Tragödientheorie nach Aristoteles, Gottsched und Lessing


Seminararbeit, 2005

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Die drei Tragödientheoretiker Aristoteles, Gottsched und Lessing
2.1 Aristoteles – Urvater der Tragödientheorie
2.2 Gottsched und Lessing – Abkehr vom Barockdrama
2.2.1 Gottsched – der Regelpoetiker
2.2.2 Lessing – Aufbrechen der Gattungsgrenzen

3. Schlusswort

4. Literaturverzeichnis

1. Vorwort

Das Begriff der Tragödie entstammt dem griechischen ‚tragodia’, das mit ‚Bockgesang’ zu übersetzen ist. Das bedeutet dann „entweder ‚Gesang der Böcke’ mit tragischen Chören in Bocksmasken oder ‚Gesang um den Bock’ als Preis oder Opfer“[1]. Hierin zeigt sich die zentrale Bedeutung des Gesangs für den Ursprung des dramatischen Genus. Die Urform der Tragödie ist der Chorgesang und entstanden ist sie aus der Improvisation heraus. Die Entwicklung vollzog sich dann dahingehend, dass der Chor zunehmend zurückgedrängt wurde und die Anzahl der Schauspieler stieg.

Doch was verbinden wir heute mit dem Wort ‚tragisch’? Zunächst beinhaltet es den Untergang eines Menschen, der zumeist in der physischen Vernichtung desselben mündet. Als weiteres Strukturmerkmal lässt sich anführen, dass der Untergang „unnatürlich, nicht zufällig, ungewollt, selbstverschuldet und moralisch nicht völlig verdient“[2] ist.

Die Herausbildung dieses Verständnisses folgt einer langen Tradition der Tragödie, die auf eine 2500 jährige Geschichte zurückblicken kann. Über diesen Zeitraum haben die vielen Tragödientheoretiker unseren Begriff des Tragischen geformt. Um drei von ihnen soll es in der vorliegenden Arbeit gehen. Darunter Aristoteles, der den Grundstein einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Tragödie geliefert hat und die beiden Theoretiker und Schriftsteller der Aufklärung, Gottsched und Lessing, die dem Theater in Deutschland zu neuer Blüte verholfen haben, nicht zuletzt durch eine Rückkehr zum Ursprung –zu Aristoteles.

Ich werde im Verlaufe meiner Arbeit zunächst auf die drei Persönlichkeiten und ihre Theorie im Einzelnen eingehen, wobei mein Schwerpunkt im 18. Jahrhundert liegen wird, unter Berücksichtigung der damaligen Situation des Theaters und der Differenzen zwischen Gottsched und Lessing.

2. Die drei Tragödientheoretiker Aristoteles, Gottsched und Lessing

2.1 Aristoteles – Urvater der Tragödientheorie

Aristoteles lebte von 384-322 v. Chr. und war ein Schüler Platons. Über Sinn und Wirkung der Tragödie vertraten die beiden sehr unterschiedliche Konzepte. Nach Platon sollte die Tragödie im Dienste der ‚Ideen’ stehen und zur Erziehung des Menschen beitragen, was sie damalig nach seiner Auffassung nicht tat. Daraus entwickelte er eine regelrechte Kulturfeindschaft und verbannte aus seinem ‚Idealstaat’ alle außer seinen Werken. Gegen diese Haltung richtet sich Aristoteles und verfasst eine eigene Theorie des Dramas in seiner „Poetik“, die zwar zu Ende verfasst, aber nur in Fragmenten überliefert ist. Die darin gegebenen Ratschläge und Vorschriften sind Bedingungen, unter denen der Dichter ein Höchstmaß an Wirkung erreichen kann. Mit seiner naturwissenschaftlichen Methode untersucht er, wie es heute jedem Literaturwissenschaftler selbstverständlich ist, die vorhandenen Werke und leitet aus ihnen Regeln her, die er deutet und deren Zweck er enthüllt. Seine Theorie hat sowohl im Altertum als auch in der Neuzeit eine große Wirkung ausgeübt. Zwar ist uns aus dem Altertum kein Kommentator bekannt, doch hat sein Werk über die Tradition der Poetiken Einfluss ausgeübt, allen voran auf die „Ars poetica“ des Horaz. Besonderes Ansehen genoss er auch bei den französischen Klassikern (Corneille, Racine) und im 18. Jahrhundert erfolgte dann die Auseinandersetzung in Deutschland mit Aristoteles. Es erschien die deutsche Übersetzung der „Poetik“ von Curtius 1753 und Nicolai eröffnete schließlich die Diskussion mit seiner „Abhandlung vom Trauerspiel“ (1757). Daraufhin kam es zu einem Briefwechsel mit Mendelssohn und Lessing, wobei letzterer sich wieder mit dem Urtext des Aristoteles in Altgriechisch befasst, daraus schöpft und eine eigene Tragödientheorie entwickelt.

Doch nun näher zur aristotelischen Tragödienkonzeption. Als Einleitung der so genannte Tragödiensatz:

Die Tragödie ist Nachahmung einer guten und in sich geschlossenen Handlung von bestimmter Größe, in anziehend geformter Sprache, wobei diese formenden Mittel in den einzelnen Abschnitten je verschieden angewandt werden – Nachahmung von Handelnden und nicht durch Bericht, die Jammer und Schaudern hervorruft und hierdurch eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirkt.[3]

Dieser Satz enthält eine Vielzahl von Merkmalen der Tragödie, die ich nun im Einzelnen erläutern möchte. Zunächst zur Handlung bzw. zum Mythos, wie es Aristoteles’ Wortlaut ist: diese muss gut sein und ein ernstes Schicksal zum Thema haben. Außerdem dürfen die einzelnen Komponenten nicht einfach aneinandergereiht werden, sondern müssen zusammenhängend aufgebaut sein, wodurch eine Einheit erreicht wird. Das entstehende Ganze setzt sich notwendig aus Anfang, Mitte und Ende zusammen, wobei Aristoteles genaue Definitionen darlegt:

Ein Anfang ist, was selbst nicht mit Notwendigkeit auf ein anderes folgt, nach dem jedoch natürlicherweise etwas anderes eintritt oder entsteht. Ein Ende ist umgekehrt, was selbst natürlicherweise auf etwas anderes folgt, und zwar notwendigerweise oder in der Regel, während nach ihm nichts anderes mehr eintritt. Eine Mitte ist das, was sowohl selbst auf etwas anderes folgt als auch etwas andres nach sich zieht.[4]

Da es gerade um die Einheit der Handlung geht, ist ein kleiner Exkurs vonnöten, der die drei Einheiten (Ort, Zeit, Handlung) thematisiert, die Aristoteles formuliert haben soll. Dabei ist jedoch zu sagen, dass er zwar Wert auf die Einheit der Handlung legt, fordert, diese solle möglichst an einem Tag spielen und auch die Begrenztheit des Ortes ergibt sich aus den damaligen sehr beschränkten Möglichkeiten, aber formuliert wurden diese sich im Rezeptionsverlauf ausprägenden Formalia erst Ende des 16. Jahrhunderts. Die französischen Klassizisten hielten sich streng an ihre Einhaltung, was sich jedoch nach und nach als unzeitgemäß herausstellte und nicht zuletzt Lessing hat zu dem Aufbrechen der starren Regeln beigetragen.

Zurück zum Tragödiensatz. Wichtig ist vor allem, dass sich hier zeigt, dass der Schwerpunkt der Tragödie eben auf der Handlung und nicht etwa auf den Charakteren oder dergleichen liegt. Sie ist gewissermaßen die „Seele der Tragödie“[5] Das heißt, der Held ist für die Handlung da, ihr untergeordnet. Es könne eine Tragödie ohne Charaktere geben, nicht jedoch ohne Handlung. Dies ändert sich erst im 18.Jahrhundert, als mit der Aufklärung der einzelne Mensch in den Vordergrund tritt Die Charaktertragödie, an deren Herausbildung Lessing maßgeblich beteiligt war, ist weniger streng aufgebaut als die Handlungstragödie, da nicht der Zusammenhang der Begebenheiten, sondern ihr Wechselspiel mit den Charakteren wesentlich ist.

Hinsichtlich der Größe ist grundsätzlich zu beachten, dass die Länge nur soweit ausgedehnt sein sollte, dass die Ereignisse noch einprägsam sind. Die genaue Regel lautet:

die Größe, die erforderlich ist, mit Hilfe der nach der Wahrscheinlichkeit oder der Notwendigkeit aufeinander folgenden Ereignisse einen Umschlag vom Unglück ins Glück oder vom Glück ins Unglück herbeizuführen, diese Größe hat die richtige Begrenzung.[6]

Damit einher geht das Moment der Wahrscheinlichkeit: der genannte Umschlag muss für den Zuschauer logisch nachvollziehbar sein, die aufeinander folgenden Ereignisse sollten also wahrscheinlich sein. Dadurch unterscheide sich der Dichter vom Geschichtsschreiber. Während dieser sein Augenmerk auf das Allgemeine legt, auf das, was hätte geschehen können, berichtet jener vom Einzelnen, von dem, was konkret geschehen ist.

All dies soll „in anziehend geformter Sprache“[7] verfasst sein, folglich in Versen und in gehobener Sprache, wie sie den höheren Menschen, die die Tragödie bestimmen, gebührt.

Das Merkmal des Wahrscheinlichen und Allgemeingültigen ergibt sich aus dem Ziel der Tragödie: der Erweckung und Reinigung von Jammer und Schauder. Denn Grundvorrausetzung hierfür ist die Identifikation mit dem Helden. Erkenne ich mich gar nicht in ihm wider, ist eine Erregung der Leidenschaften, wie sie Aristoteles anstrebt, nicht zu erreichen. Neben den genannten Aspekten der schlüssigen Handlung ist also die Beschaffenheit des Helden von zentraler Bedeutung. Es soll der so genannte mittlere Mensch auf der Bühne präsentiert werden, weder ganz gut noch nach ganz schlecht, eben so wie wir. Dabei entfernte sich Aristoteles weit von Platon und aller europäischen Idealdichtung, in welcher die Menschen einerseits wie Teufel, andererseits wie Engel geschildert werden. Würde nämlich ein guter Mann vom Glück ins Unglück gestürzt, so wäre dies „abscheulich“[8]. Noch erregte ein schlechter Mensch die besagten Affekte bei eben diesem Verlaufe. Dafür gebraucht Aristoteles einen anderen Begriff: den der Philanthropie. Im Gegensatz zum Jammer oder Mitleid meint dieses Gefühl eine Art Gerechtigkeitsempfinden, d.h. die Zuschauer finden es gerechtfertigt, dass ein schlechter Mensch Unglück erleidet. Diese Deutung ist jedoch neueren Datums. Lange Zeit verstand man den Terminus der Menschenfreundlichkeit so, dass doch ein gewisses Mitgefühl für den Schuft aufgebracht wurde, weil dieser, so schlecht er auch sein mochte, ein Mensch bleibe.

Die untragischste aller Wendungen wäre die eines schlechten Menschen vom Unglück ins Glück, da sie weder Jammer, noch Schaudern, noch Philanthropie erregt.

Übrig bleibt der Held,

[...]


[1] Wilpert, Gero von: Sachwörterbuch der Literatur. 8., verbesserte und erweitete Auflage Stuttgart: Kröner 2001, S. 843.

[2] Gelfert, Hans-Dieter: Die Tragödie. Theorie und Geschichte. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1995. (Kleine Vandenhoeck-Reihe. 1570.), S. 14.

[3] Fuhrmann, Manfred: Aristoteles Poetik. Griechisch/Deutsch. Bibliographisch ergänzte Ausgabe Stuttgart: Reclam 1994. (S. UB. 7828.), S. 19.

[4] Fuhrmann, Manfred: Aristoteles Poetik. Griechisch/Deutsch. Bibliographisch ergänzte Ausgabe Stuttgart: Reclam 1994. (S. UB. 7828.), S. 25.

[5] Ebenda, S. 23.

[6] Ebenda, S. 27.

[7] Ebenda, S. 19.

[8] Ebenda, S. 39.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Tragödientheorie nach Aristoteles, Gottsched und Lessing
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
16
Katalognummer
V49623
ISBN (eBook)
9783638460200
ISBN (Buch)
9783638597951
Dateigröße
444 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tragödienthoerie, Aristoteles, Gottsched, Lessing
Arbeit zitieren
Janine Kapol (Autor:in), 2005, Tragödientheorie nach Aristoteles, Gottsched und Lessing, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49623

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