Chancen und Probleme einer Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union


Vordiplomarbeit, 2003

27 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I.) Einleitung

II.) Die Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union seit dem Assoziationsabkommen von 1964

III.) Die Erwartungen und Interessen von Europäischer Union und Türkei

IV.) Die Rolle Deutschlands in der Debatte um die Mitgliedschaft der Türkei

V.) Die politischen Kriterien von Kopenhagen
1. Der türkische Kontext
2. Stabile politische Institutionen
3. Menschenrechte und Minderheitenschutz

VI.) Schlussbetrachtung

VII.) Verwendete Literatur

I.) Einleitung

Die Diskussion um eine Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union ist im letzten Jahr erneut entfacht worden und wurde mit großer Intensität geführt. Verschiedene Ereignisse, wie die vorgezogenen Neuwahlen in der Türkei, das Reformpaket der türkischen Regierung und die Entscheidung des Europäischen Rates auf seinem Gipfeltreffen in Kopenhagen haben diese Debatte immer wieder in den Fokus des öffentlichen wie wissenschaftlichen Interesses gebracht. Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, an dem die EU vor großen Herausforderungen steht. Mit der Entscheidung von Kopenhagen im Dezember 2002 wird die Erweiterung um zehn neue Mitglieder im Jahr 2004 Realität und die Union hat sich so dem großen Ziel einer Erweiterung ohne nachlassende Integrationsfähigkeit verpflichtet. Die aktuellen Diskussionen um den Irak-Konflikt haben einerseits die Frage nach einer einheitlichen Position der EU in außenpolitischen Belangen neugestellt und andererseits das Spannungsfeld zwischen Europäischer Außenpolitik und transatlantischen Konstellationen abermals verdeutlicht, in welchem die Türkei seit langem steht. Die Türkei stellt unter den Beitrittskandidaten schon allein durch ihre Größe und ihre geopolitisch exponierte Lage eine Besonderheit dar. Hinzu kommt der Umstand, dass die Türkei einer der wenigen Staaten ist, bei denen prinzipielle Bedenken über die Vereinbarkeit von Werten und Traditionen mit denjenigen der EU-Majorität eine Rolle spielen. Der politische Teil der Kriterien steht im türkischen Kontext zumeist im Mittelpunkt. Die vorhandenen wirtschaftlichen Probleme des Beitritts wurden nicht mit vergleichbarer Leidenschaft diskutiert.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich in erster Linie mit den politischen Kriterien von Kopenhagen im türkischen Kontext. Es soll der Versuch unternommen werden, die Argumente für und wider einen Beitritt zu differenzieren und zu erläutern. Da den momentanen Debatten eine lange Geschichte der Beziehungen zwischen EU und Türkei zu Grunde liegt, soll diese in einem ersten Schritt geschildert werden, hierzu gehört, auch die Rolle Deutschlands gesondert zu betrachten. Die Analyse verschiedener Bereiche des türkischen Staats soll in einem zweiten Schritt behandelt werden. Hierbei werde ich auf die politischen Institutionen, die Menschenrechte und die Minderheitenproblematik eingehen. In der Schlussbetrachtung möchte ich einige Argumente nochmals zur Sprache bringen und neue Fragen aufwerfen.

II.) Die Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union seit dem Assoziationsabkommen von 1964

Die heutigen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei sind das Ergebnis einer sehr langen und sehr ambivalenten Geschichte der gegenseitigen Kontakte. Von Beginn an war in den europäisch-türkischen Kooperationsbeziehungen ein latenter Konflikt enthalten, der unter anderem das Resultat der vorhandenen politischen und ökonomischen Asymmetrien war und immer noch ist. Die Europäische Union hat sich immer mehr von einer Wirtschaftsgemeinschaft zu einer politischen Wertegemeinschaft gewandelt und diese Entwicklung machte eine mehrmalige Neubestimmung der wechselseitigen Beziehungen und Erwartungen zwischen der EU und der Türkei notwendig.

Den Beginn der institutionalisierten Beziehungen markiert der Ankara-Vertrag von 1963, der im Grunde eine immer weiter zu vertiefende Assoziation bis hin zur Möglichkeit einer Vollmitgliedschaft vorsieht.[1] Es ist zwar keine Beitrittsautomatik formuliert, doch lässt sich aus der Präambel[2] und besonders aus Artikel 28[3] erkennen, dass eine spätere Vollmitgliedschaft in EG/EU immer ins Auge gefasst wurde und der Vertrag unter anderem auch bezweckte, einen späteren Beitritt der Türkei zu erleichtern. Hier verbanden sich extrem ambition­ierte Ziele mit weit in die Zukunft reichenden Übergangsphasen zwischen den einzelnen Stufen der Assoziation. Für die Terminierung und konkrete Ausgestaltung war auch der kurz zuvor eingereichte Antrag auf Assoziierung von Griechenland verantwortlich. Er stellte insofern ein Präjudiz dar, als aus türkischer Sicht ein statusmäßig niedrigeres Verhältnis zur EWG nicht in Frage kam. Letztlich ließ sich auch die europäische Seite auf Grund übergeordneter politischer Überlegungen auf die Gleichbehandlung mit Griechenland ein.[4] Das Ziel des Abkommens bestand in einer beständigen und ausgewogenen Verstärkung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien. Während der ersten Phase, die eine Dauer von fünf bis zehn Jahren haben sollte, war eine Festigung der türkischen Wirtschaft mit finanzieller Hilfe der EG vorgesehen. Daran angeschlossen sollte eine maximal zwölfjährige Übergangsphase mit dem Ziel der Verwirklichung einer Zollunion folgen. Die zeitlich offene Endphase schloss die Möglichkeit einer Vollmitgliedschaft ein. Mit der anvisierten Zollunion war nicht nur der Abbau von Handelsbarrieren, sondern auch die Freizügigkeit der Arbeitskräfte, die Niederlassungsfreiheit und die An­gleich­­ung der türkischen Wirtschaftspolitik und derjenigen der Gemeinschaft intendiert.[5] Die gesamte Umsetzung der Vertragsbestandteile sollte von einem Assoziat­i­ons­rat überwacht und begleitet werden. Die Anstrengungen zur Reali­sier­ung der ehrgeizigen Zielvorstellungen blieben jedoch von Anfang an hinter den Erfordernissen zurück und so stellte das Ankara-Abkommen zunächst keinen Erfolg dar.[6] Dennoch begann man mit Verhandlungen über den Einstieg in die Über­gangs­phase und schloss diese mit dem 1973 in Kraft getretenem Zusatzproto­koll ab. Abermals verknüpften sich anspruchsvolle Vorstellungen mit der Neigung, die hierfür notwendigen Entscheidungen in die ferne Zukunft zu verschieben. Die Zollunion sollte nun in einem Zeitfenster von 22 Jahren verwirklicht werden und für die aus europäischer Sicht sensitiven Bereiche der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, Agrarprodukte und Textilwaren wurden lange Über­gangs­fristen vereinbart.[7] Dieser Gegensatz zwischen politisch Gewolltem und tatsächlich Realisiertem setzte sich fort. Zusätzlich wurden die europäisch-türkischen Beziehungen durch den Beitritt Griechenlands zur EG im Jahre 1981 verkompliziert, denn Athen blockierte das vierte Finanzprotokoll und verfolgte eine Politik, die den Ausbau der Beziehungen zur Türkei an Zugeständnisse Ankaras in Fragen des Ägäis- und Zypernkonflikts koppelte.[8] Die Kontakte waren in dieser Phase auch durch die in der Türkei herrschenden Verhältnisse nach dem Militärputsch von 1980 einer heftigen Belastungsprobe ausgesetzt. Jedoch entspannten sich die Beziehungen mit dem Ende der Militärherrschaft und dem Beginn der wirtschaftlichen Liberalisierung in der Ära Özal ab 1983 und es wurde erneut über die Ausgestaltung des Assoziationsabkommens verhandelt. Nachdem aus türkischer Sicht diese Verhandlungen nicht von Erfolg gekrönt waren, stellte die Türkei 1987, in der Hoffnung auf diesem Weg ihre Ziele erreichen zu können, offiziell einen Antrag auf Vollmitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft.[9] Dieser Schritt wurde in der Türkei in weiten Kreisen von Politik und Wirtschaft sowie in den Medien und der Öffentlichkeit einhellig begrüßt, drückte er doch den lang gehegten Wunsch der Türkei aus, der aus dem Kemalismus resultierenden Selbstsicht als integraler Bestandteil Europas auch einen institutionellen Rahmen zu geben. Im Gegensatz dazu fiel die Reaktion in den Mitgliedstaaten der EG eher verhalten aus.