Die neue Schuleingangsstufe - Didaktisch-methodische Überlegungen zum Begriff von Schulfähigkeit und Konzepten zur Förderung von Sprachkompetenz


Examensarbeit, 2005

83 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


1. Einleitung

Seit Veröffentlichung der ersten PISA-Studie[1] im Jahre 2000 steht das Thema „Bildung“ (endlich ?) wieder einmal im Zentrum öffentlichen Interesses.

Die Ursachensuche für das schlechte Abschneiden 15-jähriger deutscher Schüler[2] unter anderen in den Bereichen Lesefertigkeit und Textverständnis beschäftigt sowohl Politiker als auch Fach- und Wissenschaftsexperten sowie Eltern und Schüler.

Seither vergeht kaum eine Woche ohne Veröffentlichungen in Printmedien, Hörfunk und Fernsehen.

Das Ergebnis der nun veröffentlichten, zweiten PISA Studie belegt darüber hinaus, dass nur in wenigen anderen Staaten der Welt die Leistungen der 15-Jährigen so stark an die soziale Herkunft gekoppelt sind wie hier zu Lande.

Dazu meint die FAZ vom 06.11.05: „ Was passiert, wenn ein Drittel einer Altersgruppe nicht in der Lage ist, vernünftig Zeitung zu lesen? Was bedeutet das für das politische Bewusstsein?“[3]

Im Leitartikel der FAZ vom 31.10.05meint Heike Schmoll:

„Melanchthons Empfehlung sich beim Lernstoff vom Besten das Beste auszuwählen, und zwar, ´was zur Kenntnis der Natur und zur Bildung des Charakters beiträgt´, wäre modernen Bildungstheoretikern zu wünschen. Lehrpläne sähen dann anders aus, Diskussionen über einen Bildungskanon erledigten sich von selbst. … Melanchthon wusste, dass Sprache und Denken, Wort und Erkenntnis untrennbar miteinander verknüpft sind. Seine eigene Sprache zu finden ist deshalb nicht zufällig mit der Selbstwerdung und Mündigkeit verbunden. Deshalb gehören Sprach- und Stilschulung zu seinen Hauptanliegen, weil sie der Charakterbildung dienten. … Jeder sollte die Möglichkeit haben, selbst zu lesen und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Grundlegend für die Befreiung aus jeglicher Unmündlichkeit ist darum die Lesefähigkeit.“ [4]

Die KMK-Vizepräsidentin Doris Ahnen (SPD) folgert darüber hinaus in der Frankfurter Rundschau, „für die Minister sei ´völlig klar´, dass die Leistung an den Schulen deutlich verbessert und mehr Chancengleichheit erreicht werden müsse. … Schwächere Schüler müssten früher gefördert werden. Entscheidend für den Schulerfolg für Migrantenkinder sei zudem, dass diese die deutsche Sprach frühzeitig erlernen.“ [5]

DIE ZEIT setzt sich in diesem Zusammenhang sehr differenziert mit der Frage auseinander, ob und inwieweit die aktuelle Medienberichterstattung den tatsächlichen PISA-Fakten entspreche und kommt zu dem Schluss, die Lage habe sich nicht

wie fälschlich behauptet, verschlimmert.“

„Offensichtlich haben ein dpa-Redakteur oder sein Informant Statistiken falsch interpretiert (PISA lässt grüßen!) und ihre Interpretation dann ungeprüft verbreitet.“

Aber: „Die Schule ist nicht so machtlos wie häufig geklagt wird; engagierte Lehrer und Schulleiter können Schüler auch unter schlechten Rahmenbedingungen zu guten Leistungen führen.“ [6]

Welche Bedingungen müssen nun also erfüllt sein, um Vorschulkinder und Schulkinder optimal zu fördern?

Eine Diskussion um die Gestaltung des Schuleintritts begleitet die Schule als Institution seit es sie gibt.

Auch die gängige Einschulungspraxis ist damit einer intensiven pädagogischen Überprüfung zu unterziehen.

Seit PISA wird dem Übergang vom Elementar- in den Primarbereich hinsichtlich einer organisatorischen und inhaltlichen Neugestaltung der Grundschule und des Kindergartens wieder besondere Aufmerksamkeit gewidmet.

Das verlangt neben neuen didaktischen-methodischen Konzepten vor allem die Verzahnung der pädagogischen Konzepte von Kindergarten und Schule.

An dieser Stelle will die vorliegende Arbeit sich näher mit der Übergangsproblematik Kindergarten - Grundschule und der Frage nach gezielten Fördermöglichkeiten zur Sprachentwicklung zum frühest möglichen Zeitpunkt beschäftigen.

In diesem Zusammenhang werden derzeit in Fachkreisen, Universitäten und Schulen besonders das Konzept der neuen Schuleingangsstufe nach Dr. Karlheinz Burk und die Lehr- und Lernmethodik „Lesen durch Schreiben“ nach Dr. Jürgen Reichen diskutiert. Diese konzeptionellen Ansätze in ihrer Umsetzbarkeit, Effizienz und Auswirkung auf Sprachentwicklung und frühest mögliche Förderung von Kindern im Übergang vom vorschulischen zum schulischen Arbeiten zu betrachten, ist Gegenstand der Arbeit.

Bei der inhaltlichen Strukturierung dieser Aufgabenstellung erscheint es mir wichtig, den Begriff „Schulfähigkeit“ in seiner Entwicklung darzustellen. Auch die Frage nach diagnostischen Möglichkeiten als Voraussetzung für erfolgreiche Fördermaßnahmen spielt dabei eine wesentliche Rolle.

Die Tatsache, dass beim Schuleintritt nachweislich immer mehr Kinder Defizite im Sprachverstehen und Sprachstörungen aufweisen, erfordert konzeptionelle Antworten, um die grundlegenden Voraussetzungen für den erfolgreichen Schriftspracherwerb zu schaffen.

Dabei soll auch die neue gesetzliche Verordnung zur Förderung von Kindern mit nicht deutscher Muttersprache in Betracht gezogen werden, ebenso wie die Frage nach Sinnhaftigkeit von früher Selektion.

Jedwede Veränderung im didaktisch-methodischen Bereich ist jedoch nur so gut, wie Lehrkräfte sich mit dieser Konzeption identifizieren können und sichtbare Erfolge für die unterrichteten Kinder wahrzunehmen sind.

Als Schlusspunkt erscheinen mir daher „Stimmen aus der Praxis“ von besonderer Wichtigkeit, die Indikatoren für weitere, evaluierende Überlegungen der beschriebenen Konzepte bieten könnten.

2. Entwicklungsaufgabe Schulanfang

2.1 Der Schuleintritt – eine Herausforderung

Immer mehr schulpflichtige Kinder scheinen die notwendigen Voraussetzungen für den Eintritt in die Schule nicht mehr zu erfüllen. Dabei ist zu fragen, wer welche Erwartungen mit welchen Zielsetzungen hat?

Laut Aussagen von „Experten aus der Unterrichtspraxis“ zeigen schulpflichtige Kinder erhebliche Unterschiede in ihren Lernvoraussetzungen, Interessen und Verhaltensweisen.

Fragt man nach den Ursachen, so kommt in der Literatur kulturellen Faktoren eine bedeutende Rolle zu.[7]

Aufgrund unterschiedlichster Erwartungen an die künftigen Schüler werden schulpflichtige Kinder immer häufiger vom Schulbesuch zurückgestellt. In den letzten 25 Jahren nahm die Zahl der Zurückstellungen stetig zu. Von 5 % Nichteinschulungen im Jahre 1970 ist der Prozentsatz auf 11,6 % im Jahre 1996 im Land Hessen gestiegen. Dabei zeigen sich innerhalb der verschiedenen Schulen beachtliche Unterschiede.[8] Durch diese Entwicklung werden im Vergleich zu anderen Ländern die Schulanfänger in der Bundesrepublik Deutschland immer älter.[9]

In den europäischen Staaten variiert das Einschulungsalter zwischen fünf Jahren (in England und Frankreich) bis zu sieben Jahren (in Schweden und Finnland). Es stellt folglich keine festgelegte Größe dar, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. Das Schuleintrittsalter ist daher keine festgelegte Grüße, sondern veränderte sich im Laufe der Geschichte, wobei „jeder Lösung jeweils eine bestimmte sachliche Überzeugung“[10] zu Grunde lag.

Seit der Weimarer Reichsverfassung vom 11.08.1919 ist in Deutschland eine allgemeine Schulbesuchspflicht gesetzlich verankert, die ein Schuleintrittsalter von sechs Jahren festlegt. Diese Regelung hat auch heute in der Bundesrepublik Deutschland noch Bestand.

Es bleibt jedoch weiterhin strittig, ob im Alter von sechs Jahren die besten Voraussetzungen für einen Einstieg in die Schule gegeben sind.[11]

Frühere Lernchancen wurden und werden noch immer nicht ausreichend genutzt.

So geht es auch in der aktuellen Diskussion um den Schuleintritt nicht um eine Vorverlegung des Schuleintrittsalters auf fünf Jahre, sondern vielmehr um eine Überprüfung der Einschulungspraxis mit ihren Regelungen, ihrem Verfahren und ihrem pädagogischen Konzept.[12]

Die Gestaltung der Einschulung und die Kriterien dafür, was Schulreife ausmachen könnte, sind seit Einführung der allgemeinen Schulbesuchspflicht Gegenstand von Diskussionen und führten zu höchst unterschiedlichen Konzepten für den Elementar- und Primarbereich.

Beginnend mit dem Ausbau von Vorklassen (in manchen Bundesländern auch Schulkindergärten genannt) für zurückgestellte Kinder, gefolgt von dem Boom der Vorschulerziehung in den 60er und 70er Jahren bis hin zur Einbeziehung des Elementarbereichs in den Strukturplan des Bildungswesens im Jahre 1970 versuchte man der Problematik zu begegnen. Fast zeitgleich wurde der Modellversuch „Eingangsstufe“ gestartet, bei dem die Kinder schon mit fünf Jahren in die Schule aufgenommen wurden. Nach Ablauf einer zweijährigen pädagogischen Einheit erfolgt ein Wechsel in Klasse 2.

Die Entwicklung und Diskussion von Diagnoseverfahren zur Schulfähigkeit, die Einrichtung eines Beobachtungszeitraumes mit der Möglichkeit der Ausschulung, die Installation von Diagnose-Förder-Klassen, die verpflichtende Einführung von Vorlaufkursen für Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache, die notwendige Kooperation Kindergarten-Grundschule zur Verbesserung der Abstimmung von Fördermaßnahmen für Kinder im Elementar- und Primarbereich folgten und waren weitere Versuche, den Schuleintritt neu zu gestalten.

Erwin Schwarz, Inhaber des ersten deutschen Lehrstuhls für Grundschulpädagogik an der Universität in Frankfurt und Begründer des „Arbeitskreises Grundschule“, erkannte diese Problemstelle bereits im Jahre 1969. Schon zum damaligen Zeitpunkt machte er sich grundlegende Gedanken über eine veränderte Einschulungspraxis.

