Extracto
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis
A. Einleitung
B. Die Absprache im deutschen Strafprozessrecht
I. Begriffsbestimmung
II. Die Rolle von Absprachen im Wirtschaftsstrafverfahren
III. Motivation der Beteiligten zur Teilnahme an einer Absprache
1. Motivation der Strafverfolgungsbehörden
2. Motivation des Beschuldigten
IV Zwischenfazit
C. Verfassungs- und verfahrensrechtliche Grenzen
I. Vereinbarkeit mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen
1. Grundsatz des rechtlichen Gehörs
2. Schuldprinzip und Prinzip der schuldangemessenen Strafe
3. Unschuldsvermutung
4. Selbstbelastungsfreiheit
a) Sanktionsschere
b) Aussicht auf Strafmilderung
c) Zwischenfazit
5. Gleichheitsgrundsatz
a) Kriterium der Verteidigung
b) Bevorzugung gewisser Deliktskategorien
c) Kriterium der Geständigkeit
d) Zwischenfazit
II. Vereinbarkeit mit verfahrensrechtlichen Grundsätzen
1. Öffentlichkeitsgrundsatz
2. Untersuchungsgrundsatz
3. Legalitätsprinzip
4. Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung und Unmittelbarkeitsgrundsatz
a) Punktstrafe
b) Strafober- und Strafuntergrenze
c) Grundlage der Beweiserhebung
d) Zwischenfazit
5. Befangenheit des Gerichts
a) Teilnahme an einer Absprache
b) Gescheiterte Absprache
c) Zwischenfazit
III. Vernachlässigung von Opferinteressen
IV. Gesamtbetrachtung
D. Schlusswort
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der rechtliche Rahmen für Absprachen in Wirtschaftsstrafverfahren (wie z.B. §§ 153, 153a, 154, 154a, 257c StPO1 )
A. Einleitung
Kein strafprozessuales Thema der letzten 30 Jahre konnte die Gemüter in Deutschland so erhitzen wie die Absprache im Strafverfahren.2 Die Aufregung entspringt insbesondere dem Umstand, dass es sich nicht um ein gewöhnliches juristisches Problem handelt, sondern um die zentrale Strukturfrage des Strafver- fahrens.3 Auch die gesetzliche Regelung der Absprache4 unddasGrundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts von 20135, welches die Regelung der Absprache als verfassungsgemäß ansah, haben der Diskussion keinen Dämpfer verpasst. So wird die gesetzlich geregelte Absprache von manchen als „Widerspruch in Gesetzesform“6, „ein Gift, das den Strafprozess systematisch zersetzt“7 oder als „Schande der Justiz“8 bezeichnet. Im Mittelpunkt der Problematik steht weiterhin die Frage der Zulässigkeit der Absprache und deren Vereinbarkeit mit Verfas- sungs- und Verfahrensgrundsätzen. Selbst der Gesetzgeber musste einräumen, dass sich ein einvernehmlicher Abschluss des Strafverfahrens nicht ohne Weiteres mit den überkommenden Grundsätzen des Strafverfahrens in Einklang bringen lässt.9
Zwar existieren neben der Urteilsabsprache i.S.d. § 257c alternative gesetzlich vorgesehene konsensuale Verfahrenserledigungen, namentlich die Einstellung aus Opportunitätsgründen gem. §§ 153 ff und das Strafbefehlsverfahren. Aufgrund der soeben vorgestellten anhaltenden Problematik und der herausragenden Rolle10 für das Wirtschaftsstrafrecht wird der Fokus der vorliegenden Arbeit aber auf die Absprache i.S.d. § 257c gerichtet.
Zunächst wird sich dem Thema angenähert, indem der Begriff der Absprache nä- her erläutert wird. Daran anschließend wird die Bedeutung der Absprache im Wirtschaftsstrafverfahren sowie die Motivation der Beteiligten zur Teilnahme an einer solchen Absprache dargelegt. Nachfolgend wird die Absprache den rechtlichen Grundsätzen verfassungs- und verfahrensrechtlicher Art gegenübergestellt und deren Vereinbarkeit im Kontext des Wirtschaftsstrafrechts diskutiert. Abschließend soll die Frage geklärt werden, ob es dem Gesetzgeber mit dem Verständigungsgesetz gelungen ist, den o.g. rechtlichen Bedenken Rechnung zu tragen.
