Von der sozioökonomischen zur morbiditätsorientierten Klassifikation im Risikostrukturausgleich


Studienarbeit, 2005

47 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Funktion und Wirkung des Ursprungs-RSA
2.1 Aspekte und Zielsetzung
2.2 Technische Verfahrensweise
2.3 Steuerungseffekte
2.3.1 Vorbemerkung
2.3.2 Effektivität der Umverteilung
2.3.3 Risikoselektion im Mitgliederwettbewerb
2.3.4 Entwicklung der Versorgungsstrukturen
2.4 Fazit

3 Reformkomponenten des RSA
3.1 Einleitung
3.2 Disease Management Programme
3.2.1 Definition und Zielsetzung
3.2.2 Einbindung der DMP in den RSA
3.2.3 Wirkung der Einführung von DMP’s
3.3 Der Risikopool
3.3.1 Die Funktionsweise
3.3.2 Die Umverteilungswirkung
3.4 Fazit

4 Morbiditätsorientiertes Klassifikationssystem im RSA
4.1 Vorbemerkung und Zielsetzung
4.2 Auswahl und Funktion des Modells der Morbiditätsadjustierung im RSA
4.3 Effekte des morbiditätsorientierten RSA

5 Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Ehrenwörtliche Erklärung

Anhang: Funktionsweise des morbiditätsorientierten RSA

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Ausgleichmechanismus Ursprungs -RSA.

Abbildung 2: RSA-Transfervolumen 1995 - 2003

Abbildung 3: Verteilung der ausgabendeckenden Beitragssätze ohne RSA in den Jahren 1995 und 1999

Abbildung 4: Entwicklung der Beitragssatzspannweite

Abbildung 5: Beitragsbedarfüberdeckung ohne Beitragsbedarfbegrenzung

Abbildung 6: Beitragsbedarfdeckung vs. tats. Leistungsausgaben GKV West

Abbildung 7: Beitragsbedarfdeckung vs. tats. Leistungsausgaben GKV Ost

Abbildung 8: Gleichung zur Bewertung der Güte eines Risikos

Abbildung 9: Der Zeitplan für die RSA-Reform

Abbildung 10: Merkmalsausprägungen der Standardversorgung und des Disease Management

Abbildung 11: Aufspaltung einer RSA-Ursprungszelle aufgrund der Einführung von DMP’s

Abbildung 12: So funktioniert der Risikopool

Abbildung 13: RSA-Wirkungen der Einbeziehung des Risikopools 2003

Abbildung 14: R2-Werte (in %) für Versicherte insgesamt - für Sachleistungen insgesamt sowie nach Hauptleistungsbereichen

Abbildung 15: Ausgleichschema des morbiditätsorientierten RSA bei RxGroups+IPHCC, prospektiv

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Niedrigster und höchster Beitragssatz nach Kassenarten (ehemaliges Bundesgebiet)

Tabelle 2: RSA-Risikofaktor als Indikator der Risikostrukturmischung

Tabelle 3: Bewertung der Risiken durch Klärung der Gewinnmaximierung

Tabelle 4: Finanzwirkungen der gesonderten Berücksichtigung von DMP im RSA 2003

Tabelle 5: Zurechnung der standardisierten Leistungsausgaben im Modell „RxGroups+IPHCC“ im Vergleich zum RSA-Status quo – in Euro je Versichertenjahr

Tabelle 6: Beitragssatzwirkung des Morbi-RSA unter Verwendung von RxGroups+IPHCC, prospektiv

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Mit Wirkung zum 01. Januar 1994 führte der Gesetzgeber mit dem GSG den RSA ein. Dieser bildet zusammen mit dem Recht der freien Krankenkassenwahl das Kernstück der Organisationsreform der GKV.[1]

Der Gesetzgeber verfolgt dabei die Intension, einerseits mehr Solidarität und Beitragsgerechtigkeit zu schaffen, indem historisch gewachsene regionale, berufsspezifische und betriebliche Grenzen und Strukturen bisheriger solidarischer Umverteilungsprozesse aufgelöst wurden. Andererseits sollte der RSA mit seinem Ordnungsrahmen den Wettbewerb der Krankenkassen auf Felder kreativer Gestaltung des Leistungsgeschehen lenken und Risikoselektion unattraktiv machen.[2]

Bereits kurz nach Einsetzen des Wettbewerbs unter den Krankenkassen waren spürbare Wechselströme hin zu beitragssatzgünstigen Krankenkassen zu beobachten. Vorwürfe kamen von Vertretern hochpreisiger Kassen auf, dass diese Beitragssatzdivergenzen nicht auf Grund ineffizienter Ressourcenverwendung bei der Leistungserstellung bestehen, sondern das trotz RSA die „Billigkassen“ gezielt gute Risiken attrahieren, um so wiederum daraus Beitragssatzvorteile zu generieren.[3]

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Fragestellung, welche Reformkonsequenzen sich durch mögliche Risikoselektion trotz Risikostrukturausgleich und den damit einhergehenden Wettbewerbsverzerrungen ergeben. Dies ist derzeit aktueller Gegenstand politischer Diskussionen.

Hierzu wird im zweiten Kapitel zunächst beschrieben, welche ordnungspolitischen Ziele durch den ursprünglichen RSA verfolgt wurden und wie dieser in technischer Sicht funktioniert. Ebenfalls wird auf seine Steuerungswirkung im System der gesetzlichen Krankenversicherung eingegangen. Eingehend beschäftigt sich die vorliegende Arbeit dabei mit den Möglichkeiten und Instrumenten der Risikoselektion, dem sozialpolitisch indizierten Umverteilungsvolumen sowie der Entwicklung der Versorgungsqualität.

Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der Weiterentwicklung des RSA in Form der Einführung und Anbindung von Disease Management Programmen (DMP) an den RSA sowie der Einführung eines weiteren Finanzausgleiches – dem Risikopool. Es werden Motivation der Einführung dieser Instrumente sowie ihre Steuerungswirkung beschrieben.

Das vierte Kapitel wird darlegen, wie ein morbiditätsorientiertes Klassifikationsmodell den Ausgleichsmechanismus des RSA reformieren und so die Produktionsressourcen der Krankenkassen von der Risikoselektion weg, hin zur Steigerung der Effizienz bzw. Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung lenken kann.

2 Funktion und Wirkung des Ursprungs-RSA

2.1 Aspekte und Zielsetzung

Bereits mit der Einführung des GRG stellte der Gesetzgeber 1989 fest, das weiterer Reformbedarf besteht, insbesondere wegen der unterschiedlichen Risikostrukturen, die sich bei regional gegliederten Krankenkassen nachhaltig auswirken und zu höchst unterschiedlichen Beitragssätzen führen. Und dies trotz dessen, dass die Möglichkeiten der Selbstverwaltung auf Beitragssatzunterschiede zu reagieren durch die mit dem GRG veränderten bzw. neu eingeführten Finanzausgleiche verbessert wurden.[4]

Allerdings ist für diese Ausgleichssysteme retrospektiv zu konstatieren, dass diese die Spannweite der Beitragssatzunterschiede nicht verringerte, die Finanzausgleiche aus politischen Kalkül und Konstruktionsfehlern nicht im notwendigen Maße umgesetzt wurden sowie das Ziel „Wirtschaftlichkeitsanreize“ nicht erfüllt wurde.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Niedrigster und höchster Beitragssatz nach Kassenarten (ehemaliges Bundesgebiet)

Quelle: Schneider, W., Der Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1994, S. 259.

