Der Nationalsstaat im Spannungsfeld der Globalisierung

Eine Betrachtung zur Handlungsfähigkeit von Nationalstaaten in einer globalisierten Welt


Diplomarbeit, 2008

138 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung

2. Globalisierung – ein multidimensionaler und folgenreicher Prozess
2.1 Definitionen und Abgrenzungen
2.2 Anfänge, Phasen und Neuartigkeit des Globalisierungsphänomens
2.3 Ursachen der Globalisierung
2.4 Reichweite und Grenzen der Globalisierung
2.5 Dimensionen der Globalisierung
2.6 Positionen in der Globalisierungsdebatte
2.6.1 Die Position der Globalisierungsskeptiker
2.6.2 Die Position der Transformationalisten
2.6.3 Die Position der Hyperglobalisierer
2.7 Zusammenfassung: Globalisierung ein multidimensionaler und folgen-reicher Prozess

3. Konstitution, Grundlagen und Organisationsstrukturen des souverä-nen Nationalstaates
3.1 Das Entstehen von Staaten
3.2 Die historische Entwicklung des souveränen Nationalstaates
3.3 Die Globalisierung des territorialstaatlichen Prinzips
3.4 Konstitutive Elemente des Westfälischen Staates
3.4.1 Autorität, Territorialität und Autonomie
3.4.2 Souveränitätskonzeptionen
3.5 Der moderne Wohlfahrtsstaat
3.6 Wohlfahrtsstaatstypen im internationalen Vergleich
3.7 Zusammenfassung: Konstitution, Grundlagen und Organisations-strukturen des souveränen Nationalstaates

4. Nationalstaaten im Spannungsfeld der Globalisierung
4.1 Die Konvergenz – Divergenz Debatte
4.2 Liberalisierung und Deregulierung der Märkte
4.3 Marktfundamentalismus und „Neue Politische Ökonomie“
4.3.1 Vorteile offener Kapitalmärkte
4.3.2 Kritik an der ökonomischen Globalisierung
4.4 Marktversagen und die Notwendigkeit staatlicher Regulation
4.5 Verengte Spielräume staatlichen Handelns
4.5.1 Steuerwettbewerb zwischen den Staaten
4.5.2 Die Besteuerung von multinationalen Unternehmen
4.5.3 Erosion nationalstaatlicher Handlungsautonomie
4.5.4 Erosion nationalstaatlicher Autorität
4.5.5 Zusammentreffen von geteilter, verengter und intakter Souveränität
4.6 Gewinner und Verlierer der Globalisierung im internationalen Vergleich
4.7 Ausblick: Schwächung des Nationalstaates und Race to the bottom?
4.8 Zusammenfassung: Nationalstaaten im Spannungsfeld der Globalisierung

5. Die Zukunft des Nationalstaates – ein Ausblick

Literaturverzeichnis.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Gesamtnennungen des Wortes Globalisierung in der FAZ von 1993 bis 2001

Abbildung 2: Dimensionen der Globalisierung

Abbildung 3: Wachstum der Staatenzahl im internationalen System seit 1900

Abbildung 4: Die langfristige Zunahme der Staatsquote in ausgewählten Ländern

Abbildung 5: Die Staatsquote Deutschlands von 1973 bis 2008

Abbildung 6: Staatsausgaben, -einnahmen, und -defizit in Deutschland

Abbildung 7: Anteil der Ausgaben für Zinsen und sozialer Sicherung am Bundeshaushalt

Abbildung 8: Kapitalströme in Entwicklungs- und Schwellenländer von 1980 bis 2000

Abbildung 9: Wachstumsraten des realen BIP in % nach Dollar und Kraay

Abbildung 10: Globalisierungsindex 2007 – die global Top 10.

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Wachstum der Direktinvestionen

Tabelle 2: Wachstum des Welthandels

Tabelle 3: Anteil der OECD-Länder am Welthandel und FDIs

Tabelle 4: Funktionen des Staates

Tabelle 5: Merkmale von Wohlfahrtsregimen (nach Esping-Andersen)

Tabelle 6: Zusammensetzung des Steueraufkommens in OECD-Staaten von 1970 bis 1996: Prozentanteile am gesamten Steueraufkommen

Tabelle 7: Anteil des Staates am BSP (in %) an einigen ausgewählten Ländern.

1. Einleitung

Das Schlagwort der Globalisierung, das jenes des Kalten Krieges abgelöst hat, ist spätestens seit den medienwirksamen Protesten von Globalisierungsgegnern auf dem Weltwirtschaftsgip-fel in Seattle im Jahre 1999 in aller Munde.

Unabhängig von der Tatsache, dass im öffentlichen Diskurs bisweilen höchst unterschied-liche Phänomene hierunter subsummiert werden und die Meinungen, ob eine derartige Ent-wicklung prinzipiell zu begrüßen oder abzulehnen sei, weit auseinander gehen, manifestiert sich doch die Einsicht, dass dem hiermit gefassten Prozess weder das Individuum noch das Gemeinwesen entkommen kann. Von zahlreichen Autoren wird in diesem Zusammenhang die These vertreten, dass der moderne Nationalstaat, zum Nachteil seiner Bürger und Bürgerinnen, den globalen Herausforderungen nicht mehr gewachsen sei. Obwohl in der Fachwelt eine kon-trovers geführte Diskussion über Ausmaß, Brisanz und mögliche Folgen des Globalisierungs-prozesses entbrannt ist, kann vorgreifend konstatiert werden, dass die globalisierungsbeding-ten Restriktionen nicht spurlos an den Nationalstaaten vorbei gegangen sind. Welche Verände-rungen hiermit angesprochen sind, in welcher Weise sie die nationalstaatliche Souveränität gefährden und wie Nationalstaaten auf gewisse Externalitäten reagieren, sind Gegenstand der vorliegenden Arbeit.

Insgesamt kann der Globalisierungsbegriff als offener und nicht zielgerichteter Prozess er-klärt werden, der mehrere Dimensionen aufweist, die sich gegenseitig durchdringen. Aufgrund neuartiger Informations-, Kommunikations- sowie Verkehrstechnologien ist eine neue Quali-tät in der globalen Vernetzung von Handlungen und Aktivitäten der Menschen entstanden. Die Globalisierung löst damit Raum und Zeit als strukturgebende Elemente des Alltages auf und verleiht durch die Gleichzeitigkeit der Ereignisse der heutigen Zeit ihre eigene Dynamik.

Im Hinblick auf die vorliegende Arbeit werden vermehrt, wenn auch nicht ausschließlich, ökonomische Aspekte des Globalisierungsprozesses in das Zentrum gerückt. In einem enume-rativen Sinne lassen sich folgende Eckpunkte der unterstellten Globalisierungsimperative auf Nationalstaaten zusammenfassen: Globalisierung beschreibt eine Internationalisierung der Produktion, die insbesondere durch vermehrte Direktinvestitionen und Verlagerungen speziel-ler Produktionsbereiche und Dienstleistungen in das Ausland gekennzeichnet ist. Somit ist auch eine Internationalisierung des Dienstleistungssektors zu beobachten. Weiterhin lässt sich bei zunehmender Bedeutung multinationaler Unternehmen eine Verstärkung der potenziellen Konkurrenz bei handelbaren Gütern und Dienstleistungen resümieren, was sich in einer allge-meinen Wettbewerbsverdichtung übersetzt. Mit der Globalisierung ist ein Systemwettbewerb zwischen den Staaten entstanden, der sich in einem erhöhten Wettstreit um mobile Produk-tionsfaktoren äußert und sich letztlich in einem zwischenstaatlichen Steuerwettbewerb wider-spiegelt. Ferner ist ein weltweites Netz an Devisen- und Kapitalmärkten zu konstatieren, wo-bei der Anteil handelsinduzierter Transaktionen an den Devisenmärkten an Gewicht gegen-über spekulativen Kapitalströmen verliert. Auch sind in diesem Zusammenhang verringerte Kosten der Informationsspeicherung, -verarbeitung und -übermittlung, aufgrund des weltweit generierten Kommunikationssystems zu beobachten, was zu sinkenden Transaktionskosten führt. Damit inbegriffen kommt es im Zuge der ökonomischen Globalisierung aber auch zu einer schnelleren Ausweitung nationaler Schocks auf andere Volkswirtschaften, was einen er-höhten Koordinationsbedarf der internationalen Wirtschaftspolitik auf den Plan ruft.

Mit der Verschiebung des Kräfteverhältnisses von Kapital und Arbeit zugunsten des mobi-len, transnational agierenden Kapitals, erkennen einige Autoren die Auflösung des modernen Wohlfahrtsstaates. Damit werden nicht nur tradierte, fordistische Regulationskomplexe sezer-niert, sondern auch qualitativ neue Artikulationsverhältnisse von Politik und Ökonomie postu-liert, die nicht auf der sozialen Erweiterung nationalstaatlicher Interventionen basieren. Dabei sind wirtschaftliche Aktivitäten nicht mehr allein auf nationale Grenzen beschränkt. Insbeson-dere das zunehmend mobiler werdende Kapital ist befähigt, sich in Staaten niederzulassen, die günstige Bedingungen, wie eine geringe Steuerbelastung, aufweisen.

Im Hinblick auf die vorliegende Arbeit lässt sich festhalten, dass sich Nationalstaaten mit ihren wohlfahrtsstaatlichen Sicherungssystemen zwei unterschiedlichen Problemlagen stellen müssen. Zum einen Kongruenzprobleme, da sich die Reichweite gesellschaftlicher Probleme oft nicht mehr deckungsgleich mit dem Wirkungsbereich nationaler Politik erweist. Diesem Umstand ist es auch geschuldet, dass sich Nationalstaaten schwer tun, gewünschte gesell-schaftliche Zustände, wie Vollbeschäftigung, herbeizuführen, da die wohlfahrtsstaatlichen In-strumente nicht mehr geeignet erscheinen, dies zu erreichen. Die zweite Variante staatlicher Problemlagen beschreibt Konkurrenzprobleme, die sich im System- und Standortwettbewerb widerspiegeln. Basierend auf der erweiterten Integration von Märkten und Unternehmen, sind nationale Ökonomien einem wachsenden Wettbewerbsdruck ausgesetzt. So müssen National-staaten aufgrund der erhöhten Faktormobilität immer mehr um den Verbleib und Zufluss von Kapital miteinander konkurrieren.

Die vorliegende Arbeit dient der Darstellung der diversen Perspektiven dieses umfangrei-chen und höchst aktuellen Sachverhaltes. Zu Beginn wird dargelegt, was unter Globalisierung zu verstehen ist und inwieweit es sich hierbei um ein wirkungsmächtiges und qualitativ neu-artiges Phänomen handelt. Hieran anschließend werden die Entstehung des heutigen modernen Wohlfahrtsstaates sowie die Prinzipien der Westfälischen Ordnung nachgezeichnet, um eine Referenzbasis zu erhalten, die es erlaubt, die divergierenden Annahmen zur Agonie des Staa-tes luzide darzulegen. Den Hauptteil bildet eine Synthese beider Abschnitte. Nach einer Vor-stellung der Konvergenz-Divergenz-Debatte und einer Beschreibung der Liberalisierung und Deregulierung der Märkte ab den 1970er Jahren, erfolgt eine Darstellung der staatlichen Handlungskapazität unter Bezugnahme vielfältiger Bereiche, von denen gemeinhin angenom-men wird, dass sie zur Erosion nationalstaatlicher Handlungskapazität beitragen oder diese gar bewirken. Dies beinhaltet selbstverständlich auch Reaktionen des Staates selbst. Zuletzt wer-den Gewinner und Verlierer der Globalisierung sowie der so genannte „Race to the bottom“-Ansatz einer kritischen Würdigung unterzogen, ehe ein Fazit sowie ein Ausblick über die Zukunft des Nationalstaates die Arbeit schließlich abrunden.

