Interkulturelle Kompetenzen in der Sozialen Arbeit


Bachelorarbeit, 2018

48 Seiten, Note: 1,0

S. D. (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Einwanderungssituation in Deutschland seit 1950
2.1. Migrationsgeschehen und Migrationspolitik in Deutschland seit 1955
2.2. Pädagogischer Umgang mit Migration seit 1955
2.3. Zwischenfazit

3. Herausforderungen der Sozialen Arbeit im interkulturellen Umfeld
3.1. Dimensionen und Konzepte der professionellen Sozialen Arbeit
3.2. Soziale Dienste im interkulturellen Arbeitsfeld
3.3. Zugangsbarrieren innerhalb der interkulturellen Sozialen Arbeit

4. Diversity-Ansatz als institutionelle Handlungsstrategie
4.1. Interkulturelle Kompetenz als Bestandteil des Diversity-Ansatzes
4.2. Diversity-Management
4.3. Anwendung des Diversity-Konzeptes in der Sozialen Arbeit

5. Interkulturelle Öffnung sozialer Institutionen als Strategie

6. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Die Humanität erreichte mehr, wenn sie, statt die Gleichheit zu loben, zum Respekt vor dem Wunder der Vielfalt riete.“ (Hans Kasper; Abel, gib acht; Halbzeit der Emanzipationen)

Die Frankfurter Allgemeine berichtete in ihrer Ausgabe vom 01.06.2015 groß von der Bekundung der Kanzlerin Angela Merkel, Deutschland sei ein Einwanderungsland (Merkel: " Deutschland ist ein Einwanderungsland", 2018). Historische Worte, die paradoxerweise nicht selbstverständlich sind in einem Land, dessen Wirtschaft und Gesellschaft spätestens seit den 1950er Jahren durch Migration mitgeformt und beeinflusst wurden. Betrachtet man die prozentuale Verteilung der Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, wird klar: Zuwanderung gehört zu Deutschland und zu einem bedeutenden Anteil der in Deutschland lebenden Menschen (Statistisches Bundesamt, 2018). Die deutsche Gesellschaft setzt sich zusammen aus Menschen unterschiedlichster kultureller Hintergründe und ist damit durch Diversität geprägt. Für die Soziale Arbeit bedeutet dies, dass auch ihre Adressatengruppe und ihre Klientinnen und Klienten kulturell verschieden sind. Die steigende kulturelle Heterogenität in Deutschland stellt die institutionelle Soziale Arbeit vor eine große Herausforderung, die es zu bewältigen gilt. Um allen Adressatinnen und Adressaten unabhängig von ihrem kulturellen Hintergrund gerecht werden zu können, muss sich die Soziale Arbeit entwickeln und es müssen interkulturelle Kompetenzen gefördert werden.

Die folgende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie die Aneignung und Förderung von interkulturellen Kompetenzen in der institutionellen Arbeit auf Grundlage des Diversity-Konzeptes umgesetzt und geleistet werden kann.

Um die Diversitätsentwicklung der deutschen Gesellschaft nachvollziehen zu können, wird zunächst ein migrationshistorischer Überblick geliefert und die Entwicklung der Migrationspolitik und -pädagogik erläutert. Im Anschluss daran erfolgt ein erstes Zwischenfazit, in dem wesentliche Aspekte noch einmal zusammengefasst und auf die Forschungsfrage bezogen werden.

Im weiteren Verlauf der Arbeit wird die Soziale Arbeit mit ihren Zielen und Aufgabenfeldern im Allgemeinen und in Hinblick auf Interkulturalität und Migration vorgestellt. Außerdem werden hier wichtige aktuelle Problemfelder innerhalb der interkulturellen Sozialen Arbeit vorgestellt und Ursachen und Auswirkungen von Zugangsbarrieren zu Sozialen Diensten diskutiert.

Anschließend wird ein Lösungsansatz auf Grundlage des Diversity-Konzeptes erarbeitet. Dazu wird zunächst der Diversity-Ansatz erläutert und in seinen Facetten dargestellt. Darauf aufbauend erfolgt eine Vorstellung des Diversity-Managements als Anwendung des Diversity-Konzeptes innerhalb von Institutionen und in Anlehnung daran wird die interkulturelle Öffnung als Entwicklungsstrategie für die Soziale Arbeit erklärt.