Demzufolge hat der Gesetzgeber die Finanzausgleiche in der GKV neu strukturiert und ausgerichtet. Die Finanzausgleiche auf Landesebene bei Bedarfssatzüberschreitung (§ 266 a.F. SGB V) sowie finanzielle Hilfen für notleidende Krankenkassen auf Bundesebene (§ 267 a.F. SGB V) wurden mit dem GSG abgeschafft. Der Finanzausgleich für aufwendige Leistungsfälle wurde beibehalten..[5] Für eine Übergangszeit wurde der KVDR-Finanzausgleich noch beibehalten. Aber bereits Art. 32 § 2 des GSG sah die letztmalige Durchführung dieses Finanzausgleiches für das Jahr 1994 vor. Ein bundesweiter kassenartenübergreifender Risikostrukturausgleich wurde zum 01.01.1994 eingeführt.[6]

In der GKV hat der Beitragssatz die Funktion eines Preises. Im GKV-System vor Einführung des RSA war der Beitragssatz jedoch kein Indikator für die Effizienz der Anbieter, weil er maßgeblich von der Versichertenstruktur bestimmt ist und deshalb für die Wahlentscheidung falsche Signale gibt. Es setzen sich deshalb nicht die effizientesten Kassen sondern diejenigen mit der vergleichsweise günstigsten Versicherungsstruktur durch.

Da die Beitragssätze zu verzerrten Wahlentscheidungen führten, wurde der Wettbewerbsansatz weiterentwickelt. Nur wenn der verzerrende Einfluss von Risikostrukturen auf den Beitragssatz durch einen Risikostrukturausgleich eliminiert wird, setzen sich die effizientesten Kassen im Wettbewerb durch und der Beitragssatz kann seiner Funktion als Effizienzfaktor nachkommen.[7]

Mit dem Ausgleich der verschiedenen Risikostrukturen der Krankenkassen sollen somit eine gerechtere Beitragsbelastung der Versicherten erreicht und Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Krankenkassen abgebaut werden.[8]

Darüber hinaus schafft der Risikostrukturausgleich Wirtschaftlichkeitsanreize auf der Ebene der jeweiligen Krankenkasse.[9] Nur wenn es der jeweiligen Krankenkasse gelingt, durch Ausnutzung aller Wirtschaftlichkeitsreserven ihre individuellen Ausgaben unter die der standardisierten RSA-Ausgaben zu platzieren, verschafft sie sich Wettbewerbsvorteile.[10]

Wettbewerb ist dabei weder in der GKV noch im Bereich der freien Wirtschaft ein Selbstzweck: Er soll vielmehr eine immer bessere Güterversorgung und Bedürfnisbefriedigung im Krankheitsfall gewährleisten. Der RSA ermöglicht einen Vergleich des GKV-spezifischen Preises, da dieser die Effizienz (Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit) der jeweiligen Kasse im Sinne eines kostengünstigen Organisations- und Leistungsmanagement zum Ausdruck bringen soll ( und nicht die Solidarlast hinsichtlich der individuellen Risikostruktur).[11]

Darüber hinaus wird durch den Ausgleich von Risikofaktoren eine den Beitragssatz begünstigende Risikoselektion verhindert.[12]

