Vom 'schoenisten wîbe' zum 'guoten sündære' - Zum Wandel der Schönheitsdarstellung bei Hartmann von Aue


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung:

2. Die Schönheitslehre im Mittelalter:

3. Schönheit als Kongruenz von innerem Wesen und äußerem Zeichen:
3.1 Die Kriterien des Thomas von Aquin im „Erec“:
3.1.1 Das Kriterium der integritas/ perfectio:
3.1.2 Das Kriterium der proportio/ consonantia:
3.1.3 Das Kriterium der claritas:
3.2 Die Bildprogramme der descriptio:
3.2.1 Das lange Lied von Troja:
3.2.2 Tispe und Piramus:
3.2.3 Die vier Elemente:
3.3 Zusammenfassung zur Idealität der Schönheit im „Erec“:

4. Schönheit in der christlichen Demut:
4.1 Der hässlich/schöne Büßer Gregorius

5. Fazit

6. Bibliographie

1. Einleitung:

Als einer der ersten deutschen Autoren übertrug Hartmann von Aue gegen Ende des 12. Jahrhunderts einen französischen Artusroman und schuf so eine eigene Tradition in Deutschland. Dreh und Angelpunkt des neu entstandenen höfischen Romans ist der Artushof, von dem aus sich die Ritter auf aventiure begeben, um Ehre für sich selber und den gesamten Hof des König Artus zu erringen. Ein Merkmal dieser neuen höfischen Literatur ist es, unter vielen anderen Merkmalen, dass ihre Protagonisten immer äußerlich schön und gleichzeitig innerlich gut sind. Diese Übereinstimmung von Schönheit und Güte verblüfft zunächst, sie ist keineswegs eine genuine Erfindung der mittelalterlichen Dichter, vielmehr muss man sich zunächst die Herkunft der Schönheitslehre des Mittelalters vor Augen führen. Die Schönheitslehre ist kategorial anders definiert, als zum Beispiel moderne Ästhetiken. Auf diese Andersartigkeit geht das erste Kapitel der Arbeit ein, im Besonderen auf die Schönheitslehre des Thomas von Aquin. Er leitet die Schönheit aus der Seinslehre ab und definiert somit das Schöne als das eigentliche Prinzip der Schöpfung.

Bei der Beschäftigung mit der Schönheitslehre des Thomas von Aquin ist allerdings zu beachten, dass Thomas nicht etwa ein Lehrer, oder Vorläufer der höfischen Dichter war, vielmehr erschienen seine Traktate erst nach den zahlreichen höfischen Romanen. Man kann also nicht die Schönheitskategorien Thomas´ als Muster über den eigentlichen Text legen, vielmehr kann man die Lehre als eine Kompilation gängiger Schönheitsideale des Mittelalters (bzw. höfischer Literatur) sehen. Die Beschäftigung mit Thomas von Aquin soll am Anfang dieser Arbeit die Kategorien aufzeigen, die im Mittelalter für das Schöne galten und die als allgemein gültige Merkmale auch den Dichtern des Mittelalters bewusst waren. Die einzelnen Kategorien zur Beschreibung von Schönheit müssen sich dann jeweils am Text zeigen.

Die Kongruenz von innere Güte und äußerer Schönheit findet sich exemplarisch im ersten mittelhochdeutschen Artusroman, dem „Erec“ Hartmanns von Aue. Die Analyse einer der Schlüsselszenen, nämlich der descriptio von Enites Pferd, soll zeigen, wie der Dichter im höfischen Roman die Einheit von innerer Tugendhaftigkeit und äußerer Schönheit umgesetzt hat. Dabei wird sowohl auf die besondere Stellung der descriptio einzugehen sein, wie auch auf die vielfältigen Bildprogramme, die in die Schilderung des Sattelzeugs eingearbeitet werden und die einen fruchtbaren Zugang zur Interpretation der Schilderung bieten.

Ein konträres Schönheitsideal zu dem des höfischen Romans findet sich in einem späteren Werk Hartmanns, im Legendenroman „Gregorius“. Der Roman, der zunächst Züge eines höfischen Artusromans aufweist, zeigt schließlich in der Figur des büßenden Gregorius eine alternative Form der Schönheit. In der imitatio christi bietet der Dichter ein Konzept an, dass der äußeren Hässlichkeit die innere Schönheit der Seele entgegensetzt. Es scheint also eine Entwicklung vom Konzept des höfischen Schönheitsideal zu dem im „Gregorius“ gegeben zu haben. Wie sich dieser Wandel im Denken (und damit auch im Schreiben) Hartmanns zeigt, wird die zentrale Frage in dieser Arbeit sein.

Im Sinne der Vollständigkeit müsste man für die hier angestrebte Untersuchung alle Werke Hartmanns von Aue heranziehen, um so eine Linie im Gesamtwerk des Autors zu zeigen. Dies wird aber aus Platzgründen nicht möglich sein. Da eine genaue Datierung der Werke Hartmanns für die Forschung bisher nicht möglich war, fragt sich auch, ob diese Linie sinnvoll hergestellt werden kann. Um also zu einem brauchbaren Ergebnis zu kommen, welches sicherlich weiter zu diskutieren sein wird, beschränkt sich die Arbeit auf die beiden genannten Werke. Diese können aber als Eckpfeiler der Entwicklung Hartmanns von Aue exemplarisch für eine ganze Reihe von Werken stehen.

2. Die Schönheitslehre im Mittelalter:

Eminent wichtig für die Schönheitslehre des Mittelalters sind die philosophischen Vorgänger der Antike. Platon und Augustinus werden im 12. Jahrhundert wieder aufgegriffen und leben vor allem in der Schule von Chartres von neuem auf. Für die Schönheitslehre gilt, dass sie sich aus der Ontologie ableitet, das Schöne ist somit eine Seinskategorie. Alles in der Schöpfung wird als schön gedacht, nur wenn ein Ding seine Wesensform nicht erfüllt, kann Hässlichkeit entstehen. Dinge, die schön sind, kommen demnach ihrer Wesenform besonders nahe, hier steckt also ein erster Hinweis auf den Zusammenhang von äußerer Schönheit und innerer Güte. Dieser Hinweis wird noch bestätigt von der Aussage Thomas´, das Schöne setze sich aus den Transzendentalien bonum und verum zusammen. Das Schöne stellt also eine Relation aus Gutem und Wahrem dar.

Für seine Schönheitslehre stellt Thomas drei Kategorien auf, nach denen Dinge als schön bewertet werden. Zuerst muss ein Ding vollendet sein, es muss entweder integritas, oder perfectio in sich tragen.

Die nächste Kategorie ist die proportio, oder consonantia. Die harmonische Zusammenstimmung eines Dinges muss erreicht sein.

Die letzte Kategorie stellt die claritas dar, diese Kategorie läßt sich ebenfalls in der christlichen Theologie wiederfinden. Schon im Schöpfungsbericht spielt das Licht eine übergeordnete Rolle, indem Gott spricht „es werde Licht“ und somit die Schöpfung initiiert. Auch im weiteren Verlauf des biblischen Berichts hat das Licht eine hervorgehobene Rolle, so kommt Jesus Christus als Licht in die Welt und auch seine Nachfolger sollen Licht der Welt sein. Thomas bezieht sich in seinen Kategorien auf Pseudo Dionysios Aeropag, einen antiken Philosophen. Nach Dionysios ist einer der Namen Gottes „Der Gute“, woraus folgt, dass den Menschen durch das Licht etwas von Gottes Essenz mitgegeben wurde.

Es wurde schon in der Einleitung erwähnt, dass die Kategorien Thomas´ nicht als Nachschlagewerk vorlagen, an dem sich mittelalterliche Dichter orientierten. Schönheitstheorien hatten aber einen gewissen Stellenwert, da das Selbstverständnis der Dichter ein völlig anderes war, als in späteren Epochen. „Das Schöne als absolute Qualität [...] betrifft keineswegs zuerst die Kunst [...] vielmehr die Natur“[1], für das Selbstverständnis des Dichters folgt daraus, dass nicht wie in späteren Epochen (im Besonderen in der Romantik) die individuelle Schöpfungskraft wichtig wird, der Dichter ist vielmehr Nachahmer. In der Dichtung erschafft der Künstler schöne Menschen, Landschaften und Dinge und kann so dem Schöpfer nacheifern. Schönheit in der Literatur entsteht demnach da, wo das Dargestellte seiner Wesensform besonders nahe kommt.