B. Die Absprache im deutschen Strafprozessrecht
I. Begriffsbestimmung
Zu Beginn stellt sich die Frage, was sich hinter dem Begriff der Absprache genau verbirgt. Mit „Absprache“ ist im Folgenden eine Verfahrensweise gemeint, die es den Strafverfolgungsorganen und dem Beschuldigten ermöglicht, sich über den Abschluss des Verfahrens i.S.d § 257c zu verständigen.11 Inhalt einer solchen Absprache ist zumeist die Zusage einer Strafmilderung oder Strafobergrenze seitens des Gerichts gegen die Abgabe eines Geständnisses des Angeklagten.12 Auch wenn der Gesetzgeber sich mit § 257c für den Begriff der „Verständigung“ entschieden hat, soll im weiteren Verlauf der Arbeit der Ausdruck der „Absprache“ benutzt werden. Diese Bezeichnung gilt als neutraler und konnte sich in der genannten Diskussion am ehesten behaupten.13
II. Die Rolle von Absprachen im Wirtschaftsstrafverfahren
Insbesondere im Bereich der Wirtschaftsstrafverfahren spielt die Absprache eine große Rolle.14 So ergab eine empirische Studie der Jahre 2004 bis 2006, dass 80,6% der befragten Richter die Absprache als ein „unverzichtbares Instrument zur Bewältigung von Wirtschaftsstrafverfahren“ ansehen würden.15 Dies kann zum einem darauf zurückgeführt werden, dass die Verfahren im Bereich der Wirtschaftskriminalität immer komplexer und umfangreicher werden, womit zur Aufklärung der Taten ein hoher Zeitaufwand erforderlich ist16 und es zu Beweis- Schwierigkeiten kommen kann17. Zudem ist kein anderes strafrechtliches Gebiet so dynamisch wie jenes des Wirtschaftsstrafrechts.18 Es muss immer wieder auf neue Erscheinungsformen und Ausprägungen der Wirtschaftskriminalität reagieren,19 weshalb der Gesetzgeber immer mehr Strafnormen einführt und dabei gleichzeitig Straftatbestände ausdehnt.20
Ferner muss beachtet werden, dass oft komplizierte, nicht originär strafrechtliche Materien mit starken zivilrechtlichen bzw. öffentlich-rechtlichen sowie betriebswirtschaftlichen Bezügen vom Gericht zu lösen sind, die zu weiteren Schwierigkeiten führen.21 Darüber hinaus ist es aufgrund der Struktur und der Organisationsform großer Unternehmen häufig schwierig, einzelne Personen als verantwortliche Urheber krimineller Entwicklungen zu ermitteln.22
Es erscheint damit im Ausgangspunkt durchaus sachgerecht, durch das Instrument der Absprache auf diese Zustände reagieren zu wollen.
III. Motivation der Beteiligten zur Teilnahme an einer Absprache
Bevor die Absprache unter näherer Betrachtung der Verfassungs- und Verfahrensgrundsätze untersucht wird, ist eine Vergegenwärtigung der Gründe für die Teilnahme an einer Absprache zweckdienlich.
