Verfassungsgerichtsbarkeit in Polen, Ungarn und der Tschechischen Repbulik


Hausarbeit, 2006

39 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Abkürzungsverzeichnis

2 Einleitung

3 Verfassungsgerichtsbarkeit in Polen

4 Verfassungsgerichtsbarkeit in Ungarn

5 Verfassungsgerichtsbarkeit in der Tschechischen Republik

6 Auseinandersetzung mit den Verfassungsgerichten

7 Schlussbetrachtung

8 Literaturverzeichnis

9 Ehrenwörtliche Erklärung

1 Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2 Einleitung

„Das 20. Jahrhundert hat in seiner zweiten Hälfte einen nicht vorhergesehenen globalen Siegeszug der Verfassungsgerichtsbarkeit erlebt. Das Bundesverfassungsgericht, im Grundgesetz des Jahres 1949 vorgesehen und 1951 errichtet, ist ein Teil dieses Prozesses und in bedeutendem Maße auch Impulsgeber dieser Entwicklung. Vor 1945 hat es nur in vier Ländern eine Verfassungsgerichtsbarkeit unterschiedlichen Umfangs gegeben, so im klassischen Pionier- und Mutterland der Verfassungsgerichtsbarkeit, in den USA, in der Schweiz, in Österreich und in Irland. Erst nach 1945 beginnt die bis zur unmittelbaren Gegenwart andauernde Expansion der Verfassungsgerichtsbarkeit“[1]. Nach dem politischen Transformationsprozess in den postkommunistischen Staaten Europas 1989/1990 wurde in vielen Ländern eine Verfassungsgerichtsbarkeit angestrebt, die es zuvor meist nicht gab, denn „Kommunisten mögen keine Verfassungsgerichtsbarkeit“[2]. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass sich nach der demokratisch-rechtsstaatlichen Systemwende eine Verfassungsgerichtsbarkeit in Europa stark ausbreitete. Den Anfang machte Ungarn (1990)[3], ihm folgten Bulgarien (1991)[4], Rumänien (1992)[5] und Litauen[6], die Slowakei[7] und Tschechien[8] (1993). Allerdings gab es auch Länder, die eine Verfassungsgerichtsbarkeit schon vor dem Transformationsprozess eingeführt hatten, wie z.B. Polen (1986)[9]. Estland hingegen besitzt kein Verfassungsgericht, dafür aber ein oberstes ordentliches Gericht mit besonderem Spruchkörper für Verfassungssachen, welches präventive, abstrakte und konkrete sowie inzidente Normenkontrolle innehat[10]. Das oberste Gericht in Estland ist durch seine weitgehenden Kompetenzen vergleichbar mit einem Verfassungsgericht. Zwischen den Verfassungsgerichten verschiedener Länder bestehen durchaus Unterschiede. Aus diesem Grunde möchte ich mich in dieser Arbeit an Hand der Länder Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik damit befassen, wie stark die Verfassungsgerichte in den ausgesuchten Ländern sind bzw. welche Kompetenzen die Verfassung den Verfassungsgerichten gibt und wie diese genutzt werden.

Ich halte es für sinnvoll, die Verfassungsgerichtsbarkeit in Polen zu untersuchen, da sie dort schon vor der demokratisch-rechtsstaatlichen Systemwende existierte. Hierbei möchte ich vor allem untersuchen, ob es durch die Systemwende Veränderungen der Verfassungsgerichtsbarkeit gab und welche Folgen diese Veränderungen hatte.

Ungarn wählte ich, da es das erste Land nach dem Transformationsprozess war, welches die Verfassungsgerichtsbarkeit einführte. Zeichnen sich hier Probleme ab, die in einem Land wie z.B. der Tschechischen Republik, welches die Verfassungsgerichtsbarkeit erst später einführte, nicht hatte?

