Die gesellschaftliche Rolle der Frau im syrischen Bürgerkrieg

Fördert der Krieg die Emanzipation?


Seminararbeit, 2019

14 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Emanzipation in Syrien
2.1 Der Sollzustand
2.2 Der Istzustand

3. Fallbeispiele
3.1 Nordsyrien – Das Rojava Modell
3.2 Frauen im Islamischen Staat in Syrien

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Schon 1791, während der französischen Revolution, kämpfte die Frauenrechtlerin Olympe de Gouge für eine gesellschaftliche Gleichstellung der Frau. In ihrer Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin verlangt Sie in 17 Artikeln denselben Stellenwert der Geschlechter in der Gesellschaft und vor dem Gesetz. „Wir, Mütter, Töchter, Schwestern, Vertreterinnen der Nation, verlangen, in die Nationalversammlung aufgenommen zu werden“1, fordert sie. Als alleinige Ursachen öffentlichen Elends und der Korruptheit der Regierung sieht sie Unkenntnis, Vergessen oder Missachtung der Rechte der Frauen.2

Diese, in Bezug auf den feministischen Grundgehalt, revolutionäre These mag zwar dem Beweis schwer zugänglich sein, die daraus resultierenden Forderungen aber, entsprechen annähernd den Ansprüchen an Gleichberechtigung, die ein moderner Staat an sich selbst stellen sollte. De Gouge fordert dies, „damit die Machtausübung von Frauen ebenso wie jene von Männern jederzeit am Zweck der politischen Einrichtung gemessen und somit auch mehr geachtet werden kann, damit die Beschwerden von Bürgerinnen, nunmehr gestützt auf einfache und unangreifbare Grundsätze, sich immer zur Erhaltung der Verfassung, der guten Sitten und zum Wohl aller auswirken mögen.“3

Das Frauenwahlrecht und die damit einhergehende politische Akzeptanz, Frauen, ordentlich am politischen Geschehen teilhaben zu lassen, wurde in Europa, auf nationalstaatlicher Ebene, mehrheitlich in engen Zusammenhang mit dem ersten Weltkrieg geschaffen.4 Diese Entwicklung kann in Verbindung mit dem später während des zweiten Weltkriegs von der NS-Führung etablierten Schlagwort der “Heimatfront“ in Verbindung gebracht werden..5 Gemeint ist die von der administrativen Führung gewünschte aufopferungsvolle Zusatzarbeit, die der kriegsbedingt ausgedünnten Zivilbevölkerung aufgelastet wird. Da die Verrichtung elementarer Funktionen im Staat gewährleistet werden muss, führt dies unweigerlich zu einem “Nachrücken“ der weiblichen Bevölkerung. Das Personal in Tätigkeitsfeldern, die vorher noch klassisch männlich dominiert und definiert waren, wie zum Beispiel die Rüstungsindustrie, wurde scheinbar über Nacht durch Arbeiterinnen ersetzt. Durch das Etablieren von weiblichen Beschäftigten in beinahe allen Bereichen der Gesellschaft, entstanden fachspezifisches “Know-how“ und gewisse Perspektiven bei den Betroffenen. So ist es beinahe unumgänglich, dass nach Beendigung des Konflikts ein gewisser emanzipatorischer Fortschritt bleibt.

Doch die vollständige Emanzipation der Frau bleibt ein Thema von alltäglicher Relevanz. Selbst in der vermeintlich aufgeklärten westlichen Welt birgt die Thematik genug Zündkraft, um politische Debatten auszulösen.

Die vollständige Gleichstellung der Geschlechter ist ein von den Vereinten Nationen gewünschtes Ziel und wurde am 18. Dezember 1979 in der“Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women” - CEDAW, gesetzlich verankert. In manchen Teilen dieser Welt steckt die Umsetzung des CEDAW allerdings noch in den Kinderschuhen.

Wendet man den Blick gen Syrien, so wird einem das mit erschreckender härte klar. Die arabische Republik, die im internationalen Vergleich bezüglich des HDI mit einem Index von 0,536 nur Platz 155 belegt,6 wird nun im achten Jahr von einem zermürbenden Bürgerkrieg geplagt. In dem Vielparteienkonflikt, in dem um Einflusssphären in Syrien und die Geschicke des Landes gebuhlt wird, spielen emanzipatorische Interessen eine eher untergeordnete Rolle.

Doch Menschenrechtsaktivistinnen wie Suheir Atassi, ehemals Vizepräsidentin der Nationalkoalition syrischer Revolutions- und Oppositionskräfte7, sehen eine Chance. Auch in Syrien leisten Frauen aufopferungsvoll die Zusatzarbeit, die die kriegsbedingt ausgedünnte Zivilbevölkerung vollbringen muss.

Hier sehe ich eine gewisse Parallel zur westlichen Welt im 20. Jahrhundert. Kann es der weiblichen Bevölkerung gelingen, ähnlich wie im Europa der Zwischenkriegszeit, sich einen exponierteren Platz in der Zivilgesellschaft zu sichern, Bürgerinnen-Rechte zu erwerben, schlicht gesagt, die Gleichberechtigung voranzutreiben? Gerade der bewaffnete Kampf von rein weiblichen Milizen und der pazifistische Beitrag der femininen Bevölkerung lassen dies vermuten und stehen in einem Gegensatz zum lokal, vorherrschenden Gesellschaftssystem.

Wie steht es um die gesellschaftliche Rolle der Frau in Syrien und hat sich diese im Verlauf des Konfliktes verändert. Um diese Fragen zu beantworten, analysiere ich die Geschlechterverhältnisse zu Anfang des aktuellen Konflikt und versuche zu klären ob und in wie weit Krieg die Emanzipation vorantreibt.

2. Emanzipation in Syrien

2.1 Der Sollzustand

In dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau wird in der Präambel, unter Hinweis darauf, dass die Diskriminierung der Frau die Grundsätze der Gleichberechtigung und der Achtung der Menschenwürde verletzt, die Frauen daran hindert, unter den gleichen Voraussetzungen wie Männer am politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben ihres Landes teilzunehmen,[…] und der Frau die volle Entfaltung ihrer Fähigkeiten im Dienste ihres Landes und der Menschheit erschwert,8 jegliche Diskriminierung der Frau aufgrund Ihres Geschlechts untersagt. In den folgenden 30 Artikeln wird die Diskriminierung der Frau definiert und eine Agenda angeboten, um die Diskriminierung auf nationaler Ebene zu beenden.9 Von 189 UN-Mitgliedern wurde das Übereinkommen anerkannt. Auch die Arabischen Republik Syrien willigte am 28.März 2003 in den Kontrakt ein, allerdings unter folgendem Vorbehalt: Syrien ist breit das Übereinkommen anzuerkennen, mit Ausnahme der Artikel 2, Artikel 9 Abs. 2, Arikel.15 Abs. 4, Artikel 16 Abs.1, c, d, f, g, Abs. 2 und Artikel 29 Abs. 1.10 Bei genauerer Betrachtung erscheinen manche dieser Artikel allerdings zentral für die Verwirklichung, der in der Präambel des CEDAW festgehaltenen Ziele. Ohne die betreffenden Artikel, kann man erhebliche Zweifel an dem lokalen, emanzipatorischen Nutzen der Konvention hegen. So soll der ausgesetzte Artikel 2 etwa die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Verfassung garantieren, die Diskriminierung der Frau gesetzlich verbieten sowie alle Gesetzte und Strafrechtlichen Verordnungen verbieten, die eine Diskriminierung der weiblichen Bevölkerung nach sich ziehen.11 Ebenfalls nicht zur Anwendung kommt Artikel 15 Abs.4. Dieser gewährt beiden Geschlechtern dasselbe Recht auf Freizügigkeit und die freie Wahl des Aufenthaltsortes sowie des Wohnsitzes. Artikel 16 Abs.1 soll gleiche Rechte und Pflichten der Ehepartner in Ehe und Scheidung garantieren, sowie ein gleiches Recht auf die Wahl des Familiennamens, eines Berufs und einer Beschäftigung sichern,12 kommt aber ebenfalls nicht zur Anwendung. Ohne die genannten Bestimmungen verwässert der Kerninhalt des Abkommens immens. Es fällt schwer, von einem „Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“ zu sprechen.

2.2 Der Istzustand 2011

Von einer Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau ist die Arabische Republik Syrien im Jahre 2011 allerdings noch weit entfernt. Vorherrschende Strukturen zeichnen ein Bild des Patriarchats. Nach den Aussagen der Menschenrechtsaktivistin Suheir Atassi fehle die Säkularisation. Anders als vom Bashar al-Asad-Regime behauptet, wäre bereits vor der Revolution eine Verschiebung der Gesetze in eine Richtung zu beobachten gewesen, die die persönliche Freiheit von Frauen untergräbt, anstatt diese an die Freizügigkeit der Männer anzupassen. Des Weiteren verweist sie auf die missliche Situation von Frauen auf der Flucht oder in den Gefängnissen des Landes. Aufgrund ihrer niedrigen sozialen Stellung bezeichnet sie diese Frauen als zukünftige Opfer.13 Nicht zuletzt wird dieser Zustand durch den anhaltenden Einfluss der Religion auf die Rechtsprechung gefördert. In Syrien gilt eine moderne säkulare Rechtsprechung. Davon losgelöst, und dem jeweiligen religiösen Einfluss unterworfen, ist allerdings das Personenstandsrecht. Dieses beinhaltet Ehe, Scheidung, Sorgerecht, Vormundschaft, Abstammung, Erbe und Vermächtnis.14

Nach einer Statistischen Erhebung der CIA im Jahre 2019, verteilt sich die Konfessionszugehörigkeit in Syrien auf eine Mehrheit von 87% Muslime, Tendenz steigend, da religiöse Minderheiten aus Angst vor dem Krieg und Verfolgung eher dazu neigen, das Land zu verlassen. Ethnisch kategorisiert, beherbergt Syrien in etwa 50% arabische, 15% alawitische, 10% kurdische, 10% levantinische und 15% andere Bevölkerung.15 Dies ist deshalb von zentraler Bedeutung, da es in der Arabischen Republik Syrien verschiedene Verwaltungsbereiche gibt, die von verschiedenen Gruppen kontrolliert werden. Das beeinflusst auch die Rechtsprechung.

Da somit nicht für die gesamte syrische Bevölkerung dasselbe Personenstandsrecht gilt, kann man bereits von einer Verletzung des Prinzips der unveränderbaren Gleichheit aller vor dem Gesetz sprechen. Die nicht Einhaltung dieses unveräußerlichen juristischen Standards lässt bereits eine Diskriminierung gewisser Personengruppen vermuten. Tatsächlich gelten für Frauen der verschiedenen Konfessionen verschiedene Gesetze und Vorschriften. Aufgrund der großen Masse der muslimisch geprägten Bevölkerung ist hier ein besonderes Augenmerk zu setzten. Alle Muslime, unabhängig welcher Gemeinschaft, unterliegen dem Scharia-Familiengericht.16 Vor diesem Gremium werden also alle Streitgegenstände, die mit Ehe, Scheidung, Sorgerecht, Vormundschaft, Abstammung, Erbe und Vermächtnis in Verbindung gebracht werden behandelt. Doch nicht nur das. Die Scharia regelt die sozialen Beziehungen und setzt den Rahmen für Werte und Normen fest.17 So werden hier unter anderem Dinge wie Polygamie, arrangierte Ehen, die vorherrschende Stellung des Mannes in der Familie und Gewalt gegen die Frau definiert und manifestiert. Als Grund für das unter syrischen Muslimen vorherrschende traditionelle Familienbild und die damit einhergehende Rollenzuweisungen und Unterdrückung der Frau, kann neben den, bewusst gepflegten, Tradition, vor allem den Koran gesehen werden. Bei einer strikten wörtlichen Auslegung, liest sich die Stelle Sure 4 Vers 34, aus dem Koran wie folgt:

„Die Männer stehen den Frauen in Verantwortung vor, weil Allah die einen vor den anderen ausgezeichnet hat und weil sie von ihrem Vermögen hingeben. Darum sind tugendhafte Frauen die Gehorsamen und diejenigen, die (ihrer Gatten) Geheimnisse mit Allahs Hilfe wahren. Und jene, deren Widerspenstigkeit ihr befürchtet: ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie! Wenn sie euch dann gehorchen, so sucht gegen sie keine Ausrede. Wahrlich, Allah ist Erhaben und Groß.“18

