Wolfgang Borcherts Kurzgeschichte "Nachts schlafen die Ratten doch" als typisches Beispiel der Trümmerliteratur


Hausarbeit, 2016

13 Seiten, Note: 1,7

Anonym


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Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Wandel der deutschen Literatur ab 1945
2.1 Die Kurzgeschichte als Modell für die Trümmerliteratur
2.2 Die Multifunktionalität des Negativen
2.3 Das Negative als Katalysator für neue Handlungsweisen
2.4 Die Grundstruktur der Borchert-Geschichten
2.5 Die junge Generation aus der Sicht von Borchert

3. Untersuchung der Kurzgeschichte „Nachts schlafen die Ratten doch“
3.1 Inhalt der Kurzgeschichte
3.2 Struktur der Kurzgeschichte
3.3 Leblosigkeit vs. Lebendigkeit
3.4 Kind- vs. Erwachsensein
3.5 Der Kernsatz der Kurzgeschichte

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

[...] es war Krieg gewesen, sechs Jahre lang, wir kehrten heim aus diesem Krieg, wir fanden Trümmer und schrieben darüber. Merkwürdig, fast verdächtig war nur der vorwurfsvolle, fast gekränkte Ton, mit dem man sich dieser Bezeichnung [Trümmer-literatur] bediente. […] man schien uns zwar nicht verantwortlich zu machen dafür, daß Krieg gewesen, daß alles in Trümmern lag, nur nahm man uns offenbar übel, daß wir es gesehen hatten und sagten, aber wir hatten keine Binde vor den Augen und sahen es: ein gutes Auge gehört zum Handwerkszeug des Schriftstellers.1

„1945 war für die deutsche Literatur ein neuer Anfang.“2 Der Nationalsozialismus war zu- sammengebrochen, geflohene Autoren kehrten zurück in ihr Heimatland und der Einzug der Siegermächte führte zur Expansion deren Literatur. Diese hatte einen großen Einfluss auf die westdeutsche literarische Kunst. Doch zum Vorschein kam auch etwas völlig Neu-artiges. Hierbei ging es um Heimkehrer, die weder vergessen konnten, noch wollten, was ihnen im Krieg widerfahren war. Aufgrund des Inhalts und Stils, wurden ihre ersten litera-rischen Werke nach 1945 mit „Trümmerliteratur“ betitelt.3 Denn kennzeichnend hierfür ist vor allem die negative Atmosphäre, die durch das Nacherzählen von Kriegsereignissen und das Schildern von Kriegsorten entstand.4 Da es sich bei den meisten Autoren um junge Männer drehte, die nach dem Krieg festgehalten wurden oder heimkehrten, trugen diese den Namen „die junge Generation“.

Einer der bekanntesten Autoren der Trümmerliteratur war Wolfgang Borchert. In der vorliegenden Seminararbeit möchte ich mich deshalb einer seiner Kurzgeschichten widmen. Da mich „Nachts schlafen die Ratten doch“ beim ersten Lesen besonders er-griffen hat, werde ich diese Geschichte etwas genauer betrachten. Anhand seiner Kurz-geschichte soll beispielhaft dargestellt werden, warum es sich hier um ein typisches Werk der Nachkriegsliteratur handelt. Dabei wird zuerst ein grober Hintergrund über ver-schiedene Merkmale der Trümmerliteratur geschaffen und im Anschluss erarbeitet, ob und wie sich diese in dem zu untersuchenden Werk wiederfinden lassen. Die wohl größte Rolle werden dabei die Negativität und die Entwicklungsprozesse spielen, die der Protagonist durchlebt.

2. Der Wandel der deutschen Literatur ab 1945

Mit dem Ende des zweiten Weltkriegs begann in Deutschland die Verbreitung der Literatur der Siegermächte. So beeinflussten beispielsweise die Werke der amerikanischen Schrift-steller Faulkner und Hermingway und die der französischen Autoren Camus und Sartre spürbar die westdeutsche Literatur.5 Hinzu kamen die Kriegsheimkehrer, die versuchten ihre Erlebnisse in ihren Schriften zu verarbeiten. Sie – die junge Generation – stellte ihre Erfahrungen nicht harmloser dar, als sie sich ereignet hatten. Es wurde über die Folgen des Krieges, das Leben in Ruinen, Hunger und Tod geschrieben, wodurch die Negativität an Oberhand gewann.6,7 Doch die junge Generation wollte dadurch noch etwas anderes er-reichen: sie „hofften […] eben jenen ,Prozeß der Weltwende‘ zu fördern, um dadurch eine neue, hoffnungsvollere Zukunft näherzubringen.“8

