Die Vereinbarkeit des Familienwahlrechts mit dem Grundgesetz


Einsendeaufgabe, 2016

16 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

1. Bearbeitung der ersten Aufgabe

A. Zulässigkeit der abstrakten Normenkontrolle

B. Begründetheit der abstrakten Normenkontrolle

I. Formelle Verfassungsmäßigkeit

II. Materielle Verfassungsmäßigkeit

C. Fazit

2. Bearbeitung der zweiten Aufgabe

A. Zulässigkeit Organstreit

B. Zulässigkeit Verfassungsbeschwerde

C. Fazit

In einer Aufgabenstellung strebt ein Arbeitskreis die Anfechtung einer bereits beschlossenen Einführung des Familienwahlrechts an.

Frage 1: Wozu würden Sie dem Arbeitskreis raten?

Der Arbeitskreis könnte nach Art. 93 I Nr. 2 GG eine abstrakte Normenkontrolle anstreben. Dies wäre das einzige Verfahren, bei dem der Arbeitskreis vor dem Bundesverfassungsgericht die Einführung des Familienwahlrechts verhindern könnte.

Der Antrag hätte Aussicht auf Erfolg, wenn er zulässig und begründet wäre.

A.Zulässigkeit

Zunächst ist die Zulässigkeit des möglichen Antrags zu prüfen. Diese wäre bei korrekter formaler Ausarbeitung gegeben, wenn eine Antragsberechtigung, ein tauglicher Prüfungsgegenstand, ein objektives Klarstellungsinteresse und ein triftiger Antragsgrund vorliegen würden.

I.Zuständigkeit des Bundesverfassungsgericht

Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich aus § 13 Nr. 6 BVerfGG.

II.Antragsberechtigung

Der Arbeitskreis setzt sich aus insgesamt 159 Bundestags-Abgeordneten zusammen. Inklusive der 32 Überhangmandate besteht der Bundestag folglich aus 630 Mitgliedern. Somit macht der Arbeitskreis exakt 25 Prozent des gesamten Bundestages aus. Damit ist der Arbeitskreis nach § 76 I BVerfGG antragsberechtigt.

III.Prüfungsgegenstand

Beim zu prüfenden Gegenstand handelt es sich um die geplante Änderung des Bundeswahlgesetzes. Damit erfüllt es die Vorgaben aus §§ 13 Nr. 6, 76 I BVerfGG, wonach sämtliche Rechtsnormen bei einer abstrakten Normenkontrolle in Frage kommen. Ferner darf das Gesetz noch nicht in Kraft getreten sein. Das Gesetz ist laut Sachverhalt bereits vom Bundespräsidenten ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet worden. Da sich der Arbeitskreis jedoch „unmittelbar im Anschluss“ zusammenschloss, ist davon auszugehen, dass nach Art. 82 II GG noch keine zwei Wochen bis zum Inkrafttreten des Gesetzes verstrichen sind. Damit ist das zu prüfende Familienwahlrecht ein tauglicher Prüfungsgegenstand.

IV.Objektives Klarstellungsinteresse

Da es sich um ein objektives Beanstandungsverfahren handelt, ist nach ständiger Rechtsprechung als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung ein Klarstellungsinteresse des Antragsstellers erforderlich. Ein solches ergibt sich aus der Antragsbefugnis.

V.Antragsgrund

Beim Antragsgrund sind vom Gesetzgeber aus zwei verschiedene Möglichkeiten festgeschrieben. Die erste Möglichkeit ergibt sich aus Art. 93 I Nr. 2 GG, in der die Hürde, wonach ein valider Antragsgrund vorliegen muss, durch die Zweifel an formeller oder materieller Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes etwas geringer ausfällt als bei der zweiten Möglichkeit. Diese ist in § 76 I Nr. 1 BVerfGG festgehalten und setzt voraus, dass der Antragssteller von der Nichtigkeit eines Gesetzes überzeugt sein muss. Laut Sachverhalt möchte der Arbeitskreis eben diese Nichtigkeit des Gesetzes vom Bundesverfassungsgericht festgestellt wissen. Somit ist die Voraussetzung des § 76 I Nr. 1 BVerfGG erfüllt. Folglich ist ein valider Antragsgrund gegeben.

