Von Propaganda zu beginnender Aufarbeitung - Der Wandel des medial vermittelten Geschichtsverständnisses über den Nationalsozialismus in den 1980er Jahren der DDR


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

26 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

1. Der Nationalsozialismus im Geschichtsverständnis der DDR

2. Die Rolle des Rundfunks in der DDR

3. Die Funktion des Dokumentarfilms in der DDR

4. Der Nationalsozialismus im DDR Dokumentarfilm
4.1 Die Fünfzigerjahre
4.2 Die Sechszigerjahre
4.3 Die Siebzigerjahre
4.4 Die Achtzigerjahre

5. Filmanalyse
5.1 "Mord in Lwów" (1960)
5.2 „Sonst wären wir verloren“ (1983)
5.3 „Als die Synagogen brannten“ (1988)

6. Vergleich von “Mord in Lwów” und den Dokumentarfilmen der Achtzigerjahre

7. Fazit

Anhang

Literaturverzeichnis

0. Einleitung

„In allen uns überlieferten gestalteten Filmdokumenten steckt Position, steckt Meinung. Jedes Filmdokument ist propagandistisch verfärbt, auch wenn das nicht so ins Auge springt wie bei den NS-Filmen.

(Wagner 2000, 25)

Historische Dokumentationen zeigen dem Zuschauer, wie die Geschichte war. Wirklich? Zeigen sie nicht eher, wie der Regisseur des Films die Geschichte interpretiert? Ein guter und unbeeinflusster Regisseur wird zumindest versuchen, das Dargestellte so authentisch wie möglich wirken zu lassen und dazu filmische Gestaltungsmittel wie Zeitzeugeninterviews und Originalaufnahmen nutzen. Doch auch diese machen einen Dokumentarfilm nicht unbedingt objektiv. Können doch alle Aufnahmen und Aussagen von einem Sprecher nahezu beliebig eingeordnet und kommentiert werden. Erfüllen die Kommentare dann noch einen bestimmten Zweck und versuchen, das Handeln und Denken des Zuschauers gezielt zu beeinflussen, dann spricht man schnell von Propaganda.

Der historische Dokumentarfilm in der DDR sollte vor allem genau dazu dienen, den Zuschauer gezielt zu beeinflussen. Die Geschichte wurde zum Mittel der eigenen Legitimation; auch die Verbrechen des Nationalsozialismus wurden auf diese Weise eingeordnet. Nach dem 2. Weltkrieg und der Entstehung der beiden deutschen Staaten brauchte die DDR ihre Version der Geschichte, um sich einerseits vom kapitalistischen Westen abzugrenzen und sich andererseits selbst zu legitimieren. Auch wenn das Ziel der ideologischen Legitimation während des vierzigjährigen Bestehens der DDR stets das gleiche blieb, so gab es in dieser Zeit doch Veränderungen in der Art und Weise seiner Durchsetzung. Wie sich die Sicht auf den Nationalsozialismus und ihre damit verbundene Darstellung in Dokumentarfilmen in der letzten Dekade der Deutschen Demokratischen Republik veränderte, das soll Thema dieser Hausarbeit sein. Dabei werde ich vor allem der Frage nachgehen, ob die Filme der letzten Jahre vor der Wiedervereinigung Zeugen eines Umdenkens im Geschichtsverständnis der DDR sind.

Nach einer theoretischen Einführung in die Grundzüge des ostdeutschen Geschichtsverständnisses und einer Erläuterung der damit verbundenen Medienpolitik, möchte ich anhand der Analyse der Dokumentarfilme „Sonst wären wir verloren“ (1983) und „Als die Synagogen brannten“ (1988) dieser Frage auf den Grund gehen. Um dabei eventuelle Veränderungen gegenüber den Filmen aus der Anfangszeit der DDR erkennen zu können, soll zusätzlich der Film „Mord in Lwów“ (1960) unter die Lupe genommen werden. Nach der Einzelanalyse der Filme werde ich „Mord in Lwów“ dann in einem sechsten Punkt mit den analysierten Filmen der Achtzigerjahre vergleichen. Abschließend möchte ich die gewonnenen Erkenntnisse in einem Fazit zusammenfassen.

Die Quellen für meine Hausarbeit sind einerseits geschichtswissenschaftliche Fachbücher über die DDR und ihr historisches Selbstverständnis. Auf der anderen Seite ziehe ich zudem methodische Literatur zur Struktur und Funktion von Dokumentarfilmen und speziell zu den Produktionen aus der DDR zur Bearbeitung des Themas heran.

1. Der Nationalsozialismus im Geschichtsverständnis der DDR

„Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gehörte nach 1945 in Deutschland zu den vordringlichen Aufgaben der Gesellschaft. Beide deutsche Nachkriegsgesellschaften leisteten sie nur punktuell und widerstrebend. Instrumentalisierung, Funktionalisierung und Verschweigen gab es in Ost und West mit zum Teil fatalen Konsequenzen“ (Kowalczuk 2003, 38). In der DDR spielte das Verhältnis zur Geschichte eine herausragende Rolle, zumindest aus der Perspektive, aus der sie Geschichte betrachtete. Nicht Erhellung und Aufarbeitung waren lange Zeit das Ziel der Geschichtswissenschaft in der DDR, sondern vielmehr die ideologische Legitimation des sozialistischen Staates. Die Geschichte bildete somit das Fundament, auf dem der sozialistische Staat errichtet wurde. Damit dieses Fundament ausreichenden Halt bieten konnte, verfolgte die DDR klare Abgrenzungsstrategien, nicht nur historisch zum Dritten Reich, sondern gleichzeitig auch politisch zur BRD. Dabei bestanden die Hauptziele vor allem darin, „die Entwicklung in der DDR in den schönsten Farben zu malen und zugleich die Bundesrepublik sowie wichtige Vertreter der westdeutschen Politik in einen direkten Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus zu stellen“ (Kowalczuk 2003, 37f.).

Schlüsselfunktion für die Abgrenzung in beide Richtungen nahm der antifaschistische Widerstand ein. Antifaschismus wurde zur Staatsdoktrin erhoben. Er sollte dabei drei Funktionen erfüllen: gleichzeitig die historische, politische und moralische Legitimierung des Systems ermöglichen, ein „von oben“ vorgegebenes Lebensprinzip darstellen und ein politisches und juristisches Instrument gegen Feinde sein (vgl. Kowalczuk 2003, 38). Im Mittelpunkt stand dabei die Faschismusdefinition des marxistischen Schriftstellers Georgi Dimitroff.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Diese Definition ermöglichte es den führenden Politikern in der DDR, ausschließlich sich selbst als den Staat anzusehen, der die Wurzeln des deutschen Faschismus beseitigt hatte. Da die BRD den Weg des Kapitalismus weiter verfolgte, wurde sie in die Rolle des direkten Nachfolgestaats des Dritten Reiches geschoben. In diesem sei auch Hitler schließlich nur eine Marionette des Finanzkapitals gewesen, wie jetzt die Minister in Bonn.

Antifaschismus wurde auf eine "Klassen-Frage“ heruntergebrochen und mit ihm die Ereignisse während des Dritten Reiches. Dies betraf im Speziellen den Holocaust. „When official state discourse did engage the Holocaust, it was interpreted almost exclusively through the lens of Marxist class analysis, which stated that anti-Semitism was only a diversionary tactic of the ruling class to distract the workers from the class struggle and revolution” (Wolfgram 2000, 2). Eine tatsächliche Aufarbeitung des Holocausts konnte unter diesen Bedingungen keinen Platz finden. „Die ideologisch festgelegte Reduzierung der Geschichte auf Geschichte der Klassenkämpfe hat maßgeblich zu Verkürzungen und Verzerrungen der Sicht auf die Geschichte beigetragen“ (Käppner 1999, 123). Die entlarvten Träger der NS-Diktatur sollten restlos aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben verdrängt werden. Vergangenheitsbewältigung war in sofern gleichzusetzen mit der Umwälzung der Eigentumsverhältnisse. Die Frage nach individueller Schuld oder Belastung stellte sich dagegen nicht. Die Staatsführung lehnte jegliche Verantwortung für NS-Zeit ab und betrachtete sie als „Fremdherrschaft“ des Kapitals. Auch die DDR-Bürger wurden von jeder Schuld gegenüber dem Nationalsozialismus freigesprochen.

