Ausgrenzung und urbane Kontrolle am Beispiel der Europapassage in der Hansestadt Hamburg


Diplomarbeit, 2005

98 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Was ist Raum, oder wo leben wir eigentlich?
1.1 Disziplinargesellschaft oder Kontrollgesellschaft
1.2 Sicherheit kennt keine Grenzen
1.2.1 Raum und Ort
1.2.2 Sicherheit und gefährliche Orte
1.3 Sicherheit durch Architektur
1.3.1 Crime Prevention Through Environmental Design
1.3.2 Ästhetisierung und Sauberkeit
1.4 Nicht - Orte
1.5 Fazit

2 Shopping Mall – eine Form des öffentlichen Raumes?
2.1 Die Shopping Mall
2.2 Passagen
2.3 Skywalks
2.4 Fazit

3 Konkretisierungen am Beispiel der geplanten Europapassage in HH und ihrer Zugangsmechanismen
3.1 Wirtschaftliche Legitimation des Standortes
3.2 Architektur
3.2.1 Design und Raummobiliar
3.2.2 Architektur der Europapassage
3.2.3 Fazit
3.3 Die Gestaltung der Sicherheit durch Licht
3.3.1 Das gestalterische Mittel Licht in der Europapassage
3.3.2 Fazit
3.4 Kameraüberwachung
3.4.1 Closed Circuit Television
3.4.2 Kameraüberwachung in Shopping Malls
3.4.3 Geplanter Einsatz von Kameraüberwachung in der Europapassage
3.4.4 Fazit
3.5 Sicherheitspersonal
3.5.1 Sicherheitspersonal in einer Shopping Mall
3.5.2 Geplanter Einsatz von Sicherheitspersonal in der Europapassage
3.5.3 Fazit

4 Die Europapassage als Archipel der Sicherheit in der Hamburger Innenstadt – eine Veränderung der Innenstadt?
4.1 Die Theorie der Inseln, oder wie darf ich mich verhalten ?

5 Ausblick – Szenarien

6 Literatur

7 Anhang

Einleitung

Unter dem Begriff des 'öffentlichen Raums' hat man in der Regel Straßen, Plätze oder Parks vor Augen. Diese Räumlichkeiten sind Orte des Aus­tausches, der zufälligen Begegnung, des Kennenlernens von Neuem und Andersartigem, hier spielt sich gesellschaftliches Leben ab – eben Orte, wo Menschen zusammenkommen und in Interaktion treten. Dieser öffentliche Raum hat im vergangenen Jahrhundert die Vorstellung von Stadt bzw. Urbanität geprägt. Gegenwärtig erlebt dieser öffentliche Raum einen tief greifenden Wandel, der sich vorläufig in zwei Aspekte gliedern lässt:

1. der öffentlicher Raum wird aufgelöst, zu Gunsten simulierter von einande­r getrennter öffentlicher Räume.
2. diese simulierten öffentlichen Raume werden dominiert durch neue Formen der Sicherheitsherstellung.

Die Veränderung des öffentlichen Raums bzw. seine Auflösung hin zu unterschiedlichen Simulationen von öffentlichen Räumen, bedeutet aber mehr als nur die Veränderung der äußeren Bedingungen von städtischem Leben. Sie markiert zugleich eine neue Technologie von Herrschaft und Verhaltenskontrolle. Es ist eine neue Form der Kontrolle entstanden, um sich Räume anzueignen und Sicherheit zu gewähren.

So werden in der vorliegenden Arbeit diese Neudefinitionen der Räume aufgezeigt und anhand eines Fallbeispieles existente, unsichtbare und dis­kursive Ausgrenzungsmechanismen beschrieben. Konkret wird hier der Wandel der Hamburger Innenstadt durch die Passagesierung, mit einher­gehender Privatisierung, benannt.

Im ersten Kapitel wird das theoretische Gerüst der Arbeit erläutert. Als theoretische Grundlage der Analyse wird das Konstrukt der Kontroll­gesellschaft von Gilles Deleuze und die new penology von Jonathan Simon und Malcom M. Feeley in der Arbeit verwendet.

Der Begriff Kontrollgesellschaft ruft in erster Linie Orwell’sche Fantasien in Form eines diktatorischen Überwachungsstaates hervor, der mit der heutigen Realität nicht in Verbindung gebracht wird. Diese Orwellschen Fantasien spiegeln aber eine fiktionale Realität wider, die sich mittlerweile in immer mehr Archipelen unserer Gesellschaft wieder finden lässt.

Galt es früher, die Gesellschaft zu disziplinieren (Disziplinargesellschaft), ist man, nach Foucault mittlerweile in einer Phase, in der Menschen nicht mehr 'erzogen' werden, sondern man ist dazu übergegangen, die Individuen in Form von Ausschluss (aus Räumen) zu kontrollieren (Kontroll­gesellschaft). Die Kontrolle zielt auf den Raum und dessen Homogenisie­rung ab, ohne dabei das einzelne Individuum im Blick zu haben. Nach dieser Einführung folgen zur Vervollständigung des Analyserasters weitere Definitionen und Theorien zu Raum und Kontrolle bzw. zu kontrolliertem Raum.

Im zweiten Kapitel werden kontrollierte Orte beschrieben, um dann im dritten Teil die Mechanismen der Kontrolle in einem 'kontrollierten' Ort am Beispiel einer Einkaufspassage, der Europapassage, zu konkretisieren. Die Untersuchung bezieht sich sowohl auf architektonischen Ausschluss in Form von Licht und Gestaltung, als auch Ausschluss getarnt im Mantel der Sicherheit, durch Sicherheitspersonal und Kameraüberwachung.

Bei der Europapassage handelt es sich um das derzeit größte innerstädtische Projekt Europas. Da die Fertigstellung erst zum Herbst 2006 erfolgt, bezieht sich die Analyse der Europapassage aus den bis zum heutigen Tag ver­öffentlichten Medien, Zeitungsberichten und Publikationen im Internet. Darüber hinaus bezieht sich diese Arbeit auf ein dokumentiertes Interview mit der Projektleitung. Dieses narrative Interview wurde am 23.11.2004 mit dem Projektmanager Herrn Trender und seiner Kollegin Frau Röhrich an­hand eines Fragenkataloges (siehe Anhang) geführt.

Im letzten Teil dieser Arbeit wird ein Blick auf die Veränderung der Hamburger Innenstadt durch die Europapassage geworfen. Konkret werden dabei die Auswirkungen auf die Individuen in Form von Verhaltens­kontrollen betrachtet. Anhand der Theorieanalyse von Simon Hallsworth und dem interventionistischen Vorgehen der Gruppe Ligna werden die auf­gezeigten Auswirkungen der Kontrollgesellschaft aus einer neuen Sicht­weise heraus betrachtet. Beispielhaft werden Nischen des Widerstandes der vermeintlichen Handlungsunfreiheit beleuchtet. Letztendlich ist nur so ein ganzheitliches Bild der Auswirkungen der Europapassage in der Hamburger Innenstadt möglich.

1 Was ist Raum, oder wo leben wir eigentlich?

1.1 Disziplinargesellschaft oder Kontrollgesellschaft

Disziplinargesellschaft

Sowohl Deleuze als auch Foucault gehen von einer Disziplinargesellschaft aus, die sich durch eine produktive Macht und deren Zielrichtung auf das Individuum auszeichnet. Dabei konstituierten sich die einzelnen Subjekte auf der Basis von Wissen und eingebunden in die Technologie der Diszipli­nierung, welche „gelehrige Körper formte und dressierte“ (vgl. Foucault 1991, S. 174).

Die individuelle Leistungssteigerung und Konditionierung entstand in der Disziplinargesellschaft innerhalb eines Komplexes unterschiedlicher Ein­schließungsmilieus (Gefängnis, Krankenhaus, Psychiatrische Klinik, Schule, Fabrik, Familie): „Die Aufmerksamkeit galt dem Körper, dem Individuum, das man manipuliert, formt und dressiert, der gehorcht, antwortet, gewandt wird und dessen Kräfte sich mehren“ (vgl. Foucault 1991, S. 174). Die Effektivität der Gesellschaft wurde gleichgesetzt mit ihrer Homogenität. Diese wurde in den Einschlussmilieus angestrebt, um eine starke Einheit darzustellen, in der jeder integriert werden konnte bzw. integriert war, der sich angepasst verhielt.

Kontrollgesellschaft

Die wirklichen Ausmaße einer Kontrollgesellschaft im europäischen Raum sind im Augenblick noch nicht zu bewerten. Viel mehr ist ein Wandel der Disziplinargesellschaft zu erkennen, und deren Ergebnisse nennt Deleuze die 'Kontrollgesellschaft'. Folgende Tabelle konkretisiert die Unterschiede der Disziplinargesellschaft gegenüber der Kontrollgesellschaft:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Übersicht Disziplinar- versus Kontrollgesellschaft

Nach Deleuze befinden sich die im vorherigen Abschnitt beschriebenen Einschließungsmilieus der Disziplinargesellschaft durch eine moralisch ge­leitete Macht- und Funktionsverschiebung in einer Krise. Dies ist ein erstes Indiz für einen Wandel in der Gesellschaft. In den Milieus ging es lediglich nur noch darum „ihre Agonie zu verwalten und die Leute solange zu be­schäftigen, bis neue Kräfte, die bereits an die Tür klopfen, eingerichtet sind“ (Deleuze 1990, S.6). Da die Krise aber nicht generell festzustellen ist und auf die Milieus unter­schiedlich wirkt, soll am Beispiel der new penology die Entstehung der Kontrollgesellschaft aufgezeigt werden.

New penology

Den Begriff der new penology[1] haben Malcolm M. Feeley und Jonathan Simon geprägt. Die darunter zusammengefassten Formen der strafrecht­lichen Kontrolle können als symptomatisch für die Kontrollgesellschaft gelten. Die new penology unterscheidet sich in vielfacher Hinsicht von der old penology. Die Übergänge von der old zur new penology entsprechen dem Übergang von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft. Obwohl die new penology bestimmte Elemente der old penology aufrecht hält, deutet sie diese um und führt ganz neue ein. Feeley und Simon bezeichnen die new penology als eine „emergie new conception“ oder „new strategic formation“ im strafrechtlichen Bereich, die sich durch neuartige Diskurse, Ziele und Techniken auszeichnet, und Devianz als einen festen Bestandteil der Gesellschaft ansieht (Feeley / Simon 1992, S. 449).

Erstens, und bezogen auf die aufkommenden Diskurse, weisen die Autoren darauf hin, dass im Strafrecht und der Kriminologie, „Risiko und Wahrscheinlichkeitsdiskurse die Sprache klinischer Diagnostik und das Verständnis von Strafe als Vergeltung ablösen“ (vgl. Feeley / Simon 1992, S. 450).

Zweitens, und bezogen auf die Intention, betonen sie, dass die traditionellen Ziele strafrechtlicher Maßnahmen – Kontrolle der Verbrechen und die Wiedereingliederung in den „sozialen Vertrag“ - an Gewicht verlieren, und das Augenmerk sich zunehmend auf die effiziente Kontrolle eines systemischen Prozesses richtet (ebd.).

Und drittens weisen Feeley und Simon auf die Entstehung von neuen Techniken hin, welche im allgemeinen „target offenders as an aggregat in place of traditional techniques for individualizing or creating equity“ be­trachten (ebd.).

Diese drei Dimensionen charakterisieren die zentralen Unterschiede zwischen der old und new penology.

Für die Arbeit ist die veränderte Form des Strafens von Bedeutung. Nach dem Verschwinden des Moralanspruches, gelten alle Individuen als potenzielle Risikofaktoren für die Gesellschaft.

Der Ansatz der new penology beruht auf drei Faktoren:

1. Einschätzen der Kriminalität
2. Eingruppieren in Risikogruppen
3. Orte werden kontrolliert, nicht Personen

Das bedeutet, dass nicht mehr der individuelle Täter (als Körper in der Disziplinargesellschaft beschrieben) und die einzelne Tat entscheidend sind, sondern der Gesamtzustand der Population wird eingestuft und das damit verbundene Risiko der Wiederholung der Taten. Diese Eingruppierung an­hand von Risikoprofilen (Gefährlichkeitsgrade) bzw. dem Verwalten und Managen von so genannten 'gefährlichen Klassen'[2] - "High- risk offender" und 'Lower-risk offender' - verläuft analog zu der von Simon / Feeley be­schriebenen dritten Dimension der Techniken. Diese Techniken der Kontrolle bilden einen Grat zwischen Hochsicherheitstrakt und Hausarrest, und stellen eine Erweiterung der mittleren Straftechniken und -methoden dar (Simon / Feeley 1992, S.456). Als Sinnbild dieser mittleren Straf­techniken gilt das elektronische Fußband. Es ist eine effiziente und kosten­günstige Form der Strafe, bzw. des Überwachens und Kontrollierens. Es hindert die jeweilige Person sowohl daran ein bestimmtes Gebiet zu ver­lassen, als auch bestimmte Zonen zu betreten, die ihm / ihr nicht gestattet sind[3]. „Derzeitig wird die Fußfessel im Zusammenhang mit den Antiterror­gesetzen in Großbritannien als Prävention zur Überwachung von Personen, die nur unter Verdacht stehen, diskutiert“ (vgl. taz vom 14.03.2005, S. 10).

Der Flughafen ist nach Simon ein prägnantes Beispiel für die Risiko­gesellschaft. An diesem Ort gelten für alle Fluggäste sobald sie ihn betreten die selben Sicherheitskontrollen und Regeln. Ein Verhaltenskodex wird beim Erwerb eines Tickets mit unterschrieben. Das Ticket stellt persönlich ausgestellt die erste Kontrolle dar. Es folgen im Raum-Labyrinth des Flug­hafens weitere Kontrollabläufe. Bei Verweigerung auch nur einer Kontroll­instanz (beispielsweise der elektronische Kontrolle beim Einchecken) ist ein Verwehren des Weitergehens die Folge bis hin zum Verweisen des Flug­hafengeländes. Aber natürlich gibt es noch die Kategorie der "High- risk offender", so genannte Randständige. Für diese Gruppe gelten besondere Sicherheitsregel, so dass sie bereits beim Betreten bestimmte Orte dieser verwiesen werden. In diesem Zusammenhang ist die von Simon be­schriebene „access society" von Bedeutung (Schmidt-Semisch 2002, S. 86). Diese Zugangsgesellschaft, zeichnet sich durch die Eingruppierung von Per­sonengruppen in einzelne Risikoprofile und den dazu gehörigen Bewegungsrahmen aus. Die Eingruppierung funktioniert als eine Art Ein­bahnstraße und ist nahezu irreversibel, setzt also ein eigenständiges, angepasstes Funktionieren des Individuums in jeder Situation voraus. Es handelt sich um eine Zirkulation, die das Individuum selbstständig und souverän bewältigen muss, da sonst die Ausgrenzung in Form von Kontrolle erfolgt. Nach Lindberg / Schmidt-Semisch wird die Form des selbstständigen Anpassens auch Modulation genannt. Denn „der neue Kontrollanspruch kann sich nicht mehr sanktionierend auf die Seele des Individuums richten und schwenkt über auf Orte, Plätze und Situationen. Der Einzelne wird erst in den Blick genommen, wenn er diesen Ort betritt, und auch dann interessiert sein Verhalten nur in dem jeweils definierten Raum in der be­grenzten Zeit seines Aufenthalts“ (Lindberg / Schmidt-Semisch 1995, S.10). Diese Orte (wie auch die Europapassage) auf die die Kontrolle abzielt sind auch als eine Form der dritte Dimension von Feeley und Simon zu betrachten und werden im weiteren noch genauer beleuchtet. Ebenso wie die Grenzen der Kontrolle, die ein gemeinsames Gebilde darstellen; wobei die Zonen des Ausschlusses evident und brutal verlaufen, hingegen jene des Einschlusses weich und fließend sind. Modulation und Ausgrenzung sind entscheidende Charakteristika der Kontrollgesellschaft.

1.2 Sicherheit kennt keine Grenzen

Zur Einteilung der Population in die durch die new penology entstandenen Risikogruppen, befasst sich das folgende Kapitel mit dem zu den ge­fährlichen Klassen gehörigen Phänomen der 'gefährlichen Orte'. Diese stehen in einem kausalen Zusammenhang und können als Strategie gewertet werden. Vorangestellt ist eine allgemeine Definition von Raum und Ort, um anschließend auf Sicherheit und die Konstruktion von 'gefährlichen Orten' einzugehen.

1.2.1 Raum und Ort

Zum Verständnis von Raumtypen stellt sich die Frage, was eigentlich mit Raum gemeint ist. Raum wird im Folgenden zunächst als Abstraktum begriffen. Doreen Massey äußert sich zum Vergleich von Zeit und Raum: „Es entstehe der Eindruck die Zeit schreite fort, während der Raum nur so herumlungert“ (Massey 1992, S. 118). Wehrheim (2002) allerdings geht davon aus, dass sowohl Gestaltung und als auch Nutzung von physischem Raum durch soziale Prozesse hervorgebracht wird. Raum ist sozial pro­duziert. Aber auch das optische Erscheinungsbild und die bauliche Struktur von Raum beeinflusst soziale Prozesse. Raum wirkt zudem aufgrund der Relevanz von Nähe und Distanz für Interaktionen auf soziale Prozesse.

In dieser Arbeit wird die Definition von Wehrheim übernommen. Es wird von 'inszenierten' Orten ausgegangen, die Raum zum einen simulieren als auch zum anderen erzeugen. So meint die Bezeichnung Ort hingegen konkretisierten Raum. Ort soll verstanden werden als das Produkt von Aneignung physischen Raumes[4]. Ort ist Ausdruck der sozialen Bedeutung eines Raumes für die Individuen und für die Gesellschaft insgesamt. Aus der funktionalen Differenzierung und der strikten Zuweisung von Orten an Eigentümer folgt eine Fragmentierung der Nutzung, Gestaltung und Symbolisierung des Raumes. Indem soziale Handlungen also nur zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort stattfinden können, segmentiert sich die Gesellschaft zusätzlich. So meint Ort, beispielsweise eine Shopping Mall, die allerdings ebenso wie Skywalks (ausführlicher in Kapitel 2.3. be­schrieben) einen Raum bzw. einen neuen Raumtypus darstellt. Dies gilt gerade dann, wenn Shopping Malls in ihrer Gesamtheit, etwa als Ausdruck von Privatisierungstendenzen, gesellschaftliche Bedeutung haben. Die zu beschreibenden Raumtypen schaffen neue Voraussetzungen, Ausgangs­bedingungen und Wahrscheinlichkeiten für Überwachung und Ausschluss. Im Folgenden wird von Orten die einen Raum gestalten ausgegangen.

Nach dieser soziologischen Sicht der Raumdefinition wird im folgenden das heutige Rechtsverständnis von Raum erläutert. Dabei wird sich auf die ent­scheidenden Polaritäten des Raumes, die Trennung von öffentlichem und privatem Raum, bezogen.

„Eine Stadt ist eine Ansiedlung, in der das gesamte (...) Leben die Tendenz zeigt, sich zu polarisieren, d.h. entweder im sozialen Aggregatzustand der Öffentlichkeit oder in dem der Privatheit stattzufinden (...). Je stärker Polarität und Wechselbeziehung zwischen öffentlicher und privater Sphäre sich ausprägt, desto städtischer ist (..) das Leben einer Ansiedlung“ (Wehrheim / Siebel 2003, S. 4). Die Polarität von Öffentlichkeit und Privatheit lässt sich in vier Kategorien aufteilen:

- Juristisch: Öffentlicher Raum steht unter öffentlichem Recht, privater Raum unter dem privaten Hausrecht des Eigentümers. Dem­entsprechend unterscheidet sich die Definitionsmacht darüber, wer Räume wofür nutzen kann.
- Funktional: Dem öffentlichen Raum von Platz und Straße sind die Funktionen Markt und Politik, den privaten Räumen von Betrieb und Wohnung die Funktionen der Produktion und der Reproduktion zu­geordnet.
- Sozial: Der öffentliche Raum als Vorderbühne (Goffman 1973) ist Ort stilisierten, distanzierten Verhaltens und Ort der Anonymität. Der private Raum dagegen ist die Hinterbühne (ebd.) - Ort von Intimität, Emotionalität und verhäuslichten Vitalfunktionen.
- Materiell / symbolisch: Ein breites Repertoire an architektonischen und städtebaulichen Elementen signalisiert Zugänglichkeit, res­pektiert Exklusivität von Räumen. Gestaltung, verwendete Materialien und Symbole überhöhen und verdeutlichen die juristischen, funktionalen und sozialen Differenzierungen öffent­licher und privater Räume.

Auch diese Sichtweise zeichnet ein Raumverständnis wieder, dass Raum durch Orte als dynamisch, sich im Handeln und Erleben konstruierend, von Macht- und Kräftefeldern durchdrungen, sowie mit Zeichen und Be­deutungssystemen verbunden sieht. Raum bzw. öffentliche Sphäre „gibt so Gelegenheit zum Repräsentieren, Verhandeln in einem soziologischen Sinn und Verändern von unterschiedlichen Gruppeninteressen (...). Gruppen finden ihren 'Platz' in der öffentlichen Sphäre einer Stadt“ parallel zur Ent­wicklung der Identität eines Ortes im städtischen Raum (Häfele 2002, S. 152). Diese Vorstellung vom urbanen, öffentlichen Raum als einem heterogenen Raum, in dem unterschiedliche soziale Gruppen und Aktivitäten teilweise widersprüchlichster Natur aufeinander treffen und nebeneinander existieren, stellt allerdings ein idealisierendes Konstrukt dar. Der öffentliche Raum, der Zugang zu jeder Zeit für jedermann bietet, hat so noch nie in der Stadt existiert. Schon in frühen Zeiten wurden im öffentlichen Raum Zonen er­richtet, in denen die Öffentlichkeit begrenzt war, und in denen man sich nur unter bestimmten Bedingungen bzw. nur mit speziellen Zugangs­beschränkungen aufhalten durfte.

Die entscheidende dritte Form des öffentlichen Raumes stellt der halböffentliche Raum[5] dar. Unter halböffentlichem Raum versteht man Orte, die sich in öffent­licher Hand befinden, jedoch privat bewirtschaftet werden. Diese hybride Form bezeichnet die Auflösung des öffentlichen Raums - hin zu simulierten Räumen. Bei der vorliegenden Untersuchung wird von hybridartigen Räumen gesprochen, die aus einzelnen Orten zusammengesetzt sind.

1.2.2 Sicherheit und gefährliche Orte

Sicherheit und ihre Gewährleistung sind die angestrebten Faktoren, die durch die neue new penology erreicht werden sollen. Die Räume müssen vor denjenigen gesichert werden, die sie sich aneignen und die gewünschte Funktion verändern wollen. Aber was ist Sicherheit für den Einzelnen? Hier wird ein erstes Problem deutlich: Sicherheit oder das Sicherheitsgefühl ist ein rein subjektiver Wahrnehmungszustand. Dieser wird allerdings als ein 'gesellschaftliches Einheitsempfinden' behandelt und genutzt.

Innerhalb der Städte und der entstandenen öffentlichen Räume hat sich seit ca. 1990 verstärkt ein innerstädtischer Sicherheitsdiskurs herausgebildet, in dessen Zentrum eine weit verbreitete Angst vor Verbrechen steht. „Da zentrale Bereiche der Innenstädte jetzt als Bestandteil einer image­trächtigen Aufwertungsstrategie fungieren, werden die sichtbaren Er­scheinungsformen von Armut und anderen nonkonformen Verhaltensweisen auf zentralen Plätzen und Straßen von entsprechenden Behörden, Geschäftsinhabern, inzwischen aber auch von einer Mehrheit der städtischen Bevölkerung als Gefährdung der öffentlichen Ordnung bzw. Bedrohung der `inneren Sicherheit` wahrgenommen“ (Häfele 2001, S. 16). Sicherheit wird weltweit zu einem der größten Wachstumsmärkte und neben „den öffentlichen Sicherheitsorganen weiten sich private, marktförmig organisierte Sicherheitsdienste aus“ (Wehrheim / Siebel 2003, S. 7). Mit dem Einsatz von Videokameras und der Ästhetik und Architektur der Innenstädte lassen sich Ansätze einer 'Crime-Prevention', wie im folgendem Kapitel beschrieben wird, immer häufiger als Lösung zur Erhaltung der Sicherheit wieder finden.

Als Vorbild für die inzwischen in zahlreichen deutschen Städte zur An­wendung kommenden Sicherheitskonzepte gilt die so genannte 'zero- tolerance- Strategie' der New Yorker Polizei, die auf der 'broken- windows –Theorie' von Wilson und Kelling (1982) gründet. Die Basis dieser Theorie bildet die Annahme, dass bereits die Akzeptanz kleinster Verstöße gegen die öffentliche Ordnung zu einer Demoralisierung der Gesellschaft führt, und diese zu weiteren schweren Verstößen verleitet. Graffitis und einge­schlagene Fenster, also so genannte 'Unordnung', symbolisieren nach Wilson und Kelling Verwahrlosung, Sittenverfall und Unsicherheit. Wilson und Kelling sprechen sich im Rahmen ihrer Theorie für eine Kriminalisie­rung von Bagatelldelikten aus und fordern ein repressives Vorgehen gegen Personen (-gruppen), die im öffentlichen Raum in jeglicher Weise unangenehm auffallen. Sie gehen in ihrer Theorie von einem subjektiven, 'inszenierten' Sicherheitsempfinden aus und „zitieren in diesem Zusammen­hang verschiedene Untersuchungen zur subjektiven Bedeutung gefährlicher Orte. Dabei wurden von den Probanden häufig solche Orte als gefährlich angegeben, von denen objektiv keine ernsthaften Gefahren ausgegangen waren (z.B. Treffpunkte von Jugendlichen usw.)“ (Häfele 2001, S. 17).

Es ist nicht verwunderlich, dass jene Theorie in der Sozialwissenschaft stark umstritten ist, da ein Zusammenhang zwischen der präventiven Repressionsstrategie und einem Rückgang der Kriminalität bisher nicht be­legt werden konnte. Vielmehr wird durch die Repression eine Verschiebung der Kriminalität in andere Stadtteile erreicht, die deshalb nicht als Rückgang gewertet werden darf. So werden Orte durch Verhalten und durch stigmatisierte Menschen zu gefährlichen Orten, obwohl es für diese Aussage keine sicheren Belege gibt[6]. Ein Beispiel für die von Kelling / Wilson geforderte Vorgehensweise „ist etwa die von der Polizei vorgenommene Ausweisung von inzwischen 30 'gefährlichen Orten' in Berlin, an denen wesentliche Persönlichkeitsrechte außer Kraft gesetzt sind. Insbesondere innenstadtnahe Plätze und große Einkaufsstraßen fallen unter diese Klassifikation. An solchen Orten können ohne Begründung Personalien­überprüfungen oder Leibesvisitationen und Platzverweise ausgesprochen werden“ (vgl. spaceLap 1998, S. 142). Die Strategie, die hinter den Vor­gehensweisen der Polizei und dem Sicherheitskonzept an den 'gefährlichen Orten' steckt, beruht auf einem ungeordneten, plötzlichen Ergreifen ohne erkennbare Systematik. „Auf diese Weise werden Zeichen gesetzt, die allen (...) signalisieren, dass sie von diesen Maßnahmen jetzt, morgen oder später, also jederzeit auch betroffen sein könnten“ (Krasmann / de Marinis 1997, S. 176). Letztlich lässt sich auch ganz bewusst durch die Entstehung der 'gefährlichen Orte' vermerken, dass jede Sicherheitstechnologie, so überwachend sie auch für den Bürger erscheinen mag, durch ihre bloße Gegenwart eher eine Verunsicherung bewirkt. Diese bewusst erzeugte Ver­unsicherung zeigt, dass das Konzept der gefährlichen Klassen und Orte aufgeht.

1.3 Sicherheit durch Architektur

Wurde im vorangegangenen Kapitel das Verwalten und Managen von 'gefährlichen Klassen' und 'Orten' als Reaktion dargestellt, geht es im folgenden Kapitel um die präventive Ausgestaltung von Räumen mittels architektonischer Lösungen.

In diesem Zusammenhang ist die Theorie des 'Defensiv Space' von Oscar Newman zu berücksichtigen. Newman bezieht sich auf eine Architektur für die untere und mittlere Einkommensschicht, die so gestaltet ist, dass sie definiert, was öffentlicher und was privater Raum ist. Grundlage der Theorie ist ein „Raum, der für die Öffentlichkeit zugänglich ist (unabhängig von seinem eigentumsrechtlichen Status), einsehbar, indem Eingänge eines Hochhauses oder Spielplätze von den Fenstern aus beobachtet werden können, oder halb-öffentliche / halb-private Räume wie Lobbys oder Flure die von außen einsehbar und so kontrollierbar sind. Außerdem liegt der Theorie die Strategie zur Grundlage, dass durch die Übersichtlichkeit und entstandene Kontrollmöglichkeit, die Bewohner sich stärker für ihre Umgebung und das, was in ihr geschieht, verantwortlich fühlen (Territoria­lität)“ (vgl. Wehrheim 2002, S. 97).

Die Architektur zeichnet sich neben der dargestellten Territorialität durch symbolische Barrieren, wie zum Beispiel hohe Mauern, u-förmige Gebäude, verschlossene Zufahrten, aber auch offene Durchfahrten und durch Be­leuchtung geführte Wege, aus. „Dadurch wird eine Abstufung im Verhalten und in der Bereitschaft zum Betreten dieser Räume“ geschaffen (vgl. Wehrheim 2002, S. 98).

Architektur wird im Vergleich zu privaten Sicherheitskräften oder Video­überwachung als kostengünstiges Mittel der Prävention angesehen.

1.3.1 Crime Prevention Through Environmental Design

Crime Prevention Through Environmental Design (CPTED) ist der Ansatz, unter dem architektonische Sicherheitsstrategien der Überwachung und Ausschließung zusammengefasst sind.

Newmans Definition der Territorialität des 'Defensiv Space' lässt sich auch unter dem Ansatz des CPTED wieder finden. Bei den Anwohnern oder Ladeninhabern wird eine Verantwortung für den genutzten Raum her­gestellt. Raum soll symbolisch okkupiert werden. Die soziale Kontrolle und Überwachung über seinen / ihren Nächsten zielt auf einen freiwilligen Konsens des Erhaltes der Ordnung ab. Hierzu wird das subjektive Sicher­heitsgefühl geformt, genutzt und benutzt. Die Planung von CPTED erfolgt unter Berücksichtigung von Designation, Definition und Design auch als 3D bezeichnet. Designation bezieht sich auf die Nutzungsform des Raumes. Zu welchem Zwecke wird er genutzt und wie ist das dazugehörige adäquate Verhalten. Definition meint eine klar erkennbare Grenze zwischen öffentlichem und privatem Raum. Das dritte 'D' (Design) gilt als architekto­nisch - gestalterisches Mittel, um die Designation und Definition zu ver­deutlichen.

Die Gestaltung und Architektur von CPTED-Strategien können ausschlie­ßend, aber auch eingrenzend wirken. Sie kann den Zugang durch Mauern verwehren, aber auch ein Verschwinden jener Mauern, verhilft zu einer besseren Übersicht über das Gelände. Im Mittelpunkt steht die Sicherheit und damit verbunden eine möglichst hohe Auf- und Entdeckungsquote von Kriminalität. Die Kriminalitätsprävention wirkt durch das erhöhte Risiko, entdeckt zu werden. Die Angst alleine soll abschreckend wirken und mindert dadurch die Kriminalität. So soll durch CPTED das Verhalten in einem Raum reguliert werden (vgl. Designation).

Im folgendem Beispiel verdeutlicht: Betritt eine Person, die man einer Randgruppe zuordnet, trotz des Wissens, entdeckt zu werden, einen Raum in privater oder halböffentlicher Hand, z.B. ein Einkaufzentrum, stellt diese bloße Tatsache keine kriminelle Handlung dar. Jedoch liegt hier ein Regel­verstoß vor, der Sanktionen in Form von Ausschluss nach sich zieht. Die Person besitzt aufgrund ihrer äußeren Merkmale Randgruppenzugehörigkeit und hat im Einkaufszentrum laut der genormten Hausordnung kein Aufenthalts­recht. So wird durch die InhaberIn eine Nutzungsform (Hausordnung) festgesetzt, an deren Erhalt alle BenutzerInnen mitwirken. „Die Verantwortung verschiebt sich von den BenutzerInnen der Straße zu deren (juristischen oder symbolischen) EigentümerInnen, die über Zugangsberechtigungen entscheiden“ (vgl. Wehrheim 2002, S. 101).

Es entsteht eine homogene Nutzung durch eine homogene BenutzerIn­nengruppe des Ortes, bzw. eine Abstufung in unterschiedliche BenutzerInnen und den dazugehörigen Rechten. Dies erzeugt Herrschafts­beziehungen unter den InhaberInnen, den NutzerInnen und jenen, denen der Zutritt verwehrt wird.

1.3.2 Ästhetisierung und Sauberkeit

Sauberkeit bzw. Reinlichkeit wird in diesem Kontext als eine Art Kampf­parole verwendet, als Mechanismus der Abgrenzung von Ordnung und Unordnung. Seit jeher wird bestimmten Personen und Gruppen ein Defizit an Ordnung und Sauberkeit zugeschrieben[7]. Durch die unterstellte Unordnung bieten diese Personen eine Angriffsfläche für Sanktionen in Form von Exklusion aus Räumen.

Als Beispiel gilt hier ein sauberer, öffentlicher Ort, z.B. ein Marktplatz in einer Kleinstadt. Dieser Marktplatz strahlt durch seine Sauberkeit ein generelles Übereinkommen / Konsens mit den Bürgern der Stadt aus (Territorialität). Es ist erwünscht, dass dieser Ort seine Sauberkeit behält. Die sichtbare, öffentliche Sauberkeit fordert ein regelrechtes 'Sichdaranhalten' und 'Aufrechterhalten' jener Sauberkeit. So grenzt dieser Konsens / diese Sauberkeit schon von vornherein Personen aus, die dieser Norm nicht gerecht werden. Sichtbar wird hier, wie bei Newman, eine durchsichtige Mauer. Sauberkeit wird als Symbolik genutzt und hindert Personengruppen durch eine eigene soziale Kontrolle an dem Betreten öffentlicher Räume[8].

„Ästhetik und Sauberkeit hängen zusammen und dienen dazu, Raum hierarchisch zu gliedern und soziale Gruppen und Lebensstile räumlich zu separieren“ (Wehrheim 2002, S. 104).

Ästhetik meint in diesem Fall eine exklusive Form von Architektur und Gestaltung. Diese Gestaltung oder auch Simulation wirkt auf bestimmte Gruppen einladend, andere fühlen sich durch sie nicht angesprochen bis hin zum symbolischen Ausschluss. Mit 'exklusiv' ist eine Veredelung z.B. durch elitäre Kunst, Springbrunnen etc. des öffentlichen Raumes gemeint. Der Raum fordert den / die NutzerIn auf, selber zu definieren, ob er / sie dazu passt, bevor er / sie ihn betritt.

Ein weiteres Mittel der Gestaltung ist das Material der Räume. Neben Granit und Marmor gehört auch Glas zur exklusiv suggerierenden Architektur. Bei Glasfassaden nimmt man verspiegeltes Glas. So symbolisiert eine Glassfassade Öffentlichkeit und Durchlässigkeit, ist in Wirklichkeit aber eine gläserne Mauer, die den Einblick Unerwünschter von außen verwehrt.

Luxusgebäude stellen so eine Grenze zwischen den Räumen und ihren dazugehörigen Personen dar. So gilt: Unrat, in diesem Fall sind damit auch Randgruppen gemeint, darf in öffentlichen und halböffentlichen Räumen nicht sichtbar sein und wird unmittelbar entsorgt. Ebenso ist dies die höchste Prämisse in Einkaufszentren. Ein Ausschluss wird in diesen privaten Räumen durch den Konsens der Selbstkontrolle von Sichtbarkeit und Sauberkeit sowie auch durch sichtbare Türen erreicht. Eine weitere Rolle spielen Sichtbarkeit durch CPETD und Videoüberwachung, die ein Aufrechterhalten der Ordnung und Sauberkeit in Einkaufszentren ermöglichen. Wenn dies in der Innenstadt und ihren 'indoor'- und 'outdoor' -Plätzen erreicht ist, erhöht es den Wert einer Metropole[9], gemäß dem Motto: Die Innenstadt ist, das Gesicht der Stadt. „Als Bühne und Inszenierungs­raum urbanen Lebens soll möglichst das Hässliche verbannt werden, denn alle Erscheinungen von Armut und Elend stören die stilisierte Ästhetik“ (vgl. Birenheide / Legnaro 2003, S. 14).

1.4 Nicht - Orte

Im Zuge der Veränderung der Innenstädte nach dargestellten Prinzipien

entstehen in den Städten vermehrt neue öffentliche Räume bzw. etabliert sich zunehmend ein Raumtypus, der des Nicht-Ortes.

Als Nicht-Orte bezeichnet man Orte[10] des Transits und Orte ohne Ge­schichte. „So wie ein Ort durch Identität, Relation und Geschichte gekenn­zeichnet ist, so definiert ein Raum, der keine Identität besitzt und sich weder als relational noch als historisch bezeichnen lässt, einen Nicht -Ort“ (vgl. nach Augé 1994 in Häfele 2001, S. 22).

Orte sind für das Individuum durch hergestellte normative Bezüge und ge­wisse Bindungen gekennzeichnet, die in Form von sprachlichen Referenzen und Zeichen dem Individuum die Möglichkeit der Identifizierung bieten. Nicht-Orte dagegen sind nicht durch diese Zusammenhänge gekenn­zeichnet. Die Form des Nicht-Ortes im öffentlichen Raum ist dort zu finden, wo die „symbolische Geographie der Stadt“ von Ökonomie und Kultur, von Privatheit und Öffentlichkeit, Markt und Platz bestimmt wird, wie z.B. von Museen, Einkaufszentren, Passagen oder Atrien (nach Augé 1994 in Häfele 2001, S. 21).

Wehrheim hingegen wirft die Frage auf, ob Nicht-Orte wirklich Räume ohne Geschichte und Identität sind bzw., ob sie dies auch bleiben. Nach Wehrheim suggeriert der Begriff der Nicht-Orte eine Bedeutungslosigkeit für die Gesellschaft, sodass man Nicht-Orte auch ignorieren könnte. Wehrheim kritisiert an Augé, „ dass räumlicher Ausschluss aus Nicht-Orten keine Bedeutung für Prozesse sozialer Ausgrenzung hätte“ (Wehrheim 2001, S. 119). Die Analyse belegt, dass der Ausschlusses sehr wohl von Bedeutung ist und Augé sich irrt.

Einen weiteren Aspekt nennt Wehrheim die Raumaneignung der Innen­städte durch Nicht-Orte und ihre Nutzer.

