Stereotypen in "Homo faber" von Max Frisch

Handelt es sich bei Ivy, Hanna und Faber um Stereotype?


Hausarbeit, 2019

21 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Stereotype – Was ist darunter zu verstehen?

3. Die Figurenkonzeption in ,,Homo Faber. Ein Bericht“
3.1 Ivy
3.2 Hanna Landsberg
3.3 Walter Faber

4. Stereotype Tendenzen?
4.1 Mehrdimensionalität
4.2 Soziale und persönliche Funktion

5. Fazit

Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Dass Max Frischs Roman ,,Homo Faber. Ein Bericht“ von 1957 in seinen Deutungsinhalten vielschichtig ist und insbesondere Literaturwissenschaftlern die Möglichkeit bot, die unterschiedlichsten Themengebiete zu analysieren, haben vor allem die zahlreichen Rezensionen nach dem Erscheinen des Werkes gezeigt, die sich besonders mit Motiven, wie Gegensätzen von Natur und Technik, Schicksal und Zufall oder Tod und Ewigkeit auseinandersetzen.1 Jedoch erweist sich Frischs Werk nicht nur in diesen Sujets als facettenreich, sondern bietet ebenfalls ausreichend Potenzial, insbesondere die Beschaffenheit der unterschiedlichen Figuren näher in den Blick zu nehmen. Dies wurde primär von Autoren wie Chieh Chien aufgegriffen, der sich speziell auf die Rubrik des Geschlechts bezieht und detailliert das Frauenbild in Frischs Roman in den Fokus stellt. Dabei bezieht der Autor ebenfalls Überlegungen in Bezug auf das Geschlechterverhältnis ein und stellt auch Walter Faber mitsamt seines persönlichen Bildnisses von der Frau in den Vordergrund. Ebenfalls Walter Schmitz greift die Thematik des Frauenbildes in ,,Homo Faber“ auf und definiert das weibliche Geschlecht als ,,[...] Sinnbild der männlichen Irrung [...]“2, wobei er es gleichzeitig als autark beschreibt.3 Jedoch lässt sich die Figurenkonstitution nicht nur in Bezug auf das Verhältnis der Geschlechter zueinander untersuchen, ebenfalls stellt sich die Frage, ob und wenn ja inwiefern die von Max Frisch konstruierten Figuren eine Tendenz zur Stereotypisierung aufweisen. Dies soll in der folgenden wissenschaftlichen Arbeit exemplarisch untersucht werden, indem zunächst auf den Begriff des Stereotyps selbst eingegangen und dieser in seinen Facetten dargestellt wird. Im Anschluss wird versucht, insbesondere auf Basis des Romans, die Beschaffenheit der Charaktere Ivy, Hanna und Faber herauszuarbeiten, sodass anschließend mit Hilfe zweier Kriterien4 zumindest im Ansatz überprüft werden kann, ob die Figuren stereotype Tendenzen aufweisen. Einbezug in diese Überlegungen findet ebenfalls das Geschlecht, was sich in Bezug auf die Fragestellung zusätzlich als relevant erweist. Aufgrund der begrenzten Seitenzahl wird sich nicht auf jede in ,,Homo Faber“ thematisierte Figur bezogen, sondern lediglich die wichtigsten Charaktere in den Fokus genommen. Auch wenn Max Frischs Roman aus Sicht Fabers geschrieben ist und er dementsprechend auch die Figur ist, von der der Leser am meisten erfährt, beginnt das dritte Kapitel mit der Beschreibung Ivys, worauf Angaben über Hanna und Faber folgen. Dieser Aufbau wurde bewusst gewählt, da bei der Bezugnahme auf Walter Faber so bereits einige zuvor erläuterte Aspekte aufgegriffen werden können und dieses Unterkapitel somit inhaltlich einen nicht zu großen Umfang einnimmt. Zu der Auswahl der Figuren lässt sich sagen, dass Fabers Tochter Elisabeth Piper in der Figurenanalyse bewusst weggelassen wird, da zum einen der Umfang der Arbeit beachtet werden muss, zum anderen ist insbesondere eher der Kontrast zwischen Ivy und Hanna von großer Relevanz.

2. Stereotype – Was ist darunter zu verstehen?

Im Folgenden sollen zunächst, wie einleitend bereits geschildert wurde, einige definitorische Ansätze des Stereotyps aufgeführt werden.