1. Motivation der Strafverfolgungsbehörden
Hauptmotiv der Strafverfolgungsbehörden sei es, der Überlastung der Strafjustiz entgegenzuwirken.23 Die Ursache für die Überlastung liege vor allem an der steigenden Arbeitsbelastung bei gleichbleibenden oder sogar noch sinkenden Ressourcen.24 Ohne Absprachen könne dies schlichtweg nicht bewältigt werden.25
2. Motivation des Beschuldigten
Widmet man sich nun der Beschuldigtenseite, liegt der große Vorteil einer Absprache in der Aussicht auf Strafmilderung.26 Zudem kann durch die verkürzte Verfahrensdauer von einer geringeren psychischen Belastung des Beschuldigten ausgegangen werden.27
Richtet man nun das Augenmerk im Besonderen auf den Beschuldigten im Wirtschaftsstrafverfahren, kommen unternehmerische Überlegungen hinzu. Die Beschuldigten sind insbesondere an einer schnellen Verfahrensbeendigung interessiert, da sie sich schlicht langwierige Hauptverhandlungen mit öffentlicher Aufmerksamkeit nicht leisten können.28 Vor allem die Abwesenheit vom Unternehmen wiegt schwer, da die Präsenz in der Hauptverhandlung zur Führungslosigkeit des Unternehmen führen und Auslöser einer Insolvenz sein könnte.29 Unternehmen müssen bereits durch die bloße Existenz des Ermittlungsverfahrens mit Rufschäden und damit verbundenen Umsatzeinbußen des Unternehmens rechnen.30 Dies kann durch ein verkürztes Verfahren zumindest auf ein Minimum reduziert werden.
IV. Zwischenfazit
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Absprache im Hinblick auf die Problematik im Wirtschaftsstrafverfahren unentbehrlich scheint und vermeintlich nur Vorteile für alle Prozessbeteiligten birgt.
C. Verfassungs- und verfahrensrechtliche Grenzen
Abseits der befürwortenden Gesichtspunkte bedarf es der Erörterung der verfahrens- und verfassungsrechtlichen Grenzen.
I. Vereinbarkeit mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen
Der Blick wird dabei zunächst auf die Vereinbarkeit der Absprache mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen gerichtet.
1. Grundsatz des rechtlichen Gehörs
Nach Art. § 103 I GG hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. Bei einer Absprache bekommen die Verfahrensbeteiligten gem. § 257c III 3 Gelegenheit zur Stellungnahme; für den Abschluss der Absprache wird sogar die Zustimmung des Angeklagten benötigt, § 257c III 4. Zudem bestehen umfassende Belehrungs- und Mitteilungspflichten, §§ 160b, 202a, 212, 243 IV, 273. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs wird insofern gewahrt.
2. Schuldprinzip und Prinzip der schuldangemessenen Strafe
Das aus Art. 1 I, 2 II GG i.V.m. Art. 20 III GG abgeleitete Schuldprinzip31 setzt für jede Strafe Schuld voraus, wobei die Schuld des Täters gem. § 46 I 1 StGB Grundlage der Strafzumessung ist. Die Rechtsprechung betont im Hinblick auf Absprachen, dass der Strafausspruch „den Boden schuldangemessenen Strafens“ nicht verlassen dürfe.32 Zudem wurde in § 257c II 3 sogar normiert, dass der Schuldspruch nicht Gegenstand einer Absprache sein darf.
Es stellt sich jedoch die Frage, inwiefern ein Geständnis im Rahmen einer Absprache strafmildernde Berücksichtigung verdient. Der BGH spricht sich klar für die Zulässigkeit einer solchen Berücksichtigung aus.33 Damit wird ein in erster Linie prozesstaktisches Verhalten belohnt, mithin ein schuldunabhängiger Strafmilderungsgrund gewährt.34 Dafür hätte es aber der Schaffung einer gesonderten materiell-rechtlichen Grundlage für einen schuldunabhängigen Strafrabatt bedurft, in der die konkrete Höhe des zu gewährenden Nachlasses zu bestimmen gewesen wäre.35 Gleichzeitig muss zugestanden werden, dass es schwer nachweisbar ist, welches Motiv dem Geständnis nun exakt zugrunde liegt, da es sich dabei um etwas rein subjektives handelt.36
Es ist allerdings nicht ersichtlich, warum die Milderung der Strafe durch die Verkürzung der Beweisaufnahme und damit der Entlastung der Justiz durch die Ablegung eines Geständnisses in einem solchen Umfang beeinflusst werden sollte.37 Fischer behauptet sogar, dass alle Prozessbeteiligten wissen würden, dass die Strafe nicht wegen einer durch bloßes Zugeben der Tat gemilderten Schuld gesenkt wird, sondern als Belohnung für eine erfreuliche Arbeitsersparnis.38 Indem das Geständnis noch vor Ablegung eine pauschale Strafmilderung erhält, bekommt es eine völlig neue Bedeutung.39 Die eigentlich strafmildernden Gründe eines Geständnisses, namentlich Reue und Einsicht,40 rücken in den Hintergrund.