2.2 Technische Verfahrensweise

„Dem RSA fällt unter Allokationsaspekten die Aufgabe zu, unter Beachtung des Solidaritätsprinzips die Voraussetzungen für einen funktionsfähigen bzw. zielorientierten Wettbewerb der Krankenkassen zu schaffen. Konkret erstreckt sich der Ausgleich der Risikostrukturen ... auf die Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen, die Anzahl der beitragsfrei Mitversicherten, die Verteilung der Versicherten nach Alter und Geschlecht, [Anm. d. Verf.: den Krankengeldstatus] sowie die Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrentner. Vereinfacht formuliert versucht der RSA jede Krankenkasse finanziell so zu stellen, als würde sie eine Versicherten- und Risikostruktur aufweisen, die im Hinblick auf diese Ausgleichsfaktoren dem Durchschnitt aller konkurrierenden Kassen entspricht. Jede Krankenkasse erhält daher einen standardisierten Beitragsbedarf, der von der jeweiligen Versicherten- und Risikostruktur abhängt. Der RSA passt über Ausgleichszahlungen die finanzielle Ausstattung einer Krankenkasse ihrem Beitragsbedarf an.“ Er führt ... dazu, dass alle Krankenkassen quasi aus einem gemeinsamen Finanzierungspool, in den die Versicherten einzahlen, Finanzmittel entsprechend ihrer Risikostruktur erhalten. Dabei fungieren im wesentlichen Alter und Geschlecht als Morbiditätsfaktoren. In räumlicher Hinsicht weist der RSA im Grundsatz eine bundesweite Orientierung auf (Anm. des Verfassers: Am Ausgleichsverfahren nehmen nicht die landwirtschaftlichen Krankenkassen teil; Im Weiteren erfolgt der Ausgleich grds. bundesweit, wobei zunächst ein getrennter Ausgleich innerhalb der alten bzw. neuen Bundesländer stattfand. Das Gesetz zur Rechtsangleichung in der GKV (BGBl Teil 1 S. 2657) sieht mit dem neu eingeführten § 313a SGB V nunmehr eine stufenweise Angleichung bei der Durchführung des Ausgleichs vor. Näheres vgl. a.a.O.).“[13]

Die nachfolgende Grafik zeigt anschaulich das System des Ausgleichs GKV-durchschnittlicher Einnahme- und Ausgabestrukturen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 1: Ausgleichmechanismus Ursprungs -RSA.[14],[15]

2.3 Steuerungseffekte

2.3.1 Vorbemerkung

Bereits mit Einführung des RSA’s war klar, das nicht alle Risikostrukturen durch das Ausgleichsverfahren ausgeglichen werden und auch weiterhin Unterschiede in den Beitragssätzen zulässt. Diese sollten jedoch nicht aus überkommenen Risikostrukturen oder gezielter Risikoselektion erwachsen, sondern aus Wettbewerbsvorteilen im

Vertragsgeschäft und bei den Versorgungs- und Vergütungsformen.[16]

In diesem Abschnitt werden In- und Externalitäten des ursprünglichen RSA’s beschrieben, die infolge in einer seiner Reformen münden. Auf Grund des eingeschränkten Umfangs dieser Arbeit konzentriert sich dieser Abschnitt auf die Darstellung und Problematisierung sozialpolitischer Umverteilungsvolumina, mögliche Risikoselektion und deren Instrumente sowie die Entwicklung der Versorgungsstrukturen unter RSA-Bedingungen.

2.3.2 Effektivität der Umverteilung

Wesentliches Kennzeichen der GKV ist das Solidarprinzip[17] bei einer regionalen, berufs- und betriebsbezogenen Gliederung. Die Gliederung trägt zwar berufsständischen wie regionalen Besonderheiten Rechnung und ist Garant für Versichertennähe, wirft aber auch Probleme auf, wie sie sich in divergierenden Beitragssätzen wiederspiegelten.[18] Verantwortlich hierfür war der vor der Einführung des RSA auf dem Solidarprinzip basierend stattfindende Umverteilungsprozess innerhalb eines Versichertenbestandes einzelner Krankenkassen, in dem auf Kassenebene [Anm. des Verf.: - einmal vom ehemaligen KVDR-Finanzierungsausgleich abgesehen -] die unterschiedlichen Ausgaben- und Einnahmestrukturen der Versicherten ausgeglichen wurden.[19]

Die infolge dieser Organisationsstrukturen ungleiche Behandlung von Arbeitern und Angestellten bei der Wahl der Krankenkasse und die unterschiedlichen o.g. Gliederungsprinzipien der GKV führte zu unterschiedlichen Risikostrukturen, teilweise zu Risikoselektion und Wettbewerbsverzerrungen. Diese, das Solidaritätsprinzip gefährdende Entwicklung bewertet der Gesetzgeber als sozial- und verteilungspolitisch nicht länger hinnehmbar und beschloss mit dem GSG eine für die soziale Krankenversicherung zugeschnittene Wettbewerbsordnung. Damit sollte für gleiche Wahlrechte aller Versicherten zwischen allen Krankenkassen, ausgewogenen Risikostrukturen sowie größtmögliche Chancengleichheit aller konkurrierenden Krankenkassen gesorgt werden. Zentrales finanzwirtschaftliches Element der Wettbewerbsordnung ist die Einführung eines kassenartenübergreifenden bundesweiten Risikostrukturausgleiches,[20] durch den die einzelne Kasse nicht mehr die maßgebliche Umverteilungsebene, sondern - nach Ausgleich - die Gesamtheit aller am Ausgleich beteiligten Kassen für die Umverteilung relevant ist.[21]