Zum Schluss soll noch ein Fazit gezogen und die Forschungsfrage durch eine Zusammenfassung des Lösungsansatzes beantwortet werden.

2. Einwanderungssituation in Deutschland seit 1950

In Deutschland lebten im Jahr 2017 rund 81 Millionen Menschen, von denen gut 19 Millionen einen Migrationshintergrund hatten (Butterwegge, 2011, Stastisches Bundesamt, 2018). Diese Zahlen zeigen dass Migration einen bedeutenden Teil der Gesellschaft geprägt haben und prägen. Obwohl Migration seit langem ein Normalfall in Deutschland ist und Zu- und Abwanderung seit Jahrhunderten die Zusammensetzung der deutschen Gesellschaft bestimmen, erklärt sich Deutschland erst seit 2005 mit der Einführung des Zuwanderunggesetzes als Einwanderungsland (Butterwegge, 2011). Eine Tatsache, die sich nicht zuletzt auch im Umgang mit Migration durch die Politik wiederspiegelte. Um zunächst einen historischen Überblick zu erhalten, sollen im Folgenden die prägnantesten Einwanderungsströme seit 1955 vorgestellt werden. Gleichzeitig wird auch die Entwicklung der Migrationspolitik wiedergegeben und erläutert. Im Anschluss daran soll die Entwicklung der Migrationspädagogik dargestellt und am Ende ein erstes Zwischenfazit gezogen werden.

2.1. Migrationsgeschehen und Migrationspolitik in Deutschland seit 1955

Im Jahre 1955 brachte die Politik der damaligen Bundesrepublik Deutschland (BRD) das sogenannte Anwerberabkommen mit Italien, Spanien und Griechenland hervor. Diese Idee entstand als Teil der Anwerberpolitik, die den Zweck erfüllte, die deutsche Wirtschaft in Folge des zweiten Weltkrieges zu verbessern (Butterwegge, 2011). Weitere Anwerberverträge wurden mit der „Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) sowie mit Joguslawien (1968)“ (Butterwegge, 2011, S. 17) geschlossen. Diese Anwerberverträge ermöglichten bis 1973 rund 3,9 Millionen Ausländerinnen und Ausländern eine Zuwanderung in die BRD. Ein Großteil der Zugewanderten wurde in die „unteren Ebenen des Arbeitsmarktes eingegliedert“ (Butterwegge, 2011, S. 17). Hoffmann-Nowotny (1973, S. 18; zitiert nach Butterwegge, 2011, S. 17) spricht daher auch von einem „ethnischen Unterschichtungsprozess“. Wie bereits erwähnt verfolgte die Anwerberpolitik das Ziel, die Wirtschaft im Westen Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg zu verbessern und den Arbeitskräftemangel durch die angeworbenen Arbeiterinnen und Arbeiter auszugleichen. Unter den angeworbenen Zuwanderern befanden sich größtenteils junge männliche Personen, die separiert von ihren Familien in Sammelunterkünften oder Baracken untergebracht waren. Angestrebt war eine befristete Zuwanderung, was sich auch im so genannten Rotationsprinzip widerspiegelt. Demnach sollte eine Rückkehr in das Heimatland erfolgen, sobald ein Arbeitsvertrag ausgelaufen war. Die erste Phase der Migrationspolitik endete 1973 aufgrund einer Wirtschaftskrise (Schirilla N. , 2016; Butterwegge, 2011; do Mar Castro & Mecheril, 2010).

Zwischen 1973 und 1979 war die zweite Phase der Migrationspolitik der BRD vor allem durch den Zuzug von Familienangehörigen der angeworbenen Arbeiterinnen und Arbeitern geprägt. Mit diesem Schritt wurde die „Phase der Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung“ (Butterwegge, 2011, S. 18) eingeleitet. Eine erste Veränderung der Migrationspolitik war insofern zu erkennen, als dass eine Eingliederung auf Zeit für die Familien der Angeworbenen bezweckt wurde (Butterwegge, 2011; Schirilla N. , 2016; do Mar Castro & Mecheril, 2010).

