Die Entwicklungspolitik der Europäischen Union


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Legitimierung von Entwicklungspolitik im Spannungsfeld anderer Politiken

3. Die entwicklungspolitische Ausrichtung der EG/EU seit

4. Grundprobleme der EU-Entwicklungspolitik
4.1 Strukturen des Welthandels: „Sät Europa den Hunger“?
4.2 Ressourcentransfers: „Schokolade für Zuckerkranke“?

5. Veränderungen nach dem Ende des Kalten Krieges

6. Gegenwärtige Trends der EU-Entwicklungspolitik
6.1 Politisierung der Entwicklungszusammenarbeit
6.2 Einbindung von Entwicklungsländer in den Prozess der Globalisierung
6.3 Pluralisierung der Akteure

7. Schluss

8. Literatur

1. Einleitung

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es seit 1961 ein Ministerium, das eigens für die Entwicklungspolitik zuständig ist: das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammen-arbeit und Entwicklung (BMZ). Zwar wurde mit dieser Institution versucht verschiedene Kompetenzen, die bis dato in den Händen anderer Ressorts lagen, zu bündeln, doch ist auch heute das BMZ noch in vielfältiger Weise von anderen Ressorts abhängig und kann sich mit-unter gegen die mit einem größeren Budget ausgestatteten Ministerien, wie etwa dem Außen-, dem Wirtschafts- oder dem Finanzministerium nur schwer behaupten.[1] Wollte man versuchen die Entwicklungspolitik Deutschlands zu identifizieren, wäre es deshalb nicht damit getan, sich in der Analyse auf die Rolle des BMZs zu beschränken.

Auch die Frage nach einer Entwicklungspolitik der Europäischen Union ist nicht einfach zu beantworten, da neben der eigentlichen EU-gesteuerten Entwicklungspolitik, wie sie etwa von den Generaldirektionen der Europäischen Kommission für Nord-Süd-Beziehungen (GD I.B) oder für Entwicklung (GD VIII) initiiert wird, Schwerpunktsetzungen der einzelnen Mit-gliedsstaaten sowie die Beteiligung an internationalen Regimen wie dem Internationalen Währungsfond, die transnationale Zusammenarbeit im Rahmen der Weltbank, der OECD, der Welthandelsorganisation, des G8-Gipfels oder den Vereinten Nationen einen Einblick erschweren. Zwar wurde mit dem Vertrag von Maastricht aus dem Jahre 1992 versucht, die Koordinierung der Entwicklungspolitik der Mitgliedstaaten und anderer Gemeinschafts-politiken auf eine rechtliche Grundlage zu stellen, um mehr Kohärenz zu erreichen, doch haben die Mitgliedstaaten noch längst nicht aufgehört, an ihren eigenen Süppchen zu kochen. Da es den Rahmen dieser Hausarbeit sprengen würde, wollte sie diese mannigfaltige Ein-bettung europäischer Entwicklungspolitik detaillierter untersuchen, will sie zuvorderst nur die Grundzüge herausarbeiten, die die Entwicklungspolitik der EU charakterisieren.

Stellt man sich die Frage, was den Kern von Entwicklungspolitik ausmacht, so sind nach wie vor die Auswirkungen des internationalen Handels – und Währungssystems auf die Ent-wicklungschancen armer Länder weitaus bedeutender einzuschätzen, als jeder Versuch mit entwicklungspolitischen Ressourcentransfers (finanzielle, technische und personelle Hilfsmaßnahmen[2] ) Korrekturen von Ungleichgewichten und Linderungen von Härtefällen zu erreichen. Eine Entwicklungspolitik, die nicht wirkungslos bleiben will, indem sie Ressourcentransfers gleichsam auf heiße Steine tröpfelt – das zeigen vielfältige Erfahrungen der letzten Jahrzehnte -, muss also immer auch versuchen Einfluss auf die Regelungen des Weltwirtschaftsystems zu nehmen. In diesem Sinne wird in der vorliegenden Arbeit ein Ent-wicklungspolitik-Begriff verwendet, der das weite Feld der Entwicklungspolitik auf die beiden angeführten Kernbereiche reduziert: Ressourcentransfers (als Entwicklungshilfe im klassischen Sinne) und Einflussnahme auf die internationale wirtschaftliche Ordnung (als un-verzichtbares Supplement). Inwiefern sich die europäische Entwicklungspolitik in den Jahren seit Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahre 1957 im Sinne dieser beiden Handlungsfelder engagierte bzw. heute noch engagiert, soll als Frage meinen weiteren Ausführungen zu Grunde liegen.