„Wenn es der pädagogischen Sorge darum geht, Schulfähigkeit zu stiften und möglichst individuell zu entfalten, dann erscheinen die aus traditionellem entwicklungspsychologischen Aspekt gewonnen Maßnahmen der Heraufsetzung des Einschulungsalters und der Zurückstellung als völlig unzureichend. Der pädagogische Aspekt fixiert nicht so sehr den Zeitpunkt des Schulbeginns, sondern er erfasst den Zeitraum des Schulanfangs und seine individuelle Vorgeschichte. Die sich dann als notwenig erweisende Maßnahmen zielen auf einen variablen Schulbeginn, der den individuellen Voraussetzungen gerecht zu werden versucht, und auf eine Veränderung der Bildungseinrichtungen für das Kind…

Nicht nur das Kind also wird auf seine Schulreife hin befragt, sondern auch die Bildungseinrichtungen der Erwachsenen für die Kinder werden in Frage gestellt und so verändert, dass sie zum „Weg des Kindes“ werden…

Das erste und zweite Schuljahr soll als eine Einheit gesehen werden, um den individuellen Voraussetzungen und vor allem dem individuellen Entwicklungstempo Rechnung tragen zu können.“[13]

Die Verschiedenartigkeit der pädagogischen und organisatorischen Maßnahmen im Schulalltag ist jedoch Beleg dafür, dass die Gestaltung des Schuleintritts bis heute ein noch nicht hineichend gelöstes Problem darstellt, bei dem der Eintritt der Kinder in die Institution Schule ein kritisches Lebensereignis[14] ist und der Übergang vom Elementar- in den Primarbereich der ständigen Reflexion und einer eventuell notwendigen Umgestaltung bedarf.

Gabriele Faust-Siehl sieht die Problematik darin, dass am Schulanfang zwei Bildungswesen aufeinander treffen, die von eigenen Gesetzmäßigkeiten bestimmt sind. Kontinuität als Organisationsprinzip spielt nach ihrer Ansicht dabei eine relativ geringe Rolle. „Elementar- und Primarbereich sind bisher nicht auf Anschlussfähigkeit hin konzipiert.“[15]

Auch Burk stellte fest: „Der Eingang zur Schule hat in der Bundesrepublik Deutschland noch keine überzeugende Struktur und pädagogische Konzeption.“[16]

Daraus entwickelte sich die Konzeption „neue Schuleingangsstufe“, welche im März 1994 vom Land Hessen bei der Bund-Länderkommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung als Modellversuch beantragt wurde.

Die Festlegung des Schuleintrittsalters garantiert keineswegs eine Altershomogenität der Lerngruppen. Einerseits werden Kinder, die das 6. Lebensjahr erreicht haben, jedoch noch nicht als schulfähig gelten, vom Schulbesuch zurückgestellt und andererseits können Eltern einen Antrag auf die vorzeitige Einschulung ihres Kindes stellen, wenn es die nötige „Schulfähigkeit“ bereits vor dem 6. Lebensjahr erreicht hat. Dadurch entsteht eine Altersstreuung.

In den Regelschulen liegt nach dem derzeitigen Verständnis der Schwerpunkt auf der Zusammensetzung von entwicklungshomogenen Gruppen, damit ein gleichschrittiges Vorgehen im Unterricht mit allen Kindern gewährleistet werden kann.[17]

Die Zahl der vorzeitigen Einschulungen hat sich kaum verändert, in Hessen lag sie 1981 bei 4,2 % und 1996 bei 3,2 %. Erwähnenswert ist allerdings die Tatsache, dass Kinder aus der sozialen Mittelschicht aufgrund der intensiven häuslichen Förderung und der größeren Schulnähe ihrer Familien überrepräsentiert sind. Die Kinder aus einfacher bis niedriger sozialer Herkunft, die eine Frühförderung durch die Institution Schule unbedingt benötigen würden, sind also davon ausgeschlossen.

Auch unter diesem Gesichtspunkt sind die momentan praktizierten Schulaufnahmekriterien oft noch zumindest als subjektiv, bisweilen sogar fragwürdig einzustufen.[18]

Der früher häufig praktizierte Usus, Schüler mit Sprachproblemen das erste Schuljahr wiederholen zu lassen, hat sich nicht als geeignete pädagogische Maßnahme erwiesen, um Lern- und Verhaltensdefizite erfolgreich abzubauen. Im Gegenteil, der damit verbundene Ausschluss aus dem Gruppenverband scheint die vorhandenen Defizite eher zu verstärken.

„Die Separierung aus dem Klassenverband und die Erfahrung von Misserfolg und Ausgeschlossenwerden führen häufig zur Steigerung der Kenntnisdefizite, zu sozialer Unangepasstheit und zu Pseudobehinderung.“[19]

Karl-Heinz Burk fordert daher in seinem Modellversuch „Neue Schuleingangsstufe“ gezielte Fördermaßnahmen und individualisierenden Unterricht in den ersten beiden Schuljahren, um die Wiederholungs- und Rückstellungsquote (10 % -15 % eines Einschulungsjahrgangs) erfolgreich zu senken.[20]

Er kritisierte bereits 1994 bei der Begründung seines Modellversuches, dass bei der Zurückstellung vom Schulbesuch der Anteil ausländischer Kinder besonders hoch sei. Nicht ausreichende Deutschkenntnisse und wenig Kontakt mit Gleichaltrigen in einer Gruppe seien entscheidende Gründe dafür.

Auch die mittlerweile in Hessen eingerichteten Vorlaufkurse zur Sprachförderung reichen meist nicht aus, um eine Zurückstellung zu vermeiden.

Noch immer fehlen verbindliche Diagnose- und Testverfahren, aus denen sich erst Fördermaßnahmen ableiten lassen. Hier bedarf es einer intensiven Fortbildung und Diagnosekompetenz von Erziehern und Grundschullehrern.

2.2 Vom Schulreifebegriff zur Entwicklung von Schulfähigkeit

Seit den 20-er Jahren wird die Schulfähigkeit als Wechselverhältnis von persönlichen Voraussetzungen schulpflichtiger Kinder auf der einen Seite und Anforderungen und Lernbedingungen in der Grundschule auf der anderen Seite verstanden. Doch in der Praxis des Schulaufnahmeverfahrens wird die Schulfähigkeit nur als Fähigkeit des Kindes, also als eine Art „Bringschuld“, angesehen. Die Schulsysteme selbst stellen sich nicht die Frage, ob sie als Institution die nötigen Rahmenbedingungen zur Förderung der Schüler anbieten oder die notwendigen Lehr-, Methodik- und Diagnostikkompetenzen besitzen, um jedes Kind adäquat fördern zu können.

Der Begriff „Schulfähigkeit“ stellt damit eher einen Relationsbegriff dar, der nicht notwendiger Weise Fähigkeiten und Fertigkeiten beschreibt, die Kinder und Lehrer sowie Schulorganisationen aufweisen müssen.

Zugespitzt formuliert könnte die These lauten: Da sich die Schule eine Förderung unterschiedlichster sechsjährigen Kinder nicht zutraut, sind die Einschulungsregelungen in der Bundesrepublik Deutschland hoch selektiv.

In der Geschichte der Pädagogik wurden die Begriffe „Schulreife“ und „Schulfähigkeit“ oft synonym verwendet, obwohl hinter beiden ganz unterschiedliche theoretische Ansätze liegen.

Mit seinem Buch „Sitzenbleiberelend und Schulreife“ entfachte Artur Kern 1951 die Diskussion um die Einschulungspraxis neu. Er ging damals davon aus, dass Schulreife das Ergebnis eines Reifungsprozesses sei. Jedes Kind käme früher oder später an einen Entwicklungspunkt, der die Voraussetzung für ein erfolgreiches Durchlaufen der Schule bilde. Nach seiner Meinung resultiere ein Scheitern in der Schule aus einem Mangel an Schulreife. Er behauptete weiter, Kinder mit unterschiedlichen Kompetenzen reiften im Gleichschritt heran. Der körperliche Reifestand gäbe dabei Aufschluss über die psychische Schulreife. Mit der Überprüfung nur eines Kriteriums könne man also auf die allgemeine Schulreife schließen. Das Lernangebot beschleunige die Entwicklung der Schulreife eines Kindes nicht. Bei mangelnder Schulreife könne einfach darauf gewartet werden, bis sie sich einstelle. Vergleichbar ist seine Theorie zur Schulreife mit einem Apfel, der eines Tages von selbst vom Baum in den Korb falle.[21]

Artur Kerns Theorie zur Schulreife ist heute widerlegt. Sie hatte allerdings in der Schulpraxis große Auswirkungen auf die Entwicklung der Schuleingangsdiagnostik und war ausschlaggebend für die zweimalige Heraufsetzung des Einschulungsalters.[22]

Der Begriff „Schulfähigkeit“ dagegen geht davon aus, dass die Schule durch die Festlegung von Persönlichkeitsmerkmalen und Fähigkeiten in ihrer Schuleingangsdiagnostik feststellen könne, ob ein Kind „schulfähig“ sei oder nicht.

Menschen verfügten über eine gewisse Anzahl von relativ stabilen Eigenschaften oder Fertigkeiten, die sich in ihrer Ausprägung unterscheiden. Die Überprüfung von Gliederungsfähigkeit, Mengenerfassung, Wahrnehmung, Sprache, Gedächtnis und Konzentration in der Schuleingangsdiagnostik diente also ausschließlich der Selektion jener, die bereits „schulfähig“ entwickelt seien.

Diese eigenschaftstheoretische Vorstellung von Schulfähigkeit wurde bereits 1962 durch Kemmler und Heckhausen widerlegt.[23] Sie wiesen nach, dass durch Training beispielsweise die Gliederungsfähigkeit verbessert werde. Lernvorgänge können also wichtige Schulfähigkeitskriterien beeinflussen. Damit war auch bewiesen, dass Schulfähigkeit nicht absolut festlegbar ist; sie hängt einerseits vom Kind, aber genauso von den Lernanregungen und Anforderungen ab, die von Gesellschaft, Elternhaus, Kindergarten und Schule gestellt werden.[24]

Eine deutlich erweiterte Sichtweise zu Kerns Reifungstheorie entwickelte H. Nickel in den achtziger Jahren.

Er sah Schulfähigkeit aus einer öko-systemischen Perspektive, die die verschiedenen Lebensumwelten des Kindes erstmals mit einbezog. Danach entsteht Schulfähigkeit im Zusammenwirken von Kind und seiner Familie, Kindergarten und Grundschule.[25]

Dieses interaktionistische Konstrukt sagt deutlich aus, dass Schulfähigkeit nicht direkt beobachtbar ist, sondern aus den sich wechselseitig beeinflussenden Teilkomponenten Schule, Schüler, Ökologie und aus der gesamtgesellschaftlichen Situation erschlossen werden muss. Nickels ökologisch-systemisches Schulfähigkeitsmodell ist eine bis heute anerkannte Sichtweise von Schulfähigkeit.[26]

Für die Notwendigkeit bei Schulfähigkeit den Blick auf das ganze System zu richten, führt Nickel den Erfolg der Montessori Schulen mit ihren individualisierenden Unterrichtsanforderungen an.

Hieraus ergibt sich die Forderung, dass alle Teilkomponenten des Konstrukts „Schulfähigkeit“ in der Schuleingangsdiagnostik berücksichtigt werden müssen.[27]

„Die Notwendigkeit dieses Konstrukts (Schulfähigkeit) ergibt sich letztlich daraus, dass alle Kulturgesellschaften bestimmte Anforderungen an das Kind stellen, die durch die Institution Schule in besonderer Weise repräsentiert wird.“[28]

Da die Anforderungen für Schulfähigkeit durch die jeweiligen kulturellen Gegebenheiten (siehe PISA 2!) einer permanenten Veränderung unterliegen, ist Schulfähigkeit als Entwicklungsaufgabe anzusehen. Inwieweit die Bewältigung dieser Aufgabe gelingt, hängt auch davon ab, ob die Anschlussfähigkeit von Kindergarten und Grundschule gesichert ist.[29]

Noch immer ist der Begriff der Schulfähigkeit in der Grundschulpraxis ein relevanter Begriff.

In den Modellversuchen zum integrativen Schulanfang wird vom Arbeitskreis Grundschule seit 1996 die Abschaffung des Begriffes der Schulfähigkeit gefordert.

