich der Zugang zu den Gesundheitsdiensten, der als Gesundheitsdeterminante beschrieben wird. Folglich bleibt die Frage offen, in welchem Verhältnis stehen die Bestimmungsfaktoren zu- einander?

Zurück zu der Entstehung der Gesundheitsförderung. Nachdem die Prävention, mit der Konzentration auf die Erkrankung und der Vermeidung von Risikofaktoren geboren wurde, entstanden einige Konzepte daraus. Insbesondere in der Schwangerschafts- und Krebsvorsorge und Kinderuntersuchungen (U-Untersuchungen) wurden gute Ergebnisse erzielt, indem frühzeitig Abweichungen vom Normzustand ermittelt worden.

Ein weiterer Paradigmenwechsel vollzog sich in den 80iger Jahren. Das psychosoziale Kon- zept entstand und geht davon aus, das durch eine „verbesserte Konfliktfähigkeit und Stärkung der Selbstbestimmung des Individuums, die Menschen am gesundheitsschädigenden Verhal- ten“10 gehindert werden. Es war nicht mehr nur das individuelle Verhalten, das ausschlagge- bend auf den Gesundheitszustand ist, sondern dass Umweltfaktoren ebenso einen unmittelba- ren Einfluss ausüben. Die Verhütung von Krankheiten und die Aktivierung von Ressourcen charakterisieren nun die Interventionen. Ziel menschlichen Wohlbefindens basierend in bezug auf Gesundheitsförderung, auf die Beeinflussung der Bedingungen und Ursachen von Ge- sundheit und den damit verbundenen grösstmöglichen „Gesundheitsgewinn“. In der Jakarta Erklärung von 1997 (WHO) wird Gesundheitsförderung als ein „Prozess, der Menschen be- fähigen soll, mehr Kontrolle über ihre Gesundheit zu erlangen und sie zu verbessern durch Beeinflussung der Determinanten“ dargestellt.

Zuletzt noch einen umfassender Beschreibung, die von der 1. Internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung in Ottawa 1986 durch die WHO in der „Ottawa Charta“ verabschiedet wurde: „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, dass sowohl einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. sie verändern können. In diesem Sinn ist die Gesundheitsförderung als ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens zu verstehen und nicht als vorrangiges Lebensziel. Gesundheit steht für ein positives Konzept, das die Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen für die Gesundheit ebenso betont wie die körperlichen Fähigkeiten. Die Verantwortung für die Gesundheitsförderung liegt deshalb nicht nur beim Gesundheitssektor, sondern bei allen Politikbereichen und zielt über die Entwicklung gesünderer Lebensweisen hinaus auf die Förderung von umfassendem Wohlbefinden.“

4 Beratung - Beraterin

Das Wort Beratung setzt sich aus Be - rat - ung zusammen. Rat steht als Synonym für Le- benshilfe oder und Vorschlag. Da man sich selbst nicht beraten kann, ist die Vorsilbe be- gleichbedeutend, das diese jemand Anderes übernimmt. Dabei kann Rat in Form von Wis- sens- bzw. Erfahrungsvermittlung erfolgen. Die Aufgabe kann eine Person oder auch ein Me- dium beispielsweise Buch, Internet etc. übernehmen. In diesen speziellen Fall übernimmt die Beraterin die Funktion also eine Person. Wie sie diese Aufgabe erfüllen kann, wird im nach- folgenden näher bestimmt. Natürlich hat sie wiederum ihr Wissen und Erfahrungen aus ande- ren Interaktionsprozessen (z.B. Gespräche, Lesen, Sehen, etc.) gewonnen.

5 Die Paradigmen Pathogenese und Salutogenese

Geht es darum, Gesundheit und Krankheit zu erklären, gibt es eine Vielzahl von Ansätzen. Sie entstammen je nach Erklärungsversuch, einer bestimmten wissenschaftlichen Richtung, wie beispielsweise der Psychologie, Soziologie, Medizin, oder Pflege11. Die Bewertung er- folgt auf den „...normativen Urteilen...welche von Fachpersonen und der Gesellschaft bezüg- lich physischer, psychischer und sozialer Erscheinungen gefällt werden.“12 Innerhalb der Professionen unterteilen sich die Erklärungsmethoden nochmals, so dass es zu einer Theorienpluralität kommt. Es wird deshalb ausdrücklich darauf hingewiesen, das im Folgendem, weder eine Bewertung noch eine Vollständigkeit der angeführten Modelle ange- strebt wird. Es werden die zwei Ansätze Pathogenese und Saltogenese in einer kurzen wissen- schaftlichen Darstellung, als Bezugspunkt für spätere Erläuterungen, darlegt. Sie verstehen sich als Basis im beruflichen Handeln. Es sind Abstraktionen, die keine konkreten Hand- lungsanweisungen geben, sondern vielmehr eine Grundposition deutlich machen. Während der Pathogenese Ansatz beispielsweise danach fragt: „Warum erkranken Konsu- menten von Cannabis teilweise an einer Psychose?“, widmet sich der Salutogenese Ansatz der Frage: „Warum bleiben Konsumenten von Cannabis trotz der bekannten Zusammenhänge gesund?“. Dieses Beispiel kann auf eine beliebige Anzahl von risikohaftenden Verhalten bzw. umweltschädigender Faktoren (Rauchen, Viren, Ernährung, Bewegung, Soziales etc.) erwei- tert werden.