[10] Der Antrag auf Vollmitgliedschaft wurde 1989 von der Europäischen Kommission aus vielfältigen Gründen vorläufig abgelehnt. Hierbei ergaben ökonomische Defizite, Rückstände in der Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Ankara-Vertrag, die nicht befriedigende Situation der Menschen­rechte und des Minderheitenschutzes und nicht zuletzt auch das immer noch ungelöste problematische Verhältnis zum Mitglied Griechenland ein komplexes Geflecht von Motiven für die negative Reaktion der Kommission. Dies bildet zum Teil bis heute die Grundlage der Argumentationsmuster in den Debatten um das Verhältnis zwischen EU und Türkei.[11] Des weiteren wurde als Grund genannt, die EG könne aufgrund der bevorstehenden Realisierung des Binnenmarktes zunächst keine weiteren Beitrittsverhandlungen aufnehmen.[12] Trotzdem wurde die grund­sätz­liche Beitrittsfähigkeit nicht in Frage gestellt und beide Seiten unternahmen nunmehr den Versuch die Beziehungen auf Grundlage des Assoziierungs­abkommens mit neuem Leben zu füllen.[13] Doch das europäisch-türkische Verhältnis erfuhr eine weitere Zuspitzung als im Juni 1993 auf dem Gipfel des Europäischen Rates in Kopenhagen der Beschluss gefasst wurde, die mittel- und osteuropäischen Staaten in die EU aufzunehmen. Damit wurde die Entscheidung der Kommission von 1989 zumindest partiell hinfällig und die Frage des türkischen Beitritts wurde wieder aktuell.[14] In den 1990er Jahren, als die Türkei überraschende Fortschritte bei der Umsetzung der Maßnahmen des Ankara-Vertrages machte, wurde die demokratische und menschenrechtliche Situation in der Türkei politisch relevanter. Das Europäische Parlament (EP) spielte hierbei eine herausragende Rolle und drohte mit dem Verweis auf eben dieses Kriterium mit Ablehnung der Zollunion.[15] Dennoch kam es 1995 zu einem historischen Kompromiss und die Zollunion konnte zum letztmöglichen im Protokoll vereinbarten Termin am 1.1.1996 in Kraft treten. Das EP wurde durch das türkische Versprechen die Menschenrechtssituation zu verbessern beschwichtigt und die vorhandenen griechischen Widerstände durch Koppelgeschäfte überwunden.[16] Doch die neue positive Prägung der europäisch-türkischen Beziehungen fand durch den Gipfel in Luxemburg ein jähes Ende, denn die Türkei befand sich nicht auf der Liste der Länder mit denen Verhandlun­gen über einen Beitritt aufgenommen werden sollten. Auch wenn die EU gleichzeitig abermals bekräftigte, dass die Türkei für einen Beitritt in Frage komme, empfand Ankara diesen Beschluss als Herabsetzung, fand sie sich doch am Ende einer langen Warteschlange mit Staaten wie Rumänien wieder, deren Fähigkeiten den wirt­schaftlichen aquis zu übernehmen zum Teil weit hinter den türkischen zurück standen.[17] Das bisherige Niveau der Beziehungen wurde erst in Helsinki über­schritten, indem der Türkei der Status eines Beitrittskandidaten verliehen wurde. Nur blieb man insofern in der Kontinuität der zurückliegenden Politik, als die Türkei wiederum von der Gruppe der übrigen beitrittswilligen Staaten abgesetzt wurde. Zunächst sollte im Rahmen einer Heranführungsstrategie die Durch­führung der von der EU definierten ökonomischen und politischen Reformen gewährleistet werden. Dieses Konzept wurde auch mit dem Dokument über die Beitritts­partnerschaft weiter verfolgt, in dem detailliert 112 Punkte aufgelistet sind, welche die Türkei zur Annäherung an die EU zu erfüllen hat.[18] Den vorläufigen Höhepunkt der Kontroverse um den türkischen Beitritt zur Europäischen Union bildet die Entscheidung des Kopenhagener Gipfels im Dezember 2002. Der Beginn von Beitrittsverhandlungen wurde abermals aufgeschoben und der Zeitplan sieht nun eine Überprüfung der türkischen Beitrittsfähigkeit im Jahr 2004 nach der abgeschlossenen Osterweiterung und unverzügliche Verhandlungen im Falle eines positiven Ergebnisses vor.