Bereits Walter Lippmann befasste sich in den 60-er Jahren mit einer Definition des Begriffs ,,Stereotyp“ und umschrieb diesen mit der Erklärung, dass vor allem ,, […] Bilder in unseren Köpfen [...]“5 dieses Lexem spezifizieren. Ebenso begreift er ,,Stereotype“ als ,,[...] vorgefaßte Meinungen [...]“6, die unbewusst auf unsere Wahrnehmungen übertragen werden, ohne dass bereits Erfahrungen in bestimmten Kontexten gemacht wurden.7 Darauf aufbauend wurde der Begriff in seinen Eigenschaften weiterhin analysiert und ebenfalls immer detaillierter elaboriert. So fügt zum Beispiel Natalia Daniliouk hinzu, dass die Entstehung von Stereotypen vor allem auf langfristige historische, als auch soziale Prozesse zurückzuführen ist, weshalb vor allem die Tatsache hervorzuheben sei, dass Stereotype nahezu kaum abänderbar sind und somit eine Resistenz gegen Veränderungen aufweisen.8 Ebenfalls hebt die Autorin, wie auch Martina Thiele, das generalisierende und zugleich typisierende Naturell von Stereotypen hervor, da bestimmte Merkmale einer sozialen Gruppe zugeschrieben werden oder – im umgekehrten Fall – diese soziale Gruppe ,,[...] zum alleinigen Träger von eigentlich für alle Menschen typischen (negativen) Eigenschaften [...]“9 erklärt wird.10 Volker Trommsdorff knüpft daran an und bezeichnet Stereotype in Gleichsetzung mit Vorurteilen als undifferenzierte Einstellungen, die ohne jegliche Reflexion weitergegeben und übernommen werden. Auch er hebt den negativen Charakter von Stereotypen hervor und weist darauf hin, dass sie aufgrund der fehlenden Reflexion häufig als mangelhaft belegt angesehen werden. Franziska von Stetten erweitert diese Definition mit dem Hinweis, dass die Intensität der jeweiligen Stereotypisierung davon abhängig sei, welche (kognitive) Distanz zu einer sozialen Gruppe herrscht. Konkret bedeutet dies, dass eine Stereotypisierung einer Gruppe generalisierender und unspezifischer ausfällt, wenn eine größere Distanz zu ihr herrscht.Ebenfalls ist für sie entscheidend, dass Stereotypen nicht nur innerhalb eines bestimmten sozialen Umfeldes entstehen, ebenfalls betont von Stetten, dass sie sich auch in ihren Inhalten an dem jeweiligen sozialen Kontext orientieren.11 Eine weitere wichtige Eigenschaft in Bezug auf konkrete Inhalte betrifft die immer vorhandene Bewertung bei Stereotypen, die zwar den meisten Forschungsbefunden zufolge häufig negativ ausfällt, jedoch ebenfalls einen positiven Charakter aufweisen kann.12 An dieser Stelle kann die von Jens Eder aufgestellte dritte Kategorie des Stereotyps erwähnt werden, die für ihn einen ideologischen Aspekt einschließt. Zwar fasst er das Lexem ,,[...] in der Terminologie der Sozialpsychologie [...]“13 als wertneutrale Einheit auf, betont jedoch die Entstehung einer Praxis sozialer Herrschaft, wenn eine ideologische Komponente hinzukommt. Somit bezeichnet Eder Stereotype als ,,[...] soziale Schemata [...]“14, die häufig nicht der Realität entsprechen und in gewissermaßen Einfluss auf die gesellschaftliche Machtverteilung nehmen.15 Somit repräsentieren Stereotypen also weitestgehend bestimmte Ideologien oder Wertesysteme und geben zum Teil Aufschluss über Hierarchien, soziale Beziehungen oder Herrschaftsverhältnisse innerhalb einer Gesellschaft.16