„Das herrschende Geschichtsbild hatte die DDR-Bürger lange Zeit von jeder historischen Mitverantwortung entlastet. Welche Folgen in Politik umschlagender Rassismus haben konnte, hatte gerade die NS-Ideologie gezeigt, und doch wurde die Rassenpolitik der Nationalsozialisten von den DDR-Historikern den Kapitalverwertungsinteressen des NS-Staats ein und untergeordnet. Rassenhaß und Antisemitismus blieben auf diese Weise abstrakte Phänomene ohne Bezug zur Lebenserfahrung der Bevölkerung“ (Käppner 1999, 123).

Die SED nutzte ihr Definitionsmonopol, um missliebige Kräfte aus dem "antifaschistisch-demokratischen" Spektrum auszugrenzen. Mit dem Ausbruch des Kalten Krieges verstärkte sich diese Entwicklung weiter.

Der Antifaschismus in der DDR war demnach vor allem Legitimationsideologie und verhinderte so lange Zeit die konkrete Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Auch wenn diese Aussagen die gesamte DDR-Geschichtswissenschaft treffend charakterisieren, so können dennoch unterschiedliche Phasen unterschieden werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Böttcher 2005)

Im weiteren Verlauf dieser Arbeit sollen weniger die einzelnen Phasen chronologisch abgehandelt werden, sondern vielmehr speziell das eben dargestellte Geschichtsverständnis in den ersten Jahren nach Gründung der DDR mit dem der „Phase des Wandels“ ab 1980 verglichen werden. Am deutlichsten zeigte sich das ostdeutsche Geschichtsverständnis anhand der medialen Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit. Bevor ich jedoch speziell auf den Dokumentarfilm der DDR eingehen werde, bietet sich eine kurze Charakterisierung der Aufgabenzuweisung an die Medien, speziell den Rundfunk, in der DDR an.

2. Die Rolle des Rundfunks in der DDR

„Die Zeitung ist nicht nur ein kollektiver Propagandist und kollektiver Agitator, sondern auch ein kollektiver Organisator“, sagte einst Lenin. Genau diese Funktionen waren es, die allen Medien in der DDR zukommen sollten. Ähnlich wie die Geschichte (siehe Punkt 1) wurden auch die Medien in der DDR zur Legitimation der kommunistischen Ideologie instrumentalisiert. Der Unterschied ist lediglich, dass sich die Geschichte wehrlos umdeuten lassen musste. Die Medien dagegen hatten eine aktive Funktion zu erfüllen: die Erziehung der Gesellschaft. So schreibt Rainer Geißler: "Die sozialistischen Massenmedien leisten als Führungs- und Kampfinstrumente der Partei der Arbeiterklasse und des sozialen Staates ihren Beitrag zur Veränderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit mittels spezifischer journalistischer bzw. künstlerischer Mittel." (Geißler 1990, 298). Presse, Hörfunk und Fernsehen galten als zuverlässige Instrumente der sozialistischen Ordnung und schlagkräftige Waffen in der Auseinandersetzung mit dem Imperialismus.

Fernsehen und Rundfunk sollten in der DDR entscheidend zur sozialistischen Bildung und Bewusstseinsförderung beitragen. Der Sozialismus sollte der Bevölkerung auf diese Weise in Fleisch und Blut übergehen. Wie in allen Bereichen der materiellen Produktion, gab es auch in den Medien keinen Wettbewerb unter verschiedenen Anbietern. Die auf Propaganda ausgerichtete Medienpolitik konnte nur zentral gelenkt werden, um erfolgreich zu sein. So zeigte auch das Fernsehsystem der DDR diesen zentralistischen Aufbau: Der Deutsche Fernsehfunk (DFF) sendete ab 1955 und wurde bei seiner Programmauswahl und -gestaltung vom ZK der SED dirigiert, welches über das Presseamt jederzeit intervenieren konnte. Das ZK hatte ebenfalls großen Einfluss auf die Arbeit des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes (ADN), der die einzige Nachrichtenagentur in der DDR war und ein Archivmonopol besaß (vgl. Holzweißig 1999, 584). Diese Institutionen bestimmten, unter Leitung der SED, welche Themen wie abgehandelt wurden. Eine Effizienz-Kontrolle fand nicht statt, das vorrangige Ziel war die Machterhaltung der Partei. „Information“ konnte unter diesen Umständen mit „Manipulation“ gleichgesetzt werden. Nur wurde anstelle von „Manipulation“ ein anderer Begriff verwendet: "Parteilichkeit". So heißt es in Meyers Universallexikon aus dem Jahre 1980, Massenmedien seien Kommunikationsmittel „die auf breite Massen einwirken und deren Bewusstsein beeinflussen. [Sie] besitzen als Instrumente der herrschenden Klasse große […] Bedeutung“ (Meyers Universallexikon 1980, 87). Die Kombination aus Unabhängigkeit und Parteilichkeit stellte im ideologischen Verständnis der DDR keinen Widerspruch dar. So definierte das Wörterbuch der sozialistischen Journalistik "Information" als "von Klasseninteressen bestimmte Übermittlung von Erkenntnissen an Menschen und Menschengruppen mit dem Ziel, auf ihr Denken, Fühlen und Handeln einzuwirken" (1981, 97).

Die Rolle der Medien in der DDR änderte sich im Laufe der Jahre bis zur Wiedervereinigung 1989 grundsätzlich kaum. „Auf dem X. SED-Parteitag im April 1981 verkündete Honecker wie gehabt medienpolitische Erfolge, doch er wünschte sich weitere Verbesserungen in der ideologischen Überzeugungsarbeit“ (Holzweißig 2002, 129). Das Grundprinzip der sozialistischen Informationspolitik war "die Parteilichkeit auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus". Die Parteilichkeit des sozialistischen Journalismus sei überdies auch noch von "Wissenschaftlichkeit" bestimmt, wogegen der bürgerliche Journalismus einen "unwissenschaftlichen Charakter" trage (vgl. Wörterbuch der sozialistischen Journalistik 1981, 151). Die DDR-Medienlenkung bediente sich ähnlicher Instrumente, wie sie zuvor der Nationalsozialismus zur "Gleichschaltung" und zentralen Steuerung der Medien verwendet hatte. Es gab zwar in der DDR offiziell nie eine Zensur und Artikel 27 der DDR-Verfassung garantierte die Freiheit der Medien. Die „Schere im Kopf“, die Selbstzensur der Journalisten, ließ jedoch, unterstützt von der SED, diese Freiheit zur Makulatur werden (vgl. Holzweißig 1999, 573). „Sieht man vom letzten Jahr der Existenz der DDR ab, so blieben seit deren Gründung […] die Strukturen der Anleitung und Kontrolle sowie die Organisation der Medien in ihren Grundzügen nahezu konstant“ (Holzweißig 1999, 573).

[...]

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Details

Titel
Von Propaganda zu beginnender Aufarbeitung - Der Wandel des medial vermittelten Geschichtsverständnisses über den Nationalsozialismus in den 1980er Jahren der DDR
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft)
Veranstaltung
Zeitgeschichte im Fernsehen
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
26
Katalognummer
V49836
ISBN (eBook)
9783638461917
ISBN (Buch)
9783656071525
Dateigröße
628 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Propaganda, Aufarbeitung, Wandel, Geschichtsverständnisses, Nationalsozialismus, Jahren, Zeitgeschichte, Fernsehen
Arbeit zitieren
Henry Berndt (Autor:in), 2005, Von Propaganda zu beginnender Aufarbeitung - Der Wandel des medial vermittelten Geschichtsverständnisses über den Nationalsozialismus in den 1980er Jahren der DDR, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49836

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