VI.Form

Der Antrag muss gemäß § 23 I BVerfGG schriftlich erfolgen und mit einer Begründung versehen sein. Es ist davon auszugehen, dass der Arbeitskreis dies ordnungsgemäß abwickelt.

VII.Ergebnis

Ein Antrag des Arbeitskreises wäre zulässig.

B. Begründetheit

Der Antrag wäre begründet, wenn das zu überprüfende Familienwahlrecht in formeller oder in materieller Hinsicht nicht mit dem Grundgesetz vereinbar wäre.

I.Formelle Verfassungsmäßigkeit

Das Familienwahlrecht wäre formell verfassungsmäßig, wenn die Gesetzgebungskompetenz beim Bund liegen würde und das Verfahren der Gesetzgebung ordnungsgemäß ablaufen würde.

1.Gesetzgebungskompetenz

Dass die Gesetzgebungskompetenz für das Bundeswahlgesetz beim Bunde liegt, wird zwar nicht ausdrücklich in den Artikel 70-74 GG geregelt, ergibt sich aber aus Art. 38 III GG unter der Voraussetzung der Art. 30, 70 I GG. Der Bund hat hier folglich die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz.

2.Gesetzgebungsverfahren

Das Gesetzgebungsverfahren wäre bei korrekter Ausfertigung durch den Bundespräsidenten und Bundesregierung und Verkündung im Bundesgesetzblatt erfolgreich, wenn die Gesetzesinitiative auf die richtige Art und Weise in den Bundestag eingebracht wurde, der Bundestag mit Mehrheit das Gesetz beschließen und der Bundesrat einen Einspruch verweigern respektive seine Zustimmung zum Gesetz bekennen würde .

a) Einleitungsverfahren: Gesetzesinitiative

In Art. 76 I GG ist festgelegt, dass eine entsprechende Gesetzesinitiative durch die Bundesregierung, der Mitte des Bundestages oder dem Bundesrat in den Bundestag eingebracht werden kann. Letzteres ist laut Sachverhalt deutlich nicht der Fall. Auch die Bundesregierung verfolgt eine Gesetzesinitiative aufgrund „verfassungsrechtlicher Bedenken“ nicht weiter. Dadurch, dass Dr. A, Prof. B und Gräfin C 27 weitere Abgeordnete um sich scharen, kommt die Gesetzesinitiative somit aus der Mitte des Bundestages. Dieser Fall ist in § 76 I GOBT näher geregelt. Insgesamt bringen den Gesetzesentwurf 30 Abgeordnete ein. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden - da im Sachverhalt nicht ausdrücklich erwähnt - dass die Abgeordneten einer Fraktion angehören oder diese vollständig repräsentieren. 30 Mitglieder machen vom 630 Mitglieder fassenden Bundestag insgesamt „nur“ rund 4,7 Prozent aus. Um eine Gesetzesinitiative einzubringen, benötigt man aber mindestens fünf Prozent der Stimmen. Daher wären die Abgeordneten um Dr. A, Prof. B und Gräfin C nicht berechtigt gewesen, eine entsprechende Gesetzesinitiative im Bundestag einzubringen. Es hätten mindestens 32 Abgeordnete sein müssen, die den Gesetzesentwurf einbringen, um die erforderlichen fünf Prozent Stimmenanteil zu erreichen.

aa) Ergebnis

Das Gesetz ist formell verfassungswidrig und damit nichtig. Das mögliche Verfahren einer abstrakten Normenkontrolle hätte daher gute Aussichten auf Erfolg. Eine weitere Prüfung erfolgt in hilfsgutachterlicher Form.

Hilfsgutachten

b) Hauptverfahren: Beschlussfassung durch den Bundestag und Beteiligung des Bundesrats

Im Hauptverfahren der Gesetzgebung hätte das Gesetz eine hohe Chance auf ein Zustandekommen, wenn der Bundestag das Gesetz korrekt und rechtmäßig beschließen und der Bundesrat selbiges ebenfalls absegnen würde.

aa) Gesetzesbeschluss des Bundestages

Das Gesetz wäre seitens des Bundestages korrekt beschlossen, wenn der Bundestag überhaupt beschlussfähig gewesen wäre und der Gesetzesbeschluss schließlich im Bundestag durchgesetzt werden kann. Dies ist in Art. 77, 78 GG sowie in §§78 ff. GOBT festgelegt.