Einhergehend mit dem Zuzug der Familienangehörigen kamen auch erstmals Kinder der „sogenannten Zweiten Generation“ (Butterwegge, 2011, S. 18) in der BRD zur Welt und wuchsen dort auf. Die dritte Phase spiegelt die Diskussion um eine verstärkte Integrationsförderung vor allem für Kinder der Zugewanderten wider. Eine Eingliederung auf Zeit wurde durch den Familiennachzug zwar bezweckt, dennoch waren sowohl Angeworbene als auch ihre Familienangehörigen von einer erheblichen Rechtsunsicherheit bezüglich ihres Aufenthaltsstatus und ihrer Zukunft in der BRD betroffen (Butterwegge, 2011; Schirilla N. , 2016; do Mar Castro & Mecheril, 2010).

Dem Kalten Krieg geschuldet war die vierte Phase der Migration in der BRD bzw. später im wiedervereinten Deutschland von 1981 bis 1990 vermehrt durch Asylsuchende Aussiedelnde aus Osteuropa geprägt. In den darauffolgenden Jahren nahmen Themen wie Arbeitsmigration oder Asyl eine zentrale politische Rolle ein. Das Bedürfnis nach einer geeigneten Migrationspolitik wuchs, sodass sich die Regierung Anfang der 80er Jahre verstärkt mit diesen Thematiken auseinandersetzte. Statt einen Plan zur Integrationsförderung zu verabschieden, wie es von Seiten der damaligen Opposition gewünscht war, bemühte man sich um eine Aufrechterhaltung des Anwerberstopps, eine Einschränkung des Familiennachzugs und eine Förderung der Rückkehrbereitschaft. Auch die vierte Phase war demnach geprägt von einer Migrationspolitik, die nicht beabsichtigt, angeworbene Zugewanderte zu integrieren oder gleich zu stellen. Vielmehr strebte man eine zeitnahe Auswanderung der Zuwanderer an (Butterwegge, 2011).

Am 1. Januar 1991 trat das neue Ausländerrecht in Kraft, sodass die fünfte Phase der Migration in Deutschland eingeleitet wurde. Die Politik verabschiedete damit ein Gesetz, dass einerseits die Rechte sowohl von Inländerinnen und Inländern mit ausländischem Pass als auch von Bürgerinnen und Bürgern der Zweiten Generation stärkte und andererseits Ausweisungsbefugnisse verschärfte (Butterwegge, 2011). Trotz neuem Ausländerrecht hielt die Politik weiterhin die Fiktion aufrecht, Deutschland sei kein Einwanderungsland. In Folge der Wiedervereinigung wurde die Lage für überwiegend aus Vietnam stammende Vertragsarbeiterinnen und -arbeiter in den neuen Bundesländern unsicher, sodass diese in ihr Heimatland zurückkehrten. In den alten Bundesländern bestanden weiterhin große Diskrepanzen zwischen dem teilweisen langen Aufenthalt der angeworbenen Bürgerinnen und Bürgern und ihren zugezogenen Familienmitgliedern und deren unsicherem Aufenthaltsstatus. Auch Kinder der Zweiten Generation hatten aufgrund des bis dato bestehenden Abstammungsprinzips bei der Vergabe der Staatsbürgerschaft kein Anrecht auf einen deutschen Pass, was ihre Aufenthaltssituation trotz Geburt in Deutschland gefährdete (Butterwegge, 2011).

Dass selbst 45 Jahre nach Einleitung der ersten Migrationsphase in Deutschland immer noch davon gesprochen wurde, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei (BMFSFJ, 2000; zitiert nach Butterwegge, 2011; do Mar Castro & Mecheril, 2010), kennzeichnete die damalige Integrationspoltik in Deutschland.