2. Globalisierung – ein multidimensionaler und folgenreicher Prozess

Zweifellos ist der Begriff der Globalisierung einer der schillerndsten im aktuellen Sprachge-brauch und man könnte durchaus geneigt sein, ihn als das Schlagwort unserer Zeit zu bezeich-nen. Schließlich hat der Begriff in den letzten 20 Jahren eine bemerkenswerte Konjunktur er-lebt. Fand der Globalisierungsbegriff in der sozialwissenschaftlichen Literatur noch mit Be-ginn der 1980er Jahre nahezu keine Verwendung (vgl. Pelizarri 2004: 31), so ist er spätestens seit Ende des 20. Jahrhunderts sowohl aus der wissenschaftlichen als auch aus der öffentlichen Diskussion nicht mehr wegzudenken. (vgl. Trinczek 1999: 55; vgl. auch Bernauer 2000: 13; Conert 2002: 340; Albrow 2007: 150) Dabei wurde der Begriff auf viele Bereiche, wie Kapital- und Migrationsströme, globale Kommunikation oder auf Umweltzerstörungen trans-feriert. Der Zerfall der zweiten sozialistischen Welt in den 1990er Jahren und dessen Rückwir-kungen auf die Entpolarisierung und Segmentierung der Dritten Welt beförderten letztlich auch die interdisziplinäre Begriffsanwendung. (vgl. von Beyme 2002: 102) Heute wird man allerorts mit der viel beschworenen Globalisierungsdebatte konfrontiert, denn nahezu kein relevantes Thema, sei es aus Politik, Wirtschaft, Ökologie oder Kultur, scheint heute mehr ohne seine weltweiten Bezüge diskussionsfähig. (vgl. Busch 2006: 35) So stellt Dürrschmidt unumwunden fest: „Alles ist global geworden, von der Weltwirtschaft, den Menschenrechten, den Umweltproblemen bis zum Tourismus oder unserem Lebensstil. Globalisierung ist irgend-wie immer mit im Spiel […].“ (Dürrschmidt 2002: 25)

Unternimmt man den Versuch, sich in den aktuellen Stand der Globalisierungsforschung einzulesen, wird man regelrecht von einer stetig wachsenden Flut neuer Veröffentlichungen erschlagen, die Ursachen, Folgen oder Erscheinungsbild der Globalisierung zum Gehalt haben. Altvater und Mahnkopf dokumentieren beispielsweise, dass im Juli 1999 bei einer Internetre-cherche bei amazon.com unter dem Stichwort „Globalization“ 415 Buchtitel aufgeführt wur-den. (vgl. Altvater / Mahnkopf 2004: 20) Im Januar 2004 waren es bereits über 12000 Bücher (vgl. Weisensee 2005: 19; vgl. auch Busch 2006: 36f.) und ein Ende dieser Rezensionswelle ist wohl auch in der Zukunft kaum abzusehen, erfolgt doch damit die außerordentliche Reflek-tion der enormen Brisanz des Begriffes. Insbesondere die Verwendung des Globalisierungster-minus in den Printmedien der letzten Jahre weist einen explosionsartigen Anstieg auf. Der Schlussbericht der Enquete-Kommission vom 12.06.2002 gibt hierüber Auskunft und zeigt an-hand einer Grafik die Gesamtnennungen des Wortes „Globalisierung“ in der FAZ im Zeitraum von 1993 bis 2001. Abbildung 1 kann entnommen werden, dass der Globalisierungsbegriff im allgemeinen Sprachgebrauch relativ neu ist. So hat der Begriff erst Anfang der 1990er Jahre Zugang in die Öffentlichkeit gefunden. Bis 1997 fand ein konstanter und imposanter Anstieg der jährlichen Nennungen in der FAZ statt, der zwar im Zeitraum von 1997 bis 1999 etwas stagnierte, aber ab 2000 weiterhin fulminant anstieg.

Abbildung { SEQ Abbling \* ARABIC }: Gesamtnennungen des Wortes Globalisierung in der FAZ von 1993 bis 2001

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: vgl. Enquete-Kommission 2002: 49)

So legt der inflationäre Begriffsgebrauch der letzten Jahre es nahe, sich ausführlich mit dem „Phänomen Globalisierung“ zu befassen.

Zu Beginn soll die Globalisierung ihrem Gehalt nach vorgestellt werden. Sowohl diverse Definitionen verschiedener Autoren als auch Abgrenzungen zum Begriff, wie die Unterschei-dung Becks, der zwischen Globalisierung, Globalismus und Globalität unterscheidet oder der Terminus der Denationalisierung, der einigen Autoren für die Beschreibung der gegenwärti-gen Prozesse besser geeignet scheint, werden einander gegenüber gestellt. Im Anschluss daran soll der Frage nachgegangen werden, ob es sich bei dem aktuellen Phänomen um eine tatsäch-lich neue und in seiner Ausgestaltung einzigartige Erscheinung handelt oder ob sich Belege finden, die es erlauben, auch in früheren Zeiten von Globalisierung sprechen zu können. Die-ser Aspekt ist für die Zielsetzung der Arbeit nicht unerheblich, da eine negative Beantwortung der Neu- und Einzigartigkeit des Globalisierungsphänomens auch die Grenzen der oftmals prognostizierten These von der Transformation des Nationalstaates aufzeigen würden. Danach soll den Ursachen des Globalisierungsprozesses nachgegangen werden. Insbesondere mono- und multikausale Ansätze werden dabei die Grundlage der Untersuchung bilden. In einem weiteren Schritt wird sich der Reichweite und möglichen Grenzen des Globalisierungsprozes-ses gewidmet. Schlagwörter wie Fragmentierung, Regionalismus oder Nationalismus werden hierbei von besonderem Interesse sein. Gegen Ende dieses Kapitels wird das Globalisierungs-phänomen nach seinen Effekten auf diverse Bereiche befragt. Hierbei zeigt sich, dass der Be-griff als wirkungsmächtiger und multidimensionaler Prozess gedacht werden muss. Den Ab-schluss dieses ersten Teils bildet schließlich eine an Held orientierte Gegenüberstellung ein-zelner Positionen innerhalb der Globalisierungsdebatte bezüglich der Einschätzung über Be-deutung und Folgen des Prozesses.

2.1 Definitionen und Abgrenzungen

Den entscheidenden Anstoß zur Einführung des Begriffs in die sozialwissenschaftliche Litera-tur kann Marshall McLuhan für sich reklamieren, da er bereits in den 1960er Jahren basierend auf seinen Untersuchungen von einer Kompression und Schrumpfen der Welt infolge neuester Kommunikationstechnologien sowie vom „global village“ sprach. Danach bewirkt die Gleich-zeitigkeit von Vorgängen, dass die Zeit aufhört und der Raum verschwindet. (vgl. McLuhan / Fiore 1969: 63) Robertson führte schließlich den Begriff in die Soziologie ein. (vgl. Robertson 1992: 8ff.)

Wie bereits angedeutet, kommt heute mittlerweile fast jede Politikrede oder Talkshow kaum noch ohne den Begriff aus. (vgl. Giddens 1999: 40) Dies spiegelt selbstverständlich die exorbitante Bedeutsamkeit wider, die von ihm ausgeht und verweist zugleich auf seine bei-nahe absolute Geltung, die er in der öffentlichen Debatte für sich in Anspruch nimmt. Hier dient er zugleich als Chiffre, Ursache und Folge und steht parallel für Größe, Modernität und Internationalität. So verwundert es nicht, dass der Globalisierungsbegriff omnipräsent und an-gesichts der Vielzahl der ihm zugeschriebenen Folgen auch als omnipotent erscheint. (vgl. Robejsek 2000: 61) Gleichwohl ist der wissenschaftliche Diskurs, wenn auch zum Teil kon-trovers geführt, inhaltlich tiefer und breiter gestreut als der Öffentliche. Kaum eine Fachrich-tung in der Wissenschaft ist existent, die sich nicht mit diversen Aspekten der Globalisierung beschäftigt. Allerdings führt eine nähere Betrachtung schnell zu der ernüchternden Erkenntnis, dass große Uneinigkeit darüber besteht, wie Globalisierung zu definieren und empirisch zu fassen sei. So versteht die Politikwissenschaft unter Globalisierung die Herausbildung einer „Global Governance Politik“ und die Verdichtung zwischenstaatlicher Beziehungen, während die Ökonomie als ihren Schwerpunkt die Ausbreitung des Kapitalismus und die Internationali-sierung der Wirtschaft benennt, die Soziologie fokussiert auf die Genese einer Weltgesell-schaft und Vernetzung der Gesellschaften, die Kulturanthropologie präferiert wiederum As-pekte der weltweiten kulturellen Vereinheitlichung und der globalen Kommunikation und His-toriker suchen schließlich nach einer globalen Geschichte. (vgl. Mazlish / Buultjens 1993; zit. n. Pieterse 1998: 88)

Da sich der Terminus auf einen vielschichtigen Prozess bezieht, verwundert es nicht, dass sich der Globalisierungsbegriff infolge der Fülle von Indikatoren, die hierunter subsumiert werden sowie der mit ihm verbundenen Dynamik gegen eine einheitliche Definition sperrt. (vgl. Conert 2002: 341; vgl. auch Weisensee 2005: 35) Der Reiz des Globalisierungsbegriffs ist wohl darin zu sehen, dass er theoretisch unscharf und ideologisch vielseitig aufladbar ist, so dass nahezu keinerlei Beschränkungen hinsichtlich seines Gebrauchs zu erkennen sind. „Es ist die Gleichzeitigkeit von Integration, Fragmentierung und Regionalisierung von Märkten und »Volkswirtschaften«, die diese Unübersichtlichkeit erzeugt …“ (Tetzlaff 2000: 18) Schließ-lich gipfelt das analytische Tohuwabohu in der Rede vom „Zeitalter der Globalisierung“ (vgl. Bemerburg / Niederbacher 2007: 7) und ist zugleich dem Umstand geschuldet, dass sich der Begriff quasi selbst globalisiert (ebd.), „ …sei es als „globaliz(s)ation“, als „mondialisa-tion“ oder auch als „quan qui hua“ im Chinesischen.“ (Walter 2005: 27) Nicht ohne Ironie be-haupten Barnet und Cavenagh denn auch: „Globalisierung ist das modischste Wort der 1990er Jahre, so wunderbar und flexibel, dass man damit Alice im Wunderland verblüffen und die Rote Königin in Entzücken versetzen könnte, weil dieses Wort genau das aussagt, was auch immer der Anwender mit ihm ausdrücken möchte.“ (Barnet / Cavenagh 1994: 14) Beck erklärt den Begriff gar als schwammig und konstatiert plakativ: „Ihn zu bestimmen gleicht dem Ver-such, einen Pudding an die Wand zu nageln.“ (Beck 1997: 44)

Vor diesem Hintergrund können die folgenden Ausführungen zur akademischen Globali-sierungsdebatte aus rein quantitativen Gründen nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und Repräsentativität erheben. Einzig über zwei Aspekte scheint im wissenschaftlichen Diskurs Konsens zu herrschen. So kommt es zum einen zu einer immer engeren Verflechtung kulturel-ler und ökonomischer Akteure in diversen Teilen der Welt, zum anderen ist eine Verdichtung des Raum-Zeit-Kontinuums im Zuge der Globalisierung zu beobachten. (vgl. Opielka 2004: 221f.) Doch überwiegen die unterschiedlichen Pointierungen nicht nur zwischen den einzelnen Fachrichtungen, sondern auch innerhalb dieser erfolgt eine unterschiedliche Interpretation des Globalisierungsbegriffs. McGrew beispielsweise beschreibt Globalisierung als zunehmende globale Vernetzung. (vgl. McGrew 1997: 7) Beck fokussiert auf Prozesse, „ …in deren Folge die Nationalstaaten und ihre Souveränität durch transnationale Akteure, ihre Machtchancen, Orientierungen, Identitäten und Netzwerke unterlaufen und querverbunden werden.“ (Beck 1997: 28f.) Albrow lenkt den Blick auf eine sowohl aktive wie auch passive Entwicklung hin zur Globalität, auf eine ansteigende Bedeutung des Globus als zentralen Referenzpunkt oder Voraussetzung menschlichen Handelns sowie auf den sich kumulierenden Einfluss globaler Praktiken auf das Leben der Menschen. (vgl. Albrow 2007: 147f.) Schirm definiert Globalisie-rung als den „ … zunehmenden Anteil grenzüberschreitender privatwirtschaftlicher Aktivitäten an der gesamten Wirtschaftsleistung von Ländern.1 (Schirm 2006: 13) Kurer und Pohl er-klären, dass der ökonomisch relevante Aspekt der Globalisierung in der verstärkten Integra-tion der Weltwirtschaft liegt, der sich in der Zunahme des internationalen Handels relativ zum Weltsozialprodukt äußert, im starken Wachstum der Direktinvestitionen im Ausland, in der zunehmenden Bedeutung multinationaler Unternehmen mit Produktionsstätten in vielen Län-dern und sich zuletzt auch in den weltweit integrierten Finanzmärkten zeigt. (vgl. Kurer / Pohl 1999: 42) Höffe spricht sich gegen eine einseitige Schwerpunktsetzung auf ökonomische Aspekte der Globalisierung aus, da eine ausschließliche Fokussierung profilarm wäre, wenn-gleich er diese Dimension gegenwärtig als am bedeutsamsten annimmt. Vielmehr erfahren zahlreiche Bereiche eine Beeinflussung und müssen für eine stringente Beschreibung der Glo-balisierung herangezogen werden. (vgl. Höffe 1999: 14ff.) In eine ähnliche Richtung zielt Giddens´ Argumentation, indem er Globalisierung als ein komplexes Bündel von Prozessen versteht, welches aus einem Konglomerat von ökonomischen und politischen Faktoren voran-getrieben wird. (vgl. Giddens 1999: 46) „Einerseits verändert sie besonders in den Industrie-ländern das Alltagsleben, andererseits ruft sie neue transnationale Systeme und Kräfte ins Le-ben.“ (ebd.) Nach Müller lässt sich Globalisierung wiederum „ …als die raum-zeitliche Aus-dehnung sozialer Praktiken über staatliche Grenzen, die Entstehung transnationaler Institutio-nen und Diffusion kultureller Muster beschreiben – ein Prozess, der sich durch seinen Tief-gang, seine Geschwindigkeit und seine Reichweite von konventionellen Formen der Moderni-sierung unterscheidet.“ (Müller 2002: 8) Stiglitz schließlich, Nobelpreisträger und intimer Kenner der „Bretton Woods Institutionen“2, fasst Globalisierung aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Chefvolkswirt der Weltbank als die enge Verflechtung von Ländern und Völ-kern der Welt auf, die infolge der exorbitanten Senkung von Transport- und Kommunikations-kosten ermöglicht wurde. Darüber hinaus geht mit der Globalisierung die Beseitigung künstli-cher Schranken für den ungehinderten grenzüberschreitenden Strom von Gütern, Dienstleis-tungen, Wissen, Kapital und Menschen einher. (vgl. Stiglitz 2004: 25)

Die Liste der Vorschläge zur Beschreibung des Globalisierungsbegriffes ließe sich aus der schieren Fülle an Literatur beliebig fortsetzen. Bei der soeben vorgestellten kleinen Auswahl diverser Vorschläge, welche den Globalisierungsterminus abzubilden suchen, ist offensicht-lich, dass die Vorschläge wechselseitig entweder um eine erhöhte Interdependenz, Neuord-nung und Intensivierung interregionaler Beziehungen, vermehrtes Handeln über große Entfer-nungen, globale Integration, neues Bewusstsein von Globalität oder um eine Kompression von Raum und Zeit und vieles mehr kreisen und sich im Kern über eine unterschiedliche Pointie-rung von räumlichen, zeitlichen, kognitiven und materiellen Aspekten der Globalisierung dif-ferenzieren lassen. Betont eine Definition die tiefgreifende Veränderung der Reichweite sozia-len Handelns (räumliche Komponente), fokussiert eine zweite auf die Ausweitung der relati-ven Geschwindigkeit von Interaktionen (zeitliche Komponente), eine dritte auf den Ausbau von Waren-, Kapital- und Menschenströmen (materielle Komponente) und eine vierte schließ-lich auf das zunehmende Bewusstsein vieler Menschen, dass die Folgen der Globalisierung einen ernstzunehmenden Einfluss auf ihr Leben ausüben (kognitive Komponente). (vgl. Held / McGrew 2003: 3f.)

