Fahrradmetropole Ruhr? Eine Analyse ausgewählter Anschlussstellen des Radschnellwegs Ruhr (RS1)


Bachelorarbeit, 2018

73 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Ausgangslage
1.2 Einordnung in die Forschung und Relevanz
1.3 Forschungsfragen, Methode und Aufbau

2 Radinfrastruktur und Maßnahmen
2.1 Klassifizierung von Führungsformen des Radverkehrs
2.1.1 Radfahrstreifen
2.1.2 Schutzstreifen
2.1.3 Baulich angelegte Radwege neben der Fahrbahn
2.1.4 Gemeinsame Geh- und Radwege
2.1.5 Fahrradstraßen
2.2 Integration in die MIV-Infrastruktur
2.3 Konflikte
2.4 Beispiele anderer Städte als Vorreiter

3 Radschnellwege
3.1 Qualitätskriterien für Radschnellwege
3.2 Voraussetzungen für die Annahme von RSW
3.3 Konzept des Radschnellwegs Ruhr
3.3.1 Finanzierung
3.3.2 Streckenverlauf
3.3.3 Zielsetzungen

4 Untersuchung ausgewählter Anschlussstellen
4.1 Methode
4.2 Anschlussstellen des Radschnellwegs Ruhr
4.2.1 Kleine Buschstraße (Essen)
4.2.2 Segerothstraße (Essen)
4.2.3 Situation der zukünftigen Anschlussstelle Bessemerstraße (Bochum)
4.3 Anschlussstelle Roomweg (Enschede)
4.4 Vergleich der untersuchten Anschlussstellen

5 Schlussfolgerungen und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Aufteilung der Formen der Radverkehrsführung auf Straßen mit der Maximalgeschwindigkeit 50 km/h des Einzugsgebiets der Anschlussstelle Kleine Buschstraße in Essen

Abbildung 2: Formen der Radverkehrsführung im Einzugsbereich der Anschlussstelle Kleine Buschstraße in Essen

Abbildung 3: Aufteilung der Formen der Radverkehrsführung auf Straßen mit der Maximalgeschwindigkeit 50 km/h des Einzugsgebiets der Anschlussstelle Segenrothstraße in Essen

Abbildung 4: Formen der Radverkehrsführung im Einzugsbereich der Anschlussstelle Segerothstraße in Essen

Abbildung 5: Aufteilung der Formen der Radverkehrsführung auf Straßen mit der Maximalgeschwindigkeit 50 km/h des Einzugsgebiets der zukünftigen Anschlussstelle Bessemerstraße in Bochum

Abbildung 6: Formen der Radverkehrsführung im Einzugsgebiet der zukünftigen Anschlussstelle Bessemerstraße in Bochum

Abbildung 7: Aufteilung der Formen der Radverkehrsführung auf Straßen mit der Maximalgeschwindigkeit 50 km/h des Einzugsgebiets der Anschlussstelle Roomweg (Fietssnelweg F 35) in Enschede in den Niederlanden

Abbildung 8: Formen der Radverkehrsführung im Einzugsbereich der Anschlussstelle Roomweg (Fietssnelweg F 35) in Enschede in den Niederlanden

Abbildung 9: Abhängigkeit der Verkehrsmittelwahl Fahrrad vom Radwegeanteil/Einwohner

Abbildung 10: Belastungsbereiche zur Vorauswahl von Radverkehrsführungen bei zweistreifigen Stadtstraßen

Abbildung 11: Belastungsbereiche zur Vorauswahl von Radverkehrsführungen bei vierstreifigen Stadtstraßen

Abbildung 12: Nutzungsabhängige Einsatzgrenzen für die gemeinsame Führung von straßenbegleitendem Fußgänger- und Radverkehr

Abbildung 13: Zeitreihendiagramme der Zählsäule an der Anschlussstelle Löhstraße in Mülheim an der Ruhr; Stand: 22.05.2018

Abbildung 14: Realisierung der Abschnitte des RS 1

Abbildung 15: Modal Split 2003-2015

Abbildung 16: Zu- und Abnahme der gewählten Verkehrsmittel bis 2015 mit dem Indexwert von 2003

Abbildung 17: Getötete und verletzte Radfahrer/innen bei Straßenverkehrsunfällen in Deutschland (1994-2016) mit zugefügten Trendlinien

Abbildung 18: Verkaufte E-Bikes in Deutschland (2014-2017)

Abbildung 19: Schematische Darstellung des Einzugsbereichs eines Punktes bei einer Wegzeit von 10 Minuten mit NMIV

Abbildung 20: Anteile der Verletzten bei Straßenverkehrsunfällen in Deutschland nach Verkehrsmitteln (1994-2016)

Abbildung 21: Straßen um die Anschlussstelle Kleine Buschstraße in Essen

Abbildung 22: Straßen um die Anschlussstelle Segerothstraße in Essen

Abbildung 23: Straßen um die zukünftige Anschlussstelle Bessemerstraße in Bochum

Abbildung 24: Straßen um die Anschlussstelle Roomweg des Fietssnelweg F 35 in Enschede in den Niederlanden

Abbildung 25: Streckenverlauf des Fietssnelwegs F35 in Overijssel in den Niederlanden

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Gegenüberstellung der Verkehrswege der untersuchten Anschlussstellen mit der Maximalgeschwindigkeit von 50 km/h und deren unterschiedlichen Formen der Radverkehrsführungen (ohne Sackgassen)

Tabelle 2: Gegenüberstellung der fahrradfreundlichen Verkehrswege und deren Anteile am jeweiligen Gesamtverkehrsnetz der untersuchten Anschlussstellen (ohne Sackgassen)

Tabelle 3: Zuordnung der Führungsformen zu den Belastungsbereichen bei Stadtstraßen

Tabelle 4: Breitenmaße von Radverkehrsanlagen und Sicherheitstrennstreifen

Tabelle 5: Anteile, Merkmale und Bedürfnisse der vier Nutzertypen mit Beispielmaßnahmen

Tabelle 6: Zusätzliche Sicherheitstrennstreifen bei baulich angelegten Radwegen

Tabelle 7: Durchschnittsgeschwindigkeiten und Einzugsgebiet des NMIV

Tabelle 8: Formen der Radverkehrsführung auf Straßen mit der Maximalgeschwindigkeit von 50 km/h (ohne Sackgassen) im Einzugsgebiet der Anschlussstelle Kleine Buschstraße in Essen

Tabelle 9: Formen der Radverkehrsführung auf Straßen mit der Maximalgeschwindigkeit von 50 km/h (ohne Sackgassen) im Einzugsgebiet der Anschlussstelle Segerothstraße in Essen

Tabelle 10: Formen der Radverkehrsführung auf Straßen mit der Maximalgeschwindigkeit von 50 km/h (ohne Sackgassen) im Einzugsgebiet der zukünftigen Anschlussstelle Bessemerstraße in Bochum

Tabelle 11: Formen der Radverkehrsführung auf Straßen mit der Maximalgeschwindigkeit von 50 km/h (ohne Sackgassen) im Einzugsgebiet der Anschlussstelle Roomweg (Fietssnelweg F35) in Enschede in den Niederlanden

Tabelle 12: Erfasste Daten der Verkehrswege im Einzugsbereich der Anschlussstelle Kleine Buschstraße in Essen

Tabelle 13: Erfasste Radwege ohne Parallelführung des MIV im Einzugsbereich der Anschlussstelle Kleine Buschstraße in Essen

Tabelle 14: Erfasste Daten der Verkehrswege im Einzugsbereich der Anschlussstelle Segerothstraße in Essen

Tabelle 15: Erfasste Radwege ohne Parallelführung des MIV im Einzugsbereich der Anschlussstelle Segerothstraße in Essen

Tabelle 16: Erfasste Daten der Verkehrswege im Einzugsbereich der zukünftigen Anschlussstelle Bessemerstraße in Bochum

Tabelle 17: Erfasste Radwege ohne Parallelführung des MIV im Einzugsbereich der zukünftigen Anschlussstelle Bessemerstraße in Bochum

Tabelle 18: Erfasste Daten der Verkehrswege im Einzugsbereich der Anschlussstelle Roomweg des Fietsssnelwegs F 35 in Enschede (NL)