[...]


[1] Vgl. Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei, 1964, im Folgenden als „Ankara-Vertrag“ bezeichnet.

[2] Im Wortlaut: „ (), später den Beitritt der Türkei zur Gemeinschaft erleichtern wird, (...)

[3] Im Wortlaut: "Sobald das Funktionieren des Abkommens es in Aussicht zu nehmen gestattet, dass die Türkei die Verpflichtungen aus dem Vertrag zur Gründung der Gemeinschaft vollständig übernimmt, werden die Vertragsparteien die Möglichkeit eines Beitritts der Türkei zur Gemeinschaft prüfen."

[4] Vgl. Dembinski, 2001, S. 13

[5] Vgl. Dembinski, 2001, S. 10

[6] Vgl. Kramer, 1988, S. 41

[7] Vgl. Dembinski, 2001, S. 10

[8] Ebd., S. 11

[9] Vgl. Steinbach, 2002, S. 309

[10] Vgl. Steinbach, 2002, S. 309

[11] Vgl. Riemer, 1998, S. 58

[12] Vgl. Şen, 2001, S. 27

[13] Vgl. Steinbach, 2002, S. 309

[14] Vgl. Dembinski, 2001, S. 11

[15] Vgl. Jacobs, 2000. S. 3

[16] Im Gegenzug für die Aufgabe der griechischen Blockade bei der Freigabe der Finanzhilfen für die Türkei und der Verwirklichung der Zollunion wurde der baldige Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Zypern auch ohne vorherige Überwindung der Teilung zugesichert. Vgl. Dembinski, 2001, S. 35

[17] Ebd. S. 12

[18] Vgl. Beschluss des Rates vom 8. März 2001 über die Grundsätze, Prioritäten, Zwischenziele und Bedingungen der Beitrittspartnerschaft für die Türkische Republik, in: Amtsblatt Nr. L 085 vom 24/03/2001 S. 0013 - 0023

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Chancen und Probleme einer Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union
Hochschule
Philipps-Universität Marburg
Note
1,7
Autor
Jahr
2003
Seiten
27
Katalognummer
V49089
ISBN (eBook)
9783638456227
Dateigröße
661 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Chancen, Probleme, Vollmitgliedschaft, Türkei, Europäischen, Union
Arbeit zitieren
Timo Rahmann (Autor:in), 2003, Chancen und Probleme einer Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49089

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