Somit manifestiert sich die Unterdrückung der syrischen Frau in festen Strukturen. Vorangetrieben durch die große Anzahl gläubiger Muslime im Land und die allgemeine Gültigkeit der wortgetreuen Auslegung des Korans, resultieren daraus diskriminierende Sitten und Traditionen, sowie eine politische Elite, die es seit jeher verpasst hat dem emanzipatorischen Gedanken Aufschwung zu verleihen. Das Patriachat regiert in Syrien. Was geschieht allerdings wenn man den Faktor Krieg berücksichtigt? Wie sich das ganze System verändern kann, wenn nur genug Not am Mann herrscht, und Frauen wichtige Posten in der Gesellschaft übernehmen, um diese „am laufen“ zu halten, zeigt ein beeindruckendes Beispiel aus Nordsyrien.

3. Fallbeispiele

3.1 Nordsyrien – Das Rojava Modell

Im Norden Syriens, genauer an der syrisch-türkischen Grenze, in der Region um Manbidsch und Kobanê, erstreckte sich für etwa Sechs Jahre19 ein kurdisch kontrolliertes Gebiet namens Rojava, auf dessen Markung später die autonome Föderation Nordsyrien entstand. Ins Rampenlicht der westlichen Medien gelangte die Region in den Jahren 2014 und 2015, als lokalen Milizen der People's Protection Units (YPG) und der Women's Protection Units (YPJ), eine zentrale Rolle bei der Vertreibung des Islamischen Staats aus der Stadt Kobanê spielten.20 Die Militarisierung und der bewaffnete Kampf von rein weiblichen Milizen stehen in einem Gegensatz zu den in Syrien vorherrschenden Traditionen. Dieser Besondere Einsatz der weiblichen Bevölkerung und vor allem die Bedeutung der Kämpferinnen in den kurdischen Reihen, ist ein bedeutender Fortschritt der Emanzipation der syrischen Frau. Noch im Jahr 2016 beschrieb die Frauenrechtlerin M. Tax eine neue soziale Bewegung in der Region und nennt diese das Rojava Modell. Nun ließe sich argumentieren, dass es aufgrund des Mangels an wehrfähigen Männern einen Bedarf an Rekruten zu stillen gab, schließlich ist dies militärhistorisch seit dem zweiten Weltkrieg keine Besonderheit mehr. Doch das Engagement der Frauen in Rojava begrenzt sich nicht nur auf militärische Aufgaben, es folgt einer größeren gesellschaftlichen Vision. In Bezug auf soziale Gleichheit, ethnischen Pluralismus und vor allem bei der Förderung von Frauen, geht die Verwaltung des Gebiets noch weiter und stellt so eine regionale Besonderheit dar.21 Im Dienste der Gleichberechtigung müssen laut Gesetz 40% der Mitglieder jedes Führungsgremiums in Rojava weiblich sein, zudem kommt eine Bestimmung, die es allen administrativen Gremien, wirtschaftlichen Projekten und zivilgesellschaftlichen Organisationen vorschreibt, weiblich und männliche Co-Vorsitzende zu beschäftigen.22 Nun ist es fraglich, in wie fern es im Rahmen des Möglichen liegt, im kriegsgebeutelten Syrien Gesetze stringent durchzusetzen, oder bei etwaigen Gesetzesverstößen den Schuldner auch zu ahnden. Gerade unter Beachtung der allgemeinen Sicherheitslage in der Region scheint eine ausgewogene Verteilung der Geschlechter in Führungsrollen eine eher untergeordnete Prioritär, zu besitzen. Dennoch stellen diese Regelungen ein absolutes Novum für die Geschichte der Emanzipation der syrischen Frau dar. Die Möglichkeit, die eigenen Freiheitsrechte einzufordern und sich in einem der Sache gewogenen Umfeld zu artikulieren, kann als große Errungenschaft angesehen werden. Zudem, bei einer Realisierung der von Rojava angestrebten Quote von 40% weiblichen Mitgliedern in jeglichen Gremien, die politisch wie wirtschaftlich von vitaler Bedeutung sind, wäre dies aus rein emanzipatorischer Sicht betrachtet, mehr als die Politik in Europa je erreicht hat. Der Grund für diese lokale Besonderheit ist in der geschlechtsneutralen Philosophie des ideologischen Führers der Kurden, Abdullah Öcalan, zu finden. Der Gründer der verbotenen türkischen Arbeiterpartei PKK verbüßt zwar eine lebenslange Freiheitsstrafe in der Türkei, aber seine Philosophie ist bei den Kurden weit verbreitet, besonders in Nordsyrien.23 Dies führt zu einer allgemeinen Aufwertung der Rechte der Frau und äußert sich in verschiedener Hinsicht. Beispielsweise wurde Frauen das Recht eingeräumt, sich scheiden zu lassen, was zuvor Männern vorbehalten war. Es wurde ihnen eingeräumt, Eigentum im gleichen Maße wie Männern zu erben und ihre Kinder bei einer Eheauflösung bei sich zu behalten. Mit am wichtigsten aber waren die Abschaffung von Gesetzesbestimmungen der Scharia, die die Aussage einer Frau vor Gericht nur halb so schwer machten wie die eines Mannes.24 Ein weiterer Schwerpunkt in der Region wird auf die Schaffung von Anlaufstellen für hilfsbedürftige Frauen gelegt. Offizielle Vertreterinnen von Frauenhäusern helfen in kritischen Situationen. So wird beispielsweise in Scheidungsfällen, auf Wunsch der Frau, von Seite der Frauenhäuser zwischen den Parteien vermittelt. Besonders kritisch wird dabei auf die Einhaltung der Rechte der Frau wert gelegt.25 Dies ist hervorzuheben, da seit dem Beitritt Syriens zum CEDAW am 28. März 2003, das erste Mal von administrativer Seite ein Versuch unternommen wird das Abkommen, ohne Vorbehalte, zu implementieren und den Kerngehalt Sinnens gemäß umzusetzen. So kann man in der Abschaffung der Scharia und der Gültigkeit eines säkularen Personenstandrechts eine Gleichberechtigung der Geschlechter vor dem Gesetz und damit einhergehend eine Verwirklichung des Artikels 2 und Artikel 15 Abs.4 des CEDAW sehen.26 Durch die Gründung von Frauenhäusern ist eine Institution entstanden, die es Frauen garantiert selbstbestimmt über das Ob und die Dauer einer Ehe zu bestimmen und ihre Rechte gemäß Artikel 16 Abs.1 des CEDAW einzufordern.27 Die Autorität der Frauen ist weit gestreut in der Region. Sie sind vertreten bei der Polizei, den Gerichten und den Milizen. Das hat dem Vorstoß für die Gleichstellung der Geschlechter erhebliche Macht verliehen, die Rechte der Frauen durchzusetzen.28 So wünschenswert diese Entwicklung aus einer aufgeklärten Sichtweise scheint, die Änderungen am geltenden Recht und die Anpassung der sozialen Stellung der Frau bekamen schnell Gegenwind. Protagonisten dieser Gegenbewegung waren vor allem Stammesführer, denen die Rolle des Patriarchen in ihrem Clan zukommt und die schon allein deshalb eine Änderung der Sozialstruktur negieren. So verbot beispielsweise der kurdische Großraum Kobanê die Praxis, dass Männer mehr als eine Frau nehmen. Aber als die Verwaltung versuchte, diese Anpassung der Gesetzeslage auch in Manbidsch anzuwenden, führte die Wut der Stammesführer dazu, dass hier eine Ausnahme gewährt wurde. Dennoch begann das Frauenhaus in Manbidsch augenblicklich damit Frauen, deren Ehemänner ein zweites Mal heiraten wollten, umfassenden zu beraten.29 Doch nicht nur lokale Stammesführer hegen Argwohn gegen die Entwicklungen und die sich festigende Struktur in Rojava. Die kurdischen Bemühungen um mehr Autonomie, rufen noch andere Spieler auf den Plan. Am 24. Juli 2015 startete die Türkei die Operation Euphrat-Schild. Offiziell wurde der Einsatz als eine Zweifrontkampagne gegen die der PKK nahe stehenden YPG und YPJ, sowie die Dschihadisten des islamischen Staats tituliert. Ankara erklärte, dass die militärische Operation nur dem Zweck des Kampfes gegen den Terror diene. Der Einsatz richte sich nicht gegen die in Syrien lebenden Kurden, sondern ausschließlich gegen als terroristisch eingestufte Gruppierungen.30 Der Kriegseintritt der Türkei mit Bodentruppen, markiert den Beginn des Untergangs der neuen sozialen Bewegung in Rojava. Durch das erfolgreiche Vorrücken der türkischen Truppen und derer Allianz mit dem amtierenden Machthaber Assad wurde der Einfluss der Kurden in der Region stark beschnitten. Abschließend kann man sagen, dass es der weiblichen Zivilbevölkerung in Rojava, begünstigt durch die geschlechtsneutralen Philosophie Abdullah Öcalans, zeitweise gelungen ist, die kriegsbedingten Umstände zu ihrem Vorteil zu nutzen und einen erheblichen Schritt der Emanzipation zu gehen. Die faktische Verwirklichung der in der CEDAW geforderten, aber zuvor ausgesetzten Richtlinien, führte zur Abschaffung der in ihrem Grundgehalt diskriminierenden Scharia und ist somit für die Verbesserung der sozialen Stellung der Frau zentral. Durch das militärischen Engagement der weiblichen Bevölkerung und den damit einhergehenden Respekt wurde die Chance geschaffen auch etwas in der Zivilgesellschaft zu verändern. Allerdings bleibt abzuwarten, in wie weit eine kurdische Minderheit im Norden Syriens künftig gebilligt wird und ob weiterhin eine säkulare Rechtsprechung geduldet wird. Spannend bleibt die Frage ob nach Kriegsende ein gewisser emanzipatorischer Fortschritt bleibt. Mit Sicherheit kann aber gesagt werden, dass erst aus dem herrschenden Konflikt heraus, für die Kurden im Norden Syriens, genug Autonomie entstand um die von M. Tax betitelte soziale Bewegung anzustoßen. Allerdings führte der herrschende Konflikt auch dazu, dass die emanzipatorischen Bemühungen wieder heruntergefahren wurden, denn so wichtig die Gleichstellung der Geschlechter auch ist, sie gehört im Krieg nicht zu den vitalen Interessen.

[...]


1 Gouge, 1791, S.27 ff.

2 Vgl . ebd. S.27 ff.

3 Vgl. ebd. S.28

4 Vgl. deutscher Bundestag 2019

5 Vgl. Brühns 2005

6 Vgl. Human Development Reports 2019

7 Vgl. BBC 2019

8 Vgl. United Nations - Convention on the Forms of Discrimination against Women 1979

9 Vgl. ebd.

10 Vgl. United Nations - Treaty Collection 2019

11 Vgl . United Nations - Convention on the Forms of Discrimination against Women 1979

12 Vgl. ebd.

13 Vgl. Atassi 2013

14 Zauner 2011, S.35

15 Vgl. Central Intelligence Agency 2019

16 Zauner 2011, S.35

17 Zauner 2011, S.35

18 Koran, Sure 4 Vers 34

19 Tayler 2018

20 Tax 2016

21 Vgl. ebd.

22 Vgl. ebd

23 Tayler 2018

24 Vgl. Tayler 2018

25 Vgl. ebd.

26 Vgl. United Nations - Convention on the Forms of Discrimination against Women 1979

27 Vgl. ebd.

28 Vgl. Tayler 2018

29 Vgl. Tayler 2018

30 Vgl. Global Security.org 2018

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Die gesellschaftliche Rolle der Frau im syrischen Bürgerkrieg
Untertitel
Fördert der Krieg die Emanzipation?
Hochschule
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
Note
1
Autor
Jahr
2019
Seiten
14
Katalognummer
V486568
ISBN (eBook)
9783668970618
ISBN (Buch)
9783668970625
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Emanzipation, Syrien, Bürgerkrieg, Gesellschaft, Isis
Arbeit zitieren
Michael Tschackert (Autor:in), 2019, Die gesellschaftliche Rolle der Frau im syrischen Bürgerkrieg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/486568

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