Stereotype können sich in ihrem Bezug auf eine Vielzahl von Gruppen oder Merkmale beschränken, wie beispielsweise auch auf das Geschlecht selbst. Diese Geschlechtsstereotype haben Thomas Eckes zufolge ein duales Naturell, da sie sich zum einen durch präskriptive Anteile, zum anderen durch sogenannte deskriptive Anteile auszeichnen. Ersteres bezieht sich nach Eckes darauf, wie die jeweiligen Geschlechter sein sollen, was auf traditionell verankerten Annahmen beruht. Somit werden dem weiblichen Geschlecht eher Eigenschaften wie Empathie und Emotionalität zugeschrieben, die Männer hingegen sollen eher einen dominanten Part einnehmen. Die deskriptiven Anteile beziehen sich hingegen auf Annahmen, welche Eigenschaften Männer und Frauen tatsächlich aufweisen. Auch hier wird die Emotionalität der Frau zugeschrieben, der Mann ,,ist“ hingegen eher durch Zielstrebigkeit und Dominanz gekennzeichnet. Während die präskriptiven Anteile bei einer Verletzung vor allem Ablehnung auslösen, bewirken die deskriptiven Anteilen dem Autoren nach eher Überraschung bei Mitmenschen, die diese Geschlechtsstereotype teilen.17

3. Die Figurenkonzeption in ,,Homo Faber. Ein Bericht“

Um eine Tendenz der Stereotypisierung im letzten Kapitel untersuchen zu können, werden zunächst die Figuren Ivy, Hanna Landsberg, als auch Walter Faber detailliert dargestellt, was insbesondere auf Basis der Primärquelle stattfindet.

3.1 Ivy

Die Figur Ivy findet bereits Erwähnung, als sich Walter Faber zu Beginn des Romans im Flugzeug befindet und zuvor den Deutschen kennengelernt hat, der neben ihm in der Maschine sitzt. Zum ersten Mal wird der Name im Zusammenhang mit der Information genannt, dass Ivy auf Faber ,,eingeschwatzt“18 habe, weil sie ihn heiraten wolle, dieser jedoch, in Ivys Wissen, ,,[...] grundsätzlich nicht heirate“, (S.7). Ivy ist Walter Fabers Geliebte, von der jedoch von Faber selbst vor ihrem eigentlichen Erscheinen ein eher nachteiliges Bild konstruiert wird. Bereits der Name Ivy, der sich aus dem Englischen mit ,,Efeu“ übersetzen lässt (S.7), deutet darauf hin, dass Faber sie als eine einnehmende Person wahrnimmt, von der er sich nur schwer befreien kann. Über den Nachnamen gibt Walter Faber keinerlei Informationen, weshalb nicht klar ist, ob dieser ihm unbekannt ist oder ob er ihn bewusst nicht nennt. Eine weitere Konkretisierung erfolgt, wenn Faber, mitten in seinen Gedanken über das Steigen des Flugzeuges, schildert: ,,Ich versuchte an Ivy zu denken – Wir stiegen“19. Das Verb ,,versuchen“ kann an dieser Stelle als ein Indiz dafür betrachtet werden, dass Faber nahezu keine Gefühle für diese Frau empfindet und so nicht an sie denken ,,muss“, sondern es ,,versucht“. Dies bestätigt sich nochmals, als Faber den Brief an sie verfasst, um ihr mitzuteilen, dass er sie nicht wiedersehen will. Nicht nur der Brief selbst, ebenfalls seine Denkweise über Ivy, die dem Leser offenbart wird, spiegelt deutlich seine Haltung ihr gegenüber wider, da er ihr nahezu unterstellt, jeden Mann heiraten zu wollen, mit dem sie etwas anfängt, was bereits erstmals andeutet, dass Faber Ivy ein hohes Maß an Naivität zuschreibt (,,[...] aber eine Art von Amerikanerin, die jeden Mann, der sie ins Bett nimmt, glaubt heiraten zu müssen.“, S.32).