„Seit der Einführung des RSA in 1994 ist das Umverteilungsvolumen im RSA von anfänglich rund 1,9 Mrd. Euro (ohne Einbeziehung der Krankenversicherung der Rentner) auf rund 14 Mrd. Euro im Jahr 2003 angestiegen. Ingesamt wurden seit Einführung in der GKV fast 120 Mrd. Euro über den RSA umverteilt.“[22]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: VdAK / AEV, Risikostrukturausgleich – Zahlen, Fakten, Hintergründe 2003/2004, 2005, S. 11.

Abbildung 2: RSA-Transfervolumen 1995 - 2003

„Das gesamte RSA-Umverteilungsvolumen in der GKV hat ... deutlich und regelmäßig von Jahr zu Jahr ... zugenommen.“[23] Die Höhe des RSA-Transfervolumens hängt bei gesetzlich vorgegebenen GKV-Solidarauftrag insgesamt vom Grad der Risikomischung bzw. –entmischung zwischen den Kassen ab: „Es ist umso geringer, je ausgeglichener die Risikostrukturen sind, bzw. umso größer, je mehr sich die kassenspezifischen Risikostrukturen voneinander unterscheiden.“[24] Somit ist die anwachsende Transfersumme Ausdruck einer zunehmenden Risikoentmischung in der GKV.[25]

„Dies lässt sich auch anhand der Entwicklung der Streuung der "Ur-Beitragssätze" ablesen, also der Beitragssätze "ohne RSA". Bei einer Angleichung der Risikostrukturen müsste die Spreizung der Ur-Beitragssätze geringer geworden sein, bei einer weiteren Entmischung müsste sie zugenommen haben.“[26]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Cassel, D., Reschke, P., Wasem, J., u.a., Zur Wirkung des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung – Gutachten im Auftrag des BMGS, 2001, S. 37.

Abbildung 3: Verteilung der ausgabendeckenden Beitragssätze ohne RSA in den Jahren 1995 und 1999

Die vorstehende Grafik zeigt deutlich auf, dass die Streuung der „Ur-Beitragssätze im Vergleich der Jahre 1995 vs. 1999 sowohl in den Randbereichen zugenommen, sich aber auch im Mittelwert abgeflacht hat; und sich somit die Risikostrukturen weiter entmischen .[27]

Dieser Effekt wird ebenfalls durch die RSA-Strukturkennziffer „RSA-Risikofaktor“ bestätigt. Die Kennziffer „RSA-Risikofaktor“ bewertet die aktuellen Versicherungszeiten der Kasse (-narten) mit den aktuellen Verhältniswerten und zeigt so die Risikostruktur der jeweiligen Kasse (-nart) auf, wobei ein Wert größer 100 % eine ungünstige Risikostruktur aufzeigt. Die nachfolgende Tabelle zeigt deutlich die zunehmende Entmischung der Risikostrukturen in der GKV auf.[28]

Tabelle 2: RSA-Risikofaktor als Indikator der Risikostrukturmischung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: VdAK / AEV, Risikostrukturausgleich – Zahlen, Fakten, Hintergründe 2003/2004, 2005, S. 195.

Dennoch - bei Durchführung des RSA verringerten sich die Beitragssatzunterschiede in dem Maße, wie sich zuvor die Unterschiede in den Risikostrukturen der einzelnen Kassen beitragssatzverzerrend ausgewirkt haben.[29] Ohne Risikostrukturausgleich würden die Beitragssätze der Krankenkassen weit auseinander klaffen:

- Die Beitragssätze von Krankenkassen mit einer niedrigen Finanzkraft würden nicht bei durchschnittlich 13,9 % liegen, sondern bei deutlich über 18 %.
- Krankenkassen mit einer durchschnittlichen Finanzkraft müssten je nach Beitragsbedarf einen Beitragssatz zwischen 11 und 20 % erheben. Tatsächlich liegen die Beitragssätze dieser Krankenkassen zwischen 13,8 und 14,5 %.
- Krankenkassen mit einer hohen Finanzkraft kämen im Durchschnitt mit einem Beitragssatz zwischen 7,5 und 9,4 %, in einzelnen Fällen sogar mit einem Beitragssatz von unter 4 % aus. Tatsächlich liegen die Beitragssätze dieser Krankenkassen zwischen 12,6 und 13,0 %.[30]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: VdAK / AEV, Risikostrukturausgleich – Zahlen, Fakten, Hintergründe 2003/2004, 2005, S. 48.

Abbildung 4: Entwicklung der Beitragssatzspannweite

Mit den vier Ausgleichsparametern Alter, Geschlecht, Grundlöhne und Status der Erwerbsminderung wurden im RSA Transferströme in oben ausgewiesener Höhe veranlasst. Allerdings ist zu konstatieren, dass der RSA mit dem derzeitigen Ausgleichssystem die Zielsetzung, die Ausgabenbedingungen anzugleichen und Chancengleichheit im Wettbewerb zu eröffnen, nur zu einem gewissen Teil erfüllt.[31]

Es stellt sich daher nunmehr die Frage, inwieweit die bisherigen Ausgleichsvariablen das Morbiditätsrisiko hinreichend abbilden.[32]

Nach der derzeitigen RSA-Ausgleichssystematik, die sich an standardisierten Leistungsausgaben und somit an Durchschnittswerten orientiert, „weist den Krankenkassen, welche einen überdurchschnittlich hohen Anteil an gesunden Versicherten und demzufolge deutlich unterdurchschnittliche Leistungsausgaben haben, einen ungerechtfertigt hohen Beitragsbedarf zu; während Krankenkassen mit überdurchschnittlichem Anteil kranker Versicherter eine an ihrem Leistungsbedarf gemessen zu geringe RSA-Zuweisungen erhalten.“ Dementsprechend können Krankenkassen bei einer Überdeckung der tatsächlichen Leistungsausgaben durch die Beitragsbedarfzuweisung einen Beitragssatzvorteil generieren, der ihnen bessere Wettbewerbschancen verschafft. Der Risikoentmischungsprozess wird weiter vorangetrieben.[33]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Rebscher, H., Gesundheitsökonomische Zusammenhänge gesundheitspolitischer Entscheidungen - Makroökonomische Skizzen, mikroökonomische Analysen und einzelwirtschaftliche Optionen, 2005, S. 133.

Abbildung 5: Beitragsbedarfüberdeckung ohne Beitragsbedarfbegrenzung

Aus den nachfolgenden Grafiken sind die tatsächlichen / realen Verläufe der Beitragsbedarfsüberdeckung bzw. Beitragsbedarfunterdeckung je Kassenart im Zeitverlauf abzulesen. Dabei wird deutlich, dass die dem derzeitigen RSA immanenten Ausgleichskriterien den agierenden Krankenkassen keine gleichen Chancen am wettbewerblich organisierten Markt der GKV einräumen.[34]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: VdAK / AEV, Risikostrukturausgleich – Zahlen, Fakten, Hintergründe 2003/2004, 2005, S. 206.

Abbildung 6: Beitragsbedarfdeckung vs. tats. Leistungsausgaben GKV West

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: VdAK / AEV, Risikostrukturausgleich – Zahlen, Fakten, Hintergründe 2003/2004, 2005, S. 206.

Abbildung 7: Beitragsbedarfdeckung vs. tats. Leistungsausgaben GKV Ost

Grundsätzlich können die Unterschiede zwischen den tatsächlichen Leistungsausgaben und den Beitragsbedarfen auf verschiedene Faktoren zurückgeführt werden (z.B. unterschiedlich erfolgreiches Fallmanagement); wahrscheinlicher erscheint aber vielmehr, dass sich die Morbidität der Versicherten zwischen den beschriebenen Kassentypen unterscheidet und diese durch die o.g. Ausgleichsfaktoren nicht hinreichend abgebildet wird – diese Annahme wird in der internationalen Diskussion vielfach bestätigt.[35]

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass der RSA mit seinen Ursprungs-Ausgleichsfaktoren eine Annäherung der Beitragssätze erreicht hat. Aufgrund unzureichender Abbildung der Morbidität mit den Ausgleichsparametern Alter, Geschlecht, Status der Erwerbsminderung und Einkommen treten Beitragsbedarfzuweisungen auf, die bei günstiger Konstellation in Beitragssatzvorteile generiert werden können und somit Wettbewerbsvorteile darstellen. Inwieweit dadurch der RSA Möglichkeiten der aktiven bzw. passiven Risikoselektion schafft und somit sein ursprüngliches Ziel der Vermeidung der Risikoselektion verfehlt, wird im Folgenden behandelt.[36]

[...]


[1] Bverf.G, 2. BvF 2/01, Urt. v. 18.07.2005

[2] Schneider, W., Der Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1994, S. 5.

[3] Resch, S., Risikoselektion im Mitgliederwettbewerb der gesetzlichen Krankenversicherung, 2004, S. 1.

[4] Vgl. BR-Drucksache 200/88, S. 156 / 227 ff..

[5] Vgl. BT-Drucks. 12/3608, Begründung zu Art. 1§§ 266 / 267 GSG, S 117.

[6] Vgl. BT-Drucks. 12/3608, Begründung zu Art. 32 § 2 GSG, S. 158.

[7] Vgl. Leber, W.-D., Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1991, S. 115,116.

[8] Vgl. BT-Drucks. 12/3608, Begründung zu Art. 1 § 266 GSG , S. 117.

[9] Vgl. Schneider, W., Der Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1994, , S. 98.

[10] Vgl. Hofmann, J. K., Controlling in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1999, Peter Lang Verlag, S. 71.

[11] Vgl. Cassel, D., Reschke, P., Wasem, J., u.a.; Zur Wirkungsweise des Risikostrukturausgleichs in der GKV, Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit, 2001, S. 17/18,.

[12] BT-Drucks. 14/6432 v. 26.06.01, S. 8.

[13] Lauterbach, K. W. / Wille, E., Modell eines fairen Wettbewerbs durch den Risikostrukturausgleich, Gutachten im Auftrag des VDAK, AEV, BV-AOK, BV-IKK, 2001,S. 179.

[14] BEITRAGSBEDARF: Drückt die standardisierte Risikobelastung eine Krankenkasse aus; Der Beitragsbedarf ergibt sich aus der Summe der Produkte der Versicherungszeiten mit den standardisierten Leistungsausgaben. Quelle: Vgl. Schneider, W., Der Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1994, S. 126.

[15] FINANZKRAFT: Die Finanzkraft ergibt sich aus dem Ausgleichsbedarfssatz (ABS), bezogen auf die Summe der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder der Kasse. Der ABS ist das Verhältnis zw. den Beitragsbedarfen aller Kassen und der Summe der beitragspflichtigen Einnahmen aller Mitglieder aller Kassen. Quelle: Ebd., S. 129/130.

[16] Lauterbach, K. W. / Wille, E, Modell eines fairen Wettbewerbs durch den Risikostrukturausgleich, Gutachten im Auftrag des VDAK, AEV, BV-AOK, BV-IKK, S. 179180.