Tabelle 19: Erfasste Radwege ohne Parallelführung des MIV im Einzugsbereich der Anschlussstelle Roomweg des Fietssnelwegs F 35 in Enschede (NL)

Tabelle 20: Aufteilung der Verkehrswege der untersuchten Anschlussstellen in jeweilige Maximalgeschwindigkeiten mit und ohne Sackgassen und die Anteile (gerundet) an deren Gesamtstrecken

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

1.1 Ausgangslage

Bei der Wahl des Verkehrsmittels gewinnt das Fahrrad zunehmend an Bedeutung. Besonders im täglichen Verkehr nutzen Pendler für den längsten Weg zwischen ihrem Wohnort und ihrer Arbeits- oder Ausbildungsstätte zunehmend das Fahrrad als Verkehrsmittel, sofern sich die zurückzulegende Distanz hiermit realisieren lässt. In den letzten Jahren ist zudem eine starke Zunahme der Verkaufszahlen von Pedelecs (Ped al Ele ctric C ycle) zu vermerken. Die größeren Distanzen, die durch elektrische Unterstützung so zurückgelegt werden können, öffnen Radfahrern1 und vor allem Pendlern neue Wege und Möglichkeiten. Bundesweit ist das Rad bei rund zehn Prozent der erwerbstätigen und studierenden Pendler sowie Schülern mit steigender Tendenz die erste Wahl (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur – BMVI 2017: 100).

Die deutschen Städte sind durch die Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg und in den 1960er Jahren mit den gleichzeitig steigenden Zahlen der Kraftfahrzeuge auf den Straßen autogerecht umgestaltet worden (Nuhn & Hesse 2006: 316f). Dieser Ausbau der Infrastruktur ist aus der heutigen Perspektive des Radfahrers problematischer. Hierbei ist besonders die Sicherheit der Radfahrer auf den von Autos dominierten Straßen hervorzuheben. Mit zunehmendem nichtmotorisiertem Individualverkehr (NMIV) steigt auch der Bedarf des Strategiewechsels von der Autostadt zum multimodalen Verkehrssystem, in dem vielfältige Alternativen bestehen, Wege zurückzulegen.

Diese Arbeit soll sich mit dem zum Teil fertiggestellten Großprojekt Radschnellweg Ruhr (RS 1) beschäftigen. Projektträger dieser gesonderten, nur für Radfahrer gedachten und über 100 Kilometer langen Strecke ist der Regionalverband Ruhr (RVR). Das Hauptziel besteht darin, die Städte Duisburg, Mülheim an der Ruhr, Essen, Gelsenkirchen, Bochum, Dortmund, Unna, Kamen, Bergkamen und Hamm für Radfahrer zu verbinden und so den motorisierten Individualverkehr (MIV) und öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu entlasten (vgl. RVR 2014: 12). Außerdem soll mit dem RS 1 der Nationale Radverkehrsplan 2020 (NRVP 2020), der vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) entwickelt wurde, an den vorhergehenden NRVP anknüpft und vom BMVI gefördert wird, umgesetzt werden.

Der RS 1 befindet sich aktuell noch in Bau, kann aber auf der Strecke zwischen Mülheim an der Ruhr und dem Essener Stadtkern über die Rheinische Bahn bereits befahren werden. Als hauptsächliche Grundlage für diese Arbeit soll die Machbarkeitsstudie des RVR, in der die wesentlichen Ziele und zu erreichenden Zahlen bereits erarbeitet wurden, dienen. Für die spätere Analyse der untersuchten Verkehrswege sollen die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) der Forschungsgesellschaft Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) als Grundlage der Einordnung und Bewertung helfen. Vorliegende Zähldaten der Zählsäule in der südlichen Innenstadt in Mülheim an der Ruhr werden hinzugezogen, um die Nutzung des RS 1 zu untersuchen und um Rückschlüsse ziehen zu können, inwiefern das Projekt von Radfahrern genutzt wird.

1.2 Einordnung in die Forschung und Relevanz

Auch aus ökologischer Perspektive, die jedoch in dieser Arbeit nicht in den Fokus genommen werden soll, kann die Relevanz des Umstiegs auf das Fahrrad aufgezeigt werden. Auf stark befahrenen Straßen in beispielsweise Essen, Gelsenkirchen und Dortmund sind bereits Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge ausgesprochen worden, um die Belastung mit Stickstoffdioxid (NO2) zu senken und wieder Werte unter dem festgelegten Grenzwert zu erreichen. Das Umfahren dieser gesperrten Verkehrswege verlagert die Problematik, löst sie aber nicht. Alternativ das Rad statt das Auto zu wählen, minimiert hingegen diese Emissionen.

Ein weiterer Aspekt, der die Bedeutsamkeit dieser Arbeit herausstellt, ist der steigende Anteil der Verkehrsteilnehmer mit Pedelecs und die parallel hierzu steigenden Verletztenzahlen von Radfahrern bei Straßenverkehrsunfällen. Im Jahr 2016 stieg die Zahl der Unfälle mit und durch Radfahrer im Vergleich zum Vorjahr um 3,7 %; verglichen mit 2010 ist ein Anstieg von fast 24 % zu erkennen (Statistisches Bundesamt 2017 a: 10). Ein Zusammenhang dieser Größen – der höheren Nutzung von Pedelecs und den vermehrt auftretenden Straßenverkehrsunfällen – kann vermutet werden und rechtfertigt partiell die Notwendigkeit von gesonderten Wegen für Radfahrer.

1.3 Forschungsfragen, Methode und Aufbau

Insbesondere soll die Einbindung des RS 1 in die bestehende Infrastruktur in Essen untersucht werden, da der RS 1 dort bereits befahrbar ist. Dies schließt die sofortige Erreichbarkeit über die dafür vorgesehenen Anschlussstellen und die dort ausgebauten Führungsformen des Radverkehrs für eine problemlose Erreichbarkeit ein. Aus diesen Untersuchungen sollen sowohl positive Beispiele für eine gut funktionierende Einbindung als auch mögliche Defizite und verbesserungsfähige Strukturen herausgearbeitet werden. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse kann eine weitere Anschlussstelle am geplanten Streckenverlauf betrachtet und die entstandenen Kriterien/Voraussetzungen für eine zufriedenstellende Integration des RS 1 in die dortige Infrastruktur verglichen werden. An diesen untersuchten Knotenpunkten soll so ein möglicher Handlungsbedarf aufgezeigt werden.

Das Ziel „die einladende und sichere Beschaffenheit der ‚Zulaufstrecken‘ herzustellen“ (RVR 2017: 7) ist bereits formuliert und soll in Form dieser Arbeit auf seine Umsetzung geprüft werden. Detailliertere Betrachtungen der Anschlussstellen können präzise Probleme dieser aufdecken und die bestehende und mögliche Vernetzung von Radwegen/-straßen mit dem RS 1 verdeutlichen. Um die Anschlussstellen des RS 1 und das Umfeld dieser (mit einem Radius von einem Kilometer) genauer untersuchen zu können, sollen die Verkehrswege und deren Eignung für Radfahrer vor Ort inspiziert werden. Die ausgewählten Anschlussstellen sollen mit den Ergebnissen aus dieser Untersuchung mit einem geographischen Informationssystem (GIS) visualisiert und ausgewertet werden.

Aus diesen vorangegangenen Aspekten bilden sich folgende Fragestellungen:

- Kann der RS 1 als Alternative zum MIV im Ruhrgebiet dienen?
- Wie können gut integrierte Anschlussstellen an den RS 1 in die bestehende Infrastruktur zur Annahme des Streckenangebots bei Radfahrern (einschließlich Pedelec-Fahrer) beitragen? Wie gelingt ein unproblematischer Umstieg vom Mischverkehr auf den RS 1? Wo sind diese Anschlussstellen bereits gut ausgebaut?
- An welchen Anschlussstellen und deren Umfeld besteht weiterer Handlungsbedarf als lediglich der Ausbau der Strecke des RS 1?

Die Arbeit soll hinführend zur Beantwortung dieser Fragen zunächst mit vorstellender Funktion die verschiedenen Führungsformen der Radinfrastruktur vorstellen und einordnen. Darauffolgend sollen Radschnellwege (RSW) allgemein und der RS 1 spezifisch betrachtet und ausgewertet werden, um im Anschluss die noch geplante Route kritisch zu betrachten und Möglichkeiten des Ausbaus für eine fahrradfreundliche Infrastruktur aufzuzeigen. Außerdem soll die Betrachtung eines weiteren Gebiets in den Niederlanden als repräsentatives, positives Beispiel für eine funktionierende Radinfrastruktur dienen.

2 Radinfrastruktur und Maßnahmen

Das Umsteigen vom MIV auf das Fahrrad verlangt eine Reihe von Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen. Das Hauptkriterium ist eine funktionierende und großflächig ausgebaute Radinfrastruktur, die das sichere und schnelle Erreichen des Wegeziels gewährleisten kann. Die Radinfrastruktur wird bereits seit Jahrzehnten wissenschaftlich betrachtet und Verkehrszahlen evaluiert. So konnte beispielsweise Knoflacher (vgl. 1995: 195ff) aus eigener Erhebung herausfinden, dass der Radverkehrsanteil des Gesamtverkehrs unmittelbar mit der zur Verfügung stehenden Radinfrastruktur zusammenhängt. Je mehr Meter Radweg pro Einwohner in 30 betrachteten Städten erfasst wurden, desto höher fiel auch die Wahl dieser Einwohner auf das Rad als bevorzugtes Verkehrsmittel aus (siehe Anhang Abbildung 9).

Diese Radwege können als Führung des Radverkehrs unterschiedliche Formen annehmen. Für die spätere Analyse der Anschlussstellen soll im Folgenden auf diese verschiedenen Formen eingegangen und im Anschluss deren Integration in die MIV-Infrastruktur, sowie das Konfliktpotenzial der Verkehrsteilnehmer auf den Verkehrswegen betrachtet und vorgestellt werden. Abschließend können Sonderformen der Radinfrastruktur in anderen Städten als Beispiele aufgezeigt werden.

2.1 Klassifizierung von Führungsformen des Radverkehrs

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten die Führung des Radverkehrs zu gestalten. In diesem Abschnitt sollen die gängigsten und verbreitetsten Führungsformen betrachtet werden. Hierbei wird besonders die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer in den Fokus genommen und abgewogen.

Bei der Einordnung der hier betrachteten innerörtlichen Radinfrastruktur spielen drei Faktoren eine wesentliche Rolle. Es wird einerseits zwischen zwei- und vierstreifig befahrenen Straßen unterschieden, während andererseits die Nutzungsfrequenz der Kraftfahrzeuge pro Stunde (Kfz/h) und die maximal zugelassene Höchstgeschwindigkeit (in km/h) zweiten und dritten Faktor abbilden. Hieraus ergibt sich nach der FGSV die Einordnung solcher Verkehrswege in vier Belastungsbereiche (siehe Anhang Tabelle 3). Der erste Belastungsbereich (I) bezeichnet so beispielsweise wenig befahrene, zweistreifige Straßen mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h und maximal 400 Kfz/h, während der vierte Belastungsbereich (IV) bei einer gleichen Höchstgeschwindigkeit und Streifenführung ab ca. 1.800 Kfz/h als solcher eingeordnet wird. Vierstreifig befahrene Straßen werden beispielsweise erst bei einer Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h und ca. 2.200 Kfz/h diesem Belastungsbereich zugeordnet (siehe Anhang Abbildung 10 und Abbildung 11). Für den Belastungsbereich I ist, bis auf einzelne Ausnahmefälle, keine separate Radverkehrsführung vorgesehen, bzw. notwendig, sodass der Radverkehr gemeinsam mit dem MIV die Fahrbahn ohne größeres Konfliktpotenzial nutzen kann (vgl. FGSV 2010: 18f).

Um eine weitere Dimension hinzuzuziehen, können die Ausführungen von Graf (2016: 86f) betrachtet werden. Bei dieser Kategorisierung wird ein sehr viel stärkerer Fokus auf die Nutzer der Radinfrastruktur und deren Wahrnehmung genommen. Er unterteilt alle Radfahrer in vier verschiedene Gruppen, die jeweils eine unterschiedlich hohe Stresstoleranz im Verkehr aufweisen. Somit werden Verkehrswegen die verschiedenen Level of traffic stress (LTS) zugeordnet, wobei beispielsweise Wege ohne eine Führung des Radverkehrs das LTS 4 aufweisen, die nur für den ‚Furchtlosen‘ geeignet sind und Wege bei denen kein Konfliktpotenzial herrscht mit dem LTS 1 beziffert werden und von ‚Nicht-Fahrern‘ genutzt werden können (siehe Anhang Tabelle 5).

In den folgenden Ausführungen können beide oben genannten Kategorisierungen bei der Einordnung der Ausbautypen der Radinfrastruktur helfen. Die Belastungsbereiche geben hauptsächlich an, bei welcher Straßenart der jeweilige Ausbautyp angebracht ist, während der LTS anzeigt, von welchen Nutzertypen dieser als optimal wahrgenommen wird und welche Stresstoleranz diese aufbieten müssen. Die ERA unterscheiden die Führungsformen des Radverkehrs auf vielschichtiger Weise (vgl. FGSV 2010: 22-36). Hier werden mit dem Radfahrstreifen, Schutzstreifen, dem baulich angelegtem Radweg, der Führung des Radverkehrs auf gemeinsamen Wegen mit dem Fußverkehr und der Fahrradstraße fünf der wichtigsten, für diese Arbeit relevanten Ausbautypen, herausgegriffen und vorgestellt.

2.1.1 Radfahrstreifen

Der Radfahrstreifen ist ausschließlich für Radfahrer vorgesehen und steht unter deren Benutzungspflicht. Er ist durch eine durchgezogene Linie auf der rechten Seite der Fahrbahn gekennzeichnet, die nur in Ausnahmefällen von Kfz überfahren werden darf, wie etwa für das Ansteuern eines Parkplatzes jenseits des Radfahrstreifens. Bei Einfahrten und Kreuzungen, die regelmäßig das Passieren von Kfz vorsehen, ist er als eng gestrichelte Linie zu erkennen. Außerdem herrscht auf dem Radfahrstreifen absolutes Halteverbot, ohne dass dieses zusätzlich ausgeschildert werden muss. Er wird für Hauptverkehrsstraßen des Belastungsbereiches III und IV empfohlen, um eine klare Trennung zwischen MIV und NMIV zu gewährleisten. Nach Graf ist der Radfahrstreifen besonders für Nutzer/innen mit einer mittleren Stresstoleranz des LTS 3 ansprechend und wird von diesen Gewohnheitsfahrern für ihre alltäglichen Wege mit dem Rad genutzt (vgl. Graf 2016: 79).

Die Mindestbreite eines solchen Radfahrstreifens beträgt 1,60 m mit einer hinzukommenden Breitstrichmarkierung2 (siehe Anhang Tabelle 4). In Ausnahmefällen, wie einer höheren zulässigen Höchstgeschwindigkeit von über 50 km/h, wird die Anlage eines breiteren Radfahrstreifens von mindestens 2,00 m nahegelegt (vgl. FGSV 2010: 23f).

2.1.2 Schutzstreifen

Im Gegensatz zum Radfahrstreifen kann der Schutzstreifen auch vom MIV überfahren werden, wenn es die Straßenführung, wie zum Beispiel an Engstellen, nicht anders zulässt. Wenn aber keine Kollisionsgefahr mit dem Gegenverkehr besteht und die Straßenbreite weitläufig genug angelegt ist, herrscht auch hier das Überfahrverbot für Kfz. Bei einer nachträglichen Anlegung von Wegen für die Radinfrastruktur auf schmaleren Straßen wird somit häufig der Schutzstreifen als Führungsform gewählt, um das aneinander Vorbeifahren von Fahrzeugen des MIV weiterhin zu gewährleisten, gleichzeitig aber auch dem Radverkehr gerecht zu werden. Grundsätzlich gilt, dass dieser Schutzstreifen darauf aufmerksam machen soll, dass auch Radfahrer die Straße nutzen und sie beachtet werden sollen. Ein weiterer Unterschied des Schutzstreifens zum Radfahrstreifen ist das Gelten des eingeschränkten und nicht, falls dies nicht ausgeschildert ist, des absoluten Halteverbots. Des Weiteren gilt hier auch anders als in den Niederlanden keine Benutzungspflicht für Radfahrer, da Schutzstreifen generell nicht beschildert werden.

In einigen Fällen kann der Radfahrstreifen nahtlos in einen Schutzstreifen übergehen. Ein relativ häufiges Beispiel hierfür ist die Führung über eine Bushaltestelle oder an Engstellen vorbei, bei denen mindestens 25 m bis 30 m, bzw. 20 m bis 30 m vor dem Hindernis der Schutzstreifen beginnen muss, um bei haltenden Bussen notwendiges Ausweichen der Radfahrer auf die Führung des MIV zu ermöglichen bzw. Kfz-Fahrern das Zusammenkommen beider Verkehrsmittel frühzeitig erkennen zu lassen (vgl. FGSV 2010: 28 & 32).

Die Führungsform des Schutzstreifens wird für den Belastungsbereich II empfohlen, soll jedoch „bei hohem Schwerverkehrsaufkommen (> 1.000 Fahrzeuge des Schwerverkehrs am Tag) vermieden werden“ (FGSV 2010: 22). Der Schutzstreifen wird durch Schmalstrichmarkierungen3 auf der Fahrbahn gekennzeichnet, bei der die Linien ebenso lang, wie voneinander entfernt sind (i. d. R. 1,00 m). Außerdem wird eine Breite von mindestens 1,25 m vorausgesetzt, aber 1,50 m und ausreichend Freiraum zu Parkständen empfohlen (siehe Anhang Tabelle 4) (vgl. FGSV 2010: 22f).

Vorzugsweise wird der Schutzstreifen ebenso wie der Radfahrstreifen von Nutzer/innen mit einer mittleren Stresstoleranz bis zum LTS 3 genutzt. Die stressresistenteren Radfahrer haben weniger Probleme Wege in unmittelbarer Nähe des fließenden MIVs zu nutzen (vgl. Graf 2016: 87).

2.1.3 Baulich angelegte Radwege neben der Fahrbahn

Baulich angelegte Radwege sind klarer von der Straße getrennt als der Radfahr- oder Schutzstreifen. Sie verlaufen meist parallel zu den MIV-Verkehrswegen und bilden die Mitte zwischen Gehwegen und der Kfz-Fahrbahn. Nur bei einer blauen Beschilderung eines getrennten Geh- und Radwegs oder bei der eindeutigen Kennzeichnung als alleiniger Radweg herrscht hier eine Benutzungspflicht. Die Gestaltung dieser Führungsform kann als eigene Fahrrinne oder aber als farblich markierter, vom Gehweg abhebender, Radweg gewählt werden.

Je nach Radverkehrsstärke sollte eine Breite von 1,60 m bis 2,00 m und bei hohem Radverkehrsaufkommen noch breiter gewählt werden. Außerdem werden noch weitere Maßen als Empfehlungen für die Gestaltung der Sicherheitsräume zu Flächen, an denen der baulich angelegte Radweg entlangführt, genannt (siehe Anhang Tabelle 6) (vgl. FGSV 2010: 24f).

Besonders in den Belastungsbereichen III und IV wird der Einsatz dieser Radwege empfohlen. In Belastungsbereich II kann beispielsweise auch der Schutzstreifen mit dem Radweg ohne Benutzungspflicht kombiniert werden (siehe Anhang Tabelle 3). Sie werden vorzugsweise von Nutzern mit einer geringen Stresstoleranz des LTS 2 genutzt, um Konflikte mit dem MIV vermeiden zu können (siehe Anhang Tabelle 5).

2.1.4 Gemeinsame Geh- und Radwege

Prinzipiell gilt für die gemeinsame Nutzung von Wegen für Fußgänger und Radfahrer nur eine bedingte Einsatzmöglichkeit. Mit der nutzbaren Breite des Weges sowie dem Aufkommen von Radfahrern und Fußgängern in der Spitzenstunde spielen zwei wesentliche Faktoren die Hauptrolle für die Anlegung dieser Führungsform. Ab einer Wegbreite von 2,50 m und weniger als 80 Verkehrsteilnehmern pro Spitzenstunde ist die gemeinsame Nutzung möglich. Mit einer größeren Wegbreite ist auch die zulässige Zahl der Nutzer höher (siehe Anhang Abbildung 12).

Bei einer gemeinsamen Führung kann zwischen der benutzungspflichtigen Führung, die durch die entsprechende Beschilderung ausgewiesen ist, und der nicht benutzungspflichtigen Führung, bei der ein Fußgängerweg mit dem Zusatz ‚Radfahrer frei‘ ausgeschildert ist, unterschieden werden. Die gegenseitige Rücksichtnahme wird bei beiden Führungsformen, aber von Radfahrern vor allem bei letzterer, nicht benutzungspflichtigen Form, verlangt.

Außerdem werden noch zahlreiche weitere Ausschlusskriterien genannt, die eine gemeinsame Verkehrsführung nicht zulassen. Hierzu zählen unter anderem ein „starkes Gefälle (> 3 %)“, „stärker frequentierte Bus- oder Straßenbahnhaltestellen in Seitenlage ohne gesonderte Wartefläche“ oder „Straßen mit intensiver Geschäftsnutzung“ (FGSV 2010: 27). Es ist also anzunehmen, dass diese Führungsform für Hauptverkehrsstraßen mit größerem Fuß- und Radverkehr nicht angebracht ist. Dementsprechend wird der Einsatz vorwiegend in Belastungsbereich II empfohlen. Dennoch ist die Führung auch in Belastungsbereich III/IV möglich, wenn die oben genannten Kriterien erfüllt sind (siehe Anhang Tabelle 3).

Die Nutzertypen, für die diese Führungsform als die beste Möglichkeit der Radinfrastruktur erscheint, haben nur eine sehr geringe Stresstoleranz, die bis zum LTS 1 oder maximal zum LTS 2 reicht; je nach Alter und Erfahrung im Verkehrssystem (vgl. Graf 2016: 86ff). Dieser Nutzertypus bewegt sich meist selbst nicht mit dem Rad fort, kennt üblicherweise die Gehwege und stellt kein größeres Problem für andere Verkehrsteilnehmer dar, da anzunehmen ist, dass er selbst als eher langsamer und vorsichtiger Fahrer teilnimmt.

2.1.5 Fahrradstraßen

Anders als beim Schutz- und Radfahrstreifen wird die Fahrradstraße in den meisten Fällen auf der gleichen Fläche mit dem MIV geführt. Der Unterschied zur gemeinsamen Nutzung der Wege, bei der eine gesonderte Führung nicht ausgewiesen ist, ist der Vorrang für Radfahrer. Kfz dürfen nur dann diese Führungsform befahren, wenn dies entsprechend ausgeschildert ist. Sie gelten hier als zurückgestellt, müssen sich an die gewählten Wege der Radfahrer anpassen und sind besonders angewiesen ihre Aufmerksamkeit auf den Radverkehr zu richten. Die maximal zulässige Höchstgeschwindigkeit auf Fahrradstraßen, welche durch die entsprechende Beschilderung angezeigt wird, beträgt 30 km/h, muss aber bei auftretendem Radverkehr diesem angepasst werden. Bei einer gemeinsamen Nutzung mit dem Kfz-Verkehr wird auch durch ein entsprechendes, großflächiges Fahrrad-Piktogramm die Aufmerksamkeit der Fahrer geweckt. Zudem ist auf Fahrradstraßen das Nebeneinanderfahren erlaubt, welches sonst nur in Ausnahmefällen, wenn andere Verkehrsteilnehmer nicht behindert werden, untersagt ist und fördert so für Radfahrer die Attraktivität des gemeinsamen Radfahrens. Ein weiterer Vorteil, den die größere Fläche für Radfahrer mit sich bringt, ist die Möglichkeit Routen, auf denen ein höheres Radverkehrsaufkommen herrscht, zu entlasten und Konfliktpotenzial auf anderen überfüllten, engeren Radverkehrsanlagen zu umgehen (vgl. Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club e.V. 2011).

2.2 Integration in die MIV-Infrastruktur

Auf Straßen, die keine erhöhten Verkehrsfrequenzen aufweisen und somit dem Belastungsbereich I zuzuordnen sind, ist die Führung des Radverkehrs mit gesonderten Radwegen nicht notwendig. Zu solchen Straßen gehören sowohl die verkehrsberuhigten Bereiche und Verkehrswege mit einer maximal zulässigen Geschwindigkeit von 30 km/h (in Tempo-30-Zonen sind benutzungspflichtige Radverkehrsanlagen nicht erlaubt), als auch Straßen, die eine mittlere Verkehrsstärke von bis zu 400 Kfz/h und einer überwiegenden Durchschnittsgeschwindigkeit von unter 50 km/h aufweisen (siehe Anhang Abbildung 10).

Bei einer Führung besonders durch Schutz- oder Radfahrstreifen, aber auch bei baulich angelegten Radwegen, die parallel zur MIV-Fahrbahn verlaufen, liegt bei der Anlegung und Integration in die bestehende Infrastruktur die größte Herausforderung im Entwurf der Knotenpunkte, an denen sich die Wege der verschiedenen Verkehrsmittel kreuzen. Hier sind besonders die Sichtverhältnisse an Kreuzungen für alle Verkehrsteilnehmer hervorzuheben. Mit dem frühzeitigen Erkennen auf Seiten der Kfz-Fahrer von solchen Knotenpunkten mit potentiellen Radfahrern können Unfälle in den häufigsten Fällen vermieden werden; vorausgesetzt die Teilnehmer fahren aufmerksam und halten sich an die Straßenverkehrsordnung (StVO). Außerdem wird gefordert, dass genügend Wartefläche für den Radverkehr an Signalanlagen bereitgestellt wird und die Vorfahrtsverhältnisse an solchen ebenso klar erkennbar sind. Die Wartebereiche und Überfahrtshilfen für den Radverkehr werden auch Radverkehrsfurten genannt und sind mit unterbrochenen, 0,50 m langen und voneinander um 0,25 m entfernten Breitstrichen markiert. Als effektive Maßnahme für das Gewinnen der Aufmerksamkeit der Kfz-Fahrer auf die Radinfrastruktur gilt die rote Einfärbung dieser Radverkehrsfurten. Dies ist besonders an Knotenpunkten hilfreich, bei denen Kfz zum Rechtsabbiegen den geradeaus führenden Radfahrstreifen überfahren müssen (vgl. FGSV 2010: 37ff).

Neben einer gut funktionierenden Integration in die MIV-Infrastruktur bringt auch eine Förderung der Intermodalität, also der Nutzung mehrerer Verkehrsmittel auf einem Weg, Vorteile mit sich. Die Möglichkeit für Radfahrer längere Strecken mit dem Rad zurückzulegen, indem sie das Fahrrad beispielsweise mit dem Öffentlichen Verkehr (ÖV) transportieren können, lässt sie häufiger diese Alternative wählen (vgl. Czowalla et al 2017: 4). Um dies zu fördern und noch attraktiver zu machen, können zahlreiche Maßnahmen, wie unter anderem das Aufstellen von Fahrradparkhäusern oder -boxen an Haltestellen und Verbesserungen der Abstellorte für Fahrräder in oder an ÖV-Fahrzeugen, getroffen werden.

2.3 Konflikte

Durch die Führung des Radverkehrs auf separaten Wegen ist ein Konfliktpotenzial zwischen den verschiedenen Verkehrsteilnehmern nicht ausgeschlossen. Prinzipiell kann festgestellt werden, dass Verkehrsteilnehmer, die sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten fortbewegen, potentiell miteinander in Konflikt geraten können. Je größer diese Unterschiede sind, desto wahrscheinlicher ist ein Konflikt und somit auch das Unfallrisiko.

Auf gemeinsamen Geh- und Radwegen ist besonders die gegenseitige Rücksichtnahme nicht immer gegeben, bzw. wird nicht immer eingehalten. Enge Abschnitte auf benutzungspflichtigen Wegen dieser Art können zum Teil Schwierigkeiten mit sich bringen, da Fußgänger entweder den nahenden Radfahrer nicht sehen oder nicht sehen wollen, falls sie kein Einsehen haben, ihren Weg mit dem Radverkehr zu teilen, oder aber Radfahrer keine Rücksicht auf Fußgänger an solchen Engpässen nehmen, da sie nicht anhalten möchten.

Die Führung durch baulich angelegte Radwege trennt den Radverkehr von anderen Verkehrsteilnehmern deutlicher. Mit einer klaren Trennung zum MIV kann ein konfliktfreierer Verkehr erwartet werden, doch ist dieser an Knotenpunkten und Straßeneinfahrten nicht immer gegeben. Parallel zum Radfahrer verlaufender Kfz-Verkehr kann beim Abbiegen in einigen Situationen den Radweg, beispielsweise durch parkende Autos, Gegenverkehr oder Bushaltestellen etc., schlecht einsehen. Dieses Einbiegen, Ein- oder Ausfahren oder Wenden ist in den Jahren 2003 bis 2016 mit 12,7 % bis 14,1 % immer die häufigste Ursache aller Verkehrsunfälle im deutschen Straßenverkehr gewesen (vgl. BMVI 2017: 168f). Auf Straßen mit einem hohen Kfz-Aufkommen werden dennoch baulich angelegte Radwege empfohlen, um im Fließverkehr eine strikte Trennung des MIV und des NMIV sowie des Fußgängerverkehrs zu erlangen. Durch bereits genannte Maßnahmen wie der roten Einfärbung von Überquerungen und Radverkehrsfurten können Unfallrisiken vorgebeugt werden.

Ebenso wird die Führung über Radfahrstreifen auf diesen Straßen nahegelegt. Diese bergen ein niedriges Konfliktpotenzial, wenn die empfohlenen Sicherheitsabstände zum Fließverkehr und zu parkenden Autos eingehalten werden können (siehe Anhang Tabelle 4). Ein Vorteil hier ist die gute, meist uneingeschränkte Einsehbarkeit des Kfz-Fahrers auf den sich langsamer fortbewegenden Radfahrer. Der Schutzstreifen ähnelt dem Radfahrstreifen in diesem Punkt und unterscheidet sich von ihm lediglich in den oben genannten Aspekten. Besonders bei einer höheren Durchfahrtsfrequenz des Schwerverkehrs ist der Sicherheitsstreifen dieser beiden Führungsformen bedeutsamer, da Güterkraftfahrzeuge eine größere Breite erreichen als Personenkraftwagen (Pkw).

Im Jahr 2017 wurden in Deutschland 393 Radfahrer bei Straßenverkehrsunfällen getötet und 81.273 verletzt. Bei 74,5 % dieser Unfälle gab es eine Beteiligung von Pkw-Fahrern, während die Hauptursache in diesen Fällen nur zu 24,6 % bei Radfahrern lag (vgl. Statistisches Bundesamt 2017 a: 6-9). Somit ist die Bedeutsamkeit einer sicheren Radverkehrsführung auch durch diese Zahlen erkennbar und noch nicht gegeben (siehe auch: 3.3.3 Zielsetzungen).

2.4 Beispiele anderer Städte als Vorreiter

In Deutschland leben mit steigender Tendenz 77,2 % der Bevölkerung in mittel bis dicht besiedelten Gebieten (Stand 2015) (vgl. Statistisches Bundesamt 2017 b: 29). Mit wachsenden Städten, die nicht nur in Deutschland diese Entwicklung erfahren, steigt auch der Bedarf an alternativen, platzsparenden und emissionsfreien Verkehrswegen und -mitteln. Auf dem Weg mit der Zielsetzung zu einer postfossilen Mobilität ist es also eine große Herausforderung den zur Neige gehenden Treibstoff für Kfz mittels nachhaltiger urbaner Mobilitätskonzepte zu ersetzen.