5.1 Pathogenese als Bestimmungsfaktor für wissenschaftliche Paradigmen?

Pathogenese besteht aus zwei Wortteilen. „patho“ entstammt aus dem griechischen und be- deutet soviel wie krankhaft, Krankheit oder Leiden. Der zweite Wortteil „genesis“ ist eben- falls aus dem griechischem abgeleitet und drückt die Entstehung bzw. die Entwicklung aus. Schaut man sich einmal die unterschiedlichen Definitionen von Pathogenese wie beispiels- weise

Brockhaus

Pathogenese, die Gesamtheit der an der Entstehung und Entwicklung einer Krankheit beteiligten Faktoren.13

Pschyrembel

Pathogenese, für englisch pathogenesis; Krankheitsentstehung und -entwicklung; vergleiche Ätiologie14

Lehrbuch der Gesundheitsförderung

Pathogenetisch, konzentriert sich darauf, warum die Menschen krank werden.15

[...]


1 LEP Nursing 2.1 - Leistungserfassung in der Pflege, Psychiatrie-Zentrum Hard Embrach, Schweiz, 2001

2 BALK - BUNDESARBEITSGEMEINSCHAFT LEITENDER KRANKENPFLEGEPERSONEN E.V., T. EISENREICH, Handbuch Pflegemanagement, Neuwied, Köln, München, 2003

3 Krankheit allein muss nicht bedeuten, dass eine Person Beratung in Anspruch nimmt. Sie bildet jedoch ein Kriterium wo in einer bestimmten Situation Beratung gesucht werden kann.

4 KLEMM, KRCZIZEK, Studienbrief „1. Beratungskompetenz 2. Beratungsstruktur, Beratungsverlauf, Beratungsbeziehung, Fachhochschule Jena, 2004

5 H. WALLER, Sozialmedizin, Grundlagen und Praxis, Stuttgart, 1985/2002

6 Schreyögg A., Supervision - ein integratives Modell, Lehrbuch zu Theorie und Praxis, Paderborn, 1991

7 Dorschner S., Geschichte der Pflege - Teil I Von den Anfängen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, 1999, 2001 by Fernstudienagentur des Fachhochschul-Fernstudienverbundes der Länder (FVL) Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit Sitz an der Fachhochschulefür Technik und Wirtschaft (FHTW) Berlin.

8 McKeown T., Die Bedeutung der Medizin, Frankfurt/M. , 1982

9 Der in Großbritannien 1980 veröffentlichte „Black Report“ spiegelt wieder, das Menschen aus unteren sozialen Schichten ein höheres Risiko tragen füher zu sterebn als Menschen aus oberen Schichten.

10 Thiemes Pflege, Kellnhauser, Schewior-Popp, Sitzmann, Geißner, Gümmer, Ullrich, Stuttgard, New York, 2000

11 Auch wenn die Pflege noch zu den jungen Wissenschaften gehört und teilweise noch den Beleg als eigenständige Wissenschaft erbringen muss, so befindet sie sich auf den Weg dorthin, wie die steigende Zahl an wissenschaftlichen Arbeiten belegen dürfe. Natürlich greift auch sie auf Ergebnisse anderer Wissenschaften wie beispielsweise Psychologie zurück.

12 A. MÄRKI, Entwicklung und Evaluation eines Beratungsinstrumentes zur Förderung der körperlichen Aktivität bei älteren Menschen unter Berücksichtigung des Transtheoretischen Modells der Verhaltensänderung, Dissertation, Universität Basel, Zürich, 2004

13 BROCKHAUS MULTIMEDIAL 2001, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2000

14 PSCHYREMBEL, Walter de Gruyter, Berlin, New York, 257 Auflage, 1994

15 J. Naidoo, J. Wills, Lehrbuch der Gesundheitsförderung, BzgA, 2003

Ende der Leseprobe aus 48 Seiten

Details

Titel
Die Bedeutung der gesundheitsfördernden Beratung unter Bezugnahme der Selbstpflege- und Selbstpflegedefizit-Theorie von Dorothea Orem
Hochschule
Ernst-Abbe-Hochschule Jena, ehem. Fachhochschule Jena
Veranstaltung
Psychologie
Note
1
Autor
Jahr
2005
Seiten
48
Katalognummer
V49885
ISBN (eBook)
9783638462280
ISBN (Buch)
9783638708722
Dateigröße
1438 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Vollständige Zitierung über Fußnoten, daher kein Literaturverzeichnis. Formatierungsbedingt enthält diese Arbeit zwei Leerseiten.
Schlagworte
Bedeutung, Beratung, Bezugnahme, Selbstpflege-, Selbstpflegedefizit-Theorie, Dorothea, Orem, Psychologie
Arbeit zitieren
Diplom Pflegewirt FH Peter Ullmann (Autor:in), 2005, Die Bedeutung der gesundheitsfördernden Beratung unter Bezugnahme der Selbstpflege- und Selbstpflegedefizit-Theorie von Dorothea Orem, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49885

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