3. Schönheit als Kongruenz von innerem Wesen und äußerem Zeichen:

Nachdem nun die Schönheitslehre Thomas´ erläutert wurde, folgt die Untersuchung der Schönheitsideale in den Texten Hartmanns von Aue. Dabei bezieht sich die Arbeit auf Kernszenen des jeweiligen Textes, die dann analysiert werden. Dabei soll aber auch die gesamte Erzählung nicht ausgeschlossen werden, denn in den Szenen bietet sich auch ein Zugang zur Interpretation des kompletten Textes. So hat die descriptio von Enites Pferd im „Erec“ einen resultativen Charakter. Erec hat Enite nach dem verlîgen mit auf die aventiure genommen, daraus kann man schließen, dass sich nicht nur Erec bewähren muss, sondern dass dies gleichermaßen für Enite gilt. Zu der Frage ob Enite mitschuldig ist an der Verfehlung durch das verlîgen gibt es zahlreiche Aufsätze und Interpretationsvorschläge, da diese aber vom Kern der Fragestellung dieser Arbeit wegführen, wird an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen. Es ist aber für die Szene und ihre Stellung innerhalb des Romans irrelevant, worin genau Enites Schuld besteht, denn ein anderer Aspekt ist unübersehbar: Enite hat sich durch ihre Treue bis über den Tod hinaus als die ideale Partnerin für Erec gezeigt. Wenn man dem Gedanken der Bewährung Enites folgt, so hat man bereits einen ersten Anhaltspunkt für den Sinn des Pferdegeschenks. Der Aspekt der Bewährung Enites soll später, beim Betrachten der Bildprogramme noch einmal aufgegriffen und vertieft werden.

Da Hartmann sich im Wesentlichen an die Vorlage Chrestiens de Troye gehalten hat, ist natürlich jede Stelle interessant, an der man Abweichungen von dieser Vorlage findet. Im Falle der Beschreibung des Pferdegeschenks zeigt sich allein schon durch die Länge von 500 Versen die Sonderstellung, zudem wird die Weiterführung der Handlung zu Gunsten einer ausführlichen Beschreibung ausgesetzt. Weiterhin hat Hartmann an dieser Stelle die 50 Verse Chrestiens um ein Vielfaches erweitert und einzelne Elemente verschoben. Als Beispiel sei hier das Bildprogramm von Erecs Krönungsmantel genannt, dass sich bei Hartmann auf der Überdecke des Pferdes findet, somit also in unmittelbare Beziehung zu Enite gestellt wird, dazu später mehr.

Bevor jetzt auf die einzelnen Kriterien der Schönheitsbeschreibung eingegangen wird, stellt sich die Frage, warum der Beschreibung des Pferdes so viel Platz eingeräumt wird und warum überhaupt die Schönheit des Pferdes als Auszeichnung für Enite gelten kann.

Zur Bedeutung der descriptio gibt es verschiedene Meinungen innerhalb der Forschung. Mit einem negativen Unterton attestiert zum Beispiel Brinkmann bezogen auf den Stil Hartmanns „etwas schülermäßige Übertreibung, die aus der Freude am eben errungenen, kostbaren Besitz hervorgeht.“[2] Eine Sichtweise, die allein auf den Stil abzielt und dabei eine gewisse Ohnmacht des Dichters nahe legt, denn die descriptio wäre demnach ein Ausdruck der Rhetorik und hätte keine weitere Sinnebene. Andere Interpreten gehen genauer auf den Inhalt und die Stellung der descriptio ein. So sieht Haug in der Beschreibung dieses märchenhaften Pferdes und in der Stellung der descriptio ein „Signal dafür [...], dass der Dichter die Ebene der epischen Handlung verlässt und im folgenden mit der Sattelbeschreibung in eine andere Realitätssphäre überwechselt.“[3] Diese Interpretation erscheint für die weitere Beurteilung der descriptio und vor allem für den Zugang zu den vielfältigen Bildprogrammen fruchtbarer. Denn wenn man mit Brinkmann allein von einem „Ausprobieren“ eines neuen Stils und einer „schülermäßigen“ Nacharbeitung einer Vorlage ausgeht, so kann man in der Einarbeitung der Bildprogramme in den Sattel nichts als die schmückende Wirkung erkennen. Folgt man aber Haug (und mit ihm einigen anderen Interpreten)[4], so bieten die Bildprogramme einen erweiterten Zugang zur Beurteilung der Figur Enite und damit auch dem höfischen Ideal der Einheit von innerer Güte und äußerer Schönheit. Auf das Wie? der Interpretation wird später eingegangen, auch hier bietet die Forschung unterschiedliche Ansätze. Es bleibt noch die Frage, inwiefern man die Schönheitsbeschreibung des Pferdes auf seine neue Besitzerin beziehen kann. Neben den genannten Argumenten für einen Wechsel der Beschreibung in eine andere „Realitätsspäre“, muss hier also näher auf das Verständnis mittelalterlicher Sachkultur eingegangen werden. Dazu muss man bedenken, dass die mittelalterliche Sachkultur darauf abzielt, das Menschen auch immer durch den Besitz schöner Dinge gekennzeichnet sind. Das sieht man auch in anderen literarischen Werken, zum Beispiel schon im „Eneas“ Heinrichs von Veldeke. Der Held Eneas wird vor dem entscheidenden Kampf um die Herrschaft über Italien mit wunderbar schönen Waffen ausgestattet. Die Waffen werden im Text als „vast und scône“[5] beschrieben, eine Verbindung also aus der Brauchbarkeit der Waffen und ihrer Schönheit. Die Waffen des Eneas werden direkt vom Gott Volcanus hergestellt, der als Gott der Schmiedekunst natürlich ein Meister der artes ist. Und auch bei den Waffen des Eneas verbinden sich die schönsten und tüchtigsten Waffen mit einem detaillierten Bildprogramm. Hier zeigt sich also wiederum ein Hinweis darauf, dass der innerlich gute Mensch auch durch äußere Zeichen der Schönheit erhoben wird. Die mittelalterliche Sachkultur referiert dabei auf das Konzept der kalokagathia, also dem Zusammenspiel von kalos (schön) und agathos (gut). Daraus leitet sich die Kongruenz zwischen innerer Güte und äußerer Schönheit ab.

[...]


[1] Wehrli, Max: Literatur im deutschen Mittelalter. Eine poetologische Einführung. Stuttgart 1984. S.143.

[2] Brinkmann, Henning : Zu Wesen und Form mittelalterlicher Dichtung. Darmstadt 19792, S. 122.

[3] Haug, Walter: Gebet und Hieroglyphe. Zur Bild- und Architekturbeschreibung in der mittelalterlichen Dichtung. In: ZfdA 106, 1977, S. 163-183. S. 170.

[4] Siehe dazu die weiteren Fußnoten.

[5] Heinrich von Veldeke: Eneasroman. Mittelhochdeutsch/ Neuhochdeutsch. Herausgegeben von Dieter Kartschoke. (Reclam 8303). Vers 5676.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Vom 'schoenisten wîbe' zum 'guoten sündære' - Zum Wandel der Schönheitsdarstellung bei Hartmann von Aue
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
20
Katalognummer
V48706
ISBN (eBook)
9783638453264
ISBN (Buch)
9783640858187
Dateigröße
401 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wandel, Schönheitsdarstellung, Hartmann
Arbeit zitieren
Jan Beckers (Autor:in), 2005, Vom 'schoenisten wîbe' zum 'guoten sündære' - Zum Wandel der Schönheitsdarstellung bei Hartmann von Aue, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48706

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Vom 'schoenisten wîbe' zum 'guoten sündære' - Zum Wandel der Schönheitsdarstellung bei Hartmann von Aue



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden