Die Arbeitssituation ostdeutscher Führungskräfte in der Nachwendezeit


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Das Wirtschaftssystem in der DDR
2.1. Die Ausbildung der Führungskräfte
2.2. Die Arbeitssituation in der DDR

3. Die Führungskräftetransformation nach der Wende

4. Die neuen ostdeutschen Führungseliten

5. Das Führungsverhalten ostdeutscher Manager in der Nachwendezeit
5.1. Führungsverhalten
5.2. Unternehmerische Fähigkeiten

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Als am 3. Oktober 1990 die deutsche Einheit wiederhergestellt wurde, war noch nicht absehbar, was die Folgen dieser gewaltigen Umwälzungen sein würden.

Von einem Tag auf den anderen wurde der Bevölkerung der ehemaligen DDR ein völlig fremdes Politik- und Wirtschaftssystem übergestülpt, was von vornherein Probleme implizierte. Die ideologische Indoktrination der SED hatte andere Werte und Einstellungen hervorgebracht als die Sozialisation in der BRD. Es stellte sich die Frage, wie die Bevölkerung mit den veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen zurecht käme. Von besonderem Interesse ist hierbei die Situation derjenigen, die in der DDR Führungspositionen innehatten, da diese das System aufgrund ihrer leitenden Funktionen stärker repräsentierten als die restliche Bevölkerung und somit zu einer stärkeren „Systemtreue“ gezwungen waren (vgl. Pieper 1992, S. 43). Erstaunlich ist, dass es zu dieser Problematik bislang nur wenig Untersuchungen gab. Aus diesem Grund sollen in der vorliegenden Hausarbeit die Führungskräfte der ehemaligen DDR einer näheren Betrachtung unterzogen werden, wobei sich jedoch nur auf den ökonomischen Bereich bezogen wird. Im Rahmen dieser Arbeit sollen Führungskräfte allgemein als Inhaber von verantwortlichen Leitungspositionen „mit Anordnungsbefugnissen gegenüber hierarchisch unterstellten Personen in der Produktion“ verstanden werden (Baethge / Denkinger / Kadritzke 1995, S.11). In der DDR wurden auch Führungskräfte des ökonomischen Bereichs als Kader bezeichnet, was zeigt, dass dieser Begriff nicht nur im politischen Sektor verwendet wurde. Sie hatten auf verschiedenen Leitungsebenen, den sogenannten Nomenklaturstufen, leitende Funktionen inne, das heißt dieser Gruppe gehörten sowohl Meister und Abteilungsleiter als auch Betriebsdirektoren an.

Es soll nun zum einen untersucht werden, wie sich die Wende auf die Karriere der Führungskräfte auswirkte, das heißt, inwiefern sie sich auf dem neuen Markt wieder etablieren konnten und wie sich ihre Gruppenstruktur von den Führungskräften der alten Bundesländern unterscheidet. Zum anderen werden die in der Nachwendezeit ermittelten Führungsqualitäten im Vergleich zu denen der westdeutschen Manager betrachtet, wozu sowohl die unternehmerischen Fähigkeiten als auch das Führungsverhalten gegenüber den Mitarbeitern gehören. Dabei wird vor allem der Frage nachgegangen, inwiefern der Einfluss des sozialistische Systems eine Rolle spielte und ob bei den ostdeutschen Führungskräften immer noch Spuren von politisch geprägten Sozialisationserfahrungen zu finden sind. Um diese Fragen beantworten zu können, wird zunächst auf die Beschaffenheit des sozialistischen Wirtschaftssystems eingegangen und dessen Auswirkungen auf die Tätigkeiten der Wirtschaftskader erläutert.

2. Das Wirtschaftssystem in der DDR

Das Wirtschaftssystem in der DDR war eine zentralistische Planwirtschaft, das heißt sämtliche wirtschaftlich relevante Entscheidungen wurden von der Regierung zentral gesteuert. Der Staat wurde in ökonomischen Angelegenheiten als „oberste Kontrollinstanz“ angesehen (Altschuh / Schultz-Gambard 1993, S. 35), denn die Betriebe und wurden nach dem zweiten Weltkrieg in volkseigene Betriebe (VEB) umgewandelt und gehörten somit keinem privaten Eigentümer, sondern waren Eigentum des Staates. Zu den vom Staat geregelten Angelegenheiten gehörten beispielsweise die Bedarfsermittlung der Bevölkerung, die Festlegung von Art und Umfang der Produktion, die Preisbildung oder die Vorgabe der Löhne für die jeweiligen Berufsgruppen, welche in einem Gesamtplan festgelegt wurden (vgl. Wuppertaler Kreis e.V. 1992, S. 14). Solch ein Plan galt im Voraus für eine bestimmte Zeiteinheit, etwa für fünf Jahre. Die Unternehmen konnten beispielsweise nicht selbst entscheiden, wie viel Güter hergestellt werden sollten, sondern mussten sich genau an die Planvorgaben halten. Angebot und Nachfrage wurden somit vom Plan bestimmt, nicht wie in der Marktwirtschaft von den Preisen. Dies hatte zur Folge, dass nicht schnell genug auf wirtschaftliche Veränderungen oder die Bedürfnisse der Bevölkerung reagiert werden konnte und sowohl Betriebe als auch Privathaushalte unter Versorgungsengpässen litten.

Im Gegensatz dazu wurde in der BRD nach dem zweiten Weltkrieg die soziale Marktwirtschaft eingeführt, welche sich auf eine demokratische Grundordnung stützt. Das wichtigste Prinzip dieses Wirtschaftssystems besagt, dass Menge, Art und Preise der hergestellten Produkte durch Angebot und Nachfrage bestimmt werden. Das heißt, sie werden nicht vom Staat vorgegeben, wie das bei der Planwirtschaft der Fall ist, sondern der Markt steuert sich selbst. Außerdem entscheiden die Unternehmen selbst über wirtschaftliche Angelegenheiten, etwa über die Kombination der Produktionsfaktoren (vgl. Wuppertaler Kreis e.V. 1992, S. 14). Indem die Marktteilnehmer im Wettbewerb zueinander stehen, sollen keine Monopole mit der Macht zur willkürlichen Preisbildung entstehen können. Dennoch hat der Staat die Möglichkeit in wirtschaftliche Angelegenheiten einzugreifen, allerdings nur bei konkretem Anlass, zum Beispiel wenn sich Ungerechtigkeiten durch eine Kartellbildung ergeben sollten. Umverteilungsmaßnahmen wie das Sozialversicherungssystem oder Arbeitslosenhilfe bilden die soziale Komponente des marktwirtschaftlichen Systems der BRD.

Um das in Kapitel fünf untersuchte Führungsverhalten besser nachvollziehen zu können, sollen im Folgenden erst einmal die Ausbildungswege erläutert werden, auf denen es möglich war, in der Planwirtschaft eine Leitungsposition zu erreichen. Anschließend wird der Einfluss des Wirtschaftsystems auf den Arbeitsalltag näher beleuchtet.

2.1. Die Ausbildung der Führungskräfte

Auch die Karriere von Führungskräften wurde in der DDR zentral gelenkt und überprüft. Wie bereits erwähnt, wurden die Inhaber von Leitungsfunktionen in der DDR als Kader bezeichnet. Sie wurden in vielen gesellschaftlichen Bereichen eingesetzt, sowohl in der Politik und in Verbänden als auch in der Wirtschaft. Im Folgenden wird sich ausschließlich mit den Wirtschaftskadern beschäftigt.

Sämtliche Führungspositionen wurden in der Nomenklatura verzeichnet, einer Liste, auf der alle Leitungsfunktionen vermerkt waren, über deren Besetzung die SED entschied. Dabei waren die Positionen nach ihrer Wichtigkeit in Nomenklaturstufen (I, II, III) gegliedert. Auf wirtschaftlicher Ebene entsprach die Nomenklaturstufe I zum Beispiel den Generaldirektoren von großen Kombinaten, in der zweiten Stufe waren beispielsweise Fachdirektoren wichtiger Kombinate oder Hauptbuchhalter vertreten und in der dritten Stufe befanden sich unter anderem Meister und Werksdirektoren kleinerer Betriebe (vgl. http://www.payer.de/ kommkulturen/kultur082.htm).

Die Entscheidungen, wer als künftige Leitungskraft in Frage kam, wie die Aus- und Weiterbildung ablief und wo der Leiter eingesetzt werden sollte, werden unter dem Begriff Kaderpolitik zusammengefasst. Die Kaderarbeit setzt diese Entscheidungen dann konkret um. Es mussten viele Kriterien erfüllt werden, um für eine Führungsposition in Frage zu kommen, wovon die meisten eher politischer Natur waren. Als Beispiel seien hier die Treue zum Staat und zur Arbeiterklasse, ein sozialistisches Bewusstsein, die Freundschaft zur Sowjetunion, aber auch hohe Sachkenntnis und Disziplin genannt. Westverwandtschaft wirkte sich auf die Karriere eher hinderlich aus ( vgl. Pieper 1992, S. 40). Man begründete diesen Sachverhalt damit, dass eine Leitungskraft den Interessen der Arbeiterklasse diene und gegenüber dem Kollektiv als „Beauftragter der sozialistischen Staatsmacht“ (Pieper 1992, S. 41) eine erzieherische Aufgabe und Vorbildfunktion habe.

Außerdem wurde für eine Kaderkarriere meist ein Fach- oder Hochschulabschluss vorausgesetzt (vgl. Kronisch / Lapp 1992, S. 124f.), was vor dem Hintergrund der von der DDR propagierten Bevorzugung der Arbeiterklasse erstaunlich ist. Studien, die ehemalige DDR Führungskräfte als Untersuchungsgegenstand hatten, kamen zu dem Ergebnis, dass lediglich vier Prozent der Befragten einen alternativen Schulabschluss hatten (vgl. Lang / Baitsch / Pawlowsky 2002, S. 130f.). Um zumindest den Anschein der Chancengleichheit zu wahren, konnte für verantwortungsvolle Positionen auch eine alternativer Bildungsweg eingeschlagen werden, zum Beispiel über Arbeiter- und Bauernfakultäten oder Parteihochschulen. Allerdings war für diese Bildungseinrichtungen eine unerschütterliche Treue zum Staat erforderlich (vgl. Kronisch / Lapp 1992, S. 125).

Waren die genannten Voraussetzungen erfüllt, gelangte der Fach- oder Hochschulabsolvent in das Kaderreservoir, das heißt, er wurde als potenzielle Leitungskraft angesehen. Dort mussten einige Aufgaben erfüllt werden, bei denen Erfahrungen für die spätere Leitungstätigkeit gesammelt werden sollten. Diejenigen, welche die Aufgaben gut ausgeführt hatten, wurden in den Kadernachwuchs aufgenommen, welcher die zukünftigen Führungskräfte darstellte. Zugleich erfolgte eine Zuordnung zur Nomenklaturstufe der geplanten Leitungsposition (vgl. http://www.payer.de/kommkulturen/kultur082.htm). Die Mitglieder im Kadernachwuchs durchliefen ein speziell auf ihre künftigen Tätigkeitsbereiche abgestimmtes Entwicklungsprogramm, außerdem mussten sie in gesellschaftlichen Organisationen wie zum Beispiel der FDJ oder dem FDGB tätig sein. Nach dieser zwei – fünfjährigen Probezeit wurde entschieden, ob das Mitglied in die Kaderreserve aufgenommen wird (vgl. Pieper 1992, S. 43). Dabei waren Rückstufungen in das Kaderreservoir jederzeit möglich, falls die Probezeit nicht zufriedenstellend absolviert wurde. In der Kaderreserve wurden die Mitglieder gezielt auf ihre zukünftige Leitungstätigkeit vorbereitet, wobei letztendlich noch ein Entscheidungsprozess anstand, um festzustellen ob die Leitungsfunktion tatsächlich ausgeübt werden dürfe oder ob noch weitere Vorbereitung oder gar eine Zurückstufung erforderlich sei (vgl. http://www.payer.de/kommkulturen/kultur 082.htm). Wer schließlich Inhaber einer Leitungsposition war, musste regelmäßig alle drei bis fünf Jahre an Weiterbildungslehrgängen teilnehmen, die eine Woche bis drei Monate dauern konnten und an Hochschulen, Ministerien oder Parteischulen stattfanden. Ihr Inhalt kann jedoch nicht mit den heute üblichen Weiterbildungen verglichen werden, da sie vor allem politisch ausgerichtet waren. Verhaltenstrainings waren dagegen nicht üblich (vgl. Pieper 1992, S. 50f.).

Wie man an diesen Schilderungen sehen kann, musste ein Bewerber um eine Leitungsposition viele Hürden nehmen, bis er sein Ziel erreichte. Dabei fällt auf, dass ein Großteil der Kriterien auf ein der DDR entsprechendes politisches Bewusstsein ausgerichtet war. Zwar zählte auch die Leistung, um eine Führungsposition zu erreichen, doch erfüllte man nicht die politischen Voraussetzungen, war die Karriere selbst bei sehr guten Leistungen zerstört. Im Gegensatz dazu zählte in der BRD in erster Linie der Leistungsgedanke – wer gute Leistung erbringt, steigt auf (vgl. Altschuh / Schultz-Gambard 1993, S. 44).

[...]

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Arbeitssituation ostdeutscher Führungskräfte in der Nachwendezeit
Hochschule
Technische Universität Chemnitz  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Empirische Schlüsselstudien der Arbeits- und Industriesoziologie
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
20
Katalognummer
V49271
ISBN (eBook)
9783638457620
Dateigröße
607 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arbeitssituation, Führungskräfte, Nachwendezeit, Empirische, Schlüsselstudien, Arbeits-, Industriesoziologie
Arbeit zitieren
Peggy Reichel (Autor:in), 2005, Die Arbeitssituation ostdeutscher Führungskräfte in der Nachwendezeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49271

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