Bedingungen, Chancen und Risiken charismatischer Führung in Wirtschaftsunternehmen


Hausarbeit, 2005

40 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Aktualität und Signifikanz der Problemstellung
1.2. Eingrenzung und Bearbeitung des Themas

2. Begriffsbestimmungen
2.1. Begriff der Unternehmensführung
2.2. Begriff des Charisma

3. Zugänglichkeit von Wirtschaftssubjekten zu charismatischer Führung
3.1. Metaphysisches Denken im Wirtschaftsleben
3.2. Irrationales Handelns in wirtschaftlichen Organisationen
3.3. Macht und Charisma
3.4. Unternehmenskrise und neue Zielsetzung
3.5. Die Kraft des Außerordentlichen und sein Niedergang
3.6. Verhaltensbeeinflussende Organisationsstruktur

4. Chancen und Gefahrenpotentiale
4.1. Mögliche positive Effekte
4.1.1. Loyalität und Vertrauen
4.1.2. Motivation und Engagement
4.2. Gefahrenpotential und Gegenmaßnahmen
4.2.1. Verzerrte Wahrnehmung
4.2.2. Machtmissbrauch
4.2.3. Hochstapelei
4.2.4. Lähmung der Organisation und Nachfolgeproblematik
4.2.5. Polarisierung und Isolierung von Gruppen

5. Spontane Vergänglichkeit charismatischer Führung
5.1. Misserfolg statt erfüllter Hoffnung
5.2. Desillusionierung

6. Techniken zum Erhalt des Charismas
6.1. Internalisierung von Wertesystemen
6.2. Rituale
6.3. Bewahrung des Erfolgsgefühls

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

1.1. Aktualität und Signifikanz der Problemstellung

In der Vergangenheit scheute man sich in Deutschland weitgehend mit dem Verweis auf die negativen Erfahrungen im Nationalsozialismus, Untersuchungen zur charismatischen Führung durchzuführen. Erst durch Aufnahme von Entwicklungen aus amerikanischen Ansätzen der 70er Jahre, die sich wiederum größtenteils auf Max Weber stützen, gelangte dieses Führungsphänomen wieder in den Betrachtungsraum deutscher Personalführung und Organisationssoziologie.[1]

Die derzeit problematische Konjunkturlage Deutschlands und öffentlich diskutierte Unternehmenskrisen wie bei der Karstadt Quelle AG lenken das Interesse auf Unternehmensentscheidungen und die dahinter stehenden Unternehmensführungen, die als vermeintlich Schuldige der wirtschaftlichen Niedergänge von Presse und Politik schnell identifiziert sind.[2] Auch Fachkreise bezeichnen einen Großteil von Unternehmen als mangelhaft geführt, da zukunftsträchtige strategische Ausrichtungen fehlen.[3]

Wenn bisherige Verfahrensweisen der Unternehmensführung keinen Erfolg versprechen, wird nach charismatischer Führung verlangt.[4] Die Sanierungskonzepte zur Erneuerung bestehender krisenbehafteter Systeme werden von der Allgemeinheit mit der Person des zielvorgebenden Reformers verknüpft. Man denke nur an die stark diskutierte aktuelle Reform des deutschen Sozialversicherungssystems, die den Namen des Personalchefs der Volkswagen AG, Herrn Hartz, regelmäßig auf die Titelseiten der Presse bringt. Als interner Lösungsweg für wirtschaftlich angeschlagene Unternehmen aus der Krise wird Unternehmensführung mit Charakter, Persönlichkeit und Ausstrahlung gefordert. Charisma wird quasi als Einstellungskriterium für die Chefetage verlangt. Diese schwer messbaren soft- skills verdrängen zunehmend rational nachvollziehbare Kriterien wie Fachkompetenz oder Erfahrung bei der Suche von Unternehmen nach Mitarbeitern, insbesondere Führungskräften.[5] Diese in Führungspersonen hineininterpretierten Fähigkeiten und vor allem die Interpretation selbst durch die Geführten sind Gegenstand dieser Arbeit. Eine Unternehmensführung auf Basis von Charisma soll hinsichtlich ihrer relevanten Bedingungen zur Entstehung, der Wirkungsweisen, Chancen- und Gefahrenpotentiale untersucht werden.