[17] Definition: „Die Beiträge, die der Versicherte für seinen Krankenversicherungsschutz zu entrichten hat, richten sich nach seiner finanziellen Leistungsfähigkeit. Alter, Geschlecht, und das gesundheitliche Risiko des Versicherten sind für die Beitragshöhe unerheblich. Der Anspruch auf medizinische Leistungen der GKV sind unabhängig von der Höhe der gezahlten Beiträge. Ausdruck des Solidarprinzips ist auch die beitragsfreie Familienversicherung, insbesondere von Ehegatten und Kindern, sofern diese vom Versicherten unterhalten werden.“ Quelle: Vgl. BR-Drucks. 200/88, S. 146.

[18] Ebd.

[19] Vgl. Schneider, W., Der Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1994, S. 85 / 86.

[20] Vgl. BT-Drucks. 12/3608, S. 68/69.

[21] Vgl. Leber W.-D., Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1991, S. 118.

[22] Klusen, N., Straub, C., Meusch, A., Steuerungswirkungen des Risikostrukturausgleichs, 2005, S. 92.

[23] VdAK / AEV, Risikostrukturausgleich – Zahlen, Fakten, Hintergründe 2003/2004, 2005, S. 11.

[24] Cassel, D., Reschke, P., Wasem, J., u.a., Zur Wirkung des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung – Gutachten im Auftrag des BMGS, 2001, S. 19.

[25] Vgl. VdAK / AEV, Risikostrukturausgleich – Zahlen, Fakten, Hintergründe 2003/2004, 2005, S. 11.

[26] Vgl., Cassel, D., Reschke, P., Wasem, J., u.a., Zur Wirkung des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung – Gutachten im Auftrag des BMGS, 2001, S. 36 - 39

[27] Ebd.

[28] VdAK / AEV, Risikostrukturausgleich – Zahlen, Fakten, Hintergründe 2003/2004, 2005, S. 195.

[29] Vgl., Cassel, D., Reschke, P., Wasem, J., u.a., Zur Wirkung des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung – Gutachten im Auftrag des BMGS, 2001, S. 18.

[30] Vgl. BT-Drucks. 14/5681, S. 5/6.

[31] Vgl. VdAK / AEV, Risikostrukturausgleich – Zahlen, Fakten, Hintergründe 2003/2004, 2005, S. 93 .

[32] Vgl. Cassel, D., Reschke, P., Wasem, J., u.a., Zur Wirkung des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung – Gutachten im Auftrag des BMGS, 2001, S. 39.

[33] Vgl. VdAK / AEV, Risikostrukturausgleich – Zahlen, Fakten, Hintergründe 2003/2004, 2005, VdAK, S. 93 ff..

[34] Anm. des Verfassers

[35] Cassel, D., Reschke, Peter, Wasem, J., u.a., Zur Wirkung des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung – Gutachten im Auftrag des BMGS, 2001, S. 40.

[36] Anmerkung und Fazit des Verfassers.

Ende der Leseprobe aus 47 Seiten

Details

Titel
Von der sozioökonomischen zur morbiditätsorientierten Klassifikation im Risikostrukturausgleich
Hochschule
Fachhochschule Braunschweig / Wolfenbüttel; Standort Wolfenbüttel
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
47
Katalognummer
V49711
ISBN (eBook)
9783638460910
ISBN (Buch)
9783638708685
Dateigröße
983 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit beschäftigt sich mit der Fragestellung, welche Reformkonsequenzen sich durch mögliche Risikoselektionen trotz Risikostrukturausgleich und den damit einhergehenden Wettbewerbsverzerrungen in der gesetzlichen Krankenversicherung ergeben. Ein möglicher Wandel der Klassifikation im Ausgleich des Versicherungsrisikos wird dargestellt.
Schlagworte
Klassifikation, Risikostrukturausgleich
Arbeit zitieren
Dipl. Kfm. (FH) Jens-Holger Otto (Autor:in), 2005, Von der sozioökonomischen zur morbiditätsorientierten Klassifikation im Risikostrukturausgleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49711

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