Damit entsteht nicht nur ein Widerspruch zur Grundlagenformel des § 46 I 1 StGB, sondern auch zum allgemeinen Rechtsgefühl.41 Eine Differenzierung wird alleine schon aus moralischen Gründen und der spezialpräventiven Funktion der Strafe geboten. Jemand, der aus Reue und Einsicht ein Geständnis ablegt, stellt eine geringere Gefahr für die Gemeinschaft dar als jemand, der sich damit bloß eine Strafmilderung „erkaufen“ möchte.42
Die thematisierten Prinzipien können nur gewahrt werden, wenn die Schwere der Tat angemessen berücksichtigt wurde,43 wovon nach der eben geführten Argumentation aber gerade nicht ausgegangen werden kann.
3. Unschuldsvermutung
Nach dem in Art. 6 II EMRK zum Ausdruck kommenden und aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatz der Unschuldsvermutung44 muss bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld von der Unschuld des Beschuldigten ausgegangen werden.45 Die Vereinbarkeit der Absprache mit der Unschuldsvermutung könnte sich daher als problematisch erweisen.
Befürworter der Absprache legen dar, dass auch im konsensualen Verfahren das Gericht bei Initiierung einer Absprache nicht automatisch von der Schuld des Angeklagten ausgehen dürfe.46 Bei der Angabe des möglichen Strafrahmens würde es sich lediglich um eine Prognoseentscheidung handeln, die zudem auch in anderen gesetzlich anerkannten Fällen zu finden sei, wie z.B. bei den Opportunitätsmöglichkeiten nach §§ 153 ff.47 Dem kann entgegengestellt werden, dass dort die Schuldfrage offen bleibt, weil die Entscheidung nach §§ 153 ff. keine Verurteilung darstellt, sondern lediglich eine Verfahrenseinstellung.48 Die Absprache nach § 257c führt hingegen regelmäßig zum Schuldspruch; ein Freispruch ist nie Be- standteil.49 Dies wird dadurch verdeutlicht, dass das Geständnis Bestandteil jeder Verständigung sein soll.50 Des Weiteren betrifft die „Prognose“ hier nicht nur die Schuld an sich, sondern ergänzend auch noch die mögliche Höhe der Strafe.51 Indem das Gericht eine Absprache initiiert, unterstellt es dem Beschuldigten zwangsläufig, dass er die ihm vorgeworfene Tat tatsächlich begangen hat.52 Damit tritt die Feststellung der Tathandlung, die normalerweise erst am Ende nach Beweisaufnahme- und Würdigung aller in der Hauptverhandlung dargebotenen Beweismittel stattfinden kann, bereits am Beginn ein.53 Das Gericht möchte unter der Prämisse der Schuld eine schnelle Verurteilung des Angeklagten erreichen,54 womit sie aber die Unschuldsvermutung in ihr Gegenteil umkehrt.55
4. Selbstbelastungsfreiheit
Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit, der in der Menschenwürde, dem Persönlichkeitsrecht und dem Rechtsstaatsprinzip verankert ist, umfasst das Recht des Beschuldigten auf Aussage- und Entschließungsfreiheit im Strafverfahren.56 Niemand darf im Rahmen eines Strafverfahrens gezwungen werden, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen.57
a) Sanktionsschere
Eine Verletzung kann in jedem Falle bejaht werden, wenn das Gericht mit der sog. „Sanktionsschere“58 droht. Es handelt sich dabei um eine Drohung mit einer unverhältnismäßig hohen Strafe ohne Geständnis, unter gleichzeitigem Anbieten einer geringeren Strafe bei konsensualer Erledigung mit Geständnis.59 Sie übt einen derartig hohen Druck auf den Angeklagten aus, dass von einer freien Entscheidung nicht mehr gesprochen werden kann60 und hingegen ein Verstoß gegen § 136a angenommen werden muss61. Die Rechtsprechung hat die Sanktionsschere korrekterweise bereits als unzulässiges Druckmittel anerkannt.62 Die Aufnähme in der gesetzlichen Regelung wäre der nächste notwendige Schritt.