1.2. Eingrenzung und Bearbeitung des Themas

Die Arbeit kann nicht isoliert aus ökonomischem Blickwinkel gestaltet werden. Es sind soziale und psychische Gesichtspunkte in besonderem Maße zu berücksichtigen, deren Zusammenhang mit dem Wirtschaftsleben nicht jedermann auf den ersten Blick klar ist.[6] Für berufstätige Menschen stellt der Arbeitsplatz einen zentralen Punkt ihrer Existenz dar. In der Zusammenarbeit mit anderen Menschen bilden sich soziale Beziehungen und erst durch das Arbeitseinkommen wird die Existenz und Wohlstand gesichert.[7] Unternehmen sind ein mikropolitischer Kosmos[8], in dem Menschen sich nicht nur von ökonomischen Motiven leiten lassen. Auch schwer fassbare Bedürfnisse aus den Bereichen der Religion und mitmenschlichen Beziehungen bestimmen die Verhaltensweisen.[9] „Die Strukturen der Organisation bilden … nicht nur ein Reservoir von formalen Anreizen und Gratifikationen, sondern bedeuten für den einzelnen darüber hinaus auch einen Ort der sozialen Integration, der Sinnfindung und der persönlichen Anerkennung.“[10] Die sozialen Dimensionen von Unternehmensführung betreffen über das Verhältnis zwischen Führung und Geführten als Gruppe hinaus die Individuen auf beiden Betrachtungsebenen sowie das Verhältnis der Gruppenmitglieder untereinander und die Beziehung zur Umweltsituation, die von allen Beteiligten bewältigt werden muss, um gemeinsame Ziele zu erreichen.[11]

Im folgenden Kapitel werden zunächst die wesentlichen Begrifflichkeiten zum Verständnis der Führung von Wirtschaftsunternehmen und des Charismas näher erläutert. Insbesondere der Begriff des Charismas ist inzwischen umgangssprachlich vertraut und in Beraterliteratur oft missverständlich verwendet, so dass die sozialwissenschaftliche Herleitung und Bedeutung gelegentlich in Vergessenheit gerät. Darauf folgend werden Mechanismen und Motive untersucht, die bewirken, dass sich Wirtschaftssubjekte durch nicht rational Erklärbares leiten lassen, obwohl gerade das Wirtschaftsleben ein Höchstmaß an Rationalität für sich beansprucht. Anschließend werden Faktoren untersucht, unter deren Einfluss sich Unternehmen besonders häufig zu charismatisch geführten Sozialgebilden entwickeln. Chancen und Gefahren der charismatischen Unternehmensführung sowie Möglichkeiten, letzteren zu begegnen, werden im vierten Abschnitt betrachtet. Darauf folgend werden im fünften Kapitel Techniken aufgezeigt, mit denen Charisma für das Unternehmen über das gewöhnliche Maß hinaus erhalten werden kann. Abschließend wird versucht, eine Bewertung abzugeben, inwieweit charismatische Führung für Unternehmen ein geeignetes Führungskonzept sein kann oder ob Charisma nicht ein ökonomiefeindliches Phänomen ist, welches zwingend von Unternehmen fernzuhalten ist.

Die Auslegungen und Weiterentwicklungen vom ursprünglichen Charisma- Konzept Max Webers, auf dessen Werk meist ausführlich zurückgegriffen wird[12], sind mannigfaltig und kaum in einen zusammenfassenden sinnvollen Zusammenhang zu bringen. In dieser Arbeit soll nicht versucht werden, Webers Konzeption in Gänze darzustellen, zu interpretieren und eine Abwandlung auf die Unternehmensführung zu transferieren. Allerdings ist es zum wesentlichen Verständnis charismatischer Führung gelegentlich notwendig, Grundzüge seiner Charisma- Konzeption aufzugreifen.

Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Betrachtung der charismatischen Beziehung zwischen Unternehmensführung und Geführten. Grundsätzlich sind unter den Geführten die Mitarbeiter des Unternehmens zu verstehen. Auf Einzelbeispiele wird weitgehend verzichtet, da sich Verfasser und Leser dieser Arbeit über Vorhandensein von Charisma im konkreten Beispiel uneins sein könnten. Betont werden soll der Gruppenprozess, der Charisma für die geführten Gruppenmitglieder unstrittig erkennen lässt. Diese gesamte Betrachtung kann aufgrund des Umfangs und der damit verbundenen Tiefe kein vollständiger und abschließender Überblick über Charisma- Theorien sein[13], sondern ermöglicht eine grobe Erfassung eines Führungsphänomens, welches berufstätige Menschen wiederkehrend zu Begeisterung und manchmal in erschreckende Ernüchterung versetzt. Ob durch charismatische Unternehmensführung generell ein erfolgreicheres Wirtschaften von Unternehmen erfolgt, soll unbeantwortet bleiben.

2. Begriffsbestimmungen

Um sich dem Thema zu nähern, muss zunächst annähernd klar sein, was unter den zentralen Begrifflichkeiten der Unternehmensführung und des Charisma zu verstehen ist. Sowohl der Begriff der Führung als auch der des Charisma sind kontinuierlich neu definiert worden.[14] Es soll nun keine erneute Definition gewagt werden, sondern lediglich eine Umschreibung der Begriffe aus der Literatur gebildet werden, damit deutlich wird, wie diese in der Arbeit zu verstehen sind.

2.1. Begriff der Unternehmensführung

Hinsichtlich der Unternehmensführung gehen funktionale Merkmale wie Planung, Organisation und Kontrolle einher mit institutionellen Kennzeichen, die auf strukturelle Beziehungszusammenhänge und die Träger der Unternehmensordnung hinweisen. Sozialwissenschaftlich orientiert sich die Unternehmensführung an den zwischenmenschlichen Beziehungen und der zielgerichteten Beeinflussung des Verhaltens der Geführten durch die Führung.[15] Die Abgrenzung zum mechanisch ausführenden Management ist nach Kets de Vries im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet, dass sich Unternehmensführer zukunftsorientiert verhalten, Innovationen offen gegenüberstehen, Visionen besitzen und soziale Belange berücksichtigen. Der aufgabenorientierte Manager hingegen bleibt gegenwartsbezogen, Stabilität bevorzugend, auf vorschriftsmäßiges Handeln bedacht, welches ausschließlich die Belange des Unternehmens betrifft.[16] Vor allem emotionale Bedürfnisse der Mitarbeiter werden eher von Führern angesprochen als von Managern. Zusammenfassend lässt sich Unternehmensführung als Phänomen eines gruppenbezogenen Prozesses beschreiben, dessen Ziel die Beeinflussung einer Gruppe mittels Kommunikation zur Zielerreichung der Unternehmung ist.[17]

2.2. Begriff des Charisma

Aus der griechischen Antike stammend bedeutete Charisma ursprünglich, eine von den Göttern geschenkte Gabe zu besitzen, die nur Auserwählten zu teil wird. Charisma ist nach diesem Gedankenansatz eine angeborene Führungsfähigkeit, deren Ursprung nicht in rationalem Denken der Führenden und Geführten begründet ist.[18] Max Weber sah im Charisma ein religionsähnliche Züge aufweisendes Herrschaftskonzept, das dem Herrschenden übermenschliche und übernatürliche Eigenschaften zuschreibt.[19]

Manche Seminare und Beraterliteratur zur Managerfortbildung versprechen ein Erlernen oder Aufdeckung von Charisma für jedermann. Oftmals versucht man insbesondere anhand von prominenten Einzelbeispielen aus der Weltgeschichte, Persönlichkeitseigenschaften zu isolieren, die Charisma als vermeintliche Fähigkeit zum erfolgreichen Führen generieren sollen. In diesen Untersuchungen wird grundsätzlich ein Spektrum an von charismatischen Führern benötigten Charaktereigenschaften gebildet.[20] Inhaber von Führungspositionen werden mit anderen Menschen verglichen, und Unterschiede werden als besondere Merkmale gewertet, die charismatische Führungspersonen ausmachen sollen. Führungspersonen werden zusätzlich untereinander verglichen und Erfolge oder Misserfolge in Zusammenhang mit Persönlichkeitsmerkmalen ausgewertet.[21] Solche Ansätze, die erfolgreiches charismatisches Führen als Resultat erlern- und trainierbarer Persönlichkeitseigenschaften auffassen, die situations-, ziel- und gruppenunabhängig sind, werden jedoch stark kritisiert. Die Kritik richtet sich vornehmlich gegen die Überbewertung des Führenden bei unberücksichtigtem Verhältnis zu den Geführten und zu der spezifischen Situation sowie der problematischen Identifikation von Führungseigenschaften und deren unübersichtliche Vielfalt und Vieldeutigkeit.[22]

