Das Politische bei Jacob Burckhardt

Ein Vergleich mit Ansätzen der Neuen Kulturgeschichte des Politischen


Hausarbeit, 2017

16 Seiten, Note: 1,0

P. Abele (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung: Kulturgeschichte(n) und die Frage nach der Politik

2 Epistemologische Voraussetzungen
2.1 Unter der Geißel des Historismus? Burckhardt und Geschichtserkenntnis
2.2 Wo bleibt die Wahrheit? Die Neue Politikgeschichte und der Konstruktivismus

3 Anwendungsfelder: Staatsgeschichte und Personengeschichtsschreibung
3.1 Der Staat in der Potenzenlehre Jacob Burckhardts
3.2 Die Rolle des Staates in der Neuen Kulturgeschichte des Politischen
3.3 Jacob Burckhardt und der Blick auf das Individuum
3.4 Die Neue Politikgeschichte und das periphere Sehen

4 Ergebnis und Zusammenfassung

5 Quellen- und Literaturverzeichnis
5.1 Quellenverzeichnis
5.2 Literaturverzeichnis

1 Einleitung: Kulturgeschichte(n) und die Frage nach der Politik

Seit mehr als zwei Jahrzehnten prägen die Geschichtswissenschaft (v.a. die Neuere und Neueste Geschichte) nun kulturwissenschaftliche Forschungsansätze. Der Unterschied zu traditioneller Geschichtswissenschaft mutet so märchenhaft groß an, dass oft von einem Paradigmenwechsel der Wissenschaft die Rede ist (der auch andere Disziplinen erfasst hat).1 Im Zuge der sog. Neueren oder Zweiten Kulturwissenschaft bzw. Neuen Kulturgeschichte haben sich Einsichten des linguistic turn als neue erkenntnistheoretische Basis durchgesetzt. Seither kommt es in einer Vielzahl von Wissenschaftsdisziplinen zu neuen methodischen Zugängen - grundierend alle in der Einsicht, dass Wirklichkeit nie gleichartig erfahrbar, sondern nur konstruiert (oder konstruierbar) ist. Auch die Geschichtswissenschaft partizipiert mehr und mehr kulturwissenschaftlich im Zuge der „Megawende"2.

Der Begriff cultural turn erfasst diese Hinwendung zu kulturwissenschaftlichen Ansätzen im internationalen Kontext - auch wenn die Internalisierung in den Nationalstaaten unterschiedlich blieb. Gemeinsamkeiten sind: Fragen nach Konstruktion, Repräsentation und Inszenierung von Wirklichkeit, die Entstehung neuer sozialer Bewegungen (Frauen-, Ökologie-, Minderheitenbewegungen) - und die Aufwertung einer Populär- in Abkehr zur

Hochkultur.3 Es ist die letztere Unterscheidung, die einen der größten Unterschiede macht zu bisherigen Versuchen Kulturgeschichte zu schreiben: Kulturgeschichte der Vergangenheit war der schielende Blick auf Hochkultur. Nicht nur die Vertreter der sog. Ersten Kulturwissenschaft um 1900 macht das daher für eine vergleichende Perspektive interessant.

Jacob Burckhardt etwa darf zu Recht gelten als einer der frühesten Historiker, der in seinem Werk kulturellen Einflüssen Bedeutung verschaffte. Indem er aus einer geschichtswissenschaftlichen Praxis im Zeichen des Historismus ausbrach, sorgte er für deren Transformation zur Kulturgeschichte.4 In der Tat: Burckhardts Ansatz Kultur aus Grundbedürfnissen der menschlichen Anthropologie herauszuarbeiten, ließ den Weg offen für eine Ausbildung derselben an populären oder hochkulturellen Manifestationen. Burckhardt allerdings entschied sich dafür, seine Prämissen an den Potenzen der Hochkultur, dem Staat und der Religion, abzuarbeiten - neben der kulturellen Potenz als prägender Dynamik. Für Burckhardts Herangehen in seiner Zeit in jedem Fall bemerkenswert: Nicht der Primat der (Außen-)Politik als „Kerngegenstand der Geschichtswissenschaft“5 bewegte das geschichtliche Sein - sondern eben die Kultur.

Wenn Burckhardts Akzentverschiebung für seine Zeit als außergewöhnlich gelten kann, gilt es für die Neue Kulturwissenschaft unter anderem Vorzeichen: Sie wusste (oder wollte) lange Zeit nichts mit einer wie auch immer gearteten politischen Geschichte anfangen.6 Zu frisch die Erinnerung an die lange dominierende politische Geschichte in der Geschichtswissenschaft, zu hart der wissenschaftliche Kampf um Emanzipation. Mit den Jahren überwog allerdings die Erkenntnis als „Neue Kulturgeschichte“ oder „Historische Kulturwissenschaft [...] schlechterdings Politik als Thema nicht ausschließen [zu können; PA]“7.

Vor dem Hintergrund der langjährigen wissenschaftlichen Tradition muten beide Motivationen, Burckhardts und die der Neuen Kulturgeschichte in ihren Anfängen, etwas paradox an. Überspitzt kann man sagen: Wen der Eine abzuwerten fand, den suchten seine Nachfolger leise zu beerdigen - den alternden Mann einer politischen Geschichte. Dass diese Haltung für die Neue Kulturgeschichte mittlerweile überholt ist, ist bereits angedeutet. Ihre Rückwendung hin zur politischen Geschichte eine Untersuchungsabsicht dieser Arbeit. Mit Jacob Burckhardt ist ein Kulturhistoriker eingeführt, der aus Hochschätzung der Kultur dem Politischen skeptisch gegenüberstand. Wie aber unterscheidet sich Burckhardts Verständnis vom Politischen von dem der Neuen Kulturgeschichte? Sind die Unterschiede groß? Oder ist es, um eine Metapher Hans-Ulrich Wehlers zu gebrauchen, eher alter Wein aus neuen Schläuchen? Diese Fragen sollen die folgende wissenschaftliche Arbeit anleiten.

Um Burckhardts Politikverständnis herauszuarbeiten lege ich seine Weltgeschichtlichen Betrachtungen, sowie die Kultur der Renaissance in Italien zu Grunde. Einer Betrachtung der kulturwissenschaftlichen Ansätze zur Politik eröffnen sich sowohl Quellen wie Darstellungen. Nach einer erkenntnistheoretischen Einbettung der beiden Vergleichsgegenstände werde ich neben Burckhardt für die Neue Kulturgeschichte beispielhafte Werke für die Vergleichsfelder Staats- und Personengeschichtsschreibung vorstellen. Eine Diskussion über die Vergleichsunterschiede wird in den Ausführungen der Neuen Kulturgeschichte und im Ergebnis geleistet.

2 Epistemologische Voraussetzungen

Einen herausfordernden, für Burckhardts Geschichtsverständnis wie auch das der Politischen Kulturgeschichte aber entscheidenden Faktor spielt die Theorie wissenschaftlicher Erkenntnis, von denen sie ihren Ausgang nehmen. Sie ist Grundlage dafür, welche Ergebnisse Geschichtswissenschaft in ihrer Zeit erbringt. Keine Frage: Wissenschaftliche Erkenntnisorientierung auch nur für Burckhardt auszuformulieren, darüber ließe sich ein Buch schreiben (was auch getan worden ist)8. Einen Vergleich von Burckhardt und der Neuen Kulturgeschichte ohne die sie anweisenden Kräfte zu skizzieren, wäre aber unmöglich.

2.1 Unter der Geißel des Historismus? Burckhardt und Geschichtserkenntnis

Jacob Burckhardts Geschichtsverständnis verorten zu können führt in eine Reihe von Ambivalenzen, die er mit dem Historismus teilt.9 Der Historismus, oder besser: der wissenschaftliche Streit, der sich im Begriff verdichtet, prägte Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert. Ihm in Ablehnung stand Burckhardt in Fragen aller zielgerichteten und metaphysisch versicherten Dialektik der Weltgeschichte gegenüber, die große Teile der deutschen Geschichtswissenschaft mit der Philosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels teilten. In den Weltgeschichtlichen Betrachtungen bekundete er: „Wir sind nicht eingeweiht in die Zwecke der ewigen Weisheit und kennen sie nicht. Dieses kecke Antizipieren eines Weltplanes führt zu Irrtümern, weil es von irrigen Prämissen ausgeht.“10

Entgegen Hegels teleologisch-optimistischen Weltplan war Burckhardt ein Skeptiker, der einzig im Wandel der Welt Beständiges sah. In Kürze gefasst ging Burckhardt davon aus, dass Geistiges und Materielles, was also heißt: alles wandelbar bliebe. Insbesondere im menschlichen Geist lägen Merkmale zum Wandel verankert. Definiert als die Kraft jedes Zeitliche als ideal aufzufassen, baue er durch Brüche, Revolutionen oder andere Zäsuren immer wieder Neues aus, sodass alles äußere Gehäuse (womit auch jeder Wert, jede Tradition gemeint ist) dem Wandel anheimfiele.11 Burckhardt selbst blieb dieser Auffassung des Wandels treu, wenn er auch hierzu im Laufe des Lebens größere Skepsis entwickelte.