aaa) Beschlussfähigkeit des Bundestages

Gemäß § 45 I GOBT ist der Bundestag beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend sind. Dies war laut Sachverhalt mit insgesamt 240 von möglichen 630 Mitgliedern deutlich nicht der Fall. Hier hätten die Mitglieder des Arbeitskreises von ihrem Einspruchsrecht nach § 45 II GOBT Gebrauch machen müssen, um die Beschlussunfähigkeit des Bundestages feststellen zu lassen, was jedoch innerhalb des Bundestages als äußerst unfein gilt1. Dies haben sie laut Sachverhalt jedoch nicht getan. Da die fehlende Beschlussfähigkeit zu Sitzungsbeginn nicht gerügt wurde, war der Bundestag damit trotz zu weniger anwesender Bundestagsmitglieder de lege befugt, das Gesetz zu beschließen. Somit hat der Arbeitskreis-Vorsitzende in seiner Argumentation zwar Recht, hätte es jedoch mit einer öffentlichen Bezweiflung der Beschlussfähigkeit auch geltend machen müssen. Eine nachträgliche Rüge ist nicht möglich.

bbb) Gesetzesbeschluss

Das Gesetz wäre nach § 86 GOBT im Sinne von Art. 77 I GG und Art. 42 II GG beschlossen, wenn die Mehrheit der abgegebenen Stimmen nach der dritten Lesung für das Gesetz stimmen würde. Die dritte Lesung kann, entgegen der Annahme des Arbeitskreis-Vorsitzenden, auch unmittelbar nach der zweiten Lesung stattfinden, vorausgesetzt in dieser hätte es keine erfolgreichen Änderungsanträge zum Gesetz mehr gegeben2. Da im Sachverhalt nicht anders beschrieben, ist von diesem Umstand auszugehen. Hier lag der Arbeitskreis-Vorsitzende mit seiner Erwartung, dass die dritte Lesung „später“ stattfinden würde, schlichtweg falsch. Entweder kannte er die entsprechende Norm (§ 84a GOBT) nicht oder hatte darauf spekuliert, dass jemand anderes in der zweiten Lesung einen Änderungsantrag zum Gesetz stellt. Dann wäre die dritte Lesung gemäß § 84b GOBT zwei Tage nach Verteilung der Drucksache erfolgt. Dieses naive Handeln wäre einem Bundestagsabgeordneten jedoch eigentlich nicht zuzutrauen. Das Gesetz wurde vom Bundestag mit 80 Ja-Stimmen, 60 Nein-Stimmen und 100 Enthaltungen beschlossen, also mit einer „einfachen Mehrheit“3 beschlossen. Entgegen der Meinung des Arbeitskreis-Vorsitzenden sind die Enthaltungen hier nicht als „Verweigerung der Zustimmung“ zu werten, sondern werden bei der Auszählung der Stimmen nicht mitgezählt4. Damit liegt ein rechtmäßiger Gesetzesbeschluss vor.

bb) Beteiligung des Bundesrates und Zustandekommen des Gesetzes

Im nächsten Schritt muss das Gesetz nun dem Bundesrat zugeleitet werden, der je nachdem ob ein Einspruchs- oder Zustimmungsgesetz vorliegt, darüber entscheiden kann, ob das Gesetz zustande kommt oder nicht.

aaa) Unterscheidung von Einspruchs- und Zustimmungsgesetz

Da im Grundgesetz in der betreffenden Vorschrift (Art. 38 GG) nicht explizit angeordnet wird, dass der Bundesrat dem Gesetz zustimmen muss, handelt es sich bei dem Familienwahlrecht um ein Einspruchsgesetz.

bbb) Verfahren vor dem Bundesrat

Nach dem Gesetzesentwurf des Bundestages muss das Gesetz gemäß Art. 77 I GG dem Bundesrat zugeleitet werden.