2.1 Die Kurzgeschichte als Modell für die Trümmerliteratur

„[...] der Mensch […], der nichts hat als seine nackte Existenz“9, sollte das Zentrum der Trümmerliteratur bilden. Es tauchten viele Eigenschafen auf, die für die amerikanische „short story“ typisch waren. Zum Beispiel zeichnen sich Werke durch Karg- und Einfach-heit aus, sie sind angelehnt an realitätsnahe Erlebnissen aus dem Alltag, dargestellte Fi-guren sind oft typisiert und der Erzähler bleib meist teilnahmslos. Hierbei handelt es sich nicht um Einzelfälle, ganz im Gegenteil. Der Großteil der deutschen Nachkriegsautorinnen und -autoren wendete sich der Adaptation der „short story“ zu. Hierzu zählen neben Bor-chert und Böll unter anderem Elisabeth Langgässer, Ilse Aichinger und Marie Luise Kasch-nitz. Schließlich passten sie sich somit zeitgemäßeren Schreibstilen an, zu welchen ihnen ein früherer Zugang aufgrund des Nationalsozialismus verwehrt wurde. Verschiedene Au-toren vergrößerten die Vielfalt der Gattung der Kurzgeschichte und die Aufnahme dieser als feste Komponente in Literaturzeitschriften sorgte für die Ausbreitung der „neuen“ Pro-saform. Außerdem kam die Kurzprosa der Nachkriegszeit, in der höchste Papierknappheit vorherrschte, entgegen. Denn kürzere Werke ließen sich wesentlich einfacher veröffent-lichen als ellenlange Erzählungen und Romane.10

2.2 Die Multifunktionalität des Negativen

Neben vielen Eigenschaften der Kurzgeschichte weist die Trümmerliteratur vor allem eines auf: eine grundsätzlich negative Atmosphäre. Wie bereits erwähnt, kam diese vor allem da-durch zustande, dass sich Inhalte dieser Werke auf das Nachzeichnen von Umständen der Nachkriegszeit beschränkten. Die Absicht, welche die junge Generation damit verfolgte, war die Verbreitung von Hoffnung auf den Beginn von etwas Neuem. Sie sahen die Multi-funktionalität des Negativen. Es diente als Grundlage des Werks, als Ort der Handlung und als Auslöser für neue Handlungsweisen der Menschen. Keiner sollte vor der Realität die Augen verschließen. Ziel war es, die Menschen mit den Konsequenzen des Krieges zu konfrontieren und mit der „endgültigen Zerstörung des Alten“11 in Form der Trümmer den Beginn einer neuen Zeit zu verkünden.12

Und als sich mit dem zu Ende gehenden Krieg alles als falsch, ja als böser Wahnsinn erwies, wollten sie es nicht mehr wahrhaben. Sie verdrängten es. […] Die Menschen waren einfach erschöpft […] Aber es fielen keine Bomben mehr […] Jetzt sollte eine neue Zeit beginnen. Der Krieg war aus, man hatte ihn überlebt, das war die Haupt-sache.13

Indem sich die Menschen klar darüber werden sollten, dass der Krieg und die Angst nun hinter ihnen lagen, sollte die vorherrschende Trägheit bekämpft und der Wille nach einem Neuanfang gestärkt werden.

2.3 Das Negative als Katalysator für neue Handlungsweisen

Nun weist ein Großteil der Literatur der jungen Generation als Ausgangspunkt ein nega-tives (Kriegs-)Ereignis auf. Daraufhin treffen in der Regel zwei Menschen aufeinander, von denen meist einer – es können auch beide sein – von ihrer Umwelt abgeschnitten sind. Die beiden haben durch humanen Kontakt zueinander die Option sich gegenseitig zu hel-fen, um aus ihrer Misere zu entkommen. In diesem Fall fungiert das Negative als Auslöser oder sogenannter Katalysator. Dieser soll Hoffnung auf die Überwindung des Leids und auf neue Verhaltensweisen erzeugen. Folglich kann das Aufeinandertreffen der beiden Per-sonen drei Ausgänge nehmen:14

Beim ersten möglichen Ausgang, den die Geschichte nehmen kann, handelt es sich um keinen „guten“ Ausgang. Hier sind die Figuren zu sehr in ihren bisherigen Handlungsweisen verharrt. Sie können oder wollen sich nicht davon lösen, sodass bei ihrer Begegnung nichts geschieht. Die zweite Möglichkeit beinhaltet eine Person, die erneut nicht dazu bereit ist sich von der Vergangenheit zu lösen, während die andere Person bereit dazu ist sich an einem neuen Verhalten zu probieren. Erneut kann sich kein neues, durch Hoffnung gekennzeichnetes Verhältnis zwischen einem Ich und einem Du bilden. Be-trachtet man die Bandbreite von Werken, so fällt auf, dass die ersten beiden Möglichkeiten am häufigsten auftreten. Dementsprechend ist es den Figuren zumeist nicht möglich ihr Leid der Vergangenheit oder auch politische und moralische Werte abzulegen. Die „neue“ Handlungsweise wird in unterschiedlich frühen oder späten Stadien abgebrochen, die nur der Leser identifizieren kann. Nur ihm ist es möglich festzustellen, inwieweit dem Men-schen ein Prozess, der zu einem positiven Ende geführt hätte, gelungen ist. Obwohl diese beiden ersten Ausgänge keine Adaptation neuer Lebensstile mit sich bringen, regen gerade sie eine Auseinandersetzung des Lesers mit den möglichen Ursachen des Missglückens an. Denn ein positives Ende kann schnell als belanglos empfunden werden. Schlussendlich gibt es noch ein drittes Ende, welches eintreten kann. In diesem Fall gelingt es beiden Individuen ihre alte Lebensart abzulegen und den menschlichen Kontakt zu riskieren. Ein solches Ende findet sich eher selten in der Trümmerliteratur vor. Schließlich war die junge Generation skeptisch gegenüber patenter Antworten. Nichtsdestotrotz gelingt hier das durch Hoffnung gekennzeichnete Verhältnis zwischen einem Ich und einem Du, nachdem sich erfolgreich von alten Wertsystemen getrennt wurde.15

2.4 Die Grundstruktur der Borchert-Geschichten

Repräsentativ für speziell Borcherts literarische Nachkriegswerke – in Form von Kurz-prosa – ist eine stets wiederkehrende Grundstruktur. Charakterisierend hierfür ist ein Vor-gang, der einen Anfangs-, Übergangs- und Endzustand beinhaltet.16

Während sich der Protagonist zu Beginn noch in einem (scheinbar) unbeschwerten An-fangszustand befindet, erreicht er im Übergangszustand ein Stadium des Ausgestoßenseins und der Disharmonie. Das Endstadium zeichnet sich dann durch eine unschlüssige Haupt-person aus, dessen Rückkehr zur (scheinbaren) Harmonie durch die Unterstützung von weiteren Figuren nahezu unmöglich erscheint. Da es sich hierbei nur um ein theoretisches Muster handelt, müssen Aufbau und Ablauf der Kurzgeschichte nicht immer mit diesem konform gehen. Beispielsweise beginnen viele Geschichten Borcherts mit dem leidenden Übergangszustand, in dem sich die Hauptfigur befindet und Anfangs- und Endzustand lassen sich oft – wenn überhaupt – nur aus dem Kontext erschließen oder erahnen.17

2.5 Die junge Generation aus der Sicht von Borchert

Wolfgang Borchert war einer der ersten Autoren, der aussprach, was viele Heimkehrer erlebt hatten. Seine in der Kurzprosa auftauchenden Figuren, machten eine direkte Identifikation möglich. Denn er schrieb sowohl über Tote, als auch über Lebende und nahm kein Blatt vor den Mund. Er konfrontierte die Leser mit vergangenen Erlebnissen, vor denen die Menschen ihre Augen verschlossen hatten. Doch das wichtigste Anliegen war Hoffnung zu verbreiten. Hoffnung auf mögliche Wege hin zu einer besseren Zeit. Genau an dieser Hoffnung bedurfte es nämlich der jungen Generation. So formulierte Borchert einst:18

Wir sind die Generation ohne Bindung und ohne Tiefe. Unsere Tiefe ist Abgrund. Wir sind die Generation ohne Glück, ohne Heimat und ohne Abschied, unsere Sonne ist schmal, unsere Liebe grausam und unsere Jugend ist ohne Jungend. Und wir sind die Generation ohne Grenzen, ohne Hemmung und Behütung – ausgestoßen aus dem Laufgitter des Kindseins in eine Welt, die die uns bereitet, die uns darum verachtet.19

Borchert fand sich mit der Jugend von damals verbunden und half ihnen ihrem Schicksal entgegenzutreten. Auch wenn seine literarischen Figuren oft hoffnungslos und isoliert sind, sollen sie sowohl die dargestellten Charaktere der Geschichte, als auch die Rezipienten des zum Denken und Handeln bewegen.20

3. Untersuchung der Kurzgeschichte „Nachts schlafen die Ratten doch“

Nachdem nun ein grober Überblick über die literarische Situation nach dem zweiten Weltkrieg geschaffen wurde, soll im Folgenden – mithilfe der im Vorhinein vorgestellten Merkmale – Borcherts Kurzgeschichte „Nachts schlafen die Ratten doch“ als ein Werk der Trümmerliteratur identifiziert und bezüglich einzelner Aspekte analysiert werden.

3.1 Inhalt der Kurzgeschichte

Was den Inhalt der Kurzgeschichte betrifft, lässt sich eindeutig sagen, dass es sich hierbei um einen Text der Nachkriegs- beziehungsweise Trümmerliteratur handelt. Es tauchen drei für die Nachkriegsliteratur typische Requisiten, nämlich das Brot als Symbol für den Hun-ger, das Rauchen als Ablenkung und der Tod, auf.21

[...]


1 Joseph L. Brockington: „Ein Ja in das Nichts hineinbauen: Möglichkeiten und Formen der Hoffnung in der Literatur der Nachkriegsgeneration. Wolfgang Borchert und die ,junge Generation‘.“ In: Gordon Bur- gess/Hans-Gerd Winter (Hg.): Pack das Leben bei den Haaren. Wolfgang Borchert in neuer Sicht. Ham-burg 1996. S. 22–35, hier: S. 24.

2 Hu Zongjian: „,Trümmerliteratur‘ und ,Wundenliteratur‘ (Arcadia. International Journal for Literary Studies, 01. Jan. 1987)“. http://www.digibib.net/permalink/468/EDS/edb:103107129 (21.09.2016). S. 193.

3 Vgl. ebd., S. 193 f.

4 Vgl. Brockington: „Ein Ja in das Nichts hineinbauen“, S. 24.

5 Vgl. Hu Zongjian: „,Trümmerliteratur‘ und ,Wundenliteratur‘“, S. 193.

6 Vgl. Brockington: „Ein Ja in das Nichts hineinbauen“, S. 24.

7 Vgl. Anne-Rose Meyer: Die deutschsprachige Kurzgeschichte. Eine Einführung. Berlin 2014. S. 103.

8 Nach Brockington: „Ein Ja in das Nichts hineinbauen“, S. 24.

9 Anne-Rose Meyer: Die deutschsprachige Kurzgeschichte, S.104.

10 Vgl. ebd., S. 104 ff.

11 Brockington: „Ein Ja in das Nichts hineinbauen“, S. 25.

12 Vgl. ebd., S. 25.

13 Ebd., S. 25.

14 Vgl. ebd., S. 28 f.

15 Vgl. ebd., S. 29 f.

16 Vgl. ebd., S. 156.

17 Vgl. ebd., S. 157.

18 Vgl. Mahmoud Al-Ali: „Schuldkomplex der Heimkehrgestalt im literarischen Werk von Wolfgang Bor-chert“. In: Claudia Glunz/Thomas F. Schneider (Hg.): Krieg und Literatur/War and Literature. Jahrbuch/ Yearbook XIII (2007). Göttingen 2008. S. 104–111, hier: S. 104 ff.

19 Ebd., S. 105.

20 Vgl. ebd., S. 105 f.

21 Vgl. Hans-Gerd Winter: „Nachts schlafen die Ratten doch“. In: Werner Bellmann (Hg.): Interpretationen. Klassische deutsche Kurzgeschichten. Stuttgart 2004. S. 46–51, hier: S. 48.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Wolfgang Borcherts Kurzgeschichte "Nachts schlafen die Ratten doch" als typisches Beispiel der Trümmerliteratur
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Note
1,7
Jahr
2016
Seiten
13
Katalognummer
V489402
ISBN (eBook)
9783668966727
ISBN (Buch)
9783668966734
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Trümmerliteratur, Wolfgang Borchert, Nachts schlafen die Ratten doch, Kurzgeschichte
Arbeit zitieren
Anonym, 2016, Wolfgang Borcherts Kurzgeschichte "Nachts schlafen die Ratten doch" als typisches Beispiel der Trümmerliteratur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/489402

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