Der oppositionelle Buchmarkt der 1960er und 1970er Jahre in Deutschland


Seminararbeit, 2005

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsübersicht

1 Politischer und gesellschaftlicher Hintergrund des „oppositionellen Buchmarkts“

2 Die Raubdruckerbewegung

3 Alternative Verlagslandschaft
3.1 Neue Verlagskonzepte
3.2 Der Verlag Klaus Wagenbach
3.3 Der Verlag der Autoren

4 Der linke Buchhandel
4.1 Sortiments- und Zwischenbuchhandel sowie andere Vertriebswege
4.2 Verband des linken Buchhandels

5 Buchmessen alternativer Verlage

6 Der „Geist der 68er“ - Auswirkungen damals und bis in die heutige Zeit

1 Politischer und gesellschaftlicher Hintergrund des „oppositionellen Buchmarkts“

Die 1960er gelten in der bundesrepublikanischen Geschichte als Jahrzehnt der politischen Unruhen und des gesellschaftlichen Umbruchs: Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs und der Restauration eines patriarchalisch-autoritären Systems begann nun die Generation, die noch während des Krieges oder schon danach geboren worden war, das saturierte Leben ihrer Eltern im neu gewonnenen Wohlstand in Frage zu stellen. Vor allem Studenten forderten eine Aufarbeitung des Nationalsozialismus und einen generellen Wandel überkommener gesellschaftlicher Strukturen in Arbeitswelt, Familie, Kirche und Staat.

Mit den einschneidenden Veränderungen in Politik und Gesellschaft musste auch im Buchmarkt – bisher Bastion tradierter und überholter Strukturen – ein Wandel vollzogen werden: Die sozialistische Studentenbewegung kritisierte die bürgerlichen Massenmedien und suchte ihrerseits ein publizistisches Sprachrohr um die Presse zu demokratisieren. Zudem wollte sie (linkes) Bildungsgut jedermann zugänglich machen. Viele etablierte Verlage verweigerten sich aber der sozialistischen Idee. Einige Verlage und Buchhandlungen versuchten zwar mit dieser Entwicklung - durch neue Programme oder ein verändertes Sortiment - Schritt zu halten, konnten aber oft schon allein wegen ihrer kapitalistischen und konservativen Strukturen kein adäquater Partner der Studentenbewegung sein. Diese Konstellation führte dazu, dass sich die Bewegung zum Handeln gezwungen sah und mit alternativen, selbstorganisierten Verlags- und Buchhandelsformen den Buchmarkt revolutionierte.

Die radikalsten Veränderungen im deutschen Buchmarkt durch die sozialistische Bewegung in den 60er und 70er Jahren, wie die neue Raubdruckerbewegung, die alternativen Verlagsformen und der linke Buchhandel mit seinen Buchmessen sollen in dieser Arbeit im Rahmen des Seminars „Der Buchmarkt in den 60er Jahren“ skizziert werden. Behandelt werden also ausschließlich Entwicklungen, die auf eine Korrelation zur linken Bewegung bzw. Studentenbewegung schließen lassen. Die Literatur und Literaturdiskussion in der Bewegung wird – obwohl natürlich auch sie den Buchmarkt beeinflusste – jedoch weitgehend außer Acht gelassen. Abschließend stellt sich die Frage, wie viel des Geistes der 1960er bis heute im Buchmarkt überlebt hat.