Wenn die Malls der Innenstädte zum Verweilen einladen, eventuell öffent­liche Einrichtungen wie Bücherhallen integrieren, dann würden sie zu Stadtteilzentren werden. „Zusätzlich verschmelzen die Bewohner einer Suburb innerhalb der Mall zur Consumption Community. Damit würden die gesicherten Archipele der Malls gleichzeitig zu Räumen der Integration wie der Ausgrenzung und Augé würde sich irren, denn mit den sozialen (Community-) Funktionen würde sich im Laufe der Zeit auch eine ´Identität` und `Geschichte` der Räume herausbilden, Nutzer würden emotionale Be­ziehungen zu den jeweiligen Orten aufbauen. Aufgrund der Popularität der Malls sogar für abendliche Freizeitgestaltung würde die Umschreibung als Nicht-Orte ihre Bedeutung verlieren“ (Wehrheim 2002, S. 133).

Diese beiden Punkte der Entstehung von Geschichte und Identität, und auch die dadurch produzierten sozialen Prozesse am Beispiel der Ausgrenzung haben jedoch Auswirkungen auf die Gesellschaft. Daher wird in dieser Arbeit die Kritik der Raumanalyse nach Wehrheim unterstützt. Dennoch wird der Begriff des Nicht-Ortes für angebracht gehalten, wenn man die Entstehung dieser Orte und die Form des Nicht-Ortes des Transits, beispielsweise eine Passage, betrachtet.

[...]


[1] Nach Kaisers Kleinem kriminologischen Wörterbuch als Strafwissenschaft oder auch als Sanktionsforschung erklärt: „In der älteren Kriminologie war statt von (empirischer) Sanktionsforschung oder Behandlungsforschung verbreitet von Pönologie die Rede. Abgeleitet aus dem lateinischen Begriff der 'poena' (= Pein, Buße, Strafe), sollte dieser Terminus theoretisch umfassend den Inbegriff der erfassungswissenschaftlichen Befassung mit den staatlichen Strafsanktionen von der Verhängung über die Vollstreckung bis zum Vollzug verkörpern“ (Kaiser 1993, S.441).

[2] Als gefährliche Klassen „gelten in erste Linie die 'sozialen Abfälle'; die – ganz oder teilweise- Ausgeschlossene von den Arbeits-, den Politik- und Konsumkreisläufen. Kriminelle bzw. durch diverse komplexe Prozesse Kriminalisierte reihen sich in diese Liste ein“ (Krassmann/de Marinis 1997, S. 177). Die Mitglieder der 'gefährlichen Klassen' sind in der kapitalistischen Verwertungslogik nicht mehr zu retten, also nicht mehr verwertbar und besitzen damit nicht die 'Ehre' integriert zu werden.

[3] Die Steigerung der Kontrolle über eine Person ist die in den USA geplante Implantation von Spritzen unter der Haut bei Sexualstraftätern von Kindern. Das Implantat ist zusätzlich mit Sensoren ausgestattet. Wenn sich die Person einem Kinderspielplatz nähert, wird der in der Spritze befindliche Wirkstoff automatisch injiziert.

[4] Vgl. Bourdieu 1991

[5] Für den halböffentlichen Raum gibt es keine allgemeingültige Definition. Die am meisten verwendete Bedeutung, die unter diesem Begriff verstanden wird, ist eine Mischform aus privatem und öffentlichem Raum. In meiner Arbeit wende ich diese Mischform unter dem verwendeten Begriff halböffentlicher Raum an.

[6] Das Wissen über das Konstrukt des subjektiven Sicherheitsgefühls von Menschen ist nicht neu. “Klassisch sind die inzwischen klischeeträchtigen alten Frauen, die sich am meisten fürchten und am wenigsten bedroht sind“. Entscheidend ist hier aber der Kausalzusammenhang. „Weil sich ältere Menschen mehr fürchten, schützen sie sich mehr, gehen z.B. nicht viel raus, und deswegen werden sie weniger überfallen“ (Vählinger, www.citycrimecontrol.net).

[7] Wehrheim erinnert an Elias / Scotson (1993), die in der Etablierten-Außenseiter-Figuration hervorhoben, dass Außenseiter fast automatisch den Ruf erhalten, nicht sauber und reinlich zu sein.

[8] Sauberkeit kann über ihre Symbolik hinaus sogar zu einem harten Ausschließungsmechanismus werden, wenn etwa wie im Bereich des Grand Central Terminals in NY bewusst so scharfe Reinigungsmittel verwendet werden, dass ein Schlafen auf dem Boden nicht möglich ist (vgl. Wehrheim 2002, S. 102). Ein weiteres Beispiel wäre das stündliche, automatische Reinigen der Eingänge durch Duschen der Filialen Peek und Cloppenburg in der Hamburger Innenstadt. Diese Reinigung der Eingänge gilt der Ästhetisierung durch vermeintliches Entfernen von Dreck. Die eventuell dort nächtigenden Obdachlosen erhalten denselben Status und werden gleich mit entsorgt.

[9] Vergleiche hierzu das Bettlerpapier von 1993 bzw. die Beschlüsse vom 07.12.95, 18.04.96 und 12.06.96.

[10] Ort (gem. Stammwort) bezeichnet mit Spitze ursprünglich die genaue Bestimmung eines Punktes im Raum (Handbuch der Raumordnung Akademie für Landesplanung Hannover ARL Verlag Hannover 1995).

Ende der Leseprobe aus 98 Seiten

Details

Titel
Ausgrenzung und urbane Kontrolle am Beispiel der Europapassage in der Hansestadt Hamburg
Hochschule
Universität Bremen
Note
1
Autor
Jahr
2005
Seiten
98
Katalognummer
V48397
ISBN (eBook)
9783638451178
Dateigröße
1062 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ausgrenzung, Kontrolle, Beispiel, Europapassage, Hansestadt, Hamburg
Arbeit zitieren
Bodil Pohl (Autor:in), 2005, Ausgrenzung und urbane Kontrolle am Beispiel der Europapassage in der Hansestadt Hamburg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48397

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