So hat sich beispielsweise die Grüne Hauptstadt Europas 2014 Kopenhagen das Ziel gesetzt, „bis 2025 Klimaneutralität zu erreichen“ (Kabisch et al 2018: 6) und den Radverkehr, welcher bereits über ein Drittel des dortigen Verkehrsanteils ausmacht, weiter zu fördern. Dies gelingt der Stadt Kopenhagen hauptsächlich durch die systematische Strukturänderung der Verkehrswege. Durch die Reduktion der Fläche für den Kfz-Verkehr und den dadurch in seiner Funktion umstrukturierten neu gewonnen Platz, wird die Rad- und Fußgängerinfrastruktur stetig und bereits seit mehreren Jahrzehnten verbessert (vgl. Lanzendorf & Klinger 2018: 32f).

Ein deutsches Beispiel für eine solche nachhaltige urbane Mobilität ist die Aussperrung des Kfz-Verkehrs in einzelnen Quartieren wie in Freiburg, Darmstadt oder Tübingen, die unter anderem auf den ÖPNV als Anschluss sowie auf den Ausbau der dortigen Radinfrastruktur setzen (vgl. Lanzendorf & Klinger 2018: 31). Neben den oben genannten Vorteilen, die ein solcher Strukturwandel mit sich bringt, sind auch die niedrigeren Kosten für die Infrastruktur, die die Kommunen aufbringen müssen, diesen entgegenkommend (vgl. Czowalla et al 2017: 3).

Mit der Nutzung digitaler Möglichkeiten wurden ebenso Wege gefunden, der Bevölkerung einzuprägen, welche Rolle die Wahl der Mobilitätsform für die Lebensqualität und die Auswirkungen auf das globale, aber auch das innerstädtische Klima spielt. Einfache Bodensensoren, die beispielsweise seit 2013 in Hackney in London an einer Stelle installiert sind und Radfahrer zählen, übertragen diese Zahlen auf eine Anzeige mit den aktuellen Tages- und Jahreszahlen der vorbeigefahrenen Fahrräder (vgl. Bauriedl 2017: 22f). So kann das Bewusstsein für die nachhaltige Mobilität gestärkt werden und Radfahrern ein positives Feedback über ihre Verhaltensweisen übermitteln.

3 Radschnellwege

Auf den meisten Streckenabschnitten eines RSW treten die in 2.3 KonflikteKonflikte beschriebenen nicht auf, da hier eine geregelte, und auf den meisten Abschnitten ausschließlich für das Rad konzipierte Infrastruktur geschaffen wird. Klare Abgrenzungen zu Fußgängerwegen und möglichst Kfz-freie Führungen der RSW-Strecken ermöglichen für Pendler, Alltags- und Freizeitfahrer eine stressfreiere, schnellere Fahrt.

In den folgenden Ausführungen werden die gestellten Anforderungen an eine Radverbindung, diese als RSW bezeichnen zu können, vorgestellt, um mit den Voraussetzungen an das umgebende Verkehrsnetz auf das beispielhafte Projekt des RS 1 und dessen Konzept hinzuführen.

3.1 Qualitätskriterien für Radschnellwege

Die Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in Nordrhein-Westfalen e.V. (AGFS) hat, gemeinsam mit dem Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr Nordrhein-Westfalen (MBWSV) Anfang des Jahres 2013 im Rahmen eines Arbeitskreises, Kriterien für RSW festgelegt, an denen die Planungen und Umsetzungen des Baus und Ausbaus derer orientiert sein müssen. Beweggrund hierfür war die defizitäre Ausgangssituation der Infrastruktur in Städten mit einem zeitgleich steigenden Anteil der am Verkehr teilnehmenden Radfahrer. Um diesem NMIV gerecht zu werden und Konflikte mit dem Kfz-Verkehr zu lösen bzw. zu vermeiden, wird RSW immer mehr Bedeutung zugesprochen. Ein weiterer entscheidender Faktor ist das zunehmende Aufkommen von Pedelecs, die zwar elektrische Unterstützung in der Nahmobilität nutzen, aber dennoch zum NMIV gezählt werden und höhere Geschwindigkeiten erreichen als der durchschnittliche Alltags-Radfahrer (vgl. AGFS 2015: 8).

Die neun Qualitätskriterien für RSW konnten so klar definiert werden. Neben der Mindestdistanz von fünf Kilometern, die die Strecke eines RSW betragen muss, wird außerdem der reibungslose Radverkehrsfluss vorausgesetzt, ohne dass Radfahrer beispielsweise an Lichtsignalanlagen zu häufig und zu lange stehen bleiben müssen. Innerorts darf die mittlere Wartezeit maximal 30 und außerorts höchstens 15 Sekunden pro Kilometer betragen (vgl. FGSV 2014: 5). Bei der Gestaltung der Strecken sollten Hindernisse wie Einbauten vermieden werden. Außerdem muss klar markiert sein, welche Wege für Radfahrer und welche für Fußgänger bestimmt sind. Eine Trennung dieser beiden ist somit verpflichtend. Hinzu kommt die wünschenswerte Gestaltung von steigungsarmen Strecken, solange dies realisierbar ist, während die Wegweisung durch ausreichende Beschilderung der RSW ebenso ein wichtiges Kriterium ist. Um die Nutzung auch bei Dunkelheit zu gewährleisten soll ein RSW innerorts immer und möglichst auch außerorts, hier aber nicht verpflichtend, beleuchtet sein. Zusätzlich soll eine geregelte Zuständigkeit für die Räumung in den Wintermonaten und die Reinigung über das gesamte Jahr vorliegen. Des Weiteren wird das Vorhandensein von mehreren Servicestationen, die als überdachte Rastplätze und Wartungsanlagen für Fahrräder dienen sollen, vorausgesetzt (vgl. AGFS 2015: 8).

3.2 Voraussetzungen für die Annahme von RSW

Die Vorteile eines fertiggestellten RSW sind unbestritten überwiegend (siehe auch: 3.3.3 Zielsetzungen), doch kann die fehlende Radinfrastruktur im umliegenden Verkehrsnetz die Annahme des Angebots bei Radfahrern mindern (vgl. Blöbaum 2001: 132f). Die Attraktivität das Rad anstelle des Kfz für den Arbeits-, Alltags- oder Freizeitweg zu nutzen, sinkt, sollten diese Wege für den Fahrer mit dem gewählten Fahrzeug nicht befriedigend und barrierefrei zurückgelegt werden können. Wird angenommen, ein Radfahrer kann innerorts zehn Minuten lang seine Durchschnittsgeschwindigkeit halten, ohne längere Wartphasen an Lichtsignalanlagen einplanen zu müssen oder Umwege zu fahren, da die vorausgesetzte Radinfrastruktur nicht gegeben ist, könnte er in dieser Zeit eine Strecke von 2,55 km zurücklegen (angenommene Durchschnittsgeschwindigkeit von 15,3 km/h; siehe Anhang Tabelle 7). Bei einem Szenario mit einer überdurchschnittlichen Anzahl von drei weiteren Wartezeiten zu jeweils einer Minute an Lichtsignalanlagen verkürzt sich die tatsächlich gefahrene Zeit und die in zehn Minuten zurückgelegte Distanz reduziert sich auf 1,785 km. Ein RSW minimiert die Anzahl an Knotenpunkten und Wartezeiten für Radfahrer so weit wie möglich, doch muss dieser RSW zunächst vom Fahrer über die gegebene Infrastruktur erreicht werden. Hier liegt die Grundvoraussetzung für die Nutzung von RSW, da ohne das schnelle und sichere Erreichen seiner Streckenführung und Anschlussstellen die Funktion eines RSW und dessen Sinn verfehlt wird.

Generell ist ebenso festzuhalten, dass die Witterung für viele Radfahrer eine entscheidende Rolle spielt. Anders als die Wahl des Pkw als Verkehrsmittel, ist das Radfahren viel mehr von Niederschlägen und der Temperatur abhängig. Zwar gilt im Winter die Pflicht der Zuständigkeit zum Räumen der RSW-Strecke, doch ist auch hier der Weg dorthin nicht immer frei von Hindernissen. Außerdem kann die Kälte für viele einen Beweggrund darstellen, das bequemere Auto dem Rad vorzuziehen. Das gleiche gilt auch für stärkere Regenfälle. Dieses Verhalten ist bereits an Zählstellen des RS 1 zu erkennen. Über die erhaltenen Daten der Zählsäule an der Anschlussstelle in Mülheim an der Ruhr (siehe Anhang Abbildung 13) ist ein deutlicher Anstieg der passierenden Radfahrer ab April zu vermerken.

3.3 Konzept des Radschnellwegs Ruhr

3.3.1 Finanzierung

Insgesamt belaufen sich die Kosten des Baus des RS 1 laut der 2014 veröffentlichten Machbarkeitsstudie auf ca. 183,7 Millionen. Euro (vgl. RVR 2014: 22). Die Finanzmittel für die Streckenabschnitte des RS 1 werden individuell und je nach Aufwand verteilt. Über Förderanträge werden Mittel des Landes NRW und des Bundes beansprucht, während der RVR und die Kommunen, durch die der RS 1 führt, ebenso die Finanzierung zu Teilen übernehmen.

So ist beispielsweise der rund 5,6 km lange Teilabschnitt der Rheinischen Bahn, welcher 2016 eröffnet wurde, mit 3,7 Millionen Euro durch „Städtebaufördermittel des Landes und des Bundes […] [und mit] 1,6 Millionen Euro vom Regionalverband Ruhr“ (RVR o. J. a) finanziert worden. Eine ähnliche Verteilung ist auch beim Bau der 72 m langen und 6,3 m breiten Stahlbrücke über den Berthold-Beitz-Boulevard in Essen vorgesehen. Von den ca. 2,9 Millionen Euro für dieses Projekt trägt der RVR rund 600.000 Euro als Eigenanteil (vgl. RVR o. J. b).

3.3.2 Streckenverlauf

Bei der Wahl des Streckenverlaufs des RS 1 wurden die oben genannten Qualitätskriterien auf verschiedenen, vorgeschlagenen Strecken, welche im Rahmen einer Konzeptstudie entstanden sind, in den und durch die einzelnen Städte geprüft und festgelegt (vgl. RVR 2014: 50). Insgesamt ist der über 100 km lange RS 1 in 37 Bauabschnitte unterteilt; hiervon befinden sich je drei in Duisburg, Bergkamen und Hamm, vier in Mülheim an der Ruhr, je sechs in Essen und Bochum, einer in Gelsenkirchen, sieben in Dortmund, und je zwei in Unna und Kamen. Die Fertigstellung und das ausnahmslose Befahren der gesamten Strecke soll noch vor dem Jahr 2020 erreicht und ermöglicht werden (siehe Anhang Abbildung 14).

3.3.3 Zielsetzungen

Die Ziele, die mit dem RS 1 verfolgt werden sollen, sind eng mit der Streckenfindung verknüpft. Somit ist das naheliegendste Ziel der Streckenführung das Erreichen eines bevölkerungsreichen Einzugsgebiets, sodass möglichst viele Nutzer keinen weiten Weg zum RS 1 auf sich nehmen müssen, um diesen zu befahren. Zum Zweck dieses Ziel zu erreichen, wurde eine Strecke gewählt, die so nah wie möglich an den Innenstädten der zu verbindenden Kommunen vorbeiführt (vgl. RVR 2014: 26). Bei der Zielsetzung des Großprojekts RS 1 hat sich der RVR auch vorgenommen, das niederländischen Verkehrssystem als Vorbild zu nehmen und das Radwegenetz des Ruhrgebiets alltagstauglich zu gestalten und in der Fortbewegung mit dem Fahrrad nicht mehr nur den Freizeitverkehr zu unterstützen. Das soll sowohl die stark frequentierte Kfz-Infrastruktur entlasten, als auch das Erreichen von gesetzten Klimazielen fördern (vgl. RVR 2014: 28f).

Außerdem ist der Bau und Ausbau von RSW und somit auch des RS 1 aus wirtschaftsökonomischer Perspektive von Vorteil. Zum einen ist der Bau und die Wartung von Radwegen wesentlich günstiger als die der Kfz-Infrastruktur und zum anderen kann durch die Förderung von RSW die aktive Mobilität gefördert werden, welche bei regelmäßiger Fortbewegung mit dem Fahrrad oder zu Fuß laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) „ein um 50 % reduziertes vorzeitiges Sterberisiko und privates Nutzen […] [von bis zu] 2000 Euro“ (Umweltbundesamt - UBA 2013: 13) jährlich mit sich bringt. So sollen im Jahr „bis zu 11 Mio. Euro an Krankheitskosten eingespart“ (RVR 2014: 22) und Unfälle in der Umgebung des RS 1 gesenkt werden.

Bei der Betrachtung der Entwicklung des Modal Splits in Deutschland bis 2015 mit beförderten Personen (siehe Anhang Abbildung 15) ist ein gering wirkender, aber dennoch klarer Anstieg des Fahrradverkehrs zu erkennen. Während 2003 noch rund 8,8 % der Bevölkerung das Rad als Hauptverkehrsmittel wählten, stieg dieser Wert bis 2015 um fast einen Prozentpunkt auf 9,7 %. Dies entspricht beim direkten Vergleich und der Annahme der 2003 ermittelten Zahlen als Basiswerte, einem Indexwert von 110,2 (siehe Anhang Abbildung 16). Nur der Eisenbahnverkehr (einschließlich S‑Bahnen) kann einen höheren Zuwachs verbuchen. Parallel zu der einseitigen Zunahme des Eisenbahn-, Fahrrad- und Öffentlichen Straßenpersonenverkehrs (ÖSPV) ist eine Abnahme des MIV zu erkennen. Von 2003 bis 2009 konnte hier eine Reduktion um zwei Prozentpunkte festgestellt werden. Diese Entwicklungen führen zwangsläufig zu einer erhöhten Nachfrage nach Radinfrastruktur und können die Notwendigkeit eines Großprojekts wie den RS 1 rechtfertigen. Somit ist ein weiteres Ziel dieses Projekts die Befriedigung dieser Nachfrage.

Trotz dieses Anstiegs des Radverkehrsanteils sinkt die Anzahl der getöteten Radfahrer tendenziell. Seit 1994 ist die Zahl der Fahrer, die durch Straßenverkehrsunfälle ums Leben gekommen ist, bis 2015 um mehr als die Hälfte von 825 auf 393 gesunken. Gleichzeitig ist aber auch ein Anstieg der verletzten Radfahrer in dieser Zeit auszumachen (siehe Anhang Abbildung 17). Bei einem Radverkehrsanteil von unter 10 % im Jahr 2016 liegt der Anteil der verletzten Radfahrer im Vergleich zur Gesamtzahl der Verletzten bei Straßenverkehrsunfällen in Deutschland bei über 20 % (vgl. BMVI 2017: 166). Seit 1994 ist dieser Anteil von verletzten Radfahrern deutlich gestiegen, währen die Anteile der Verletzten von anderen Verkehrsmitteln (besonders bei Pkw‑Fahrern) gesunken oder in etwa gleichgeblieben sind (siehe Anhang Abbildung 20). In Nordrhein-Westfalen liegt dieser Wert mit 21,1 % für das Jahr 2016 sogar etwas über dem bundesweiten Durchschnitt (vgl. BMVI 2017: 160).

Die Abnahme der Getöteten könnte auf die fortschrittlichere Technik und Sicherheitsausstattung bei Fahrädern und deren Fahrern zurückzuführen sein. Der Anstieg der Verletzten, insbesondere in den letzten Jahren, kann ansatzweise mit den erhöhten Verkaufszahlen von E‑Bikes und besonders von Pedelecs erklärt werden. Im Jahr 2017 wurde hier, verglichen mit dem Vorjahr, ein Verkaufszuwachs von über 19 % mit steigender Tendenz vermerkt (siehe Anhang Abbildung 18). Die Problematik bei Pedelecs im Straßenverkehr ist die, für viele Kfz-Fahrer noch nicht bekannte, höhere Geschwindigkeit, die von diesen Verkehrsmitteln schneller erreicht werden kann. Optisch ist für die meisten Fahrer im MIV der Unterschied zwischen einem handelsüblichen Fahrrad und einem Pedelec nicht zu erkennen. Diesem Umstand und den oben genannten Zahlen kann auch ein RSW wie der RS 1 entgegenwirken, da auf den meisten Streckenteilen eine Trennung zwischen MIV- und Radinfrastruktur gegeben sein wird. Für die Zielgruppe der Pedelec-Fahrer ist der RS 1 zusätzlich besonders attraktiv, da mit der elektrischen Unterstützung größere Distanzen überwunden werden können und auf einem RSW von über 100 km Fahrtziele schneller erreicht werden können.

Die besondere Rolle des Pedelecs für den RS 1 kann anhand einer Untersuchung der zurückgelegten Distanzen der verschiedenen Verkehrsmittel belegt werden. Das Pedelec erreicht durch die elektronische Unterstützung eine höhere Durchschnittsgeschwindigkeit als das Fahrrad, das ohne diese Unterstützung genutzt wird. Somit ist in gleicher Zeit eine größere Distanz zurücklegbar und ermöglicht das schnellere Erreichen des RSW für Pedelec-Fahrer (siehe Anhang Tabelle 7 und Abbildung 19) So ist vor allem für Pendler, die Pedelecs als Verkehrsmittel nutzen, der RS 1 als Angebot besonders attraktiv und ermöglicht den alternativen Weg zur Arbeits- oder Ausbildungsstätte (vgl. RVR 2014: 280).

Das Pedelec kommt nicht nur im Personenverkehr zum Einsatz, sondern wird auch laut einer Pressemitteilung des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV) immer häufiger von Unternehmen für logistische Zwecke genutzt. Mit den sogenannten E‑Cargobikes oder E‑Lastenrädern lassen sich kleiner Lieferungen im Nahbereich schnell, umweltschonend und platzsparend transportieren und zustellen. Diese Art des E-Bikes machte 2017 ca. 3 % des Absatzes aus (ZIV 2018 b: 2). Ein solcher Trend ist auch am Projekt ‚Ich entlaste Städte‘ des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) wiederzuerkennen. Dieses Projekt lässt Unternehmen und deren Mitarbeiter nach einer Onlinebewerbung kostenfrei Lastenräder und vor allem E-Lastenräder für drei Monate testen, um Vorteile dieser Transportmethode aufzuzeigen, ohne dass eine Investition seitens der Unternehmen getätigt werden muss. Auch diese Entwicklung des gewerblichen Lieferverkehrs kann mit dem RS 1 weiter unterstützt werden und ermöglicht die einfacheren und leichteren Lieferungen zwischen den benachbarten und in den Städten des Ruhrgebiets mit emissionsfreien Lastenrädern.

4 Untersuchung ausgewählter Anschlussstellen

4.1 Methode

Der oben gezeigte ansteigende Radverkehrsanteil am Gesamtverkehr, die technischen Weiterentwicklungen sowie die gewünschte Annahme seitens des RVR von Radfahrern des RS 1 als zu nutzendes Angebot führen zwangsläufig zu der Notwendigkeit von Radverkehrsanlagen in der bestehenden Infrastruktur um RSW, aber auch in der urbanen Mobilitätswelt insgesamt. Um die gegenwärtige Situation der Verkehrswege und deren Auslegung auf den Radverkehr der bestehenden Anschlussstellen des RS 1 zu untersuchen und zu vergleichen, wurden über ein GIS die Straßen um die Anschlussstelle Kleine Buschstraße und Segerothstraße in Essen betrachtet. Des Weiteren folgte eine Untersuchung der zukünftigen Anschlussstelle des RS 1 der Bessemerstraße, um Vergleichswerte mit den bestehenden Anschlussstellen zu erhalten und möglichen Handlungsbedarf zu erkennen. Als Referenzwert dieser drei Anschlussstellen wurde die Annahme, dass die niederländische Infrastruktur am besten auf den Radverkehr ausgelegt ist, anhand der Anschlussstelle des mit dem RS 1 vergleichbaren Fietssnelweg F 35 in Enschede mit der gewählten Bezeichnung Roomweg überprüft und deren Werte gegenübergestellt.

Zunächst musste ein Gebiet gewählt werden, das sowohl sinnvoll das Einzugsgebiet der jeweiligen Anschlussstellen widerspiegelt, aber nicht zu weitläufig für eine Machbarkeit im Rahmen dieser Arbeit ist, als auch immer noch eine ausreichende Größe für eine zufriedenstellende Aussagekraft und Interpretationsmöglichkeit hergibt. Mit diesem Ziel wurden alle Straßen in einem Kreis mit einem Durchmesser von zwei Kilometern um die genannten Anschlussstellen digitalisiert. Durch die Begehung vor Ort und die nachträgliche Betrachtung von aktuellen Satellitenaufnahmen, sowie der Nutzung von Informationen aus 360-Grad-Ansichten mit Straßenperspektive, konnten die digitalisierten Verkehrswege kategorisiert und eingeordnet werden.

Als bestehende Anschlussstellen des RS 1 wurden zwei Punkte in Essen, die nicht zu weit auseinanderliegen, gewählt, um eine einheitliche und vergleichbare Auswertungsgrundlage zu erhalten, welche nicht auf der Verkehrspolitik unterschiedlicher Kommunen beruht. Zudem konnte so überprüft werden, ob einheitliche Führungsformen in einer Kommune gewählt wurden. Zunächst sollten die Verkehrswege nach ihren jeweiligen zulässigen Höchstgeschwindigkeiten untersucht werden, um die, für den Radverkehr relevanten Straßen herauszufiltern. Der verkehrsberuhigte Bereich wird hier mit einer Maximalgeschwindigkeit von 10 km/h festgelegt, da es keine einheitliche Regelung gibt, wie hoch die dort erlaubte Schrittgeschwindigkeit ist. Außerdem wurden einseitig bebaute Straßen (Sackgassen) aus den darauffolgenden Berechnungen ausgeschlossen, da die Stärke und Geschwindigkeit des Kfz-Verkehrs hier nicht sehr hoch anzunehmen ist. Die im oberen Teil beschriebenen Führungsformen (siehe auch: 2.1 Klassifizierung von Führungsformen des Radverkehrs) bildeten die weitere Grundlage der Klassifizierungen und wurden vor allem auf Straßen mit der Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h untersucht. Da es sich bei den meisten Wegen mit einer Maximalgeschwindigkeit von 30 km/h um Tempo-30-Zonen handelte und hier der Ausbau von Radverkehrsanlagen nicht erlaubt ist, wurden auch diese aus den Referenzwerten ausgeschlossen. Die Notwendigkeit von Führungen des Radverkehrs auf Tempo-50-Straßen ist in den häufigsten Fällen gegeben und die Stärke von mindestens 400 Kfz/h auf zweistreifigen Straßen und somit die Untergrenze für den Belastungsbereich II (siehe Anhang Abbildung 10) kann bei fast allen dieser Wege angenommen werden. Die Überprüfung und Zählung der Verkehrsstärken auf jeder dieser Straßen wäre für eine exakte Differenzierung nötig, konnte aber in diesem Umfang nicht realisiert werden.

[...]


1 Mit der Intention eine bessere Lesbarkeit zu erreichen, wird in dieser Arbeit nicht ausdrücklich die weibliche Endung hinzugefügt, sondern immer die männliche Form genutzt. Die weibliche Form ist in jedem Fall gleichberechtigt eingeschlossen.

2 Breitstrich = 0,25 m (Deutscher Verkehrssicherheitsrat e.V. – DVR & Deutsche Studiengesellschaft für Straßenmarkierungen e.V. – DSGS 2014: 28)

3 Schmalstrich = 0,12 m (DVR & DSGS 2014: 28)

Ende der Leseprobe aus 73 Seiten

Details

Titel
Fahrradmetropole Ruhr? Eine Analyse ausgewählter Anschlussstellen des Radschnellwegs Ruhr (RS1)
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Geowissenschaften)
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
73
Katalognummer
V490107
ISBN (eBook)
9783668965966
ISBN (Buch)
9783668965973
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Radschnellweg, Fahrrad, Verkehr, Verkehrsgeographie, Infrastruktur, Radweg, Fahrradweg, Mobilität, Elektromobilität, Pedelec, E-bike, Ebike, MIV, RSW, Radinfrastruktur, Stadtgeographie
Arbeit zitieren
Johannes Berkholz (Autor:in), 2018, Fahrradmetropole Ruhr? Eine Analyse ausgewählter Anschlussstellen des Radschnellwegs Ruhr (RS1), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/490107

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