Konkreter werden die Bezüge auf die Figur Ivy jedoch erst dann, wenn Faber nach dem Flugzeugabsturz in Tamaulipas wieder in New York landet. Die erste Schilderung Fabers bezieht sich auf Ivy, die ihn bereits ,,[...] an der Schranke [stellte] [...]“ (S.62) und nicht ,,[...] zu umgehen [...]“ (S.62.) war, da sie sich erkundigt habe, wann Faber am Flughafen landet. Anschließend beschreibt Faber in ausführlichem Maße, wie das ungewollte Wiedersehen in seiner Wohnung fortgeführt wird. Auch hier wird Ivy als aufdringlich beschrieben, während sich Faber selbst dessinteressiert an ihr zeigt (,,[...] dazu wieder ihre Küsse, während ich meine Post durchging“, S.62). Seine Schilderungen vermitteln eine solche Dominanz seitens Ivy, gegen die er, wie von ihm behauptet und häufig hervorgehoben, sich nicht wehren könne (,,[...] und es ekelte mich ihre Zärtlichkeit, ihre Hand auf meinem Knie, ihre Hand auf meiner Hand [...]“, S.67). Vor allem Ivys angeblich starke Neigung zur Emotionalität wird von dem Erzähler in den Vordergrund gestellt, als Faber schildert, sie sei mit einem Frottiertuch zu ihm in die Dusche gekommen, er habe sie jedoch heraus geschmissen, woraufhin sie ,,[...] mit beiden Fäusten, schluchzend [...]“ (S.62) auf ihn eingeschlagen habe, da sie Gewalt liebe. Eine weitere wichtige Schilderung über Ivy macht Faber, wenn die beiden sich trotz Fabers Unlust entschließen, gemeinsam auszugehen. Ivy habe ihr Einverständnis gegeben, ein chinesisches Restaurant zu besuchen, sei jedoch so ,,verheult“ (S.63) gewesen, dass dem Erzähler zufolge ,,[...] ein make-up unumgänglich“ (S.63) gewesen sei. Der Fokus auf Ivys Emotionalität findet sich noch häufiger in Zusammenhang mit dem Wiedersehen der beiden, da kurz bevor Faber von ihr Abschied nimmt, ein erneuter Verweis auf Ivys Ausbruch in Tränen erfolgt (,,[...] Ihr Aschenbecher war übervoll, ihr Gesicht etwas verheult.“, S.69). Darauf folgt die Beschreibung, dass Ivy sich intensiv die Haare gekämmt, ihre Wimpern gepinselt und summend ihre Fingernägel ,,[ge]malt[]“ (S.64) habe, wodurch das Bild einer Frau entsteht, die viel Wert auf ihr Äußeres legt und nahezu eitel erscheint (,,[...] kämmte sich noch immer“, S.64; ,,Ivy kämmte sich zum dritten Mal“, S.71). Zudem bezieht sich Faber immer wieder auf die Tatsache, Ivy in der Wüste nach der Notlandung einen Brief geschrieben zu haben, um ihr mitzuteilen, dass er das Verhältnis der beiden beenden wolle. Er äußert in diesem Zusammenhang sein Unverständnis dafür, dass Ivy die Nachricht dieses Briefes übergehe und so tue, als wisse sie von Nichts (,,Aber davon schien Ivy ja nichts zu wissen, daß man sich getrennt hatte!“, S.64; ,,Ich hatte ihr geschrieben, daß es Schluß ist [...]“, S.66), was gleichzeitig einen Eindruck von Naivität vermittelt. Diese Ivy zugeschriebene Charaktereigenschaft spiegelt sich ebenfalls in Fabers Behauptung ihr gegenüber wider, Flugangst zu haben, um die Schiffsreise, die er für sich geplant hatte, um eher abreisen zu können, ihr gegenüber zu begründen und ihr so den baldigen Abschied leichter zu machen (,,Ich wollte es ihr leichter machen, ich wollte nicht gemein sein.“, S.65; ,,Ich log und sagte, was ihr meinen Entschluß verständlich machte [...]“, S.65). Ivys Tendenz, laut Faber eher zur Emotionalität zu neigen und nicht wie er, Interesse an der Technik zu haben, zeigt sich vor allem an der Stelle, als Faber seinen Rasierapparat auseinander schrauben möchte, Ivy jedoch zum Ausgehen fertig ist und ihn mit dem bloßen Kommentar ,,Technology“ drängt, fertig zu werden, was er gleichzeitig als ,,verständnislos“ (S.68) und ,,spöttisch“ (S.68) wahrnimmt. Faber hebt immer wieder hervor, dass er wenig von Ivy wisse (S.69), gibt jedoch Preis, dass sie 26 Jahre alt (S.66), katholisch sei und beruflich als Mannequin arbeite (S.69), er sich jedoch nicht sicher sei, ob sie eventuell lesbisch ist. Zudem wird sie von ihm als ,,pervers“ (S.69) beschrieben, jedoch auch als ,,[...] ein herzensguter Kerl, wenn sie nicht geschlechtlich wurde [...]“, (S.69). Ein Wendepunkt in Ivys Verhalten ist vor allem an der Stelle zu erkennen, wenn sich Faber aufgrund seiner Schiffsreise von ihr verabschieden will. An dieser Stelle beschreibt Faber sie als abweisend und zurückhaltend (,,[...] wünschte mir Ivy eine glückliche Reise, ein glückliches Leben überhaupt. Ohne Kuß“, S.70). Auch im Anschluss, als Faber einen erneuten Versuch schildert, sie zu küssen, wird die Zurückhaltung Ivys geschildert, wobei erneut der Eindruck entsteht, dass diese auf ihre Traurigkeit zurückzuführen ist (,,[...] Ich küßte sie – sie verweigerte jeden Kuß“; ,,[...] drehte […] ihr Gesicht zur Seite“, S.70). Hier werden ebenfalls weitere Informationen über Ivy gegeben, jedoch lediglich oberflächliche Dinge, die ihre Optik beschreiben (,,[...] sie hatte die Figur eines Buben, nur ihre Brust war sehr weiblich, ihre Hüften schmal [...]“, S.70). Kurz vor Fabers Abfahrt äußert er außerdem, dass Ivy einen Mann habe, aus der Bronx komme und er sie zuvor für eine Kokette gehalten habe (S.73), woraufhin er sich gleichzeitig an einen Kommentar von ihr erinnerte, in dem sie sich selbst als ,,[...] ein Mädchen ohne Zukunft!“, (S.73) beschrieben habe.

3.2 Hanna Landsberg

Der Name Hanna findet in Fabers Erzählung das erste Mal Erwähnung, als er sich mit dem Rest der Besatzung kurz nach dem Flugzeugabsturz in der Wüste befindet. Faber und Hanna, eine Kunststudentin mit jüdischen Wurzeln, lernten sich Anfang der dreißiger Jahre in Zürich kennen. Nach dem Absturz von Fabers Maschine in der Wüste stellt sich im Gespräch mit Herbert Henke ziemlich schnell heraus, dass dieser der Bruder von Joachim, einem alten Freund Fabers ist und dementsprechend auch Hanna Landsberg kennt, die Joachim geheiratet hat. Das Gespräch mit Herbert scheint bei Faber einen inneren Gedankenprozess an Hanna auszulösen, da er jetzt sogar von ihr träumt (,,Ich träumte von Hanna. Hanna als Krankenschwester zu Pferd“, S.31). Fabers folgende Gedankengänge geben allmählich Aufschluss darüber, wie er ihr gegenübersteht, wobei bereits früh deutlich wird, wie er Hannas Person im Gegensatz zu seiner Geliebten Ivy wahrnimmt. Vor allem während des Verfassens des Briefes an Ivy wird dieser vorherrschende Unterschied der beiden Frauen aus Fabers Sicht besonders deutlich, da Faber konkret berichtet:,,Ich habe Hanna nicht geheiratet, die ich liebte [...]“, S. 50. Dies bestätigt sich erneut in Fabers kurz darauffolgender Schilderung, Hanna hätte damals nicht heiraten wollen (,,Im Grunde war es Hanna selbst, die damals nicht heiraten wollte; ich war bereit dazu.“, S.35), was im starken Kontrast zu dem steht, was im vorausgehenden Kapitel bezüglich Fabers Einstellung zu einer Heirat mit Ivy erwähnt wurde. Die Informationen über Hanna werden vor allem in der Rückblende Fabers detaillierter, die erfolgt, während er den Motor des Landrovers repariert und sich die Gruppe im Dschungel befindet. Hanna wird an dieser Stelle als ,,empfindlich“ (S.50) und ,,sprunghaft“ (S.50) beschrieben und von Faber als ,,Kunstfee“ und ,,Schwärmerin“ mit einem ,,[...] Hang zum Kommunistischen“ bezeichnet. Zudem charakterisiert Faber sie als ,,manisch-depressiv“, dennoch mit einem ,,unberechenbare[n] Temperament“. In diesem Gedankenprozess bezieht sich Faber auch auf die damalige Situation, indem er schildert, dass Hanna von ihm schwanger gewesen sei (,,Sie erwartete damals ein Kind“, S.51) und ihm dies mitgeteilt habe, er jedoch aufgrund der politischen Lage, als auch wegen seines Jobangebots in Bagdad nicht allzu erfreut gewesen sei und Hanna vor allem aufgrund seiner Worte:,,Wenn du dein Kind haben willst, dann müssen wir natürlich heiraten“, (S.51f.) die Beziehung mit ihm beendet habe (,,Es war Hanna, die plötzlich Schluß machen wollte [...]“, S.52). Auch anhand dieser Schilderungen lässt sich der zuvor bereits diagnostizierte Kontrast zwischen der Figur Ivy und Hanna erkennen, da die bisherigen Informationen über Hanna auf eine Figur hindeuten, die trotz ihrer Lage den Vater des noch ungeborenen Kindes verlässt und Faber hier nicht derjenige ist, der verlassen will bzw. wollte. Faber äußert außerdem, Hanna habe ihn kurz vor seiner Reise nach Bagdad zum Flughafen begleitet und ihm dort zugesichert, die ärztliche Hilfe Joachims, der Medizin studierte, in Anspruch zu nehmen. Er betont dabei außerdem:,,[...] es war ausgemacht, daß unser Kind nicht zur Welt kommen sollte.“ (S.61). Mit Blick auf die Tatsache, dass Walter Faber spätestens während seines Aufenthaltes in Lyon weiß, dass Sabeth seine Tochter ist, Hanna also dementsprechend das gemeinsame Kind ohne Fabers Wissen bekommen hat, entsteht ein Bild von Hanna Landsberg, das auf eine extrem selbstbestimmte Frau hindeutet.

