Die Fraser-Honneth Kontroverse: Konkurrierende oder komplementäre Gerechtigkeitstheorien?


Ausarbeitung, 2004

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I. Die Fraser-Honneth Kontroverse
1. Darstellung der Gerechtigkeitstheorie Nancy Frasers
2. Darstellung der Gerechtigkeitstheorie Axel Honneths
3. Das Ende der Klassengesellschaft?

II. Umverteilung als Anerkennung und bestehende geschlechtliche Ungerechtigkeit
1. Umverteilung als Anerkennung von Individualisierungsforderungen?
2. Das europäische Gender-Mainstreaming und das „Zwei-Verdiener-Modell“
3. Das deutsche Attachment am „bread-winner-model“

III. Nicht-reformistische Reformen und Einbeziehung der Dimension Anerkennung
1. Das „Zwei-Verdiener-Modell“ als kleinstes Übels
2. Das schwedische Beispiel und die Notwendigkeit der Einbeziehung der Dimension „Anerkennung“

IV. Ergänzungsfähigkeit beider Gerechtigkeitstheorien
1. Kommentar zur Gerechtigkeitstheorie Axel Honneths
2. Kommentar zur Gerechtigkeitstheorie Nancy Frasers
3. Komplementäre Beziehungen

Nancy Fraser und Axel Honneth stellen in der Monographie Umverteilung oder Anerkennung? Eine politisch-philosophische Kontroverse, zwei verschiedene Gerechtigkeitstheorien vor. Obwohl die Autoren die Unvereinbarkeit der beiden Konzepte untermalen, werde ich in diesem Aufsatz zeigen, dass diese Theorien auch als komplementäre Theorien verstanden werden können. Nachdem ich die Züge des „Statusmodells der Anerkennung“ Frasers und der Theorie der Möglichkeit der Entwicklung einer „intakten Identität“ Honneths kurz skizziert habe, werde ich ihre jeweilige Gültigkeit empirisch am Modell der „Zwei-Verdiener-Familie“, im Rahmen des europäische-verbindlichen-Gender-Mainstreaming, überprüfen. Anhand dieser Ergebnisse werde ich zeigen, warum keines der Gerechtigkeitsmodelle die vollständige Dimension der geschlechtlichen Ungerechtigkeit erfasst. Darüber hinaus werde ich zeigen, wie sich die Gerechtigkeitstheorien Frasers und Honneths vereinbaren lassen.

I. Die Fraser-Honneth Kontroverse

1. Darstellung der Theorie der Gerechtigkeit Nancy Frasers

Nancy Fraser kritisiert in ihrem Aufsatz: „ Soziale Gerechtigkeit im Zeitalter der Identitätspolitik, Umverteilung, Anerkennung und Beteiligung1, die „verkürzte Gerechtigkeit“. Ihrer Auffassung nach, leiden benachteiligte Gruppierungen sowohl unter ökonomischer Benachteiligung wie auch unter mangelnder Anerkennung, und es sind dies die primären Arten der Ungerechtigkeit des gleichen Ursprungs. Die ökonomische Umverteilung hat einen Klassencharakter, die kulturelle Anerkennung der Differenz hingegen einen Statuscharakter.

Die demokratische androzentrische Gesellschaft, Produkt der Moralphilosophie der Aufklärung, versteht Anerkennung als Angelegenheit der „Selbstverwirklichung“, als kulturell und historisch geprägt2 und nicht als Angelegenheit des universellen verbindlichen Rechts3. Durch institutionalisierte kulturelle Wertmuster werden benachteiligte Gruppierungen aufgrund mangelnder Anerkennung, daran gehindert, gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben zu partizipieren.

Deshalb entwickelt Nancy Fraser das „Statusmodell der Anerkennung“, wo mangelnde Anerkennung als institutionalisiertes Verhältnis der Unterordnung und Verstoß gegen die Gerechtigkeit beschrieben wird. Dieses Modell der „zweidimensionalen“ Konzeption der Gerechtigkeit versteht somit sowohl Umverteilung als auch Anerkennung als Angelegenheit des Rechts und setzt normativ eine „partizipatorische Parität“ vorraus, die dann erfüllt ist, wenn die Umverteilung für die Benachteiligten und deren Anerkennung gewährleistet ist (jeweils als objektive und als intersubjektive Bedingung). Das „Statusmodell der Anerkennung“ setzt die Parität der Beteiligten als einen Standard vor, der dialogisch zu applizieren ist, nämlich in einem demokratisch verfahrenden öffentlichen Diskussionsforum.

Aus diesem „perspektivischen Dualismus“, der sämtliche Praktiken aus zwei unterschiedlichen normativen Gesichtpunkten – wirtschaftlich und kulturell – untersucht, könnten zwei Strategien folgen: der transformatorischen, die nach einer grundlegenden Änderung der sozialen Strukturen, oder der affirmatorischen, die auf eine Änderung der sozialen Wirkungen, abzielen. Aufgrund der schwierigen Umsetzung der transformatorischen, bevorzugt Nancy Fraser die affirmatorische Strategie und die Suche nach „nichtreformistischen Reformen“. Hier sind Reformen gemeint, die, durch Kumulation ihrer Effekte, auch auf die grundliegenden gesellschaftlichen Strukturen einwirken, die Ungerechtigkeiten bedingen.

2. Darstellung der Theorie der Gerechtigkeit Axel Honneths

Wo Nancy Fraser die Gerechtigkeitsforderung in der Umsetzung der partizipatorischen Parität sieht - also auf einer zweidimensionalen Ebene, die sowohl Anerkennung als auch Umverteilung einschließt -, stellt Honneth in „Umverteilung als Anerkennung. Eine Erwiderung auf Nancy Fraser“1 eine Gerechtigkeitstheorie vor, in der die Möglichkeit der „intakten Identitätsbildung“ eine zentrale Rolle einnimmt.

Diese „intakte Identitätsbildung“ misst sich an einer institutionalisierten Anerkennungsordnung. In der moralischen Ordnung der Gesellschaft, verstanden als „ein fragiles Gefüge aus gestaffelten Anerkennungsverhältnissen“2 können sich soziale Konflikte entzünden, welche „im Regelfall auf die moralische Erfahrung einer für unbegründet gehaltenen Missachtung zurückgehen.“ Anerkennung bildet somit den Kern seiner Theorie der Gerechtigkeit, eine Anerkennung, die sich jedoch nicht wie bei Nancy Fraser lediglich als Anerkennung der Differenz ausdrückt, sondern sich als individuelle und legitime Suche nach „Selbstverwirklichung“ bzw. Entfaltung einer „intakten Identität“ in einer demokratischen Gesellschaft versteht. Die Struktur sozialer Anerkennungsverhältnisse teilt er in Anerkennungssphären ein: Die Anerkennung als emotionale Zuwendung (Liebe), als kognitive Achtung (Recht) und soziale Wertschätzung (Leistung).

Für Honneth ist Anerkennung ein zentraler gesellschaftstheoretischer Begriff geworden seit dem Abbau der proletarischen Klasse, eine Klasse auf die sich die gesellschaftlichen Theorien beriefen, um soziales Unbehagen zu ermitteln: „Die Anerkennungsbegrifflichkeit ist heute von zentraler Bedeutung nicht deswegen, weil sie die Zielsetzung eines neuen Typus von sozialen Bewegungen zum Ausdruck bringt, sondern weil sie sich als das angemessene Mittel erwiesen hat, um soziale Unrechterfahrungen im ganzen kategorial zu entschlüsseln.“1

In diesem Modell eines ständigen Kampfes um Anerkennung wird nur als moralisch ernst zu nehmendes Problem registriert, was bereits als politischer Protest organisiert ist. Dieser Protest wird sich, ab dem Moment organisieren, wo soziales Unrecht empfunden wird, ab dem Moment, von dem an „rational nicht mehr einzusehen ist, warum eine institutionelle Regelung gemäß allgemein (sic!) akzeptierten Gründen auf Zustimmung soll rechnen können“2. Wenn hier die Beziehungen zwischen Unrechterfahrungen und der öffentlichen Rechtspraxis gezeigt werden, wird auch dem Umstand Rechnung getragen, dass in einer demokratischen Gesellschaft Werte, die auf allgemeine Anerkennung stoßen, auf absehbare Zeit zur Geltung kommen.

Von diesem Gefüge aus Anerkennungssphären kann Honneth behaupten, Umverteilung ist eine Form der Anerkennung.

3. Das Ende der Klassengesellschaft ?

Die aktuelle Phase des Postfordismus wird von Nancy Fraser als Zeit der Entstehung von Identitätskämpfen, Kämpfen um Anerkennung der Differenz, analysiert. Daraus, wie auch aus dem Niedergang der Klassenpolitik, geschieht eine Verschiebung des Schwerpunktes der politischen Kultur von Umverteilung auf Anerkennung. Ähnlich analysiert Honneth die jetzige Umbruchsphase als eine Zeit, in der die Anforderungen auf Individualisierung und Inklusion zunehmen. Es geschieht eine Entkoppelung von rechtlicher Anerkennung und sozialer Wertschätzung.

Es kann grundsätzlich darüber diskutiert werden, ob die Annahme Frasers und Honneths, die Klassengesellschaftsanalyse sei nicht mehr relevant, stimmt. Eine Erweiterung des Klassenbegriffs scheint jedoch notwendig. Obwohl im fortbestehenden Kapitalismus ein Bruch in der Krise des Postfordismus erfolgt, und man heute eine Phase gesellschaftlichen Wandels erlebt, bilden sich aus dem kapitalistischen System in seiner neoliberalistischen Phase ökonomische Gefälle und eine immer größere Gruppierung der „Ausgegrenzten“. Die Homogenität dieser Klasse kann, aufgrund eines verbreiteten Zugangs zur Bildung und einer Diversifizierung der Arbeitsverhältnisse, nicht mit derjenigen der marxistischen Arbeiterklasse verglichen werden, aber sie bleibt primär auf einen gemeinsamen ökonomischen Nenner beschränkt. Die Forderungen der „Ausgegrenzten“ laufen zwangsweise auf Anerkennung ihrer besonderen Lage als Kampf um ihre Existenz hinaus und erwecken schemenhaft den Eindruck eines Kampfes um Identität. Falls dieser Kampf sich jedoch politisch organisieren sollte, könnte er sich nur als Klasse politisch artikulieren, als Klasse in erweitertem Sinne, die für eine neue Umverteilung kämpft aber auch kulturelle Unterschiede einschließen müsste.1

Die Konturen der neuen Strukturen bzw. Gruppenstrukturen, die nach der jetzigen Phase gesellschaftlichen Wandels entstehen könnten, sind noch nicht zu erkennen. Die neue gesellschaftliche Aufstellung ist jedoch auch als Chance zu begreifen, wie Sebastian Herkommer2 beschreibt: „Die Aktualität der Klassenlage liegt darin begründet, dass die in der fordistischen Prosperitätskonstellation gezähmten und latent gehaltenen Klassengegensätze in der Krise des Fordismus wieder aufgebrochen und offen zu Tage getreten sind. Es ist keine Frage, dass in dieser Situation des Bruchs in der Kontinuität der kapitalistischen Dynamik auch eine Chance enthalten ist.“

II. Umverteilung als Anerkennung und bestehende geschlechtliche Ungerechtigkeit

1. Umverteilung als Anerkennung von Individualisierungsforderungen?

Die Änderungen in der natürlichen Welt, von wissenschaftlichen Durchbrüchen oder dem Einsatz neuer Technologien herbeigeführt (insbesondere von der globalen Kommunikation und dem Einsatz der Biotechnologien), führen zu starken Änderungen in einigen gesellschaftlichen Bereichen. Andere bleiben hingegen sehr stark vom „Habitus“ geprägt und weisen weitaus geringere Fortschritte auf.

[...]


1 Fraser, Nancy/Honneth Axel 2003: 13-128

2 des „Guten“ im Hegelschen Sinne

3 im moralischen, Kantischem Sinne

1 Fraser, Nancy/Honneth Axel 2003: 130-224

2 Ibid.: 161

1 Ibid.: 157

2 Ibd.: 153

1 Paradigmatisch hier sind die Proteste gegen die Harz IV Reformen, die sich auch mit Hilfe der Gewerkschaften, die somit eine neue Rolle einnehmen, organisieren. Paradigmatisch ist auch hier ATTAC, als bürgerlicher Bewegung und Dachorganisation einer sehr heterogenen internationalen Mobilisierung gegen die Globalisierung.

2 Herkommer, Sebastian 2002: 27

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Fraser-Honneth Kontroverse: Konkurrierende oder komplementäre Gerechtigkeitstheorien?
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto-Suhr-Institut)
Veranstaltung
HS 15333
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
22
Katalognummer
V48560
ISBN (eBook)
9783638452380
ISBN (Buch)
9783656525530
Dateigröße
530 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Studienbegleitende Prüfungsschein Teil 1 als Klausurersatz für Magisterprüfung
Schlagworte
Fraser-Honneth, Kontroverse, Konkurrierende, Gerechtigkeitstheorien
Arbeit zitieren
Nadia Zeltzer (Autor:in), 2004, Die Fraser-Honneth Kontroverse: Konkurrierende oder komplementäre Gerechtigkeitstheorien?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48560

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