2 Die Raubdruckerbewegung

Für die Studentenbewegung war es elementar für den aktuellen Gebrauch in Lese-, Studien- und Diskussionsgruppen Raubdrucke von Schriften herzustellen, die zu dieser Zeit nicht oder nur schwer auf dem normalen Wege aus Bibliotheken oder aus dem Buchhandel zu beschaffen waren. Bereits seit den frühen 1960er Jahren existierten deshalb u.a. Raubdrucke von Werken von Adorno, Horkheimer oder Marcuse. Diese „sozialisierte[n] Drucke und Reprints“[1] – wie die Raubdrucke von der linken Bewegung genannt wurden – wurden mit fotomechanischen Verfahren so günstig wie möglich hergestellt. Copyrights oder Urheberrechte fanden dabei keine Beachtung.[2] Ein Großteil der sozialisierten Drucke war nach geltendem Recht illegal, viele Nachdrucker stützten sich aber auf die These, dass „(...) der Urheber grundsätzlich dort im Interesse der Allgemeinheit freien Zugang zu seinem Werk gewähren müsse, wo dies unmittelbar der Förderung der geistigen und kulturellen Werte diene, die ihrerseits Grundlage für sein Wertschaffen seien.“[3] Was für die Schulbuchverlage galt, so meinten sie, müsse auch für sie gelten. Andererseits wurden aber auch Absprachen mit den etablierten Verlagen getroffen, oder Lizenzen von den Rechteinhabern vergeben.[4]

Oft entstanden Drucke aus der Notwendigkeit heraus, dass Titel vergriffen waren und kein Verlag eine Neuauflage drucken wollte. Auch waren nach Ansicht einiger Nachdrucker Texte von Autoren wie Walter Benjamin bewusst unterschlagen oder nur unzureichend, da unvollständig oder zerstückelt, editiert worden, was ihrer Meinung nach einen „korrekten Nachdruck“ rechtfertigte.[5] Daneben wurden wichtige Grundlagentexte, die von den Autoren zurückgehalten wurden, weil sie dem Stand der gegenwärtigen Entwicklung ihrer Ansicht nach nicht mehr entsprachen, von den Raubdruckern reproduziert.[6] Primär ging es den Druckern also darum, den aus der NS-Herrschaft und dem kalten Krieg entstandenen Mangel an grundlegenden Werken der marxistischen Theorie, der Geschichte der Arbeiterbewegung sowie sozialistischen und psychoanalytischen wissenschaftlichen Werken zu beheben.[7] Beispielhaft sind hier die Zeitschriften-Reprints des Archivs für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung anzuführen.[8] Ein sekundärer aber wichtiger Grund war die preiskorrigierende Funktion der Nachdru name="_ftnref9" title="">[9]

Die Münchner Tagung der Literaturproduzenten definierte die Nachdrucke „(...) als Protest gegen die kapitalistische Verwertung und Monopolisierung von Kollektiveigentum; als zeitweise wirksames Gegenmittel gegen die Manipulation der Literatur durch Selektion und Unterschlagung; als eine Voraussetzung zur Bildung sozialistischer Kultur und proletarischen Klassenbewußtseins.“[10] – Letztendlich steckte also auch der ideologische Gedanke der Bildung einer sozialistischen Gesellschaft hinter den ersten Raubdrucken.

Dem Anspruch der Demokratisierung des Wissens und der Bildung wurde zunächst noch mit der Produktion von wissenschaftlichen Texten nachgekommen. Bereits Ende der 60er und besonders in den 70er Jahren wurde die Diskrepanz zwischen Anspruch und „verlegerischer Wirklichkeit“ der Raubdrucker jedoch immer größer: Einige Drucker orientierten sich nun auch am Profit und vergriffen sich an Bestsellern wie z.B. Michael Ende’s „Unendliche Geschichte“.[11] Durch die Umgehung des Sortimentrabatts und der Autorenhonorare konnten sie so hohe Gewinne erzielen. Der alternative Buchmarkt distanzierte sich aber alsbald von diesen Nutznießern. Sie selbst hatten interne Schwierigkeiten mit dem Nachdruck, da einige Titel von mehreren Raubdruckern in Konkurrenz gedruckt worden waren. Der Verband des linken Buchhandels versuchte sich als Kontrollinstanz zu etablieren, scheiterte jedoch an der Masse der Drucke (siehe 4.2 Verband des linken Buchhandels).[12] Die Mitglieder des Börsenvereins des deutschen Buchhandels hingegen reagierten auf die Raubdruckbewegung mit Klagen, Durchsuchungen und einer Pressekampagne, die diese kriminalisierte.[13] Zugleich lancierten sie selbst raubdruckartig gestaltete Veröffentlichungen, die den Bedarf der Szene decken sollten.[14] Somit veränderte die Raubdruckbewegung auch das Bild traditioneller Bücher und beschleunigte womöglich den Erfolg des Taschenbuchs: Für Verkauf und Rezeption von Texten, so wurde jetzt anerkannt, war die Ausstattung der Bücher von untergeordneter Bedeutung.[15] Diese Entwicklung und die bereits angesprochene Kommerzialisierung des Raubdrucks führten dazu, dass diese Bewegung ihren Höhepunkt bereits Anfang der 1970er überschritt.[16]

3 Alternative Verlagslandschaft

3.1 Neue Verlagskonzepte

Im Impressum vieler Raubdrucke tauchten als herstellende „Verlage“ Namen wie robber’s press berlin oberschöneweide oder Rotkohl auf, ob diese Phantasiegebilde jedoch als Verlagsunternehmen im eigentlichen Sinne zu sehen sind, ist fraglich.[17] Die tatsächlichen alternativen Verleger neuer Literatur jedoch waren auf der Suche nach einer „umstoßenden Lektüre, nach Texten, welche die Welt anders interpretieren sollten.“[18] „Die neue Linke war eine Bewegung neuer Texte“, erklärt Albrecht Götz von Olenhusen.[19] Ausgehend von der Maxime, dass „das zu Vermittelnde (...) durch den Vermittlungsapparat bestimmt“[20] wird, wollte man anders als die bisherigen Verlage diese Suche aber nicht einzelnen Verlegern oder Lektoren überlassen: Im sozialistischen Sinne entstanden neue Verlagsformen wie Kollektivverlage oder Autorenverlage. Einige funktionierten wie herkömmliche Verlage mit Verlegern, Lektoren und Angestellten, wenn auch hier mit wesentlich mehr Mitspracherechten der Mitarbeiter, zumal sie nach genossenschaftlichen Modellen arbeiteten. Beispiele für das sozialistische Verlagskollektiv sind der Merve Verlag, der explizit als Non-Profit-Unternehmen wissenschaftliche Arbeiten z.B. von Ernest Mandel verlegte, oder der Wagenbach Verlag, dessen Idee und Verwirklichung noch beispielhaft dargestellt werden sollen (siehe 2.2.1 Der Verlag Klaus Wagenbach).[21]

Durch die linke Bewegung wurden sich auch viele Autoren ihrer Rolle in den „Produktionsverhältnissen“ des etablierten Literaturbetriebs gewahr, wodurch zum einen eine Abwanderung z.T. auch etablierter Autoren hin zu alternativen Verlagen eingeleitet wurde.[22] Zum anderen schlossen sich viele Autoren auch der Meinung Frank Benseler’s an, damals Lektor im Luchterhand Verlag, der eine Selbstorganisation der Literaturproduzenten forderte.[23]

Diese Forderung erfüllte der 1969 gegründete Verlag der Autoren, der hier exemplarisch vorgestellt werden soll, oder – in seinen Anfängen – der März - Verlag, der sich jedoch in der Praxis vor allem wegen der ungerechten Gewinnverteilung schnell disqualifizierte.[24]

Gleichzeitig entwickelten sich Mischformen zwischen Kollektiv- und Autorenverlag wie der Oberbaum-Verlag, dessen Publikationen vom Kollektiv der Mitarbeiter erarbeitet wurden.[25]

Allen alternativen Verlagen gemeinsam war die Kapitalschwäche, oft eine geringe Titelproduktion sowie, unter dem Einfluss der Diskussion um den Warencharakter des Buches, die Ablehnung jeglicher Vermarktung ihrer Bücher.[26] Christoph Schubert forderte 1971 sogar die Verschenkung der Bücher, da er folgerte: „Ein Buch, das man kaufen muß, ist wirkungslos.“[27] Auf Werbung, Verkaufsförderung oder die Ausnutzung aller Vertriebsmöglichkeiten wurde in den Verlagen dem gemäß verzichtet. Zudem begründete man mit der Ablehnung der etablierten Buchproduktion die oft mangelhafte Druck- und Layoutqualität der eigenen Bücher.[28] Die Titelproduktion der alternativen Verlage hatte ihre Schwerpunkte in den Themenbereichen Theorie der Gesellschaft, Politik und Geschichte sowie der Belletristik mit Autoren wie Ingeborg Bachmann, Wolf Biermann oder Günter Grass.[29]