Allerdings kannte auch Burckhardt eine geschichtliche Konstante: Es ist die Anthropologie. Burckhardt nutzte den Spielraum, der sich abgrenzend zur Geschichtsphiloso-phie mit einer beginnenden Anthropologieforschung im 19. Jahrhundert ergeben hatte. Diese Anthropologie ließ Burckhardt allerdings immer nur angedeutet in seinem Werk stehen, sie blieb durchwegs nicht thematisierte Grundlage.12 Eine Prozesshaftigkeit der Geschichte abzustreiten, hingegen anthropologisch eine andere Konstante einzubringen, das hat Burckhardt den Vorwurf der „Aporie“13 eingebracht. Hiervon wird noch die Rede sein.

Auf dieser anthropologischen Erkenntnistheorie im Verbund mit historistischen Anleihen fußte Burckhardts Geschichtsverständnis. Die Funktion von Geschichtswissenschaft aus dieser Erkenntnis heraus war davon wichtigster Ausfluss. Bei Burckhardt erfüllte die Geschichtswissenschaft die Moderation zwischen einer alteuropäischen, vormodernen Vergangenheit und einer im 19. Jahrhundert durchgebrochenen revolutionär-disruptiven Moderne. In dieser Moderation wurde die Geschichtswissenschaft nach Burckhardt selbst zur Kulturleistung, wenn er verkündete: „Nur aus der Betrachtung der Vergangenheit gewinnen wir einen Maßstab der Geschwindigkeit und Kraft der Bewegung, in welcher wir selber leben.14

2.2 Wo bleibt die Wahrheit? Die Neue Politikgeschichte und der Konstruktivismus

Die Neue Politikgeschichte (oder Kulturgeschichte des Politischen) ist ein Kind der Neuen Kulturwissenschaft, von der bereits die Rede war. Ansätze der Neuen Kulturwissenschaft werden heute durch ihren starken Einzug in die Alltags- und Wissenschaftssprache (wie in diese Arbeit) deutlich. Vernehmen wir heute im Alltag etwa Begriffe wie Kultur, Diskurs, Funktion, oder (geistige) Konstruktion, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ihr Wortursprung kulturwissenschaftlichen Hintergrund hat.

Was aber zeichnet diese kulturwissenschaftliche Perspektive aus und welche Folgen hat dies für eine Geschichtsschreibung des Politischen? Für die Geschichtswissenschaften scheinbar einfach zu verdeutlichen ist dies durch die Umstellung ihrer Forschungsziele: Interessierte es Burckhardt wie die Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts noch was und warum etwas in der Vergangenheit passiert war (mit dem inhärenten Anspruch, dass dies herausfind- und darstellbar war), so interessieren neue Zugänge das wie. Wie und durch welche gesellschaftlichen Gruppen etablierte sich ein Diskurs über den Staat und die Staatsräson ab dem 15./16. Jahrhundert? Wie und welche waren die Bedingungen und Umstände, die auf Machiavelli wirkten, als er seine Schriften verfasste? Wie veränderte sich soziale Realität in den verschiedenen Teilen der Bevölkerung durch die Etablierung des Staates?

In einer systematischen Betrachtung ist die kulturgeschichtliche Perspektive in fünf Dimensionen deutlich zu machen15:

- Geschichtsschreibung ist Wirklichkeitskonstruktion (...und dadurch anfechtbar, weil sie nur konstruiert bleibt und keinen Anspruch auf Wahrheit besitzt)
- Historiographiegeschichte entwickelt eine Beobachtung zweiter Ordnung (nicht der eigentliche geschichtliche Gegenstand, sondern die Umstände, die ihn umgeben, sind von Interesse)
- Geschichtsschreibung wird selbst zum kommunikativen Akt, der in die soziale Praxis und gesellschaftliche Diskurs eingespeist wird
- In Gesellschaften gibt es viele Diskurskontexte (.die alle Teil des Gesamtdiskurses sind, Einzeldiskurse aber unterschiedlich beeinflussen, wie z.B. den Staat)
- Diachrone wie synchrone Geschichtsdeutungen gehen miteinander einher (Konstruktion ist damit nicht nur zu unterschiedlichen Zeiten verschieden, sondern auch zur gleichen Zeit unterschiedlich möglich)