Tschechien finde ich besonders interessant, da zur Zeit der Tschechoslowakei, also bevor Tschechien und die Slowakei getrennt wurden, ein Verfassungsgericht bereits existierte und zwar schon 1921[11]. Somit war das Tschechoslowakische Verfassungsgericht nach dem österreichischen das zweite Verfassungsgericht welches eingerichtet wurde. Jedoch war sein Bestand nicht von Dauer. Nachdem politischen Transformationsprozess und vor der Trennung der Tschechoslowakischen Republik existierte bereits ein Verfassungsgericht.

Wie man sieht ist ein historischer Überblick in den jeweiligen Ländern nötig, um die Wichtigkeit des Verfassungsgerichts abschätzen zu können. Dabei ist mir nicht nur wichtig, wann die Verfassungsgerichte eingerichtet wurden, sondern auch wie ihre Arbeit zu Beginn aussah und ob es Widerstand von Seiten der Opposition oder von den ordentlichen Gerichten gab. Weiter ist mir der institutionelle Rahmen der Verfassungsgerichte wichtig. Hierbei interessiere ich mich besonders dafür, wie und von wem die Verfassungsrichter gewählt bzw. ernannt werden, aber auch welche Kompetenzen sie innehaben und von wem das Verfassungsgericht angerufen werden kann. Ausgehend von den Kompetenzen möchte ich dann später ableiten, welche Macht die Verfassungsgerichte von der Verfassung bekommen haben. Weiter möchte ich betrachten, welche Art von Entscheidungen die Verfassungsgerichte im Laufe ihrer Existenz getroffen haben und wie diese in Bezug zur Politik zu sehen sind. Vorab sind die wichtigsten Verfahren zu nennen, die für die Verfassungsgerichte bedeutsam sind. Die wichtigste Verfahrensart wird hierbei die Normenkontrolle sein . „Normenkontrolle ist die Überprüfung einer Rechtsnorm durch ein Gericht dahin, ob sie mit einer im Rang über ihr stehenden Rechtsnorm vereinbar ist. Sie geschieht bei Gesetzen vor allem durch die Verfassungsgerichte.

Dabei ist die abstrakte N. die Überprüfung einer Rechtsnorm unabhängig von einem konkreten Einzelfall. […] Bei der konkreten N. wird die Gültigkeit einer Rechtsnorm in einem konkreten Einzelfall überprüft“ [12] . Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal bei den Verfassungsgerichten ist die Grundrechtsbeschwerde. „Als echte Grundrechtsbeschwerde soll der Rechtsbehelf bezeichnet werden, mit dem sich der Einzelne gegen einen seine Grundrechte unmittelbar verletzenden Akt der öffentlichen Gewalt an das Verfassungsgericht wenden kann“ [13] . Der Unterschied zwischen der echten und der unechten Grundrechtsbeschwerde liegt darin, dass „sie sich nicht gegen den die Grundrechte verletzenden Einzelakt der öffentlichen Gewalt, sondern gegen die dem einzelnen Rechtsanwendungsakt zugrunde liegende verfassungswidrige Rechtsnorm richtet“ [14] . Nachdem ich die Verfahrensarten der Verfassungsgerichte in den Ländern Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik vorgestellt habe, werde ich einzelne Entscheidungen betrachten und diese anschließend in den Kontext der gesamten Entscheidungen des Verfassungsgerichts stellen, um zeigen zu können, in welcher Art und Weise die Verfassungsgerichte aktiv geworden sind. Vorgehen werde ich bei meiner Arbeit Folgendermaßen: Zuerst werde ich die Verfassungsgerichtsbarkeit in Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik vorstellen. Bevor ich zu meiner Schlussbetrachtung übergehen werde, werde ich im Kapitel ’Auseinandersetzung mit den Verfassungsgerichten’ meine Ergebnisse miteinander vergleichen und hinsichtlich meiner Fragestellung betrachten. Im Literaturverzeichnis unter ’Internetadressen’ habe ich die Internetadressen der Verfassungsgerichte in Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik aufgelistet. Aber auch die Internetseite, auf der die Gesetzestexte der Verfassung, der Gesetze über das Verfassungsgericht und die Entscheidungen der jeweiligen Länder zu finden sind.