(1) Zustimmung des Bundesrats

Der Bundesrat macht gemäß Art. 77 IIa GG von seinem Zustimmungsrecht Gebrauch. Das Verfahren wäre erfolgreich, wenn die Mehrheit der 69 Bundesrats-Mitglieder für das Gesetz - also mit Ja -stimmen würde. Dieses fällt mit 35 Ja-Stimmen ganz knapp zugunsten des Gesetzes aus. Da es sich hier jedoch nicht um ein Zustimmungsgesetz, sondern um ein Einspruchsgesetz handelt, war eine Abstimmung über das Gesetz seitens des Bundesrats überflüssig.

(2) Nichteinlegung des Einspruchs innerhalb der Frist des Art. 77 III GG

Da im Sachverhalt nicht anders beschrieben, ist davon auszugehen, dass der Bundesrat keinerlei Einspruch erhebt. Dies geht auch aus dem positiven Ergebnis der eigentlich unnötigen Abstimmung hervor.

(3) Ergebnis

Damit ist das Gesetz nach den Bestimmungen des Art. 78 GG zustande gekommen.

c) Ausfertigung und Verkündung

Das Abschlussverfahren bei der Gesetzgebung beinhaltet die Gegenzeichnung durch die Bundesregierung gemäß Art. 58 GG sowie deren Ausfertigung durch den Bundespräsidenten nach Art. 82 I GG.

aa) Gegenzeichnung durch die Bundesregierung

Die im Sachverhalt beschriebene Gegenzeichnung durch die Bundesregierung erfüllt die Voraussetzungen des Art. 58 GG.

bb) Ausfertigung und Verkündung im Bundesgesetzblatt

Dem Bundespräsidenten steht bei der Ausfertigung des Gesetzes kein politisches, in extrem krassen Fällen ein materielles und prinzipiell ein formelles Prüfungsrecht zu5. Da dem Gesetz jedoch ein klarer Verstoß gegen § 76 I GOBT (siehe hierzu 2a: Gesetzesinitiative) und damit eine formelle Verfassungswidrigkeit vorausging, hätte der Bundespräsident die Ausfertigung des Bundeswahl-Änderungsgesetzes verweigern müssen. Die von ihm im Sachverhalt geäußerte Vermutung, das Verfahren wäre „ordnungsgemäß durchlaufen und abgeschlossen“ worden, ist falsch. Durch diese fälschliche Ausfertigung des Bundespräsidenten und dadurch folgende Ausfertigung im Bundesgesetzblatt besteht eine weitere formelle Verfassungswidrigkeit.

d) Gesamtergebnis

Die Einführung des Familienwahlrechts ist durch die falsch zustande gekommene Gesetzesinitiative, der überflüssigen Abstimmung im Bundesrat und der fälschlichen Ausfertigung durch den Bundespräsidenten formell verfassungswidrig und damit nichtig. Eine weitere Prüfung der materiellen Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes erfolgt daher erneut in hilfsgutachterlicher Form.

II.Materielle Verfassungsmäßigkeit

Inhalten mit dem Grundgesetz und den grundlegenden Die Einführung des Familienwahlrechts wäre materiell verfassungsmäßig, wenn es in seinen Inhalten mit dem Grundgesetz und den grundlegenden Staatsstrukturprinzipien in Art. 20 respektive Art. 79 III (sog. Ewigkeitsgarantie) vereinbar wäre.

[...]


1 Dies erklärte Prof. Dr. Volker Haug in der Beifach-Vorlesung „Staatsrecht“ an der Uni Mannheim, konkrete literarische Belege konnte der Autor jedoch nicht finden.

2 Und damit keine Änderung der Drucksache vgl. Haug, Öffentliches Recht, S. 116.

3 Meier, Die Mehrheit, Zur Geschäftsordnung 2011,157 ff.

4 Gröpl, in: Gröpl, von Coelln, Windthorst, GG, Art. 42 S. 508 f.

5 Haug, Öffentliches Recht, S. 100.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die Vereinbarkeit des Familienwahlrechts mit dem Grundgesetz
Hochschule
Universität Mannheim
Note
2,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
16
Katalognummer
V489918
ISBN (eBook)
9783668974531
ISBN (Buch)
9783668974548
Sprache
Deutsch
Schlagworte
vereinbarkeit, familienwahlrechts, grundgesetz
Arbeit zitieren
Philipp Durillo Quiros (Autor:in), 2016, Die Vereinbarkeit des Familienwahlrechts mit dem Grundgesetz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/489918

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