Die immens vieldeutigen Bedeutungszuweisungen, die dem Globalisierungsbegriff zuge-schrieben werden, bergen die Gefahr einer einseitigen Akzentuierung oder verkürzten Darstel-lung dieses hoch komplexen Sachverhaltes. Daher sollte es oberste Prämisse einer luziden und stringenten Definition von Globalisierung sein, möglichst alle relevanten Komponenten zu integrieren. Held, der einen solchen Versuch unternimmt, definiert Globalisierung als „ …a process (or a set of processes) which embodies a transformation in the spatial organization of social relations and transactions – assessed in terms of their extensity, intensity, velocity and impact – generating transcontinental or interregional flows and networks of activity, inter-action, and the exercise of power.” (Held et al. 1999: 16) Diese Definition betont, dass es sich bei dem Phänomen keineswegs um einen Zustand, sondern vielmehr um einen Prozess, ge-nauer um ein ganzes Bündel von vielfach miteinander verwobenen Prozessen handelt. Freilich nimmt auch hier die räumliche Neuordnung sozialer Interaktionen als Folge dieses Prozess-bündels eine zentrale Stellung ein, doch verweist Held zugleich mit der Hervorhebung von Intensität, Geschwindigkeit und den Auswirkungen des Prozesses über die räumliche Kom-ponente hinaus. In der Folge entstehen nach Held interregionale und globale „flows“ und „net-works“ in jedem Bereich des gesellschaftlichen Lebens, wobei unter „flows“ die Bewegungen von Menschen, Waren, Symbolen und Informationen in Raum und Zeit und unter „net-works“ festgelegte Informationsmuster zwischen unabhängigen Akteuren, Machtsphären und Knotenpunkten des Netzwerkes zu verstehen sind. (ebd.)

Darüber hinaus plädieren einige Autoren dafür, anstelle von Globalisierung eher den Begriff der Denationalisierung zu verwenden. Operational ist Denationalisierung bestimmt als „ …relative Zunahme des grenzüberschreitenden Austausches von Zeichen, Personen, Bedro-hungen, Schadstoffen, Gütern, Dienstleistungen und Kapital bzw. als relative Abnahme der Kosten der entsprechenden grenzüberschreitenden Austauschprozesse.“ (Walter 2005: 45) Hier werden einerseits wirtschaftliche Belange angesprochen, die weit über die gesellschaft-liche Bedeutung des Begriffes hinausreichen, andererseits aber auch die damit involvierten Prozesse betont, welche die Welt nicht flächendeckend umspannen. Ferner ist in dieser Be-grifflichkeit die Annahme involviert, dass Globalisierungsprozesse eine Auflösung des Gefü-ges von Nationalstaaten und den auf diese bisher eng bezogenen Gesellschaften bewirken, wo-nach es diesen Autoren geboten erscheint, von einer Entgrenzung der Welt zu sprechen. (vgl. Bernauer 2000: 27f.; vgl. auch Walter 2005: 43ff.; Hirsch 2001: 117; Beisheim et al. 1999: 16ff.; Zürn 1998: 65ff.; Beck 1997: 34) Denationalisierung „ …legt als Begriff den Akzent auf die Relativierung der Nationalstaaten als Verdichtungsräume solcher Transaktionen – unab-hängig davon, welche neue Reichweite diese letztlich erlangen.“ (Walter 2005: 43) Im Verlauf dieser Arbeit soll aber weiterhin, wenn nicht anders ausdrücklich vermerkt, der Begriff der Globalisierung Verwendung finden.

Weiterhin kann der Globalisierungsbegriff in einem nächsten Schritt von anderen, weniger weit reichenden Begriffen wie Regionalisierung (Bündelung von Transaktionen und Interak-tionen zwischen funktional oder geographisch definierten Gruppen von Staaten), Lokalisie-rung (Konsolidierung und Entwicklung lokaler Netzwerke), Nationalisierung (Ausbau sozialer Beziehungen innerhalb eines fest umrissenen Territoriums) und Internationalisierung (Ver-dichtung der Interaktionsmuster und Steigerung der Verbundenheit zwischen Staaten, unab-hängig von deren geographischer Lage) abgegrenzt werden. (vgl. Schwerdt 2003: 10f.) Beck nimmt diesbezüglich zwischen Internationalisierung und Globalisierung eine andere Differen-zierung vor. Danach beschreibt Internationalisierung die konzentrierte Wirtschaftsverflech-tung auf die Triade, namentlich die großen kontinentalen Wirtschaftsblöcke Amerika, Asien und Europa. (vgl. Beck 1998: 20) „Grenzüberschreitender Handel hat also seine klaren Gren-zen, und diese fallen mit den Grenzen der OECD3 -Welt zusammen.“ (ebd.)

Diese Begrifflichkeiten sollen keineswegs den Eindruck erwecken, dass an dieser Stelle Gegensätze generiert werden. Vielmehr stehen sie in einem ausnehmend dynamischen und komplexen Verhältnis zueinander. So kann die ökonomische Regionalisierung wichtige Vor-aussetzungen für eine Vertiefung der wirtschaftlichen Globalisierung schaffen, gleichzeitig diesem Prozess jedoch Grenzen setzen, eben dadurch, dass sie sich ihrem Wesen nach auf be-stimmte Regionen der Welt vornehmlich konzentriert. (vgl. Schwerdt 2003: 11; vgl. auch Birle et al. 2002: 9) Ohmae belegt diesen Umstand eindrucksvoll, wenn er auf boomende Wirtschaftsregionen in China, wie beispielsweise die von Shenzhen und Dongguang, in der unmittelbaren Nachbarschaft Hongkongs verweist. (vgl. Ohmae 2006: 162ff.)

In diesem Kontext erscheint es sinnvoll den Begriff der Glokalisierung einzuführen, der auf die Produktion und Reproduktion von regionaler Differenz zielt. Fragmentierung, Integra-tion, Globalisierung und Territorialisierung sind jeweils sich ergänzende Prozesse oder zwei Seiten desselben Prozesses, der wie Baumann feststellt, weltweiten Umverteilung von Souve-ränität, Macht und Handlungskapazität, was es sinnvoll macht, eher von Glokalisierung als von Globalisierung zu sprechen. (vgl. Baumann 1998: 323) Verfechter der Glokalisierung, wie Robertson, insistieren darauf, dass im subnationalen Bereich die Regionen trotz fortschreiten-der ökonomischer Internationalisierung über ausreichend Optionen verfügen, um lokale Diffe-renzen wirtschaftlich bedeutsam zu generieren oder gar zu erweitern. (vgl. Trinczek 1999: 67f.) „Dies resultiere in einer gleichzeitigen Doppelbewegung von Globalisierung und Regionali-sierung bzw. Lokalisierung, kurzum: in Glokalisierung.“ (ebd.: 68)

Eine weitere Begriffsabgrenzung nimmt Beck vor, indem er neben Globalisierung zwi-schen Globalismus und Globalität unterscheidet. (vgl. Beck 1997: 26) Globalismus bezieht sich nach Beck auf die neoliberale Vorstellung, dass die Weltmarktideologie die nationalstaat-liche Politik zurückdränge oder ersetze. (ebd.) In dieser Verwendung des Begriffs tritt eine ökonomistische und monokausale Verkürzung des differenzierten Globalisierungsprozesses auf die wirtschaftliche Dimension zu tage. Andere Dimensionen, wie die ökologische, kultu-relle, politische oder zivilgesellschaftliche werden in der Sprache des Weltmarktsystems eher stiefmütterlich behandelt und bekunden die unterstellte Dominanz des Weltmarktes, wobei die Grunddifferenz zwischen Politik und Ökonomie dabei aufgehoben wird. Internationalisierung und Globalismus zielen demnach bei Beck in eine ähnliche Richtung. (ebd.: 26ff.) Demgegen-über beschreibt Globalität die inzwischen unrevidierbar gewordene Tatsache, dass man schon heute in einer Weltgesellschaft lebt, in der die Annahme von geschlossenen Räumen obsolet geworden ist. Dabei meint Weltgesellschaft die Gesamtheit aller sozialen Beziehungen, die nicht in nationalstaatliche Politik integriert sind, wobei die Selbstwahrnehmung als Weltge-sellschaft und ihre „ Vielheit ohne Einheit “ (ebd.: 28) von entscheidender Bedeutung ist. Glo-balität zielt somit auf die Unterscheidung zwischen erster und zweiter Moderne, die Beck vor-nimmt4 und insistiert, dass keine lokal begrenzten Vorgänge mehr existent sind. Vielmehr wird dafür plädiert, dass wir von nun an „ …unser Leben und Handeln, unsere Organisationen und Institutionen entlang der Achse »lokal-global« reorientieren und reorganisieren müssen. Globalität, so verstanden, kennzeichnet die neue Lage der Zweiten Moderne.“ (ebd.: 30)

2.2 Anfänge, Phasen und Neuartigkeit des Globalisierungsphänomens

Seit Jahren rankt sich eine bis dato ergebnislose Diskussion, ob es sich bei dem gegenwärtigen Globalisierungsphänomen tatsächlich um ein völlig neues Ereignis handelt, mit dessen Aus-wirkungen sich Mensch und Nationalstaat konfrontiert sehen und ab welchem historischen Zeitpunkt man sinnvollerweise den Beginn des Globalisierungsphänomens verorten sollte. Die bereits attestierte gewisse Konturlosigkeit, die dem Begriff anhaftet, kommt auch bei der Be-antwortung dieser Frage voll zur Geltung.

So beginnt Globalisierung wahlweise mit dem Plaza-Abkommen vom 22.09.19855, dem Schwellenländerphänomen der 1970er Jahre6, der ersten bemannten Mondlandung (vgl. Dahrendorf 1998: 41), dem Ende des 2. Weltkrieges (1939-1945)7, der Industriellen Revolu-tion, der europäischen Welteroberung, den Flottenexpeditionen des Zhen He oder der Errich-tung der Pax Mongolica. (vgl. Menzel o.J.a: 2ff.) Hamm verdeutlicht, dass der Beginn der aktuellen Globalisierungsphase relativ genau bestimmt werden kann. So ereigneten sich Mitte der 1970er Jahre eine Vielzahl von Zäsuren, wie die Aufkündigung des Bretton-Woods-Wäh-rungssystems und der Übergang zu freien Wechselkursen, die für die aktuelle Globalisierungs-dynamik verantwortlich gemacht werden könnten. (vgl. Hamm 2006: 39; vgl. auch Willke 2003a: 19) Die Liste der Vorschläge ließe sich beliebig fortsetzen.

Marxisten siedeln den Anfang der Globalisierung mit Beginn der historischen Neuzeit im 15. Jahrhundert an. Ähnlich deuten dies auch Wallerstein und Bornschier, die diesbezüglich den Blick auf die Entstehung des modernen Weltsystems beziehungsweise den Beginn einer neuen Weltsicht richten. (vgl. Wallerstein 1983: 304ff.; vgl. auch Bornschier 2002: 7ff.) Dage-gen schlägt Giddens mit dem Ausklingen des 18. Jahrhunderts den gleichzeitigen Beginn der Moderne vor. (vgl. Giddens 2001a: 22f.) Tomlinson, der sich hauptsächlich für kulturelle Glo-balisierungsprozesse interessiert, verortet den Beginn Mitte des 20. Jahrhunderts und die Anfänge einer globalen Zivilisation glaubt Perlmutter erst mit dem Ende des Ost-West-Anta-gonismus zu erkennen. (vgl. Pieterse 1998: 91; vgl. auch Robejsek 2000: 66f.) Offensichtlich wird, auch ohne im Detail auf diese Argumentationsfiguren eingehen zu müssen, dass räum-licher Ausdehnung, ökonomischen Aspekten, ordnungspolitischen Überlegungen und technischen Neuerungen eine überragende Bedeutung für Wandlungsprozesse beigemessen wird.

In diesem Zusammenhang erscheint es gerechtfertigt auch auf unterschiedliche Phasen hinzuweisen, die im Kontext des Globalisierungsphänomens ausgemacht werden. Held etwa differenziert zwischen vormoderner (Beginn vor ca. 10000 Jahren), frühmoderner (ca. 1500-1850), moderner (ca. 1850-1945) und gegenwärtiger Globalisierung, wobei jede dieser Phasen eine spezielle Konstellation von bestimmten raumzeitlichen Organisationsstrukturen ent-spricht und somit von den anderen Phasen klar zu unterscheiden ist. Bemerkenswert ist die letzt genannte Phase, die Held auch als „ thick globalization “ (vgl. Held et al. 1999: 21) be-zeichnet, deren Merkmale eine hohe Intensität, Extensität, Geschwindigkeit und Institutionali-sierung sind und die sich hinsichtlich ihrer Dominanz der Nationalstaaten, einer gut ausgebau-ten Infrastruktur und einer komplexen Stratifizierung von früheren Phasen abgrenzt. (ebd.: 414ff.) Robertson schlägt dagegen ein anderes Modell vor, wonach fünf Phasen ab 1400 bis zum heutigen Tage zu identifizieren sind. (vgl. Robertson 1992: 57ff.) Cohen macht wiederum drei Phasen aus, wonach die erste im 16. Jahrhundert mit dem Zeitalter der Entdeckung ein-setzte und die zweite im 19. Jahrhundert, als eine Dominanz englischer Kaufleute auf dem Weltmarkt zu beobachten war. Gegenwärtig, so Cohen, befinden wir uns in der dritten Phase der Globalisierung, die sich von den vorangegangenen Phasen dahingehend unterscheidet, dass sie zwar das Zuschauen leicht mache, sich aber eine Teilhabe umso schwieriger gestaltet. (vgl. Cohen 2006: 18ff.) Dezidierter stellt es sich bei Höffe dar, der ebenfalls drei Phasen auszumachen weiß, wonach die erste schon in der Antike Bestand hat und deren Abbild er bei-spielsweise in der Seidenstraße, die bekanntlich von China über Zentral- und Westasien nach Europa und Afrika verlief, erkennt. Eine zweite Phase stellt das Zeitalter der Entdeckungen dar. Diese Phase wurde nach Höffe maßgeblich von Staaten getragen, während bei der zeitge-nössischen Globalisierung dies kaum noch der Fall ist. (vgl. Höffe 1999: 23f.)

Für Duwendag ist gerade die aktuelle Phase, die er auf den Zeitraum 1985-2002/3 datiert, von besonderem Interesse. Duwendag zeigt, dass hauptsächlich ein Anstieg der realen Welt-exporte für diesen Zeitrahmen zu verzeichnen ist und als exorbitante Globalisierungsexpan-sion gewertet werden kann. (vgl. Duwendag 2006: 12f., 70f.) Allerdings wird auch dargelegt, dass diese aktuelle Globalisierungswelle nach ihrer imposanten Expansion auf vielerlei Gebie-ten in den Jahren ab 2001 eine Wachstumspause einlegte. (ebd.: 14) Seitdem waren eine kon-stante Abwertung des US-Dollar gegenüber dem Euro, ein bislang nicht gekannter Anstieg der Ölpreise oder das Platzen diverser Blasen auf Aktien- und Immobilienmärkten zu beobachten. Hieraus resultierend kam es zu weltweiten Vertrauenskrisen sowie in vielen Industrieländern zu Stagnationen und Rezessionen. (ebd.: 14f.) Auch wenn ab 2004 wieder ein Anstieg, sowohl bei Weltexporten als auch bei Beständen ausländischer Direktinvestitionen (FDI)8 zu beobach-ten ist, bleibt dabei offen, ob es sich hierbei nur um eine kurze Episode handelt, in der sich die wirkungsmächtigen Globalisierungsindikatoren gleichsam konsolidiert haben oder ob sich hier doch der Beginn eines längeren Globalisierungsrückschlags abzeichnet. (ebd.: 15)

Im weiteren Verlauf dieses Kapitels soll das Hauptaugenmerk nun auf die Frage gerichtet werden, ob das Globalisierungsphänomen in seiner aktuellen Ausgestaltung historisch einzig-artig ist oder nicht. Zweifelsohne umfasste schon das römische Imperium viele Völker und Kulturen, deren Kaufleute in regem Austausch miteinander standen. Im mittelalterlichen Wirt-schaftskosmos waren Kontakte nicht nur auf Länder der Christenheit beschränkt, sondern er-streckten sich bis nach Afrika oder Asien. (vgl. Kocar 2003: 61ff.) In der Neuzeit erfolgte ins-besondere aus europäischer Sicht die Erschließung und Kolonialisierung aller übrigen Konti-nente mit der Folge wachsender Verflechtung des gesamten Globus´ und im 19. Jahrhundert schließlich existierten keine weißen Flecken auf der Erde mehr, mit denen Europa nicht in wirtschaftlichen Kontakt stand. (vgl. Wenig 2000: 151) Ziegler spricht in diesem Zusammen-hang gar von einer „Europäisierung der Welt“. (vgl. Ziegler 2003: 22)

Doch konstatiert Willke, dass die gegenwärtige Globalisierung eine völlig neue Qualität gegenüber früheren Globalisierungsschüben erreicht habe. Neu an der Globalisierung ist, dass globale Aspekte „ …mit [der] Digitalisierung, der Ubiquität von Computern und digitaler Ver-netzung globale Transaktionen (über Telefonleitungen, Datenleitungen, Mobiltelefonsysteme und Satelliten) praktisch ohne Relevanz des Ortes und ohne Zeitverzögerung möglich und manifest geworden sind.“ (Willke 2003a: 16) Während in früherer Zeit die Betätigung an Aus-landsmärkten den Spezialisten im Import- und Exportgeschäft vorbehalten war, vermag heut-zutage jedes mittelständische Unternehmen in eigener Regie überallhin zu liefern und zugleich von überallher Produkte zu beziehen. Aber auch moderne Verkehrsmittel transportieren heute mehrere Millionen Touristen rund um den Erdball. In diesem Zusammenhang sind die exorbi-tanten Migrantenströme von Interesse, „ …die heute trotz der Einwanderungsbarrieren der In-dustrieländer die Qualität von Völkerwanderungen erreichen. Die weltweite Vernetzung wirt-schaftlicher Vorgänge, …, hat einen Grad erreicht, der im Vergleich zu früher einen Quanten-sprung beinhaltet.“ (Wenig 2000: 151) In ähnlicher Weise argumentiert auch Hamm, der be-tont, dass es Globalisierungserscheinungen in der Menschheitsgeschichte stets gegeben hätte, doch die gegenwärtigen Verflechtungen von Kapital, Informationen, Dienstleistungen oder Waren im historischen Verlauf dichter und vielfältiger geworden sind und heute einen neue Qualität beschreiben. (vgl. Hamm 2006: 38f.) Ebenso erklärt Castells, dass zwar die öko-nomische Seite der Globalisierung tiefe historische Wurzeln aufweist, doch eine explizite Be-schleunigung des Phänomens mit dem Aufkommen neuer Technologien, die „ …sowohl welt-weite quasi-gleichzeitige Transaktionen als auch das Management der mit der Deregulierung und finanziellen Kreativität verbundenen Komplexität möglich machte[n].“ (Castells 2001: 70), mit den späten 1980er Jahren verbunden sei. (ebd.: 69ff.)

Als die derzeit statistisch am besten fundierte Konzeptionalisierung kann die ökonomische Globalisierungsdimension angesehen werden. Hierbei lassen sich zahlreiche Angaben zum Wachstum des internationalen Handels, zum Anstieg der FDIs und somit zum vermehrten Be-deutungsgehalt multinationaler Konzerne sowie zur Herausbildung der geographisch kaum mehr eindeutig lokalisierbaren Finanzmärkte und der drastischen Steigerung ihres Marktvolu-mens finden. (vgl. Robejsek 2000: 69) Fernerhin wird die Weltwirtschaft nicht als ein Konglo-merat länderspezifischer Märkte gedacht, sondern als einen über nationale Grenzen hinweg verknüpften Pool von Märkten, auf denen Unternehmen weltweit agieren und miteinander konkurrieren. Diese Indikatoren, so die vornehmliche Meinung, weisen zweifelsfrei in Rich-tung Globalisierung. (ebd.) Allerdings ist es an dieser Stelle durchaus gerechtfertigt zu fragen: Was ist eigentlich das Neue an der gegewärtigen Globalisierung im Vergleich zu etwaigen Globalisierungstendenzen, die Jahrhunderte zurück zureichen scheinen?

Zur Untermalung der Existenz der Neuartigkeit der gegenwärtigen Globalisierung gegen-über früheren Globalisierungsformen wird oftmals der über die Jahre hinweg fulminant ge-stiegene Anteil grenzüberschreitenden Handels innerhalb von Firmen angeführt, welcher bis zu 30 Prozent des gesamten Handelsvolumens ausmacht. In diesem Kontext ist auch die welt-weite Zunahme von Unternehmensfusionen, Jointventures oder strategischen Allianzen zu in-terpretieren. (vgl. UNCTAD 1998; zit. n. Bernauer 2000: 30) Robejsek erklärt dagegen, dass die imposante Anzahl und Größe gegenwärtiger Fusionen zu dem Schluss verleitet, die aktuel-le Welle externen Wachstums stelle etwas völlig Einzigartiges dar. (vgl. Robejsek 2000: 72) „Vor hundert Jahren gab es in den USA einen ähnlichen Schub. Vorherrschend waren damals die „Konsolidierungen“, bei denen sich mehrere Konkurrenten einer Branche zu einem einzi-gen, marktbeherrschenden Unternehmen zusammenschlossen. Marktanteile von 40 bis 70 Pro-zent waren die Regel. […] Ausgelöst wurde diese Welle durch technische Umwälzungen wie die Ablösung von Dampf durch Strom, die Einführung des Telefons und den Ausbau des Eisenbahnnetzes sowie durch organisatorische Neuerungen (Taylorismus).“ (ebd.)

Ein weiteres oft bemühtes Argument, das die These der Neuartigkeit des aktuellen Globa-lisierungsphänomens stützen soll, stellen Angaben zu FDIs dar, wonach diese „ …den interna-nationalen Handel als Motor der wirtschaftlichen Globalisierung abgelöst haben.“ (Bernauer 2000: 30) Allerdings konstatiert auch hier Robejsek, dass bei adäquater Betrachtung die realen Veränderungen der Gesamtinvestitionen weit weniger dramatisch erscheinen. (vgl. Robejsek 2000: 70) Untersucht man beispielsweise die Außenhandelsquote, gelangt man zu der Er-kenntnis, dass das gegenwärtige Globalisierungsniveau historisch keineswegs so neuartig ist, wie oftmals unterstellt. (ebd.) Bei Ausweitung des Beobachtungszeitraums auf die Zeit vor dem 1. WK (1914-1918) ergibt sich vielmehr ein Bild, nachdem auf dem Höhepunkt des Goldstandards das damalige Niveau der Globalisierung dem heutigen entsprach und die Welt-wirtschaft zum Teil sogar stärker integriert war. (vgl. Werner 2004: 12; vgl. auch Rodrik 2000: 14f.; Höffe 1999: 24; Höll 1999: 38) Aus dieser Sichtweise drängt sich die Folgerung auf, dass seit dem Ende des 2. WK eine Phase vorlag, in der lediglich der Niedergang internatio-nalen Wirtschaftsbeziehungen der Zwischenkriegsjahre kompensiert wurde. Von einem völlig neuartigen Phänomen und einer grundlegenden qualitativen Transformation kann aus dieser Perspektive somit keineswegs gesprochen werden. (vgl. Hirst / Thompson 2000: 49) Von Beyme befindet denn auch die Europäisierung als Folge von Globalisierungsprozessen als das einzig Neuartige und etwaige Einzigartigkeiten der Globalisierung könnten einem Vergleich mit der Zeit vor dem ersten 1. WK somit nicht standhalten. (vgl. von Beyme 2002: 102)

Werner präzisiert, dass in der Fachwelt weitestgehend Konsens darüber herrscht, dass kurz vor Ausbruch des 1. WK die damalige Globalisierungswelle auf ihrem Zenit ein ähnliches Ni-veau aufwies wie die Gegenwärtige. (vgl. Werner 2004: 12) „Damals hatten die Warenexporte einen Anteil von 8,7% am Welt-BIP, heute beträgt dieser Wert 13,5%. Schuldnerstaaten wie Kanada, Australien und Argentinien wiesen am Ende des langen 19. Jahrhunderts mit jährli-chen Kapitalzuflüssen um die 10% des Bruttoinlandsprodukts sogar bereits höhere Werte auf als die heutigen Schwellenländer.“ (ebd.) Diese Werte werden gern herangezogen, um die ho-hen Entwicklungsstandards, den Handel und Kapitalverkehr am Ende des 19. Jahrhunderts zu illustrieren und dienen zugleich als Basis für die Feststellung, dass es sich bei der gegenwär-tigen Globalisierungsphase vielmehr um ein „Déjà-vu-Erlebnis“ handelt. (ebd.) Doch interpre-tiert man diese Kennzahlen anders, ergibt sich in der Gegenüberstellung mit der Zeit vor 1914 und der heutigen ein etwas differenzierteres Bild. Wenn man die Handelsumsätze nicht mit dem BIP, sondern mit der Warenproduktion vergleicht, wird ersichtlich, dass sich der interna-tionale Handel gegenüber 1914 nahezu verdreifacht hat. Die Ursache für die unterschiedliche Interpretation der Ergebnisse liegt nach Werner darin begründet, „ …dass die Warenproduk-tion als Anteil am BIP in den letzten 100 Jahren erheblich gesunken, und die Dienstleistungs-erstellung erheblich gestiegen ist. Ähnlich sieht es beim Kapitalverkehr aus. Deutlich höhere Werte ergeben sich für die Gegenwart, sofern nicht die Nettoströme, sondern die Bruttoströme betrachtet werden, die aufgrund umfangreicher kurzfristiger Transfers ein Vielfaches der ent-sprechenden Ströme des 19. Jahrhunderts betragen.“ (ebd.) Conert erklärt dazu, dass die These einer größeren Offenheit nationaler Ökonomien vor 1914 aufgrund einer von ihm vorgenom-menen Kontrolluntersuchung keineswegs entsprochen werden könne. (vgl. Conert 2002: 351) Ebenso legt Bernauer dezidiert dar, dass die heutigen weltwirtschaftlichen Verflechtungspro-zesse einen höheren Grad beschreiben, als in der Zeit vor dem 1. WK, in der sich die weltwirt-schaftliche Integration auf wenige Bereiche beschränkte, während heute die Verflechtungspro-zesse auf breiterer Front gelagert sind. (vgl. Bernauer 2000: 34) Deutlich wird dies vor allem, wenn man nicht nur wirtschaftliche, sondern umweltpolitische, kulturelle, sicherheits- und kommunikationsbezogene Aspekte einbezieht. Das Internet, das Treibhausproblem, das Fern-sehen oder Atomwaffen existierten zu dieser Zeit schlicht nicht. (ebd.)

Beck beantwortet die Frage, was an der gegenwärtigen Globalisierung neu ist wie folgt: „Neu ist nicht nur das alltägliche Leben und Handeln über nationalstaatliche Grenzen hinweg, in dichten Netzwerken mit hoher, wechselseitiger Abhängigkeit und Verpflichtungen; neu ist die Selbstwahrnehmung dieser Transnationalität (in den Massenmedien, im Konsum, in der Tou-ristik); neu ist die »Ortlosigkeit« von Gemeinschaft, Arbeit und Kapital; neu ist auch das öko-logische Gefahrenbewusstsein und die korrespondierenden Handlungsarenen; neu ist die un-ausgrenzbare Wahrnehmung transkultureller Anderer im eigenen Leben mit all dem sich widersprechenden Gewissheiten; neu ist die Zirkulationsebene »globaler Kulturindustrien«; neu sind auch das Heranwachsen eines europäischen Staatengebildes, die Zahl und Macht transnationaler Akteure, Institutionen und Verträge; schließlich ist auch neu das Ausmaß öko-nomischer Konzentration, das allerdings abgebremst wird durch die neue grenzübergreifende Weltmarkt-Konkurrenz.“ (Beck 1997: 31f.)

Ebenfalls ist eine Veränderung zu der Zeit vor dem 1. WK im Wandel grenzüberschrei-tender politischer Steuerungsstrukturen manifestiert, da die Zahl internationaler Organisatio-nen markant angestiegen ist, in denen Fragen zu globalen Umwelt- und Energieproblemen, der Bewältigung internationaler Verschuldung, der Liberalisierung des Welthandels oder des Weltfriedens bearbeitet werden. (vgl. Bernauer 2000: 34) Im Zusammenhang mit der Euro-päischen Union (EU) hat sich die internationale Kooperation in einigen Politikbereichen hin zu supranationalen, also dem Staat übergeschalteten, Regierungsformen entwickelt. Insbeson-dere die Wirtschaftspolitik sei hier angesprochen, nicht aber die Aussen- und Sicherheitspoli-tik, die nach wie vor dem nationalstaatspolitischen Ressort zugeordnet ist. Ferner haben sich heute parallel zu der steigenden Zahl internationaler Organisationen nichtstaatliche Akteure auf der Weltbühne explosionsartig vermehrt. (ebd.: 34f.) Mittlerweile sind mehrere tausend in-ternational operierende Nichtregierungsorganisationen (NGOs)9 und multinationale Unterneh-men (MNU)10 existent, denen einige Autoren einen erheblichen Einfluss auf politische Prozes-se und deren Ergebnisse zugestehen. (ebd.: 35)

Abschließend kann resümiert werden, dass das Ausmaß der weltwirtschaftlichen Verflech-tungen insbesondere seit den 1970er Jahren stark zugenommen hat. Diese Dynamik ist jedoch nach der jeweiligen Dimension, auf der diese Prozesse empirisch basieren, und je nach Land unterschiedlich stark, bei primärer Konzentration auf der OECD-Welt

2.3 Ursachen der Globalisierung

Doch wo sind die Ursachen der Globalisierung zu suchen? Hierzu lassen sich ebenfalls unter-schiedliche Auffassungen in der Literatur finden. (vgl. Conert 2002: 348f.) Hauptaugenmerk soll dabei auf Ansätze gerichtet werden, die sowohl monokausaler als auch multikausaler Na-tur sind. Monokausale Ansätze gehen in der Regel von politischen, wirtschaftlichen oder tech-nologischen Wandel als Initialisierung und Triebfeder der Globalisierung aus. (vgl. McGrew 1997: 9f.) Insbesondere ältere Ansätze fokussieren oftmals auf technologische Neuerungen ge-rade im Transport- und Kommunikationssektor als alleinige Ursache für Globalisierung. Da-neben stehen Ansätze, die als Ursache, primär eine der kapitalistischen Wirtschaftssystem immanente Entwicklungslogik sehen. (vgl. Wallerstein 1983: 305) Aber es existieren auch Modelle, die den Staat als Verursacher für Globalisierung benennen.

Hier sind ausdrücklich Konzepte angesprochen, die Globalisierung als intentional von Staaten initiierten Prozess begreifen. (vgl. Schirm 2006: 15f.; vgl. auch Giddens 1999: 45) So haben Regierungsentscheide über die Liberalisierung des Welthandels, über die Öffnung na-tionaler Finanzplätze und die Deregulierung von Märkten die Globalisierung seit den 1970er Jahren nachhaltig beschleunigt. (vgl. Schirm 2006: 15) Internationale staatliche Wirtschafts-organisationen wie die WTO, beziehungsweise ihr Vorgänger GATT11 oder der IWF12 spielten bei der Reduzierung von Handelsbarrieren und der Stabilisierung der wachsenden grenzüber-schreitenden Finanzströme eine tragende Rolle. Insofern stellt die Globalisierung eine be-wusste und in diesem Sinne keineswegs naturwüchsiges Phänomen dar, mit der die dabei maßgeblichen Regierungen der Industrieländer sowohl nationales als auch weltwirtschaftli-ches Wachstum fördern wollten. (ebd.; vgl. auch Höffe 1999: 18; Kohler-Koch 1996: 129f.) Hiernach erklärt sich Globalisierung essentiell über Entscheidungen demokratisch legitimier-ter Regierungen auf nationaler Ebene und über Vereinbarungen internationaler Organisationen, die wiederum durch demokratisch legitimierte Regierungen der Industrieländer eine entschei-dende Beeinflussung erfuhren. (vgl. Schirm 2006: 15f.)

Eine andere Sichtweise zeichnet dagegen nicht-internationale Resultate staatlichen Han-delns für die gegenwärtige Globalisierung als verantwortlich. (vgl. Hirsch 1998: 70ff.) Danach stellt sich Globalisierung als externer Effekt staatlichen Verhaltens dar, wie es auch im Rah-men neomarxistischer Ansätze betont wird. So generiert sich die Globalisierung nach Hirsch über die Krise des fordistischen Systems. Mit dem strukturellen Rückgang der Kapitalrentabi-lität verdeutlicht diese Krise den inhärenten Trend der kapitalistischen Akkumulation, die Profitabilität und somit ihre eigenen Fundamente zu unterminieren. (vgl. Hirsch 1995: 88f.)

Die multikausalen Ansätze gehen im Unterschied zu den soeben vorgestellten monokausa-len Ansätzen davon aus, dass jeder der genannten Aspekte für sich genommen zwar durchaus eine notwendig plausible, jedoch keineswegs hinreichende Bedingung für Globalisierung dar-stellt. Gerade das Arrangement der erwähnten Aspekte kann erst die im Zuge der Globalisie-rung auftretenden Veränderungen evident erklären. Prominente Vertreter dieser Position sind Giddens und Robertson. Giddens prononciert, dass die von ihm definierten Dimensionen (internationale Arbeitsteilung, kapitalistische Weltwirtschaft, militärische Weltordnung und das System der Nationalstaaten) jeweils einen eigenständigen kausalen Einfluss auf den Glo-balisierungsprozess besitzen und diesen entsprechend ihrer eigenen Logik formen. (vgl. Giddens 1996: 92ff.) Robertson geht hierbei mit Giddens konform, da auch er von der An-nahme ausgeht, dass der gegenwärtige Zustand von Globalität nicht aus einer einzelnen Ent-wicklungslogik entstanden sein kann. Doch gilt sein Interesse weniger dem Herausarbeiten der spezifischen Logik einzelner Dimensionen oder deren Berührungspunkte, als vielmehr dem Verständnis, auf welche Weise diese die beobachtbare Kongruenz von Universalisierung und Fragmentierung zu bewirken vermögen. (vgl. McGrew 1999: 72ff.)

Giddens und Robertson unterscheiden sich aber auch hinsichtlich einer anderen, in diesem Kontext mit den Ursachen der Globalisierung eng verknüpften und darüber hinaus in der so-ziologischen Debatte kontrovers diskutierten Frage: In welchem Verhältnis steht die Globali-sierung zur Moderne? Ist die Globalisierung die Summe der globalen Diffusion der westlichen Moderne? Während beide Autoren dies zwar verneinen, fasst Robertson die Globalisierung als einen langfristigen historischen Prozess auf, der unabhängig von dem der Moderne verläuft. (vgl. Robertson 2003: 8; vgl. auch Bornschier 2002: 91f.) Dagegen meint Giddens in der Globalisierung einen multikausalen Prozess und die direkte Konsequenz der Moderne zu er-kennen: „Die Moderne ist in ihrem inneren Wesen auf Globalisierung angelegt. Das zeigt sich an einigen der besonders grundlegenden Eigenschaften der modernen Institutionen, zu denen insbesondere deren Einbettung und Reflexivität gehören.“ (Giddens 1996: 84)

Andere Autoren wiederum betonen, im Gegensatz zu den soeben genannten Positionen, dass gerade der Globalisierungsprozess über die Moderne hinausweist. So spricht beispiels-weise Albrow gar vom Anbruch eines „Goldenen Zeitalters“ (vgl. Albrow 2007: 132), wel-ches mit einem epochalen Wandel die Moderne abgelöst habe und daher auch mit gängigen theoretischen Kategorien der Moderne nicht angemessen erfasst werden könne. (ebd.) In eine ähnliche Richtung verweist auch Beck, der zwischen erster und zweiter Moderne unterschei-det. (vgl. Beck 2007a: 45ff.) Er sieht dabei zwar nicht das Ende der Moderne, wohl aber den Beginn der zweiten Moderne gekommen, die inhaltlich stark vom Wesen der Globalisierung geprägt ist und mit einer Grundprämisse der ersten Moderne bricht, nämlich der „ …Vorstel-lung, in geschlossenen und gegeneinander abgrenzbaren Räumen von Nationalstaaten und ihnen entsprechenden Nationalgesellschaften zu leben und zu handeln.“ (Beck 1997: 44)

2.4 Reichweite und Grenzen der Globalisierung

Eine weitere Frage, die rege debattiert wird, betrifft die Reichweite der Globalisierung. Hier-nach ist wohl je nach Schwerpunktlage davon auszugehen, dass sie in diversen Dimensionen, ob ökonomischer, ökologischer, politischer, sozialer oder kultureller Natur, unterschiedich ausfällt. So erklärt McGrew, dass sowohl die Auswirkungen als auch das Ausmaß der Vernet-zung zwischen einzelnen Dimensionen variieren. (vgl. McGrew 1997: 8)

Für Deutschland haben Gerhards und Rössel diesen Umstand an diversen Graden der Transnationalisierung innerhalb und zwischen den Bereichen Kunst, Wissenschaft und Öko-nomie dargestellt, wobei interessanterweise gerade die Ökonomie, deren zunehmende Ent-grenzung jeder zu erkennen glaubt und allenthalben diskutiert wird, sich im Vergleich zu den anderen Bereichen als am wenigsten transnationalisiert herausgestellt hat. (vgl. Gerhards / Rössel 1999: 328ff.) Der Begriff Transnationalisierung wird bei diesen Autoren anstelle von Globalisierung verwendet, da hier „ …die Richtung der Entwicklung begrifflich nicht präjudi-ziert wird. […] Transnationalisierung kann auch bedeuten, dass sich Gesellschaften europäi-sieren, amerikanisieren, okzidentalisieren, OECDsieren …, kreolisieren …“ (ebd.: 325f.) Schirm, der vehement die These von der Neuartigkeit des Globalisierungsphänomens verfech-tet und dies auch anhand von ökonomischen Kennzahlen zu beweisen sucht, verweist auch auf die Grenzen der Globalisierung sowie auf die Effekte des Börsenabschwungs und regionaler Finanzkrisen auf Auslandsinvestitionen nach 2001. (vgl. Schirm 2006: 14)

Tabelle 1: Wachstum der Direktinvestionen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: vgl. UNCTAD 2005; zit. n. Schirm 2006: 14)

Tabelle 2: Wachstum des Welthandels

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: vgl. IWF 2006; zit. n. Schirm 2006: 14)

Insbesondere die Asienkrise von 1997 und deren Nachwirkungen haben einige Hyperglobali-sierer (vgl. Kapitel 2.6.3.) zum Nachdenken angeregt, „ …dass politisch unkontrollierte Märkte mehr Chaos als Segen hervorrufen können.“ (Tetzlaff 2000: 19), aber auch die galop-pierende Zerstörung der Wälder auf der Erde, die hässliche Realität von Massakern in Afrika oder kriminelle Netzwerke, welche öffentliche Institutionen zu infiltrieren drohen und vieles mehr, haben wohl gesinnte Philanthropen dazu ermutigt, sich einem weniger zerstörerisch an-mutenden Weg zu widmen. Die Vielzahl von diskutierten Themen auf dem Weltwirtschafts-forum 1999 in Davos künden hiervon. (vgl. Castells 2001: 85)

Zwar hat sich der Anteil grenzüberschreitender Interaktionen an der gesamten Wirtschafts-leistung enorm gesteigert, dennoch verläuft der überwiegende Teil des Wirtschaftsgeschehens (Produktion und Konsum) nach wie vor auf nationaler Ebene. (vgl. Schirm 2006: 14) Damit besitzt Globalisierung einen regionalen Fokus, da über zwei Drittel des gesamten Welthandels und der Auslandsinvestitionen sowie Finanztransaktionen innerhalb der OECD-Staaten und einigen Schwellenländer, wie zum Beispiel Brasilien oder Mexiko abgewickelt wird. (ebd.; vgl. auch Walter 2005: 43; Mäder 2004: 10; Bornschier 2002: 14; Conert 2002: 371f.; Bernauer 2000: 33f.) In diesem Zusammenhang ist denn auch von einer „Kontinentalisie-rung“ (vgl. Hey / Schleicher-Tappeser 1998: 19) des Wirtschaftsraumes zu lesen, da sich inter-nationale und ökonomische Verflechtungen primär auf die Triade Asien, Europa und Nord-amerika beschränken. (ebd.: 19ff.; vgl. auch Höffe 1999: 24f.; Höll 1999: 47f.) Zum gleichen Schluss gelangt auch Huber, der feststellt, Globalisierung findet vorrangig „ …unter A-Staa-ten statt, außerdem zwischen A- und B-Regionen rund um die Erde. C-Regionen haben an der Globalisierung wenig, D-Regionen keinen Anteil.“ (Huber 2001: 427) So scheint es berechtigt zu betonen, dass Globalisierung in der Realität einer „OECDisierug plus“ (vgl. Schirm 2006: 14) entspricht, und dass das Problem zahlreicher Entwicklungsländer keineswegs eine etwaige negative Betroffenheit durch Globalisierungsfolgen ist, sondern dass sie vielmehr fast über-haupt nicht von Globalisierung tangiert und in zunehmenden Maße „abgehängt“ werden. (ebd.; vgl. auch Bornschier 2002: 14)

Tabelle 3: Anteil der OECD-Länder am Welthandel und FDIs

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: vgl. Schirm 2006: 15)

Gleichwohl wird der Globalisierung in diesem Kontext von einigen Autoren deren Irreversibi-lität bescheinigt, ganz gleich was Politiker auch zu tun gedenken. (vgl. Rodrik 2000: 17) „Kurz, der Geist kann nicht in die Flasche zurück gebannt werden.“ (ebd.) Beck benennt gar acht Punkte, wie beispielsweise die globale Armut und Umweltzerstörung oder die stets zu-nehmende Anzahl transnationaler Akteure, die die Irreversibilität von Globalität verdeutlichen sollen. (vgl. Beck 1997: 29f.) Diese Argumentation ist allerdings nicht unwidersprochen ge-blieben. So hegen Rodemer und Dicke Zweifel an der unterstellten Irreversibilität der Glo-balisierungswirkungen. (vgl. Rodemer / Dicke 2000: 292f.; vgl. auch Werner 2004: 15ff.)

Ein weiterer Punkt, vielmehr eine Relativierung, die in diesem Zusammenhang nicht uner-wähnt bleiben soll, stellt die Aussage einiger Autoren dar, die den Globalisierungsbegriff zur Beschreibung der Gegenwart für gänzlich ungeeignet halten, da dieser nicht das einzige Sig-num unserer Epoche darstellt. So gibt es neben Globalisierung ebenso beachtliche Gegenbe-wegungen, wie Regionalisierungs-, Nationalismus-, Religiösitäts-, neue Fundamentalismus- oder Fragmentierungsprozesse. (vgl. Höffe 1999: 20; vgl. auch Gruber 1999: 57f.; von Beyme 2002: 102ff.) Fragmentierung bedeutet dabei die Kehrseite von erfolgreicher Weltmarktinte-gration – ein Zustand sozioökonomischer Abspaltung, Exklusion, Marginalisierung, der Des-integration von Staat und Gesellschaft oder von Teilen der innerhalb bestimmter Staaten le-benden Bevölkerung. (vgl. Höll 1999: 37) „Im globalen Markt stehen auch Staaten und Re-gionen im Wettbewerb untereinander. […] Eine Gegenbewegung stellt auch die Fragmentie-rung der Mega-Städte in ethnische und kulturell disparate Gruppen dar, ferner in jungen De-mokratien die Stärkung des Nationalgefühls.“ (Höffe 1999: 20f.) Giddens spricht in diesem Zusammenhang gar von der Unverwüstlichkeit nationaler und lokaler Kulturen. (vgl. Held 2007b: 19) Freilich sind auch Tendenzen, die dies widerlegen, existent, wie beispielsweise das Drängen von Staaten in die EU aufgenommen zu werden, wobei wirtschaftliche Anreize eine gewichtige Rolle spielen. Dennoch darf man nicht die Fülle von Sprachen und Religionen übersehen, die die Rede von Weltgesellschaft noch in unabsehbare Zukunft rückt. (vgl. Höffe 1999: 21) „Obwohl sich die Menschheit zu einer globalen Schicksalsgemeinschaft entwickelt, spielt sich das Schicksal in vieler Hinsicht regional, kommunal und ganz individuell ab.“ (ebd.)

Wie bereits festgestellt wurde, gehen globale Impulse primär von den wirtschaftlich star-ken Ländern der OECD aus. Derartige hegemoniale Einflüsse können allerdings auch das Selbstwertgefühl anderer Staaten und Gesellschaften empfindlich verletzten. Folgerichtig stel-len Nationalismustendenzen oder Regionalismusformen eine Antwort auf die Globalisierung dar. Solche Manifestationen sind äußerst konfliktträchtig und können sogar polemogen wirken, das Huntington veranlasst, in diesem Zusammenhang gar vom „Kampf der Kulturen“ (vgl. Huntington 2002) zu sprechen. Danach fänden Kriege, die sich früher zwischen Fürsten, dann zwischen Nationalstaaten und später zwischen Ideologien abspielten, künftig primär zwischen Kulturkreisen statt. (vgl. Huntington 2002: 62ff., 332ff.) Huntington identifiziert dabei den sinischen, den japanischen, den hinduistischen, den islamischen, slawisch-orthodoxen, den la-teinamerikanischen und eventuell den afrikanischen Kulturkreis. (ebd.: 57ff.)

Diese Einteilung rief in der Folge jedoch einige Kritiker auf den Plan (vgl. dazu Menzel 1998: 79ff.), die darauf hinwiesen, dass weltumspannende kollektive Probleme als Folge von Modernisierung mehr Gemeinsamkeiten als essentielle Differenzen produzieren. (vgl. Tetzlaff 2000: 21) Darüber hinaus wurde kritisiert, dass Afrika, infolge zahlreicher Unruheherde, kei-neswegs so homogen sei, wie Huntington annimmt und dass Lateinamerika historisch mit Portugal und Spanien verwurzelt und mit der christlichen Kirche tief verbunden sei, als dass es sich gegen den westlichen Kulturkreis abgrenzen ließe. Darüber hinaus verliefen Grenzen keineswegs so idealtypisch wie unterstellt. Blockbildungen entlang religiös oder kulturell defi-nierter Bruchlinien gäbe es nicht. Vielmehr existieren Fragmentierungen und Regionalisierun-gen, die sich zum Beispiel im Islam im Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten abbilden. Außerdem wiesen die in Großstädten lebenden Ethnien die Grenzen von Huntingtons Argu-mentation auf. Doch der am stärksten Widerspruch auslösende Einwand betrifft die Art und Weise der Ausbreitung einer Gesellschaftsform. Nicht durch Kampf, vielmehr kampflos, allenfalls über Wettkampf zwischen den Zivilisationen geschehe dies. (vgl. Höffe 1999: 30f.)

Doch soll hier diese Debatte nicht weiter vertieft werden, zumal wie Rodrik feststellt: „Im Gegensatz zu dem, was die meisten Ökonomen glauben, mangelt es uns noch am vollen Verständnis dafür, wie die Globalisierung funktioniert.“ (Rodrik 2000: 106) Eine Analyse der Dynamik der Globalisierung und ihrer Konsequenzen muss infolge der unterschiedlichen Evi-denz und Reichweite ihrer einzelnen Teillogiken Rechnung tragen. (vgl. McGrew 1997: 8) Aus diesem Anlass sollen im folgenden Kapitel einige der zentralen Dimensionen der Globa-lisierung näher erläutert werden.

2.5 Dimensionen der Globalisierung

Wie bereits bei den bisher behandelten Aspekten der Globalisierung herrscht auch bezüglich der Einteilung der Globalisierungsdimensionen in der Fachwelt Uneinigkeit. Stellvertretend für die konträren Meinungen sollen hierfür Giddens und Beck angeführt werden. So macht Giddens zum Beispiel analog zu den von ihm beschriebenen institutionellen Dimensionen der Moderne, nämlich Kapitalismus, Industrialismus, militärische Macht und Überwachung (vgl. Giddens 1996: 75ff.), folgende vier Dimensionen der Globalisierung aus: das System der Na-tionalstaaten, die militärische Weltordnung, die internationale Arbeitsteilung und die kapitalis-tische Weltwirtschaft, wobei die kulturelle Globalisierung infolge der neuesten Kommunika-tionstechniken die genannten Globalisierungsdimensionen durchdringt und beeinflusst. (ebd.: 92ff.) Dagegen differenziert Beck anhand von Beiträgen prominenter Autoren die Ökonomie, die Politik, das Soziale, die Ökologie und die Kultur als mögliche Zentraldimensionen der Globalisierung. (vgl. Beck 1997: 61ff.)

Exemplarisch für eine Betonung der Ökonomie führt Beck die Arbeiten Wallersteins an, dessen Ansatz die Vorstellung klar abgrenzbarer nationaler Einzelgesellschaften durch die eines kapitalistischen Weltsystems abzulösen sucht. Dieses Weltsystem, so die Vorstellung Wallersteins, zwinge alle Gesellschaften, Unternehmen, Kulturen, Regierungen, Klassen, alle Haushalte aber auch alle Individuen in eine permanente internationale Arbeitsteilung, in der sich alle zu behaupten haben. Elementar für diese kapitalistische Weltökonomie sind dabei die Versuche bestimmter staatlicher Strukturen den Markt zugunsten bestimmter Gruppen zu be-einflussen, das Prinzip der Profitmaximierung und eine soziale Ungleichheit, die sich nach Wallerstein durch die Aneignung von Mehrarbeit in einem Ausbeutungsverhältnis manifestiert. Dieses umfasst dabei drei soziale Klassen, die sich in einer Dreiteilung des Weltsystems in zentrale, semiperiphere und periphere Länder und Regionen fortsetzt. (vgl. Beck 1997: 63ff.) Nach dieser Darstellung, die sich als monokausal und ökonomisch offenbart, bestimmt sich Globalisierung einzig über die Institutionalisierung des Weltmarktes. „Die Reaktionsverbun-denheit der Märkte und die transnationale organisatorische Verklammerung der Weltwirt-schaft durch die Konzerne sind Ausdruck davon.“ (Bornschier 2002: 15)

Rückt man die soziale Dimension in den Mittelpunkt, so geraten meist Aspekte der ökono-mischen Globalisierung in das Blickfeld. Zentral ist dabei oft die Frage, ob und inwiefern sich Wohlstandsverteilungen im Zuge der Globalisierung verändern. Baumann stellt beispielswei-se die Hypothese auf, dass Globalisierung und Lokalisierung nicht nur zwei Seiten derselben Medaille, sondern zugleich Motor und Ausdruck einer „ …neuartigen Polarisierung und Stra-tifizierung der Weltbevölkerung in globalisierte Reiche und lokalisierte Arme “ (Beck 1997: 101) sind. Kerngedanke dabei ist, dass sich im Verlauf einer neuartigen globalen Stratifizie-rung das Gros der Ressourcen in den Händen weniger Menschen bündelt und dass nur für diese kleine Gruppe die Bedeutung des Raumes tatsächlich abnimmt, während eine relativ große Zahl von Globalisierungsverlierern immer stärker an einen perspektivlos werdenden Raum gebunden ist. Daraus resultierend zerfällt die traditionelle „Herr-Knecht-Dialek-tik“ (ebd.: 105), da die lokalisierten Armen von den globalisierten Reichen infolge ihrer Exis-tenz in unterschiedlichen Raum-Zeiten weder gebraucht noch angemessen wahrgenommen werden. Dieser Argumentationslinie zufolge sind Reiche und Arme also weder durch Solidari-tät noch durch Abhängigkeit aneinander gebunden. (ebd.: 100ff.) Baumann fügt dazu an, dass ein „ modus coexistendi “ fehle. (vgl. Baumann 1998: 326)

Ein weiterer zentraler Punkt in Baumanns Überlegungen beschreibt das Verhältnis von Globalität und Lokalität, das auch in der wissenschaftlichen Diskussion um die kulturelle Di-mension eine gewichtige Rolle spielt. Die oft vertretene These von der Konvergenz der Kul-turen, auch als „ McDonaldisierung “ (vgl. Beck 1997: 81) bezeichnet, bestreitet Robertson in diesem Zusammenhang, indem er betont, dass globale Kultur ganz und gar nicht statisch oder linear zu denken, sondern vielmehr als kontingenter Prozess aufzufassen ist. (ebd.: 91) Die kulturellen Veränderungen, die im Zuge der Globalisierung Ausdruck finden, manifestieren sich demnach eben nicht in einer „ …Universalisierung im Sinne einer Vereinheitlichung von Lebensstilen, kulturellen Symbolen und transnationalen Verhaltensweisen …“ (ebd.: 81) Viel-mehr plädiert Robertson dafür, dass Globalisierung gleichzeitig gegenteilige Elemente hervor-bringt, wie beispielsweise die Gleichzeitigkeit von Universalismus und Partikularismus, Zen-tralisierung und Dezentralisierung oder zugleich ablaufende Fragmentierungs- und Bildungs-prozesse. (ebd.: 92ff.) Diese Argumentation findet Robertsons zufolge im Begriff der „Glo k a-lisierung“ ihren Ausdruck, welcher die teils gegensätzlichen, teils gleichgerichteten Inhalte des Globalen und des Lokalen miteinander verbindet. (vgl. Beck 1997: 80f.; 88ff.)

Die Globalisierung der Kommunikationsmedien beschreibt ein Phänomen, welches auf den technischen Wandel zurückzuführen ist und dabei kulturelle Konsequenzen birgt. Die global gewordenen Medien weisen eine kulturnivellierende Funktion auf, indem über Sugges-tion dem geneigten Adressaten eine Gleichzeitigkeit von Ereignissen, die Realität geworden ist, übermittelt wird. (vgl. Hey / Schleicher-Tappeser 1998: 16) Bornschier präzisiert: „Der globale soziale Raum erhält mit der Telematik (Verschmelzung der Telekommunikation mit der Informationstechnologie unter der Ägide der „Digitalisierung“) neue Qualitäten. In Bezug auf Erreichbarkeit, Kosten und Schnelligkeit bestehen in der multimedial vernetzten Welt nicht mehr jene geographischen und politischen Parameter, die bisher soziale Beziehungen wesentlich mitprägten. Ein Beispiel für allererste Anfänge liefert das Internet.“ (Bornschier 2002: 16)

In diesem Kontext wird oftmals unterstellt, dass internationale Medien und international ope-rierende Unternehmen eine Homogenisierung von Einstellungen beförderten. „Amerikanisie-rung“ oder „Verwestlichung“ bilden dabei die Schlagworte14, die von einer Angst des Ver-lustes der eigenen kulturellen Identität, im Zuge der Globalisierung künden. (vgl. Hey / Schleicher-Tappeser 1998: 16) Höll plädiert in diesem Zusammenhang sich für eine kulturelle Dominanz der Industriestaaten auszusprechen. (vgl. Höll 1999: 50f.) Dabei werden traditio-nelle Kulturen unterspült und die selektive Einbindung weniger entwickelter Volkswirtschaf-ten in den von den reichen Industrieländern dominierten Weltmarkt erzwungen. (vgl. Tetzlaff 2000: 25) Gleichwohl sind in diesem Kontext auch Gegentendenzen auszumachen.

Umweltverschmutzungen machen längst nicht mehr vor nationalen Grenzen halt und sind auch kein ausschließliches Problem reicher Industriestaaten, vielmehr stellen sie auch ein Problem von Armut dar. Vor allem in der südlichen Hemisphäre entstehen ökologische Ge-fährdungen, da arme Gesellschaften ihre Umwelt oft übernutzen müssen, um ein Überleben der Bevölkerung zu gewährleisten. (ebd.: 51; vgl. auch Shiva 2001: 137) Der Globalisierung und dem Welthandel werden oftmals unterstellt, sie würden die aktuellen Weltumweltpro-bleme, wie beispielsweise den Treibhauseffekt, die Bodenerosion, das Waldsterben oder den Rückgang der Biodiversität, um nur einige in diesem Zusammenhang involvierte Aspekte zu nennen, bewirken oder gar verstärken. Jedoch zeigen unvoreingenommene Analysen, dass dies nicht zutreffend ist. Vielmehr befördern Globalisierung und Welthandel Entwicklungen, die einer ökologischen Modernisierung Vorschub leisten. (vgl. Huber 2001: 426f.; vgl. auch Held 2007b: 17f.) Sicherlich ist in dieser Beziehung auch der von Beck geprägte Begriff der „Risikogesellschaft“ (vgl. Beck 1986) von Bedeutung. Beck erweiterte diesen Begriff später, in Erkennung der globalen Perspektive, zur „Weltrisikogesellschaft“ (vgl. Beck 2007b), um insbesondere auch auf global steigende Gefahren industrieller Produktion und unintendierter Technikrisiken hinzuweisen, die aufgrund ihrer Reichweite und Tiefe nicht länger externali-siert werden können. Diese Sichtentfaltung zielt darauf ab, „ …daß transnationale soziale Räu-me auch durch un gewollte, geleugnete, verdrängte Gefahren konfliktvoll und rätselhaft gleichsam »hinter dem Rücken der Menschen« gestiftet werden.“ (Beck 1997: 75) Globale Gefährdungen, die sich nach Beck in drei Klassifikationen differenzieren, nämlich reichtums-bedingte ökologische Zerstörung, armutsbedingte ökologische Zerstörung und die Gefahr eines Einsatzes von Massenvernichtungswaffen, lassen die tragenden Säulen des gängigen Sicherheitskalküls erodieren. In dem Maße, in dem globale Gefährdungen allgemeinen Zu-gang in das Bewusstsein der Gesellschaft erlangen, werden transnationale, soziale Räume auch ohne Zutun international agierender Akteure und Institutionen geöffnet und leisten einer „ unfreiwilligen Politisierung “ (ebd.: 79) in Form öffentlich geführter Kontroversen Vorschub. Auf dieser Basis führt die gewonnene Transparenz der Bearbeitung globaler Risiken zu neuen Spielräumen politischen Handelns. (ebd.: 73ff.)

Zentral für die politische Dimension ist die häufig geführte Analyse der Neu- und Umge-staltung der internationalen Beziehungen. Rosenau erkennt in diesem Zusammenhang weit rei-chende Veränderungen infolge von Globalisierungsprozessen. Gemäß seiner Argumentation einer „ post -internationale[n] Politik“ (ebd.: 67) skizziert er anstelle eines ökonomisch verfass-ten Weltmarktsystems das Bild einer polyzentrischen Weltpolitik, deren Wesen darin begrün-det liegt, dass sie das hegemoniale, lange Zeit existierende nationalstaatszentrierte System der internationalen Politik obsolet werden lässt. Mehr und mehr sieht sich nationalstaatliche Ver-handlungsmacht der Konkurrenz neuer oder in neuer Rolle auftretender Akteure, wie transna-tionale Konzerne, transnationale soziale und politische Bewegungen oder internationale Orga-nisationen, ausgesetzt. All diese Interessengruppen, Institutionen und Organisationen ringen nach Rosenau nun auf der neuen, globalisierungsbedingt vergrößerten Bühne der internationa-len Politik um die Erreichung ihrer Ziele. Bemerkenswert ist dabei, dass sich sowohl Durch-setzungschancen als auch Machtpotentiale nach wie vor ungleich gestalten, allerdings neu verteilt werden. (ebd.: 67ff.)

Dieser These einer neuen gewichtigen Rolle nichtstaatlicher Akteure, in der diese mit den nationalstaatlichen Interessen konkurrieren, wird von anderer Seite widersprochen. So betont Gilpin, dass nach wie vor die mächtigen und starken Nationalstaaten die Hauptakteure auf der internationalen Politikbühne sind. „My position is that a hegemon is necessary to the existence of a liberal international economy. ...[H]istorical experience suggests that, in the absence of a dominant liberal power, international economic cooperation has been extremely difficult to attain or sustain and conflict has been the norm.” (Gilpin 1987: 88) Auch Gilpin erkennt, wie schon Wallerstein oder Rosenau, die wachsende Interdependenz der Nationalstaaten unterein-ander, betont aber im Gegensatz dazu, dass Globalisierung einzig unter bestimmten Bedingun-en internationaler Politik entstehen kann – genauer, als Ergebnis einer „ permissiven “ globalen Ordnung. (vgl. Beck 1997: 71) Danach bleibt Globalisierung auf das Vorhandensein einer he-emonialen Macht angewiesen und kann nur im „ …Schatten entsprechender staatlicher Macht-onzentration“ (ebd.) entstehen. (vgl. Gilpin 1987: 71f.)

Dem Begriff der nationalstaatlichen Souveränität wird an dieser Stelle besondere Bedeu-tung zuteil, da sich dieser als zentraler Bestandteil einer weiteren politikwissenschaftlichen Diskussion darstellt. Gemeint ist damit die Frage nach den Auswirkungen der Globalisierung auf die Gestalt und Funktion von Nationalstaaten. Neben Aspekten der Souveränität sind in diesem Zusammenhang solche der Handlungsautonomie und Legitimitätsgrundlage von Na-tionalstaaten von Interesse. (vgl. Robejsek 2000: 77f.) Doch wird dieser Themenkomplex im Verlauf der Arbeit eingehender untersucht und daher an dieser Stelle nicht weiter vertieft.

Zuletzt seien auch Probleme der im Zuge der Globalisierung von Wirtschaft, Kommuni-kations- und Transportwesen aufkommenden Kriminalität angesprochen, die ebenfalls natio-nalstaatliche Souveränität zu unterminieren sucht. Erwähnt seien hierbei nicht nur „white-collar-Verbrechen“ auch der infolge globaler Verkehrsnetze florierende Transport von Drogen, Waffen oder illegal erworbenen Geldes. Die Grenzen zwischen Wirtschafts- und herkömmli-cher Kriminalität verwischen dabei zusehends, während gleichzeitig märchenhafte Erlöse er-zielt werden. (vgl. Tetzlaff 2000: 26) In diesem Zusammenhang ist auch das Problem des in-ternationalen Terrorismus gelagert, mit dem sich Nationalstaaten in zunehmendem Maße kon-frontiert sehen, da der globale Terrorismus die Schwäche des modernen Staates bei der Kon-trolle seines Territoriums in einer modernen Gesellschaft sichtbar werden lässt. (vgl. Luedtke 2007: 44ff.; vgl. auch Beck 2007b: 277ff.; Miegel 2007: 44ff.)

Konstatierend kann man festhalten, dass erst die Gesamtheit der vorgestellten Zentraldi-mensionen ein stimmiges und differenziertes Bild der Globalisierung ermöglicht. (vgl. Beck: 1997: 63) Die folgende Abbildung zeigt die wesentlichen Globalisierungsdimensionen auf, denen im allgemeinen Transformationspotential zugestanden wird. Ausnehmend sei hier be-tont, dass die Darstellung keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

Abbildung 2: Dimensionen der Globalisierung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Darstellung des Verfassers 2008)

In der vorliegenden Arbeit können nicht alle Dimensionen samt Implikationen gleichberech-tigt beleuchtet werden, dennoch sollte eine notwendige Schwerpunktsetzung erfolgen. Vor allem ökonomische Aspekte der Globalisierung sollen aufgrund ihrer hohen Durchschlags-kraft und des daraus resultierenden politischen Handlungsbedarfs der Nationalstaaten wieder-holt thematisiert werden. Dies soll aber keineswegs bedeuten, dass etwa soziale, ökologische, politische oder kulturelle Bereiche prinzipiell ausgeklammert werden.

2.6 Positionen in der Globalisierungsdebatte

Die bereits in Kapitel 2.2. behandelte Frage, ob und inwiefern gegenwärtige Globalisierungs-prozesse tatsächlich ein quantitativ und vor allem qualitativ neuartiger Charakter zugeschrie-ben werden kann, bietet reichlich Zündstoff für die kontrovers geführte Globalisierungsdebatte. Notwendigerweise ist eine Klärung dieser Frage im Hinblick auf die Zielsetzung der Arbeit immanent wichtig, da ihre eventuelle negative Beantwortung den Befund nahe legen würde, dass die von verschiedenen Autoren festgestellte Krise des Nationalstaates und des Verlustes seiner Handlungsfähigkeit auf der Basis von Faktoren prognostiziert wird, die so oder in ähnli-cher Form bereits seit längerem existent sind. Sollte sich diese Überlegung bewahrheiten, kann die vielfach vorgebrachte These von der exorbitanten Sprengkraft gegenwärtiger Globa-lisierungstendenzen im Zusammenhang mit der nationalstaatlichen Handlungsfähigkeit nur schwerlich aufrechterhalten werden.

Im Wesentlichen lassen sich die verschiedenen Positionen zur Globalisierung drei konträr zueinander stehenden Lagern zuordnen. Basierend auf der Gliederung Helds, der die unter-schiedlichen Standpunkte in drei Gruppen zusammenfasst, die er als „ …the hyperglobalizers, the sceptics, and the transformationalists “ (Held et al. 1999: 2) bezeichnet, sollen nun diese Kategorien einzelnen vorgestellt werden. Hyperglobalisierer und Skeptiker bilden dabei die Extreme in einem Kontinuum, wonach diese Gruppierung notwendigerweise Idealtypen ent-spricht und somit auf die Inklusion von Mischtypen verweist. Konstatierend kann man die Po-sition der Hyperglobalisierer auf die Aussage zuspitzen, dass ein vollständig integrierter glo-baler Markt bereits heute existiert und dabei alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringt. Die Skeptiker halten die Globalisierung dagegen für einen Mythos und die Trans-formationalisten richten den Blick wiederum auf die vielfältigen und wirkungsmächtigen Kon-sequenzen der Globalisierung, betonen aber, dass das Szenario, welches die Hyperglobasierer proklamieren, überzogen sei.

2.6.1 Die Position der Globalisierungsskeptiker

Gegen die These, der Prozess der Globalisierung sei im Wesentlichen eine Entwicklung der letzten zwei bis drei Jahrzehnte, spricht auf den ersten Blick die Tatsache, dass zumindest die Diskussion um Tendenzen der Internationalisierung und einer damit unterstellten Neuartigkeit, insbesondere in ökonomischer Hinsicht, relativ alt und übertrieben ist. Bereits im Kommunis-tischen Manifest ist nachzulesen: Die Bourgeoisie hat durch die Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum großen Be-dauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. […] An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander.“ (Marx / Engels 2005: 23)

Tatsächlich erweist es sich als relativ schwierig, eine eventuelle Neuartigkeit der derzeiti-gen ökonomischen Globalisierung empirisch belegen zu wollen. So scheint ein Vergleich des Ausmaßes der Kapital- und Warenströme zur Zeit der so genannten „belle époque“ (1890-1914) mit dem des ausgehenden 20. Jahrhunderts zumindest eher in Richtung einer Gleichar-tigkeit beider Zeiträume zu deuten und keineswegs die These eines neuartigen Phänomens der ökonomischen Globalisierung zu unterstützen (vgl. Kapitel 2.2.).

In der Fachliteratur werden international agierende wirtschaftliche Akteure in transnatio-nale Unternehmen und multinationale Unternehmen unterschieden.15 Während transnationale Unternehmen reale Manifestationen des „footloose capital“16 (vgl. Hirst / Thompson 2000: 11) entsprechen und sich von nationalen Identitäten gelöst haben, somit nicht mehr ortsgebunden sind und dabei jede gewinnbringende Verlagerung von Kapital zu nutzen wissen, bleiben In-vestitionen von multinationalen Unternehmen dagegen oftmals an eine nationale ´Homebase´ gekoppelt und ihre Aktivitäten auf einen Wirtschaftsblock beschränkt, was sie eher als natio-nale Unternehmen mit internationalen Aktivitäten ausweist. (vgl. Kocar 2003: 89; vgl. auch Robejsek 2000: 71; Weiss 1999: 184ff.) Der skeptischen Position zufolge ist das Gros der international tätigen Unternehmen als MNU einzustufen und somit der nationalstaatlichen Re-gierung weiterhin unterstellt. (vgl. Hirst / Thompson 2000: 11f.)

Mit Blick auf eine globale Intensivierung des Handels kann aus dieser Sicht ebenso nicht die Rede sein, wohl aber eher von einem Prozess der Regionalisierung. Hierfür spricht, dass der Anteil des Handels zwischen OECD–Staaten im Jahre 1989 über 80% des gesamten Welt-handels betrug und sich darüber hinaus die wirtschaftlichen Austauschprozesse auf die drei großen Handelsblöcke der Triade Europa, Nordamerika und Ostasien konzentrierte. (vgl. Hirst / Thompson 1998: 97; 110f.; vgl. auch Menzel 1998: 67, 119ff.) Diese Daten rechtfertigen so-mit den Schluss, dass sich die ökonomische Verflechtung und Intensivierung unter weitgehen-dem Ausschluss ganzer Regionen, insbesondere Zentral- und Südasiens, der Andenregion La-teinamerikas und weiter Teile Afrikas vollzieht und daher keineswegs von einem vollständig integrierten Weltmarkt sprechen kann. (vgl. Menzel 1998: 122f.; vgl. auch Duwendag 2006: 71) Verglichen mit der Ära von 1870-1914 ist die heutige Welt sogar weniger integriert, da die Mehrzahl der Staaten nicht mehr signifikant in die Weltökonomie eingebunden sind. (vgl. Christen 2005)

Gegenüber dem oftmals bemühten Einfluss internationaler Wirtschaftsregime bleiben die Vertreter dieser Position ebenfalls kritisch. Nach Lesart der Globalisierungsskeptiker ist eine Schwächung des Einflusses der ökonomisch stärkeren Nationalstaaten auf die Weltwirtschaft trotz zahlreicher institutioneller Innovationen bislang ausgeblieben. Insbesondere der Blick auf die WTO zeigt, dass internationale Wirtschaftsregime eher als ein Instrument der G7-Staa-ten17 verstanden werden sollten, als umgekehrt deren nationale Regierungen sich internatio-nalen Entscheidungen fügen müssten, die nicht in ihrem Interesse liegen. (vgl. Held / McGrew 2003: 21f.) Vielmehr präsentiert sich internationale Regulierung als ein zentraler, durch Natio-nalstaaten getragener Prozess. In diesem Zusammenhang werden die häufig prognostizierten tief greifenden Umwälzungen für Staat und Gesellschaft von den Globalisierungsskeptikern angezweifelt. So wird von Seiten der Transformationalisten oftmals das Argument hervorge-bracht, dass der Globalisierungsprozess zu einem Autonomieverlust der Nationalstaaten führt, welcher sich an der Konvergenz der nationalen Wirtschaftspolitik ablesen lässt. Ursächlich steht hierfür die stark erhöhte Mobilität des Kapitals. Resultierend aus dieser Entwicklung er-gebe sich ein systemischer Zwang, der gewisse Verhaltensweisen, wie zum Beispiel ein hohes Maß an Staatsinterventionen, negativ sanktioniert. Jedoch kommen empirische Untersuchun-gen hinsichtlich dieser These zu dem Ergebnis, dass sich für die OECD-Länder seit den 1960er Jahren anhand von wirtschaftspolitischen Indikatoren weder ein einheitlicher Rück-gang staatlicher Interventionen noch eine Homogenisierung staatlichen Handelns belegen lassen. (vgl. Robejsek 2000: 75f.) Von einem Verlust an nationalstaatlicher Handlungsfähig-keit könne somit nicht die Rede sein, da mehr wirtschaftlicher Wettbewerb nicht zwangsläufig mit weniger staatlichem Interventionspotential kongruiere. (vgl. Bernauer 2000: 401) Zumal die Globalisierungsskeptiker betonen, dass es Globalisierung nur gäbe, weil sie über und durch Staaten geschaffen wird. Schlaglichter wie ökonomische Liberalisierung, Flexibilisie-rung und Deregulierung sind somit nicht Ergebnisse einer Anpassung an Globalisierung, son-dern bilden vielmehr deren notwendige Voraussetzung. Würde dieses Arrangement nicht durch die politische Regulierung der Gesellschaft im Hinblick auf die Globalisierung über den Staat erfolgen, wäre auch keine Globalisierung existent.

[...]


1 Sowohl diese als auch alle weiteren Hervorhebungen in wörtlichen Zitaten sind aus dem Original übernommen. Sollte eine Hervorhebung nicht übernommen werden, so wird dies ausdrücklich gekennzeichnet.

2 Hiermit sind die im Jahre 1944 auf der Konferenz von „Bretton Woods“ gegründeten Institutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds angesprochen. Im Verlauf der Arbeit werden beide Institionen näher erklärt werden.

3 Der OECD gehören die Industrieländer der Ersten Welt an. Ziel ist die Verbesserung der Lebensstandards in den Mit- gliedsstaaten und die Förderung des Wirtschaftswachstums in den Industrie- und Entwicklungsländern. (OECD 2008)

4 Beck erklärt den Übergang von erster zu zweiter Moderne. Dabei war die erste Moderne durch Vollbeschäftigung, kollektive Lebensmuster, ausgeblendete und ausgebeutete Natur sowie den National- und Sozialstaat geprägt. Die zweite Moderne ist dagegen durch eine zurückgehende Erwerbsarbeit, Individualisierung, ökologische Krisen sowie Globalisie- rung und Geschlechterrevolution gekennzeichnet. (vgl. Beck 2007a: 45)

5 Auf dem Plaza-Abkommen, benannt nach dem Plaza-Hotel in New York, wo die Versammlung der Finanzminister der G5 (USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Japan) stattfand, wurde beschlossen, die Wechselkurse der Währungen der G5 zukünftig flexibler zu gestalten. Der US-Dollar sollte gegenüber den anderen Währungen fallen, um das weltweite Finanzsystem nicht unkalkulierbaren Risiken auszusetzen. Außerdem sollte das US-amerikanische Zah-lungs-, Handels- und Haushaltsdefizit reduziert werden. (vgl. Ohmae 2005: 70ff.)

6 Das Schwellenländerphomen beschreibt den wirtschaftlichen Aufstieg insbesondere von Ländern Ost- und Südost- asiens, infolge der Verlagerung von Produktionsstandorten aus den alten Industrieländern. Grund hierfür waren die nied- rigeren Steuern, laxe Umweltauflagen oder sonstige Subventionen – aber vor allem die Lohnunterschiede. (vgl. Menzel o.J.b: 15ff)

7 Im weiteren Verlauf der Arbeit wird Weltkrieg mit WK abgekürzt.

8 Im weiteren Verlauf werden „ausländische Direktinvestitionen“ mit FDI (Foreign Direct Investment) abgekürzt.

9 Im weiteren Verlauf werden Nichtregierungsorganisationen mit NGOs abgekürzt.

10 Im weiteren Verlauf werden multinationale Unternehmen, die in zwei oder mehr Ländern gleichzeitig agieren, mit MNU abgekürzt.

11 GATT steht für General Agreement on Tariffs and Trade (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) und beschreibt ein 1947 vereinbartes Regelwerk, um Zölle oder andere Hemmnisse für den freien Markt abzubauen und so die Welt-wirtschaft und den Welthandel zu fördern. 1995 wurde das GATT-Abkommen durch die WTO – World Trade Organiza-tion (Welthandelsorganisation) ersetzt, wobei das Aufgabenfeld im Prinzip dasselbe blieb. (vgl. Willke 2003b: 48f., 122)

12 IWF steht für Internationaler Währungsfonds und wurde auf der Bretton-Woods-Konferenz von 1944 gegründet, um die Errichtung eines Währungssystems und stabiler Wechselkurse der Währungen zu ermöglichen. (vgl. Müller 2002: 93)

13 BSP beschreibt das Bruttosozialprodukt. Es entspricht der Leistung innerhalb einer Rechnungsperiode unter Berück-sichtigung von Steuern, Subventionen, Abschreibungen oder Abgaben. Es ist etwa gleichzusetzen mit dem Bruttoin-landsprodukt (BIP), das die Wertschöpfung einer Volkswirtschaft innerhalb eines Jahres beschreibt. (vgl. Willke 2003b: 30f.)

14 Held kritisiert, dass Globalisierung oft mit Verwestlichung oder Amerikanisierung gleichgesetzt wird, da nur etwa ein

Fünftel der weltweiten Importe und nur etwa ein Viertel der weltweiten Expote auf amerikanische Unternehmen entfal-len. (vgl. Held 2007b: 15f.)

15 Transnationale Unternehmen entsprechen Unternehmen, die in mehreren Ländern gleichzeitig agieren – somit wahre „Global Players“ sind. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden aber vornehmlich multinationale Unternehmen behandelt.

16 Hirsch bezweifelt, ob man tatsächlich von „staatenlosem Kapital“ sprechen könne, da Märkte (und damit auch das zirkulierende Kapital) nur im Rahmen spezifischer politischer Herrschafts- und Gewaltverhältnisse existent sind. (vgl. Hirsch 2001: 105, 124)

17 Der G7 („Group of Seven“) gehören Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA als führende Wirtschaftsnationen an. (vgl. BMF 2007a: 42)

Ende der Leseprobe aus 138 Seiten

Details

Titel
Der Nationalsstaat im Spannungsfeld der Globalisierung
Untertitel
Eine Betrachtung zur Handlungsfähigkeit von Nationalstaaten in einer globalisierten Welt
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Soziologie)
Veranstaltung
Diplomarbeit im Bereich Wirtschaftssoziologie
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
138
Katalognummer
V492994
ISBN (eBook)
9783668973640
ISBN (Buch)
9783668973657
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Globalisierung Nationalstaat
Arbeit zitieren
Diplom-Soziologe Sten Cudrig (Autor:in), 2008, Der Nationalsstaat im Spannungsfeld der Globalisierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/492994

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