Die Überprüfung der religiösen Situation in Deutschland anhand der drei religionssoziologischen Modelle

Säkularisierungsthese, ökonomisches Marktmodell und Individualisierungsthese


Seminararbeit, 2018

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Säkularisierungsthese

3. Das ökonomische Marktmodell

4. Die Individualisierungsthese

5. Welches religionssoziologische Modell kann die religiöse Situation in Deutschland erklären?

6. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Nur noch ein knappes Drittel der westdeutschen Jugendlichen betet und glaubt an ein Weiterleben nach dem Tod. Das 1991 sowieso schon niedrige Niveau bei den Jugendlichen in den neuen Bundesländern ist weiter abgerutscht; Gottesdienstbesuch und Beten sind Praktiken von kleinen Minderheiten geworden.“ 1

Zweifellos gibt es in Deutschland und in vielen Ländern Europas Tendenzen einer fortschreitenden Entkirchlichung. Eine Trendwende in Sachen kirchlicher Religion ist auch für das 21. Jahrhundert nicht in Sicht. Die Religionsforschung konstatiert für den Westen Europas einen lang anhaltenden Rückgang der kirchlich institutionalisierten Religion. Er kommt sowohl im Verblassen des für die kirchlichen Glaubensüberzeugungen konstitutiven Glaubens an einen persönlichen Gott als auch im Abrücken vom kirchlich formulierten Glauben an ein Leben nach dem Tod zum Ausdruck.2 Das hier beschriebene Phänomen ist insbesondere unter dem Namen der Säkularisierung bekannt. Allgemein bedeutet dies, die Lösung einer Sache, Person oder Gruppe aus religiöser bzw. kirchlicher Gebundenheit. Weiterhin kann das Wort analog zu Säkularisation gebraucht werden, was das Aneignen oder Nutzen kirchlichen Besitzes durch weltliche Kräfte meint.3

Diese Arbeit behandelt in seiner Gesamtheit die Überprüfung der religiösen Situation in Deutschland im Hinblick auf die immer weiter voranschreitende Säkularisierung. Im Schwerpunkt soll dabei mithilfe der drei religionssoziologischen Modelle: Säkularisierungsthese, ökonomisches Marktmodell und Individualisierungsthese, die Säkularisierung in Deutschland erläutert und begründet werden. Auf der Forschungsebene der Säkularisierung im deutschsprachigen Raum besteht ein großes Spektrum an Literatur und wissenschaftlichen Arbeiten. Einer der wichtigsten Vertreter ist hierbei Prof. Dr. Detlef Pollack vom Institut für Soziologie der Universität Münster. Zusammen mit Prof. Dr. Karl Gabriel (Universität Münster) zählt er zu den bekanntesten Experten auf diesem Gebiet. Angesichts dieses Umstandes habe ich mich im Rahmen meiner Literaturrecherche insbesondere auf die Werke und Überlegungen von Prof. Pollack konzentriert. Eine seiner aufschlussreichsten und für diese Arbeit bestimmende Quelle war u. a. der Zeitschriftenaufsatz: Wiederkehr der Religion oder Säkularisierung: Zum religiösen Wandel in Deutschland, in: OST-WEST Europäische Perspektiven 1/2007, S. 11–20.

Die Idee und das Interesse für das Thema entstanden innerhalb des Seminars und besonders aus persönlichem Interesse. Bei meinen Untersuchungen fiel mir u. a. auf, dass es nicht viele Werke gab, welche nicht nur die drei bekanntesten religionssoziologischen Modelle im Detail erklären, sondern gleichzeitig auch die Verbindung zur stattfindenden Säkularisierung in Deutschland suchen. Daraus ergab sich letztlich folgende Fragestellung: Welche sind die drei religionssoziologischen Modelle und inwieweit können diese die aktuelle religiöse Situation in Deutschland erklären? Um diese Forschungsfrage inhaltlich richtig beantworten zu können, sollen die ersten drei Kapitel zunächst die verschiedenen Modelle vorstellen und im Detail erklären. Im letzten Kapitel soll schließlich erläutert werden, welches Modell am besten die Säkularisierung in Deutschland begründen kann.

2. Die Säkularisierungsthese

Eine Voraussetzung für die Säkularisierung der europäischen Gesellschaft war der religiöse Pluralismus, wie ihn die Reformation im 16. Jahrhundert begründete und legitimierte. Dabei wurde nicht nur die volkstümliche Religiosität (Protestantismus) bekämpft und verfolgt, sondern auch andere religiöse Orientierungen, wie damalige Ketzerprozesse und Judenverfolgungen aufzeigen. Die im Gefolge der Religionskriege erreichte Parität der beiden Konfessionen (Katholizismus, Protestantismus) führte dies auf protestantischer Seite zur Bekenntnisbildung, sowie jeweils auf beiden Seiten zu einer Erstarrung der Religion, welche erst durch den Pietismus und die Aufklärung aufgelockert wurde.