Er wird als ein Konstrukt gesehen, „(…) das als Hürde die Kinder von der Schule fernhält.“[30] Vielmehr sollte es nach Faust-Siehl Aufgabe der Schule sein, alle Kinder einzuschulen und deren Schulfähigkeit in der Schule zu entwickeln.[31]

Im Gegensatz dazu plädiert Kammermeier für die Beibehaltung des Schulfähigkeitsbegriffes. Die Abschaffung des Begriffes alleine, sei nicht geeignet, dem positiven Grundanliegen, Verhinderung von Selektion bei Schulantritt, näher zu kommen. Stattdessen sollten sich die Bemühungen darauf ausrichten, die auf Selektion zielenden Rahmenbedingungen zu verändern. Es muss nach ihrer Ansicht ein Umdenken der Einschulungspraxis stattfinden, das sich nicht auf „Subjektive Theorien“ stützt, da diese sich ausschließlich auf das Kind beschränken.[32]

„Die Abschaffung des Begriffes Schulfähigkeit wird auch deshalb nicht so leicht möglich sein, da er in den Subjektiven Theorien über Einschulung von Lehrern, Erzieherinnen, Eltern und allen, die in irgendeiner Weise etwas mit dem Schulanfang zu tun haben, eine zentrale Rolle spielt.“[33]

2.3 Subjektive Theorien

In der Praxis beeinflussen Subjektive Theorien zum Begriff Schulfähigkeit noch immer die Schuleingangsdiagnostik in erheblichem Maße.

Beim Kieler Einschulungsverfahren von Fröse, Mölders und Wallrodt aus dem Jahre 1986 werden Subjektive Theorien von Lehrern wirksam:

Elterngespräch, Gespräch mit dem Kindergarten und Schuleingangsuntersuchung werden zusammengetragen und bewertet. So glaubt man, differenzierte Informationen zu Schulfähigkeitskriterien erhalten zu können.

Kammermeier hat im Jahr 2000 in einer Studie den Einfluss dieser Subjektiven Theorien auf die Schulfähigkeit untersucht. Dabei dienten zwölf zuvor ausgewählte Schulfähigkeitskriterien als Grundlage: Arbeitsverhalten, Denkfähigkeit, Feinmotorik, Gedächtnis, Gliederungsfähigkeit, Grobmotorik, Konzentration, Mengenerfassung, Selbständigkeit, Sozialverhalten, Sprachverständnis und Wahrnehmung.

Das Ergebnis der Erhebung zeigte, dass die an der Untersuchung teilnehmenden Lehrkräfte den Schulfähigkeitskriterien eine unterschiedliche Gewichtung bezüglich der Schulfähigkeit beimaßen.[34]

„Wenn Reformansätze langfristig greifen sollen, ist neben der Veränderung von institutionellen Rahmenbedingungen in vielen Fällen auch die Modifikation der Subjektiven Theorien der betroffenen Personen notwendig. Die Erfassung dieser Subjektiven Theorien ist hierbei ein erster Schritt.“[35]

Wahrnehmung, Konzentration, Sozialverhalten und Sprachverständnis hatte für alle oberste Priorität. Fein- und Grobmotorik waren im Vergleich dazu weniger bedeutsam. Bei den Kriterien Gliederungsfähigkeit, Selbständigkeit und Mengenerfassung kam es zu unterschiedlichen Einschätzungen bezüglich der Bedeutung für die Schulfähigkeit.

Kammermeier wies in ihrer Studie nach, dass auch Erzieherinnen in ihrer Arbeit Selbständigkeit, Sprachverständnis und Wahrnehmung am höchsten einstuften. Neben unterschiedlichen Einschätzungen der Schulfähigkeitskriterien Feinmotorik, Gliederungsfähigkeit und Mengenerfassung stimmten Lehrerinnen und Erzieherinnen bei den Kriterien Wahrnehmung, Sprachverständnis, Konzentration und Sozialverhalten bezüglich der Bedeutung in hohem Maße überein.[36]

Kammermeier stellt bei der näheren Beleuchtung der ausgewählten Schulfähigkeitskriterien und hinsichtlich deren Bedeutung für die Vorhersage des Schulerfolges fest: Lernzielnahe Schulfähigkeitskriterien haben diesbezüglich eine größere Bedeutung (z. B. Phonologische Bewusstheit) als die traditionellen Schulfähigkeitskriterien (z. B. Wahrnehmung).[37]

Sie wird in ihrer Auffassung von Burgener-Woeffray (1996) unterstützt.

„Sie plädiert dafür, ein diagnostisches Inventar zum Schuleintritt nicht aus Entwicklungsbereichen (wie z. B. Kognition, Sprache), sondern aus den Anforderungsbereichen des Erstunterrichts abzuleiten.“[38]

Für den Schriftspracherwerb kommt der phonologischen Bewusstheit größte Bedeutung bei der Vorhersage des Schulerfolges zu. Diese Erkenntnis muss im Kindergarten zu Konsequenzen bezüglich der Anbahnung und Förderung von Schulfähigkeit führen.[39]

3. Schuleingangsdiagnostik

3.1 Entwicklungstendenzen

In den europäischen Ländern differieren die Ansichten über eine Diagnostik vor Schulbeginn.

In England wird der Schuleingangsdiagnostik (im Sinne einer Kombination subjektiver und objektiver Diagnoseverfahren) eine hohe Bedeutung zugemessen. Sie ermöglicht es, „Risikokinder“ relativ früh und gesichert bestimmen zu können.[40]

In Deutschland wird derzeit mit dem Modellversuch zur neuen Schuleingangsstufe der Verzicht auf eine selektierende Schuleingangsverfahren zu Gunsten einer Förderdiagnostik (im Sinne gezielter Beobachtungen[41] zur Lernstandserhebung) gefordert.

Bis heute gibt es keinerlei gesetzliche Vorgaben oder Richtlinien für die Auswahl und Durchführung einer Schuleingangsdiagnostik.

Die Schulen wählen in Eigenverantwortung Verfahren, die ihnen geeignet erscheinen, die Schulfähigkeit von schulpflichtigen Kindern festzustellen. Dadurch wird das jeweilige „Anforderungsprofil“ von Schulanfängern von jeder Schule anders festgelegt. Die theoretischen Vorstellungen von Schulfähigkeit sind also einem ständigen Wandel unterzogen und sind nicht vergleichbar.

Traditionelle Schulreifetests reduzierten das Einschulungsproblem weitgehend auf ein Ausleseproblem. Sie beruhen auf einem reifungs- oder eigenschaftstheoretischen Verständnis von Schulreife nach Artur Kern. Dieses eindimensionale Verfahren schließt durch die diagnostische Erfassung nur eines Merkmals auf die gesamte Schulreife. Der Grundleistungstest (GLT) ist als Beispiel dafür zu nennen.

Er wurde bis zum Jahre 1968 durchgeführt und hatte starken Einfluss auf die Entwicklung späterer Testverfahren. In Bayern wurde der Paralleltest GLT noch bis ins Jahr 1990 eingesetzt, obwohl die Reifungstheorie nach Arthur Kern widerlegt war.[42]

Es folgten Schulreifetests, die kognitive Merkmale wie Konzentration, Gedächtnis und Gliederungsfähigkeit erfassten. Doch wurden bei allen Tests die Werte der Einzeltests zu einem Gesamtpunktwert addiert. Eine Skala gab dann darüber Aufschluss, ob ein Kind „schulreif“, „bedingt schulreif“ oder „nicht schulreif“ sei.

Die Augsburger Längsstudie von 1973 stellte im Gegensatz dazu fest, dass 66 % der als nicht schulfähig diagnostizierten Kinder dennoch das erste Schuljahr erfolgreich bewältigten und Kinder, die als „schulreif“ galten, im ersten Schuljahr versagten.[43]

So kamen Mandl und Krapp 1973 zu der provokanten Aussage:

„Wer sich auf Schulreifetests verlässt, der ist verlassen“[44]

Was nun?

3.2 Das Kieler Einschulungsverfahren

Das Kieler Einschulungsverfahren basiert auf dem von Nickel 1981 entwickelten ökologisch-systemischen Schulfähigkeitsverständnis, einem

interaktionistischen Konstrukt, welches aus vier Teilsystemen (Schüler, Schule, Ökologie, gesamtgesellschaftliche Situation) besteht und … dass den Blick nicht nur auf den Schulanfänger und die Schule, sondern auf die gesamte Umwelt des Kindes als System richtet.“[45]

Es unterscheidet sich von den traditionellen Schulreifetests dadurch, dass der Blickwinkel nicht auf Selektion, sondern auf Gewinnung verwertbaren Informationen für den Anfangsunterricht gerichtet ist.

Das Kieler Einschulungsverfahren besteht aus den vier Bausteinen: Unterrichtsspiel, Elterngespräch, Gespräch mit Erzieherin und, wenn notwendig, Einzeluntersuchung.

Im „Unterrichtsspiel“ werden einer Kleingruppe Aufgaben gestellt, die von den Kindern in einer unterrichtsähnlichen Situation gelöst werden sollen. Bei der Bearbeitung steht die Beobachtung durch Lehrkräfte im Vordergrund. Das Elterngespräch und das Gespräch mit Erzieherinnen dienen der Erfassung eines möglichst umfassenden Persönlichkeitsbildes des schulpflichtigen Kindes. Dabei sind Wahrnehmung, Mengenerfassung, Denkfähigkeit, Kenntnisse, Sprache, Gedächtnis, Motorik, Leistungsmotivation, Arbeitsverhalten sowie sozialer- und emotionaler Bereich für die Beobachtung von Bedeutung. Eine eventuell notwendige Einzeluntersuchung soll gegebenenfalls diese Informationen vertiefen. Da die gesamte Schulfähigkeitsdiagnose eines Kindes aus verschiedenen Teilkomponenten besteht und aus mehreren Quellen stammt, ist die Qualität und Aussagekraft relativ groß.

Durch das Kieler Einschulungsverfahren werden wichtige Persönlichkeitsvariablen durch eine standardisierte Verhaltensbeobachtung für die Schuleingangsdiagnostik genutzt.

Dennoch richtet sich Kritik an diesem Verfahren gegen die Tatsache, dass die daraus resultierende Einschulungsentscheidung sehr stark von der Sichtweise der beteiligten Lehrkräfte abhängt. Hier kommen die Subjektiven Theorien zum Tragen.

Wegen nachgewiesener Mängel in der statistischen Absicherung wird zum Teil sogar vom Einsatz dieses Testverfahrens in der gegenwärtigen Form abgeraten.[46]

Kammermeier hält diese Forderung für überzogen, da das Kieler Einschulungsverfahren in seiner Konzeption nicht ein klassisches Testverfahren sein soll, sondern den Anforderungen von Praktikern entspreche. Sie befürwortet aber auch eine Überarbeitung hinsichtlich der Methodisierung der Dateninterpretation bzw. –reduktion und eine stärkere Ausrichtung auf die Anforderungsbereiche des Erstunterrichtes. Außerdem sollten Erzieher/Innen beim Baustein „Unterrichtsspiel“ als Beobachter mitintegriert werden, um deren diagnostische Kompetenz einbringen zu können.[47]

3.3 Informelle Verfahren

Von Praktikern für Praktiker entwickelt, erfreuen sich informelle Verfahren in der Einschulungspraxis besonderer Beliebtheit. Formelle Testverfahren finden sich seltener. Ein Grund dafür mag sein, dass diese eine gewisse Testkompetenz und möglicherweise auch einen höheren Zeitaufwand für den Testenden bedeuten können.