2. Legitimierung von Entwicklungspolitik im Spannungsfeld anderer Politiken

Doch die Effektivität von Entwicklungspolitik hängt nicht nur von den Handlungsbereichen ab, in denen sie sich engagiert, sondern auch davon, ob sie sich zunächst den nötigen Rück-halt in der Bevölkerung und bei den politischen Eliten in den Geberländern zu sichern ver-mag, um sich (v. a. finanziell) wirksam konstituieren zu können. Welche Motive beeinflussen nun die Legitimation von Entwicklungspolitik?

In Deutschland ist es wegen der krisenhaften Situation am Arbeitsmarkt und angesichts hoch verschuldeter sozialer Sicherungssysteme schwierig von den Bürgerinnen und Bürgern Rück-halt für ein starkes entwicklungspolitisches Engagement zu erhalten. Zwar wird „Ent-wicklungshilfe besonders aus moralischen Motiven von deutlichen Mehrheiten befürwortet. Die Zustimmung sinkt aber, wenn dafür wirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen sind. Gegenüber anderen Politikfeldern hat Entwicklungspolitik einen sehr geringen Stellenwert.“[3] So wird zum Teil auch erklärbar, warum der von der UN-Vollversammlung bereits im Jahre 1970 in der Resolution 2626 festgelegte Zielwert für Entwicklungshilfeausgaben von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) von der Bundesrepublik Deutschland nicht annähernd erreicht wurde. Im Jahr 2003 etwa wurden nur 0, 28 Prozent für Entwicklungs-mittel aufgebracht. Damit liegt Deutschland unter dem Mittelwert der Europäischen Union, der von der OECD mit 0,35 Prozent des BNE beziffert wird.[4]

Während also der Bereitschaft Ressourcentransfers zu finanzieren bereits enge Schranken ge-setzt sind, zeigt sich der Widerstand gegen veränderte Bedingungen des Welthandels als noch hartnäckiger. Der für Entwicklungsländer fatale Protektionismus der Industriestaaten, „erfolgt für national wichtige Wirtschaftszweige und oft aufgrund politischen Drucks (Wahl-stimmentzug u.ä.) der vom Freihandel bedrohten, wettbewerbsschwachen Branchen. Die von Arbeitslosigkeit bedrohten Wähler haben ein hohes Protestpotential, die Unternehmen drohen mit Abwanderung.“[5] Welche Auswirkungen diese Zusammenhänge auf die Entwicklungs-politik der EU haben, wird unter 4.1 näher untersucht.

Doch jenseits moralisch-karitativer Erwägungen, die die Verantwortung für die „Eine Welt“ in den Vordergrund rücken und auch oftmals ungeachtet entwicklungspolitischer Paradigmen, die sich in Modernisierungs- und Dependenztheorien niederschlugen, wurde Entwicklungs-politik häufig „nach ganz anderen Kriterien betrieben, die viel mehr mit Macht, Interesse und Nationalismus zu tun hatten.“[6]

Zu den strategischen Interessen der „Geberländer“ gehören insbesondere die Linderung des Migrationsdrucks sowie sicherheitspolitische und wirtschaftliche Absichten. Diese drei Faktoren sollen im Folgenden kurz erläutert werden.