Nachdem Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Mittel- und Osteuropa entstanden neue Demokratien, zu deren Aufbau die Verfassungsgerichtsbarkeit gehört. Heute, mehr als zehn Jahre nach der Transformation, entstand ein „Paradoxon der Akzeptanz und der Ablehnung der Verfassungsgerichtshöfe“[15]. Dabei ist der Widerstand gegen das Verfassungsgericht erstaunlicherweise nicht auf der Seite der Gesetzgeber oder dem exekutiven Bereich der Staatsmacht zu finden. Nein, der Widerstand kommt von den ordentlichen Gerichten. Dieses angespannte Verhältnis führt nicht nur zu einer vielfachen Beschäftigung der Verfassungsgerichte sondern schwächt diese auch erheblich.

3 Verfassungsgerichtsbarkeit in Polen

Polen war das erste Land im sowjetischen Hegemonialbereich, das eine funktionierende Verfassungsgerichtsbarkeit vor dem politischen Transformationsprozess hatte. Das Verfassungsgericht war eine Folge von vorangegangenen politischen Turbulenzen, mit dem man versuchte, das Defizit zwischen Herrschenden und Beherrschten wieder auszugleichen. Somit nahm das Verfassungsgericht bereits 1986 seine Arbeit auf. Allerdings war der Verfassungsgerichtshof sehr eingeschränkt in seinen Kompetenzen, er hatte lediglich eine Prüfungs-, aber keine Aufhebungskompetenz. Wenn das Verfassungsgericht ein Gesetz für verfassungswidrig erklärte, bedurfte es einer Überprüfung durch den Sejm. Dieser konnte der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes durch die Stimmen von zwei Drittel der anwesenden Abgeordneten widersprechen, wenn mindestens die Hälfte aller Abgeordneten anwesend war. Trotz der genannten Einschränkungen kann man die Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Polen als einen revolutionären Schritt sehen, denn der Verfassungsgerichtshof bestand nicht nur auf dem Papier, sondern erklärte bereits im Mai 1986 eine Verordnung des Ministerrats für verfassungswidrig[16]. Allerdings wurde eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zwischen 1990 und 1999 in zehn Fällen vom Sejm überstimmt, was immerhin fast zehn Prozent der gesamten Fälle ausmachte[17].

Der polnische Verfassungsgerichtshof bestand aus zwölf Richtern, welche vom Sejm auf acht Jahre gewählt wurden, darunter auch der Präsident und der Vizepräsident. Somit entschied sich Polen von Anfang an für einen parlamentarischen Bestellmodus der Richter. Eine Wiederwahl war nicht möglich. Um eine Kombination von Kontinuität und Wandel zu erzielen, war vorgesehen, alle vier Jahre die Hälfte der Richter neu zu wählen. Damit dies realisiert werden konnte, wurden zu Beginn sechs Richter nur für vier Jahre gewählt. Voraussetzung für eine Berufung an das Verfassungsgericht waren eine mindestens zehn jährige juristische Berufserfahrung oder eine Professur an einer juristischen Fakultät, wobei in der Praxis die meisten Richter Professoren waren. Die Richter des Verfassungsgerichtshofs waren unabhängig, konnten allerdings vom Sejm abgewählt werden, wenn ein Richter „seinem Eid untreu geworden war“[18].

Als Verfahrensart war nur die repressive (nachträgliche) Normenkontrolle vorgesehen. „Die nachträgliche Normenkontrolle kann […] sowohl eine abstrakte als auch eine konkrete sein, je nachdem, ob sie losgelöst von einem bestimmten Anla[ss] oder anhand eines konkreten Falles, in dem die geprüfte Norm anzuwenden wäre, beantragt wird“[19]. Bei der abstrakten Normenkontrolle stand die Antragsbefugnis fast allen Verfassungsorganen zu. Bei der konkreten Normenkontrolle hingegen hatten nur die anderen Gerichte die Befugnis, Rechtsanfragen in Bezug auf die Verfassungs- bzw. Gesetzmäßigkeit der Vorschriften zu formulieren. Der polnische Bürger konnte dadurch nur eine Kontrolle von Normativakten über einen Ombudsmann[20] herbeiführen. „Die überwiegende Zahl der Verfahren in den 80er Jahren betraf die Kontrolle von untergesetzlichen Rechtsnormen wegen Überschreitung der gesetzlichen Ermächtigung. Bis auf einen Fall stellte der VerfGH in 30 Verfahren zwischen 1986 bis 1989 entweder die Verfassungswidrigkeit fest oder stellte das Verfahren wegen bereits vollzogener Aufhebung der Norm ein“[21]. Die meisten Anfragen in der Zeit von 1986 bis 1989 betrafen die Bürgerrechte wie Gleichheitssatz, Eigentumsfragen und das Recht der Selbstverwaltungskörperschaften[22]. Hingegen wurde die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen in den ersten beiden Jahren nur zweimal vom VerfGH untersucht, wahrscheinlich deshalb, weil der Sejm die Möglichkeit besaß, das Urteil zurückzuweisen.

Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme breitete sich die Verfassungsgerichtsbarkeit in Osteuropa sehr schnell aus. In Polen stand aber nicht wie in anderen Länder die Schaffung eines Verfassungsgerichts im Vordergrund, sondern vielmehr deren Erneuerung. Die Erneuerung ging in Polen allerdings nur langsam voran. 1989 wurde die präventive Normenkontrolle auf Antrag des Staatspräsidenten eingeführt. Solche und noch viele weitere kleine Reformen machten das Gesetz über den Verfassungsgerichtshof unübersichtlich. Daraus folgte eine Neufassung im Oktober 1991. Auch danach rissen die Gesetzesänderungen nicht ab, welche hauptsächlich in einer Erweiterung der Normenkontrollen lagen. „The fall of the old regime brought about vigorous emancipation of constitutional review. The PCT became more active in the scrutiny of statutes, and in response to the incoherence of both the constitutional law and the political arena rapidly rose to a position in the country’s constitutional politics that went beyond its original conceptualisation by the constitution makers”[23].

Erst 1997 wurde eine neue Verfassung und auf ihrer Grundlage und gleichzeitig mit ihr ein neues Gesetz über den Verfassungsgerichtshofs verabschiedet. „Bei den Arbeiten an der neuen Verfassung war klar, da[ss] die Verfassungsgerichtsbarkeit beibehalten werden sollte; man war sich auch einig, da[ss] die Position und die Befugnisse des VerfGH gestärkt werden sollten“[24]. Die Frage nach der Endgültigkeit der Entscheidungen des VerfGH wurde heftig diskutiert. Jedoch wurde festgelegt, dass die Entscheidungen des VerfGH allgemein bindend und endgültig sind[25]. Das Gesetz über den Verfassungsgerichtshof ist in der Verfassung in den Art. 188 bis Art. 197 festgeschrieben.

Die Zahl der Verfassungsrichter wurde 1997 auf 15 angehoben, aber auch die Amtszeit wurde um ein Jahr auf neun Jahre erhöht. Damit es keine gleichzeitige Bestellung von mehreren Richtern mehr gab, wurde und wird auch heute noch die Amtszeit eines jeden Verfassungsrichters einzeln berechnet. Eine Wiederwahl ist nach wie vor ausgeschlossen, auch das Wahlverfahren hat sich nicht verändert. Lediglich der Präsident und der Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs werden vom Präsidenten der polnischen Republik gewählt, nachdem sie von der Generalversammlung der Richter des Verfassungsgerichtshofs vorgeschlagen wurden. Nach Art. 195 Abs. 2 dürfen die Richter des Verfassungsgerichtshofs, „solange sie ihr Amt innehaben, weder einer politischen Partei oder einer Gewerkschaft angehören noch eine Tätigkeit ausüben, die sich mit den Grundsätzen der Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter nicht vereinbaren lässt“[26]. Eine weitere Änderung war, dass die Möglichkeit der Abberufung eines Verfassungsrichters durch den Sejm abgeschafft wurde, vielmehr ist die Abberufung eines Richters nur auf Antrag des Verfassungsgerichtshofs selbst nach Durchführung eines Disziplinarverfahrens möglich.

Als Spruchkörper sind im VerfGHG von Polen hauptsächlich Dreier- und Fünfer-Kammern vorgesehen, sowie das Plenum. Die Mitglieder in den Kammern werden jeweils vom Präsidenten bestimmt. Die Zuständigkeiten der Kammern und des Plenums sind in Art. 25 Abs. 1 des VerfGHG geregelt. Die Dreier-Kammern sind für die Normenkontrolle von Gesetzen verantwortlich. Die Fünfer-Kammern entscheiden in Verfahren über die nachträgliche Normenkontrolle von Gesetzen. Das Plenum entscheidet bei allen anderen Verfahren, wobei zwölf Richter für die Beschlussfähigkeit des Plenums anwesend sein müssen. Das Plenum kann vom Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs der Dreier- oder der Fünfer-Kammer angerufen werden.

Die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs werden immer mit Stimmenmehrheit getroffen, eine qualifizierte Mehrheit ist nicht notwendig (Art. 68 Abs.1). Im Zuge der Verfassungsreform von 1989 wurde die präventive Normenkontrolle eingeführt. „Nach der ursprünglichen Regelung konnte der Präsident gegen einen ihm zur Ausfertigung vorgelegten Gesetzesbeschlu[ss] binnen 30 Tagen alternativ entweder ein Veto einlegen, das vom Sejm nur mit einer 2/3-Mehrheit überwunden werden konnte, oder das Verfassungsgericht anrufen oder kumulativ zunächst Veto einlegen und nach dessen Zurückweisung die präventive Normenkontrolle in Gang setzen“[27]. Von der präventiven Normenkontrolle nahmen alle Präsidenten von 1989 bis 1997 genau einmal Gebrauch, außer Lech Wałęsa, der sie in seinem letzten Amtjahr 1995 gleich sieben Mal einsetzte. Mit der Änderung der Verfassung 1997 wurde die präventive Normenkontrolle beibehalten, jedoch geschwächt. So wurde die Entscheidungszeit des Präsidenten auf 21 Tage verkürzt, zudem muss er sich gleich entscheiden, ob er ein Veto einlegen oder das Verfassungsgericht anrufen will. Dem Sejm genügt nun eine 3/5-Mehrheit, um das Veto zurückzuweisen. Zwischen 2001 und 2005 wurden fünf präventive Normenkontrollen durchgeführt.

Die abstrakte Normenkontrolle ist die Verfahrensart, die in Polen am Häufigsten vorkommt. Dies war nicht nur zwischen 1986 und 1997 der Fall, sondern ist auch noch bis heute so. Dies kann man auf die große Anzahl der Antragsberechtigten zurückführen. In den letzten zwei Jahren alleine wurden 29[28] abstrakte Normenkontrollverfahren vom polnischen Verfassungsgerichtshof entschieden.

Neben der abstrakten Normenkontrolle besitzt der Verfassungsgerichthof noch ein weiteres wichtiges Kontrollverfahren, nämlich die konkrete Normenkontrolle. Die konkrete Normenkontrolle wurde in Polen mit Errichtung des Verfassungsgerichtshofs eingeführt und zwar im gleichen Umfang und nach gleichen Grundsätzen wie die abstrakte Normenkontrolle. Sie ist sogar in der polnischen Verfassung verankert[29].

Die abstrakte und konkrete Normenkontrolle können vom Präsident der Republik, dem Sejmmarschall, dem Senatsmarschall, dem Vorsitzenden des Ministerrates, 50 Abgeordneten, 30 Senatoren, dem Ersten Präsident des Obersten Gerichts, dem Präsident des Obersten Verwaltungsgerichts, dem Generalstaatsanwalt, dem Präsident der Obersten Kontrollkammer und dem Beauftragten für Bürgerrechte (Ombudsmann) beantragt werden[30].