Im weiteren Verlauf der Arbeit sollen die nicht zu vernachlässigenden Eigenschaften der Psyche der Führenden berücksichtigt werden, der entscheidende Schlüssel zum Verständnis des Charismas sind sie aber nicht. Die Bedingung, dass Charisma von den Geführten als ausstrahlende magische Kraft wahrgenommen werden muss, hat Vorteile für manche Personen hinsichtlich der Entstehung von Charisma. Extrovertierte Verhaltensweisen und kommunikative Talente können das Entstehen von Charisma begünstigen[23], sie sind aber nicht identisch mit dem Besonderen und Faszinierenden des Charismatischen an sich. Grundsätzlich besteht hier die Differenz zwischen der Theorie basierend auf Max Webers Konzeption von charismatischer Herrschaft und modernen Management-Trainings. Letztere sind vorwiegend auf das Erlangen von kommunikativen Fähigkeiten beispielsweise Rhetorik ausgerichtet.[24]

Beruhend auf Max Weber kommen Hentze/ Kammel zu dem Schluss, dass es die Persönlichkeitseigenschaft des Charisma als solche nicht gibt. Vielmehr bezeichnet das Charisma eine bestimmte irrationale emotionale Beziehung zwischen Führer und Geführten.[25] In diesem Sinn soll der Begriff in dieser Arbeit Verwendung finden. Der Führer als vermeintlicher Träger des Charisma wird zu diesem auf Grund des kollektiven Zuspruchs an magnetischer Anziehungskraft. Durch die von der Allgemeinheit postulierte Faszination, die vom charismatischen Führer auszugehen scheint, wird das Charisma zur herbeigeführten künstlich zugesprochenen Eigenschaft desjenigen, dem die Eigenschaft von der Masse zugeschrieben wird. Allein der Glaube der Masse an Charisma im Führer lässt das Charisma entstehen.[26] Das Charisma entwickelt den Grad seiner Stärke nach Ausmaß des Rückhaltes in der geführten Gruppe und der mehrheitlichen Akzeptanz des Charisma. Da die Genese des Charisma in der Wirklichkeitskonstruktion durch die Geführten liegt, ist eine gewollte Entstehung dieser Herrschaftsform schwer möglich. „Charisma kann ebensowenig gezüchtet wie den Geführten eingeredet werden.“[27]

3. Zugänglichkeit von Wirtschaftssubjekten zu charismatischer Führung

In diesem Abschnitt wird zunächst erläutet, inwieweit irrationales Denken und Handeln wirtschaftliche Aktivitäten betrifft. Die Grundmuster von Voraussetzungen, Denkstrukturen und Verhaltensbereitschaften, die Menschen veranlassen, sich als Individuum und Gruppe auf charismatische Führung einzulassen, werden geschildert. Ebenso wird bereits hier verdeutlicht, dass Charisma in Reinform sehr labil ist und zwingend einem Wandlungsprozess unterliegt.

