Degrammatikalisierung. Was ist sie und existiert sie wirklich?


Referat (Ausarbeitung), 2017

12 Seiten, Note: 3,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Abgrenzung des Begriffs der Degrammatikalisierung

Lehmannsche Parameter
Parameter der Grammatikalisierung nach Lehmann
Umkehrung der Parameter

Degrammatikalisierung nach Norde

Existenz der Degrammatikalisierung
Argumente gegen die Existenz der Degrammatikalisierung
Argumente für die Existenz der Degrammatikalisierung

Fazit

Bibliographie

Einleitung

Die Degrammatikalisierung bildet in der Sprachwissenschaft ein relativ junges Forschungsgebiet, daher haben sich bisher noch nicht viele Linguisten mit diesem Thema beschäftigt. Die Forschungen, die jedoch bereits getätigt wurden, führen zu unterschiedlichen Ergebnissen und Streitigkeiten.

Der Begriff der Degrammatikalisierung wird teilweise in komplett unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht, deshalb wird das Konzept zunächst von anderen Sprachwandelbegriffen abgegrenzt werden und im Folgenden wird auf die Degrammatikalisierung nach Norde eingegangen, da sie eine überzeugende und ausgereifte Erklärung diesbezüglich in ihrer Monographie darlegt, so dass klar wird, was die Degrammatikalisierung denn eigentlich ist.

Degrammatikalisierung steht in enger Verbindung zu der Grammatikalisierung. Daher werde ich in dieser Arbeit auch teilweise auf dieses Sprachphänomen eingehen. Zudem werden die Grammatikalisierungsparameter nach Lehmann in Augenschein genommen und besonders im Hinblick auf die Umkehrung dieser Parameter durch Muriel Norde, um die Degrammatikalisierung benennen zu können, untersucht werden.

Zum Abschluss werde ich versuchen sowohl Argumente, die gegen als auch welche, die für die Degrammatikalisierung sprechen widerzuspiegeln, um darlegen zu können, ob dieser Sprachprozess tatsächlich existiert.

Abgrenzung des Begriffs der Degrammatikalisierung

Die Sprachphänomene der Degrammatikalisierung, Grammatikalisierung und Lexikalisierung sind in Relation zu einander komplex. Die Unterscheidung zwischen ihnen fällt oftmals schwer, da es für die Begriffe unterschiedliche Definitionsmöglichkeiten gibt und sich diese teilweise überschneiden. Außerdem werden Antigrammatikalisierung und Regrammatikalisierung von einigen Sprachforschern im Sinne der Degrammatikalisierung benutzt, was sich jedoch als ungenau erweisen kann.

Zunächst muss die Degrammatikalisierung allerdings klar definiert werden, so dass ein grundlegendes Verständnis dafür möglich ist und folglich, damit deren Existenz überhaupt geprüft werden kann. Daher möchte ich im Folgenden auf die verschiedenen Begriffe eingehen, um ein etwas klareres Bild zu ermöglichen.

Nach dem deutschen Sprachwissenschaftler Christian Lehmann, der seinerseits behauptet es gäbe die Degrammatikalisierung nicht, stellt sie theoretisch das Gegenteil der Grammatikalisierung dar. Auch Muriel Norde, welche einen bedeutenden Teil zu der Forschung in diesem Themenbereich beigetragen hat, spricht bei der Degrammatikalisierung von dem der Grammatikalisierung entgegengesetzten Prozess.

Zunächst muss daher die Grammatikalisierung, welche 1912 von Meillet geprägt wurde, definiert werden.

Sie liegt generell dann vor, wenn eine sprachliche Einheit an lexikalischer Bedeutung verliert und gleichzeitig an grammatischer gewinnt. Ein Lexem wird folglich im Laufe der Zeit zu einem Grammem. Dies geht mit dem Verlust morphologischer Unterscheidbarkeit und syntaktischer Freiheit einher.

Viele Linguisten verfechten die Unidirektionalität der Grammatikalisierung und deren Irreversibilität, was alles in allem das Grundmotiv ist die Degrammatikalisierung strikt abzustreiten. Während der Grammatikalisierung durchläuft die signifikative Einheit die allgemeine Grammatikalisierungsskala von links nach rechts, im Falle der Degrammatikalisierung würde der Prozess von rechts nach links ablaufen. Nun bedeutet Unidirektionalität, dass während eines Grammatikalisierungsvorganges Veränderungen stets in eine Richtung stattfinden der Prozess ist demnach zielgerichtet, das heißt, dass es den Verlauf von rechts nach links, nach dieser Theorie, nicht geben kann.

Der Gegenpol zu der Lexikalisierung ist, nach Lehmann, die Volksetymologie (Klump 2007: 103). Dieser Sprachwandel wird von beispielsweise Kurylowicz (1965) als der entgegengesetzte Prozess zu der Grammatikalisierung gesehen und ist dadurch theoretisch ein Synonym für die Degrammatikalisierung. Definieren lässt sich die Lexikalisierung als Veränderungen, die in neuen Lexemen resultieren. Jedoch darf die Degrammatikalisierung nicht mit der Lexikalisierung gleichgesetzt werden, da sie nur einen geringen Teil zu der Erweiterung des Lexikoninventars beibringt und somit das Hauptkriterium der Lexikalisierung nur in seltenen Fällen erfüllt. Somit stellt die Lexikalisierung kein Synonym für die Degrammatikalisierung dar.

Fälschlicherweise werden oftmals auch die Begriffe Anti- und Regrammatikalisierung als Synonyme für die Degrammatikalisierung benutzt. Der Begriff Anitgrammatikalisierung wurde durch Haspelmath eingeführt. Er umfasst alle Veränderungen, die gegen die allgemeine Richtung der Grammatikalisierung gehen (Haspelmath 2004: 28). Allerdings erweisen sich, wie Norde in ihrer Monographie belegt, in seiner Definition Widersprüche (vgl. Norde 2009: 109). Daher ist der Gebrauch dieser Bezeichnung nicht empfehlenswert. Bei der Regrammatikalisierung wird eine grammatische Funktion durch eine andere ersetzt, die veränderten Elemente werden hierbei folglich nicht weniger grammatisch, wie es bei der Degrammatikalisierung der Fall ist.

Die Degrammatikalisierung, wie bereits erwähnt, ist die entgegengesetzte Entwicklung der Grammatikalisierung. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der während der Grammatikalisierung durchlaufene Prozess exakt spiegelverkehrt passieren oder in der Ausgangsform resultieren muss.

Der Fokus der Degrammatikalisierung liegt auf der grammatischen Ausgangsform und dem Prozess bei dem ein weniger grammatischer Status erlangt wird. Das Phänomen wird demnach durch semantische Verstärkung impliziert. Dieser Sprachwandel sagt allerdings nichts über die schließlich resultierende Form aus, also weder ob sie grammatisch, noch ob sie lexikalisch sein wird.

Lehmannsche Parameter

Christian Lehmann entwickelte 1985 Grammatikalisierungsparameter mit denen er die verschiedenen Grade der Grammatikalisierung bemessen konnte. Diese kehrt Norde später um und benutzt sie, um die Degrammatikalisierung klassifizieren zu können. Nachfolgend werde ich beide Versionen der Parameter aufzählen und erläutern.

Parameter der Grammatikalisierung nach Lehmann

Die Parameter leitet Lehmann von der Autonomie der Sprache ab. Dadurch, dass er Sprache als ein unbeschränktes Schaffen von Zeichen definiert, gesteht er den Sprechern eine gewisse Freiheit bei der Zusammensetzung und Auswahl dieser Zeichen ein. Dies stellt die Autonomie einer Sprache dar. Sie impliziert das Fehlen von Kohäsion, das heißt, dass Sprachzeichen nicht aneinander gebunden sind. Umfasst ist auch die Variabilität, Autonomie besteht demnach dann, wenn Beweglichkeit und Manipulierbarkeit gegeben sind. Diese beiden Aspekte gehen mit dem Dritten Kriterium einher: Das Gewicht des Zeichens, durch welches eine Gegenüberstellung und Vergleichung mit anderen Zeichen möglich ist.

Die Kriterien mit denen er die Grammatikalisierungsstufe erweist sind also „Gewicht“, „Kohäsion“ und „Variabilität“. Auf Grund dessen, dass diese drei Faktoren sowohl auf der paradigmatischen Achse, auf welcher die vertikalen Beziehungen geregelt werden, als auch auf der syntagmatischen, also der die horizontalen Beziehungen bestimmenden Achse zur Wirkung kommen, kommen insgesamt sechs Parameter der Grammatikalisierung zustande.

Letztlich entstehen insgesamt folgende Parameter: Die Kohäsion auf der paradigmatischen Achse führt zu „Paradigmatizität“, auf der syntagmatischen Achse zu „Fügungsenge“. Die Variabilität bildet auf der paradigmatischen Ebene die „Wählbarkeit“ und auf der syntagmatischen die „Stellungsfreiheit“. Bei dem Autonomieaspekt des Gewichts kommt es paradigmatisch zu „Integrität“ und syntagmatisch zu „Skopus“ (Lehmann 2002: 110).

All diese Kriterien hängen miteinander zusammen und beeinflussen sich gegenseitig. So schreibt Lehmann beispielsweise auf seiner Website: „In dem Maße in dem die Kohäsion eines Zeichens zunimmt, nehmen seine Variabilität und sein Gewicht ab“ (Lehmann 2006).

Umkehrung der Parameter

Muriel Norde greift in ihrer Monographie auf Christian Lehmanns Parameter der Grammatikalisierung zurück, um die Degrammatikalisierung nachweisen und bemessen zu können und nennt diese fortan „Parameter der Degrammatikalisierung“.

Auch wenn viele Linguisten auf die Unidirektionalität der Grammatikalisierung beharren, definiert Norde die Degrammatikalisierung als „Komposit-Veränderung in die entgegengesetzte Richtung der Grammatikalisierung“ (Norde 2009: 130). Dementsprechend kehrt sie die Lehmannschen Parameter um, die erstellt wurden um Vorgänge der Grammatikalisierung identifizieren und klassifizieren zu können, und wendet sie in die entgegengesetzte Richtung an.

Zu dem Parameter der Integrität fügt sie die Unterpunkte resemanticization, phonological strengthening und recategorialization hinzu, da hierbei eine degrammatikalisierte Einheit an phonologischer und semantischer Substanz gewinnt und, nur in der primären Degrammatikalisierung, morphosyntaktische Eigenschaften annimmt. Aus Lehmanns Kriterium der Paradigmatizität macht sie deparadigmaticization, welche in der primären Degrammatikalisierung zu einem Wechsel von einer geschlossen Wortklasse zu einer offenen und in der sekundären zu einem Freikommen aus einem inflationären Paradigma führt. Erhöhte Wählbarkeit kann während der Degrammatikalisierung auftreten (oder fakultativ werden), daher kommt es bei diesem Parameter zu dem Unterpunkt deobligatorification. Bei dem Kriterium des Skopus kommt es in diesem Sprachphänomen zur scope expansion. Stellungsfreiheit führt bei der Degrammatikalisierung zu erhöhter syntaktischer Freiheit und somit zu flexibilization. (Norde 2009: 130f.)

Wie auch bei den Grammatikalisierungsparametern müssen nicht alle Kriterien erfüllt sein, damit man die Degrammatikalisierung bejahen kann.

[...]

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Degrammatikalisierung. Was ist sie und existiert sie wirklich?
Hochschule
Universität zu Köln  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Grammaticalisation et changement linguistique
Note
3,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
12
Katalognummer
V498832
ISBN (eBook)
9783346027238
ISBN (Buch)
9783346027245
Sprache
Deutsch
Schlagworte
degrammatikalisierung
Arbeit zitieren
Suna Vural (Autor:in), 2017, Degrammatikalisierung. Was ist sie und existiert sie wirklich?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/498832

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