3.2 Der Verlag Klaus Wagenbach

Auch der Wagenbach Verlag profitierte von der Hinwendung bekannter Schriftsteller zu politischen Kleinverlagen: Der 1964 von Klaus Wagenbach gegründete Verlag konnte in der ersten Zeit sein geringes Eigenkapital durch die geschickt aufgebaute Serie der Quarthefte, in der u.a. auch Günter Grass und Ingeborg Bachmann veröffentlichten, ausgleichen. Wagenbach knüpfte bereits als Lektor des S. Fischer Verlags Kontakte zu ost- und westdeutschen Autoren. Da er nach dem Verkauf des Verlags von dem relativ liberalen Ehepaar Bermann-Fischer an die konservative Holtzbrinck- Gruppe wegen seiner sozialistischen Ansichten entlassen worden war, wurde ihm klar, dass er seine „libertären Meinungen (...) nur noch auf eigenes Risiko vertreten kann“.[30] Seinen politischen Ansichten wollte er in seinem eigenen Verlag Ausdruck verleihen.

Die grundlegenden, sozialistischen Strukturen wurden bereits bei der Gründung 1964 festgelegt: Allen Mitarbeitern wurde dasselbe Gehalt, allen Autoren dasselbe Honorar und gleiche Rechte, wie Einfluss auf Ausstattung, Typographie und Informationstexte, zugesichert.[31] Zusätzlich waren die Honorare höher als üblich. Festgelegt wurde auch, dass die Bücher billig sein mussten, und die Arbeit des Verlages nicht vorrangig dem Profit dienen sollte, sondern den inhaltlichen Absichten folgte. Daher wurde (und wird bis heute) auch die Bilanz des Verlags veröffentlicht, zunächst im kostenlosen Jahresalmanach Das schwarze Brett, der später in Zwiebel umbenannt wurde. Wagenbachs verlegerische Absichten zeichneten sich bereits in der ersten Reihe, der sogenannten Quarthefte ab: Unbekannte und bekannte, west- und ostdeutsche Autoren erschienen in dieser belletristischen Serie, die v.a. durch ihr unkonventionelles Format und ihre im linken Spektrum angesiedelten Autoren auffiel. Der Verlag wollte generell ein Programm mit Geschichtsbewusstsein und politischem, linksorientiertem Engagement machen.[32] So erschienen auch bereits 1968 die ersten sogenannten Rotbücher. Diese politische Buchserie wurde „ (...) ausschließlich der Neuen Linken und der außerparlamentarischen Opposition (...)“[33] gewidmet. Sie wollte „Diskussion (...) fordern, trotz ungleichrangiger Partner (...)“ und suchte „(...) Wahrheit zu verbreiten, die Anweisung zur Veränderung der Gesellschaft ist.“[34] Im gleichen Jahr entstand gemeinsam mit Schülern zudem – als „Gegeninformation“ zu üblichen Lehrbüchern – das Lesebuch Deutsche Literatur der sechziger Jahre, welches mit über 200.000 verkauften Exemplaren eines der erfolgreichsten Bücher des Verlages wurde.[35]

Gleichzeitig entstand die „Verlagsverfassung“: Durch die wirtschaftliche Konsolidierung des Verlags abgesichert, wollte man sich auf das Experiment eines Verlags-Kollektivs mit einer 50% Beteiligung der Mitarbeiter einlassen.[36] Bereits 1970 wurde das Kollektiv bei der Übernahme der Zeitschrift Kursbuch vom Suhrkamp Verlag jedoch übergangen: Der Herausgeber Hans Magnus Enzensberger wollte nur mit Klaus Wagenbach kontrahieren, so dass die Gründung der Kursbuch GmbH nötig wurde.[37] Auch der Wagenbach Verlag wurde 1971 in eine GmbH umgewandelt.[38] Anfang der 1970er musste der Verlag dann – u.a. durch die Veröffentlichung des Textes von „Bambule“ als Baader-Meinhof-Verlag gebrandmarkt – mehrere Ermittlungsverfahren und u.a. die Beschlagnahmung des Rotbuchs 29 (Politisches Manifest der RAF) über sich ergehen lassen.[39] Zeitgleich gestaltete sich die Arbeit im Verlag immer schwieriger, da es Bestrebungen gab, auch das Lektorat zu kollektivieren, d.h. nur noch gemeinschaftlich und einstimmig über alle Neuerscheinungen zu entscheiden.[40] Klaus Wagenbach selbst aber konnte nun plötzlich Titel, die ihm wichtig waren, nicht mehr durchsetzen. Unter diesen Vorzeichen und mit den Gegenpolen des entmachteten Verlegers Wagenbach auf der einen und der „Fraktion“ aus einigen kollektiv-treuen Mitarbeitern auf der anderen Seite, kam es deswegen 1973 zur Aufspaltung des Verlages. Die „Fraktion“ beharrte auf der Fortführung der GmbH, so dass der Verleger selbst ausschied und seinen Verlag Klaus Wagenbach neu gründete. Drei frühere Autoren, die Rotbuch -Serie sowie den Kollektiv-Gedanken hatte Wagenbach an den neugegründeten Rotbuch Verlag verloren und damit auch etwas von seinem sozialistischen Profil. Viele Grundsätze, wie gleiche Honorare etc. blieben aber auch im neu gegründeten Verlag bestehen, der bis heute Belletristik z. B. von Erich Fried und Doris Lessing und politische Sachbücher verlegt.

3.3 Der Verlag der Autoren

Die Gründung des Verlags der Autoren war eine der Folgen der Auseinandersetzungen im Suhrkamp Verlag, in dessen Verlauf einige Lektoren – darunter Cheflektor Walter Boehlich – aus dem Verlag ausschieden, weil sie die Diskrepanz zwischen sozialistischem Verlagsprogramm und kapitalistischer Unternehmensführung für nicht mehr tragbar erachteten.[41] Weil die Autoren und Lektoren nicht mehr „machtlose Abhängige“[42] eines Verlegers sein wollten, gründeten im März 1969 13 Autoren[43] sowie ehemalige Lektoren – darunter die Suhrkamp Lektoren Urs Widmer, Peter Urban, Karlheinz Braun sowie genannter Walter Boehlich – den Verlag der Autoren als Theaterverlag.[44] Er wurde als Kommanditgesellschaft gegründet und gab sich selbst durch eine Verlagsverfassung ein sozialistisches Gesicht. Die Verfassung statuierte: Der Verlag der Autoren ist Eigentum seiner Mitglieder, es gibt keinen Verleger, stattdessen wählen die Mitglieder alle drei Jahre „Delegierte“, die die Geschäfte des Verlags führen.[45]

Alle Mitglieder entschieden jedoch gemeinsam – in der mindestens einmal jährlich stattfindenden Mitgliederversammlung – über die Aufgaben, Ziele und die Tendenz des Verlags sowie über Aufnahme oder Ausschluss von Autoren und die Gewinnverteilung.[46] Gleichzeitig nahm man jedoch Abstand von einem Kollektiv-Lektorat, wie es die Mitarbeiter des Wagenbach Verlags angestrebt hatten: Die Delegierten bestimmten über Annahme oder Ablehnung eines neuen Werkes, allerdings konnten die Autoren ihr Werk einem beliebigen Delegierten anvertrauen. Zudem konnte die Gemeinschaft aller Autoren ein Vetorecht ausüben.[47] Darüber hinaus erhielten die Autoren, wie in jedem anderen Verlag, Tantiemen, sowie die Delegierten und Angestellten des Verlags ein Gehalt.[48] Auch stand in der Verfassung deutlich, dass die Autoren in eigener Sache, in eigener Verantwortung und „in die eigene Tasche“ arbeiteten.[49] Bemerkenswert ist an dieser Feststellung vor allem der ausdrückliche Hinweis auf den Eigennutz des neugegründeten Verlags, während sich zur gleichen Zeit die linken Buchhandlungen verpflichteten, einen Teil ihres Gewinns in linke politische Gruppen zu investieren (siehe 4.2 Verband des linken Buchhandels). Der Verlag der Autoren war demnach eine genossenschaftlich organisierte, linksorientierte Vereinigung, die jedoch keine direkten politischen Ziele verfolgte. Durch die Werke der Autoren und den selbstorganisatorischen Ansatz ist der Verlag jedoch zu den linken alternativen Verlagen zu zählen.

In der Folge produzierte der Verlag der Autoren eigene oder übersetzte Theaterstücke und Hörspiele von in- und ausländischen Autoren wie Heinrich Böll, Rainer Werner Fassbinder, Marguerite Duras oder Erika Runge, jedoch auch neuübersetzte Klassiker z.B. von Shakespeare.[50] In Buchform wurden die Werke jedoch bis 1981 von Partnerverlagen, wie z.B. dem Wagenbach Verlag, verlegt.

Nach einem halben Jahr war die Zahl der Mitglieder auf 47 gewachsen, wobei ein Viertel der Autoren aus dem Ausland war.[51] Viele Autoren begründeten ihr Interesse damit, dass sie das Projekt auf keinen Fall scheitern sehen wollten.[52] Bereits 1971 machte der Verlag erstmals Gewinn.[53] Trotzdem – oder gerade deshalb – ergaben sich erste Streitpunkte: So fühlten sich manche Autoren gegenüber ihren Kollegen finanziell benachteiligt, gleichzeitig stellte z.B. Karlheinz Braun die Frage, inwieweit sich die Eigentümer überhaupt noch für den Inhalt und nicht nur den Verkauf der „Ware“ interessierten.[54] Schon 1974 zeichnete sich also die gänzliche Abkehr des Verlages von einem politisch linken Ansatzpunkt deutlich ab. Während der Presse das Modell des genossenschaftlichen Verlags als bewährt und erfolgreich vermittelt wurde, dauerte indes der Streit unter den Autoren und Delegierten, um die Verfassung, Verträge und Gewinnverteilung, die gesamten 70er Jahre an.[55] Unterdessen wirtschaftete der Verlag jedoch, u.a. durch die Vertretung der Film- und Medienrechte des Carl Hanser Verlags als deren Agentur, im positiven Bereich.[56] Noch heute besteht der Verlag der Autoren als genossenschaftliches Modell, mit dem Zerfall der linken Bewegung verlor aber auch dieser Verlag an Bedeutung.

[...]


[1] Götz von Olenhusen, Albrecht: Aufklärung durch Aktion – Kollektiv-Verlage und Raubdruck. In: Estermann, Monika; Lersch, Edgar (Hgg.): Buch, Buchhandel, Rundfunk, 1968 und die Folgen. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2003, S.196 f

[2] Ders.: Schwarze Kunst und rote Bücher. Zur Produktion von Raubdrucken in der Bundesrepublik. In: Widmann, Hans (Hg.): Gutenberg Jahrbuch 1972. Mainz: Verlag der Gutenberg-Gesellschaft 1972, S. 278

[3] Götz von Olenhusen, Albrecht: Schwarze Kunst und rote Bücher, S. 274 f

[4] Götz von Olenhusen, Albrecht: Schwarze Kunst und rote Bücher, S. 276

[5] Götz von Olenhusen, Albrecht: Aufklärung durch Aktion – Kollektiv-Verlage und Raubdruck, S. 196 - 212

[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Raubdruck 3.8.05

[7] Götz von Olenhusen, Albrecht: Schwarze Kunst und rote Bücher. S. 274 f

[8] http://www.bsz-bw.de/depot/media/3400000/3421000/3421308/98_0087.html 2.8.05

[9] ebd.