3.1. Metaphysisches Denken im Wirtschaftsleben

Die Beeinflussbarkeit von Menschen durch metaphysisches Denken hat verschiedene Ursachen. Einer der wichtigsten Faktoren liegt in der Unkenntnis. Was von Individuen oder Gruppen nicht hinreichend genug auf rationaler Ebene erklärbar erscheint, wird in den Bereich des Übernatürlichen übertragen. Die Gedankenwelt wird so stabilisiert und in ihrer Komplexität reduziert.[28] „Unwissenheit und Halbwissen provozieren eine Auffüllung des unbekannten Informationsvakuums mit irrationalen Vorstellungen magischen oder quasi- magischen Charakters.“[29] Die komplexe Materie der Wirtschaftswissenschaften ist in der modernen Welt nicht mehr alltägliches Wissen, obwohl sie zumindest indirekt jeden betrifft. Ein Großteil der Beschäftigten in Unternehmen ist Spezialist in Fachbereichen, universelles Wissen über die vielfach interdependenten Prozesse besteht aber weder hinsichtlich allgemeiner Wirtschaftsfragen noch bezüglich des Systems der eigenen Unternehmung. Trotz dieses Wissensdefizits sind Mitarbeiter gezwungen, Entscheidungen und Werturteile über dieses System, welches sie nicht überblicken können, und seine Führung zu treffen. Dass die Werturteile keine rein rationale Basis haben können, ist offensichtlich. Der Diskussionsfreudigkeit in allen sozialen Gruppen über Wirtschaftsthemen und Unternehmensführung im Speziellen ist dies nicht abträglich. Stereotypen, Vorurteile und Mythen werden regelmäßig gepflegt und tragen dazu bei, dass ein völliges Verschwinden von metaphysischem Denken aus dem Wirtschaftsleben kaum möglich scheint.[30] Insbesondere das Wesen von wirtschaftlicher Führung bleibt trotz vieler Forschungen nach wie vor auch für Fachleute mysteriös.[31]

Das Bedürfnis der Menschen nach Emotionen und Übernatürlichem steigt auch in dem Maße an, mit dem es aus dem alltäglichen Wirtschaftsleben verdrängt wird. Die steigende Technisierung, Rationalisierung und Objektivierung des Arbeitslebens sorgen für ein entsprechendes Defizit, das kompensiert werden will.[32] Charismatische Unternehmensführung erfüllt ein wesentliches Verlangen im modernen Wirtschaftsleben nach Emotionen, Irrationalem und Mystischem.

3.2. Irrationales Handelns in wirtschaftlichen Organisationen

Grundsätzlich steht sich das Begriffspaar Wirtschaft und Charisma unharmonisch gegenüber. „…das Charisma ist der Gegensatz aller geordneten Wirtschaft…ja geradezu die Macht der Unwirtschaftlichkeit.“[33] Die Theorie der perfekten Unternehmung durch stetige Rationalisierung erfreute sich zu Anfang des 20.Jahrhunderts allgemeiner Beliebtheit und war in erster Linie auf den Glauben zurückzuführen, dass werthaltige Ideologien durch rationale Wissenschaft ersetzt werden sollten und so eine Effizienzsteigerung der eingesetzten Produktionsfaktoren ausgelöst wird.[34] Irrationale Verhaltensweisen wie die Ergebenheit an charismatische Führung können dennoch ökonomisch sinnvoll sein. Bereits Max Weber hatte in seiner Konzeption der bürokratischen Herrschaftsform Mängel an theoretisch auf reiner Rationalität fußenden Handlungsweisen in Organisationen aufgezeigt. Und in modernen Wirtschaftsunternehmen, in denen scheinbar höchste Effizienz im Mitteleinsatz durch Rationalisierung erreicht wird, stößt diese Optimierung an ihre Grenzen. Innere Grenzen hat Rationalität dort, wo die Schematisierung und Automatisierung von menschlichen Handlungen kontraproduktive Folgen hat. Der sogenannte Dienst nach Vorschrift, der effizientes flexibles Handeln unterdrückt, ist ein Paradebeispiel hierfür und gilt mehr als verschleierter Streik denn als Arbeitsverrichtung. Äußere Grenzen ergeben sich aus der unmöglich ex ante vollständig zu bestimmenden und sich stetig wandelnden Unternehmensumwelt.[35] Der weitgehende Zusammenbruch von Planwirtschaftssystemen in den vormals sozialistischen Staaten des Ostblocks hat gezeigt, dass eine Realisierung von komplett durchdachter wirtschaftlicher Bedürfnisbefriedigung in praxi nicht möglich ist. Eine sichere Prognose von komplexen wirtschaftlichen Entwicklungsprozessen ist unvorstellbar, denn Handlungen haben häufig nicht beabsichtige Nebenfolgen, mit deren Auswirkungen im Vorfeld nicht gerechnet werden kann.[36] Irrationales Handeln wird demnach von ökonomischem Vorteil sein können, wenn rationales Handeln an seine Grenzen stößt oder kontraproduktive Konsequenzen erzeugt. Eine pauschale Antwort, in welchen Situationen dadurch letztendlich ein Vorteil zu erwarten ist, erscheint nicht möglich, und eine Empfehlung wird sich wohl nur im konkreten Einzelfall aussprechen lassen.