Die informellen Testverfahren beinhalten Aufgabenstellungen, die sich nur teilweise an standardisierte Testverfahren anlehnen und / oder aus Beobachtungen in einer strukturierten Situation formuliert wurden. Subjektive Theorien bestimmen also dieses Verfahren. Aber:

„Es fehlen Aussagen zu Gütekriterien, es findet keine statistische Bearbeitung der Items statt und es gibt auch keine speziellen Untersuchungen zur Erprobung“.[48]

Informelle Verfahren zur Schuleingangsdiagnostik sind schon deshalb eher selektiv, weil ihr Fokus auf Informationen bezüglich einer eventuellen Zurückstellung, vorzeitigen Einschulung oder eines besonderen Förderbedarfes liegt.

Über den späteren Schulerfolg geben sie nur begrenzt Auskunft.

Vielmehr sind es im Schriftspracherwerb gerade die Vorläuferfähigkeiten (phonologische Bewusstheit, Sprachrhythmus, Sprachverständnis), die als prognostisch bedeutsam anzusehen sind.

Diese Vorläuferfähigkeiten[49] müssen aus dem Anforderungsbereich des Anfangsunterrichtes für die Testdiagnostik abgeleitet werden. Geschieht dies theoretisch schlüssig, empirisch belegt und wissenschaftlich normiert, können daraus qualifizierte Aussagen über den späteren individuellen Schulerfolg gewonnen werden.

Informelle Verfahren werden meist in Form von Kennenlerntagen (Schnuppertagen) durchgeführt. Obwohl ihre diagnostische Funktion kritisch zu sehen ist, haben sie durch ihren Beobachtungsaspekt aber eine pädagogische Dimension. Es kann in Ergänzung zu standardisierten Tests durch die Offenheit des Beobachtens und durch Gespräche mit den Kindern ein differenzierteres Bild über Motivations-, Sozial- und Emotionalfaktoren entstehen. Trotz subjektiver Einschätzungen kann gerade diese pädagogische Ebene mit dafür sorgen, dass das Einschulungsverfahren kindgerechter gestaltet wird und individuelle Erkenntnisse über das Kind gewonnen werden können. Benutzen die Lehrkräfte dieses Diagnoseverfahren nicht zur Selektion, sondern als Erhebung, um Kenntnisse über die Lernvorrausetzungen der einzelnen Kinder zu erhalten, können diese als Basis für die individuellen Fördermöglichkeiten im Anfangsunterricht dienen.

Eine wichtige, ergänzende Möglichkeit, möglichst früh Fördermöglichkeiten für das einzuschulende Kind zu finden, ist der Erfahrungsaustausch mit den Erzieher/innen des Kindergartens. Hier bedarf es dringend der Kooperation zwischen den beiden Institutionen. Beide Bildungseinrichtungen sind aus pädagogischer Sicht aufgefordert, ihren gemeinsamen Auftrag zu koordinieren und zu verzahnen. Dies bedeutet nicht nur Erfahrungsaustausch, sondern gemeinsames Gestalten des Übergangs und Anwendung einer damit verbundenen, geeigneten Diagnostik.[50]

„Orientierung an angemessenen Erhebungsmethoden bedeutet, dass in der Schuleintrittsdiagnostik nicht mehr traditionelle, an der klassischen Testtheorie ausgerichtete normierte Tests, sondern in erster Linie Verhaltensbeobachtung in natürlichen Situationen, strukturierte Gespräche und die Analyse von Arbeitsprodukten verwendet werden. Informelle Verfahren haben deshalb in der Schuleingangsdiagnostik einen wichtigen Stellenwert.“[51]

Die GEW fordert in diesem Zusammenhang:

1. Verzahnung von vorschulischem Bereich und Grundschule mit dem Ziel einer frühzeitigen Einschulung
2. Maßnahmen zur wirksamen Förderung bildungsbenachteiligter Kinder, insbesondere auch der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund
3. Verbesserung der Grundschulbildung und durchgängige Verbesserung der Lesekompetenz und des grundlegenden Verständnisses mathematischer und naturwissenschaftlicher Zusammenhänge
4. Maßnahmen zur konsequenten Weiterentwicklung und Sicherung der Qualität von Unterricht und Schule auf der Grundlage von verbindlichen Standards sowie eine ergebnisorientierte Evaluation
5. Maßnahmen zur Verbesserung der Professionalität der Lehrertätigkeit, insbesondere im Hinblick auf diagnostische und methodische Kompetenz als Bestandteil systematischer Schulentwicklung
6. Verbesserung der Sprachkompetenz bereits im vorschulischen Bereich[52]

3.4 Die Sprachstandserhebung – eine gesetzliche Neuregelung

Das Hessische Sozialministerium und das Hessische Kultusministerium starteten in 2002 ein gemeinsames Landesprogramm „Sprachförderung bei Kindern im Kindergartenalter ohne ausreichende Deutschkenntnisse“ und „Deutsch-Frühförderung in Vorlaufkursen“. Damit wurde erstmalig die Notwendigkeit einer Verzahnung vorschulischer und schulischer Arbeit auf höchster politischer Ebene erkannt.[53]

Im „Krieg der Köpfe“ stellt Julia Schaaf in der FAZ vom 06.11.05[54] dazu fest:

„Der feine Unterschied wird – mal jenseits angeborener Fähigkeiten – gleich nach der Geburt begründet: Wie viel Ansprache bekommt ein Säugling? Welche Anregungen erfährt das Kleinkind? Von der Ausdrucksweise der Eltern bis zu den Umgangsformen, die zu Hause gepflegt werden, die Selbstverständlichkeit von Gute-Nacht-Geschichten, Museumsbesuch und Klaviermusik – all das wirkt sich langfristig auf die Schulnoten aus. Walter Müller vom Mannheimer Zentrum für europäische Sozialforschung spricht in diesem Zusammenhang von ´primären Effekten´, sozusagen einer sozial generierten Begabung.“

Im „Zweiten Gesetz zur Qualitätssicherung in hessischen Schulen“ vom 21.03.2002 wird die Integration von Kindern zugewanderter Eltern deutscher und ausländischer Herkunft als eine vorrangige Aufgabe der Schule beschrieben.