Hanna und Faber sehen sich nach über 20 Jahren das erste Mal im Krankenhaus wieder, in dem Sabeth aufgrund ihres Sturzes wegen des Schlangenbisses liegt. Somit basieren Fabers Erzählungen über Hanna nicht mehr auf den zuvor verwendeten Rückblenden, sondern beschreiben seine gegenwärtigen Eindrücke von Hanna. Bei dieser ersten Begegnung entsteht ein Bild von ihr, das sich von Fabers Inhalten in den Rückblenden nochmals absetzt. Während Hanna in diesen Rückblenden von Faber noch als höchst emotional geleitet dargestellt wird, was gleichzeitig Unverständnis bei ihm hervorzurufen scheint, da es seinem rational geprägten Verhalten zur Zeit der Berichterstattung entgegensteht, wird sie bei der ersten Begegnung im Krankenhaus als neutral auftretende Figur dargestellt (,,Hanna überhaupt sehr sachlich.“, S.137). Faber zieht sogar Parallelen zu einem Mann und ordnet Hannas Auftreten somit nicht mehr in für ihn unverständliche weibliche Verhaltensweisen ein (,,Ich staunte über Hanna; ein Mann, ein Freund, hätte nicht sachlicher fragen können.“, S.137). Die Konstitution der Figur Hanna wird insbesondere bei einem Gespräch zwischen ihr und Faber nochmals detaillierter angedeutet, wobei gleichzeitig auch Fabers persönliches Bildnis der Frau selbst deutlich zum Ausdruck kommt. Er äußert dabei, Hanna habe immer das getan, ,,[...] was ihr das Richtige schien [...]“, (S.151) (ebenso ,,Ich finde es allerhand, wenn jemand ungefähr so lebt, wie er's sich einmal in den Kopf gesetzt hat.“, S.155) und drückt gleichzeitig das für ihn untypische Verhalten einer Frau mit dem Satz aus:,,[...] und das ist für eine Frau, finde ich, schon allerhand.“, (S.151). Als Faber mit Hanna am Tisch sitzt und zu Abend isst, geht es vor allem um die Frage, was zwischen Faber und Sabeth passiert ist, Faber scheint sich jedoch an alte Gespräche mit Hanna zu erinnern und gibt Einblicke in ihre nahezu matriarchalische Weltsicht. Dabei stellt sich heraus, dass Hanna sich im Verlauf ihres Lebens offensichtlich an Bildnissen des Mannes orientiert hat, den sie generell als ,,[...] Herr der Welt [...]“, (S.152) bezeichnet, die Frau hingegen als ,,[...] seinen Spiegel,“, (S.152). Sie äußert gleichzeitig Kritik an Frauen, die im Leben das Ziel verfolgen, vom Mann verstanden zu werden und erklärt dieses Leben aufgrund dieses Strebens als ,,verpfuscht“, (S.152) da der Mann nur sich selbst höre. Dieses Bildnis scheint ebenfalls den religiösen Bereich anzusprechen, da sie die Existenz eines männlichen Gottes auf die Situation der Frau bezieht, die von ihr lediglich ,,[...] als Proletarier der Schöpfung [...]“, (S.152) betrachtet wird.20

[...]


1 Vgl. Drobe, Christina: Menschsein als Selbst- und Fremdbestimmung. Eine theologische Reflexion philosophischer, literarischer und sozialwissenschaftlicher Zugänge zur Identitätsfrage, Berlin 2016, S.182.

2 Schmitz, Walter: 'Geburt' und 'Wiedergeburt': Politisch-ästhetische Mythologie der Weiblichkeit in der deutschen Gegenwartsliteratur, in: Frauen-Fragen in der deutschsprachigen Literatur nach 1945, hrsg. v. Mona Knapp/ Gerd Labroisse u.a., Amsterdam 1989 (=Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik 29), 53-82, S.64.

3 Vgl. ebd.

4,,Mehrdimensionalität“, als auch ,,soziale und persönliche Funktion“. Diese wurden, wie später noch angegeben wird, von Linda Seeger aufgestellt.

5 Lippmann, Walter: Die öffentliche Meinung, München 1964, S.9.

6 Ebd., S.68.

7 Vgl. Thiele, Martina: Medial vermittelte Vorurteile, Stereotype und ,Feindinnenbilder', in: Medien – Krieg – Geschlecht. Affirmationen und Irritationen sozialer Ordnungen, hrsg. v. Fabian Virchow/ Martina Thiele u.a., Wiesbaden 2010, 61-80, S.62.

8 Vgl. Daniliouk, Natalia: Fremdbilder in der Sprache: Konstruktion – Konnotation – Evolution. Das Russlandbild der Jahre 1961, 1989 und 2003 in ausgewählten deutschen Printmedien, Berlin 2006, S.41.

9 Ebd.

10 Vgl. ebd.; ebenso Vgl. Thiele: Vorurteile, S.62.

11 Vgl. Von Stetten, Franziska: Imageänderung Deutschlands durch die FIFA WM 2006. Stereotypen. Interkulturelle Kommunikation. Erwartungs- und Wahrnehmungsabgleich. Einflussfaktoren, Bochum 2009, S.105ff.

12 Vgl. Daniliouk: Fremdbilder, S.41.

13 Eder, Jens: Die Figur im Film. Grundlagen der Figurenanalyse, Marburg 2008, S.

14 Ebd.

15 Vgl. ebd.

16 Vgl. Von Stetten: Imageänderung, S.107.

17 Vgl. Eckes, Thomas: Geschlechterstereotype. Von Rollen, Identitäten und Vorurteilen, in: Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, hrsg. v. Ruth Becker/ Beate Kortendiek u.a., Wiesbaden 2008 (=Geschlecht & Gesellschaft 35), 171-182, S.171.

18 In den nachfolgenden Zitaten aus der Primärquelle wird die Seitenangabe hinter dem jeweiligen Zitat angegeben; Hier Vgl. Frisch, Max: Homo Faber. Ein Bericht, mit einem Kommentar von Walter Schmitz, Frankfurt am Main 1998 (=Suhrkamp BasisBibliothek 3), S.7.

19 Ebd., S.19.

20 In Anlehnung an Chien, Chieh: Das Frauenbild in den Romanen Stiller und Homo Faber von Max Frisch im Lichte der analytischen Psychologie C. G. Jungs, Frankfurt am Main 1997 (=Europäische Hochschulschriften. Reihe 1, 1648), S.237.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Stereotypen in "Homo faber" von Max Frisch
Untertitel
Handelt es sich bei Ivy, Hanna und Faber um Stereotype?
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Neuere deutsche Literatur)
Veranstaltung
Literatur des Existentialismus
Note
2,0
Autor
Jahr
2019
Seiten
21
Katalognummer
V488981
ISBN (eBook)
9783668975194
ISBN (Buch)
9783668975200
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Homo Faber, Stereotype, Max Frisch
Arbeit zitieren
Marieke Ozimek (Autor:in), 2019, Stereotypen in "Homo faber" von Max Frisch, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/488981

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