[10] Volpers, Helmut: Alternative Kleinverlage in der Bundesrepublik Deutschland. Göttingen: Davids Drucke 1986, S. 37

[11] Wittmann, Reinhard: Geschichte des deutschen Buchhandels. München: C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung 1999, S. 432 f

[12] Götz von Olenhusen, Albrecht: Aufklärung durch Aktion – Kollektiv-Verlage und Raubdruck, S. 209

[13] http://de.wikipedia.org/wiki/Raubdruck 3.8.05

[14] Götz von Olenhusen, Albrecht: Aufklärung durch Aktion – Kollektiv-Verlage und Raubdruck, S. 210

[15] Peter, Franz Wilhelm: Zur Problematik der neuen Raubdrucke. In: Widmann, Hans (Hg.): Gutenberg Jahrbuch 1972. Mainz: Verlag der Gutenberg-Gesellschaft 1972, S. 285

[16] ebd.

[17] Götz von Olenhusen, Albrecht: Aufklärung durch Aktion – Kollektiv-Verlage und Raubdruck, S. 210

[18] a.a.O. S. 198

[19] ebd.

[20] Volpers, Helmut: Alternative Kleinverlage in der Bundesrepublik Deutschland. Göttingen: Davids Drucke 1986, S. 37

[21] a.a.O. S. 206 f

[22] a.a.O. S. 36 f

[23] a.a.O. S. 203 f

[24] ebd.

[25] a.a.O. S. 206

[26] Volpers, Helmut: Alternative Kleinverlage in der Bundesrepublik Deutschland. Göttingen: Davids Drucke 1986, S. 50 f

[27] ebd.

[28] ebd.

[29] a.a.O. S .92 ff

[30] Klaus Wagenbach (Hg.): Wieso Bücher? Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 1994, S. 51

[31] http://www.wagenbach.de 03.08.05

[32] ebd.

[33] Klaus Wagenbach (Hg.): Wieso Bücher? Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 1994, S. 68 f

[34] ebd.

[35] http://www.wagenbach.de/ 06.08.05

[36] Klaus Wagenbach (Hg.): Wieso Bücher? Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 1994, S. 76

[37] a.a.O. S. 74 f

[38] Götz von Olenhusen, Albrecht: Aufklärung durch Aktion – Kollektiv-Verlage und Raubdruck.

[39] ebd.

[40] ebd.

[41] Urban, Peter (Hg.): Das Buch vom Verlag der Autoren. Frankfurt: Verlag der Autoren 1989. S. 12

[42] a.a.O. S. 9

[43] Die Autoren waren: Bazon Brock, Wolfgang Deichsel, Peter Handke, Günter Herburger, Hartmut Lange, Gerlind Reinshagen, Erika Runge, Martin Sperr, Dieter Waldmann, Konrad Wünsche und Jochen Ziem. Geschäftsführer waren Karlheinz Braun und Wolfgang Wiens.

[44] Urban, Peter (Hg.): Das Buch vom Verlag der Autoren. Frankfurt: Verlag der Autoren 1989, S. 159

[45] Urban, Peter (Hg.): Das Buch vom Verlag der Autoren. Frankfurt: Verlag der Autoren 1989, S. 20 f

[46] ebd.

[47] ebd.

[48] ebd.

[49] a.a.O. S. 19

[50] a.a.O. S. 45

[51] Urban, Peter (Hg.): Das Buch vom Verlag der Autoren. Frankfurt: Verlag der Autoren 1989, S. 49

[52] ebd.

[53] a.a.O. S. 181

[54] a.a.O. S. 94

[55] Urban, Peter (Hg.): Das Buch vom Verlag der Autoren. Frankfurt: Verlag der Autoren 1989, S.191

[56] a.a.O. S. 249

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Der oppositionelle Buchmarkt der 1960er und 1970er Jahre in Deutschland
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
19
Katalognummer
V49057
ISBN (eBook)
9783638455985
ISBN (Buch)
9783638868808
Dateigröße
599 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Buchmarkt, Jahre, Deutschland, Linker Buchmarkt, Gegenbuchmesse, Raubdruck
Arbeit zitieren
Ina Fuchshuber (Autor:in), 2005, Der oppositionelle Buchmarkt der 1960er und 1970er Jahre in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49057

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