Die polnische Verfassung kannte bis 1997 keinen Grundrechtsschutz, was schon von Beginn an stark kritisiert wurde. Man führte letztendlich eine unechte Grundrechtsbeschwerde ein, die man Verfassungsklage nannte und die stark der ungarischen Verfassungsbeschwerde gleicht. Eine Verfassungsklage kann vom jedem „nach Erschöpfung des Rechtswegs und innerhalb einer Frist von zwei Monaten gegen Rechtsnormen aller Art erhoben werden, auf deren Grundlage die endgültige Gerichts- oder Verwaltungsentscheidung ergangen ist, die ihn in seinen Grundrechten verletzt“[31]. Seit 2004 sind 16 Verfassungsklagen vor dem Verfassungsgerichtshof entschieden worden, davon waren in 13 Fällen natürliche Personen die Antragsteller.

Nach Art. 189 der polnischen Verfassung entscheidet der Verfassungsgerichthof auch bei Kompetenzstreitigkeiten zwischen Staatsorganen. Diese Kompetenzstreitigkeiten existieren in Deutschland in ähnlicher Weise, wo auch nur zentrale Verfassungsorgane beteiligt sein können. Antragsberechtigt sind nach Art. 192 der polnischen Verfassung: „Der Präsident der Republik, der Sejmmarschall, der Senatsmarschall, der Vorsitzende des Ministerrates, der Erste Präsident des Obersten Gerichts, der Präsident des Obersten Verwaltungsgerichts und der Präsident der Obersten Kontrollkammer“[32].

Gerade Länder, die eine sozialistische Vergangenheit haben, wie auch Polen, sind sehr bemüht, die Rechtsstellung von Parteien zu regeln. Somit wurde in der polnischen Verfassung auch die Entscheidung über die „Vereinbarkeit der Ziele oder Tätigkeit der politischen Parteien mit der Verfassung“[33] festgeschrieben. Die Frage, wie man mit verfassungswidrigen Parteien umzugehen hat, stellt sich in Polen oft erst gar nicht, denn hier besteht schon eine Prüfung auf Verfassungskonformität bei der Parteigründung. Die Gründe, die zu einer Verfassungswidrigkeit einer Partei führen können sind in Art. 13 Verf. definiert. „Politische Parteien werden vom Woiwodschaftsgericht Warschau in das Parteienregister eingetragen“[34]. Das Woiwodschaftsgericht hat die Aufgabe das Programm der Partei und deren Satzung auf Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen und bei Zweifeln die Sache dem Verfassungsgerichtshof vorzulegen, dessen Entscheidung dann endgültig ist. Das Verfassungsgericht musste zuletzt am 8. März 2000 und 16. Juli 2003 über die Verfassungsmäßigkeit einer Partei entscheiden.

In Anbetracht dessen, dass der Verfassungsgerichtshof von einer Vielzahl von Organen angerufen werden kann, ist es auch nicht verwunderlich, dass die Zahl der Anträge von 15.212 im Jahre 1991 auf 62.297 im Jahre 1998 angewachsen ist[35]. Dem Wachstum scheinen auch weiterhin keine Grenzen gesetzt zu werden.

[...]


[1] Wahl, Rainer (2001): Das Bundesverfassungsgericht im europäischen und internationalen Umfeld. In: Internet: http://www.bpb.de/publikationen/EZ9XMK,0,0,Das_BundesverfassungsGericht_im_europ%E4ischen_und_internationalen_Umfeld.html.

[2] Brunner, Georg (1999): Entwicklung der polnischen Verfassungsgerichtsbarkeit in rechtsvergleichender Sicht. In: Verfassungsgericht in Polen. Analysen und Entscheidungssammlung 1986-1997. Georg Brunner und Leszek Lech Garlicki (Hrsg.). Baden-Baden. Nomos. S.16.

[3] Vgl Körösényi, András/Fodor, Gábor G. (2004): Das politische System Ungarns. In: Die politischen Systeme Osteuropas. Wolfgang Ismayr (Hrsg.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S.326.

[4] Vgl. Riedel, Sabine (2004): Das politische System Bulgariens. In: Die politischen Systeme Osteuropas. Wolfgang Ismayr (Hrsg.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S.595.

[5] Vgl. Gabany, Anneli Ute (2004): Das politische System Rumäniens. In: Die politischen Systeme Osteuropas. Wolfgang Ismayr (Hrsg.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S.585.

[6] Vgl. Tauber, Joachim (2004): Das politische Systems Litauens: In: Die politischen Systeme Osteuropas. Wolfgang Ismayr (Hrsg.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S.182.

[7] Vgl. Kipke, Rüdiger (2004): Das politische System der Slowakei. In: Die politischen Systeme Osteuropas. Wolfgang Ismayr (Hrsg.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S.311.

[8] Vgl. Vodička, Karel (2004): Das politische System Tschechiens. In: Die politischen Systeme Osteuropas. Wolfgang Ismayr (Hrsg.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S.248.

[9] Vgl. Ziemer, Klaus/Matthes, Claudia-Yvette (2004): Das politische System Polens. In: Die politischen Systeme Osteuropas. Wolfgang Ismayr (Hrsg.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S.236.

[10] Vgl. Lagerpetz, Mikko/Maier, Konrad (2004): Das politische Systems Estlands. In: Die politischen Systeme Osteuropas. Wolfgang Ismayr (Hrsg.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S.100 f., sowie Brunner, Georg (2000): Der Zugang des Einzelnen zur Verfassungsgerichtsbarkeit im europäischen Raum. In: Internet: http://venice.coe.int/docs/2001/CDL-JU(2001)022-ger.asp.

[11] Vgl. Holländer, Pavel (2001): Verfassungsgerichtsbarkeit in der Tschechischen Republik. In: Verfassungsgerichtsbarkeit in der Tschechischen Republik. Analysen und Sammlung ausgewählter Entscheidungen des Tschechischen Verfassungsgerichts (Bände I-X der amtlichen Sammlung). Georg Brunner u.a. (Hrsg.). Baden-Baden: Nomos. S.14 f.

[12] Köbler, Gerhard (1991): Deutsch-Deutsches Rechtwörterbuch. München: Beck. S.354 f.

[13] Brunner 2000.

[14] Brunner 2000.

[15] Holländer 2001: S.37.

[16] Vgl. Garlicki, Leszek Lech (1999): Die Verfassungsgerichtsbarkeit in Polen. In: Verfassungsgericht in Polen. Analysen und Entscheidungssammlung 1986-1997. Georg Brunner und Leszek Lech Garlicki (Hrsg.). Baden-Baden: Nomos. S.66.

[17] Vgl. Procházka, Radoslav (2002): Mission Accomplished. On Founding Constitutional Adjudication in Central Europe. Budapest; New York: Central European University Press. S.86.

[18] Garlicki 1999: S.65.

[19] Brunner 1999: S.32.

[20] Vgl. Kahl, Wolfgang (1994): Das Grundrechtsverständnis der postsozialistischen Verfassungen Osteuropas. Eine Studie am Beispiel von Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei und Russland. Berlin: Duncker und Humblot. S.88 f.

[21] Garlicki 1999: S.66.

[22] Vgl. Kahl 1994: S.89.

[23] Procházka 2002: S.88.

[24] Garlicki 1999: S.82.

[25] Vgl. Art. 190 Abs. 1 Verf.

[26] Art. 195 Abs. 2 Verf.

[27] Brunner 1999: S.34.

[28] Vgl. Entscheidungen des polnischen Verfassungsgerichts.

[29] Vgl. Art. 193 Verf.

[30] Art. 191 Abs. 1 Verf.

[31] Brunner 1999: S.52.

[32] Art. 192 Verf.

[33] Art. 188 Abs. 4.

[34] Brunner 1999: S.58.

[35] Vgl. Procházka 2002: S.99.

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Verfassungsgerichtsbarkeit in Polen, Ungarn und der Tschechischen Repbulik
Hochschule
Universität Mannheim
Autor
Jahr
2006
Seiten
39
Katalognummer
V49180
ISBN (eBook)
9783638457002
Dateigröße
3440 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Verfassungsgerichtsbarkeit, Polen, Ungarn, Tschechischen, Repbulik
Arbeit zitieren
Susanne Freitag (Autor:in), 2006, Verfassungsgerichtsbarkeit in Polen, Ungarn und der Tschechischen Repbulik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49180

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