Anders als angeworbene Zugewanderte waren (Spät-) Aussiedlerinnen und (Spät-) Aussiedler ihren deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürgern von Anfang rechtlich und politisch gleichgestellt (Butterwegge, 2011). Grundlage dafür ist ihre Abstammung von deutschen Staatsangehörigen, die vor 1945 in ostdeutsche Gebiete in Folge von Krieg und Vertreibung ausgewandert waren. Berufen wurde sich dafür auf Art. 116 des Grundgesetzes und das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz aus dem Jahre 1993 (Butterwegge, 2011). Bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts zogen rund 4,5 Millionen Spätaussiedler und Spätaussiedlerinnen nach Deutschland. Der Höhepunkt der Spätaussiedlung wurde im Jahre 1990 aufgrund des Berliner Mauerfalls erreicht. Zuvor war die Aussiedlerpolitik von Offenheit geprägt, was sich beispielsweise in Integrationsförderung und kostenlosen Sprachkursen widerspiegelte. Mit der Steigerung der Aussiedlermigration wuchsen jedoch Probleme und es traten vermehrt Konflikte auf, die die Politik dazu bewegten, Gesetze zu verabschieden, die die Zuwanderung begrenzen sollten (Treibel, 2003; zitiert nach Butterwegge, 2011). Ein Mittel, um den Zuzug zu begrenzen, war beispielsweise die 1996 eingeführte Nachweispflicht für deutsche Sprachkenntnisse oder die 1998 eigenführte Obergrenze von jährlich 100.000 Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern. Die zuvor von der übrigen Migrationspolitik getrennte Aussiedlerpolitik wurde außerdem zu einem Teil der gesamten Migrations- und Integrationspolitik (Butterwegge, 2011).

Die Flucht- und Asylpolitik beschreibt ein weiteres Teilgebiet der Migrationspolitik in Deutschland. Während in den 70er Jahren diesem Teilgebiet wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, nahm es Anfang der 90er Jahre aufgrund des Zerfalls der Sowjetunion und Jugoslawiens an Bedeutung zu. Die Zahl der Asylsuchenden stieg 1992 erstmals auf 438.000, was in der Geschichte der Bundesrepublik bis zum Jahre 2015 die höchste Zahl an Asylsuchenden war. Mit Beschluss des Asylkompromisses 1993 sank die Zahl des Asylsuchenden in den darauffolgenden Jahren vehement. Grund für den Asylkompromiss waren die hohe Zahl an Geflüchteten und Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern einerseits und die Zunahme an rassistischen Gewalttaten andererseits. Wegen letzterem rückte das Thema Migration immer mehr in die Öffentlichkeit und wurde von der Gesellschaft als ein Themenbereich wahrgenommen, für den die Politik keine zufriedenstellende Lösung hatte. Der Asylkompromiss schränkte die Möglichkeit für Asylsuchende, legal nach Deutschland einzuwandern, so sehr ein, dass „Zuzugs- und Antragszahlen massiv einbrachen“ (Butterwegge, 2011, S. 23). Bis zum Jahr 2008 nahmen die jährlichen Asylanträge weiter ab. Im Zuge des Arabischen Frühlings und den daraus resultierenden Bürgerkriegen und Unruhen in den arabischen Ländern stieg die Zahl der Asylsuchenden seit dem Jahr 2009 wieder an und überstieg im Jahr 2015 erstmals das Rekordhoch aus dem Jahr 1992. Im Jahr 2016 stieg die Zahl der Asylanträge auf über 745.000, was der höchste Wert seit Bestehen der Bundesrepublik ist (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 2018). Die Politik reagierte auf diese in kurzer Zeit stark ansteigende Anzahl an Asylsuchenden und die damit einhergehende Überforderungen vieler Behörden und der Gesellschaft mit Gesetzesreformen. Am 24.10.2015 trat das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz in Kraft, was auch als Asylpaket I bekannt ist. Es erneuerte das bis dahin bestehende Asylgesetz in wesentlichen Bestandteilen. So wurde beispielsweise die Liste der sicheren Herkunftsländer durch die Länder Albanien, Kosovo und Montenegro erweitert. Außerdem verpflichtete das Gesetz zu einer längeren Aufenthaltsdauer in Aufnahmeeinrichtungen und damit verbunden ein weitreichenderes Arbeitsverbot für Asylsuchende während der Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen. Doch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz sah neben einschränkenden Maßnahmen für Personen aus so genannten sicheren Herkunftsländern auch erste Maßnahmen zur Förderung der Integration von Asylbewerbern, „bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist“ (§ 44 Abs. 4 AufenthG; zitiert nach Kalkmann, 2015, S. 366). So werden beispielsweise kostenfreie Integrations- und Sprachkurse in Hinblick auf die „berufsbezogene Sprachförderung“ (Kalkmann, 2015, S. 366) angeboten. Die Integrationskurse bezogen sich allerdings nur auf die Personen, „die aus Ländern mit hohen Schutzquoten kommen „oder bei denen eine belastbare Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag besteht““ (§ 44 Abs. 4 AufenthG; zitiert nach Kalkmann, 2015, S. 366). Personen, auf die dies nicht zutrifft sind von diesen Integrationsmaßnahmen ausgeschlossen. Im weiteren Verlauf entwickelte sich die so genannte Flüchtlingskrise als gesamteuropäisches Problem, weil die Mitgliedstaaten sich bezüglich einer Verteilung der Flüchtlinge nicht einigen konnten. „Getrieben durch die Entwicklung der Flüchtlingszahlen, der fehlenden europäischen Einigung in der Frage der Verteilung und nicht zuletzt durch die Verschiebung in der öffentlichen Meinung“ (Schwarze-Müller, 2016, S. 5) bezüglich Asylsuchender und Flüchtlinge, trat am 11.3.2016 das Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern in Kraft (Schwarze-Müller, 2016). Weitere Gesetzeseinführungen und -änderungen folgten, was letztendlich bewirkte, dass die Zahl der Asylsuchenden trotz nicht endenden Bürgerkriegen in den Herkunftsländern stark sank. So wurden im Jahr 2017 nur noch gut 220.000 Anträge gestellt. Bis Juli 2018 waren es nur noch halb so viele (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 2018).