[...]


[1] Vgl. Hentze/ Kammel (2004), S. 68f. Ausführlich behandelt Steyrer das Ignorieren von charismatischer Führung im deutschsprachigen Raum, Steyrer (1995), S. 51ff.

[2] Vgl. Der Spiegel 41/2004, S. 103f.

[3] Vgl. Von der Oelsnitz (1999), S.154.

[4] Vgl. Horn (1997), S.25.

[5] Vgl. Grosse Halbuer, Andreas in Wirtschafts- Woche 07/2004, S. 87f.

[6] Vgl. Winnes (1993), S.87ff.

[7] Vgl. Bangert/ Götz (1999), S. 16.

[8] Vgl. Hauser (2000), S.186.

[9] Vgl. Winnes (1993), S.88.

[10] Vgl. Von der Oelsnitz (1999), S.153.

[11] Vgl. Stroebe (2002), S. 11f.

[12] Vgl. Steyrer (1995), S.21ff., Neuberger (2002), S.146ff.

[13] Eine übersichtliche Darstellung verschiedener Konzepte charismatischer Führung findet sich beispielsweise bei Hauser (2000), 46ff.

[14] Vgl. Neuberger (2002), S.7. Neuberger verweist auf 130 verschiedene Definitionen des Begriffs „Führung“. S.143ff. Der Begriff Charisma wird ebenfalls in der wissenschaftlichen Literatur stets neuen Entwicklungen unterworfen. Lediglich der Rückgriff auf Max Webers Charisma- Konzept hat sich als Konstante herausgebildet.

[15] Vgl. Macharzina (1999), S. 31ff.

[16] Vgl. Kets de Vries (2002), S.214f., Von der Oelsnitz (1999), S.154.

[17] Vgl. Von Rosenstiel (2002), S.206.

[18] Vgl. Jendrosch (2004), S.21., Neuberger (2002), S.143ff.

[19] Vgl. Neuberger (2002), S.146.ff.

[20] Vgl. Horn (1997), S.25ff.

[21] Vgl. Von Rosenstiel (2002), S.214. , Neuberger (2002), S.220f.

[22] Vgl. Domsch (1998), S.423; Vowinckel (1992), S.158.

[23] Vgl. Jendrosch (2004), S.21.

[24] Vgl. Jendrosch (2004), S.21.

[25] Vgl. Hentze/ Kammel (1996), S.68, Knor (1994), S.2, 26.

[26] Vgl. Lenze (2002), S.30, Vowinckel (1992), S.158f.

[27] Von der Oelsnitz (1999), S.153.

[28] Vgl. Weber , Wilhelm (1973) S.13f.

[29] Weber , Wilhelm (1973), S.13.

[30] Vgl. Weber, Wilhelm (1973), S.14ff.

[31] Vgl. Mintzberg (1991), S.64. Mintzberg sieht im „Sammelbegriff“ Charisma nur einen Ausdruck der Unwissenheit.

[32] Vgl. Neuberger (2002), S. 218.

[33] Weber, Max (1972), S.834 zitiert in Sistenich (1993), S.15.

[34] Vgl. Greca (1990), S.19.

[35] Vgl. Greca (1990), S.14f.

[36] Vgl. Greca (1990), S.111.

Ende der Leseprobe aus 40 Seiten

Details

Titel
Bedingungen, Chancen und Risiken charismatischer Führung in Wirtschaftsunternehmen
Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg  (EGTWA- Soziologie)
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
40
Katalognummer
V49651
ISBN (eBook)
9783638460408
ISBN (Buch)
9783638597975
Dateigröße
606 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Klausurersetzende Hausarbeit - gleichzusetzen mit einer Diplomprüfungsklausur. Schwerpunkt liegt auf einem modernen Charismabegriff und vor allem einer kritischen Würdigung, d.h. Vor- und Nachteile von Charisma in der Unternehmensführung
Schlagworte
Bedingungen, Chancen, Risiken, Führung, Wirtschaftsunternehmen
Arbeit zitieren
Christoph Oldekop (Autor:in), 2005, Bedingungen, Chancen und Risiken charismatischer Führung in Wirtschaftsunternehmen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49651

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