Die gesamteuropäische Bewegung der Aufklärung, welche hauptsächlich von Rationalität und Humanität geprägt war, trug in dreifacher Hinsicht zur Säkularisierung bei. Als Erstes innerhalb der Naturwissenschaften, indem das damalige Weltbild infrage gestellt wurde.4 Zweitens führten neue Staatstheorien zu einer religionsneutralen Begründung des Staatsrechts und ermöglichten eine Entkonfessionalisierung des politisch-sozialen Lebens. Drittens erlebte die Aufklärung eine Epoche der Religionskritik, welche zu einer Förderung des entdogmatisierten Religionsbegriffs und zu einem entkonfessionalisierten Verständnis des Christentums führte.5 Hierbei kann die von verschiedenen Aufklärungsphilosophen entwickelte Auffassung vom „Priesterbetrug“ genannt werden, welche die religiösen Aussagen als betrügerische Erfindungen kirchlicher Amtsträger kritisiert. Infolgedessen wurden die Fragen nach: Ursprung der Religion sowie ihrer Rolle im Leben der Gesellschaft und ihr persönlicher bzw. gesellschaftlicher Nutzen bezweifelt und hinfort die einseitigen Interessen der Priester nach Macht, Reichtum und Ansehen aufgedeckt und verurteilt.6

Die sich verändernde Stellung des Christentums im Zuge der neuzeitlichen Entwicklung wurde im 16. Jahrhundert zunächst unter dem Begriff der „Verweltlichung“ verhandelt. Der Begriff der Verweltlichung kann als Entsprechung zur aufklärerischen Hoffnung auf ein neues, nicht mehr durch die Religion vermitteltes Verhältnis des Menschen zum Ganzen der Welt und ihrer Geschichte verstanden werden, wie es die Religionskritik der französischen Aufklärung, dann aber in reflektierterer Weise bei David Hume, Ludwig Feuerbach und Karl Marx schon tat.7 Erst durch den Einfluss des deutsch-protestantischen Theologen Ernst Troeltsch während der Wende zum 20. Jahrhundert wurde Verweltlichung schließlich durch das Fremdwort Säkularisierung abgelöst.

Die Säkularisierungstheorie beschreibt insgesamt fünf gesellschaftliche Folgen durch die Säkularisierung. Als Erstes geht die Theorie davon aus, dass es durch die Modernisierung der Gesellschaft zu einem fortschreitenden Relevanzverlust von Religion in einer Gesellschaft kommt. Dabei kann dieser Relevanzverlust nicht nur emanzipatorisch, sondern auch als kulturkritisch gedeutet werden. Zweitens geht die Säkularisierungstheorie davon aus, dass eine Verdrängung der kirchlichen Autorität aus den Bereichen weltlicher Herrschaft stattfand. Dieser Aspekt ist zwar in der heutigen Gesellschaft nicht mehr von aktueller Bedeutung, doch bescherte dieser, während der neuzeitlichen Entwicklung einen voranschreitenden Machtverlust der Kirche in Europa. Dadurch konnte sich der Bereich staatlicher Zuständigkeiten oder auch der staatlichen Gewährleistungen, z. B. der „Freiheit von Wissenschaft und Kunst“ (Art. 5, Abs. 3 GG), fortschreitend erweiterten. Gleichzeitig kann man ebenfalls von einem Kontrollverlust der Religion über die Gesellschaft sprechen. Drittens gehen Vertreter der Theorie davon aus, dass eine synchrone Enteignung und Bewahrung christlicher Errungenschaften im Rahmen des säkularen Gemeinwesens stattfand. An dieser Stelle wanderten die Schutz- und Führsorgeaufgaben über die Menschen von der Kirche zum Staat. Heutzutage steht die jeweilige Staatsmacht oder ein Völkerbund (UNO, Europäische Union) für die Freiheit und Gleichheit der Menschen ein, sowie für die soziale Absicherung und Unterstützung der Armen bzw. Schwachen. Viertens ist zu nennen, dass die Säkularisierung als Voraussetzung einer Entmythologisierung des Glaubens und einer „Vergeistlichung des Säkulums“ gehalten wird.8 Die Entmythologisierung nähert sich dabei u. a. der christlichen Bibel kritisch und erklärt, dass darin beschriebene mythische Weltbild als für überholt. Das Hauptargument ist hierbei, dass die Verkündigung des Neuen Testaments in mythologischer Fassung für die Menschen nicht mehr verständlich wäre und einer Entmythologisierung bedarf. Dennoch müssten nach der Meinung der Vertreter, die Wahrheits- und geschichtlichen Wesenskerne weiterhin behalten sowie respektiert werden. Als Letztes erwähnt die These eine Entchristlichung und Entkirchlichung der Bevölkerung durch die Säkularisierung. Während sich die davor beschriebenen Punkte aus soziologischer Sicht im Wesentlichen auf die makrotheoretischen Zusammenhänge von Kirche und Gesellschaft bezogen, steht hier der mikrosoziologische Sachverhalt sinkender kirchlicher Beteiligung und das Verschwinden christlicher Orientierungen im Wissens- und Verhaltensbereich der Bevölkerung im Vordergrund.9 Die Ursache vom Rückgang religiöser Praktiken wird in einem Generationseffekt gesehen. Als Folge der Ausdifferenzierung der Bereiche und der Pluralisierung der Wertvorstellungen wachsen junge Menschen nicht mehr mit Religion als dem bekannten und kohärenten Glaubenssystem auf, womit die Religiosität über die Generationen stetig abnimmt. Gleichzeitig findet neben der Ausdifferenzierung und Erosion organisierter Religion ein einhergehender Rückzug des Glaubens aus dem öffentlichen Raum statt. Dieser Prozess hat zur Konsequenz, dass die Religion und Kirche mit voranschreitender Zeit ihre Position als Ordnungsmacht in der Gesellschaft verliert.10

3. Das ökonomische Marktmodell

Die Religionsökonomie (Economics of Religion) steht in der klassischen Tradition Adam Smiths. Dabei wird die Religion als eine Ware angesehen, welche auf dem Markt gehandelt werden kann. Gleichzeitig liegt auf der Angebotsseite das Interesse religiöser Anbieter (Kirchen, Sekten) darin im Wettbewerb mit der Konkurrenz möglichst viele Kunden bzw. Gläubige für sich zu gewinnen. Auf der Nachfrageseite hingegen besteht ein Bedürfnis nach religiösen Gütern und Dienstleistungen, (Rosenkränze, Heilige Schriften, Gottesdienste). Die religiösen Akteure verhalten sich dabei am Markt gemäß den Annahmen der „Rational-Choice-Theorie“. So wie in der Volkswirtschaft auch handelt das agierende Subjekt aus Eigeninteresse in dem Bestreben, in einer Welt der knappen Güter seinen individuellen Nutzen zu maximieren. Dadurch wählt es in Entscheidungssituationen, auf Basis einer Kosten-Nutzen-Analyse, die für seinen religiösen Nutzen günstigere Alternative aus. Der fromme „Homo Religiosus“ ist also immer auch ein nutzenmaximierender Homo Oeconomicus. Aus diesem Grund lässt sich religiöses Handeln, so die Annahme der Religionsökonomie mit den Modellen der Rational-Choice-Theorie analysieren.11

Die Funktionsweise religiöser Märkte von Adam Smith wurde in der Wirtschaftswissenschaft lange ignoriert. Erst in den 1970er begannen die Ökonomen Corry Azzi und Ronald Ehrenberg die „Economics of Religion“ in den USA wieder zu einer sozialwissenschaftlichen Subdisziplin, mit folgenden Annahmen zu etablieren. Als Erstes gehen sie davon aus, dass eine zeit- und kontextunabhängige stabile Nachfrage nach Religion besteht, die das Bedürfnis nach Erklärungen von Existenz befriedigt und dafür übernatürliche Kräfte (Austausch mit Gott) beansprucht. Zweitens versuchen die Akteure ihren religiösen Nutzen zu maximieren, welcher in der Erlangung und Vermehrung von Heilsgütern besteht. Die dritte Annahme besagt, dass religiöse Organisationen Waren und Dienstleistungen anbieten und durch die Interaktion mit Konsumenten ein religiöser Markt entsteht. Als Letztes wird in Betracht gezogen, dass religiöse Partizipation und religiöser Glaube abhängig von den jeweiligen Rahmenbedingungen einer Gesellschaft sind, dies bedeutet, dass Religion und Moderne nicht zwingend in einem Spannungsverhältnis zueinanderstehen müssen.12

Während die Säkularisierungstheorie zwischen Religion und Moderne ein Spannungsverhältnis erkennt, gehen die Vertreter des ökonomischen Marktmodells von der Kompatibilität beider Größen aus. Darüber hinaus nehmen die Befürworter des Marktmodelles nicht an, dass sich die in modernen Gesellschaften vollziehenden Prozesse der religiösen Pluralisierung, einen negativen Effekt auf die Stabilität religiöser Gemeinschaften, Glaubensüberzeugungen und Praktiken ausüben. Im Gegensatz dazu sind die Befürworter der Meinung, je pluralistischer ein religiöser Markt ist, desto mehr Konkurrenz herrscht auch zwischen den einzelnen religiösen Anbietern. Diese Konkurrenzsituation fordert die Religionsgemeinschaften und ihre Vertreter dazu auf, ihren Service und Angebote stätig zu verbessern, da nur auf diese Weise das bereits bestehende Klientel gehalten und neue Kunden gewonnen werden können. Würden religiöse Gemeinschaften hingegen in einem Land oder Region das religiöse Monopol besitzen, so tendiere der Klerus dazu, faul bzw. nachlässig zu werden und die Bedürfnisse der Menschen zu ignorieren. Die Konkurrenzsituation zwingt allerdings die Anbieter von Religion zu kundenorientierter Sensibilität, Leistungssteigerung und permanenter Anspannung der Kräfte. Die Konkurrenzsituation führt dadurch, zu einer wachsenden und stabilen Produktivität des gesamten religiösen Marktes. Die Bedingung für die Entstehung eines religiösen Pluralismus besteht nach den Überzeugungen der Markttheoretiker also darin, dass die Kirche und der Staat strikt getrennt sind und keine Religionsgemeinschaft gegenüber anderen eine privilegierte Stellung einnimmt. Nur wenn der Staat sich aus religiösen Angelegenheiten heraushalte und keine Religionsgemeinschaft bevorzugt werde, sind die Startkosten für kleinere Religionen bei Eintritt auf dem Markt so gering, dass sie sich neben den bereits etablierten Kirchen herausbilden können.13

[...]


1 Fuchs-Heinritz, Werner: Religion, in: Deutsche Shell (Hg.): Jugend-2000 (1), Opladen, 2000, S. 162.

2 Ebertz, Michael N.: Erosion der Gnadenanstalt? Zum Wandel der Sozialgestalt von Kirche, Frankfurt am Main 1998, S. 117.

3 Sievers, Jan; Padrock, Philippe: Säkularisierung, https://neueswort.de/saekularisierung/ (1.7.2018).

4 Weibel, Rolf: Säkularisierung, http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D11508.php (1.7.2018).

5 Ebd.

6 Hillmann, Karl-Heinz; Hartfiel, Günter: Wörterbuch der Soziologie (Kröners Taschenausgabe 410), Stuttgart, 1994, S. 689ff.

7 Kaufmann, Franz-Xaver: Wie überlebt das Christentum? (Herder-Spektrum 4830), Freiburg im Breisgau, 2000, S. 82.

8 Ebd., S. 84–85.

9 Ebd., S. 85.

10 Schielicke, Anna-Maria: Rückkehr der Religion in den öffentlichen Raum? Kirche und Religion in der deutschen Tagespresse von 1993 bis 2009. Zugl.: Dresden, Techn. Univ., Diss., 2012 (Research), Wiesbaden, 2014, S. 18.

11 Lutz, Martin: Religion und Wirtschaft, in: Pollack, Detlef u.a. (Hg.): Handbuch Religionssoziologie (Veröffentlichungen der Sektion Religiosoziologie der Deutsche Gesellschaft für Solziologie), Wiesbaden, 2018, S. 718–719.

12 Ebd., S. 719.

13 Pollack, Detlef: Wiederkehr der Religion oder Säkularisierung: Zum religiösen Wandel in Deutschland, in: OST-WEST Europäische Perspektiven 1/2007.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Überprüfung der religiösen Situation in Deutschland anhand der drei religionssoziologischen Modelle
Untertitel
Säkularisierungsthese, ökonomisches Marktmodell und Individualisierungsthese
Hochschule
Universität der Bundeswehr München, Neubiberg
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
20
Katalognummer
V492373
ISBN (eBook)
9783668988491
ISBN (Buch)
9783668988507
Sprache
Deutsch
Schlagworte
überprüfung, situation, deutschland, modelle, säkularisierungsthese, marktmodell, individualisierungsthese
Arbeit zitieren
Georg Rosenkranz (Autor:in), 2018, Die Überprüfung der religiösen Situation in Deutschland anhand der drei religionssoziologischen Modelle, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/492373

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