In den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts litten die Süd-Entwicklungsländer unter der Fokussierung der Industrieländer auf die Transformationsprozesse in Osteuropa (siehe 5.). „Besonders die EU-Staaten […] wollten es sich nicht leisten, jenseits des alten Eisernen Vor-hangs und der neuen Wohlstandsmauer ein konfliktträchtiges Armenhaus entstehen zu lassen, das die politische Architektur des „gemeinsamen Hauses Europa“ gefährden und hautnahe Risiken […] schaffen könnte.“[7] Zu einer dieser „hautnahen“ Risiken gehörte ein wachsender Migrationsdruck. In unmittelbarer Nachbarschaft ist dieses Problem akuter und wird deshalb auch in der Öffentlichkeit eher wahrgenommen, als wenn es sich um die geographisch weiter entfernten Länder Süd-Ost-Asiens, Afrikas oder Lateinamerikas handelt. Gleichwohl haben die Politiker Europas erkannt, dass angesichts von Kriegen und Hungersnöten und der damit einhergehenden Perspektivlosigkeit der Migrationsdruck aus Entwicklungsländern sich zunehmend verschärft. „Bislang besteht die vorherrschende Reaktion des Nordens auf die demographische „Bedrohung“ aus dem Süden allerdings darin, die Zuwanderungs-möglichkeiten zu beschränken.“[8] Für Aufsehen sorgte in diesem Zusammenhang ein Vor-schlag von Bundesinnenminister Schily, der Auffanglager für Flüchtlinge auf nord-afrikanischem Boden einrichten wollte und dabei von seinen europäischen Amtskollegen aus Polen, Italien und Dänemark Unterstützung erfuhr. Ungeachtet dieses umstrittenen Vor-schlages sollte jedoch, im eigenen Interesse der Länder der Europäischen Union, eine nachhaltige Entwicklungspolitik, die bei den Ursachen von Flucht ansetzt, angestrebt werden.

Entwicklungspolitik ist zudem unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten relevant. Dies wird mit einem Blick auf die „Europäische Sicherheitsstrategie“, die im Dezember 2003 vom Europäischen Rat verabschiedet wurde, deutlich. Neben Terrorismus werden die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, das Scheitern von Staaten, Regionalkonflikte und organisierte Kriminalität als Hauptgefahren für Europa benannt.[9] Da das Gros dieser Gefahren ihren Quell in den Entwicklungsländern hat, fordert die Strategie schließlich auch dazu auf, Entwicklungspolitik an der Sicherheitspolitik auszurichten und sie gleichsam unter die „Kuratel der Sicherheitsinteressen“[10] zu geben. So heißt es dort: „Sicherheit ist eine Vor-bedingung für Entwicklung. Konflikte zerstören nicht nur Infrastrukturen (einschließlich der sozialen), sondern fördern auch Kriminalität, schrecken Investoren ab und verhindern ein normales Wirtschaftsleben.“[11]

Das Ziel, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu verhindern, wurde im Sommer diesen Jahres durch die Auseinandersetzung mit dem Iran virulent. Die Europäische Union will, wie die restliche westliche Staatenwelt auch, durch entwicklungspolitische Instrumente verhindern, dass Massenvernichtungswaffen in die Hände von Staaten gelangen, die die Bush-Administration als rogue states bezeichnete. Großbritannien, Frankreich und Deutschland ver-suchen gegenwärtig auf diplomatischem Wege den islamischen Staat dazu zu bewegen, auf die Urananreicherung zu verzichten. Die EU-3 bieten im Gegenzug dem Iran an, in Handels-fragen enger zu kooperieren und eine kontrollierte, friedliche Nutzung der Kernenergie zu ermöglichen – was de facto einer Entwicklungszusammenarbeit gleichkommen würde. Mit der Wiederaufnahme der Urananreicherung in Isfahan im August 2005 sieht es momentan aber danach aus, dass die Diplomatie zwischen Europäischer Union und dem Iran, durch den Konfrontationskurs der neuen konservativen Regierung unter Ahmadinedschad, zu scheitern droht.

Auch handfeste wirtschaftspolitische Interessen überlagern bisweilen die entwicklungs-politische Ausrichtung der reichen Staaten. Hier ist vor allem die Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen zu nennen. Die Industrieländer sind zu großen Teilen von Rohstoffimporten abhängig, während viele Entwicklungsländer reich an Rohstoffen sind und aufgrund ihrer wenig ausgebauten sekundären wirtschaftlichen Sektoren geringere Rohstoffmengen benötigen.

Die Industrieländer setzten deshalb „Entwicklungshilfe auch zum Zweck ein, ihre Versorgung mit Rohstoffen zu sichern und zu diversifizieren. Sie tun dies durch die Finanzierung von Explorations – und Erschließungsprojekten durch den Ausbau der für die Förderung, Auf-bereitung und Beförderung von Rohstoffen notwendigen Infrastruktur (Transportwesen, Hafenanlagen, Energieversorgung); sie taten dies durch die politische Stabilisierung von wichtigen Rohstoffländern, die sich auch auf eine stillschweigende Tolerierung von Menschenrechtsverletzungen verlassen konnte.“[12] Zu diesen wirtschaftlich relevanten Rohstoffländern gehörten „Nigeria, Gabun, Guinea, Kongo-Brazzaville, Demokratische Republik Kongo, Angola und Südafrika. Kleinere, rohstoffarme Länder genießen hingegen kaum Aufmerksamkeit.“[13]

Weiterhin ist Entwicklungshilfe ein Instrument der Ausfuhrförderungspolitik. Exporte in Entwicklungsländer werden gefördert und neue Absatzmärkte erschlossen. Hierzu sind insbesondere die Hermes-Bürgschaften zu nennen, mit denen der Staat wirtschaftliche und politische Risiken für exportierende Unternehmen absichert.

[...]


[1] Im gegenwärtigen Bundestagswahlkampf (2005) kam diese Problematik durch eine Forderung der FDP zum Ausdruck, wonach „sie das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit dem Auswärtigen Amt ein-verleiben“ möchte. Die FDP stellt sich auch hinsichtlich der Millenniumsziele der UN gegen die mögliche Koalitionspartnerin CDU, die an diesen Zielen fest hält. „Die FDP lehnt eine weitere Aufstockung der Entwicklungshilfe ab. Dies sei nicht nötig, weil die Gelder derzeit „verpulvert“ würden.“ Siehe: Carsten Volkerey: FDP und Union streiten über Entwicklungshilfe, unter: http://www.spiegel.de/politik/deutschland /0,1518,361724,00.html, Zugriff am 23. 6. 2005.

[2] Vgl.: Uwe Andersen: Entwicklungspolitik/-hilfe, in: Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch Internationale Politik, Bonn, 20049, S. 85.

[3] Ebd., S. 65.

[4] Vgl.: OECD: Final ODA Data For 2003, siehe: http://www.oecd.org/dataoecd/19/52/34352584.pdf, Zugriff am 18. 8. 2005.

[5] Thomas Neuschwander: Internationale Handelspolitik, in: Wichard Woyke: Handwörterbuch Internationale Politik, Bonn, 20049, S.188.

[6] Ulrich Menzel: Das Ende der Dritten Welt und das Scheitern der großen Theorie, Frankfurt a. M., 1992, S. 65.

[7] Franz Nuscheler: Lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik, a.a.O., S. 35.

[8] Dieter Nohlen: Nord-Süd-Konflikt, in: Wichard Woyke: Handwörterbuch Internationale Politik, Bonn, 20049, S. 395.

[9] Europäischer Rat: Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie, Brüssel, 2003, S. 3f.

[10] Klaus Schilder: EU-Entwicklungspolitik: Unter der Kuratel der Sicherheitsinteressen, in: iz3w, Juni 2005, S. 285.

[11] Europäischer Rat: Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. a.a.O., S. 2.

[12] Franz Nuscheler: Lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik, a.a.O., S. 366f.

[13] Siegmar Schmidt: Die Europäische Union und Afrika, in: Werner Weidenfeld (Hg.): Die Europäische Union. Politisches System und Politikbereiche, Bonn, 2004, S. 541.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Entwicklungspolitik der Europäischen Union
Hochschule
Pädagogische Hochschule Weingarten
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
23
Katalognummer
V49058
ISBN (eBook)
9783638455992
ISBN (Buch)
9783638660211
Dateigröße
546 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entwicklungspolitik, Europäischen, Union
Arbeit zitieren
Timo Blaser (Autor:in), 2005, Die Entwicklungspolitik der Europäischen Union, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49058

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Entwicklungspolitik der Europäischen Union



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden