Die Pragmatik des Flirts. Wie funktioniert die intime Kontaktanbahnung wirklich?


Fachbuch, 2019

176 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Forschungsstand

3 Methode

4 Analyse
4.1 Attraktivität und Interesse
4.2 Grenzen
4.3 Demütigung und Gesichtsverlust
4.4 Indirektheit und Andeutung
4.5 Spiel – das folgenlose Testen von Grenzen
4.6 Ende des Flirts
4.7 Abbruch des Flirts
4.8 Flirt ohne Intentionen – fehlende „turning points“?

5 Kommentar zur Empirie und Generalisierbarkeit

6 Theoretische Einbettung
6.1 Struktur des Flirts
6.2 Probleme der Darstellung

7 Selbstreflexion

8 Schluss

Literaturverzeichnis

Anhang
Transkript: Interview
Transkript: Interview
Transkript: Interview
Transkript: Interview

1 Einleitung

Zur Einleitung einer soziologischen Arbeit zum Thema Flirt gehört es, zu erwähnen, dass dieses soziale Phänomen in der soziologischen Literatur ein Dasein als Fußnote inne hat, obwohl der Flirt im Alltag allgegenwärtig und beim Blick auf eine prallgefüllte Bar zu erwarten ist. Zugegebenermaßen ist das Phänomen Flirt schwer zugänglich für die qualitative Sozialforschung. Oder anders formuliert ist es als Forscher leichter, Menschen dabei zu beobachten, wie sie eine Fahrstuhlfahrt organisieren – und wie das funktioniert, kennen die meisten Soziologiestudenten der Universität Bielefeld – als sie beim Flirten zu beobachten. Der Forscher ist schlichtweg kein geeigneter Beobachter für solche Darstellungen, weil sich die (bald) Liebenden von ihrer Umwelt abschirmen und dies wird der Forscher bemerken, sobald er bemerkt wird. Wie kann nun dem Flirt nähergekommen werden? Ähnlich wie Heinz (2014) möchte ich Ansätze einer expliziten Soziologie des Flirts erarbeiten. Mein Vorhaben kann auch wegen einer vermeintlichen Selbstevidenz des Themas nur einen tentativ-explorativen Charakter haben. Jedoch weiche ich von Heinz‘ Vorgehen ab, sich mit dem Thema über sozialtheoretische und soziologiegeschichtliche Umwege zu befassen. In dieser Arbeit wird sich dem Thema empirisch, in Form von Interviews, genähert. Ausgehend von der Prämisse, dass kompetente Mitglieder der Gesellschaft ein hohes Maß an Situationsverständnis mitbringen, lassen sich Flirtsituationen so oder ähnlich rekonstruieren. Man könnte auch sagen, dass die Interviewten wie Romane behandelt werden, die Wissen über das Phänomen verraten. Dazu möchte ich episodische Interviews (nach Flick 2011) führen, um zum einen die semantische Bedeutung des Begriffs Flirt und episodisches Wissen, d.h. Erinnerungen an Situationen des Flirtens zu erarbeiten. Durch das Wissen der Interviewten, was ein Flirt ist (und was kein Flirt ist), lässt sich in phänomenologischer Tradition nach dem Sinn des Flirts fragen: Was macht den Flirt zu dem Erlebnis von etwas Bestimmten, damit zu etwas Unterscheidbarem (Vgl. Tyrell 1987: 570)? Und auch: Wie unterscheidet sich dieses Erlebnis zwischen Mann und Frau?

Die Arbeit ist grob in drei Abschnitte aufgeteilt. Im ersten Abschnitt wird das Interviewmaterial dargestellt und analysiert. Im zweiten und dritten Abschnitt wird das Interviewmaterial theoretisch eingebettet. Dazu wird die Struktur des Flirts nachgezeichnet und anschließend Probleme der Darstellung während des Flirts erarbeitet.

2 Forschungsstand

Es findet sich keine systematische Aufarbeitung des Flirtbegriffs in der deutsch- und englischsprachigen Literatur. Einzelne Aufsätze verweisen jedoch auf Teilaspekte des Flirts. Tavory (2009) beschreibt den Flirt als eine ambivalente Schwelle zwischen nicht-sexualisierten und sexualisierten Rollen, die sich dadurch auszeichnet, dass die Struktur der Zukunft die Gegenwart mit Möglichkeiten färbt und die Verwirklichung von jeglichen Möglichkeiten vermieden wird1, Heinz (2014) fokussiert sich auf den Entlastungscharakter des Flirts von Intimkommunikation und die Möglichkeit Intimität in der Öffentlichkeit herzustellen. Kulick (2003) verweist auf die geschlechtsspezifischen Schwierigkeiten von Affirmation und Negation in Kontaktanbahnung. Kieserling (1999) hebt die Bedeutung der indirekten Kommunikation und Initiative in der Kontaktanbahnung hervor. Luhmann (1982) macht auf die Inkommunikabilität aufmerksam, die für den Flirt so verstanden werden kann, dass Komplimente im Flirt der Überprüfung von Authentizität unterliegen und dieser Prüfung in den meisten Fällen nicht gewachsen sein werden und Wöhrle (2014) grenzt den Flirt, dessen Strukturprinzip mit der „Unbestimmbarkeit der Situation“ benannt wird und der sich dadurch zufalls- und vor allem situationssensibel macht, von der „Anmache“, die indifferent gegenüber Zufällen und Situationen auftritt, ab.

Etwas Ähnliches wie den Flirt oder eine Vorform des Flirts findet sich in Simmels Begriff der „Koketterie“ (Simmel 1917). Damit ist die Möglichkeit gemeint, dass Frauen und Männer Formen der Erotik über Andeutungen darstellbar machen können. Jedoch schrieb Simmel über die Koketterie in einer Zeit, in der gleichermaßen für Männer und Frauen von Beginn an deutlich war, dass die Koketterie nicht zum Sex führen würde. Ja, die Koketterie war gewissermaßen die Möglichkeit Formen der Erotik darstellen zu können, weil der sexuelle Kontakt eingeschränkt war. In der „Macht der Entscheidung“ (Simmel 1909), das heißt der Bestimmung des Anfangs und des Endes des Spiels, sah Simmel jedoch nur einen Ersatz für real fehlende Möglichkeiten der Selbstbestimmung für Frauen. Koketterie war nur ein Spiel mit der geschlechtlichen Macht im Zuge des Aufkommens von emanzipatorischen Gedanken.

Insgesamt finden sich viele Begriffe aus der Interaktionssoziologie, die sich auf den Flirt beziehen lassen, weil der Flirt in der Regel in der Öffentlichkeit und mit Unbekannten stattfindet. Zu solchen Begriffen gehören vor allem die Arbeiten Goffmans zum Thema Takt, Kommunikation außerhalb der Rolle, Gesichtswahrung und Modulation (Vgl. Kapitel 6.3, 6.4, 6.5 und 6.7), die in dieser Arbeit diskutiert werden. Solche Begriffe sind nicht exklusiv für den Flirt reserviert, sondern lassen sich vielfältig für Situationen in der Öffentlichkeit einsetzen.

3 Methode

In diesem Kapitel möchte ich das episodische Interview als Methode vorstellen und erläutern, wieso es zur Forschungsfrage passt, um sich dem sozialen Phänomen des Flirts zu nähern. Außerdem werde ich meine Herangehensweise für meinen Leitfaden erläutern.

Im episodischen Interview wird zwischen semantischem und episodischem Wissen unterschieden. Episodisches Wissen besteht aus Erinnerungen an Situationen und semantisches Wissen ist um Begriffe und ihre Beziehungen untereinander herum aufgebaut. Das Erstere ist über Erzählanstöße und Erzählungen zu erheben und das Zweite über Fragen und Antworten. Semantisches Wissen entwickelt sich teilweise aus den im episodischen Wissen enthaltenen Erfahrungen (Vgl. Flick 2011: 273). Was ein Flirt beispielsweise ist, entwickelt sich aus mehreren Erfahrungen mit dem Flirt oder aus flirtähnlichen Situationen. Hinzu kommt das semantische Wissen über gelungene oder misslungene Flirts, das sich genauso aus vorherigen Erfahrungen konstituiert. Das semantische und das episodische Wissen sind relevant für diese Masterarbeit. Zum einen muss geklärt werden, was Flirt für die Interviewten bedeutet, weil wenige wissenschaftliche Definitionen dieses sozialen Phänomens existieren und der Fokus häufig auf Annäherungsversuchen liegt. Ziel ist es unter anderem herauszufinden, ob sich das Verständnis von Flirt in offen gestellten Fragen auf Annäherungsversuche beschränkt oder die Interviewten weitere mögliche und vielleicht sogar konträre Beschreibungen dieses sozialen Phänomens liefern können. Das episodische Wissen ist besonders relevant, um Unterschiede des gleichen Phänomens in unterschiedlichen Kontexten (Flirt mit Unbekannten; Flirt innerhalb einer Paarbeziehung) herauszuarbeiten oder den Umgang mit Schwierigkeiten dieses Kommunikationstyps empirisch greifbar zu machen.

Um den Interviewpartner mit der Interviewform in Bezug auf das Thema der jeweiligen Studie vertraut zu machen, wird zunächst das Grundprinzip des episodischen Interviews einführend erläutert (z.B.: „Im Folgenden werde ich Dich immer wieder bitten, mir Situationen zu erzählen, die mit dem Thema „Krankheit“ – mit Deiner eigenen, aber auch mit Krankheit ganz allgemein – zu tun haben.“) (Flick 2011: 274). In das episodische Interview wird in der Regel durch eine Verständnisfrage zu dem Untersuchungsgegenstand eingestiegen (Vgl. Flick 2011: 274). So wird in meiner Forschung zu Anfang geklärt, was für den Interviewten ein Flirt ist.

Uwe Flick empfiehlt Untersuchungen zu wählen, „die auf Wissen, Erfahrungen und Veränderungen aus der Sicht der Befragten abzielen, ohne jedoch einen eindeutigen und ausschließlichen Fokus auf biographische Prozesse zu legen“ (Flick 2011: 278). Das Thema „Flirt“ eignet sich meines Erachtens hervorragend, um Wissen, Erfahrungen und Veränderungen aus Sicht der Befragten zu generieren. Zum einen ist das Phänomen Flirt so flüchtig, dass nicht immer deutlich sein kann (und darf!), wann ein Flirt beginnt und wann er aufhört. Das Wissen über den Flirt setzt Erfahrungen mit dem Flirt voraus, die sich über die Zeit verändert haben. So wie La Rochefoucauld über die Liebe gesagt hat, „es gibt Menschen, die sich nie verlieben würden, wenn sie nicht Gespräche über die Liebe gehört hätten“, muss auch für den Flirt gelten:

„Es gibt Menschen, die nie flirten würden oder den Flirt als Flirt verstehen würden, wenn sie nicht Gespräche über den Flirt gehört hätten“.

Uwe Flick schreibt außerdem zum Schluss, dass nicht in jedem Fall zu allen Bereichen Erzählungen zu konkreten Situationen stimuliert werden können. Häufig werden Situationen nur genannt und nicht ausführlich erzählt oder es werden regelmäßig wiederkehrende Situationen geschildert. Es würden auch Beispiele geschildert werden, die nicht auf selbst erlebte Situationen bezogen sind (Vgl. Flick 2011: 278 f.). Das Problem des Flirts könnte gerade in seiner Einübung liegen. Nicht jeder ist bewandert im Flirten beziehungsweise in der indirekten Sprache und der Deutung2 dieser. Es braucht Erfahrung, um das „Lesen zwischen den Zeilen“ zu ermöglichen. Auch Ratgeber versuchen, dem Problem der Deutung von Flirts näher zu kommen3 und zeigen auf, dass Unsicherheit in Bezug auf den Flirt existiert. Aufgrund der Unsicherheit in Bezug auf das Thema könnten Bezüge zu Filmen oder Flirts von Freunden gemacht werden. Jede Erkenntnis sagt jedoch etwas über den Forschungsgegenstand aus und wird in die Analyse mitaufgenommen.

Das episodische Interview stellt eine Mischung aus dem Leitfadeninterview und dem narrativen Interview dar (Vgl. Helfferrich 2009: 107). Diese Methode ist als Mischung dieser beiden Interviewtypen insofern passend, weil viele kurze Erzählungen hintereinander entstehen können. Das Erfragen von selbst erlebten Situationen eignet sich zu meiner Forschungsfrage, die darauf abzielt, viele Erzählungen zum Flirt in unterschiedlichen Kontexten zu generieren. Wie eingangs erwähnt, fällt es dem Forscher schwer, ein soziales Phänomen, das so flüchtig ist wie der Flirt, mit einem Aufnahmegerät oder einer Videokamera einzufangen. Es ist gerade die Leistung des Flirts, sich den Augen und Ohren Dritter zu entziehen, um Intimität in der Öffentlichkeit zu konstituieren (Vgl. Heinz 2014: 56). So läuft der Forscher Gefahr, einem Katz und Maus Spiel zu erliegen, in dem die Katze die Maus verliert, sobald sie diese fängt.

Innerhalb des episodischen Interviews sind Erzählstimuli, Aufrechterhaltungsfragen, Bitten um Detailierung und Einführungen neuer Themen zulässig (Vgl. Helfferich 2009: 107).

Erzählstimuli werden jeweils am Anfang der jeweiligen Episoden gesetzt und sind eigentlich keine Fragen, sondern Aufforderungen (Vgl. Helfferich 2009: 102). Die Aufforderung hat meist die Form: „Erzählen Sie (doch/einmal), wie …“. Es folgt eine Gegenstandsbestimmung, die erstens konkret genug ist, um verstanden zu werden und zweitens offen genug ist, um eine längere Erzählung zu erzeugen (Helfferich 2009: 102).

Aufrechterhaltungsfragen haben die Funktion, eine Erzählung aufrecht zu erhalten. Sie lassen sich in Fragen, die in der Situation bleiben (z.B. „Wie war das für Sie?“) und in die, die den Erzählgang vorantreiben (z.B. „Wie ging das dann weiter?“) differenzieren. Diese Art von Fragen sind inhaltsleer (Vgl. Helfferich 2009: 104).

Bitten um Detailierung sollen bestimmte Sachverhalte aufgreifen und noch einmal zur Thematisierung gebracht werden (z.B. „Können Sie … noch einmal ein wenig ausführlicher beschreiben?“, „Können Sie ein Beispiel für … nennen?“). Diese Fragen bringen keine externen Themen ein und sollten sie inhaltsleer sein, können sie auch als Aufrechterhaltungs-fragen bezeichnet werden. Sollten sie inhaltliche Aspekte herausgreifen, fokussieren diese Art von Fragen das Interview (Vgl. Helfferich 2009: 105).

Einführungen neuer Themen bringen neue Aspekte ein, die vorher nicht genannt wurden und die dem Relevanzsystem der Interviewenden entspringen (z.B. „Spielt das … eine Rolle?“). Bei dieser Art von Fragen liegt eine deutliche Steuerung vor, indem Themen, die für den Forschenden wichtig sind, ausdrücklich an die Erzählpersonen herangetragen werden, auch wenn sie für diese nicht relevant erscheinen (Vgl. Helfferich 2009: 105).

Für die Erstellung eines Leitfadens für das episodische Interview ging ich nach dem SPSS-Prinzip vor, „um das Grundprinzip der Offenheit zu wahren und dennoch die für das Forschungsinteresse notwendige Strukturierung vorzugeben. […] Hinter dem Kürzel „SPSS“ stehen die vier Schritte ‚Sammeln‘, ‚Prüfen‘, ‚Sortieren‘ und ‚Subsumieren‘“ (Helfferich 2009: 182). Mit ‚Sammeln‘ ist gemeint, dass „zunächst alle Fragen gesammelt [werden], die im Zusammenhang mit dem Forschungsgegenstand von Interesse sind“ (Vgl. Helfferich 2009: 182). Mit ‚Prüfen‘ ist gemeint, dass die Liste an gesammelten Fragen reduziert und strukturiert wird. Faktenfragen und Fragen nach Informationen, die „einsilbig“ geliefert werden können, werden eliminiert. Die Fragen werden auch dahingehend überprüft, ob sie subjektive Sichtweisen hervorbringen, offene Antworten und Erzählungen erzeugen und ob sie für die Erzählpersonen erzählbar und erzählwürdig sind. Daraufhin werden die Fragen geprüft, ob sie etwas Neues produzieren, von dem der Forscher noch nicht weiß, was es ist, und nicht die Hypothesen des Forschers reproduzieren (Vgl. Helfferich 2009: 182 f.). Mit ‚Sortieren‘ ist gemeint, dass die Fragen nach zeitlichen Abfolgen, nach Forschungsinteresse oder nach inhaltlichen Aspekten sortiert und in ein bis vier Bündel zusammengefasst werden (Vgl. Helfferich 2009: 185). Im Letzten Schritt, dem ‚Subsumieren‘, werden möglichst einfache Erzählaufforderungen gesucht, „unter die die Einzelaspekte ‚subsumiert‘ werden können. Zu prüfen ist: Eignet sich die gewählte Formulierung dazu, eine Erzählung zu evozieren, in der möglichst viele der interessierenden Aspekte von allein angesprochen werden?“ (Helfferich 2009: 185).

Helfferich empfiehlt nach der Bündelung der Fragen und der Subsumierung eines Bündels, die übrigen Fragen mit der Abschlussfrage am Ende des Leitfadens zu platzieren. Am Ende stört ein stärkerer Abfragecharakter das Interview nicht mehr (Vgl. Helfferich 2009: 187).

4 Analyse

4.1 Attraktivität und Interesse

Während der Analyse werden jeweils Interviews von Männern (P1 und P2) und anschließend Interviews von Frauen (P3 und P5) vorgestellt. Die Analyse beginnt mit der Motivation, einen Erstkontakt mit einer Person zu wagen: Der Attraktivität und dem Interesse an der anderen Person.

P1: Also Flirt geht oft für mich einher mit einer neuen Person, die ich gerad erst kennenlerne. Und wo sich diese Spannungsgefühl, also dieses, also ich muss nochmal zurück, dieses, das ist Interesse, es ist Interesse da, sonst würde eh keine Flirt Situation geschehen, es muss beidseitiges Interesse da sein, sonst ist diese spielerische Kommunikation, die im Flirt stattfindet, ja gar nicht möglich […]

Flirt wird in diesem Interview als Erstkontakt mit einer noch unbekannten neuen Person beschrieben. Zusätzlich nennt P1 beidseitiges Interesse als Bedingung für „spielerische Kommunikation, die während des Flirts stattfindet“. Weiterhin wird die Unsicherheit über gegenseitiges Interesse als Spannungsgefühl erlebt.

P2: Ja, […], so die Anbahnung von Beziehungen, wie auch immer die gestaltet sein mögen, ob jetzt kurzfristig oder langfristig zwischen Mann und Frau. Ich verbind damit auch, was ziemlich spontanes, also es ist eher irgendwas, was sich halt irgendwie so zufällig ergibt, so nichts was ich wirklich irgendwie so planen würde, sondern halt irgendwas was, ja, was plötzlich dann irgendwie in der Interaktion auftaucht und signalisiert, dass man irgendwie Interesse hat, gegenseitig

P2 beschreibt den Flirt als Anbahnung von Beziehungen und fügt außerdem hinzu, dass der Flirt spontan „in der Interaktion auftaucht“ und nicht von ihm geplant werden würde. Zusätzlich signalisiert der Flirt, dass „irgendwie Interesse“ vorhanden ist. Interessant ist die Formulierung „irgendwie“, die für die Vagheit der Mitteilung stehen könnte. Flirt ist demnach als ein spontanes Phänomen, das vages Interesse signalisiert, um Beziehungen anzubahnen, zu verstehen.

P2: Aufmerksamkeit, also erstens die Voraussetzung, […] Ansonsten habe ich’s halt auch nicht bemerkt, so, wahrscheinlich, und dass man einfach überdurchschnittlich viel Aufmerksamkeit bekommt, so mehr als so, kann auch bestimmt missinterpretiert werden, dass einfach jemand dir Aufmerksamkeit schenkt, aus irgendwelchen anderen Gründen, oder so, oder zumindest war das so für mich okay. Will die was von mir? Ist ja auch so ne, ist ja auch so ne, so das bringt das Ganze gut auf ne Phrase so ne, also irgendwas, warum Aufmerksamkeit, weil so […]

P2 bemerkt den Flirt daran, dass ihm „überdurchschnittlich viel Aufmerksamkeit“ entgegengebracht wird. Dies lässt P2 vermuten, dass die andere Person „was von ihm will“. P2 erklärt auch, dass die „überdurchschnittliche Aufmerksamkeit“ missverstanden werden kann. Die überdurchschnittliche Aufmerksamkeit könnte zum einen auch in anderen Kommunikationsformen Verwendung finden und zum anderen könnte die Möglichkeit des Missverständnisses als ein Rückzugsort für den Verstehenden fungieren. Flirt hat somit mit signalisiertem Interesse, das nicht eindeutig kommuniziert wird, zu tun, dem ein Spannungsgefühl einhergeht.

P2: Ja eben nicht ne, also, das sind eher dann, eher Intentionen, die man nicht zuordnen kann, wenn die von einem weiblichen Gegenüber kommen, dann ist man geneigt zu glauben, dass sie Interesse an dir hat, auch wenn sie vielleicht ihre Motive verdeckt hält und du die nicht kennst, also klar, wenn jetzt irgendwer auf dich zukommt und dich anspricht und du weißt, ja okay, es liegt daran, dass wir zusammen arbeiten, also, dann ist es ja kein Flirt, aber wenn jemand kommt und irgendwie, es ist halt dann Spannend, wenn es Vorwände gibt ne, es ist ja auch oft so, hast du ne Zigarette? Oder irgendwie, weiß ich nicht, ey weißt du wo der nächste Sparkassenautomat ist oder so ((schmunzeln)) was wahrscheinlich nicht so gut funktioniert

In dieser Beschreibung wird die Nichteindeutigkeit der Kommunikation betont. Das Interesse einer anderen Person an der eigenen Person scheint nicht erfragbar zu sein und deshalb über Andeutungen und Interpretation der Andeutungen bearbeitbar gemacht zu werden. Das „weibliche Gegenüber“ hält ihre Motive verdeckt und P2 kann nur erahnen, dass Interesse von der anderen Seite besteht.

Ein neuer Aspekt des Flirts in dieser Narration ist der Vorwand. P2 führt das Beispiel an, dass nach einer Zigarette gefragt wird und der Begriff des Vorwands suggeriert, dass das Interesse entweder an der gefragten Person oder an der Sache liegen kann.4 Das könnte auch ein Beispiel für verdeckte Motive sein, weil zu jedem Zeitpunkt auf die Sache, sprich die Zigarette, referiert werden kann, ohne Motive preiszugeben.5 Nicht jedes Thema scheint außerdem als Vorwand zu funktionieren. P2 bewertet beispielsweise die Frage nach dem nächstgelegenen Sparkassenautomaten als weniger hilfreich für den Flirt. Zum einen könnte die Frage nach der Zigarette eine institutionalisierte Form der Mitteilung von Interesse an der Person sein und zum anderen könnte der Gegenstand selbst flirtive Kommunikation begünstigen.6

Des Weiteren gibt P2 an, dass in bestimmten Kontexten die Interpretation von Motiven schwerfällt. Der Verdacht, dass das Ansprechen auf der Arbeit wegen der Arbeit geschieht, scheint sehr naheliegend zu sein. Oder anders formuliert muss auf der Arbeit das Interesse anders signalisiert werden als in der Öffentlichkeit beim Erfragen einer Zigarette oder eines Feuerzeugs mit Unbekannten. Unabhängig von den Beispielen von P2 scheinen Kontexte (Arbeit, Freizeit, etc.) und Gesprächsinhalte (Frage nach Zigarette oder Sparkassenautomat) zu existieren, die sich tendenziell für den Flirt eignen und welche, die den Flirt tendenziell verhindern. Die Eignung der Kontexte und Gesprächsinhalte bemisst sich danach, ob dem Gegenüber über Andeutungen deutlich wird, dass Interesse an der Person besteht.

P2: Aber sobald man entdeckt, dass es entweder keinen, kein, kein sichtbaren, kein sichtbares Ziel gibt oder aber man merkt, dass das was vorgeschoben wird, wirklich vorgeschoben wird, weil es eigentlich gar nicht das ist, was sie interessieren könnte, dann kann ich davon ausgehen, dass Aufmerksamkeit besteht

P2 fügt weiterhin hinzu, dass sobald Vorwände offensichtlich werden, das heißt, kein sichtbares Ziel verfolgt wird, er die Aufmerksamkeit auf sich als Person bezieht. In dieser Beschreibung scheint ein Vorwand wichtig zu sein, der als Vorwand leicht enttarnt werden kann. Im Flirt geht es nicht um die Geheimhaltung des Interesses, sondern um die Mitteilung von Interesse ohne explizit zu werden. Oder anders formuliert wird beim Fragen nach einer Zigarette mit einer Deutlichkeit nur so-getan (dazu Kapitel 6.2.4), als würde nach einer Zigarette gefragt werden, dass das Gegenüber zumindest ins Nachdenken über den Sinn des Fragens nach der Zigarette kommt und an der gezeigten Darstellung erste Zweifel entwickelt.

Außerdem geht aus dieser Beschreibung hervor, dass P2 zu beobachten versucht, ob ein „wirkliches“ Ziel existiert oder ein Thema „nur“ vorgeschoben ist. Es scheint für P2 wichtig zu sein, Interesse zu suchen und zu erkennen. Beim Gegenüber scheint wiederum das Signalisieren von Interesse ohne eindeutig zu werden, bestimmte Funktionen zu erfüllen. Ansonsten könnte das Gegenüber P2 auch über ihr Interesse und Desinteresse informieren und P2 müsste nicht „suchen“.7

P3: Also wenn man, wenn man mit jemanden flirtet, dann findet man die Person ja gutaussehend und vielleicht hofft man in gewissen Maßen, dass man irgendwo zu der passt, oder so, sonst würde man ja nicht anfangen zu flirten, also jedenfalls vielleicht objektiv dazu passt, also subjektiv würde dann man ja eher wieder in einem Gespräch herausfinden, aber objektiv müsste man halt schon so sagen, okay das passt irgendwo, der sieht nett aus, ja […]

In der Beschreibung von P3 taucht der Begriff Attraktivität („gutaussehend“) auf und es wird zwischen Beobachtung von Attraktivität und dem Eindruck im Gespräch unterschieden. Es wird gewissermaßen zwischen einem Eindruck „auf Distanz“ und einem Eindruck „in der Nähe“ differenziert. Bei beiden Beobachtungen wird stets mitreflektiert, ob eine mögliche Passung mit dieser Person besteht („dass man irgendwo zu der passt, oder so, sonst würde man ja nicht anfangen zu flirten“). Die Attraktivität auf Distanz scheint die anfängliche Motivation darzustellen, weitere Beobachtungen über die Passung „in einem Gespräch“ zu ermöglichen. Das Kennenlernen scheint etappenförmig abzulaufen (dazu Kapitel 4.2 und 6.1.2). Das Aussehen ist in der Regel die allererste Information, die von einer unbekannten Person erfahrbar ist, und damit die erste Etappe, in der ausgehandelt wird, ob weiteres Engagement gezeigt wird.8

P3: Die kennt man ja noch gar nicht, man, man will ja, man spricht ja ne Person in nem Flirt, um sie vielleicht irgendwann kennenzulernen, um so’n ersten Kontakt aufzubauen, und ich glaube, oder ich, ich bezweifle, ob das auf die Dauer, also ob ein längerer Flirt funktionieren würde, wenn die beiden Personen nicht dasselbe Interesse haben, von einer Gleichberechtigung sozusagen, also wenn der eine Interesse hat, der andere aber gar nicht, dann würde so ein Flirt gar nicht entstanden haben […]

P3 beschreibt den Flirt, wie auch P1, als ein Erstkontaktgespräch. Das längerfristige Funktionieren dieser Kommunikationsform verknüpft P3 mit der Bedingung des ähnlichen Interesses und einem gegenseitigen Interesse an der anderen Person. Anzeichen des Desinteresses, seien sie absichtlich oder unabsichtlich, könnten sich somit destruktiv auf die flirtive Kommunikation auswirken und zu einem Abbruch des Kontakts führen.

P3: Also ich denke teilweise war das eben so, dass mir die Männer dann zugelächelt haben, dass sie in meiner, meiner Gegenwart waren oder mich irgendwie so, angefasst haben, im Sinne so, am, am Arm mal oder hey wie ist das? Also irgendwie so körperlichen Kontakt gesucht haben, dass sie viel gelacht haben, sich irgendwie sehr für mich in dem Moment interessiert haben und da kam dann irgendwie so ne Art Stimmung auf, so ne Art Flirtstimmung eben, so’n, sowas zwischenmenschliches, so ne Art zwischenmenschliches Verhältnis, Relation, wie auch immer, dass man irgendwie so das Gefühl hatte, man ist in einem Flirt, aber da wäre man halt auch eben wieder bei dieser Tatsache, dass es sehr subjektiv ist, also das, was ich vielleicht als ne Art Flirt verstehe, das kann von einer anderen Person auch einfach nur ganz normal freundschaftlich nett gewesen sein oder so, oder zuvorkommend, weil er, keine Ahnung, vorher was über meine Klamotten geschüttet hat oder so, ich weiß es nicht, solche Sachen eben

Auch P3 spricht das Missverständnis über das wahrgenommene Interesse an der eigenen Person an. Zum einen wird Zulächeln, viel Lachen, Körperkontakt zum Beispiel am Arm und das generelle in der Gegenwart von P3 sein als Anzeichen für Flirt beschrieben. Dies lässt eine „Flirtstimmung“ aufkommen. Zum anderen beschreibt P3 diese Anzeichen jedoch mit einer gewissen Ambiguität. Die andere Person könnte diese Gesten „auch ganz einfach nur ganz normal freundschaftlich nett“ gemeint haben. Es scheint, dass Flirt ähnliche kommunikative Praktiken mit bestimmten freundschaftlichen Gesten teilt. Auch gute Freunde können viel gemeinsam lachen, keinen Körperkontakt scheuen und in der Regel in gegenseitiger Anwesenheit sein. Im Fall von Flirt, was in der Regel als Erstkontaktgespräch mit Unbekannten beschrieben wurde, werden diese Gesten mit zunächst Unbekannten verwendet. Aufgrund der weitgehenden Unbekanntheit der Anwesenden müssen den Gesten des Anderen dennoch Mitteilungsabsichten zugeschrieben werden. Und den von P3 beschriebenen Fällen wird diesen Gesten beispielsweise das Motiv der Annäherung oder allgemein des Flirts zugeschrieben. Die erhöhte Beobachtung und Interpretation solcher Gesten könnte nicht nur mit der Unsicherheit über die Interpretation der erzeugten Nähe (Lachen, Körperkontakt) durch Unbekannte begründet werden. Die erhöhte Beobachtung und Interpretation könnte auch am eigenen Interesse an der anderen Person und der damit einhergehenden erhöhten Aufmerksamkeit liegen, weil ständig geprüft wird, ob dieses Interesse beidseitig vorhanden ist oder nicht. Zum einen muss das Verhalten des Anderen interpretiert und zum anderen aufgrund der Interpretation des Verhaltens das eigene Verhalten gesteuert werden.

P5: Absolut, auf jeden Fall, also wenn dieser Menschen erstmal, in erster Linie nicht attraktiv ist, glaub ich, dass viele Frauen ähm oder auch Männer, dann keine, wenige Intentionen verfolgen und sachlicher sind bei Gesprächen mit Anderen oder auch nicht, kommt natürlich auf diesen Menschen an, äh ((lachen)) wie er eine Beziehung führt, das ist schon richtig

Auch P5 nennt Attraktivität als Grund für das Entstehen von Intentionen. Gespräche verlaufen bei (subjektiv) fehlender Attraktivität „sachlich“ und ohne Intentionen. Anknüpfend an die vorherigen Beschreibungen scheinen Gespräche mit Interesse an der anderen Person ein „Spannungsgefühl“ oder eine „Flirtstimmung“ zu erzeugen und Gespräche ohne Interesse an der anderen Person „sachlich“ beziehungsweise auf die Sache, beispielsweise auf die Zigarette, bezogen zu verlaufen.

P5: Man ist aufgeregt, man hat Herzpochen, man ist verwirrt und wünscht sich ja in dem Moment, dass der Andere einen attraktiv findet und irgendwie, man stellt sich ja dann was irgendwie vor und dass man ja vielleicht mit dem Menschen knutschen könnte, aber man ist ja irgendwie unsicher einfach in dem Moment ob das auch wirklich so funktioniert und ob man tatsächlich mit dem Anderen, also für den Anderen so attraktiv ist und dass man bloß nichts Falsches sagen will, damit man nicht auf einen Schlag plötzlich unattraktiv wird so, ja

P5 beschreibt beim Thema Flirt ihr Erleben als aufgeregt und unsicher, weil gehofft wird, „dass der Andere einen Attraktiv findet“, um mit dem „Menschen [zu] knutschen“. Es scheint sich um eine Bewertungssituation zu handeln, in der die Wahrnehmung der Attraktivität beim Gegenüber nicht erfragt wird. Stattdessen versucht P5 attraktiv zu wirken, indem P5 zum Beispiel darauf achtet, was sie sagt, um „nicht auf einen Schlag plötzlich unattraktiv“ zu sein. Die Bewertung der eigenen Attraktivität durch das Gegenüber dürfte ausgehend von den vorherigen Narrationen über Signale oder Gesten wie dem Angesprochenwerden, zu funktionieren. Das Wissen darüber, dass die Ansprechbarkeit eng an die Attraktivität geknüpft ist, lässt P5 darüber nachdenken, ob sie sich hinreichend attraktiv und damit ansprechbar darstellt.

P5: Weil ich diesen Menschen nicht attraktiv finde, finde ich es sehr unangenehm, also ich kann es irgendwie, ich kann auf jeden Fall danke sagen so, aber es ist irgendwie so, ja ich kann kein Kompliment zurück geben, will ich auch gar nicht, in dieser Position, weil er ist mein, ja keine Ahnung, ich musste für die Arbeiten auf der Messe, also, will ich auch überhaupt nicht und äh ja, genau, das ist es halt einfach, dass man nicht weiß wie man damit umgehen soll, man kann dieses Kompliment sozusagen auch nicht irgendwie, man freut sich nicht über dieses Kompliment einfach, man denkt sich so, ja, danke, aber spar dir das irgendwie

Bei fehlender Attraktivität des Gegenübers fällt es P5 schwer, ein Kompliment zu erwidern und sich über das Kompliment zu freuen. Als weiterer Grund für das Verweigern eines Kompliments wird die gemeinsame Zusammenarbeit auf der Messe genannt. An dieser Beschreibung ist interessant, dass P5 das Kompliment nicht „sachlich“ und kühl erwidert, sondern es gewissermaßen ignoriert. Dies könnte daran liegen, dass auch für das Gegenüber von P5 nicht eindeutig sein kann, ob P5 die Erwiderung sachlich meinen könnte oder nicht. P5 unterlässt jegliche Form des gegenseitigen Interesses, um nicht missverstanden zu werden oder dem Anderen Gründe zu geben, sich ihr weiter anzunähern. Flirt scheint abschließend viel mit Interpretation und Deutung zu tun zu haben und weniger mit eindeutiger Klärung von Interesse, sofern das Interesse konstant und mitteilbar ist. Der Flirt scheint Handlungen nicht auf eindeutige Hypothesen, sondern auf vagen Vermutungen über den Anderen aufzubauen und fortzuführen.

4.2 Grenzen

4.2.1 Grenzen austesten und initiativ werden (Männer)

P1: Man checkt die Grenzen aus, man guckt, was ist möglich, wie weit kann ich da gehen, besteht da wirklich Interesse, also diese ersten offensichtlichen Anzeichen. Längerer Augenkontakt. Das nutzt man dazu den Flirt zu beginnen und der Flirt dient dann für mich dazu, zu gucken, ist das wirklich so oder täusche ich mich da? War meine Wahrnehmung falsch? Was geht da? Grenzen ausloten

In der Beschreibung von P1 ist Flirt ein Mechanismus zur Überprüfung von Interesse. Es wird außerdem auf den Begriff „Grenzen ausloten“ eingegangen. Damit meint P1 die realisierbaren Möglichkeiten in der Kontaktanbahnung. Eine erste Grenze, der Beginn des Flirts, wird durch „längeren Augenkontakt“ bezeichnet. Der längere Augenkontakt scheint noch nicht eindeutig Interesse zu signalisieren, sodass beispielsweise noch nicht geküsst oder etwas Ähnliches gemacht wird.

P1: Die Grenzen beim Flirt oder in dieser sozialen Interaktion sind für mich ganz klar wie weit kann ich bei der Person gehen, also wie nah können wir uns jetzt in dem Gespräch kommen. Sowohl vom Unterhalten her, also vom, vom Intellektuellen, als auch vom Physischen, wie nah kann ich mich annähern, wie weit kann ich diese Person jetzt kennenlernen. Vielleicht kann ich mit dieser Person schon nach einer Stunde […] Den ((lachend ausatmen)) diesen Ort verlassen und sie deutlich näher kennenlernen. Also das sind die Grenzen. Bis wo kann ich gehen? Bis ich, wann krieg mal ein Nein? Wann muss ich noch ein noch ein Treffen ausmachen?

Grenzen werden von P1 als eine Annäherung in der Unterhaltung und als physische Annäherung beschrieben. Das anfängliche Interesse wird danach überprüft, wie viele Grenzüberschreitungen zulässig sind. Nur ein Gespräch? Mehr? Die Begrenzung des Auslotens der Grenzen wird mit einem „Nein“ der anderen Person markiert. Das Nein führt jedoch nicht zu einem Abbruch des Auslotens der Grenzen, sondern kann als Anlass für beispielsweise ein weiteres Treffen genutzt werden. Der Flirt scheint sich zeitlich und örtlich ausdehnen zu können und beschränkt sich nicht auf den anfänglichen Ort und an den zeitlichen Beginn des Flirts. Die zeitliche und räumliche Ausdehnung scheint jedoch stark von der Ablehnungsbereitschaft einer Grenzüberschreitung abzuhängen – „Nein“ motiviert Verzögerung.9 Eine Annahme jeglicher Grenze würde laut P1 nicht zu einer Fortführung des Flirts führen, sondern den Flirt sehr schnell erübrigen und zu einem Ortswechsel verleiten.

P1: Naja der Ort ist ja beim Flirt erstmal, gut relativ unverfänglich, meistens passiert sowas ja in der Öffentlichkeit und wenn der Flirt gut läuft, die Annäherung gut läuft, die Grenzen gar nicht da sind, dann muss ich ja einen Ort wechseln, um weitermachen zu können, weil irgendwann, kann man die Sachen, die auf einen Flirt aufbauen, nicht mehr in der Öffentlichkeit vollziehen

Ein neuer Aspekt in der Beschreibung ist der öffentliche Ort, an dem Flirts häufig stattfinden, der jedoch ab einem bestimmten Zeitpunkt verlassen werden muss, weil Handlungen, die auf dem Flirt aufbauen, „nicht mehr in der Öffentlichkeit vollzogen werden können“. Die Öffentlichkeit ist, wie auch der Flirt, das Sprungbrett für mehr. Oder anders formuliert, gehört das Verlassen der Öffentlichkeit zur Dramaturgie des Flirts, um den nächsten Akt einzuleiten.

P1: ja, der Flirt führt ja letztlich, wenn alles gut läuft, man ist sich sympathisch, man hat Interesse aneinander, gegenseitiges Attraktivitätsempfinden, dann mündet das ja irgendwann mal in einen Kuss. Das ist ja in der Öffentlichkeit alles wunderbar, es sei denn die Person ist mit Freunden da und die möchte das nicht so wahrgenommen werden, dass das so wahrgenommen wird, dass sie jetzt schon jemanden küsst. Also so ein typischer Partyabend als Beispiel, dann braucht man da ja schon den Ortswechsel, um der Person näher zu kommen, weil dann ja, sie könnte ja sozial, ich gehe jetzt in meinem Fall von einer Frau aus, ich werde jetzt nicht immer differenzieren, sozial ausgegrenzt werden von ihren Freundinnen, sanktioniert werden, Probleme später kriegen, so ne Sprüche wie Oh du hast aber schnell mit dem Typen rumgemacht oder, oder, oder. Deshalb ist schon der Ort und irgendwann die, dieser Zufluchtsort, wo man nur zu zweit ist wichtig

In dieser Beschreibung wird die Grenze „Kuss“ genannt. Zusätzlich zu dieser Grenze wird von P1 unterstellt, dass ein unbestimmt frühes Überschreiten dieser Grenze zu Sanktionen für eine Frau führen kann. Grenzen im Flirt sind demnach eine Abfolge von Ereignissen, beispielsweise Augenkontakt und Ansprechen, und außerdem an Erwartungen über den Zeitpunkt der Grenzüberschreitung geknüpft.10 Der Bruch mit den Erwartungen an den Zeitpunkt einer Grenzüberschreitung wird in der Beschreibung von P1 mit Sanktionen durch die Freundinnen, wie zum Beispiel „Sprüchen“, belegt. Die Überprüfung der Einhaltung von zeitlich erwartbaren Grenzüberschreitungen scheint, abgesehen von den Flirtenden, auch durch anwesende Dritte zu geschehen. Der Ortswechsel könnte durch Ausschluss Dritter die Abfolge der Grenzüberschreitungen verschleiern oder als eigene Grenze gesehen werden. Interessant ist auch, dass P1 die beschriebenen Sanktionen nicht fürchtet und sie somit nicht universell für beide am Flirt beteiligten Personen gelten.11

P1: Aber im echten Leben ist das nochmal dann, wenn dann älter wird, Pubertät et cetera, man fängt an Frauen anzusprechen, da ist dieses, dieses Vorfühlen, dass du vorher wirklich so ein Interesse Anzeichen bekommen hast, wie dieses Lächeln, dieser intensive Augenkontakt, das sind ja eher Seltenheiten, aber in Filmen läuft das ja meistens so ab. Im echten Leben ist es so, du gehst trotzdem hin und probierst es, also die Grundvorstellung vom Flirt hat sich nicht geändert, aber die, damals waren es andere Prämissen, ich hatte ein anderes Bild davon, ich dachte du gehst zu der Frau, klar und es läuft alles, so. Und dann fliegst du erstmal paar Mal kräftig auf die Schnauze und merkst wie es wirklich läuft. Aber der Ablauf und so ist ähnlich, wie in einem Film geschildert, so es soll Spaß machen, es ist lustig, es ist wie ich eben auch meinte, dieses Grenzen austesten

In dieser letzten Beschreibung von P1 werden zum einen Anzeichen für Interesse, um den Anderen zum Hingehen und Ansprechen zu motivieren, genannt und zum anderen scheinen diese Signale nicht zwingend notwendig zu sein, um das Hingehen zu motivieren.12 Die erstere Variante mit Vorfühlen über Beobachtung von Anzeichen des Interesses werden von P1 als seltener beschrieben. Anzeichen von Interesse scheinen eine hinreichende, aber keine notwendige Bedingung für das Hingehen und Ansprechen zu sein. Wie wird die Unwahrscheinlichkeit, dass hingegangen und angesprochen wird in eine Wahrscheinlichkeit umgewandelt? Eine Teilantwort bietet das von P1 beschriebene Scheitern. Anzeichen für Interesse scheinen keine Vorhersagen über das Gelingen des Flirts zu generieren, sondern lediglich das Hingehen und Ansprechen wahrscheinlicher zu machen. Die Wahrscheinlichkeit des Hingehens und Ansprechens konstituiert sich in dieser Beschreibung aus der Erwartung, dass Flirt in jedem Fall scheitern (oder gelingen) kann. Schließlich kann der Flirt scheitern, wenn vorher Anzeichen des Interesses erbracht und von der anderen Seite beobachtet wurden und er kann gelingen, wenn keine vorherigen Anzeichen erbracht oder beobachtet wurden. Vielleicht bietet der Blick oder ein bestimmter Umstand das Ansprechen an oder es wird sich als besonders ansprechbar dargestellt. Jedoch sind weitere Grenzüberschreitungen voraussetzungsvoll und ergeben sich nicht aus dem initialen Ansprechen.

Außerdem beschreibt P1 die Ablehnung durch die andere Person nach dem Ansprechen als Scheitern. Dem Scheitern des Hingehens und Ansprechens beziehungsweise des Flirts scheint jedoch eine gewisse Normalität anzuhaften.

P3: Also jeder weiß ja, wann er eine Person mehr oder weniger gutaussehend findet, wann sie vielleicht sympathisch rüberkommt, es hängt glaub ich von mehreren Dingen ab, also, Menschen können grundsätzlich gut aussehen, aber überhaupt gar keine Sympathie rüberbringen, dann ist es vielleicht ne Frage oder dann ist es, dann sprech ich die Person vielleicht nicht so gerne an, weil diese Sympathie einfach gar nicht da ist, weil der total unfreundlich aussieht und ich Angst hätte da sofort irgendwie ne blöde Rückreaktion zu bekommen, aber wenn ich das Gefühl habe, die Person ist nett, freundlich, die, die interessiert sich auch für mich, dann wär das irgendwie einfacher denke ich, ja13

In dieser Beschreibung unterscheidet P3 zwischen attraktiven und/oder sympathischen und unattraktiven und/oder unsympathischen Personen. Die Beschreibungen werden an die Bereitschaft des Ansprechens geknüpft (Dazu auch Interview 2: „Also man startet im Grunde genommen indem man vielleicht jemanden anspricht“). In dieser Beschreibung existieren demnach Personen, die sich als leichter oder schwerer ansprechbar darstellen.14 Für diesen weiblichen Interviewpartner scheinen, im Anschluss an die vorherige Beschreibung von P1, die Signale oder die Reaktion des Gegenübers besonders wichtig zu sein.

P2: Das ist ein Test ne? Im Grunde genommen, sind das also, das sind ja so also im Grund genommen Testkaskaden, so ne? Weil du da mitbekommst, dass das Gegenüber dann darauf ganz anders reagiert und ((…)) ey so willst du mich verarschen? Oder ne? Wie redest du mit mir? Dann weiß man sofort, okay, gut, der Flirt ist halt beendet und es war vielleicht auch nie einer, aber ich hab’s versucht

In der Beschreibung von P2 ist Flirt ein Test, um das Interesse des Anderen über Reaktionen zu überprüfen. P2 scheint ein bereits fortgeschrittenes Stadium des Flirts zu beschreiben, weil er ein Gespräch nachahmt, in dem er abgelehnt wird. Die vorherigen Momente des Blicks und des Hingehens werden hier nicht genannt. Interessant ist auch der Begriff „Testkaskade“, der dem Flirt eine Stufenhaftigkeit unterstellt. Das Überprüfen des Interesses scheint mehrere Stufen zu durchlaufen. Anfängliches Interesse sichert noch kein späteres Interesse auf anderen „Stufen“.

Auch P2 beschreibt ein Scheitern des Flirts15 („der Flirt ist halt beendet“) und macht mit der Beschreibung „aber ich hab‘s versucht“ deutlich, dass im Vorfeld des Ansprechens nicht eindeutig war, ob der Flirt(versuch) Erfolg oder Misserfolg haben würde.16 Die Formulierung macht auch deutlich, dass dem Versuch mehr Wert zugesprochen wird als dem Erfolg. In dieser Beschreibung besitzt beim Flirt die Unterscheidung Versuch/Nicht-Versuch eine höhere Priorität als Gelingen/Scheitern.17

P2: Aber, ja also meistens echt irgendwie, dass also, mit Humor irgendwie, also, versucht irgendwie, wahrscheinlich auch mit irgendnem Vorwand reinzukommen, also so’n ey ja bla hast du das und das und das schon gemacht? Und dann versuchen halt auf so eine persönliche Ebene zu wechseln oder halt aufzulockern, dass man sich gegenseitig witzig findet, so schon, genau, aber jetzt nicht mit irgendwelchen, mir irgendwelchen Routinen oder so, dass ich sagen könnte, okay dann komm ich immer so mit dem Spruch und dann flirten wir und also ganz, auf jeden Fall auch ohne, ohne direkt, das ist halt auch so’n Unterschied, ich glaub Flirt ist zum Beispiel nicht, wenn du so ne Frau ansprichst, und sagst, hey irgendwie, du bist halt interessant, gibst du mir deine Nummer?

Aufgrund von fehlendem Anzeichen von Interesse, wie einer Augengeste, die zum Ansprechen einlädt, wird in der Beschreibung von P2 ein Vorwand konstruiert, um in das Gespräch „reinzukommen“.18 Dies könnte daran liegen, dass teilweise Gelingen und Scheitern am Versuch einen Flirt zu beginnen oder der Überwindung der ersten Grenze des Ansprechens und nicht am weiteren Flirt selbst gemessen werden.19 Dem Gewinn oder der bloßen Teilnahme am Gefecht kommt ein höheres Prestige zuteil, als dem Gewinn des Krieges. Die Unwahrscheinlichkeit der Nutzung von direkter Sprache bei der Interessensbekundung ist ein weiteres interessantes Charakteristikum des Flirts. Aufgrund der vorherigen Beschreibungen könnte davon ausgegangen werden, dass direkte Sprache den Flirt obsolet machen würde und dadurch die Anbahnung verkürzt.20 Der Krieg würde wieder wichtiger werden, als das einzelne Gefecht.21

Außerdem wird der Vorwand als ein Mittel beschrieben, um auf eine „persönliche Ebene zu wechseln“ oder das Gespräch „aufzulockern, dass man sich gegenseitig witzig findet“. In dieser Beschreibung scheint Interesse weniger erspürt oder entdeckt, sondern mehr situativ hergestellt zu werden. Der Wechsel auf eine persönliche Ebene, das Auflockern und das sich gegenseitig witzig finden scheinen Elemente zu sein, um den Anderen im Gespräch zu halten (siehe auch P1: „Wenn ich jetzt eine Frau sehe, die mir gefällt, sei es in der Bahn, dann kann’s durchaus sein, dass ich sie anspreche und da in ein Gespräch verwickle und da bin ich ja sofort in der Flirtsituation“), eigenes Interesse anzuzeigen und dadurch zu hoffen, ähnliches Interesse gespiegelt zu bekommen.22 Es fällt auf, dass der Flirt nicht ohne zeitliche Ausbreitung erfolgt.23 Eine anfängliche Scheu vor zu viel Direktheit scheint damit wichtig für den Flirt zu sein.

Außerdem werden Routinen, um einen Flirt zu beginnen, von P2 vermieden. Dies könnte daran liegen, dass es schwerfällt, Routinen nicht als Routinen zu behandeln und der Vorwand es erleichtert, als Vorwand behandelt zu werden, weil er Elemente der Situation enthält und der routinierte Spruch unabhängig von der Situation immer gleich ist. Darüber hinaus scheint Spontanität und nicht ein vorgefertigtes Skript wichtig für den Flirt zu sein. An dieser Stelle macht sich eine Paradoxie des Flirts bemerkbar. Zum einen scheint Scheitern häufiger Bestandteil flirtiver Kommunikation zu sein und dadurch die Frequenz von Versuchen zu erhöhen.24 Zum anderen scheinen routinierte Sprüche keine adäquate Lösung zur Kompensation einer hohen Frequenz des Einlassens auf ähnliche Situationen zu sein. Es soll gewissermaßen mit einem ständig neuen und spontanen Skript für ähnliche Situationen gearbeitet werden.25 Routine lässt beim anderen Beobachter Engagement vermissen.

P2: Oder man irgendwie gemeinsam in der Gruppe unterwegs ist und man plötzlich mit jemandem über irgendwas spricht, was man nicht machen müsste, oder man jemanden kennt, aber man nie vorher wirklich viel gesprochen hat und dann man hingeht und dann auf der ersten Ebene guckt, okay, wird das gespiegelt, also, oder gibt’s da, oder bricht das Gegenüber das ab? Und wenn er es nicht abbricht, dann kann man halt das weitersteigern und kann dann halt noch persönlicher werden zum Beispiel ne? Und so guckt man dann immer, wie weit man im Grunde genommen gehen kann und, so das Maximalziel wäre da natürlich vielleicht irgendwie miteinander nach Hause gehen

In dieser Beschreibung wird das Überprüfen von Interesse als eine sich steigernde persönliche Kommunikation, die zu jedem Zeitpunkt abgebrochen werden kann, dargestellt. Im Anschluss an die weiter oben beschriebenen „Testkaskaden“ scheinen die einzelnen Kaskaden bestimmte Ebenen von persönlichen Themen oder Grenzen der Privatheit beziehungsweise des physischen Kontakts zu sein. A testet auf welche Ebenen B bereit ist mit A vorzustoßen.26

P2: So mit jedem Schritt irgendwie so ein bisschen mehr raus zu kitzeln, das heißt es gibt eine bestimmte Dramaturgie, aber die ist dann eben, die variiert einfach situativ ganz krass

Es scheint im Flirt eine Dramaturgie zu existieren, die jedoch situativ variiert. Es kann keine adäquate Anleitung für Flirt existieren, weil Flirt aus der Situation entspringt. Außerdem scheint die Vorstellung bei P2 zu existieren, dass er bei den Grenzen „ein bisschen mehr rauskitzeln“, ja, etwas steuern kann, woran zwei Personen autonom beteiligt sein sollen.

P2: Das war halt echt ne, eine WG Party und ich also hab vorher schon mal sie im Seminar gesehen gehabt, aber da nie wirklich Kontakt gehabt, also nur gesehen und so, dann ist sie auf mich zugekommen, also halt hat sich zumindest neben mich gesetzt irgendwie und so und gefragt wie geht’s, was machst du? Und dann lief halt das so ab, wie ich das eben besprochen hab, achso du warst auch da und da, bei dem und dem, und dann kamen halt so Sticheleien so irgendwie, ja, ja hast ja gut vorgetragen mäßig aber und so, und dann war das halt so spielerisch, das hat auch direkt mit dem Abend bisschen mehr geworden

In dieser Beschreibung könnte die gemeinsame Anwesenheit und Wahrnehmung im Seminar als erster Kontakt beschrieben werden. Der Beginn des Flirts wird von P2 jedoch mit dem „zukommen“ und der Gesprächsofferte „Wie geht’s? Was machst du?“ von der beschriebenen Person auf einer WG-Party genannt. P2 könnte das aufeinander zukommen als Zeichen des Interesses gewertet haben und anschließend überprüft haben, ob es sich wirklich um Interesse handelt und nicht um eine erwartbare Geste auf einer WG-Party. Anzeichen von Interesse scheinen an Kontexte gebunden zu sein. So könnte im öffentlichen Raum hauptsächlich der intensive Blick und auf einer privaten Party auch das Hingehen und Ansprechen als erwartbare Anzeichen von Interesse verfügbar zu sein. Die genannten Anzeichen von Interesse scheinen sich an den gängigen Interaktionsritualen des jeweiligen Kontextes zu orientieren. So ist das Anschauen unter Menschen im öffentlichen Raum erwartbar und auf Parties auch das Ansprechen, ohne anderweitiges Interesse zu verfolgen. Ausgehend von den gängigen Interaktionspraktiken kann ein Anzeichen von Interesse in der jeweiligen Praxis, die jeder tut, verschleiert werden, um wiederum vom anderen entdeckt zu werden beziehungsweise wird die Entdeckung von Interesse zum Problem, das interaktiv bearbeitet werden muss. Wie erkennt der Andere, dass er als gesamte Person adressiert wird und nicht als Party-Teilnehmer?

4.2.2 Grenzen austesten lassen und Interesse signalisieren (Frauen)

P3: Es gibt ja, verschiedene Arten zu flirten, also Frauen haben zum Beispiel eher so, man, man kann ja so Lächeln zum Beispiel verschieden rüber senden, ob’s einfach so’n Lächeln ist, das vom Herzen kommt, oder eins, was son bisschen spitzbübischer ist, es ist ja dann eher so keck

In dieser Beschreibung wird die Art und Weise des Lächelns unterschieden. Zum einen „einfach so’n Lächeln […], das vom Herzen kommt“, und zum anderen ein spitzbübisches und keckes Lächeln. In dieser Unterscheidung befinden sich eine Beobachtungsperspektive, wonach ein bestimmtes Lächeln Flirt signalisieren soll und ein anderes nicht. Im Gegensatz zu den Beschreibungen der männlichen Interviewpartner wird kein aktives Hingehen und Ansprechen, sondern eine Geste mit dem Gesicht als Flirt verstanden. Welchem Zweck könnte eine solche Geste erfüllen?

P3: ich finde eine Person attraktiv, ich möchte die vielleicht kennenlernen, der andere hat mich vielleicht noch nicht unbedingt bemerkt oder bemerkt mich, während ich diese ersten Signale sozusagen aussende so, keine Ahnung, mir durch die Haare fahren oder immer wieder in die Richtung lächeln oder Augen zwinkern, ich weiß es nicht, und entweder erwidert er es dann oder eben nicht, aber das ist ja eben auch sein subjektives Empfinden, einige bemerken es eher, andere vielleicht auch gar nicht, das gibt’s ja auch, also ich denke solche Sachen hängen dann davon ab

Interessant an dieser Beschreibung ist, dass eine als attraktiv wahrgenommene Person danach beobachtet wird, ob sie P3 bemerkt hat beziehungsweise ob die ausgesendeten Signale die attraktive Person dazu bringen, P3 zu bemerken. Die Beobachtung der männlichen und weiblichen Interviewpartner scheinen sich zu ähneln, weil Flirt durch die Attraktivität einer Person motiviert wird. Die sich daraus ableitenden Handlungen scheinen sich jedoch zu unterscheiden.

Die Entscheidung über das Bemerken oder Nichtbemerken der „Signale“ scheint von der attraktiven Person abhängig zu sein. Die Signale können bemerkt, aber dennoch nicht erwidert werden. In jedem Fall existiert eine Annahme der Signale des Interesses als Signale des Interesses oder eine Ablehnung dieser, wahlweise von einer der beiden Seiten als Missverstehen getarnt.

P3: Weißt du so’n kurzes Rücklächeln, mich lächelt jemand an, aus Höflichkeit lächele ich zurück. Nur so, irgendwo in der Disko ist es total unverfangen, ich muss die Person jetzt nicht toll finden, vielleicht ist es ja auch eher so’n, so’n, haha-Lächeln, oder ich, ich weiß es nicht, oder da winkt mir jemand zu, ich wink zurück aus Freundlichkeit, ich bin da nicht persönlich involviert und subjektiv wäre dann, dass ich freudestrahlend zurücklächle, total engagiert bin und emotional dabei, weil ich mir denke, oh mein Gott, dieser Mann oder sowas

In dieser Beschreibung werden die wahrgenommenen Signale auf zwei verschiedene Arten beantwortet. Zum einen das Zurücklächeln aus Höflichkeit und zum anderen das freudestrahlende Zurücklächeln, bei dem P3 engagiert und emotional ist. Sehr interessant an dieser Beschreibung ist, dass auch P3 die Möglichkeit hat, einem möglichen Signal des Interesses mit Nichtbemerken des Anzeichens zu begegnen, sofern es eines ist oder auch nur die Interpretation dessen vorliegt, dass es eines sein könnte, und das Anzeichen des Interesses als etwas anderes zu behandeln (beispielsweise als Grußgeste). Ich spreche in diesem Abschnitt von potenziellen Anzeichen von Interesse, weil der attraktive Mann aufgrund des fehlenden empirischen Materials nicht gefragt werden kann, wie er sein Lächeln gemeint haben könnte, und P3 sich im Zweifel darüber mit einer Distanzierungs- oder einer Annäherungsgeste zu ihm positioniert. Weiterhin ist interessant, dass P3 beim Erwidern von Anzeichen von Interesse etwas an ihrem Ausdruck ändert und weniger zum anderen hingeht und ihn anspricht. Nichteindeutige Gesten scheinen (zumindest am Anfang flirtiver Kommunikation) weitere nichteindeutige Gesten auf der Gegenseite zu produzieren.27 Dies könnte auch daran liegen, dass es nur einer Seite möglich ist, potenzielle Anzeichen des Interesses mit einem Hingehen und Ansprechen zu beantworten. Oder anders formuliert, w er beginnt das Gespräch?

P3: Also generell bin ich glaub ich doch irgendwo recht schüchtern, […] also ich glaub das ist irgendwie so’n, so’n Problem für mich, dass ich dann in den Momenten, wo es dann sein sollte oder wo ich das vielleicht auch möchte, dann doch irgendwie nicht so flirten kann, wie ich es eigentlich möchte oder es vielleicht sogar, ich weiß nicht, ob man was falsch machen kann, aber, das vielleicht nicht so transportiere, dass der andere es als Flirt mitbekommt, also, das, manchmal, da kann man ja halt auch irgendwie, ich glaub das hatte ich am Anfang schon bereits gesagt, jemanden, ja mit jemandem flirten, die andere Person kriegt das einfach nicht mit, also dann, dann fehlen ja auch irgendwo diese Signale, sage ich mal oder das sind nicht genug oder die werden falsch aufgepasst, aufgefasst oder ich weiß nicht

P3 beschreibt sich als „recht schüchtern“ und erklärt es damit, dass sie in den Momenten in denen sie auf eine bestimmte Art flirten möchte, es nicht tun kann. Das Missverständnis wird von P3 mit fehlenden oder einer geringen Anzahl an Signalen erklärt. In der Beobachtung von P3 scheint die Dosierung von Signalen des Interesses zentral zu sein. Dies lässt sich als ein weiteres Indiz dafür lesen, dass eine Seite die Anzeichen dosiert, um die andere Seite zum Hingehen und Ansprechen zu motivieren und die andere Seite auf die Dosierung der Anzeichen achtet, um hinzugehen und anzusprechen. Der Erfolg und Misserfolg beziehungsweise Fortführung oder Abbruch der Kommunikation (für Situationen, in denen P3 an einer Person interessiert ist) wird von P3 daran gemessen, ob der andere ihr Interesse „mitbekommen hat“.28 Das Missverständnis scheint in dieser Hinsicht sehr funktional für flirtive Kommunikation zu sein, weil asymmetrisches Interesse nicht in die (verbale) Kommunikation einfließt und somit Enttäuschung über das asymmetrische Interesse absorbiert.29 Darüber hinaus scheint die Selbstbeschreibung von P3 („recht schüchtern“) eine Art Erklärung für den Abbruch der Kommunikation zu sein.

P3: Ja irgendwo denke ich schon, also es ist wichtig, dass der Andere das auch als ne Art Flirt auffasst, also ich glaub ich hatte schon Situationen, da hab ich mich dann irgendwie unwohl gefühlt, weil mich Männer die ganze Zeit irgendwie angestarrt haben oder andauernd in meiner Gegenwart waren, ich bin irgendwo so bei drei Ecken davon ausgegangen, dass sie dann vielleicht irgendwie schon einfach mit mir flirten wollen und mich vielleicht interessant finden, aber es irgendwie sehr komisch war und dass ist dann halt so’n, so’n kleines Problem, denk ich, weil je mehr ich geflüchtet bin, desto mehr sind die dann auch irgendwie nachgekommen und dann ist das irgendwie auch so ne Art Missverstehen auf beiden Ebenen oder wenn man, wenn der Andere diese Ebene gar nicht haben möchte oder vielleicht auch das auch gar nicht mitbekommt

In dieser Beschreibung wird der umgekehrte Fall beschrieben, in dem P3 kein Interesse mitteilen möchte, die Anzeichen auslässt und die andere Seite trotzdem weitermacht.30 Nicht nur das dargestellte Interesse, sondern auch das dargestellte Nichtinteresse kann missverstanden werden und in diesem Fall Handlungen motivieren. Oder anders formuliert fühlt sich nur P3 missverstanden und ihr Gegenüber, das jede Ablehnung als Grund für mehr Engagement interpretiert, kann sich, zwar nicht zeitlich unbegrenzt, aber durchaus als verstehend beschreiben. Es scheint eine gewisse Schwierigkeit zu bestehen, ein Wollen oder Nichtwollen weiteren Engagements kommunizierbar zu machen.31

P5: Uhm ja ich hab früher eine ganze Weile eigentlich Flirt auch nicht verstanden und wollte auch immer flirten, aber es hat nicht funktioniert ähm und dann war ich einmal in einem Club und dann hab ich das erste Mal gemerkt, dass jemand mit mir flirtet, weil er die ganze Zeit mich angeschaut hat, aber mich kein einziges Mal angesprochen hat ähm aber es war die ganze Zeit irgendwas unausgesprochenes auf jeden Fall im Raum weil er regelmäßig halt einfach an mir vorbeigegangen ist, mich immer sehr intensiv angeschaut hat, aber nie etwas gesagt hat, ja und da habe ich so das erste Mal gemerkt so es war halt irgendwie so ein Nervenkitzel für beide, absolut so, er hat einmal aus Versehen zum Beispiel auch meinen Arm berührt, so, und das war dann irgendwie so, für mich war das irgendwie so, ach du meine Güte, so, er stand neben mir und, obwohl nicht mal irgendwas gesagt wurde, es war für mich ein sehr, sehr intensiver ähm Flirt, ja In dieser Beschreibung wird deutlich wie Flirt, zumindest zu Beginn, ohne verbale Kommunikation auskommt und dass diese Kommunikationsform erlernt und geübt werden muss. Flirt wurde von P5 daran bemerkt, dass jemand sie „die ganze Zeit“ angeschaut hat. Blicke scheinen den Flirt einzuleiten oder der erste Schritt eines Flirts zu sein. Diese Interaktion mit den Augen muss gewissermaßen reziprok oder symmetrisch verlaufen, weil auch P5 die andere Person angeschaut haben muss, um die Blicke des Anderen zu bemerken. Als nächster Schritt wird das regelmäßige aneinander Vorbeigehen genannt. Es scheint eine räumliche Annäherung stattgefunden zu haben, die weiterhin nonverbal funktionierte. Der letzte Schritt in dieser Beschreibung ist das beabsichtigte unbeabsichtigte Berühren des Arms, das heißt ein Körperkontakt. Dies sieht man deutlich daran, dass P5 dies besonders stark beobachtet hat und die versehentliche Armberührung den geplanten Effekt erzielt hat und nicht als Geste der Unachtsamkeit gewertet wurde.

Ohne den Rahmen „Flirt“ könnte die Beschreibung den Anschein erwecken, dass P5 von einem Stalker verfolgt wurde, weil sie die Person nicht kannte und vorher auch keine Absprache stattgefunden hat. Häufiges Anblicken, Vorbeigehen und Körperkontakt scheinen gesellschaftlich (und wahrscheinlich auch strafrechtlich) legitime Mittel zu sein, solange gegenseitiges Interesse besteht.32 Außerdem scheint die unausgesprochene Annäherung eine eigene Wertigkeit zu besitzen.33

Dennoch wird an dieser Beschreibung auch deutlich, dass beispielsweise fehlendes Hingehen und Ansprechen dazu führt, dass der Flirt nur ein Flirt bleibt – der Flirt kann nicht im Indirekten bleiben. Oder anders formuliert, benötigt die weitere Kontaktanbahnung zusätzliche Grenzüberschreitungen.

P5: Uhmm ja sie versuchen ja auch irgendwas zu verraten, also man versucht ja mit den Augen irgendwie wenn man sich schon nicht traut, es anzusprechen, dass man den Anderen toll findet oder dass man irgendwie den Anderen näher kennenlernen möchte, da versucht man das ja wenigstens über die Augen zu vermitteln oder natürlich man ist irgendwie so begeistert von der Person, dass man das einfach nicht verstecken kann beim Anschauen

Es scheint eine grundlegende Schwierigkeit darin zu bestehen, sein Interesse in flirtiver Kommunikation zu verbalisieren. Dabei kommt den Augen eine besondere Rolle zu. Dies könnte daran liegen, dass es im Vergleich zu anderen Sinnen möglich ist, über weite Distanzen andere Personen wahrzunehmen und zu mustern. Außerdem löst ein Blick nicht sofort bei jedem die Motivation aus, die Initiative zu ergreifen und auf den anderen zuzugehen. Dafür ist der einzelne Blick noch zu indirekt und undeutlich. Und schließlich ist das gegenseitige Anblicken gleichzeitig möglich und kann als Indikator für reziprokes Interesse dienen. Darüber hinaus scheint das gesamte Gesicht als Indikator von Interesse zu fungieren. Dies könnte daran liegen, dass dem Ausdruck des Gesichts oder speziell den Augen kulturell eine nicht manipulierbare Authentizität zugeschrieben wird. Die Sprache kann gewissermaßen lügen und der Körper nicht34 und Interesse kann nicht versteckt werden, wenn es vorhanden ist, sondern höchstens latent gehalten werden.35 Weiterhin wurde deutlich, dass am reziproken Anschauen grundsätzlich nur zwei Personen gleichzeitig teilnehmen können. Was lässt sich noch über diese Zweierkonstellation im Flirt herausfinden?

P5: Dass man sich intensiver miteinander unterhält und dass andere Leute in dem Raum zweitrangig werden, ich glaube dass man anfängt so nen Dialog zu führen, wenn man zum Beispiel in einer Gruppe ist […], also dass Blicke extrem viel damit zu tun haben, ob man weiß, ob das gerade ein Flirt ist und äh welche Tonlage man zum Beispiel auch einschlägt […] , wenn man in großen Gruppen unterwegs ist, dann sind Frauen ja auch meistens so, ah wow cool super, aber sobald es dann irgendwie zum Beispiel in diesen, in diesen Dialog reingeht, wo ne Frau sich irgendwie wohlfühlt, dann fängt sie glaub ich auch einfach an ähm ernster zu reden und nicht nur irgendwie einen auf gute Laune zu machen, sondern halt auch dann wirklich sich mit dem Menschen auseinander zu setzen, so irgendwie, ich weiß nicht, man fragt persönlichere Fragen und ja weiß ich nicht, oder auch gar nicht so, man spricht irgendwie über Gott und die Welt, aber man ist halt irgendwie so zu zweit irgendwie

In dieser Beschreibung wird deutlich, dass eine gegenseitige Fokussierung auf den Anderen charakteristisch für den Flirt ist. Die Beobachtung wechselt von der Gruppe auf eine einzelne Person der Gruppe. Dadurch verändert sich nicht nur die Quantität der beobachteten Personen, sondern auch die Qualität der Beobachtung – es wird mehr gesehen, als vorher möglich.36 Die Beobachtung ist jedoch nicht nur auf die andere Person, sondern auch auf den eigenen Ausdruck abgestellt. Dies könnte die relativ detaillierten Beschreibungen sinnlicher Eindrücke erklären. Es wird beispielsweise beschrieben, dass zusätzlich zu den Blicken die Tonlage als ein Indikator für flirtive Kommunikation verwendet wird. Es scheint eine generelle Veränderung des Ausdrucks und der Interpretation dieses veränderten Ausdrucks als Indikator von flirtiver Kommunikation zu dienen. Diese Beschreibungen des Aufmerksamkeit-Schenkens könnte komplementär zum Aufmerksamkeit-Erhalten (Vgl. Kapitel 4.2.1), angesehen werden. Männer erahnen, dass sie (weitere) Grenzüberschreitungen wagen können, wenn ihnen genügend Aufmerksamkeit geschenkt wird. Das Interesse am Anderen muss diesem mitgeteilt werden, damit dieser weitere Schritte einleitet. In der Fokussierung auf eine einzige Person selbst könnte die Mitteilungsabsicht des Interesses an der Person interpretiert werden.

Die Fokussierung auf den Anderen, wird in dieser Beschreibung mit der Bedingung verknüpft, dass die Frau sich „wohlfühlt“. Frauen stellen somit die Kommunikation nicht mit jedem auf persönliche Themen um. Dem Begriff des „Wohlfühlens“ ist die Leistung des Anderen immanent beziehungsweise wird das „Wohlfühlen“ als Leistung dem Anderen zugeschrieben.37 Ob sich dieses „Wohlfühlen“ vor dem Dialog oder im Dialog selbst einspielt (Vgl. S. 19), soll mit der nächsten Narration versucht werden, zu beantworten.

P5: Ja irgendwie so, kennenlernen irgendwie, antasten so oder sich, sie wahrnehmen, sich wahrnehmen, sich herantasten öhm, einen Dialog eröffnen, öhm und ich glaube wenn man diesen Dialog, also am Anfang ist man noch relativ selbstbewusst so und denkt sich, ah ja ich rede jetzt mal mit dem so und ist nicht irgendwie so nervös glaube ich, außer man kennt diesen Menschen schon zum Beispiel seit längerem und findet diesen Menschen schon seit längerem toll, ich glaub dann ist das noch mal was anderes, aber in einem Club zum Beispiel ist man am Anfang glaub ich von nem Gespräch erstmal so, so locker flockig so, aber sobald man irgendwie so ne Intention da reinlegt so, diese Intention halt wieder ne, den Menschen näher kennenzulernen, sobald die krass offensichtlich wird, dann wird man glaub ich nervös und dann steigert sich sozusagen irgendwie die, die Gefühle und die Emotionen, die man in dem Moment hat, weil am Anfang lädt der mich zum Beispiel nur zu einem Drink ein und zwanzig Minuten später aber sitze ich mit diesem Drink irgendwo, weiß ich nicht, zum Beispiel in, sagen wir, wir wären in einem Club oder in einer Bar so, plötzlich hat sich ein Dialog eröffnet und ich merke, dass ich diesen Menschen auch toll finde und dementsprechend verhalte ich mich anders, weil ich jetzt auf jeden Fall diesem Menschen gefallen möchte so, ja

In dieser Beschreibung unterscheidet P5 zwischen bereits vorhandenem Interesse und Interesse, das in der Situation hergestellt wird. In den Beschreibungen wird auch deutlich, dass Interesse im Prozess entstehen kann und nicht zu Beginn eines ersten Kontakts vorhanden sein muss. Die Einladung zum Drink steht symbolisch für den Beginn des Gesprächs und ermöglicht als Einstieg andere Themen ins Gespräch zu integrieren und spätere Erlebnisinhalte zu produzieren („dann wird man glaub ich nervös“). Die im Gespräch entstehenden Intentionen führen dann dazu, dass P5 an ihrem Ausdruck arbeitet oder das Gespräch für persönliche Themen eröffnet. P5 testet nicht die Grenzen aus, wie durch das Einbringen eines persönlichen Themas, sondern akzeptiert es, wenn sich näher kennengelernt wird (oder lehnt es ab).

Ausgehend von den vorherigen Kapiteln bedeutete das Flirten für männliche Interviewpartner, Grenzen auszutesten. Grenzüberschreitung für weibliche Interviewpartner bedeutet dagegen, ein lockeres Gespräch anzunehmen (oder abzulehnen) und während des Gesprächs (oder davor) mitzureflektieren, ob die andere Person attraktiv oder interessant ist. Sobald Interesse entstanden ist, verschleiern die weiblichen Interviewpartner das Interesse zwar, aber teilen es dennoch latent mit. An diesem Beispiel könnte auch gefragt werden, welcher Ausdruck sich besser eignet, um den Anderen zu weiteren Handlungen im Flirt zu motivieren als das nervöse (im Unterschied zum sonst souveränen oder kühlen) Auftreten?38 Die weibliche Seite kann die Dosis des Ausdrucks variieren und beobachten, wie der andere auf die Nervosität reagiert. Die männliche Seite beobachtet dagegen diesen Ausdruck des Interesses und handelt auf Basis der weiteren Informationen.39

Einen Schritt weitergedacht, könnte die weibliche Seite wissen, dass die männliche Seite so beobachtet und den Ausdruck daran ausrichten, und umgekehrt könnte die männliche Seite wissen, dass die weibliche Seite so beobachtet und wiederum die Handlung daran ausrichten.40 Vor diesem Hintergrund ergibt es Sinn, dass zwanzig Minuten an Konversation vergehen, bis P5 ihr Interesse am Gegenüber gewissermaßen „entdeckt“ und den Anderen warten lässt. Interesse benötigt eine bestimmte ‚Inkubationszeit‘, das heißt, dass sie beobachtet, dass er sich lange mit ihr unterhält und auf persönlichere Themen eingehen möchte, und er erwartet, dass sie genau dies beobachtet (und wartet mit ihr gemeinsam). Würde er dies nicht erwarten, könnte er bereits nach kürzester Zeit gehen, weil er sich nicht sicher sein könnte, dass sie ihn „testet“, wie lange er gewillt ist zu bleiben.41 Das Phänomen wäre gewissermaßen zufällig.

Außerdem ist im Rahmen der Bar erwartbar, dass Personen sich ansprechen und Unterhaltungen entstehen. Es muss auch für sie durch die Dauer des Gesprächs deutlich werden, dass er Interesse an ihr hat und nicht nur ein erwartbares Gespräch an der Bar gesucht hat.42 Die Dauer des Gesprächs mit ihr im Vergleich zu Gesprächen mit Anderen dürfte für den Flirt sehr wichtig sein.43 Allgemeiner formuliert ist die Beobachtung und Bildung des Unterschieds der eigenen Behandlung durch eine andere Person, im Vergleich zur Behandlung anderer durch diese andere Person, konstitutiv für die Beobachtung des Flirts. Wird sie gesondert von ihm behandelt? Und bemerkt sie, dass sie gesondert behandelt wird?

P5: Ich glaube diese Gefühle entstehen, wenn beide Menschen einen Dialog führen und wo eigentlich, eigentlich schon feststeht, dass beide sich attraktiv finden, […] das ist ja irgendwie dann der Moment, wo die größte Unsicherheit plötzlich da ist, wo obwohl man irgendwie schon zu diesem Punkt gekommen ist, dass man miteinander spricht und redet, dass trotzdem irgendwie noch in dem Moment, man denkt sich so, oh mein Gott, dieser Mensch findet mich gerade wirklich toll, so, ist das wirklich jetzt so? Und äh könnte ich diesen Menschen jetzt küssen oder nicht oder was soll ich tun? Und bin ich cool genug und seh ich cool genug aus? Und was sage ich, damit dieser Menschen mich jetzt nicht für einen Volldulli hält irgendwie, und das finde ich, das ist, das hat so ein Klimax, so, obwohl je näher man sich kommt, desto nervöser wird man, obwohl man ja eigentlich schon viel erreicht hat in dem Abend so in dem Flirt so, weil man zum Beispiel jetzt schon miteinander spricht, so, ist man dann glaube ich, wenn es eigentlich am intensivsten ist, so am nervösesten über sich selber, über sein Handeln, man hinterfragt noch mehr glaube ich

Anschließend an die vorherige Passage wird in dieser Beschreibung die gegenseitige Attraktivität während eines Gesprächs als sehr deutlich dargestellt und trotzdem bleibt das Gespräch mit Wünschen für den Fortgang des Kontakts folgenlos. Die gegenseitige Attraktivität und das Interesse scheinen in diesem Fall, keine Handlung zu erzeugen.44 Es muss einen anderen sozialen Mechanismus geben, der beispielsweise den Kuss ermöglicht. Dies könnte die Initiative, das „Austesten der Grenzen“ sein – Ist es bereits möglich, die Grenze des Kusses zu überschreiten?45

Auf der anderen Seite ist vielleicht vordergründig für P5 wichtig, sich „richtig“ zu verhalten beziehungsweise die richtige Darstellung zu wählen, um geküsst zu werden. Jedoch dürfte aus einer soziologischen Perspektive viel interessanter sein, die Darstellung der Schwierigkeit mit der Darstellung als Bezugspunkt der Darstellung zu wählen. Kurz formuliert: Nervosität wird zum Bezugspunkt der Darstellung und ist weniger Ausdruck eines Haderns mit unterschiedlichen Ausdrücken. Die Erwartung, dass er sie nach Anzeichen von Interesse und Bereitschaft, geküsst zu werden, beobachtet, dürfte die Nervosität aufrechterhalten.46 Ein souveränes Auftreten, ohne „schwach zu werden“, und die Suche nach dem richtigen Ausdruck, um „cool“ zu wirken, nicht zu problematisieren, würde dem Anderen wahrscheinlich den Eindruck vermitteln, dass sie sich „normal“ verhält und kein Interesse an ihm hat beziehungsweise keinen Versuch unternimmt, „cool“ zu wirken, sondern „cool“ wirkt.47

[...]


1 Man könnte auch sagen, dass Flirt Phantasie ist.

2 Wenn eine Deutung überhaupt möglich ist.

3 Ohne es letztlich auflösen zu können, denn der Flirt braucht die Ambiguität mehr als das Verstehen.

4 Dazu auch: „Die Definition einer Situation, wie falsch oder irreführend sie in den Augen anderer auch scheinen mag, liegt den Aktionsweisen der darin Handelnden und damit auch den beobachtbaren „realen Folgen“ dieser Situation zugrunde. Erinnern wir uns an die im vorangehenden Kapitel beschriebene „Feuer-Situation“: Wenn sie von der um Feuer gebetenen Person als Flirtsituation definiert wird, so wird diese Person in der ein oder anderen Weise vielleicht versuchen, den Flirt aufzugreifen und weiterzuführen, oder aber ihn brüsk zurückweisen. In beiden Fällen hat also die Situationsdefinition reale Folgen, selbst dann, wenn es „ursprünglich“ tatsächlich nur um die einfache Frage eben nach „Feuer für eine Zigarette“ ging“ (Keller 2012: 45).

5 Vor allem, wenn die Zigarette auch geraucht wird, um die Möglichkeit offen zu halten, dass gerade eine Sucht befriedigt werden soll oder um retrospektiv trotzdem Interesse am Zigarettenspender zu zeigen.

6 Beispielsweise lässt sich gemeinsam für einige Minuten Rauchen und unterhalten. Wohingegen der Sparkassenautomat schon allein wegen der Geheimhaltung der PIN weniger einladend ist, um einige Minuten gemeinsam zu verbringen.

7 Dies könnte auch daran liegen. dass einige Darstellungen bindender als andere sind. Das Mitteilen von Interesse scheint zu einer stark bindenden Darstellung zu verpflichten, die das Gegenüber (und auch P2) noch nicht gewillt sind einzugehen. Bei einer Interpretation eines Interesses muss sich nur der Finder und nicht der Gefundene daran binden, was den Gefundenen von dieser bindenden Darstellung entbindet, was wiederum dazu führen kann, dass sich der Gefundene auch vom Finder mit dem Verweis, dass nie Interesse dargestellt wurde, abwenden kann.

8 Gerüchte, Mythen und weiter Vorinformationen über die Person sind ein Sonderfall des ersten Eindrucks.

9 Dazu Simmel: Es „ist nicht die geziemende Attitüde des Mannes, eine Frau abzuweisen, gleichviel ob es auch für sie nicht geziemend war, sich ihm anzubieten – während umgekehrt die Rechnung völlig glatt aufgeht; den werbenden Mann abzuweisen, ist sozusagen eine der Frau durchaus angemessene Geste“ (Simmel 1909). Dies könnte auch als ein Hinweis für die späteren Überlegungen zu der asymmetrischen Kommunikation (Kapitel 6.1.1) gelesen werden.

10 In dieser Beschreibung wird eine frühe Grenzüberschreitung dargestellt. Es wäre jedoch auch interessant, verspätete Versuche der Grenzüberschreitung soziologisch zu beschreiben.

11 Wahrscheinlich brauchen Grenzen im Flirt unterschiedliche Beobachtungsperspektiven in Bezug auf die Erwartungen der zeitlichen Überschreitung der Grenzen. Dies kann als Hinweis für die asymmetrische Kommunikation gelesen werden (dazu 6.1.1).

12 In anderen sozialen Situationen sind vorherige Signale und ein „Vorfühlen“ nicht zwingend notwendig, damit die andere Person die Kommunikationsofferte, das Hingehen und Ansprechen, annimmt. Es scheint für den Flirt spezifisch zu sein, dass vorherige Signale das Gelingen der Annahme der Kommunikation unterstützt.

13 Vorgezogener Interviewabschnitt einer weiblichen Teilnehmerin.

14 Ein dazu konträres Beispiel könnte der „Bad Boy“ sein, der gerade die entgegengesetzte unsympathische Darstellung nutzt, um sympathisch zu wirken. Sei es nur deswegen, dass er authentisch wirkt, weil er die Darstellung von Sympathie vermeidet.

15 Dazu auch 4.6 und 4.7.

16 Auch bei einer Begrüßung ist im Vorfeld nicht sicher, ob der oder die Andere zurückgrüßt, jedoch scheint es beim Thema Flirt besonders wichtig zu sein den Versuch zu betonen.

17 Noch extremer gedacht, könnte die Unterscheidung Versuch/Nicht-Versuch die Unterscheidung Gelingen/Scheitern semantisch ersetzen, weil der Versuch mit Gelingen gleichgesetzt wird („aber ich hab’s versucht“). Dies könnte die Wahrscheinlichkeit des Versuchens stabilisieren, obwohl der Flirt häufig scheitert, weil Scheitern mit Nicht-Versuchen semantisch verknüpft wird und damit das Scheitern des eigentlichen Flirts entlastet – Erfolg ergibt sich auch aus einer Ablehnung, weil zumindest versuchst wurde. Eine solche Semantik dürfte eine erhöhte Anzahl an erfolgreichen Versuchen, die später scheiterten, kompensieren und rechtfertigen.

18 Der Vorwand scheint funktional äquivalent zum langen Augenkontakt zu sein, um das Problem der Motivation des Ansprechens zu lösen. Der lange Augenkontakt ist eine Einladung durch die andere Person und der Vorwand wäre demnach etwas Ähnliches wie eine Selbsteinladung. Ich möchte an dieser Stelle nicht bewerten, welche Möglichkeit, die bessere ist, sondern darauf hinweisen, dass unterschiedliche Wege gefunden werden, um das Ansprechen beziehungsweise die erste Grenze, zu organisieren.

19 In einem Gespräch machte mich eine Bekannte darauf aufmerksam, dass sie unattraktive Männer, die sie überraschend und teilweise in öffentlichen Räumen ansprechen, zwar abweist, aber gleichzeitig ihren Mut lobt, sie angesprochen zu haben. Das Ansprechen wird den Männern als Mut serviert.

20 Ist dies überhaupt möglich? Und dient der Flirt nicht dazu einen Kontakt überhaupt erst zu ermöglichen?

21 Vielleicht ist eine weitere Funktion des Flirts neben der Anbahnung einer Paarbeziehung oder etwas Ähnlichem die Erzeugung von so etwas wie Heldengeschichten, um das Scheitern des eigentlichen Flirts zu kompensieren und weitere Versuche zu motivieren. Da der Flirt in der Regel ohne institutionellen Rahmen konstituiert wird und aus der Situation entspringt, wird Gelingen und Scheitern auf einzelne Personen zurechenbar – man scheitert als Person. Die Selbstbeschreibung von P2 ist durchaus funktional für die Konstitution zukünftiger Versuche. Alternativ hätte er auch erzählen können, dass er nach dem Ansprechen gescheitert ist und danach keine Flirts mehr anfing.

22 Es ist nicht ausgeschlossen, dass im Vorfeld beidseitiges Interesse besteht. Jedoch scheint in dieser Beschreibung von Flirt ein starker Fokus auf der Herstellung von Interesse oder Sympathie zu liegen.

23 Sympathie kann durchaus spontan entstehen, wie auch in Kapitel 4.1 beschrieben. An dieser Stelle ist gemeint, dass die Darstellung von der Entscheidung für oder gegen eine Person nicht als spontaner Akt inszenierbar ist. Es fällt auf, dass die Darstellung von schwellenhafter Bedenkzeit durch Frauen evoziert wird, weil sie sich gewissermaßen als Hüter von Grenzen beschreiben oder darstellen. Worin äußert sich die Bedenkzeit der Männer? Und wann bricht er ab?

24 Oder aufgrund von Enttäuschung verringern.

25 Damit ist nicht ausgeschlossen, dass Flirts bestimmten Skripts folgen. Ansonsten wäre der Flirt keine kommunikative Gattung. Jedoch scheinen bestimmte routinierte Sprüche, ohne Ironie vorgetragen, nicht zum Gelingen des Flirts beizutragen.

26 Es ist nicht ungewöhnlich, dass persönliche Themen auch in der Kommunikation in Freundschaftsbeziehungen oder Familienbeziehungen auftauchen. Beim Flirt (oder allgemeiner formuliert beim Erstkontakt) scheinen die Grenzen der persönlichen Kommunikation unter besonderer Beobachtung zu stehen, Interpretationen über das gegenseitige Gefallen zuzulassen und das weitere Vorgehen zu steuern („und so guckt man dann immer, wie weit man im Grund genommen gehen kann“).

27 In Bezug auf die Indirektheit von Flirt scheint dieser Abschnitt des Interviews besonders wichtig zu sein, weil beide Akteure mitbeachten müssen, dass sie die Interessenlage des Anderen nicht kennen und im Zweifel dennoch handlungsfähig bleiben müssen, wenn sie vorbeugen wollen, dass nichts (oder gerade etwas) passiert. Dazu auch Kapitel 4.4.

28 Oder alternativ: Der andere hat P3 durch beispielsweise hingehen und ansprechen angezeigt, dass er ihr Interesse mitbekommen hat oder P3 liest an der Ignoranz des Anderen ab, dass der Andere ihr Interesse nicht mitbekommen hat. Es könnte in dieser Unterscheidung auch der Fall bestehen, dass Interesse zwar mitbekommen wird, aber bewusst nicht erwidert wird. So ähnlich wie P3, kann auch das Gegenüber von P3 Distanzierungsgesten verwenden.

29 Ausgehend davon, dass nie mit vollständiger Sicherheit angenommen werden kann, dass der Andere das angezeigte Interesse weder mitbekommen und noch verstanden haben kann. Die Festlegung auf die Definition der Situation als einem Missverständnis erspart einer Seite ewige Recherchearbeit und entlastet die andere Seite sich erklären zu müssen.

30 Don Kulick (2003) macht darauf aufmerksam, dass Frauen bei (hetero-)sexuellen Angeboten wenige Möglichkeiten zur Artikulation eines „Ja“ haben. Aus einer Studie aus dem Jahr 1980 geht hervor, dass 68,5% der Frauen „vielleicht“ meinen, wenn sie „nein“ sagen und 39,3% der Frauen „ja“ meinen, wenn sie „nein“ sagen. Dies lässt sich laut dieser Studie darauf zurückführen, dass Frauen nicht als promiskuitiv wahrgenommen werden wollen, sich von Sex gehemmt fühlen oder den Mann manipulieren wollen. Männer dagegen haben keine adäquate Möglichkeit ein „nein“ auf ein (hetero-)sexuelles Angebot zu artikulieren, weil sie sich sonst fürchten als homosexuell wahrgenommen zu werden. Frauen können somit schwerlich annehmen und Männer schwerlich ablehnen.

31 Nicht jede Ablehnung führt zu erhöhtem Engagement, jedoch scheint dieses Muster speziell für den Flirt zu sein. Es ist durchaus möglich Interesse zu „blockieren“ (Interview 5: „irgendwelche Intentionen hatte, zum Beispiel mich irgendwie näher kennenzulernen oder irgendwie, aber ich hab relativ schnell auch abgeblockt so, hab das nicht passieren lassen“). Der Erfolg der „Blockierung“ könnte auch mit dem Kontext des Flirts („Stammparty“) und der professionellen Dienstleister-/Kundenbeziehung erklärt werden („hab ich auf einer Stammparty gearbeitet und ähm musste irgendwie Wein ausschenken, ein bisschen durch die Tische gehen und dann war da so ne Gruppe an Vollnerds, die auf jeden Fall dann immer, häh du bist die tollste Hostess, so und keine Ahnung“). Was sollen die Kunden sonst anderes tun, als am Ende des Abends die Rechnung zu verlangen und enttäuscht zu gehen?

32 P5 und die andere Person scheinen Teil des gleichen Ensembles zu sein und gemeinsam daran zu arbeiten, dass sie sich räumlich näher kommen.

33 Dies könnte mit Unvorhersagbarkeit der Ereignisse bei gleichzeitigen Erwartungen an den Ausgang des Geschehens gesehen werden. Etwas Ähnliches findet sich im Wettstreit oder Sport. Das Unausgesprochene scheint den von P5 beschriebenen „Nervenkitzel“ zu begünstigen, wenn nicht herzustellen.

34 Dazu auch der Begriff der Inkommunikabilität: „Das 18. Jahrhundert übernimmt diese Semantik und schreibt sie fort in einer Auffassung, die die Eigenständigkeit des Gefühls betont und echte Gefühle unterscheidet von goût, esprit, délicatesse als Mindestvoraussetzungen — des Zugangs zu sexueller Realisation, denn darum geht es jetzt vor allem. Dabei stößt man auf die Inkommunikabilität von Echtheit“ (Luhmann 1982: 54).

35 Eine andere Interpretation könnte nahelegen, dass der Ausdruck von Authentizität Teil der Ausdrucksmanipulation ist (Vgl. Goffman 1982). Jegliches Interesse, wahrhaftig vorhanden oder nicht, muss dargestellt werden. Vielleicht dient die Interpretation des Ausdrucks des Gesichts dazu, den Wahrheitsgehalt von Interessensbekundungen zu stabilisieren.

36 Dazu auch Tyrell (1987).

37 Eine alternative Beschreibung wäre natürlich, dass sich die Frau grundsätzlich wohlfühlen kann und im Moment des Wohlfühlens mit jedem Anwesenden auf persönliche Kommunikation umstellt. Jedoch würde so die Umstellung auf persönliche Kommunikation nicht als Indikator von Flirt gewertet werden können. Dass sich eine Frau aufgrund von gutem Wetter oder etwas ähnlichem wohlfühlt, lässt sie nicht mit einer bestimmten Person auf persönliche Kommunikation umstellen. Erst das Engagement des Mannes, dass sie sich wohlfühlt, lässt sie mit ihm auf persönliche Kommunikation wechseln und ihm zeigen, dass er der Grund ihres Wohlfühlens ist. Würde er denken, dass dies nur aufgrund des guten Wetters oder etwas ähnlichem geschieht, würde er wahrscheinlich aufgrund dieser Unsicherheit keine weiteren Schritte einleiten.

38 Die Nervosität kann auch anders interpretiert werden und den gegenteiligen Effekt erzielen, das heißt Handlung demotivieren, weil die Interpretationsleistung und daraus resultierende Handlung stets der anderen Seite überlassen wird. Dadurch könnte die weibliche Akteurin diejenigen männlichen Anwärter selektieren, die diese Interpretationsleistung vollbringen und danach weitere Handlungen einleiten. Diejenigen, die die nervöse Reaktion von P5 sich selbst als Leistung durch ihr Auftreten o.ä. zuschreiben, machen weiter (in etwa: „Sie wird durch mich schwach “).

39 Ab diesem Zeitpunkt in der Arbeit wird nicht festlegen, dass nur Männer initiativ werden und Frauen nur „Signale senden“, sondern eine Typologie verwenden, die sich in den Interviews finden lässt. Es ist im Flirt nun nicht mehr alles möglich. Gründe für eine solche Typologie würden den Rahmen dieser Arbeit jedoch sprengen.

40 Oder anders ausgedrückt, versucht die männliche Seite das Erleben der weiblichen Seite und die weibliche Seite das Handeln der männlichen Seite zu stimulieren (Vgl. Kapitel 6.1.1).

41 Die Sicherheit, dass sie ihn nicht „testet“ und dementsprechend anders beobachtet, könnte an ihrem Beziehungsstatus (beispielsweise verheiratet oder Paar) abgelesen werden. Jedoch muss auch der Beziehungsstatus herausgefunden werden und in Anbetracht von der Möglichkeit der Affäre diesen Rückschluss zulassen.

42 Die zu verbringende Zeit an der Bar kann selbst als ein Widerstand des zu erreichenden Ziels angesehen werden. „It is a problem to test the partner’s love, and sometimes also to diagnose accurately one’s own feelings. In many different situations one can discern an assumption, often hidden and subconscious, that the value of something can best be measured by gauging the magnitude of the resistance the actor is willing to tackle in order to achieve his goal. […] The need for certainty may drive some lovers to proofs of the depth, intensity, exclusiveness, and durability of feeling that are much more hazardous than the sure test of time” (Aubert 1982: 217).

43 In diesem Zusammenhang gewinnt das Warten an Bedeutung: „Weil wir auf etwas warten, sind wir von dem, worauf wir warten, abhängig. Nicht wir beenden das Warten, sondern das Ereignis, auf das wir gewartet haben. Das Ereignis ‚tritt ein‘: Es ist etwas, das geschieht und uns widerfährt, was wir durch unser Zutun nicht beeinflussen können“ und mehr noch „Wohl kann er in Fällen, in denen er selbst eine Dienstleistung nachfragt, das Warten aufgeben, aber nur um die Preisgabe auch des Ziels. Außerdem muss er eingestehen, die bereits verstrichene Zeit ‚umsonst‘ gewartet zu haben“ (Paris 2001: 709). Dies könnte auch als ein Hinweis auf die in Kapitel 6.2 beschriebenen Schwellen gelesen werden. Wird nicht während des Flirts darauf gewartet, bis einer von beiden „den ersten Schritt“ macht?

44 Obwohl, angenommen P5 recht hat und beide Personen sich gegenseitig als attraktiv wahrnehmen, scheint das phantasieren über den Kuss noch nicht ausreichend zu sein, damit der Kuss in der Handlung vollzogen wird. Eine Person muss den berühmten „ersten Schritt“ wagen.

45 Die Überschreitung von Grenzen dürfte sehr stark an die Zeit gekoppelt sein, sodass die Dauer des Gesprächs bestimmte Handlungen erwartbar macht und andere Handlungen ausschließt. Je nach Zeitpunkt des Gesprächs würde das Ausbleiben oder das Einleiten von Handlungen zur Enttäuschung von Erwartungen führen.

46 Wahrscheinlich entsteht die Erleichterung nach dem Kuss, weil damit eine Grenze überschritten wäre und in den Folgehandlungen der Kuss erwartbar gemacht wird. Oder anders formuliert, bedarf es nicht mehr der Nervosität oder anderer Anzeichen, um nachfolgende Küsse einzuleiten.

47 Unabhängig davon, ob es ihr gelingt „cool“ zu wirken, ist der Versuch und die Beobachtung des Versuchs dies zu erzeugen wichtig für den Flirt.

Ende der Leseprobe aus 176 Seiten

Details

Titel
Die Pragmatik des Flirts. Wie funktioniert die intime Kontaktanbahnung wirklich?
Autor
Jahr
2019
Seiten
176
Katalognummer
V494410
ISBN (eBook)
9783964870131
ISBN (Buch)
9783964870148
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kontaktanbahnung, Kennenlernen, Intimisierung, Intimität, Luhmann, Interview
Arbeit zitieren
Ivan Logunov (Autor:in), 2019, Die Pragmatik des Flirts. Wie funktioniert die intime Kontaktanbahnung wirklich?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/494410

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