b) Aussicht auf Strafmilderung
Es stellt sich aber die Frage, ob bereits durch die Zusage des Gerichts zu einer Strafmilderung im Falle eines Geständnisses der Beschuldigte derart unter Druck gesetzt wird, dass gegen die Selbstbelastungsfreiheit verstoßen wird.
Dem wird entgegengehalten, dass der Begriff der Freiwilligkeit am Maßstab der Bedeutung des § 136a zu messen sei und Zwänge, die sich aus einer Verfahrensstellung und der konkreten Verfahrenssituation unvermeidlich ergeben, nicht umfasst wären.63 Ein Geständnis sei etwas Freiwilliges; daran würde auch § 257c nichts ändern können.64
Es muss sich aber vor Augen geführt werden, dass das Angebot der Strafmilderung im Gegenzug ein Geständnis fordert. Damit wird dem Angeklagten auf der Kehrseite implizit gedroht, ihm im Falle der Ablehnung nicht nur die angebotene Vergünstigung zu verwehren, sondern zwangsläufig auch die Strafe gegenüber der, die bei einer Kooperation angesetzt worden wäre, zu verschärfen.65 Zumindest muss der Angeklagte aber damit rechnen, dass in Zukunft von Seiten des Gerichts keinerlei Entgegenkommen mehr zu erwarten ist.66 Aus der daraus resultierenden, vermeintlichen Chancenlosigkeit wird sich der Angeklagte schnell einem Zwang zum Geständnis ausgesetzt fühlen und diesem beugen, um zumindest der vermeintlich höheren Strafe entgehen zu können.67 So wird das Maß an „Freiwilligkeit“ bei einer Absprache sogar verglichen mit der eines Raubopfers im Anblick der Waffe des Täters68 - also gar keiner. Zudem muss die Machtstellung des Gerichts aus dem Blickwinkel des Angeklagten betrachtet werden und dass ihm keine Möglichkeit gegeben ist, sich dem Verfahren auf legale Weise zu entziehen. Vor allem im Hinblick auf das soeben geprüfte Schuldprinzip wird der Angeklagte sich in eine Art Sackgasse gedrängt fühlen. So kann der Eindruck entstehen, dass das Gericht, unabhängig davon, was er vorbringen mag ohnehin von seiner Schuld ausgeht. Darüber hinaus kann in der Drucksituation ein voreiliges Geständnis abgegeben werden, dessen Gewicht der Sanktionierung erst später deutlich wird.69
c) Zwischenfazit
Mit der jetzigen Abspracheregelung kann in der überwiegenden Anzahl von Fällen die Überschreitung der Grenze zur Verletzung der Selbstbelastungsfreiheit angenommen werden. Festzuhalten ist, dass es dennoch stets einer Einzelfallbetrachtung bedarf.
5. Gleichheitsgrundsatz
Die Absprache könnte den in Art. 3 I GG verankerten Gleichheitsgrundsatzes in vielerlei Hinsicht verletzen.
a) Kriterium der Verteidigung
Kritiker argumentieren, dass der verteidigte Angeklagte im Gegensatz zum unverteidigten einen unfairen Vorteil im Hinblick auf die Möglichkeit einer Absprache hätte.70 Zum einen würde der Beschuldigte von sich aus kein Absprachegespräch eröffnen und zum anderen würden Staatsanwaltschaft und Gericht den Beschuldigten als nicht kompetenten Verhandlungspartner ansehen.71 Daher würden anwaltlich nicht vertretene Angeklagte selten mit Abspracheangeboten konfrontiert72 und damit benachteiligt werden.
Dem ist entgegenzuhalten, dass der Gesetzgeber gerade nicht zwischen verteidigtem und nicht verteidigtem Angeklagten unterscheidet.73 Darüber hinaus soll der Anstoß zur Absprache gem. § 257c I gerade vom Gericht ausgehen und nicht originär vom Angeklagten. Zudem lässt sich annehmen, dass die meisten Angeklagten aufgrund der für die Absprache interessanten - also der komplexen und aufwendigen - Fälle bereits einen Verteidiger haben. Vor allem im Wirtschaftsstrafrecht kann aufgrund der Stellung und der wirtschaftlichen Lage des Angeklagten davon ausgegangen werden. Außerdem steht es jedem Angeklagten frei, einen Verteidiger von sich aus zu engagieren oder nicht.
Trotzdem lässt sich nachvollziehen, dass Angeklagte Angebote alleine nicht zuverlässig beurteilen können und von sich aus auch keine Absprache aufgrund von Nichtwissen initiieren.
[...]
1 Alle nachfolgenden §§ ohne Gesetzesangabe sind solche der deutschen Strafprozessordnung.
2 Greco, GA 2016, 1 (1); Peters, Urteilsabsprachen, S. 261; Rönnau, JuS 2018, 114 (114).
3 Stuckenberg, ZIS 2013, 212 (214).
4 vgl. BGBl. 2009 I, S. 2353.
5 BVerfGE 133, 168.
6 Murmann, in: FS Roxin, 1385 (1385).
7 Klemke/Elbs, Rn. 791.
8 Fischer, Zeit-Online, Der Deal.
9 BT-Drs. 16/12310, S. 1.
10 vgl. Müller-Gugenberger/Niemeyer, Wirtschaftsstrafrecht, § 12 Rn. 39a; Sauer/Münkel, Absprachen, Rn. 824; Wehnert, StV 2002, 219 (219).
11 BT-Drs. 16/12310 S. 1; Hettinger, GA 2011, 292 (292); Momsen/Grützner/Moldenhauer, § 3 Rn. 51.
12 Beulke/Swoboda, Rn. 395a; Momsen/Grützner/Moldenhauer, § 3 Rn. 51.
13 vgl. Löffler, Absprache, S. 8; Müller, Probleme, S. 12; Seppi, Absprachen, S. 3.
14 Jahn, in: Ökonomie versus Recht, 157 (159); Müller-Gugenberger/Niemeyer, § 12 Rn. 39a; Sau- er/Münkel, Absprachen, Rn. 824; Wehnert, StV 2002, 219 (219).
15 Altenhain/Dietmeier/May, Wirtschaftsstrafverfahren, S. 75.
16 Adamski, GWP 2013, 277 (278); Müller-Gugenberger/Niemeyer, § 12 Rn. 39a; Sauer, Konsen- suale Verfahrensweisen, Rn. 30; Volk/Engländer, § 30 Rn. 1.
17 Janke, Verständigung, S. 26.
18 Graewe/Senuysal, S. 1.
19 Graewe/Senuysal, S. 1; Kube, in: FS Rolinski, 391 (398).
20 Fischer, StraFo 2009, 177 (178); Schlothauer, StraFO 2011, 487 (488).
21 Wehnert, StV 2002, 219 (219).
22 Momsen/Grützner/Moldenhauer, § 3B Rn. 1; Wittig, § 6 Rn. 64.
23 Janke, Verständigung, S. 22; Klemke/Elbs, Rn. 793; Sauer/Münkel, Absprachen, § B Rn. 8.
24 Krey, in: FS Achenbach, 233 (233); Müller-Gugenberger/Memeyer, § 12 Rn. 39a; SchreiberKlein,, JA 2015, 888 (891).
25 Rönnau, Absprache, S. 42; Siolek, Verständigung, S. 57.
26 Locker, Absprache, S. 10; Löffler, Absprache, S. 19.
27 Locker, Absprache, S. 10.
28 Herzog, GA 2014, 687 (689).
29 Wehnert, StV 2002, 219 (220).
30 Wehnert, StV 2002, 219 (219).
31 BVerfGE 45, 187 (228).
32 BGHSt 43, 195 (208).
33 BGHSt 43, 195 (209).
34 Hammerstein, StV 2O07, 48 (50); Peters, Urteilsabsprachen, S. 262; SK-StPO/Velten, Vor §§ 257b-257c ff. Rn. 19b.
35 Peters, Urteilsabsprachen, S. 262.
36 vgl. Jeßberger, S. 67; Siolek, Verständigung, S. 182.
37 Fischer, StraFo 2009, 177 (182); SK-StPO/Velten, Vor §§ 157b-257c ff. Rn. 19.
38 Fischer, Zeit-Online, Der Deal.
39 Löffler, Absprache, S. 112.
40 Sickor, S. 5.
41 MüKoStGB/Maier, § 46 Rn. 161.
42 Schlepp, in: Deals im Strafverfahren, 25 (46).
43 vgl. Gerlach, Absprachen, S. 113.
44 BVerfGE 82, 106 (114).
45 Beukelmann, NJW-Spezial 2016, 696 (696).
46 MüKoStPO/Jahn/Kudlich, § 257c Rn. 50.
47 Krause, Verständigungen, S. 42 f.
48 Krause, Verständigungen, S. 105.
49 Huttenlocher, Dealen wird Gesetz, S. 36.
50 Klenner, in: Deals im Strafverfahren, 61 (83).
51 Krause, Verständigungen, S. 42.
52 Beulke/Swoboda, § 19 Rn. 394a; Paeffgen, in: SK-StPO, § 202a Rn. 24; Schünemann, Gutachten B 98; Weigend, JZ 1990, 774 (778).
53 Rönnau, JuS 2018, 114 (116); SK-StPO/Paeffgen, § 202a Rn. 24.
54 Kremer, Absprachen, S. 142; Schünemann, Gutachten B 98.
55 Dencker/Hamm, Vergleich, S. 53; Klenner, in: Deals im Strafverfahren, 61 (83); Rönnau, JuS 2018, 114 (116).
56 BVerfG, Beschl. v. 06.09.16 - 2 BvR 890/16, Rn. 2b - juris (online).
57 BVerfGE 133, 168 (201).
58 Kempf, StV 2009, 269 (270).
59 MüKoStPO/Jahn/Kudlich, § 257c Rn. 56.
60 Göttgen, in: Deals im Strafverfahren, 1 (5); Taubald, Konsensuale Erledigung, S. 63.
61 MüKoStPO/Jahn/Kudlich, § 257c Rn. 56.
62 BGH, Beschl. v. 03.03.2005 - GSSt 1/04, Rn. 87 - juris (online); BGH, Beschl. v. 14.08.2007 - 3 StR 266/07, Rn. 6 - juris (online).
63 Taubald, Konsensuale Erledigung, S. 61.
64 Locker, Absprache, S. 22; Schreiber-Klein, JA 2015, 888 (889).
65 Dencker/Hamm, Vergleich, S. 54; Rieß, StraFo 2010, 10 (11); Rönnau, ZIS 2018, 167 (172).
66 Rieß, StraFo 2010, 10 (11); Rönnau, ZIS 2018, 167 (172); Taubald, Konsensuale Erledigung, S. 59.
67 Schlepp, in: Deals im Strafverfahren, 25 (33).
68 SK-StPO/Paeffgen, § 202a Rn. 25.
69 Ostendorf, ZIS 2013, 172 (176); Murmann, ZIS 2009, 526 (535).
70 Dippel, in: FS Widmaier, 105 (123); Ostendorf, ZIS 2013, 172 (176).
71 Murmann, ZIS 2009, 526 (535).
72 Rönnau, JuS 2018, 114 (116).
73 BT-Drs. 16/12310, S. 2.
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- Anónimo, 2019, Der rechtliche Rahmen für Absprachen in Wirtschaftsstrafverfahren, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/495637
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