Auch wenn die Politik in den vergangenen 63 Jahren keine adäquaten Migrations- und Integrationsmaßnahmen vorangebracht hat, so ist Migration doch seither ein Faktor, der das Zusammenleben der Gesellschaft in Deutschland beeinflusst und bestimmt (Butterwegge, 2011; do Mar Castro & Mecheril, 2010). Im folgenden Kapitel soll diesbezüglich zusammengefasst werden, wie sich die Migrationspädagogik seit 1955 entwickelte.

2.2. Pädagogischer Umgang mit Migration seit 1955

Auch die Soziale Arbeit hat in Bezug auf Umgang mit Migration einen bedeutsamen Paradigmenwechsel von einer Ausländersozialarbeit hin zu einer interkulturellen Sozialen Arbeit durchlaufen (Yildiz, 2011; do Mar Castro & Mecheril, 2010; Auernheimer G. , 2012). Auch die Entwicklung der Sozialen Arbeit kann in verschiedene Phasen eingeteilt werden, die sich an den Phasen der Migration in Deutschland (siehe Kapitel 2.1) orientieren.

Die erste Phase der Nachkriegsmigration beruht wie bereits beschrieben auf dem Anwerberabkommen mit den Ländern wie Italien, Spanien, Portugal, Griechenland oder der Türkei. Die Soziale Arbeit konzentrierte sich in dieser Phase primär auf die Bewältigung von Alltagsproblemen und die Beratung und Unterstützung bei der „sozialrechtlichen-sozialstrukturellen (Wieder-)Eingliederung der sogenannten Pioniermigranten sowohl im Gast- als auch im Heimatland“ (Yildiz, 2011, S. 34). Eingesetzt wurden in den Beratungsstellen vorwiegend Personen mit Migrationshintergrund oder -erfahrung und/oder mit bilingualen oder bikulturellen Kenntnissen. Die Sozialen Dienste wurden damals von drei großen Wohlfahrtsverbänden angeboten, die sich an Teilgruppen der Anwerberinnen und Anwerber richteten. So kümmerte sich der Caritasverband um Italiener, Spanier, Portugiesen und Jugoslawen, während das Diakonische Werk griechische Migranten und Migrantinnen betreute. Nachdem 1962 auch das Anwerberabkommen mit der Türkei geschlossen wurde, entstand mit der türk danış eine Beratungsstelle für türkische Zugewanderte (Yildiz, 2011; do Mar Castro & Mecheril, 2010; Auernheimer G. , 2012).

Während der zweiten Phase zwischen 1973 und 1979 wurde einerseits ein Anwerberstopp und andererseits der Familiennachzug eingeleitet (Yildiz, 2011). Für die Soziale Arbeit ging es nun weniger um die „wirtschaftlich-sozialrechtliche Eingliederung“ (Yildiz, 2011, S. 34) als vielmehr um die sozialräumliche Integration der so genannten Gastarbeiterfamilien. Innerhalb der Sozialen Dienste wurde schnell klar, dass die Migration der Anwerberinnen und Anwerber nicht von kurzer Dauer sein sollte, sondern dass vielmehr mit einer dauerhaften Bleibesituation gerechnet werden müsse. Nicht zuletzt wegen „dem Zusammenbruch der migrationsspezifischen Industriekultur und der beginnenden Familienniederlassung“ (Yildiz, 2011, S. 34) war eine Umstellung der Sozialen Arbeit für eine erfolgreiche Integration der Zugewanderten und eine Lösung der sich abzeichnenden Problemlagen auf dem Wohn- und Arbeitsmarkt und bei zugewanderten Frauen und Kindern unabdinglich (Yildiz, 2011). In diesem Zeitrahmen entwickelte sich die so genannte Ausländerpädagogik, die sich primär um die schulische Ausbildung von Kindern der Zugewanderten kümmerte. Für die sich entwickelnde Ausländerpädagogik und deren Defizitorientierung waren sowohl sozio-ökonomische als auch rechtlich-kulturelle Benachteiligungen von so genannten Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern und deren Kindern von zentraler Bedeutung, was besonders im schulpädagogischen Bereich zu sehen war. Betroffene Kinder und Jugendliche wurden durch Sprach- und Förderunterricht nur defizitorientiert vorwiegend durch kommunale Träger gefördert (Yildiz, 2011). Die Förderungen fanden zudem getarnt als Integrationsmaßnahme exkludierend statt, weswegen die damalige Ausländerpädagogik auch mit einer „Rassen- und Exotik-Pädagogik“ (Essinger, 1984, S. 245; zitiert nach Yildiz, 2011, S. 34) gleichgesetzt wurde. Im weiteren Verlauf der Entwicklung oritentierte sich das pädagogische Handeln der Sozialen Arbeit nach dem sich verfestigenden und instrumentalisierten Bild von „verstörten, ohnmächtigen Migrantinnen und Migranten mit sprachlich-kulturellen Defiziten“ (Yildiz, 2011, S. 35). Diesem Bild entsprechend konnte die Integration nur dann erfolgen, wenn alte Kulturmuster zuvor im Rahmen einer Assimilation abgelegt wurden. Durch das Zusammentreffen von Benachteiligungen bei Ausländerkindern sowohl im schulischen als auch im gesellschaftlichen Bereich konnten Sozialpädagogik und Soziale Arbeit nicht länger getrennt voneinander betrachtet werden. Vielmehr kam es zu einer Verschmelzung beider Aufgabenfelder, die nicht zuletzt auch von der damaligen Migrationspolitik verursacht wurde (siehe dazu Kapitel 2.1). Von Sozialen Diensten wurde einerseits gefordert durch die Politik verursachte Deifzite zu beheben und andererseits Klientinnen und Klienten in Bezug auf ihre Rechte vor der Politik und ihren Entscheidungen zu schützen. Die Aufgabenverteilung erfolgte dabei eher einseitig. So erfolgte die Ausbildung und Professionalisierung von Lehrern, Sozialpädagogen oder Sozialarbeitern im Bereich Migration nur gering (Yildiz, 2011; Auernheimer G. , 2012; do Mar Castro & Mecheril, 2010).

Im Zuge der Forderung nach offener Bekenntnis zum Status Einwanderungsland für die BRD wurde die dritte Phase der Migration eingeleitet, die jedoch eher weitere ausländerpolitische Beschlüsse wie Zuzugsbegrenzung oder Rückkehrförderung mit sich brachte, wodurch die Situation der durch die Sozialen Dienste begleitete Zugewanderten nicht vereinfacht wurde (Yildiz, 2011). Im Zusammenhang mit dieser Migrationspolitik und der defizitorientierten Migrationspädagogik ergab sich eine Differenzierung der ausländischen Bevölkerung, die für die Soziale Arbeit auch eine Differenzierung der Handlungsfelder und eine Veränderung der Handlungsperspektiven bedeutete. Klientinnen und Klienten mussten nur gezwungenermaßen konfliktorientiert betreut und „sowohl auf Verbleib als auch auf Rückkehr“ (Yildiz, 2011, S. 37) vorbereitet werden. Hamburger (1999) spricht von einer Krise der Ausländersozialarbeit, weil diese vorwiegend damit beschäftigt war „die Folgen der öffentlich dokumentierten Zuschreibung des Unerwünschtseins zu verarbeiten“ (Hamburger, 1999, S. 36; zitiert nach Yildiz, 2011, S. 37).

In den 1980er Jahren wurde die Forderung von Seiten der institutionellen Hilfesysteme nach einem Perspektivwechsel innerhalb der Sozialen Arbeit immer größer. Auch wenn die defizitorientierte Ausländerpädagogik noch bis Mitte der 1980er Jahre in der Sozialen Arbeit praktiziert wurde und Einzug in Berufsausbildungen fand, war doch eine Entwicklung zu erkennen (Yildiz, 2011).

Aus heutiger Sicht vollzog sich in den 1990er Jahren, in der vierten Phase der Migration, eine Entwicklung von einer Ausländerpädagogik zu einer interkulturellen Pädagogik und kann damit als „Wendepunkt von Migration und Integration“ (Yildiz, 2011, S. 37) beschrieben werden (Essinger, 1984; Auernheimer, 2007; zitiert nach Yildiz, 2011; do Mar Castro & Mecheril, 2010). Die interkulturelle Pädagogik setzt sich zusammen aus Erziehung, Bildung, Beratung und Sozialarbeit. Es werden in diesem Rahmen Konzepte verfolgt, die die „Tradition der Menschenrechtserziehung, Friedenserziehung, Demokratische Erziehung und Antirassistische Erziehung“ (Yildiz, 2011, S. 37) berücksichtigen. Im Zuge der Wiedervereinigung, der damit verbundenen verstärkten Migration auch von Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern und Geflüchteten und dem vermehrten Aufkommen von Gewalt gegenüber Zugewanderten war es für die Soziale Arbeit unumgänglich, auch die einheimische Gesellschaft in die bestehende Konflikt- und Problemlösung miteinzubeziehen. Es war klar, dass es für eine erfolgreiche Integration und ein harmonisches Miteinander nicht länger ausreichte, nur die Zugewanderten zu betreuen. Vielmehr musste sich auch mit Einheimischen beschäftigt und deren Vorurteile beseitigt werden, um ein multikulturelles Zusammenleben zu ermöglichen. Im Zentrum der interkulturellen Pädagogik steht daher auch die Anerkennung, die Begegnung und das Verstehen verschiedener Kulturen sowohl von Seiten der Zugewanderten als auch von Seiten der Einheimischen. Weiter ist für die interkulturelle Pädagogik auch der Perspektivwechsel hin zur Reflexion des Verhaltens von Seiten der Sozialarbeiter selbst bedeutend. Während es zu Zeiten der Ausländerpädagogik kaum Ausbildungs- oder Fortbildungsangebote für Pädagoginnen und Pädagogen im Bereich Migration gab, so fordert die interkulturelle Pädagogik die Förderung der interkulturellen Kompetenzen auch von Dienstleistenden. Um die Förderung der interkulturellen Kompetenz umzusetzen ist ein Wissen über fremde Kulturen nötig. Über fachlich-inhaltliche Kenntnisse hinaus, sollen auch „landeskundliche, fremdsprachliche und sozialkommunikative Fähigkeiten“ (Yildiz, 2011, S. 39) erworben werden. Ziel der Aneignung und Förderung von interkultureller Kompetenz ist die Überwindung der Defizitorientierung und der bloßen Toleranz von kulturellen Differenzen auf Seiten der Klientinnen und Klienten. Darüber hinaus geht es um die Akzeptanz von kulturellen Unterschieden und ihre Anerkennung als Bereicherung im Rahmen des Diversity-Managements (siehe dazu Kapitel 4) (Yildiz, 2011; Auernheimer G. , 2012). Integration wird nicht länger durch zuvor geleistete Assimilation bedingt, sondern bedeutet vielmehr ein Kontakt und eine Teilhabe an der anderen kulturellen Gruppe bei gleichzeitiger Beibehaltung der eigenen kulturellen Identität (Berry, 1997; zitiert nach Göbel & Buchwald, 2017).

Zu erwähnen bleibt noch, dass sich auch die interkulturelle Pädagogik in einem Entwicklungsprozess befindet. Seit dem Ende der 1990er Jahre fordern Kritiker eine Weiterentwicklung bzw. Absage der interkulturellen Pädagogik hin zu einer transkulturellen Pädagogik. Kritisiert werden beispielsweise „wissenschaftliche Unschärfe und disziplinäre Überladung“ (Yildiz, 2011, S. 40). Da sich diese Arbeit jedoch mit der interkulturellen Sozialen Arbeit befasst, wird hier auf den Bereich der transkulturellen Pädagogik nicht weiter eingegangen.

2.3. Zwischenfazit

63 Jahre ist es her, dass Deutschland eine der größten Migrationswellen mit den Gastarbeiterabkommen eingeleitet hat. Migration ist zwar schon lange ein Teil der deutschen Geschichte, doch 1955 wurde sie in Deutschland erstmals bewusst instrumentalisiert, um Arbeitermissstände auszugleichen und die deutsche Wirtschaft anzukurbeln (Schirilla N. , 2016; Butterwegge, 2011; do Mar Castro & Mecheril, 2010). Seitdem haben sich sowohl die Migrationspolitik als auch die Migrationspädagogik im Laufe der Zeit in eine interkulturelle Richtung entwickelt. Die Soziale Arbeit hat seit Beginn an einen bedeutenden Beitrag zum gelingenden Ankommen, Eingliedern und Zusammenleben von Zugewanderten und Einheimischen geleistet. Auch wenn die Migrationspolitik über einen langen Zeitraum das Bekenntnis zu einem Deutschland als Einwanderungsland abgelehnt hat, hat die Soziale Arbeit spätestens zum Zeitpunkt des Familiennachzuges von Gastarbeitern in den 1970er Jahren erkannt, dass viele Zugewanderte eine dauerhafte Bleibesituation anstreben und dazu eine intensive und aktive Integrationsförderung nötig ist. Während zwischen 1973 und 1990 die Soziale Arbeit und die Migrationspädagogik eher defizitorientiert arbeitete und eine Integration abhängig von einer assimilierten Herkunftskultur machte, fand vor ca. 30 Jahren ein Wandel in der Migrationspädagogik statt. Dieser Wandel bedeutete eine Distanzierung von defizitorientierten Förder- und Unterstützungsmaßnahmen und eine Annäherung an eine interkulturelle, akzeptierende und wertschätzende Handlungsperspektive. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Sozialen Arbeit im Rahmen der Migrationspädagogik eine bedeutende Rolle als Medium innerhalb der Gesellschaft aber auch zwischen Individuen und Politik zuteilwird. Was die Migrationspolitik lange Zeit versäumt hat, war die Anerkennung und die Wertschätzung von Migrantinnen und Migranten und die Begegnung mit ihnen auf Augenhöhe. Die Soziale Arbeit musste diese Versäumnisse und die damit entstandenen Probleme und Konflikte gezwungenermaßen bewältigen (Yildiz, 2011; do Mar Castro & Mecheril, 2010; Auernheimer G. , 2012).

[...]

Ende der Leseprobe aus 48 Seiten

Details

Titel
Interkulturelle Kompetenzen in der Sozialen Arbeit
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
48
Katalognummer
V494811
ISBN (eBook)
9783346008213
ISBN (Buch)
9783346008220
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Interkulturelle Kompetenzen, Interkulturell, Soziale Arbeit, Einwanderung, Migration, Migrationspolitik, Pädagogischer Umgang mit Migration, Dimensionen unnd Konzepte der professionellen Sozialen Arbeit, Sozial, soziale Dienste im interkulturellen Arbeitsfeld, interkulturelles Arbeitsfeld, Zugangsbarrieren, Arbeitsfeld Soziale Arbeit, Diversity, institutionelle Handlungsstrategien, Definition, Diversity-Theorie, Theorie, Diversity-Management, Management, Diversity-Konzept, Konzept, Interkulturelle Öffnung, Öffnung sozialer Institutionen, Fazit, Ausblick, Migrationsgeschehen, Vorurteile, Stereotypen, Diskriminierung
Arbeit zitieren
S. D. (Autor:in), 2018, Interkulturelle Kompetenzen in der Sozialen Arbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/494811

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