Hervorzuheben in dieser Systematisierung ist die Konstruktion von Wirklichkeit, was ins Negative verkehrt heißt: Nichts kann Anspruch auf Wahrheit haben. Dies ist zentrale epistemologische Grundlage kulturwissenschaftlicher Zugänge, die auf Einsichten der Wissenssoziologie basieren. Prägend haben hier Peter L. Berger und Thomas Luckmann gewirkt.16 Konsequenzen dieser Epistemologie werden in den Anwendungsfeldern aufgezeigt.

3 Anwendungsfelder: Staatsgeschichte und Personengeschichtsschreibung

Im Lichte zweier unterschiedlicher Forschungsparadigmen, die auf unterschiedlichen erkenntnistheoretischen Zugängen basieren, ist das Feld vergleichenden Zugriffs sorgfältig zu wählen.

[...]


1 Vgl.: Doris Bachmann-Medick: Cultural turns. 4. Aufl. Reinbek bei Hamburg 2010. S. 7; Begriff und Herkunft des paaradigmatischen Wandels gehen allerdings auf Thomas S. Kuhn zurück: Thomas S. Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt a. Main 1973

2 Zit.: Bachmann-Medick, 2010. S. 7

3 Vgl.: Ernst Müller und Falko Schmieder: Begriffsgeschichte und historische Semantik. Erste Auflage. Berlin 2016 S. 690

4 Friedrich Jaeger: Bürgerliche Modernisierungskrise und historische Sinnbildung. Göttingen 1994. S. 86

5 Zit.: Stefan Jordan: Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft. 3., aktualisierte Auflage. Paderborn 2016. S. 60

6 Beispielhaft hier Stolberg-Rilinger, die das frühe Verständnis von Kulturgeschichte einmal als „Gegenveranstaltung“ zur politischen Geschichte zusammengefasst hat, vgl.: Barbara Stolberg-Rilinger: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Einleitung. In: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, hg. von Barbara Stollberg-Rilinger. Berlin 2005, S. 9-26.

7 Vgl.: Achim Landwehr: Diskurs - Macht - Wissen. Perspektiven einer Kulturgeschichte des Politischen. In: Archiv für Kulturgeschichte 85 (2003), S. 71-117. S. 71

8 Vgl. etwa: Wolfgang Hardtwig: Geschichtsschreibung zwischen Alteuropa und moderner Welt. Jacob Burckhardt in seiner Zeit. Göttingen 1974

9 Für eine Einführung in den Historismus, seine Definitionen und Phasen siehe: Annette Wittkau-Horgby: Historismus. Göttingen 1992. S. 11-24; Jordan, 2016. S. 40-70

10 Zit.: Jacob Burckhardt: Aesthetik der bildenden Kunst/ Über das Studium der Geschichte. Mit dem Text der "Weltgeschichtlichen Betrachtungen" in der Fassung von 1905. München, Basel 2000. S. 355

11 Zit.: ebd.. S. 357ff

12 Vgl.: Hardtwig, 1974. S. 67f.

13 Zit.: Jörn Rüsen: Konfigurationen des Historismus. Frankfurt am Main 1993. S. 325f.; Hardtwig, 1974. S. 55f.

14 Zit.: Burckhardt, 2000. S. 363

15 Für die folgende Aufzählung (mit einer eigenen Kommentierung in Klammern; PA) siehe: Franziska Metzger: Geschichtsschreibung und Geschichtsdenken im 19. und 20. Jahrhundert. Bern 2011. S. 18f.

16 Vgl.: Peter L. Berger und Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. 24. Aufl. Frankfurt am Main 2012

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Das Politische bei Jacob Burckhardt
Untertitel
Ein Vergleich mit Ansätzen der Neuen Kulturgeschichte des Politischen
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
16
Katalognummer
V497295
ISBN (eBook)
9783346011008
ISBN (Buch)
9783346011015
Sprache
Deutsch
Schlagworte
politische, jacob, burckhardt, vergleich, ansätzen, neuen, kulturgeschichte, politischen
Arbeit zitieren
P. Abele (Autor:in), 2017, Das Politische bei Jacob Burckhardt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/497295

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