„Eine intensive und konsequente Förderung der deutschen Sprachkenntnisse (…) sind wichtige Voraussetzungen nicht nur für ein friedliches Neben- und Miteinander, sondern auch für eine erfolgreiche Integration zugewanderter Schüler/innen in eine Schulgemeinde und darüber hinaus in unsere Gesellschaft insgesamt.“[55]

Sowohl die sprachliche Förderung von Kindern anderer Muttersprache als auch die Förderung von Kindern deutscher Muttersprache mit geringem Sprachverständnis finden ihren Niederschlag in Vorlaufkursen und Förderkursen.

Bereits bestehende Kooperationen zwischen Kindergärten und Grundschulen sollen durch die Deutschfrühförderung vertieft und erweitert werden. In der gemeinsamen Zielsetzung der beiden Ministerien werden die Verantwortlichen in den Kindertagesstätten und Grundschulen aufgefordert, sich frühzeitig über die jeweils eigenen und möglichen gemeinsamen Maßnahmen zu verständigen.

Die neue Gesetzesvorgabe trägt damit nicht zuletzt auch durch die Flexibilisierung des Einschulungsalters zu einer Neugestaltung bisheriger Schulaufnahmepraxis bei.

Der Vorgang umfasst nun den Zeitraum September / Oktober des Jahres vor der Einschulung bis zum Schuljahresbeginn am 01. August und gliedert sich in drei Bereiche:

1. Schulanmeldung im September
2. Vorschulische Förderung (Vorlaufkurse November – Einschulung)
3. Schulaufnahme (Kennenlerntage etc. Mai / Juni)

Bei der vorgezogenen Schulanmeldung findet neben der Erledigung der Formalitäten der erste Kontakt mit den Kindern und ihren Eltern statt. Noch immer gestaltet jede Schule diese Erstbegegnung unterschiedlich, aber inhaltlich doch so, dass Erkenntnisse über den Entwicklungsstand der Kinder hinsichtlich ihrer kognitiven, motorischen, sozialen und sprachlichen Kompetenzen gewonnen werden können.[56]

[...]


[1] Gestestet wurde, wie gut 15-Jährige lesen und rechnen können, was sie von den Naturwissenschaften verstehen und wie gut sie Alltagsprobleme lösen können.

[2] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im gesamten Text durchgängig die männliche Pluralform für Schüler, Lehrer und Sozialpädagogen verwendet. Natürlich werden damit beide Geschlechter angesprochen.

[3] Schaaf 2005: S. 61

[4] Schmoll 2005: S. 1

[5] Ahnen in Wanka 2005: S. 5

[6] Kerstan 2005: S. 6

[7] Vgl. Burk 1998. S. 7

[8] Vgl. Burk 1998: S. 11

[9] Vgl. Burk 1998: S. 7

[10] Vgl. Burk 1998: S. 10

[11] Vgl. Burk 1998: S. 10

[12] Vgl. Burk 1998: S. 10,11

[13] Schwartz in Burk 1998: S. 18

[14] Vgl. Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 7

[15] Vgl. Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 7

[16] Burk 1998: S. 10

[17] Vgl. Burk 1998: S. 11

[18] Vgl. Burk 1998: S. 12

[19] Burk 1998: S. 12

[20] Vgl. Burk 1998: S. 12

[21] Vgl. Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 97

[22] Vgl. Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 96, 97

[23] Vgl. Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 98

[24] Vgl. Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 98

[25] Vgl. Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 99, 100

[26] Vgl. Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 100

[27] Vgl. Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 101

[28] Vgl. Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 102

[29] Vgl. Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 98

[30] Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 96

[31] Vgl. Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 96

[32] Vgl. Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 104

[33] Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 105

[34] Vgl. Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 106

[35] Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 106

[36] Vgl. Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 108

[37] Vgl. Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 112

[38] Burgener-Woeffray 1996 in Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 113

[39] Vgl. Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 113

[40] Vgl. Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 119

[41] Vgl. Burk 1998: S. 15

[42] Vgl. Kammermeyer in Faust-Siehl./ Speck-Hamdan 2001: S. 120

[43] Vgl. Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S.120

[44] Mandl und Krapp 1978 in Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 120

[45] Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 121

[46] Vgl. Rollete 1986 in Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 122

[47] Vgl. Kammermeyer in Faust-Siehl. / Speck-Hamdan 2001: S. 122

[48] Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 123

[49] Vgl. Jansen 1994 in Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 124

[50] Vgl. Hacker 2003: S. 29

[51] Burgener-Woeffray 1996 in Kammermeyer in Faust-Siehl / Speck-Hamdan 2001: S. 140

[52] Hovestadt und Kessler 2004

[53] Vgl. Hessisches Kultusministerium 2002: S. 7

[54] Schaaf 2005: S. 61

[55] Hessisches Kultusministerium 2002: S. 7

[56] Vgl. Hessisches Kultusministerium 2002: S. 7

Ende der Leseprobe aus 83 Seiten

Details

Titel
Die neue Schuleingangsstufe - Didaktisch-methodische Überlegungen zum Begriff von Schulfähigkeit und Konzepten zur Förderung von Sprachkompetenz
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Grundschulpädagogik)
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2005
Seiten
83
Katalognummer
V49859
ISBN (eBook)
9783638462099
Dateigröße
616 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Examensarbeit zum 1. Staatsexamen
Schlagworte
Schuleingangsstufe, Didaktisch-methodische, Begriff, Schulfähigkeit, Konzepten, Förderung, Sprachkompetenz
Arbeit zitieren
Nadine Häfner (Autor:in), 2005, Die neue Schuleingangsstufe - Didaktisch-methodische Überlegungen zum Begriff von Schulfähigkeit und Konzepten zur Förderung von Sprachkompetenz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49859

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